sentences
stringlengths
340
17.4k
labels
int64
0
11
Dass Kleinvieh auch Mist macht, ist das Lieblingssprichwort der Sparsamen. Besonders zur Sparsamkeit angehalten ist hierzulande natürlich die Verwaltung; schließlich arbeitet sie nicht mit eigenem Geld, sondern mit dem der steuer- und gebührenzahlenden Bürger. Allerdings ist es eine zweischneidige Sache, in Behörden immer auch den Pfennig zu ehren: Denn es kostet Geld, sich ums Kleingeld zu kümmern - manchmal sogar mehr, als es bringt. Genau darum geht es dem CDU-Bundestagsabgeordneten Kai Whittaker. Er hat bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Erfahrung gebracht, wie viele Kleinbeträge die Jobcenter 2018 von Hartz-IV-Empfängern zurückgefordert haben - und was das gekostet hat. Die Zahlen, die der SZ vorliegen, zeigen ein drastische Missverhältnis: 2018 wurden insgesamt 18 Millionen Euro an Kleinbeträgen bis 50 Euro zurückgefordert. Gekostet aber hat das 60 Millionen Euro; der Verwaltungsaufwand war also mehr als dreimal so hoch, wie die Forderungen selbst. Erschwerend kommt hinzu, dass die tatsächlichen Einnahmen sogar noch unter den Forderungen gelegen haben dürften. 2016 war das Verhältnis von Aufwand und Ertrag noch nicht ganz so ungünstig: Forderungen von zwölf Millionen Euro standen damals Verwaltungskosten von rund 26,2 Millionen Euro gegenüber. Je geringer die Beträge sind, um die es geht, desto größer ist das Missverhältnis: 2018 summierten sich Forderungen von bis zu 20 Euro auf 4,6 Millionen Euro und verursachten einen fast neunmal so hohen Verwaltungsaufwand von 40,6 Millionen Euro. "Hartz IV verwaltet sich selbst und verliert sich in Kleinigkeiten", sagte Whittaker, der auch Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales ist. "Dann geht es wirklich nicht mehr um die Menschen, sondern um die Bürokratie." Zu Rückforderungen kommt es, wenn Jobcenter feststellen, dass sie Hartz-IV-Empfängern zu viel überwiesen haben. Zu einer solche "Überzahlung" kann es etwa kommen, wenn jemand einen Minijob annimmt, für seinen ersten Arbeitsmonat aber schon Arbeitslosengeld II bekommen hat. Auch wenn sich die Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft ändert, die Arbeitszeit und damit das Gehalt eines Aufstockers steigt, das Finanzamt Steuern erstattet oder der Arbeitgeber Weihnachtsgeld überweist, muss das Jobcenter unter Umständen Geld zurückfordern. Der Spielraum für die Ämter ist gering. Als "Soll" erfassen muss die BA in ihrem Finanzsystem grundsätzlich alle Ausstände ab einem Cent. Für allerkleinste Beträge bis sieben Euro greift die "Kleinbetragsgrenze" der Bundeshaushaltsordnung. Das heißt, ob ein Erstattungsbescheid verschickt wird, steht im Ermessen des Jobcenters; gemahnt wird nicht. Für Ausstände zwischen sieben und 36 Euro müssen Erstattungsbescheide verschickt werden und auch Mahnungen, ab 36 Euro werden "Vollstreckungsmaßnahmen" eingeleitet. BA-Chef will auf geringe Forderungen verzichten Dafür, dass die BA auch bei Forderungen von weniger als sieben Euro tätig werden muss, hatten Ende 2014 die damaligen Minister für Finanzen und Arbeit, Wolfgang Schäuble (CDU) und Andrea Nahles (SPD), gesorgt. Ihre Häuser stellten durch eine Weisung klar, dass sämtliche Forderungen zumindest erfasst und "auf Soll" gestellt werden müssen. Dadurch sind die Fallzahlen deutlich gestiegen. Die Bürokratie in den Jobcentern ist regelmäßig Streitthema - von den besonders strengen Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger unter 25 Jahren bis zu den Rückforderungen von Kleinbeträge. "Wir wünschen uns seit Jahren die Einführung einer Bagatellgrenze", sagte der Vorstandsvorsitzende der BA, Detlef Scheele, der SZ. "Der jetzige Aufwand für Erstattung und Aufhebung von kleinen Beträgen steht in keinem Verhältnis zum Ertrag." Der CDU-Abgeordnete Whittaker allerdings fordert noch weitergehende Schritte: "Forderungen sind nur ein Beispiel für den Bürokratieirrsinn im Hartz-IV-System", sagt er. Hinzu kämen nicht klar definierte Rechtsbegriffe und komplizierte Einzelfallgestaltungen. Das alles führe Jobcenter, Gerichte und Betroffene "in einen Irrgarten".
11
Der Rekordmeister Grass­hoppers Zürich ist als Tabellen­letzter akut vom Abstieg bedroht. Die Sehnsucht nach einem radikalen Neu­an­fang ist groß. Das aber geht beim Traditionsklub nicht - und darum ist die Lage so dramatisch. Wer wissen will, wie sehr der Schweizer Traditionsklub Grasshoppers Zürich in dieser Saison ins Schlingern geraten ist, der sollte sich nur einmal eine Umfrage der beiden Internetportale tagesanzeiger.ch und 20min.ch ansehen. Die Schweizer Journalisten wollten dabei am Donnerstag herausfinden, wer denn in der aktuellen Krise das größte Problem sei: der Trainer, der Sportchef, der CEO oder der Präsident des Vereins. Mehr als 4600 Personen machten innerhalb kürzester Zeit mit, das sind fast so viele, wie am vergangenen Sonntag beim 0:1 des Tabellenletzten Grasshoppers Zürich gegen den Vorletzten Neuchatel Xamax zusahen. "Alle müssen weg!", forderten 47 Prozent der Teilnehmer. Es drückt aus, wie sehr der Schweizer Rekordmeister in diesen Tagen an seinem Zerfall arbeitet. Dabei ist es ja nicht so, dass er in diesem Jahrzehnt zum ersten Mal schlecht aussieht. 2010 ging er als Tabellenletzter in die Winterpause, und eine Saison später rettete er sich als Achter unter den zehn Teams gerade noch, später war er sogar mal Neunter. An diesem Sonntag nun spielt der Klub in Thun. Das kleine Thun hat doppelt so viele Punkte gewonnen und doppelt so viele Tore erzielt - und das bei einem Budget, das mit 10 Millionen Franken halb so groß ist wie das der Zürcher. Deren deutscher Trainer Thorsten Fink sagt nun: "Von uns erwartet jeder, dass wir verlieren." Trainer Thorsten Fink als Sinnbild des Niedergangs Seit dem 23. April 2018 ist Fink bei GC. Er kam als einer, der aus seiner Zeit als Spieler bei Bayern München und als Trainer beim FC Basel vor allem das Siegen gewohnt war. Und der, auch das ist Teil der Wahrheit, gar nicht nach Zürich wollte. Weil aus seinem Wunsch, wieder Basel zu trainieren, nichts wurde, nahm er halt das andere Angebot an, das gerade vorlag. Das der Grasshoppers. In Zürich ist Fink nun zum Verlierer geworden. 17 Niederlagen in 26 Meisterschaftsspielen, dazu kommt das blamable Aus im Pokal gegen das drittklassige Nyon. Allein acht der letzten zehn Spiele gingen verloren. Normalerweise ist ein Trainer mit einer solch erschreckenden Bilanz nicht mehr zu halten. Doch was ist in diesen Tagen schon noch normal bei den Grasshoppers? Und was könnte die Lösung sein? Sollten tatsächlich "alle weg"? Es klingt nach einem vernünftigen Weg, um den in seinen Grundfesten erschütterten Verein neu aufbauen zu können. Aber so einfach ist das nicht. Es ist viel komplizierter. Und darum ist es so dramatisch für den Verein. "Als Firmenführer ist er total überfordert", sagt der Sponsor über den Präsidenten Dieser Verein war, selbst zu stolzen und noblen Zeiten, schon immer defizitär. Allein 2002/03 betrug das Loch 18,1 Millionen Franken, und das bei Ausgaben von 27,1 Millionen. Das war nicht weiter entscheidend, weil die Eigentümer, die früheren Wirtschaftsführer Rainer E. Gut und Fritz Gerber, dafür geradestanden. Vor allem fragte keiner weiter danach, weil die Saison mit dem 27. Meistertitel endete. Seit 2003 haben die Grasshoppers aber nun keine Meisterschaft mehr gewonnen. Seit 2014 ist nun Stephan Anliker Präsident, ein Architekt, der die Netzwerke des Vereins über die Jahre genutzt hat, um sich in Zürich ein rentables Standbein aufzubauen. Das Bemühen, die Arbeit als Präsident gut machen zu wollen, ist ihm nicht abzusprechen, er hat über seine Firma Ducksch Anliker schon viele Millionen gegeben. "Er ist kein böser Mann", sagt Reinhard Fromm, der Trikotsponsor. Bevor er anfügt: "Aber als Firmenführer ist er total überfordert. Er kann keine Firma managen." Was das mit Anliker macht, ist offen. Drei, vielleicht vier Millionen Franken muss er jetzt zuschießen, um den Betrieb zu finanzieren. Das macht er. Und weil er das macht und ihm der Klub fast zur Hälfte gehört, kann ihn keiner rauswerfen. Anliker ist sein eigener Chef. Und weit und breit ist kein ernsthafter Investor in Sicht, der ihn ablösen könnte. Und der CEO Manuel Huber macht Urlaub Fromms Tirade gilt nicht nur Anliker, sie beginnt bei Manuel Huber. Dass der CEO des Klubs mitten in der großen Krise Urlaub in der Karibik macht, findet er "grauenhaft". Die Lage ist für ihn so desolat, dass er auch sagt: "Solange das Aktionariat und das Management so aufgestellt sind, bin ich nicht mehr dabei." Fromm zieht sich im Sommer als Sponsor zurück. Weitere 500 000 Franken pro Jahr entgehen dem Verein so im Minimum. Huber wurde von Anliker an dem Tag zum CEO befördert, als er Präsident wurde. Sein Leistungsnachweis ist darum so gut wie der seines Chefs: miserabel. Die Reihe seiner Fehltransfers ist lang geworden über die Jahre. Und als er für den Verwaltungsrat einmal ein Sparkonzept erstellen sollte, kam er auf einen Betrag von 67 000 Franken. Fromm sagt: "Er redet viel und liefert wenig." Huber wurde im Frühjahr 2017 von Mathias Walther als Sportchef entlastet. Fink war dessen Wunschtrainer. Nur besser ist es deshalb nicht geworden in Zürich. 28 Spieler sind unter Walther gekommen, zuletzt auch zwei umstrittene aus der Bundesliga: der Brasilianer Caiuby, der zuvor unter anderem seinen Winterurlaub eigenmächtig verlängerte, aus Augsburg und Yoric Ravet aus Freiburg, der pro Monat 26 000 Euro netto forderte, um zu wechseln. Reinhard Fromm sagt zu den Zugängen: "Wenn es in einer Firma oben nicht stimmt, geht das nach unten durch."
9
Wieder dieses Getöse, wieder dieses Gebrüll. Als hätte sich jeder einzelne der Zuschauer in der Kölner Handball-Arena vorgenommen, noch ein oder zwei Dezibel lauter zu brüllen als beim ersten Hauptrundenspiel, ging ein rauschender Lärm auf die deutschen Nationalspieler nieder, als sie am Montagabend die Halle betraten. Es glitzerte schon wieder verdächtig in den Augen von Silvio Heinevetter, dem Ersatztorhüter, der für die Emotionen von den Rängen besonders empfänglich ist. Emotional und aufbrausend blieb die Partie bis zum Abpfiff, am Ende stand vor 19 250 Zuschauern ein hart erkämpftes 22:21 (11:11) gegen Kroatien, womit die Deutschen bei dieser Weltmeisterschaft vorzeitig als Halbfinalist feststehen. Das erste große Ziel bei der Heim-WM ist damit erreicht: Die Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop wird Köln am Donnerstag verlassen und nach Hamburg reisen, wo sie am Freitag um den Einzug ins Finale spielt. Zuvor können im abschließenden Hauptrundenspiel gegen Spanien am Mittwoch einige Kräfte geschont werden. Nebenbei ist Deutschland schon jetzt für eines der Qualifikationsturniere zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio qualifiziert. Strobel fällt früh verletzt aus "Das war heute eine ganz harte Prüfung", sagte Prokop, "so eine Drucksituation zu bestehen, darauf bin ich unheimlich stolz." Torhüter Wolff stellte den Berliner Rückraumspieler Wiede heraus: "Fabi hat ein unglaubliches Spiel gemacht, er hat wahnsinnig gespielt." Der Gelobte gab zu Protokoll: "Wenn man im Halbfinale ist, will man auch ins Finale und dann den Pokal hochstemmen." Die Kroaten hatten nur eine Nacht und einen halben Tag Zeit, um die arg überraschende 26:29-Niederlage gegen Brasilien aus den Köpfen zu bekommen. Mit einem Schlag hatte das Team von Trainer Lino Červar die gute Ausgangsposition für das Halbfinale verspielt, und dann musste die medizinische Abteilung am Montag auch noch das WM-Aus für Mittelmann Luka Cindrić von KS Kielce vermelden. Eine Beinverletzung, für ihn wurde Kristian Bećiri nachnominiert. Auch ohne ihren Chefantreiber fanden die Kroaten besser in die Partie, führten schnell 3:1; als die Deutschen begannen, sich in die Partie hineinzukämpfen und Torwart Andreas Wolff den ersten kroatischen Siebenmeter parierte, folgte der erste personelle Tiefschlag der Heim-WM: Mittelmann Martin Strobel verdrehte sich ohne direkte gegnerische Einwirkung das Knie (9.), musste von Sanitätern auf einer Trage aus der Halle und ins Krankenhaus befördert werden. Die Diagnose: Innenbandriss und Riss des vorderen Kreuzbandes, für ihn ist die WM beendet. Die Halle stellte sich noch vehementer hinter die deutsche Mannschaft, was auch daran lag, dass sich Kroatiens Željko Musa während der Verletzungspause beschwerte und die Anhänger zum Singen animierte, während Strobel am Boden lag. Nun war Hektik in der Partie, wozu auch die dänischen Schiedsrichter beitrugen, die die Zweiminutenstrafen anfänglich wie Kamelle verteilten. Bis zur zwölften Minute mussten drei Deutsche raus, erst Patrick Wiencek, dann Patrick Groetzki und Hendrik Pekeler. Wieder vollzählig tat sich Prokops Mannschaft im Angriff sehr schwer, wie schon im kompletten Turnierverlauf.
9
Fußball, BVB: Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund holt zwei alte Bekannte zurück. Michael Skibbe als U19-Coach und Cheftrainer aller Jugendmannschaften sowie Otto Addo in einer neuen Funktion als Talente-Trainer in der Schnittstelle zwischen Junioren und Profis nehmen zum 1. Juli ihre Tätigkeiten beim BVB auf, wie der Tabellenzweite am Mittwoch bekanntgab. "Mit Michael Skibbe und Otto Addo professionalisieren wir uns im elementar wichtigen Übergangsbereich der Altersklassen U17 bis U23, um eine konstant hohe Durchlässigkeit zu der Profi-Abteilung zu gewährleisten", kommentierte BVB-Sportdirektor Michael Zorc die Verpflichtungen. Der 53 Jahre alte Skibbe arbeitete schon von 1989 bis Anfang 2000 für Borussia Dortmund, zunächst als Nachwuchs-Koordinator, später als Trainer der U19. Nach einem Jahr als Coach der U23 übernahm er 1998 von Nevio Scala den Posten des Cheftrainers und führte die BVB-Profis in die Champions League. Am 4. Februar 2000 musste er diese Tätigkeit beenden und wechselte zunächst zurück in die Nachwuchsabteilung. Danach übernahm er beim DFB gemeinsam mit Rudi Völler die Trainer-Doppelspitze mit dem Höhepunkt des zweiten WM-Platzes 2002. Zuletzt trainierte Skibbe die griechische Nationalmannschaft. Otto Addo war von 1999 bis 2005 Profi beim BVB und wurde mit dem Verein 2002 deutscher Meister. Er absolvierte 98 Bundesligaspiele, in denen er 16 Treffer erzielte. Der 43-Jährige war in einer mit seiner neuen BVB-Aufgabe vergleichbaren Position seit 2017 für Borussia Mönchengladbach tätig. Fußball, FC Bayern: Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, 63, hat Angreifer Claudio Pizarro, 40, von Werder Bremen einen Job beim Rekordmeister angeboten - nach der aktiven Karriere. "Wir haben mit Claudio vereinbart, wenn er wirklich mal seine Karriere beendet, wann auch immer das sein wird, dass er dann nach München zurückkehren und bei uns eine Botschafter-Rolle übernehmen kann", sagte Rummenigge dem Portal Mein Werder: "Meines Wissens nach hat er hier in München immer noch ein Haus und seine Familie hat sich hier immer sehr wohl gefühlt." Pizarro spielte in seiner Karriere zwei Mal für die Münchner - von 2001 bis 2007 sowie zwischen 2012 und 2015. Am Samstag in der Bundesliga (15.30 Uhr/Sky) sowie vier Tage später im Halbfinale des DFB-Pokals (20.45 Uhr/ARD) will der Peruaner mit Werder seinen Ex-Klub nun zunächst einmal gehörig ärgern. "Wir sind in einer guten Phase, die Mannschaft hat viel Selbstvertrauen und deshalb ist die Möglichkeit da, die Spiele zu gewinnen", sagte Pizarro, der mit den Grün-Weißen in diesem Kalenderjahr noch ungeschlagen ist. Fußball, Spanien: Der spanische Fußball-Spitzenklub Atletico Madrid hat den Vertrag mit Torhüter Jan Oblak vorzeitig um zwei weitere Jahre bis 2023 verlängert. Das gab der Tabellenzweite der Primera Division am Mittwoch bekannt. Oblak war zuletzt immer wieder als Kandidat bei mehreren europäischen Top-Klubs gehandelt worden. Der 26-Jährige war 2014 von Benfica Lissabon nach Madrid gewechselt. Im Team des französischen Superstars Antoine Griezmann gewann er 2018 die Europa League. In den vergangenen drei Jahren wurde Oblak jeweils als bester Torhüter der spanischen Liga ausgezeichnet. US-Sport, NHL: Eishockey-Nationalspieler Tom Kühnhackl hat mit den New York Islanders in der nordamerikanischen NHL das Playoff-Viertelfinale erreicht. Die Islanders gewannen Spiel vier der Erstrundenserie gegen die Pittsburgh Penguins 3:1 (2:1, 0:0, 1:0). Kühnhackl verbuchte einen Assist beim Auswärtserfolg der New Yorker. Der 27-jährige Landshuter bereitete das zwischenzeitliche 2:1 durch Brock Nelson (19. Minute) vor. Torhüter Thomas Greiss und Verteidiger Dennis Seidenberg kamen beide nicht zum Einsatz. Mit vier Siegen aus vier Spielen konnten die Islanders die Best-of-Seven-Serie klar für sich entscheiden. Historisches ereignete sich derweil in der Serie zwischen den an Nummer eins gesetzten Tampa Bay Lightning und den Columbus Blue Jackets. Zum ersten Mal in der Geschichte der Profiliga musste sich das beste Team der Hauptrunde ohne einen einzigen Sieg aus den Playoffs verabschieden. Die Lightning verloren nämlich auch das vierte Spiel der Erstrundenserie bei den Blue Jackets klar 3:7 (1:2, 2:2, 0:3). In der Vorrunde hatte Tampa Bay mit 62 Siegen aus 82 Spielen den Rekord der Detroit Red Wings für die meisten Siege in einer regulären Saison egalisieren können. Für Columbus war es der erste Playoff-Seriengewinn der Teamgeschichte. Die Los Angeles Kings haben derweil einen neuen Cheftrainer verpflichtet. Wie die Kalifornier mitteilten, hat sich das Team mit Todd McLellan auf einen mehrjährigen Vertrag geeinigt. Der 51-Jährige stand zuletzt bei Ligarivale Edmonton Oilers um Nationalspieler Leon Draisaitl hinter der Bande. Die Kanadier trennten sich nach etwas mehr als drei Spielzeiten im November von McLellan. Ex-Bundestrainer Marco Sturm, der in der abgelaufenen Saison sein Debüt als Assistenztrainer der Kings gab, wird laut US-Medien auch in der kommenden Saison zum Trainerstab in LA gehören. US-Sport, NBA: Nationalspieler Dennis Schröder steht mit den Oklahoma City Thunder in den Play-offs der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA mit dem Rücken zur Wand. Der Braunschweiger unterlag mit OKC auch im zweiten Achtelfinalspiel bei den Portland Trail Blazers deutlich mit 94:114, in der Best-of-Seven-Serie steht es 0:2. Schröder erwischte erneut einen schwachen Abend und kam in 20:56 Minuten auf sieben Punkte und einen Rebound. Das Team des 25-Jährigen erarbeitete sich im zweiten Viertel einen 10-Punkte-Vorsprung, verlor daraufhin aber völlig den Faden. Für die Trail Blazers überzeugte abermals das Duo CJ McCollum (33 Punkte) und Damian Lillard (29). Besonders die vielen Ballverluste taten den Gästen weh. "Die Turnovers sind ein Problem. Wir müssen auf den Ball aufpassen, das gilt auch für mich", sagte Schröder. Die Toronto Raptors glichen mit dem 111:82 gegen Orlando Magic in der Serie auf 1:1 aus, gleiches gelang den Denver Nuggets mit einem 114:105-Erfolg gegen die San Antonio Spurs.
9
Eine Geste der Zuneigung oder ein Übergriff? Kinder sind häufig nicht in der Lage, dazwischen zu differenzieren. Was können Eltern tun, um ihre Kinder vor Missbrauch zu schützen? Und wie können sie eine offene Gesprächskultur schaffen, in der Kinder nicht verschweigen, was ihnen angetan wurde? Eine Kinderpsychiaterin gibt Ratschläge. Der Missbrauchsfall von Lügde verstört viele Eltern. Sie fragen sich: Würden wir merken, wenn unser Kind Opfer eines Sexualstraftäters wird? Welche Schwächen die Täter ausnutzen und wie Eltern richtig mit ihren Kindern umgehen sollten, erklärt die Kinderpsychiaterin Renate Schepker. SZ: Nach dem Fall auf dem Campingplatz in Lügde stellt sich wieder einmal die Frage, wie so etwas passieren kann. Frau Professor Schepker, haben Sie eine Antwort, gibt es ein Muster beim Missbrauch von Kindern, das einem immer wieder begegnet? Renate Schepker: Die Täter suchen sich Kinder, die aus ganz unterschiedlichen Gründen missbrauchbar sind. Entweder wegen einer großen, ungestillten Vatersehnsucht oder aus einer ängstlich-unterwürfigen Grundhaltung heraus, es gibt da zahlreiche Konstellationen - behinderte Kinder zum Beispiel sind gefährdeter. Die Täter erfüllen andere Bedürfnisse der Kinder, sie sind ja oft einfühlsame Menschen, die sich vormachen, das Kind will das ja genauso wie sie selbst. Es ist eine eigene, pathologische Dynamik. Interview am Morgen Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier. Welche Wirkung hat ein solches Täterverhalten auf die Kinder? Es entsteht eine zweite Wirklichkeit. Das geht so weit, dass Kinder glauben, das sei normal, was mit ihnen geschieht. Die Täter versuchen, den Kindern einzureden, das würden alle machen. Das sei doch schön. Das Normalste von der Welt. Und dass man sich doch wirklich lieb habe. Das ist der Grund, warum Missbrauch vor allem im familiären Kontext jahrelang fortdauern kann: Kinder können das Unnormale daran oft gar nicht erkennen. Was die Menschen nicht verstehen: Bei dem Fall in Lügde war eine große Zahl von Kindern über einen langen Zeitraum betroffen. Keiner der Eltern hat etwas bemerkt. Wie kann das sein? Wir kennen diese Konstellation aus anderen Kontexten, von Kinderchören, von Pfadfindergemeinschaften, von Trainingsgruppen, in denen oft reihenweise Kinder von Erwachsenen missbraucht werden. Die Eltern schicken ihre Kinder ja gerne in diese Gemeinschaft. Oft reagieren die Eltern auf eine versteckte Botschaft der Kinder in der Art, dass sie mehr jetzt nicht hören wollen. Zum Beispiel? Wenn das Kind nach Hause kommt und sagt: Heute war es aber nicht so schön, die Eltern aber sagen: Eigentlich ist es doch schön dort, geh doch wieder hin, mach doch weiter. Anstatt an dieser Stelle nachzufragen, was denn heute Besonderes war. Das ist kein Vorwurf an die Eltern, so etwas passiert im Alltag. Kinder ziehen sich dann aber schnell in ein Schneckenhaus zurück. Das kann die Aussage des Täters bestätigen, dass dem Kind ohnehin niemand glauben wird. Wie können Eltern dem vorbeugen? Ich möchte als Elternteil wissen, wie der Tag meines Kindes war - egal was das Kind erlebt hat oder wo es war. Es ist ganz, ganz wichtig, dass Eltern Zeit haben, den Kindern zuzuhören und teilzuhaben an dem, was sie erlebt haben, auch wenn die Kinder alleine irgendwo hingehen. Die wichtigste Prävention ist eine offene Gesprächskultur und ein aktives Interesse der Eltern an dem, was die Kinder tun. Das zweite ist eine offene Gesprächskultur über alles, was mit Sexualität zu tun hat. Die Kinder müssen das Gefühl haben, dass es da keine Rede-Tabus gibt und dass man über alles reden kann. Außerdem ist eine frühe Aufklärung wichtig. In welchem Alter sollte man die Kinder aufklären? Sobald sie im Grundschulalter sind, sollten sie wissen, wo die Kinder herkommen und wozu Geschlechtsteile da sind. Es fängt im Kindergarten üblicherweise an, dass Kinder danach fragen. Leider erleben wir immer häufiger, dass Eltern sich da auf Kindergarten und Schule verlassen. Oder sie glauben, ihr Kind sei noch zu jung und sie wollen es lieber "in kindlicher Unschuld" halten, wie man sagt. Kinder bekommen so das Gefühl, dass es Tabuzonen gibt. Wenn dann ein Täter sagt, da redet man sowieso nicht drüber, kann das noch verstärkt werden. Wie warne ich ein Kind vor Gefahren, ohne ihm Angst zu machen? Man kann mit einem Kind schon darüber reden, dass es Leute gibt, die sich an Kindern vergreifen und die das für normal halten, ohne dass es normal ist. Dass man, wenn so etwas passiert, zu Hause darüber reden kann. Der Idealzustand ist, dass man das erst gar nicht betonen muss. Der Idealzustand ist, dass Kinder wissen, dass ihre Eltern ihnen ohnehin mehr glauben als jedem anderen Menschen. Ein Kind muss wissen, dass die Eltern es beschützen werden, vor allem, was die Welt Böses zu bieten hat. Eltern sollten ihre Kinder nicht in dem Glauben lassen, dass es keine bösen Menschen gäbe in der Welt. Kinder sollten ein großes Vertrauen in ihre Eltern entwickeln. Sie sollten sagen: Meine Eltern sind der Maßstab, ich kann sie alles fragen. Das ist bis zur Pubertät das Ideal, das allerdings in der Realität kein Elternpaar erreicht. Warum nicht? Eltern haben immer mal einen schlechten Tag, sie haben immer mal andere Sorgen und hören auch immer mal weg. Das ist normal. Aber das Grundvertrauen zu schaffen, ist wichtig. Wenn solche Übergriffe in der Umgebung passieren oder in der Zeitung stehen, kann man das zum Anlass nehmen, mit den Kindern darüber zu sprechen. Man braucht nicht mit dem "fremden Mann hinterm Busch" zu drohen oder dem Mann mit den Bonbons, mit dem man nicht mitgehen soll, das bringt nichts - denn es sind ja meistens gute Bekannte, die Täter werden. Da muss man ein bisschen tiefer gehen, damit das Kind versteht, dass kein Kind etwas mitmachen muss, was sich komisch anfühlt, egal wer das von ihm verlangt. Was ist am wichtigsten, wenn Kinder Opfer geworden sind? Es ist wichtig für Kinder, dass es eine Strafverfolgung gibt. Das ist das schärfste Mittel in unserer Gesellschaft, um zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Das Unrechtsbewusstsein wird bei den Kindern durch die Täter ja gezielt verwirrt. Es ist für Kinder gleichzeitig wichtig, dass sie sich nicht selbst die Schuld geben. Das passiert sehr oft. Da muss man in Gesprächen darauf abheben, dass es zwischen Kindern und Erwachsenen keine symmetrische Beziehung geben kann. Es ist immer der Erwachsene, der in der Machtposition ist, und es ist immer das Kind, dass ausgenutzt wird. Es kann keine Schuld haben. Warum geben sich Kinder die Schuld? Kinder wollen allen helfen, sie haben eine sehr nette Seite. Sie wollen, dass es allen gut geht und glauben, dafür verantwortlich zu sein. Sie geben sich zum Beispiel die Schuld, wenn sich die Eltern streiten, auch wenn sie gar nicht der Anlass sind. Wenn es um die Frage sexuellen Missbrauchs geht, muss man sie entlasten. Das kann auch dadurch passieren, dass Täter ihre Taten gestehen und umfassend aussagen. Der Hauptverdächtige von Lügde schweigt allerdings. Grundsätzlich liegt es in der Verantwortung von Tätern, die Kinder wenigstens danach durch eine Aussage zu entlasten und ihnen so zum Beispiel belastende Vernehmungen zu ersparen. Prof. Renate Schepker war an der Gründung der ersten deutschen Trauma-Ambulanz in Ravensburg beteiligt. Inzwischen gibt es solche Einrichtungen in mehreren Städten in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die Adresse der nächstgelegenen Traumaambulanz kann bei der Polizeidienstelle erfragt werden; Hilfe bietet außerdem die medizinische Kinderschutzhotline (www.kinderschutzhotline.de) unter der Nummer 0800 19 210 00. Sie ist rund um die Uhr besetzt.
6
Gerda Sternberg, 90, war immer eines wichtig bei der Geldanlage: Sicherheit. Die Postbank drehte ihr riskante Papiere an und lenkt jetzt ein. Es war an einem Dienstag im September, als aus Gerda Sternberg eine Börsenzockerin wurde. Sternberg, 89, ist noch immer verblüfft darüber, denn mit diesem Finanzkram kennt sie sich ja doch kaum aus. Für Zehntausende Euro hat Sternberg an jenem heißen Septembertag etwas noch Heißeres gemacht: Einen Fonds mit US-Aktien, hochriskanten Unternehmensanleihen, dazu Schwellenländerpapiere gekauft. "Das ist wirklich unbegreiflich", sagt Sternberg. Wenn Gerda Sternberg recht hat mit ihren Schilderungen, dann muss man annehmen, dass sie das gar nicht wollte. Weil sie schon einmal mit einem Immobilienfonds Geld verloren hat. Weil sie bald vielleicht raus aus der kleinen Mietwohnung will, hinein in ein Altersheim. Weil sie vor allem drei Dinge wollte: Sicherheit, Sicherheit und noch mal Sicherheit. Dann muss man annehmen, dass ihr Bankmitarbeiter sie da hineingequatscht hat. "Als habe es die Finanzkrise nicht gegeben, dreht die Postbank einer hochbetagten Dame einen riskanten Fonds an", sagt Verbraucherschützerin Gabriele Schmitz von der Verbraucherzentrale Hamburg. "Diese Geschichte macht uns sprachlos." Gerda Sternberg ahnt nichts Schlimmes, als sie an jenem 18. September mit dem Bus zu ihrer Postbankfiliale in Hamburg-Wandsbek fährt, seit Jahren ist sie dort schon Kundin. "Die Postbank ist ja wer", sagt Sternberg. Jahrelang hatte sie ein bisschen Geld in einem Rentenfonds angelegt. Und sich immer mal wieder bei ihrem Berater erkundigt, wie die Geschicke des Fondsmanagers stehen. "Bevor der am Ende noch Schulden macht", sagt Sternberg. Ist ja am Ende ihr Geld, ihr Altersheim. Doch als der Fonds im turbulenten vergangenen Börsenjahr schlecht abschneidet, da will sie ihn loswerden. Lieber auf der sicheren Seite sein. Doch der Wertpapierverkäufer am Schalter, so erzählt es Sternberg, redet auf sie ein: Wenn sie ihr ganzes Geld auf dem Sparbuch parke, gebe es keine Zinsen. Außerdem sei es steuerlich nachteilig für sie. Dringend rate er ihr, das Geld in einen neuen Fonds zu stecken. Auf dem Bildschirm zeigt der Bankverkäufer ihr eine Verlaufskurve des Fonds. "Ich habe ihm gesagt, dass ich kaum noch etwas sehe und mich voll und ganz auf ihn verlassen muss", sagt Sternberg. "Voll und ganz." Am Ende unterschreibt sie den Vertrag. Dass Sternberg überhaupt erfährt, wie risikoreich der Fonds ist, ist dem Zufall geschuldet. Als sie die Schalterhalle der Postbank verlässt, nimmt sie eine Anlagebroschüre mit. Als sie nachmittags mit ihrer Lupe die Broschüre studiert, schreckt sie auf. Ausgerechnet jener Fonds, den ihr der Bankmitarbeiter noch vor wenigen Stunden empfohlen hatte, ist dort ein Fonds für "risikobewusste" Investoren. Der Fonds könne in Anleihen mit erhöhten Risiken investieren, der Wert von Schuldtiteln im Fonds erheblich schwanken. "Das hat mich wie ein Blitz getroffen", sagt Sternberg. Und in jener Broschüre empfiehlt selbst die Bank, dass Anleger den Fonds mindestens fünf Jahre behalten sollten. Sternberg ist allerdings bereits 89 Jahre alt. Ob sie noch 94 wird? Gekauft ist gekauft Sternberg sucht das Gespräch mit dem Berater, auch der Filialleiter ist dabei. Sternberg hat sich eine Nachbarin als Zeugin mitgenommen. Doch zu bezeugen, so erzählt sie es, gibt es beim Gespräch nicht viel: Da könne man nichts machen, sagen die Banker. Der Fonds sei schließlich schon gekauft. Ansonsten: eisiges Schweigen. Wenn Sternbergs Aussagen stimmen, könnte man sagen: Der Fall zeigt, wie wenig manche Banken offenbar aus der Finanzkrise gelernt haben, als Zehntausende Privatanleger in riskante Finanzprodukte gequatscht wurden. Intern führten die Banken solche Kunden damals unter Kürzeln wie AD: A wie alt, D wie dumm. Oder wahlweise Leo: leicht erreichbare Opfer. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung behauptet die Postbank: Die Kundin habe im Beisein des Wertpapierverkäufers einen Anlageprospekt durchgesehen, so den Fonds ausgewählt und eine Anlageberatung sogar abgelehnt. Einwände des Beraters, dass der Fonds nicht ihren Erfahrungen entspreche, habe sie vom Tisch gewischt und sofortigen Kauf angeordnet. Fragen, wie wahrscheinlich es sei, dass eine 89-jährige Rentnerin jede Beratung ablehne und selbsttätig einen riskanten Fonds auswähle und im Gespräch durchfechte, ließ die Postbank unbeantwortet. "Es ist für mich unvorstellbar, wie die eine solche Geschichte erfinden können", sagt Rentnerin Sternberg. Verbraucherschützerin Schmitz fragt, warum die Rentnerin erstmals auf eine angebotene Beratung ausdrücklich verzichtet haben sollte: "Eine alte Dame, die immer nur konservative Geldanlagen wollte, wird doch nicht plötzlich ihre ganze Anlagestrategie über den Haufen werfen".
11
Als Partycrasher fühle er sich nicht, sagte Stefan Schimmer. "Nein, nein. Osnabrück hat eine überragende Runde gespielt. Deshalb haben sie auch jetzt das Recht, schön zu feiern", sagte der Hachinger Stürmer. Gerade hatten er und seine Mannschaftskollegen einen ordentlichen Schoppen Wasser in den Meisterwein des VfL gekippt. Mit 4:1 (3:0) setzte sich die SpVgg Unterhaching in ihrem letzten Drittliga-Saisonspiel an der Bremer Brücke vor mehr als 15 000 Zuschauern gegen den Aufsteiger durch. Direkt im Anschluss gaben die Protagonisten der Rot-Blauen noch ein paar Interviews, dann räumten sie das Feld, damit die Osnabrücker die Bühne bekamen für ihre Pokalsause. "Hut ab, wie sie hier den Umbruch hinbekommen haben. Vor einem Jahr war Osnabrück bei uns zu Gast und in einer ganz ähnlichen Situation wie wir jetzt", sagte Hachings Trainer Claus Schromm. "Schon imposant, was hier an der Bremer Brücke abgeht." Dabei konnte der SpVgg-Coach auch sehr stolz auf das sein, was seine eigene Mannschaft in diesem eigentlich für sie bedeutungslosen Spiel ablieferte. Nur im Falle einer Niederlage mit elf Toren Unterschied wäre es für Haching angesichts der anderen Resultate noch einmal eng geworden, doch der 3:0-Erfolg vergangene Woche gegen die Sportfreunde Lotte setzte offenbar enorme Kräfte frei - die Hachinger zeigten endlich wieder ihr Vorrundengesicht. "Man sieht, was möglich ist, wenn die so genannte Blockade im Kopf gelöst ist", sagte Schromm. "Wir sind froh, dass die Runde so ausgegangen ist." Vom Start weg waren die Gäste wacher, sie wirkten schlichtweg eher bereit als die Osnabrücker, bei denen man das Gefühl nicht los wurde, die 90 Minuten seien lediglich eine lästige Pflichtaufgabe vor der Meisterzeremonie. In der zwölften Minute erkämpfte sich Schimmer den Ball gegen den früheren Hachinger Ulrich Taffertshofer, Maximilian Krauß steuerte auf den VfL-Kasten zu, legte noch mal quer und Schimmer staubte zum 0:1 ab. Die Osnabrücker Anhänger hofften vergeblich auf ein Aufbäumen ihrer Elf, stattdessen erhöhte Krauß nach Flanke von Markus Schwabl mit seinem allerersten Drittligator auf 0:2, profitierte dabei allerdings davon, dass Schimmer VfL-Torwart Philipp Kühn in Abseitsstellung irritierte (36.). Und Innenverteidiger Christoph Greger gelang noch vor der Pause das 0:3, als Alexander Winkler einen Freistoß aus 25 Metern aufs Tor bolzte, Kühn die Kugel nach vorne abklatschte und Orestis Kiomourtzoglou den Abpraller für Greger aufbereitete (44.). "Wir haben es von Anfang an ordentlich gemacht. Das Spiel ist schnell in unsere Richtung gelaufen", resümierte Schromm. Auch in der zweiten Halbzeit blieb eine Wende aus: Luca Marseiler überrannte auf dem linken Flügel Verteidiger Felix Agu, bediente mit viel Übersicht Schimmer, der aus elf Metern seinem Spitznamen "Bomber" alle Ehre machte und im Gerd-Müller-Stil per Drehschuss das 0:4 nachlegte (48.). Osnabrück kam durch einen Kopfball von Benjamin Girth nach Freistoßflanke von Marcos Alvarez kurz danach zum Ehrentor (51.), mehr passierte nicht mehr. "Wenn wir befreit aufspielen können, tut uns das anscheinend sehr, sehr gut", fand Schimmer. Der Hachinger Angreifer ließ dann noch einmal die schlimme Phase im Frühjahr Revue passieren, als dem Team in 16 Spielen nur ein Sieg und vier mickrige Tore gelangen, weshalb es plötzlich in höchste Not geriet: "Das war eine große Kopfsache. Wir waren ja nie richtig schlecht, haben aber die Kiste nicht getroffen und dumme Gegentore bekommen." Letztlich überwog nach dem zweiten Sieg in Serie mit insgesamt 7:1 Toren der Stolz in den Reihen der Rot-Blauen: "Stark, wie wir während des negativen Laufs zusammengestanden haben im ganzen Verein und in der Mannschaft. Ich glaube, die Phase könnte uns richtig stark machen", sagte Schromm. Präsident Manfred Schwabl nimmt diesbezüglich keine Komplimente an, er reicht sie weiter: "Der ganze Verein kann stolz sein, wie wir miteinander umgegangen sind. Wenn es gut läuft, kann man schließlich immer sagen, dass alles super ist." Die aktuelle Spielzeit beendet die SpVgg auf Rang zehn, einen Punkt vor 1860 München und drei Zähler über dem Strich. Nun geht der Blick in die Zukunft, und dafür hat der Chef eine detaillierte Vorstellung: "Nach dieser Rückrunde mag es vermessen klingen, aber wir haben einen klaren Plan im Kopf: Nächste Saison soll es in das obere Drittel gehen. Und im Jahr darauf wollen wir den nächsten Schritt machen, also aufsteigen", versicherte Schwabl. Vom leitenden Angestellten gibt es diesbezüglich keine Widerrede: "Ich identifiziere mich voll mit dem Projekt. Wir wollen uns stabilisieren und diesen Weg gehen", sagte Schromm und bekräftigte gleich noch: "Natürlich wollen wir angreifen." Schwabl ist laut eigener Aussage mit der Kaderplanung schon weit, noch allerdings ist kein Zugang von Klubseite namentlich verkündet worden.
5
Der rot-weiße Schal, der gefährlich wacklig aus der Jacke heraus hing, hielt den Erschütterungen stand. Das war fast das Erstaunlichste an diesem Sonntagabend nach dem 6:0-Sieg des FC Bayern über den FSV Mainz. Als Uli Hoeneß kurz vor dem Ausgang der Fröttmaninger Arena stehen blieb, um seine Sicht der Dinge darzulegen, hatten ja zunächst alle geglaubt, dass ein feuriger Vortrag folgen würde. Hastig bauten sich Mikrofone und Kameras vor Hoeneß auf, die jede noch so kleine Regung des Münchner Präsidenten einfangen wollten. Themen, über die er sich aufregen konnte, gab es ja genug: Die Verbannung von Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng aus der Nationalelf. Bayerns Aus in der Champions League nach einem saftlosen Auftritt gegen den FC Liverpool. Borussia Dortmund natürlich und die Klub-WM des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino, gegen die sich die europäischen Spitzenklubs angeblich ausgesprochen hatten. Und was machte Hoeneß? Sprach sanft und warm wie ein Priester in der Sonntagspredigt, es gab kein Beben, sein mächtiger Körper ruckelte und zuckelte nicht, der Schal blieb in der Jacke stecken, die sich Hoeneß unter den Arm geklemmt hatte. "Die Mannschaft hat sehr engagiert gespielt und auch in der Höhe verdient gewonnen", stellte Hoeneß vergnügt fest. Nichts an seinen Worten, seiner Gestik und Mimik deutete auf einen Wutanfall hin, gleichmütig beantwortete er alle Fragen. Sogar als er die Berichterstattung nach dem 1:3 gegen Liverpool monierte, sprach er bemerkenswert leise und unaufgeregt weiter. "Die generelle Kritik habe ich nicht verstanden", hob Hoeneß hervor, "man kann nicht ein Spiel hernehmen und eine Generalkritik über den FC Bayern machen. Die Spieler haben am Mittwoch mit zu wenig Mumm gespielt, das hätten sie anders machen können. Sie haben sehr schwach gespielt, das kann mal vorkommen. Daraus jetzt aber abzuleiten, dass der FC Bayern international nicht konkurrenzfähig ist, das ist mir zu weit hergeholt." Die Milde von Hoeneß passte irgendwie zu diesem Abend, an dem sich plötzlich wieder alle lieb hatten beim FC Bayern und sich sogar der 18-Jährige Alphonso Davies als Torschütze hatte feiern lassen dürfen. Kritik an der eher defensiven Spielweise des Trainers Niko Kovac? Alles verdrängt und vergessen. Das 6:0 gegen harmlose Mainzer war natürlich die perfekte Rückkehr in den Alltag, nachdem die Festwochen in der Champions League so jäh zu Ende gegangen waren. Es war eine ziemlich kurze Trauerarbeit, ganz vorbei ist sie auch noch nicht, wie Hoeneß zugab: "Ich brauche noch ein paar Tage". Er erfreute sich aber genauso wie Kovac an der Aussicht, dass die Bayern zum siebten Mal in Serie Meister werden können. Sieben Tore beträgt ihr Vorsprung in der Tabelle nun vor den punktgleichen Dortmundern. "Wir haben gezeigt, dass wir dabei sind und was können", bekannte Kovac. "Wir haben es geschafft, die Enttäuschung, die wir zwei Tage in uns trugen, gleich wettzumachen." Die Mainzer waren dabei ein dankbarer Aufbaugegner, sie dachten nicht im Geringsten daran, die Bayern so früh und lästig anzugreifen, wie es die Liverpooler gemacht haben, im Gegenteil. Sie wollten Unheil von ihrem Tor fernhalten, mit zwei Viererketten suchten sie Schutz vor dem eigenen Strafraum. Doch der Plan war schon nach zwei Minuten in sich zusammengefallen wie die beiden Verteidigungsringe, nachdem Robert Lewandowski zum 1:0 getroffen hatte. Zur Pause führten die Münchner nach weiteren Toren von James Rodríguez (32.) und Kingsley Coman (38.) mit 3:0. "Ich habe viel Esprit, Spielwitz und gute Aktionen gesehen", befand Kovac.
9
Die Avocado ist eine erstaunliche Frucht. Nicht nur, weil viele sie für außerordentlich gesund halten, sie taugt auch für erbitterte Diskussionen, wenn etwa der hohe Wasserverbrauch des Avocado-Anbaus und - Stichwort: Avocado-Scham - der Transport der Früchte in klimatisierten Behältnissen rund um die Welt thematisiert werden. Wie auch immer solche Diskussionen ausgehen mögen, in jedem Fall erfreut sich die Avocado großer Aufmerksamkeit. Darum ist es nicht verwunderlich, dass nun die Riesenbeere in den Vordergrund rückt, wenn Amerika die Folgen einer drohenden Schließung der Grenze zu Mexiko diskutiert. US-Präsident Donald Trump hatte kürzlich getwittert, dass die Wahrscheinlichkeit dafür aufgrund der hohen Zahl illegaler Einwanderer "sehr hoch" sei. Allerdings ist im Zusammenhang mit der mexikanischen Grenze alles sehr hoch: Sie gilt als eine der frequentiertesten der Welt, darum würde eine Schließung nicht nur illegale Einwanderer treffen, sondern auch unzählige Arbeiter, Studenten, Konsumenten und Touristen. Und eben Avocados. "Die Vereinigten Staaten werden drei Wochen nach Schließung der Grenze keine Avocado mehr haben", titelt der britische Guardian. Gesagt hatte diesen Satz Steve Barnard, Chef von Mission Produce, dem nach eigenen Angaben weltweit führenden Produzenten der Frucht. Ein schlechterer Zeitpunkt für einen solchen Lieferstopp sei gar nicht denkbar, denn derzeit liefere Mexiko praktisch 100 Prozent der Avocados in den Vereinigten Staaten, erklärte Barnard das drohende Unheil. Die Avocados in Kalifornien seien noch nicht so weit, zudem falle die Ernte dort nur gering aus. Statistiken des US-Landwirtschaftsministeriums bestätigen im Großen und Ganzen, was Barnard sagt: Knapp 90 Prozent der Avocados in den US-Läden kommen aus Mexiko, der kleine Rest stammt aus Ländern wie Peru, Chile oder der Dominikanischen Republik. Die Vereinigten Staaten stehen also vor einer Avocado-Krise, wie sie das Land bislang nicht gesehen hat. Doch so plakativ die Avocado auch sein mag, die Folgen einer Grenzschließung wären weit dramatischer als ein bloßer Mangel an Butterfrucht. Die US-Handelskammer spricht gar davon, dass eine Grenzschließung in einem "wirtschaftlichen Debakel" enden würde. Es sei überhaupt nicht nachvollziehbar, warum das Weiße Haus, das "zu Recht" auf seine wirtschaftlichen Erfolge verweise und gerade erst versöhnlichere Töne im Handelsstreit mit China angeschlagen habe, nun einen solchen Schritt gehen könnte. Jeden Tag, so die Handelskammer, würden Waren im Wert von 1,7 Milliarden Dollar die Grenze zu Mexiko überqueren. Der Handel mit Mexiko spielt für die Vereinigten Staaten eine weit größere Rolle als der Handel mit China. 2018 wurden Waren im Wert von 265 Milliarden Dollar nach Mexiko exportiert, der Vergleichswert für China lag bei 121 Milliarden Dollar. 80 Prozent der Mexiko-Exporte werden auf Straße und Schiene transportiert und wären so unmittelbar von einer Grenzschließung betroffen. Die Importe aus Mexiko summieren sich gar auf 300 Milliarden Dollar. Die Industrien beider Länder sind derart eng verwoben, dass die US-Unternehmen auf den steten Nachschub an Produkten aus Mexiko angewiesen sind. Insofern könnte eine Schließung der Grenze Firmen vor existenzielle Probleme stellen, warnt die Handelskammer. Umso mehr, da die Betriebe schon mit den Folgen von Trumps Strafzöllen kämpften. Womöglich wird das alles aber weniger heiß diskutiert werden als das wirklich große Problem - der fehlende Nachschub an Avocados.
11
"Die Leute haben keine Ahnung von dem Gemetzel, mit dem wir es dauernd zu tun haben." 40 000 Tote durch Schusswaffen pro Jahr: In den USA reden jetzt die behandelnden Ärzte. Manchmal sind die Kleider von Raquel Forsythe so voller Blut, dass sie sich umziehen muss, bevor sie raus zu den Angehörigen geht. Die sitzen im Wartezimmer der Notaufnahme, starr und voller Angst, und Forsythe will nicht in einem rot verschmierten Chirurgenkittel vor ihnen stehen, wenn sie ihnen mitteilt, dass ihre Tochter nie wieder laufen kann, weil eine Kugel ihr das Rückgrat zertrümmert hat; oder dass ihr Sohn tot ist, weil seine Aorta von einem Stück Blei zerfetzt wurde. Also zieht Forsythe die blutgetränkten Sachen aus und saubere, frisch gebügelte an, um die schlechten Nachrichten zu überbringen.
7
Außer Konkurrenz: Julia Roberts Der erste Fashionmoment des Jahres ereignete sich bei der Verleihung der Golden Globes und zwar, erstaunlich genug - nicht in der Damenabteilung. Oder irgendwie doch. Denn der Auftritt des Schauspielers Cody Fern in einer semitransparenten Bluse und wallenden Beinkleidern (alles von Maison Margiela) war eine deutliche Fußnote zu diversen schwelenden Genderdebatten. Es war zelebriertes Cross-Dressing und der Beweis, dass Männlichkeit und feminine Grandezza einander nicht kannibalisieren müssen. Jedenfalls war Ferns Version eines romantischen Goth-Lords für viele Kommentatoren Inbegriff einer zeitgemäßen und hinreißenden Ästhetik. Gestylt hatte ihn übrigens Nicola Formichetti, der auch für viele Lady-Gaga-Outfits verantwortlich ist. Natürlich gab es auch abfällige Einlassungen in den Netzdebatten rund um das Outfit. Ulkigerweise brachten dabei weniger das blickundichte Blüschen sondern eher High-Waist-Hose und Absatzschuhe die Gemüter durcheinander und Ferns cool-maskuline Art diese Dinge zu präsentieren. Unterschwellig las sich in den verächtlichen Kommentaren auf Youtube und Instagram jedenfalls oft der Vorwurf heraus, Fern hätte sich nicht angemessen gay oder trans genug für seinen Look verhalten. Ein Mann, der Mann bleiben, aber gleichzeitig ein glamouröses und suprasexuelles Outfit tragen möchte, dafür ist die Welt offenbar noch nicht flächendeckend bereit. Es steckt also auch 2019 und trotz aller kalkulierten Tabubrüche noch gesellschaftliche Sprengkraft in der Mode. Bumm! Julia Werner Eine Klasse für sich: Cody Fern Der erste Fashionmoment des Jahres ereignete sich bei der Verleihung der Golden Globes und zwar, erstaunlich genug - nicht in der Damenabteilung. Oder irgendwie doch. Denn der Auftritt des Schauspielers Cody Fern in einer semitransparenten Bluse und wallenden Beinkleidern (alles von Maison Margiela) war eine deutliche Fußnote zu diversen schwelenden Genderdebatten. Es war zelebriertes Cross-Dressing und der Beweis, dass Männlichkeit und feminine Grandezza einander nicht kannibalisieren müssen. Jedenfalls war Ferns Version eines romantischen Goth-Lords für viele Kommentatoren Inbegriff einer zeitgemäßen und hinreißenden Ästhetik. Gestylt hatte ihn übrigens Nicola Formichetti, der auch für viele Lady-Gaga-Outfits verantwortlich ist. Natürlich gab es auch abfällige Einlassungen in den Netzdebatten rund um das Outfit. Ulkigerweise brachten dabei weniger das blickundichte Blüschen sondern eher High-Waist-Hose und Absatzschuhe die Gemüter durcheinander und Ferns cool-maskuline Art diese Dinge zu präsentieren. Unterschwellig las sich in den verächtlichen Kommentaren auf Youtube und Instagram jedenfalls oft der Vorwurf heraus, Fern hätte sich nicht angemessen gay oder trans genug für seinen Look verhalten. Ein Mann, der Mann bleiben, aber gleichzeitig ein glamouröses und suprasexuelles Outfit tragen möchte, dafür ist die Welt offenbar noch nicht flächendeckend bereit. Es steckt also auch 2019 und trotz aller kalkulierten Tabubrüche noch gesellschaftliche Sprengkraft in der Mode. Bumm! Max Scharnigg
10
Wenn Spielerberater tricksen und Druck ausüben, gilt das oft als clever. Nun ist in Italien eine Frau für ihren kickenden Mann vorgeprescht - und alles ist anders. Erinnert sich noch jemand an Gaby Schuster? Es gab Zeiten, da war die Ehefrau des deutschen Mittelfeldspielers Bernd Schuster bekannter als ihr sechs Jahre jüngerer Mann, auf jeden Fall war Gaby sehr viel berüchtigter. Trainer und Funktionäre im In- und Ausland fürchteten sie, denn die ausgebildete Kosmetikerin hatte das Management ihres Mannes übernommen und erwies sich in Verhandlungen als hartnäckig und bestens vorbereitet, kurzum: eine riesige Nervensäge für die Herren des Fußballs, die sich über sie die Mäuler zerrissen, zu ihrem größten Ärger aber nicht an ihr vorbeikamen. Ohne Gaby wäre Bernd kaum vom 1. FC Köln nach Barcelona gewechselt und weiter zu Real und Atlético. Frau Schuster war eine Pionierin auf ihrem Gebiet, übrigens hielt die Ehe länger als seine Karriere, nämlich stolze 31 Jahre. In Italien hat jetzt eine Kollegin von Gaby Schuster die Männer von Inter Mailand derart in Wallung gebracht, dass die gute alte Fußballermoral, nach der schmutzige Wäsche in der Kabine gewaschen wird, einer offenen Kriegserklärung gewichen ist. Der FC Internazionale gegen eine blonde, 32 Jahre alte Argentinierin und Mutter von fünf Kindern. Ihr Name ist Wanda Nara, verheiratet war sie zunächst mit dem Profi Maxi López, bevor sie ihn gegen Mauro Icardi austauschte, sechs Jahre jünger, genau wie Bernd bei Gaby. Dass ein Spieler einem anderen die Frau ausspannt, ist eines der schlimmsten Verbrechen in der Fußballwelt, viel, viel schlimmer als zum Beispiel massive Steuerhinterziehung. Icardi wurde von den Kollegen geschnitten, auch in der argentinischen Nationalelf kriegte er kein Bein auf den Boden. Es kam noch dicker, als Wanda seine Managerin wurde. Sticheleien gehören zum Geschäftsmodell Vorher hatte sie als Model gejobbt, jetzt verhandelte sie mit den Bossen von Inter, also mit dem chinesischen Klubpräsidenten und dessen italienischen Managern. Seit ein paar Monaten drängt Wanda Icardi auf mehr Geld für ihren Mauro, der seit 2013 bei Inter mehr als 100 Tore geliefert hat. Zweimal war er Liga-Torschützenkönig. Dafür, so findet Wanda, seien 4,5 Millionen Euro netto im Jahr eindeutig zu wenig. Wie ihre männlichen Kollegen, allen voran der Italiener Mino Raiola, der Zlatan Ibrahimovic, Paul Pogba und Italiens Nationaltorwart Gianluigi Donnarumma vertritt, fantasierte sie in den sozialen Netzwerken darüber, was ihr Mauro eigentlich wert sei, dass ihn jede Menge andere Klubs auch wollten - und dass der Trainer ihn bei Inter viel zu wenig hätschele. Bei dem gelernten Pizzabäcker Raiola gehören solche Sticheleien zum Geschäftsmodell. Höfliche Bescheidenheit ist für Agenten, egal ob im Literaturbetrieb oder im Fußball, nun mal nicht der bedeutendste Soft Skill. Sie verdienen eher mit einer gesunden Unverschämtheit ihr Geld. Bei Wanda ist das nicht anders. Aber die Inter-Männer fühlten sich von dieser frechen Frau irgendwann derart provoziert, dass sie durchdrehten. Sie riefen in China an, bei Eigentümer Zhang Jindong, und überzeugten den Patron, dass man der aufsässigen Blondine die gelbe Karte zeigen müsse. Prompt wurde Mauro Icardi abgestraft und öffentlich degradiert: Seit Dienstag ist er nicht mehr Kapitän. Diese Ehre gebührt ab sofort Torwart Samir Handanovic, einem braven Mann mit einer braven Frau. Stocksauer weigerte sich Icardi daraufhin, mit der Mannschaft zum Europapokalspiel nach Wien zu reisen, wo Inter auch ohne ihn 1:0 gegen Rapid gewann. Wanda, die Femme fatale der Internazionale, schweigt zu alledem (am Samstag schwieg sie allerdings nicht, nachdem ihr Auto von einem Stein getroffen wurde; sie erstattete Anzeige gegen Unbekannt). Ihr Schweigen klingt den Männern beunruhigend laut in den Ohren. Was mag das böse Weib nun wieder aushecken? Ganz einfach, sie wartet darauf, dass Inter Mauros Treffer dringend braucht. Lange wird das wohl nicht dauern.
9
Nun haben die Briten mehr Zeit, sich über ihre Zukunft klar zu werden. Warum die Kanzlerin den Brexit-Termin hinauszögern will - Frankreichs Präsident aber nicht. Detailansicht öffnen Die Einheit der EU-Länder massiv auf die Probe gestellt: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel am frühen Donnerstagmorgen in Brüssel. (Foto: Olivier Matthys/AP) Guten Morgen", sagt die Bundeskanzlerin. Es ist 2.24 Uhr. Mehr als sieben Stunden hat Angela Merkel mit den anderen Staats- und Regierungschefs zuvor darüber verhandelt, wie lange die EU den Brexit erneut verschieben soll - und welche Bedingungen London dafür erfüllen muss. Der 31. Oktober ist nach dem 29. März und dem 12. April der dritte Stichtag. Als sie nun ans Stehpult tritt, scheint Merkel nach dieser Gipfelnacht zwar müde, aber doch zufrieden zu sein. Sie hat ihr Ziel erreicht: "Wir kämpfen und setzen uns ein für einen geordneten Austritt. Nicht wegen britischer Forderungen, sondern wegen des eigenen Interesses." Wann auch immer der Brexit eintritt, Deutschland will weiter so eng wie möglich mit dem Königreich zusammenarbeiten, sei es in der Nato oder als Handelspartner. Und so bemüht sich Merkel gleich zu Beginn des Gipfels, die Stimmung aufzulockern. Als Theresa May kurz vor 19 Uhr den Sitzungssaal betritt, um ihre Pläne zu erläutern, zückt die Kanzlerin ein Tablet. Sie zeigt es der Premierministerin, woraufhin beide zu lachen beginnen. EU-Diplomaten lüften später das Geheimnis: Auf dem Bildschirm waren Fotos der beiden Regierungschefinnen zu sehen, die Stunden zuvor in ähnlich leuchtend blauen Blazern den Abgeordneten in Berlin und London Rede und Antwort gestanden hatten. Wie viel die kleine Fotoshow gebracht hat, bleibt natürlich offen, aber Merkel zieht am frühen Morgen eine positive Bilanz: "Es war heute ein sehr intensiver, ein sehr guter Abend, der wieder einmal die Einigkeit der Europäischen Union gezeigt hat." Die 27 in der EU verbleibenden Staaten, so hofft die Kanzlerin, werden "den Weg auch in Zukunft gemeinsam gehen". Sie sagt das mit einer Seelenruhe, als wäre diese Einheit nie ernsthaft infrage gestanden. Doch genau das war sie. Macron fürchtet, dass der Brexit die EU von wichtigen Zukunftsfragen ablenkt Zum ersten Mal seit dem Brexit-Referendum vor bald drei Jahren stellt einer aus dem Kreis der 27 die Einheit massiv auf die Probe. Es ist Emmanuel Macron, der sich von Gipfelbeginn an dafür ausspricht, lediglich den von May gewünschten Aufschub bis zum 30. Juni zu gewähren - und keinen Tag länger. Doch die überragende Mehrheit der Mitgliedstaaten sieht das anders, allen voran Deutschland. Im Gespräch ist eine Verlängerung bis Ende des Jahres oder bis zum 31. März 2020. Macron will davon nichts wissen. Gut möglich, dass Merkel schon vor dem Gipfel geahnt hatte, dass es diesmal schwierig werden würde mit dem Präsidenten. Bereits bei ihrer Ankunft in Brüssel appelliert sie jedenfalls an die "historische Verantwortung" aller Akteure. Für Merkel heißt das, das gute Verhältnis zu Großbritannien zu bewahren. Für Macron hingegen bedeutet Verantwortung vor allem eines: die Funktionsweise der EU nicht zu gefährden. Der Franzose ist davon überzeugt, dass der Brexit die EU gerade von weitaus wichtigeren Zukunftsthemen ablenkt. Zum Beispiel der Frage, wo Europa seinen Platz in der Welt verortet. Und wie es die EU schaffen kann, nicht zwischen China und den USA zerrieben zu werden. Je länger der Abend, desto hartnäckiger pocht der Franzose darauf, dass die EU sich von den Briten nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen darf. Und er erinnert seine Kollegen daran, dass jeglicher Brexit-Beschluss des Europäischen Rats der Einstimmigkeit bedürfe. In anderen Worten: Gegen seinen Willen geht gar nichts. EU-Diplomaten zufolge ist es dann die Kanzlerin, die an ein Fundament erinnert, auf das die Europäische Union seit jeher gebaut ist: Freundschaft. Freunden, so Merkel, gebe man eine Chance, dann noch eine und dann noch eine. Am Ende lässt sich Macron überzeugen. Er zieht seine Forderung zurück, dass Großbritannien keinen neuen EU-Kommissar nach Brüssel schicken darf. Und er gibt sein Ziel auf, dass London die EU spätestens Ende Juni verlassen muss. Immerhin setzt er durch, dass die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel im Juni den Stand der Dinge überprüfen werden. Ansonsten gilt ein neues Austrittsdatum: der 31. Oktober, der letzte Arbeitstag der amtierenden EU-Kommission - und in angelsächsischen Ländern der Tag, an dem die Geister umgehen. Auf seinem Weg in die Brüsseler Nacht spricht Macron vom "bestmöglichen Kompromiss". Und fügt hinzu, dass ein längerer Aufschub weder für die EU noch für die Briten gut gewesen wäre. Einer seiner Berater stellt klar, dass der Präsident nicht der "bad cop" gewesen sei, als den ihn französische Medien im Unterschied zum "good cop" aus Deutschland dargestellt hatten, also Macron und Merkel nicht gezielt die Rollen des Bösewichts und der Guten übernommen hätten. Macron habe schlicht als "überzeugter Europäer" gehandelt. Nun, davon sind längst nicht alle überzeugt. Im Gegenteil: Die Härte des Franzosen empfinden nicht nur die Deutschen als übertrieben. "Macron ist uns gehörig auf die Nerven gegangen", sagt ein EU-Diplomat, "er hat sich heute keine Freunde gemacht." Dennoch überwiegt in Brüssel die Erleichterung. Ein No-Deal-Szenario ist erst einmal abgewendet. Die Briten haben nun bis Halloween Zeit, den Austrittsvertrag doch noch im Unterhaus zu ratifizieren. Sollten sie das tun, kann Großbritannien auch schon früher aus der EU ausscheiden. Der Austritt würde dann am ersten Tag des Folgemonats wirksam. Die Briten müssen die Europa-Wahl abhalten. Sonst wären sie sofort draußen Ob das gelingt, weiß Theresa May auch nicht. Und so steht sie um halb drei Uhr morgens im britischen Pressesaal und sagt: "Wenn alle so abgestimmt hätten wie ich, wären wir schon draußen." Haben sie aber nicht. Ganze drei Mal ist der Austrittsvertrag schon abgeschmettert worden. May gilt in London als Premierministerin auf Abruf; und auch in Brüssel handelt sie aus der Position der Schwäche. Ihr bleibt nichts anderes, als den von der EU vorgeschlagenen Kompromiss zu akzeptieren. Geschieht in London nicht ein Wunder, wird Großbritannien an der Europawahl Ende Mai teilnehmen müssen. Solange das Land EU-Mitglied ist, hat es sämtliche Pflichten zu erfüllen. Würden sich die Briten weigern, die Wahl auszurichten, schieden sie automatisch am 1. Juni aus. Zudem muss London "alle Maßnahmen unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten, insbesondere wenn es an den Beschlussfassungsprozessen der Union mitwirkt." So formuliert in der Gipfelerklärung, klar und deutlich. EU-Ratspräsident Donald Tusk hält die Gefahr einer britischen Blockade-Politik allerdings für eher gering. Er hat nach diesem Gipfel eigentlich nur eine Botschaft an die Briten: "Bitte verschwendet keine Zeit." Und falls doch: Zwei Wochen vor dem 31. Oktober findet in Brüssel ein regulärer EU-Gipfel statt. Eine Verlängerung der Verlängerung? Nichts ist unmöglich.
7
Detailansicht öffnen (Foto: Angelos Tzortzinis/dpa) Nervosität ließ er nicht erkennen, lieber lobte er sich selbst. Vor dem Vertrauensvotum im griechischen Parlament, das über sein politisches Schicksal entscheiden sollte, sprach Alexis Tsipras über seinen "Mut" und das "Risiko", das er auf sich genommen habe, um einen außenpolitischen Dauerstreit zu lösen, den er von seinen konservativen Vorgängern geerbt hatte. Als das Ergebnis der Abstimmung in Athen dann am Mittwochabend, eine Stunde vor Mitternacht, verkündet wurde, dürfte Tsipras kaum überrascht gewesen sein. Denn der Chef der griechischen Linkspartei Syriza überlässt nichts dem Zufall. Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass sein rechtspopulistischer Koalitionspartner die Flucht aus der Regierung ergreifen würde, führte Tsipras zahlreiche Gespräche hinter verschlossenen Türen. Und Tsipras' Getreue bearbeiteten erfolgreich genau so viele überwiegend eher nach rechts neigende, unabhängige Abgeordnete, dass es zur absoluten Mehrheit reichte: mit 151 Stimmen, knapper hätte das Votum für den Premier nicht ausfallen dürfen. Das Parlament hat 300 Mitglieder. Als Tsipras im Januar 2015, auf dem Höhepunkt der griechischen Finanzkrise, erstmals eine Parlamentswahl gewann, gaben ihm seine Gegner nur eine kurze Amtszeit. Er war 40 Jahre alt, hatte vorher nie ein Regierungsamt inne und versprach, die "Spardiktate" der internationalen Geldgeber in der Luft "zu zerreißen". Auf Wahlpartys spielte seine Syriza "Bella Ciao", die Hymne der italienischen Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg. 36,3 Prozent der Griechen gaben dem Wutfänger mit dem Lausbubencharme ihre Stimme. Das griechische Wahlrecht belohnt die erste Partei mit 50 Extrasitzen, aber nur mit den schillernden Rechtspopulisten gab es eine bequeme Mehrheit. Die Partner verband allein ihr Widerstand gegen die Reformauflagen der Kreditgeber. Es folgte eine Achterbahnfahrt, Griechenland stand kurz vor dem Rauswurf aus der Euro-Zone. Die ersten Monate der neuen Regierung waren kostspielig, es ging wertvolle Zeit verloren. Aber Tsipras ließ den roten Bürgerschreck schnell hinter sich, und nach einem Referendum und einer Neuwahl wurde er auch seine innerparteilichen Gegner vom äußersten linken Flügel los. Dann setzte er die von EU und Internationalem Währungsfonds geforderten unbeliebten Reformen weitgehend durch. Dabei half, dass es auf den Straßen ruhig blieb - eine Art Protesthemmung gegen Syriza. Als die Partei noch in der Opposition war, sah das anders aus. Tsipras stammt aus einer politisch links engagierten Athener Mittelschichtsfamilie, er studierte Bauingenieurswesen und Stadtplanung. Seine eigene Familie schottet er von der Öffentlichkeit ab. Es ist bekannt, dass seine Partnerin seine Jugendliebe ist, das Paar hat zwei Kinder. Seine politische Karriere begann er, damals war er noch in der kommunistischen Jugend, als Schulbesetzer. Dass er auch Talent zum Musterschüler hat, zeigte Tsipras, als er sich nach der Wahl bei Kanzlerin Angela Merkel in Berlin vorstellte. Er hatte einen Stapel Akten dabei, alle durchgearbeitet. Als Griechenland im August 2018 dann das Kreditprogramm verlassen durfte, zeigte der Premier wiederum seinen Sinn für Inszenierungen: Er verkündete das Ende der jahrelangen Irrfahrt durch schwere See auf der Insel Ithaka, in den Epen Homers die Heimatinsel des Helden Odysseus. Vor dem Misstrauensvotum gaben Umfragen Tsipras kaum Chancen, jetzt Wahlen zu gewinnen. Regulär stehen sie im Herbst an. Ob der Taktiker und Überlebenskünstler so lange mit hauchdünnen, womöglich wechselnden Mehrheiten weiterregieren kann, ist offen. Vor der nächsten Hürde steht er schon kommende Woche, mit dem Mazedonien-Abkommen, das der Grund für den Verlust seines Koalitionspartners war. Tsipras dürfte wieder versuchen, nichts dem Zufall zu überlassen.
7
Der Mann mag keine öffentlichen Auftritte, er gilt als extrem zurückhaltend, fast schon scheu, Interviews gibt er eigentlich nicht, arbeitet lieber im Verborgenen. Doch nun hat Daniel Ek, 36, eine Ausnahme gemacht. Der Gründer und Chef des Musikstreamingdienstes Spotify ist aus Stockholm nach Berlin gereist - zur nur alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Kartellkonferenz. Ek nutzte seinen Auftritt, um vor den 400 versammelten führenden Kartellexperten aus aller Welt für Wettbewerb auch in der Onlinewelt zu werben, und er begründete in eigener Sache ausführlich, warum er bei der EU-Kommission eine Klage gegen den Apple-Konzern eingereicht hat. Spotify fühlt sich massiv behindert von Apple und wirft den Amerikanern vor, dass sie eine marktbeherrschende Stellung missbrauchen und ihren eigenen Musikdienst auf ihrer Plattform bevorzugen. Apple weist das vehement zurück. Margrethe Vestager, die EU-Wettbewerbskommissarin, hat versprochen, den Fall genau zu prüfen und spricht schon davon, dass der Fall vergleichbar mit dem von Google sein könnte. Der Suchmaschinenkonzern musste eine Milliardenstrafe zahlen, weil er nach Erkenntnissen der EU-Kommission Konkurrenten benachteiligt haben soll. Spotify sei ein "realer europäischer Champion", lobte Kartellamtspräsident Andreas Mundt. In der Tat gibt es nicht viele Onlinefirmen aus Europa, die weltweit erfolgreich sind. Spotify, mittlerweile an der New Yorker Börse notiert, hat weltweit 207 Millionen Nutzer, davon 96 Millionen zahlende Kunden. Apples Musikdienst liegt mit rund 40 Millionen Nutzern deutlich dahinter. Ek kann darauf stolz sein. Er wuchs im Stockholmer Vorort Rågsved auf, mit vier Jahren bekam er seine erste Gitarre geschenkt, er begeisterte sich angeblich schon früh für Musik und ist gleichzeitig Computernerd. Schon zu Schulzeiten mit 14 Jahren hatte er eine Firma gegründet, die für Firmen Internetseiten programmierte. Mit knapp 20 Jahren verkaufte er diese für viel Geld. Ein Ingenieursstudium brach Ek schon nach wenigen Wochen wieder ab, er gründete eine weitere IT-Firma und veräußerte auch diese. Mit 22 war er Multimillionär. 2006 dann hatte er zusammen mit seinem Partner Martin Lorentzon die Idee für einen Musikstreamingdienst, ein Onlineangebot also, bei dem man Musik sozusagen leihen kann. Der Start war holprig, doch Spotify wurde eine der Erfolgsgeschichten der europäischen Internetindustrie, ist heute an der Börse 22,5 Milliarden Euro wert. Ek, Vater zweier Töchter, ist nicht nur Vorstandschef, sondern auch einer der großen Aktionäre. "Wir glauben wirklich daran, dass wir die Welt besser machen können - mit jedem Lied ", schrieb er im vergangenen Jahr anlässlich des Börsengangs. Dabei hat er harte Konkurrenz, darunter vor allem Apple. Ek beteuert, er liebe Konkurrenz "Wir zählen auf die Kommission", sagte Ek nun in Berlin. Der Schwede mit dem rasierten Kopf und dem Vollbart trat ganz seriös im dunklen Anzug mit weißem Hemd auf. In der Pause vor seinem Vortrag stand er in einer Ecke mit einer Mitarbeiterin, versteckte sich, damit ihn keiner ansprechen konnte. Sein Auftritt wirkte intensiv einstudiert, er las seine Rede von einem Teleprompter ab. Hinter ihm auf der Leinwand stand in weißen Lettern auf dunkelblauem Grund: "Apple isn't playing fair." Apple spielt nicht fair. Ek beschrieb im Detail die Benachteiligungen durch den US-Konzern, der weltweit auf etwa eine Milliarde Nutzer kommt. So behalte Apple 30 Prozent der Einnahmen ein, behindere Werbeaktionen und blockiere Updates. Die Restriktionen seien immer größer geworden. Dabei liebe er Konkurrenz, so Ek. In jedem Spotify-Büro gebe es eine Tischtennisplatte, damit sich die Mitarbeiter miteinander messen könnten.
11
Der EHC Red Bull München hat sich diese Woche ungewohnt lange auf eine Playoff-Partie vorbereiten können. Nach zuletzt drei Spielen in fünf Tagen liegen zwischen Viertelfinale Nummer drei, das vergangenen Sonntag 4:1 an den Titelverteidiger ging, und dem vierten Spiel gegen die Eisbären Berlin, an diesem Freitag in Berlin (19.30 Uhr), ganze fünf Tage. Warum? "Das weiß ich nicht", sagte Münchens Nationalspieler Patrick Hager zu diesem ungewöhnlichen Playoff-Rhythmus. "Für uns ist das komisch", erklärte er, da der EHC im Dezember mehr gespielt und ein härteres Programm gehabt habe als jetzt. Aber, so Hager, "die Deutsche Eishockey Liga (DEL) wird schon einen Grund für diese Spielterminplanung haben". Ein Münchner hatte dieser Ansetzung sicher einiges abzugewinnen: Maximilian Kastner. Der Angreifer war in der vergangenen Woche erstmals seit mehr als zwei Monaten wieder auf dem Eis gestanden, er drehte ein paar lockere Runden nach dem Mannschaftstraining - mehr war nach seiner Beinverletzung aber noch nicht drin. Seit Montag nun trainiert der 26-Jährige wieder mit den Teamkollegen und ist eine Option für Spiel vier am Freitag. Ob er in Berlin zum Einsatz kommt, wird am Spieltag entschieden. Kastner hatte die letzten zwölf DEL-Hauptrundenspiele und das Champions-Hockey-League-Finale in Göteborg verpasst. In Kastner kehrt ein wichtiger Spieler zurück. Gäbe es beim EHC den Titel "Aufsteiger des Jahres", er wäre diese Saison definitiv an den Garmisch-Partenkirchener gegangen. Der Stürmer half seiner Mannschaft wie schon in den vergangenen Jahren dank seiner Physis in Unterzahl und seinem Defensiv-Fleiß, steigerte sich zudem auch gehörig in der Offensive: 13 Tore und 17 Vorlagen machten ihn zum zweitbesten Münchner Torschützen der DEL-Hauptrunde. "Ich glaube, dass ich einen sehr großen Schritt nach vorne gemacht habe", sagt Kastner, der zugibt, dass er ein kleines bisschen stolz darauf sei, was er in der Hauptrunde erreicht habe. EHC-Trainer Don Jackson hob ihn mehrfach ungefragt hervor und bezeichnete ihn zusammen mit Jason Jaffray, dessen Saison verletzungsbedingt bereits zu Ende ist, als besten Spieler im Kader, wenn es darum geht, dem gegnerischen Torhüter die Sicht zu nehmen. Damit war Kastner speziell in Überzahl sehr wichtig, fünf Powerplay-Hauptrundentore gingen auf sein Konto. Obwohl der EHC gegen die Eisbären in den ersten drei Viertelfinalspielen zwei Überzahltreffer erzielt hat, ist das Powerplay in Sachen Erfolgsquote - bei lediglich zehn Prozent in den Playoffs - weiterhin eines der wenigen Münchner Sorgenkinder. Über Kastners Rückkehr würden sich auch Mark Voakes und Frank Mauer freuen, die als Trio lange Zeit die harmonischste Angriffslinie des Meisters dargestellt haben. Einige EHC-Spieler haben in den ersten Spielen der Best-of-seven-Serie, in der die Münchner aktuell mit 2:1 führen, kleinere Wehwehchen davon getragen; es ist nicht ausgeschlossen, dass Jackson am Freitag präventiv auf den ein oder anderen verzichtet. Der Münchner Meistertrainer hatte seinem Team am Dienstag frei gegeben, seit Mittwoch läuft die intensive Vorbereitung auf die Partie beim letztjährigen Endspielgegner. Seit Donnerstag im Übrigen in der Hauptstadt, wo am Freitagabend die Fehler vom ersten Vergleich in Berlin vermieden werden sollen - der bekanntlich 0:4 verloren ging. "Das soll nicht noch einmal vorkommen", sagte Hager, der hofft, dass auch Maximilian Kastner hilft, dies zu umzusetzen.
5
Der Lack ist matt und der Frühling schon da: Wie gut sind Pflegemittel, die dem Auto zu neuem Glanz verhelfen sollen? Neun Autopolituren und -wachse im Praxistest. Einem Auto sieht man sein Alter in der Regel zuerst am Lack an. Wenn er nicht mehr funkelt, ist es Zeit für eine Auffrischung mit Autopolitur und Wachsversiegelung. Beim Profi kostet das schnell zwei- bis dreihundert Euro, da kann man schon mal fragen: Geht das nicht auch selbst und von Hand? Zwar ist die Blütezeit der manuellen Autopflege längst vorbei, doch noch immer werden Kombiprodukte angeboten, die Glanz und Schutz in nur einem Arbeitsgang versprechen. Wer am Wochenende seinem Auto etwas Gutes tun möchte, sollte allerdings einige Dinge beachten, rät der Berliner Autoaufbereiter Benjamin Methner: Keine Lackpflege ohne intensive Vorwäsche, und zwar von Hand! Wer diese Grundregel nicht beachtet, schmirgelt sich Schlieren und Wolken in den Lack, die nur noch ein Profi entfernen kann. Zweite Regel: Flauschige, fusselfreie Fasertücher, und zwar jeweils eines zum Aufbringen der Flüssigkeit und eines zum Abtragen des Wachses. Die meisten Polituren sollte man außerdem erst bei Temperaturen ab 17 Grad verwenden, weil sie sonst aufflocken oder beim Aushärten schrumpfen. Wunder sollte man sich von der Handpflege allerdings nicht versprechen. "An den Effekt einer maschinellen Autopflege kommt man von Hand niemals heran", sagt unser Experte Methner. Wer seinem Auto etwas Gutes wolle, solle lieber zur japanischen Lackknete greifen. "Das ist eine Knete, mit der man lackschonend Harze, Teere und andere Verschmutzungen entfernt und so sein Auto schützt." Ist dann noch Zeit, kann man ein gutes Wachs auftragen. Faustregel dabei: Ein wirklich gutes Wachs ist teuer. Anstrengend wird es so oder so - selbst die Profis brauchen Stunden für eine Komplettpolitur. Dafür hält das Ergebnis dann aber auch ein halbes Jahr und nicht nur ein paar Waschstraßen lang.
0
Seit Beginn dieses Jahres sind die Beiträge zur Pflegeversicherung gestiegen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen sich jetzt einen Beitrag von 3,05 Prozent des Bruttolohns - 0,5 Prozentpunkte mehr als im vergangenen Jahr. Doch auch dieser neue Beitrag wird in einigen Jahren nicht mehr ausreichen, um die wachsenden Kosten der alternden Gesellschaft zu decken. Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, zeigt, dass der Beitrag in sechs Jahren wieder erhöht werden muss. Zwischen den Jahren 2025 und 2045 wird der Beitrag auf 4,25 Prozent steigen müssen, errechneten die Wissenschaftler des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos. Bei einem heutigen Durchschnittseinkommen von 3771 Euro brutto wären das im Monat mehr als 45 Euro zusätzlich. In ihrer Analyse gehen die Forscher davon aus, dass bis zum Jahr 2045 fünf Millionen Menschen in Deutschland Pflege benötigen werden. Im Jahr 2017 waren es erst 3,3 Millionen Hilfsbedürftige. Zugleich werden in den kommenden Jahren aber immer weniger Familien für ihre alternden Angehörigen sorgen können: Die Zahl der Kinder sinkt, immer mehr Frauen arbeiten, statt sich um ihre Eltern zu kümmern, und immer seltener leben alle Generationen gemeinsam unter einem Dach. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werden im Jahr 2045 rund 28 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Altenheimen leben. Zu den teuersten Entwicklungen, die auf die Versichertengemeinschaft zukommen, gehören deshalb auch die Löhne der Pflegerinnen und Pfleger. Die Forscher haben sich in ihrer Prognose am voraussichtlichen Bruttoinlandsprodukt der kommenden Jahre orientiert. Diese Kostenentwicklung sei jedoch "nicht vollständig", heißt es in der Studie. Schließlich arbeiten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) gerade gemeinsam mit Pflegeverbänden, Kirchen und Gewerkschaften daran, für Altenpfleger künftig einen flächendeckenden Tariflohn einzuführen. So wichtig eine bessere Bezahlung für die Angestellten ist - so teuer wird sie für die Versicherten. Genauso wie die Beiträge zur Pflegeversicherung könnten deshalb langfristig auch die Zuzahlungen für Familien zu den Pflegeheimen steigen. Auf längere Sicht, sagt Stefan Etgeton von der Bertelsmann-Stiftung, sei die Versorgung der Pflegebedürftigen nicht sicher. Zumindest, "wenn es bei den Rahmenbedingungen bleibt, die wir heute haben". Bald müsse die Politik deshalb über neue Finanzierungsmodelle für Pflege in Deutschland nachdenken - zum Beispiel über Steuergeld. Kosten für Hilfsbedürftige sind seit 1995 kontinuierlich gestiegen Im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung versucht, den Konflikt zwischen steigenden Beiträgen für die Pflegeversicherung auf der einen Seite und Personalnot in den Heimen andererseits durch einen Kniff zu lösen: Die Koalition schuf 13 000 zusätzliche Stellen in den Pflegeheimen - allerdings aus Mitteln der Krankenkassen und nicht der Pflegeversicherung. Denn die Töpfe der Krankenversicherungen sind zurzeit gut gefüllt. Und die Kassen übernehmen die Kosten - anders als die Pflegeversicherung - vollständig. Familien müssen also nichts zuzahlen. Bereits seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 sind die Kosten für Hilfsbedürftige kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2017 waren die Gesamtausgaben mit 38,5 Milliarden Euro zweieinhalb Mal so hoch wie zehn Jahre zuvor. Der Beitrag zur Pflegeversicherung lag im Jahr ihrer Einführung bei gerade einmal einem Prozent des Bruttolohns. Jens Spahns Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) hatte zuletzt weitere teure Pflegereformen auf den Weg gebracht. Nun haben auch Menschen mit kognitiven Erkrankungen, also vor allem Demenzkranke, einen besseren Zugang zu den Pflegeleistungen. Durch diese Veränderungen ist die Anzahl der Pflegebedürftigen im Jahr 2017 noch einmal sprunghaft angestiegen.
11
Mit patriotisch-kompromissbereitem Gesäusel mimt Donald Trump den Versöhner. Doch in Wahrheit startet er seinen Wiederwahlkampf. Dabei setzt er vor allem auf zwei Reizthemen. Am Dienstagabend stand plötzlich der Fuchs im Hühnerstall. Zugegeben - er hatte sich nicht eingeschlichen, sondern war offiziell und mit allem Pomp eingeladen worden. Aber was er zu sagen hatte, war seltsam. Denn der Fuchs hielt einen Vortrag über die Vorzüge der veganen Ernährung. Sei es nicht gesünder für alle, wenn von jetzt an jeder nur noch Gemüse äße, fragte er die Hühner. Das war in etwa die Lage am Dienstag im Kapitol. Donald Trump war in den Kongress gekommen, um, wie die US-Verfassung es vom Präsidenten verlangt, eine Rede zur Lage der Nation zu halten. Und da stand Trump nun, jener Mann, der vor ein paar Wochen noch die Regierung geschlossen hatte, um den Demokraten im Parlament Geld für den Bau einer Grenzmauer abzupressen, und schwärmte von Überparteilichkeit. Von neuen Horizonten, die alle Amerikaner gemeinsam erobern sollten, und von "den endlosen Möglichkeiten, die Zusammenarbeit, Kompromisse und das Gemeinwohl bereit halten". Donald Trump, ein politischer Karnivore, redete über Karotten und Körnerfutter. Man kann diesen Teil der Rede getrost vergessen. Das patriotische, versöhnliche Gesäusel zeigt vor allem, dass der professionelle Showmensch Trump weiß, was das Publikum an so einem Abend erwartet. Es sagt wenig darüber aus, was der Politiker Trump will. In dieser Hinsicht waren andere Passagen erhellender. Und die klagen längst nicht so vegetarisch. Im Kern war die Rede der Auftakt zu Trumps Wiederwahlkampf. Gewählt wird zwar erst im November 2020. Bis dahin kann noch viel passieren, und niemand weiß derzeit, gegen welchen Demokraten oder welche Demokratin der Präsident überhaupt antreten wird. Doch Trump nutzte die Gelegenheit am Dienstag, um schon einmal zwei große Argumentationslinien festzulegen, mit denen er eine weitere Amtszeit gewinnen will. Die erste Linie kann man mit dem Stichwort "Sozialismus" überschreiben. "Amerika wird nie ein sozialistisches Land sein", versprach Trump, gerade so als stünden Marx, Lenin und Mao vor Washingtons Toren und schwenkten rote Fahnen. Das war ein taktischer Trick, den Trump gerne anwendet: Er errichtet einen bedrohlich aussehenden Popanz, gegen den er Amerika dann zu schützen vorgibt. Die Wahrheit ist freilich viel harmloser: So, wie es derzeit aussieht, werden die Demokraten im kommenden Jahr einen - je nach politischem Standpunkt - Klassen- oder Gerechtigkeitswahlkampf führen. In den Details unterscheiden sich die möglichen Kandidaten, doch alle sind im Großen und Ganzen für mehr Staat: höhere Steuern für Reiche, eine staatlich finanzierte Krankenversicherung, eine größere staatliche Rolle in der Bildungs- und Umweltpolitik, mehr Umverteilung von oben nach unten. Umfragen zeigen, dass manche dieser Forderungen bis weit in die politische Mitte hinein beliebt sind - kein Wunder in Zeiten, in denen die Ungerechtigkeit in Amerika stetig wächst. Wenn die Demokraten es nicht übertreiben, könnte so ein Wahlkampf erfolgreich sein. Wie also kontert man das, wenn man wie der Plutokrat Trump Wirtschaftspolitik vor allem für Aktienbesitzer und Erben macht? Man übertreibt selbst und schreit "Sozialismus". Das erschreckt die Amerikaner. Vielleicht sogar so sehr, dass sie Trump wieder wählen. Die zweite große Linie, die Trump am Dienstag skizzierte, kann man unter dem Schlagwort "Mauer" zusammenfassen. Für den Präsidenten ist das einerseits ein konkretes Bauprojekt - eine Barriere an der amerikanisch-mexikanischen Grenze, egal ob nun aus Beton oder Stahl. Zugleich aber ist "the WALL", wie Trump das bisher weitgehend imaginäre Bauwerk in seinen Tweets stets nennt, eine Chiffre für sein nationalistisches, xenophobes, weißes, in weiten Teilen glattweg rassistisches Wunschbild von Amerika. Illegale Einwanderer, zumal aus Südamerika, kommen darin nur als Sozialschmarotzer, Mörder und Drogenhändler vor. Trump hat in zwei Wahlkämpfen gelernt, dass er seine Anhänger mit Angstmärchen von Karawanen voller Terroristen, von Invasoren aus Honduras und Angreifern aus El Salvador an die Urnen bringen kann. Das hat ihn Stimmen in der politischen Mitte und im vergangenen November die Mehrheit im Abgeordnetenhaus gekostet. Aber es hat ihm 2016 die Präsidentschaft und 2018 Zugewinne im Senat gebracht. 2020 wird ein Wahlkampf sein, in dem beide Seiten eher versuchen werden, ihre Kernwählerschaft zu mobilisieren, anstatt unideologische, schwankende Wechselwähler zu überzeugen. Für diese Art Wahlkampf legte der Präsident am Dienstag die Grundlage. Es wird kein schöner Wahlkampf werden. Die Tragik ist: Amerika bräuchte einen Präsidenten wie jenen, der Trump am Dienstag ein paar Sätze lang war. Der alle seine Bürger respektiert, nicht nur die, die ihn gewählt haben. Der sein Interesse an Zusammenarbeit, an Kompromissen und am Gemeinwohl gelegentlich vorlebt. Donald Trump ist nicht dieser Präsident.
7
Ralph Nader ist seit Langem im Ruhestand. Jahrzehntelang war der heute 85 Jahre alte Jurist eine Schlüsselfigur der Verbraucherbewegung in den USA. Er sorgte durch seine scharfe Kritik an unsicheren Autos oder Elektrogeräten für bessere Sicherheitsvorschriften und kandidierte mehrfach für das Präsidentenamt. Jetzt äußert sich Nader zum ersten Mal seit Langem wieder öffentlich. Er verlangt, dass nach dem Absturz zweier Boeing 737 Max 8 diese Maschinen nie wieder fliegen dürfen. Boeing wirft er vor, die "Arroganz der Algorithmen" habe die Piloten handlungsunfähig gemacht. "Das sollte die Behörden dazu bringen, wegen möglicher grober Fahrlässigkeit zu ermitteln". Nader ist persönlich betroffen. Seine Großnichte Samya Stumo, 24, starb bei dem Absturz einer Maschine der Ethiopian Air am 10. März 2019, zusammen mit 148 weiteren Passagieren und acht Besatzungsmitgliedern. Die Gesundheitsexpertin war für ein Hilfswerk in Afrika unterwegs. Stumos Familie hat mit Naders Hilfe Klage gegen Boeing eingereicht. Es wird nicht die einzige bleiben. Auch die Fluggesellschaften müssen mit hohen Ansprüchen von Angehörigen rechnen. Andere Airlines bereiten juristische Schritte gegen Boeing vor. Denn nach dem Absturz - dem zweiten einer Boeing 737 Max 8 innerhalb von fünf Monaten - haben die Behörden weltweit alle Maschinen stillgelegt. Die Einnahmeausfälle belaufen sich auf Hunderte Millionen Dollar. Boeing hat eine Police über 2,5 Milliarden Dollar für Produkthaftungsschäden, also Schäden, die auf Fehler des Herstellers zurückzuführen sind, berichtet die Londoner Fachzeitung Insurance Insider. Boeing kommentiert die Zahl nicht. Davon sollen 500 Millionen Dollar auf die Haftung für Ausfälle durch stillgelegte Maschinen entfallen. "Das könnte der größte Schaden außerhalb von Kriegszeiten für die Luftfahrtversicherer werden", kommentiert das Maklerunternehmen Willis Re. Wie viel Boeings Versicherer zahlen müssen, hängt davon ab, welches Verschulden die Kläger dem Unternehmen nachweisen können. Bei den Versicherern der Flugzeuge ist das anders: Sie müssen auf jeden Fall für Ansprüche der Angehörigen aufkommen, vor allem für den Einkommensausfall, der Familien trifft. Der kann je nach Herkunft der Passagiere Millionensummen ausmachen. Dabei ist unerheblich, ob die Fluggesellschaft verantwortlich für den Schaden ist oder nicht. Es handelt sich um eine sogenannte verschuldensunabhängige Haftung. Die Rückversicherung Munich Re rechnet mit einer Belastung von bis zu 120 Millionen Euro Allerdings könnten die Versicherer der Flugzeuge versuchen, ihrerseits von Boeing beziehungsweise seinen Versicherern Schadenersatz zu erstreiten. Wie hoch der Schaden insgesamt wird, stellt sich erst in ein, zwei Jahren heraus. Er dürfte mehr als eine Milliarde Dollar betragen, erwarten die Experten von Willis Re. Boeing wird von Gesellschaften unter Führung von Global Aerospace in London versichert. Das ist ein Pool, der von der Munich Re federführend verwaltet wird. Munich-Re-Vorstand Torsten Jeworrek beziffert die Belastung für sein Unternehmen auf 100 Millionen Euro bis 120 Millionen Euro. Der Talanx-Konzern, zu dem die Hannover Rück gehört, rechnet mit zehn Millionen Euro. Diese hohen Summen könnten nach Jahren sinkender Preise in der Luftfahrtversicherung für eine Trendwende sorgen. "In den vergangenen Jahren ist die Luftfahrt immer sicherer geworden", sagt Stephanie Deml, die bei der Munich Re den Bereich Luftfahrtversicherung Direkt leitet. "2017 war ein Jahr ganz ohne Todesopfer." In den Jahren 2018 und 2019 habe es die beiden Boeing-Abstürze gegeben. "Wir glaubentrotzdem, dass der Trend in Richtung mehr Sicherheit weitergeht." Trotz dieses Trends sei aber aktuell eine Erhöhung der Preise in der Luftfahrtversicherung zu beobachten. "Natürlich bringen so große Ereignisse wie die beiden Boeing-Schäden den Markt in Bewegung", sagt Deml.
11
Es gebe, sagt Christian Sewing, nicht viele Führungskräfte in der Deutschen Bank, die den Maschinenraum so gut kennen wie er. Seit einem Jahr ist Christian Sewing Chef der Deutschen Bank. Den riesigen Apparat zu führen ist ein Höllenjob, der ihn verändert hat. Und das Schlimmste könnte noch kommen. Der Mann, den viele Kollegen nur "den Christian" nennen, ist an diesem Abend ausgesprochen aufgeräumter Laune. Es ist Anfang Februar, ein Dienstag, und die Deutsche Bank hat gute Kunden und ein paar Freunde des Hauses in den 35. Stock ihrer Frankfurter Doppelturm-Zentrale geladen. Der Teppichboden: weiß. Die Decke: spiegelt silbern und ist von Leuchtstangen durchzogen. An den Wänden: moderne Kunst. Eine Atmosphäre von Macht und Einfluss und Coolness.
11
Der Zug braucht von Villach im Süden Österreichs mehr als vier Stunden, um den Bahnhof von Zagreb zu erreichen, einen schönen klassizistischen Bau, der ausgerechnet jetzt, da die kroatische Hauptstadt zur europäischen Metropole aufgerüstet wird, jämmerlich zu verfallen droht. Vier Stunden, das ist schnell genug, immerhin gilt es, das ganze Territorium Sloweniens zu durchqueren, und es stellt gegenüber den Zeiten, als Zagreb noch Agram hieß und das "Königreich Kroatien und Slawonien" Teil der habsburgischen Monarchie war, nur eine unwesentliche Verspätung dar. Der Zug hält bloß an wenigen Stationen, und am längsten bleibt er im Ort Dobova stehen, der nicht mehr als 720 Einwohner zählt und den Grenzübergang zwischen Slowenien und Kroatien bildet. Nachdem Ungarn im Herbst 2015 seine Grenze gegen Kroatien mit Stacheldraht gesichert hatte, wurde Dobova für einige Monate berühmt, weil Abertausende Flüchtlinge hier über die Schengengrenze gelangen wollten, welche die beiden EU-Staaten Slowenien und Kroatien trennt. Aber das ist eine Weile her, und über Dobova, das auf der slowenischen Seite liegt und auch die kroatischen Grenzbehörden beherbergt, scheinen längst wieder der pannonische Staub und der historische Schlaf gesunken zu sein, von denen viele Dichter behauptet haben, die beiden wären die natürlichen Elemente der Region. Softwarefirmen träumen von Computerprogrammen, die ganze Bevölkerungen erfassen Ich reise jedes Jahr zwei, drei Mal diese Strecke hin und wieder zurück, weil mir Zagreb in seiner Mischung aus Behäbigkeit und Elan, aus kakanischer Anmutung und umtriebiger Modernität lieb geworden ist und ich dort mit kroatischen Freunden einige Projekte verfolge. Selbst die Verzögerung beim Grenzübertritt empfinde ich mittlerweile als charmant, etwa wenn ich aus dem Fenster die Grenzpolizisten am Bahnsteig dabei beobachten kann, wie sie zuerst ihre Wurstsemmeln fertig essen und sich beim Rauchen zum übernationalen Plausch zusammenfinden, ehe sie die Waggons erklimmen. Hier, in dieser Station in der Provinz, ist mir zum ersten Mal eine epochale Veränderung aufgefallen. Die Grenzer nehmen die Pässe, aber ihr Blick gilt einzig diesen, nicht mehr ihren Inhabern. Sie haben stets einen tragbaren Hochleistungscomputer bei sich. Von diesem lassen sie überprüfen, ob es sich dabei um eine Legitimation handelt, die europaweit anerkannt ist und dem, der sie bei sich hat, das Recht auf Ein- und Ausreise gestattet. Binnen weniger Sekunden vergleicht der Computer Millionen Daten, und da mein österreichischer Reisepass von einer befugten Behörde ausgestellt wurde, brauche ich nicht in Unruhe zu geraten. Denn der Computer wird nicht irren, wozu haben wir ihn schließlich erfunden! Als ich jung war, haben die Grenzbeamten den Pass stets lange in ihren Händen gehalten und abwechselnd das Foto und das Antlitz des Menschen betrachtet, der vor ihnen stand und sich, je länger er so da stand, immer unbehaglicher fühlte. Während man in Augenschein genommen wurde, quälte man sich mit einer philosophischen Frage: Bin ich mit mir identisch oder sehe ich mir wenigstens so ähnlich, dass es die Obrigkeit überzeugen wird? Dabei waren wir weder als Flüchtlinge unterwegs, noch wollten wir illegal das Land und die Identität wechseln, um uns anderswo ein besseres Leben aufzubauen. Der Mediävist Valentin Groebner hat die geradezu unterhaltsame Studie "Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters" veröffentlicht. Es war ein langer Prozess, in dem der Staat nach und nach lauter Individuen in der ihm untertänigen Masse zu identifizieren lernte, und zur Unterscheidung seiner Untertanen dienten in den amtlichen Dokumenten oft Merkmale wie: "Trägt eine rote Mütze". Der Augenschein kann bekanntlich trügen, er wird von subjektiven Einstellungen, positiven wie negativen Vorurteilen beeinflusst. Der Grenzbeamte von früher mochte etwas gegen Langhaarige haben, und der von heute könnte ein Ressentiment gegen Menschen hegen, deren Aussehen ihm fremd anmutet. Bei einem Computerprogramm, wiewohl es ja Menschen sind, die es programmierten, glauben wir eine solche Fehleranfälligkeit nicht befürchten zu müssen. Um den menschlichen Faktor aus ihm zu tilgen, wird das erste Programm mittels eines zweiten überprüft, objektiviert, verbessert; und damit sich nicht neuerlich die dem Menschen eigenen Schwächen hineinschwindeln, handelt es sich dabei um ein computergeneriertes Programm. Der Apparat soll es richten, rote Mütze, echter Pass hin oder her. Wer jemand sei, das ist freilich eine Frage, die sich nicht nur Grenzbeamten stellt, denn die digitale Vermessung macht längst vor keiner Grenze mehr halt. Ein chinesisches Computerprogramm hat vor ein paar Jahren unter den Fotografien von rund 2000 Menschen angeblich treffsicher herausgefunden, welche von ihnen Straftäter zeigten. Höhere Ziele haben sich Softwarefirmen gesetzt, die den Politikern nicht weniger als die Zukunft verkaufen wollen: Programme nämlich, die die gesamte Population einer Stadt, eines Staates fotografisch archivieren und nicht danach durchsuchen, wer eine Straftat begangen hat, sondern wer künftig eine begehen könnte. Über diese Kriminellen, die der Taten überführt werden, die zu verüben sie noch keine Gelegenheit fanden, werden bald nicht mehr fehlbare Richter das Urteil sprechen, sondern Algorithmen. Denn damit es besser, sicherer, gerechter werde auf der Welt, gilt es, endlich die Fehlerquelle Nummer eins auszuschalten, den Menschen.
7
Plötzlich ist das Geld weg, und niemand hilft: Dieses Horrorszenario musste Axel Seitz durchleben, wie er dem Portal Gründerszene schilderte. Dem Bericht zufolge wollte Seitz nur kurz auf sein Konto bei der Smartphone-Bank N26 schauen, das plötzlich gesperrt war. Sofort habe er versucht, bei N26 jemanden zu erreichen, doch erfolglos. Der Telefonservice wurde eingestellt, automatische Mails vertrösteten ihn. Das wahre Ausmaß des Problems kannte er da noch nicht. Erst zwei volle Wochen später habe er jemanden im Online-Chat erreichen können, sein Problem erklärt und gefragt, wie hoch sein Kontostand sei. Zuletzt seien auf seinem Konto 80 000 Euro gewesen. Ein Screenshot zeigt die Antwort des Kundendienstes: "In deinem Konto ist z.Z nicht mal mehr als 30 Euro übrig, sorry." Das Geld war weg, offenbar gestohlen. Seitz, der als Online-Händler arbeitet, erzählte Gründerszene, dass er Rechnungen nicht zahlen konnte. Kommunikation von Seiten der Digitalbank? Fehlanzeige. Erst Wochen später hat N26 das Geld erstattet. Der Fall wirft erneut ein schlechtes Licht auf das deutsche Vorzeige-Start-up der Gründer Maximilian Tayenthal und Valentin Stalf. Seit einiger Zeit häufen sich Beschwerden über die Digitalbank, die Bewertungen auf Vergleichsportalen sind eindeutig: Der Service sei schlecht, die Erreichbarkeit miserabel. Dabei lief lange Zeit vieles glatt für Stalf und Tayenthal. Die beiden gründeten N26 im Jahr 2013. Die Digitalbank funktioniert hauptsächlich über das Smartphone. Nur anfangs wurde der Neuling von den großen Akteuren in der Bankenbranche belächelt. N26 wuchs schnell, lockte Kunden und viel Investorengeld. In kürzester Zeit wurde N26 sogar zu einem sogenannten Einhorn. So nennt man Start-ups, die mehr als eine Milliarde Euro wert sind - und N26, so schätzen Experten zurzeit, ist sogar 2,3 Milliarden Euro wert. Die simple Erfolgsformel dahinter: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Und dazu noch Kosten sparen. Seit Jahren expandiert das Start-up mit Sitz in Berlin in Ländern in ganz Europa, noch in diesem Jahr will es in die USA gehen. Das Geld dafür haben die Gründer gerade erst eingesammelt. Gleichzeitig versucht die Bank, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, verzichtet weiterhin auf Filialen und hat vergleichsweise wenige Mitarbeiter. Doch während die Gründer Stalf und Tayenthal Land um Land erschließen, gibt es im täglichen Geschäft zunehmend Probleme. Darunter leidet teilweise sogar die Sicherheit. Immer wieder ist die Bank Opfer von Pishing-Attacken, bei denen sich Betrüger die Kundendaten über falsche Webseiten und Mails besorgen. Über das Online-Auktionshaus Ebay zockten Betrüger Anfang des Jahres mit gefälschten Identitäten Käufer ab, auch damals teilweise mit N26-Konten. In Portugal konnten Tester mit gefälschten Dokumenten ein Bankkonto bei der Digitalbank eröffnen. Das Schlimme daran ist nicht, dass es Attacken und andere Probleme gibt. Das gehört zum Bankgeschäft dazu. Doch die Prozesse, die dann in Gang kommen sollten, versagen bei N26 immer wieder. Das größte Problem bei N26 ist wohl der Kundenservice. Telefonisch erreicht man die Bank gar nicht mehr, der Service-Chat ist nicht rund um die Uhr besetzt. Zwar können Kunden in dringen Fällen um einen Rückruf bitten, doch das klappt auch nicht immer. Nach den Problemen gefragt, heißt es bei N26, dass man den Service kontinuierlich ausbaue. Bereits heute würden 400 der rund 800 Mitarbeiter im Kundenservice arbeiten. Künftig sollen es mehr werden. Gründer Stalf und Tayenthal verfolgen weiterhin ehrgeizige Ziele. Die Zahl der Kunden soll von derzeit 1,5 Millionen bis 2020 auf fünf Millionen steigen. Bleibt für all die neuen Kunden nur zu hoffen, dass der Service in diesem Tempo mitwachsen kann.
11
Das System, dem die Grundrente widerspricht, ist das System der gesetzlichen Rentenversicherung. Denn: Renten werden aus Beiträgen finanziert, nicht aus Steuern, so wie Heil das für den Rentenzuschlag will. Das Konzept von Hubertus Heil ist ein wichtiges, ja: ein wunderbares Vorhaben. Eine Bedürftigkeitsprüfung wäre rentenwidrig. Sie würde Millionen von Rentnern zu Fürsorgeempfängern machen. Hubertus Heil verspricht den Rentnern nicht das Paradies. Er verwandelt kleine Renten auch nicht in stattliche Pensionen. Aber er verspricht den kleinen Rentnern eine Rente, von der sie einigermaßen leben können. Zu diesem Zweck will er sehr niedrige Renten aus Steuermitteln aufstocken. Das ist ein richtiges, ein wichtiges, ein sozialstaatliches, also ein wunderbares Vorhaben; es ist ein Vorhaben, das den Debatten über soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit einen neuen Schub gibt. Aber es ist, so sagen die Kritiker, ein systemwidriges Vorhaben. Sie haben recht. Das System, dem die Heil'sche Grundrente widerspricht, ist das System der gesetzlichen Rentenversicherung. Renten werden aus Beiträgen finanziert, nicht aus Steuern, wie Heil das für den Rentenzuschlag will. Weil die Renten bisher beitragsfinanziert sind, sind sie auch verfassungsrechtlich von der Eigentumsgarantie geschützt. Eine Steuerfinanzierung eines Teils der Rente würde diese Garantie beschädigen. Bedürftigkeitsprüfung würde den Grundansatz von Hubertus Heil diskreditieren Indes: Es gibt in Deutschland drei bis vier Millionen Rentner, die jahrzehntelang zu niedrigen Löhnen geschuftet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben. Sie können auf eine respektable Lebensleistung verweisen und bekommen trotzdem nur eine mickrige Rente. Diese Rentner können von der Eigentumsgarantie nichts herunterbeißen; diese Garantie macht die mickrige Rente nicht höher, sondern nur sicher. Der Verweis auf die Eigentumsgarantie, die von der Heil'schen Grundrente tatsächlich gefährdet würde, verhöhnt letztlich die Kleinrentner. Sie werden mit einem Prinzip abgespeist; Steine statt Brot, hat man da früher gesagt. Man muss sich entscheiden, was wichtiger ist: das bisherige Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, das rein beitragsfinanziert ist und bleiben soll. Oder das Sozialstaatsprinzip, das danach trachtet, den Menschen soziale Sicherheit zu geben und dies auch praktiziert. Heil macht streng genommen nicht Rentenpolitik, sondern Armutspolitik. Ist das schlecht? Es ist nur ungewöhnlich. Zugegeben: Die Überlegungen, die Hubertus Heil umtreiben, sind eigentlich eher im Bereich von Hartz IV zu Hause. Aber Hartz IV ist vergiftet, und es wäre sehr ungut, einen Rentner nach jahrzehntelanger Arbeit dorthin zu verweisen. Viele Rentner, denen Sozialleistungen zustünden, genieren sich ja schon heute, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen. Es ist konsequent, wenn Heil für seine Grundrente auf eine Bedürftigkeitsprüfung verzichtet. Mit einer Bedürftigkeitsprüfung würden Millionen von Rentnern zu Fürsorgeempfängern. Die Schwierigkeiten, mit denen die Jobcenter im Rahmen der Leistungen von Hartz IV zu kämpfen haben, all die elende und zum Teil diskriminierende Prüferei, würde künftig nicht nur bei der Gewährung von Arbeitslosengeld, sondern auch bei der Gewährung von Rente stattfinden. Der bürokratische Aufwand wäre ungeheuer. Der Feststellungsaufwand wäre von der Rentenversicherung kaum zu leisten, sie hat ja schon mit der Feststellung der Rentenversicherungszeiten genügend zu tun. Eine Bedürftigkeitsprüfung würde den Grundansatz von Hubertus Heil diskreditieren: Es geht ihm zu Recht um Respekt vor der Lebensleistung der Rentner, nicht um Schnüffelei im Leben der Rentner. Es geht richtigerweise darum, einer Lebensleistung zu entsprechen, die in 35 Beitragsjahren und in Erziehungs- und Pflegezeiten abgebildet wird. Wenn die Wirtschaft darüber lamentiert, was Grundrenten kosten werden - die Grundrente wird wohl meist nicht auf die hohe Kante gelegt werden, sie geht in den Konsum. Die Grundrente tut somit auch der Wirtschaft gut - und der gesamten Gesellschaft ohnehin.
11
In diesem Jahr streben so viele Tech-Unternehmen an die Börse wie seit Langem nicht. Wie gefährlich ist der Börsenrausch? In San Francisco geht die Angst um. Angst, dass Wohnungen dort noch gefragter, die Preise noch astronomischer werden könnten. Eine ganze "Flut von Millionären" könnte in die Stadt hereinbrechen, befürchten Bewohner. Auch vielen Maklern bleibt die Luft weg. "Die kaufen alles cash", sagte ein Immobilienexperte vor Kurzem auf einer Tagung. "Das wird uns den Atem verschlagen." Für viele Kenner ist diese Millionärsflut die Nebenwirkung eines wundersamen Börsenbooms: Die Taxi-Apps Lyft und Uber, der Bilderdienst Pinterest, die Wohnungsvermieter von Airbnb - sie alle haben ihren Börsengang bereits in die Wege geleitet oder könnten das bald tun. Das könnte Mitarbeiter und Investoren über Nacht zu Millionären machen. Weniger als zehn Jahre alt, aber schon Milliarden Dollar Unternehmenswert: Unter Finanzexperten haben sich ihre Unternehmen den klingenden Spitznamen "Einhörner" erworben. Weil manche der Unternehmen schon mehr als zehn Milliarden Dollar wert sind, sprechen Börsianer inzwischen schon von "Decacorns", von Zehnhörnern. Und eine ganze Horde solcher Unternehmen trabt aktuell in Richtung Börse. Die mythischen Begriffe lassen durchscheinen, was gerade an den Finanzmärkten los ist, welches Börsenfieber zwischen Kalifornien an der Westküste und Wall Street an der Ostküste der USA umgeht. "Viele Anleger haben derzeit Appetit auf Tech-Titel", sagt Börsengangsexperte Martin Steinbach von der Beratungsfirma EY. Manchen Beobachter erinnert die neue Internet-Euphorie an die Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende, als Dutzende Unternehmen mit großen Hoffnungen an die Börse strebten - unter dem Strich aber nur Verluste schrieben. Denn auch heute sind die Bilanzen vieler Börsenkandidaten tiefrot getränkt. Sollte der Börsenboom Anlegern also Angst machen? Das größte Rennen in Richtung Parkett liefern sich gerade die Fahrvermittler Lyft und Uber. Beide Dienste vermitteln über Handy-Apps Fahrer, die Kunden von A nach B bringen. Angreifer Lyft plant seinen Börsengang bereits für Anfang der Woche. Schafft das Unternehmen es, für jede Aktie etwa 62 bis 68 Dollar zu kassieren, käme es auf einen Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Dollar. Anleger sollten sich das auf der Zunge zergehen lassen: 20 Milliarden Dollar für ein Unternehmen, dass im vergangenen Jahr seinen Umsatz zwar mehr als verdoppeln konnte - gleichzeitig seine Verluste aber dramatisch erhöht hat. Manche Beobachter sagen, das Taxiunternehmen verbrenne deshalb Geld wie die Autos seiner Fahrer Benzin. Ob das Unternehmen sich aus dieser verfahrenen Situation lösen kann, ist unklar. "Es ist sowohl für die Fahrer als auch für die Nutzer ganz einfach, mehrere Taxi-Apps zu benutzen", sagt David Trainer vom Analysehaus New Constructs. Im Klartext: Bietet eine andere Taxi-App dem Kunden einen billigeren Preis oder dem Fahrer mehr Geld, wäre Lyft abgemeldet. Auch Taxi-Platzhirsch Uber will an die Börse, versucht sich jetzt zusätzlich an Essenslieferungen, hat im Grunde aber ähnliche Probleme wie Konkurrent Lyft. Trotzdem könnte der Gesamtwert des Unternehmens bei einem Börsengang im April auf astronomische 120 Milliarden Dollar taxiert werden. Das Techunternehmen wäre damit mehr wert als die Autobauer Ford und General Motors - zusammen. Auch der Bilderdienst Pinterest, auf dem Nutzer nach Fotos zu Inneneinrichtung, Urlauben oder Kochrezepten suchen können, hat am Wochenende seinen Börsenprospekt veröffentlicht. Auch er ist im vergangenen Jahr zwar rasant gewachsen, schreibt aber Verluste. Viele Beobachter befürchten nun eine zweite Internetblase an den Börsen. Börsenexperte Martin Steinbach von EY hält das aber für Angstmacherei: "Der Vergleich mit den alten New-Economy-Zeiten zieht nicht." Die meisten der heutigen Börsenkandidaten sind Firmen, die schon seit Jahren existieren, die funktionierende Apps entwickelt haben, die Millionen Kunden täglich nutzen. Kein Vergleich mit den einstigen Dotcom-Klitschen, die oft nur "Internet" auf ein Firmenschild schrieben und schon Unsummen einsammelten. Trotzdem, sagt auch Steinbach, sollten Anleger genau hinschauen, wenn sie den Einhörnern an der Börse hinterherjagen. Manche Tech-Unternehmer könnten schlicht daran interessiert sein, Investoren einen Weg zu eröffnen, ihre alten Anteile gewinnbringend zu versilbern. Außerdem war die Stimmung an den Börsen lange nicht mehr so fragil wie derzeit. Manches Tech-Unternehmen könnte da schnell noch an die Börse rasen und frisches Geld einwerben, bevor die Stimmung kippt. Sollte es zu einem Kursrutsch an den Börsen kommen, wären jedoch die Anleger die Gelackmeierten: Tech-Titel spüren Turbulenzen zuerst und besonders heftig. In jedem Falle ist der aktuelle Börsenrausch kurios. Ausgerechnet die Gründer des Zimmervermittlers Airbnb - so will es die Legende - kamen einst auf ihre Geschäftsidee, weil ihnen vor mehr als zehn Jahren die regulären Mieten in San Francisco zu teuer waren. Auch diese Firma könnte in diesem Jahr an die Börse gehen und neue Wohnungen in San Francisco damit noch teurer machen. Ausgerechnet.
11
US-Präsident Donald Trump hat sich dafür ausgesprochen, dass die USA die Souveränität Israels über die seit 1967 besetzten Golanhöhen anerkennen. Nach 52 Jahren sei es für die Vereinigten Staaten an der Zeit dafür, schrieb er am Donnerstag auf Twitter. Kritik für diesen Vorstoß kommt von Nato-Partner Türkei, der syrischen Regierung und der Arabischen Liga. Israel hatte 1967 einen großen Teil der Golanhöhen von Syrien erobert und 1981 annektiert, was international aber nicht anerkannt wurde. Nach internationalem Recht gelten die Gebiete als von Israel besetztes Territorium Syriens. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte umgehend auf Twitter: "Zu einer Zeit, in der Iran Syrien als Plattform zur Zerstörung Israels benutzen will, erkennt Präsident Trump mutig Israels Souveränität über die Golanhöhen an. Danke, Präsident Trump!" Netanjahu reist kommende Woche nach Washington. Das syrische Außenministerium nannte Trumps Forderung unverantwortlich. Die Regierung in Damaskus betonte, die Äußerung des US-Präsidenten ändere nichts daran, dass der Golan in syrischer und arabischer Hand bleibt. "Die syrische Nation ist noch entschlossener, dieses wertvolle Stück syrisches Land durch alle zur Verfügung stehenden Mittel zu befreien." Kritik kam auch von der Arabischen Liga. "Überdenken Sie diese fehlerhafte Situation und denken Sie tief über die sofortigen und späteren Konsequenzen nach", schrieb Liga-Generalsekretär Ahmed Aboul Gheit in einer in der Nacht zum Freitag verbreiteten Erklärung. Iran, der mit Syrien verbündet ist und Truppen in dem Land hat, warnte am Morgen, Trumps Entscheidung werde zu weiteren Krisen im Nahen Osten führen. Außenamtssprecher Bahram Ghassemi kündigte an, umgehend mit Syrien und anderen relevanten Ländern darüber zu sprechen. Vertreter der Palästinenser warnten, dass es nun zu einer neuen Welle der Gewalt kommen könnte, heißt es in der New York Times. Das Nato-Mitglied Türkei verurteilt den Vorstoß des US-Präsidenten ebenfalls: "Die territoriale Integrität von Staaten ist das fundamentalste Prinzip internationalen Rechts", schrieb Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu ebenso auf Twitter. Versuche der USA, Israels Rechtsverstöße zu legitimieren, würden nur zu mehr Gewalt und Schmerz führen. "Die Türkei unterstützt die territoriale Integrität Syriens." Die Golanhöhen sind ein strategisch wichtiges Felsplateau oberhalb des Sees Genezareth mit der Stadt Tiberias und dicht besiedelten Gebieten im Norden Israels. Israels Ministerpräsident Netanjahu bemüht sich immer wieder international um eine Anerkennung der Golanhöhen als israelisch. "Der Golan ist Teil Israels, der Golan muss für immer ein Teil von Israel bleiben", sagte er erst kürzlich. Vor Kurzem hatte das US-Außenministerium seine Wortwahl zum Status der Golanhöhen geändert. In einem Bericht zur Menschenrechtslage in Israel bezeichnete das Ministerium die Gebiete als "von Israel kontrolliert". Im vergangenen Jahr waren sowohl die Golanhöhen, als auch die ebenfalls 1967 eroberten Gebiete Westjordanland und der Gazastreifen noch als von Israel "besetzt" bezeichnet worden. US-Außenminister Mike Pompeo sagte am Donnerstag bei einem Besuch in Jerusalem, die neue Wortwahl in dem Bericht sei kein Fehler gewesen. Sie sei sehr bewusst gewählt worden. Trump empfängt Netanjahu in der kommenden Woche im Weißen Haus. Trumps Nahostpolitik erhält bei der rechtskonservativen Regierung in Israel viel Beifall. Netanjahu lobt etwa die Entscheidung der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem sowie den Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit Iran. Netanjahu ist zur Jahrestagung der amerikanisch-israelischen Lobbyorganisation American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) in Washington, wo er eine Rede halten wird. Im Weißen Haus wollen die beiden Staatsmänner "die gemeinsamen Interessen und Handlungen beider Länder im Nahen Osten" diskutieren. In Israel wird am 9. April ein neues Parlament gewählt. Darum wird nun spekuliert, der US-Präsident leiste mit seinem Vorstoß Wahlkampfhilfe für Netanjahu. Trump wies das in einem Fernsehinterview zurück. Ich würde davon nicht einmal etwas wissen", sagte er dem Sender Fox Business. "Ich weiß nicht, ob es gerade großartig für ihn läuft, aber ich höre, dass er sich ganz okay schlägt", fügte Trump mit Blick auf Netanjahu hinzu. Israels Premier hat derzeit mit schwachen Umfragewerten und einer Korruptionsaffäre zu kämpfen.
7
EU-Ratspräsident Donald Tusk macht sich für eine deutliche Verlängerung der EU-Austrittsfrist für das Vereinigte Königreich stark. Er werde bei den anstehenden Gesprächen vor dem EU-Gipfel an die restlichen 27 Länder appellieren, offen für eine lange Verzögerung zu sein, schreibt Tusk auf Twitter. Das gelte für den Fall, dass Großbritannien seine Brexit-Strategie überdenken wolle und einen Konsens finde. Einem EU-Vertreter zufolge versteht Tusk unter einer deutlichen Verschiebung des Brexit-Termins einen Zeitraum von mindestens einem Jahr. Währenddessen hätte das Großbritannien Zeit, eine klare Position zum Brexit zu entwickeln. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas spricht sich für eine Fristverschiebung aus. "Bevor es einen ungeregelten Brexit gibt, dann lieber nochmal eine Ehrenrunde und verschieben", teilt er auf Instagram mit. Das britische Parlament wird am Abend über eine Verlängerung des Austrittszeitraums abstimmen. Eigentlich soll das Land die EU am 29. März verlassen. Das britische Parlament hatte sich am Mittwoch dagegen ausgesprochen, dass Großbritannien die EU ohne einen Austrittsvertrag verlässt. Den von Premierministerin Theresa May mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal hatten die Abgeordneten aber am Tag zuvor auch abgelehnt. Die Vorlage für die Abstimmung an diesem Donnerstag sieht daher vor, dass May bei der EU um einen Aufschub bittet, sollte das Parlament den Vertrag bis 20. März nicht in einem dritten Anlauf gebilligt haben. Die Regierung wünscht sich offenbar nur eine kurze Fristverlängerung von maximal drei Monaten. Denn sollten die Briten bei der Konstituierung des neuen europäischen Parlaments Anfang Juli noch nicht ausgetreten sein, müssten sie sonst zuvor an der Europa-Wahl im Mai teilnehmen. Die Parlamentarier können die Vorlage aber noch verändern und so die Frist deutlich verlängern. Einem Brexit-Aufschub müssten aber auch die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in der nächsten Woche zustimmen. Hoffen im Lager der moderaten Austrittsbefürworter Der britische Schatzkanzler Philip Hammond zeigt sich derweil zuversichtlich, dass May ihren Brexit-Deal im dritten Anlauf durchbekommen wird. Er sei weiter sehr zufrieden mit Mays Abkommen und setze darauf, dass innerhalb der nächsten beiden Tage Einigkeit dazu gefunden werden könne, sagte Hammond dem Sender Sky News. Die nordirische DUP erwägt einem Bericht der BBC zufolge nun doch, das Brexit-Abkommen der Regierung zu unterstützen. Vertreter der Partei, die die konservative Minderheitsregierung Mays toleriert, hätten mit Ministern gesprochen, um ein "vernünftiges Abkommen für das gesamte Vereinigte Königreich" zu finden, berichtet die BBC. Am Dienstag hatte die DUP noch gegen den Brexit-Deal gestimmt.
7
Als Christian Ahlmann nach dem Sieg im Weltcupspringen von Leipzig auf Caribis Z gefeiert wurde, freute sich natürlich auch Bundestrainer Otto Becker. Aber man darf ihm unterstellen, dass sich innerlich auch etwas Unbehagen breitmachte. Deutlicher hätten ihm Ahlmann und Daniel Deusser, der mit Tobago Vierter wurde, nicht demonstrieren können, wie wichtig sie im vorolympischen Jahr für die Pläne des Bundestrainers sind. Deusser und Ahlmann, auf der Weltrangliste auf Platz sechs und 17, sind neben dem Ranglistendritten Marcus Ehning zurzeit die mit Abstand erfolgreichsten deutschen Springreiter. Das Bronzeteam der WM 2018 gibt es nicht mehr, Maurice Tebbel konnte nicht die Erwartungen erfüllen, das Pferd Catch me if you can von Laura Klaphake wurde verkauft, Weltmeisterin Simone Blum musste kürzlich an der Schulter operiert werden, auf ihre Rückkehr im Sommer mit Alice hofft nicht nur der Bundestrainer. Jede Verstärkung ist willkommen. Es ist lange her, dass Ahlmann und Deusser für Deutschland ritten, 2016 halfen sie in Rio, Mannschaftsbronze zu gewinnen. "Wir brauchen die beiden einfach", sagt Becker, "sie sind eine sichere Bank und tolle Teamplayer." Aber seit 2017 weigern sie sich, die Athletenvereinbarung zu unterschreiben, die jeder Sportler gleich welcher Disziplin anerkennen muss, der zu Olympischen Spielen will. So sind die Regeln des Internationalen Komitees (IOC), des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und seines Mitgliedverbandes, der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Der Anfang der Fehde zwischen dem Verband und zweien seiner Leistungsträger liegt zehn Jahre zurück. Jedes Mal ging es um Doping beziehungsweise verbotene Medikation, eine Unterscheidung, die es nur im Pferdesport gibt. Bei Ahlmanns Pferd Cöster wurde wie bei vier anderen Pferden der Spiele in Peking 2008, ausgetragen in Hongkong, Capsaicin gefunden. Die Salbe wird bei Muskelverletzungen angewendet, mit ihr können aber auch die Pferdebeine künstlich sensibilisiert werden, damit sie über dem Sprung höher angezogen werden. An welcher Stelle des Körpers die Salbe angewendet worden war, ließ sich nicht mehr feststellen. Der Weltreiterverband FEI verurteilte alle fünf Reiter wegen der minder schweren verbotenen Medikation zu vier Monaten Sperre. Das reichte dem deutschen Verband jedoch nicht, er zog, als einziger der fünf betroffenen nationalen Verbände gegen den FEI-Spruch zum Internationalen Sportgerichtshof CAS und erreichte, das Ahlmann nunmehr wegen Dopings acht Monate gesperrt und außerdem zwei Jahre aus dem Kader ausgeschlossen wurde. Er wurde nicht nur härter bestraft als die vier Kollegen, er wurde auch anders als sie zum Dopingsünder abgestempelt. Das saß tief. "Das Wichtigste ist für mich, dass der Verband hinter seinen Sportlern steht", sagt Ahlmann. Der deutsche Verband hat sein Muskelspiel, das auch vor dem Hintergrund neu zu verhandelnder TV-Verträge gesehen werden muss, längst bereut. Mehrmals gab FN-Präsident Breido Graf zu Rantzau zu, dass dies der schwerste Fehler seiner Amtszeit gewesen sei. Heute würde der Fall Ahlmann anders ausgehen, die FN hat die Regeln geändert, akzeptiert FEI-Urteile und verzichtet auf ein zweites Verfahren vor dem nationalen Verbandsgericht. Auch der Fall Deussers läge nun anders. Auch er wurde nach einer vom US-Verband verhängten Sperre in Deutschland noch mal bestraft. Nach einem zehnjährigen Rechtsstreit vor öffentlichen Gerichten um Schadenersatz für entgangene Gewinngelder kam es 2017 zum Vergleich. Über die Summe, die die FN zahlen musste, wurde Stillschweigen vereinbart. Trotz aller Differenzen hatten Ahlmann und Deusser bis 2017 die Vereinbarung unterschrieben. "Aber mit Bauchschmerzen", sagt Ahlmann. Warum das Bauchgrimmen plötzlich überhandnahm, kann Dennis Peiler, sportlicher Leiter der FN, nicht nachvollziehen. "Die Athletenvereinbarung ist im Prinzip gleich geblieben, wurde eher im Sinn der Reiter angepasst", sagt er. Tatsächlich drohen nicht sofort Sanktionen, wenn das Stallbuch, in das alle Medikamente eingetragen werden müssen, Lücken aufweist; erst wird verwarnt. Möglicherweise war es der Fall Julia Krajewski, der den beiden Reitern auf den Magen schlug. Die Vielseitigkeitsreiterin hatte nach ihrem Medikationsfall bei der EM in Strzgeom, der das deutsche Team Silber kostete, den von der FEI angebotenen "schnellen Weg" eingeschlagen: Akzeptieren einer Geldstrafe ohne Sperre und Verfahren. Die FN unterstützte sie, und bei den Springreitern drängte sich der Verdacht auf, hier werde wohl mit zweierlei Maß gemessen. In Leipzig signalisierten beide Gesprächsbereitschaft. "Wir reden darüber, das zeigt, dass Interesse auf beiden Seiten da ist," sagt Ahlmann.
9
Seit Jahren hält sich ein Narrativ hartnäckig: Als Nettozahler für den EU-Haushalt müsse Deutschland für die schwache Wirtschaft anderer Länder aufkommen, Deutschland sei der "Zahlmeister Europas" und werde von anderen Mitgliedsstaaten ausgenutzt. Laut einer neuen Studie der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Denkfabrik Progressives Zentrum, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, negiere diese Sichtweise den gesamtwirtschaftlichen Nutzen der EU für Deutschland. Und würde auch gar nicht dem entsprechen, wie die Deutschen selbst die EU und die Rolle der Bundesrepublik sehen. So hält die Mehrheit den finanziellen Beitrag Deutschlands zum EU-Budget nicht für zu hoch - und 76,7 Prozent sind der Meinung, dass die Bundesrepublik ihre politischen Ziele eher mit als ohne EU erreichen kann. 66 Prozent glauben, dass Deutschland wirtschaftlich mehr Vor- als Nachteile hat. Und mehr als 90 Prozent wünschen sich sogar mehr gemeinsame Ausgaben von Deutschland und den EU-Partnern in Bereichen wie Klimaschutz, Bildung, Verteidigung und Soziales. Für die Studie wurden eine repräsentative Umfrage und mehrere Gruppendiskussionen im Januar 2019 durchgeführt, also etwa vier Monate vor den Europawahlen. Am Mittwoch werden die Ergebnisse in Berlin vorgestellt. "Eine überraschend klare Mehrheit findet den deutschen Finanzbeitrag zur EU nicht zu hoch", sagt Studienautor Johannes Hillje. Die Befunde der Umfrage würden zeigen, dass die Zahlmeister-These im Widerspruch zu den Einstellungen in der deutschen Bevölkerung stehe. Und gemessen an der Wirtschaftskraft stimme sie auch gar nicht: Deutschland wechselt sich an der Spitze der Nettozahler mit den Niederlanden, Schweden und Italien ab. Trotzdem scheint der Mythos des "Zahlmeister Europas" mitverantwortlich für die gegenwärtige zurückhaltende deutsche EU-Politik zu sein, so das Fazit der Studie. Dabei sieht die Mehrheit der Deutschen die EU-Mitgliedschaft weit über den wirtschaftlichen Nutzen hinaus. Für Hillje zeige das Ergebnis der Umfrage, einen "deutlichen Handlungsauftrag an die Bundesregierung, sich kooperativer und aktiver in der EU zu engagieren". Die einzige Gruppe, die mehr Nach- als Vorteile durch die EU-Mitgliedschaft sieht, sind die Anhänger der AfD. "Fast im gesamten Datensatz ist eine deutliche Spaltung zwischen AfD-Anhängern und allen anderen nachzuweisen. Aber die EU-Skepsis spiegelt auch klar wieder, wofür die Partei steht", erklärt Hillje. Die Wähler aller anderen Parteien sehen der Befragung zufolge die Vorteile der EU für Deutschland deutlich überwiegen.
7
Nicht vielen Schalker Spielern war es in dieser Saison vergönnt, vom heimischen Publikum namentlich gefeiert zu werden. Die Liste der Geehrten reicht von Torwart Alexander Nübel, 22, bis zu Torwart Alexander Nübel, 22, doch am Samstag um kurz vor halb sechs erhielt ein neuer Mann Aufnahme in die königsblaue Heldengalerie. Frenetisch riefen sie in der Kurve seinen Namen, als Suat Serdar in der letzten Minute der Nachspielzeit das Feld verließ, auch sonst im weiten Rund erhoben sie sich von den Sitzen, Hochstimmung herrschte. Serdar, 22, hatte in der Partie gegen Eintracht Frankfurt ein starkes Spiel gemacht und war der Vorkämpfer einer Mannschaft, die sich, wie Frankfurts Trainer Adi Hütter hervorhob, "aufopferungsvoll" gewehrt hatte. Die Zuschauer wussten es zu würdigen: So oft schon in dieser missratenen Saison war der Gang zu den enttäuschten Fans für die Schalker Spieler der schwerste Laufweg des Spiels gewesen, diesmal empfingen sie Beifall und ungeteilte Zustimmung. Nie zuvor gab es Elfer in der 99. Minute Allerdings hatte die Romanze zwei Schönheitsfehler: Serdar hatte einen Feldverweis erhalten, und gleich darauf kassierte die restliche Mannschaft den Treffer zur nächsten, zur neunten Heimniederlage. Mit dem 2:1 für die Eintracht gingen zwei Rekorde einher: Nie zuvor in der Bundesliga wurde in der 99. Minute ein Elfmeter verwandelt, und nie zuvor hat Schalke so viele Heimspiele verloren wie in dieser Saison, selbst in den drei Abstiegsfällen der 1980er-Jahre nicht. Warum die Schalker auf einmal wieder, so wie es ihre Verfassung vorsieht, wie tausend Freunde zusammenstanden, das hat Huub Stevens erklärt: "Es scheint, dass die ganze Welt gegen uns ist. Dagegen muss man kämpfen, das ist eine Herausforderung, und die gehen wir an, das könnt ihr mir glauben." Womöglich wird man eines Tages in Gelsenkirchen dem Schiedsrichter Sascha Stegemann noch dankbar sein, dass er an diesem 6. April 2019 zur Stimmungswende beigetragen und die bisher so zerrissene Klubgemeinde versöhnt hat. Zunächst war von Dankbarkeit jedoch keine Spur, der Unparteiische verließ unter Pfiffen und einer an Aufruhr grenzenden Empörung den Schauplatz, auch Stevens legte so heftig Beschwerde ein, dass einem bange werden konnte, und zwar um beide: Schiedsrichter und Trainer. Kurz nach Serdars unstrittigem Platzverweis hatte Stegemann eine weitere folgenschwere Entscheidung getroffen, indem er der Eintracht einen umso umstritteneren Handelfmeter zuerkannte. Der Strafstoß, den Luka Jovic im Anschluss an wilde Protestszenen nervenstark verwertete, vereinte die Schalker in der Klage über ein bösartiges Schicksal und im Zorn auf die angebliche Fußball-Mafia. Das Motiv für Verschwörungstheorien lieferte der DFB selbst. Die beiden Videoschiedsrichter, die im Kölner Keller Aufsicht führten, stammten aus Stuttgart - aus der Stadt eines der Hauptkonkurrenten im Abstiegskampf. Was nicht von Feingefühl beim DFB zeugt. Allerdings hatten Martin Petersen und Tobias Reichel keinen Anteil am finalen Beschluss, den fasste Stegemann, wie er versicherte, aus eigenem Ermessen. Er vertrat die Ansicht, dass Daniel Caligiuri den Ball unzulässig mit ausgestreckten Händen berührt habe, der Betroffene versicherte hingegen, er sei vom Frankfurter Abraham geschubst worden und unfreiwillig wie unverschuldet in die Handballszene geraten.
9
Im Zuge der Erfurter Blutdoping-Affäre rücken mehr und mehr die Radsportler in den Vordergrund. Die Ermittlungen der "Operation Aderlass" hatten bei der Nordischen Ski-Weltmeisterschaft im Februar in Seefeld/Tirol begonnen. Nach Auswertung der Ergebnisse der Razzia stehen nun Italiens ehemaliger Radsport-Sprintstar Alessandro Petacchi sowie drei weitere Profis im Verdacht, Kunden eines Blutdoping-Netzwerks um den Erfurter Arzt Mark S. gewesen zu sein. Wie der Rad-Weltverband UCI am Mittwoch mitteilte, wurden auf Grundlage von Informationen staatlicher Ermittlungen in Österreich neben Petacchi und dem ebenfalls nicht mehr aktive Borut Bozic (Slowenien) auch Kristijan Durasek (Kroatien) und Kristijan Koren (Slowenien) suspendiert. Durasek fährt aktuell im Team von UAE-Emirates bei der Kalifornien-Rundfahrt, Koren für Bahrain-Merida beim Giro d'Italia. Nach Aufdeckung des Blutdoping-Skandals am 27. Februar mit Razzien in Erfurt und Seefeld sind damit 15 der bislang offenbar 21 in die Affäre verwickelten Sportler namentlich bekannt geworden. Dazu gehören die Radsportler Georg Preidler, Stefan Denifl (beide Österreich) und der ehemalige deutsche Profi Danilo Hondo. Er hat gestanden, bei Mark S. Blutdoping praktiziert zu haben. Hinzu kommen sieben Skilangläufer, zu denen auch der österreichische Whistleblower Johannes Dürr zählt. Außerdem steht der frühere deutsche Eisschnellläufer und heutige Trainer Robert Lehmann-Dolle unter Verdacht, die verbotene Methode genutzt haben. Nach den Erkenntnissen der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft München sollen bislang 21 Athleten aus acht Ländern und insgesamt fünf Sportarten in den Fall verwickelt sein. Die Vorwürfe gegen Petacchi, 45, sind brisant. Noch am Dienstag bestritt er jegliche Beteiligung, über die zunächst die Tageszeitungen Corriere della Sera (Italien) und Le Monde (Frankreich) unter Berufungen auf Ermittlerkreise berichtet hatten. Seine abwehrenden Sätze stehen nun in einem völlig anderen Kontext. Petacchi, der 22 Giro-Etappen gewonnen hat und mittlerweile TV-Experte in seiner Heimat ist, verteidigte sich wie folgt: "Ich habe erfahren, dass dieser Mark S. ein Arzt bei Milram war, als ich dort gefahren bin. Vielleicht hat er sich um die deutschen Fahrer gekümmert. Ich bin aber nie in seine Praxis in Deutschland oder anderswo gegangen, hatte noch nie eine Bluttransfusion. Ich habe keine Ahnung, warum mein Name in der Datei auftaucht." Die UCI aber beruft sich auf österreichische Behörden. Bei Petacchi gehe es wie bei Koren und Bozic, der 2018 seine Laufbahn beendete, um den Gebrauch verbotener Methoden der Leistungssteigerung 2012 und 2013. Der Kroate Kristijan Durasek soll 2017 die Anti-Doping-Regularien verletzt haben.
9
Alexander Zverev hat mit großer Mühe wie in den vergangenen beiden Jahren die dritte Runde bei den Australian Open der Tennisprofis erreicht. Der Weltranglisten-Vierte aus Hamburg schlug den Franzosen Jérémy Chardy am Donnerstag in Melbourne 7:6 (7:5), 6:4, 5:7, 6:7 (6:8), 6:1. Dabei vergab Zverev schon im vierten Satz einen Matchball. Nächster Gegner an diesem Samstag ist der australische Außenseiter Alex Bolt. Der Weltranglisten-155. ist dank einer Wildcard dabei. Bei einem Sieg würde der 21-jährige Zverev erstmals das Achtelfinale in Australien erreichen. Ausgeschieden am vierten Turniertag sind dagegen Philipp Kohlschreiber, Maximilian Marterer und Laura Siegemund. Der dreimalige Achtelfinalist Kohlschreiber unterlag in einem hart umkämpften Match am Donnerstag dem Portugiesen João Sousa 5:7, 6:4, 6:7 (4:7), 7:5, 4:6. Kohlschreiber musste sich Sousa an einem schwül-heißen Tag nach 4:18 Stunden geschlagen geben. Ein Aufschlagverlust zum 1:2 im fünften Satz und eine verpasste Chance, zum 4:4 auszugleichen, brachten die Entscheidung. Zum Anfang des vierten Satzes war die Partie für mehr als eine Stunde wegen Regens unterbrochen, auch danach gab es immer wieder Pausen, weil es tröpfelte. Der Nürnberger Marterer unterlag mit 6:7 (8:10), 6:7 (8:10), 7:5, 4:6 gegen den an Nummer 28 gesetzten Franzosen Lucas Pouille. Der 23 Jahre alte Linkshänder bot über weite Strecken eine gute Leistung in der engen Partie, konnte aber in beiden Tiebreaks Satzbälle nicht nutzen. Bei den deutschen Frauen ist nur noch Kerber im Spiel Siegemund scheiterte als vorletzte der sechs deutschen Tennis-Frauen in der zweiten Runde. Nach dem 3:6, 4:6 gegen die Weltranglisten-27. Hsieh Su-Wei aus Taiwan ist nur Angelique Kerber in Melbourne in Runde drei dabei. Die Wimbledonsiegerin trifft am Freitag zur deutschen Vormittagszeit im letzten Spiel des Tages in der Rod-Laver-Arena auf die australische Außenseiterin Kimberly Birrell. Siegemund war über den verpassten Sprung in die dritte Runde zwar enttäuscht, aber insgesamt aufgeräumt. "Für mich ist das trotzdem ein großer Erfolg. Ich bin auch zufrieden, wie ich heute gespielt habe", sagte die Stuttgarterin. Nach einem 2017 erlittenen Kreuzbandriss versucht Siegemund seit ihrer Rückkehr, an alte Form anzuknüpfen. Derzeit ist die Schwäbin die Nummer 110 der Weltrangliste, dürfte aber einen Schritt nach vorn machen. Zwei Tage nach ihrem überraschenden Erfolg gegen die frühere Weltranglisten-Erste Victoria Asarenka aus Weißrussland konnte Siegemund nicht ganz an diese Leistung anknüpfen. Gegen die 33-jährige Hsieh, die sie bestens aus gemeinsamen Doppel-Auftritten kennt, lag Siegemund nach nur sieben Minuten schon 0:3 zurück. "Sie ist eine Spielerin, gegen die fühlst du dich nie wohl. Man kriegt fast nie einen Ball, der angenehm ist." Auch Petkovic scheidet im Doppel aus Gegen die sehr konstant agierende Asiatin machte die 30-Jährige zu viele Fehler, um es nach 2016 zum zweiten Mal unter die letzten 32 der Australian Open zu schaffen. Siegemund stemmte sich nach dem 2:5 im zweiten Satz zwar gegen das Aus, doch nach 1:33 Stunden musste sie sich der letztjährigen Achtelfinalistin geschlagen geben. Andrea Petkovic kehrte drei Tage nach ihrer Aufgabe im Einzel, als sie wegen starken Schwindels nicht weiterspielen konnte, auf den Platz zurück. Im Doppel schied die Darmstädterin an der Seite von Einzel-Olympiasiegerin Monica Puig aus Puerto Rico aber aus. Gegen Eri Hosumi aus Japan und Alicja Rosolska aus Polen hieß es 5:7, 4:6.
9
Allein die US-Fluglinie Southwest Airlines betreibt 34 Boeing 737 Max , die derzeit am Boden bleiben müssen. Außerdem hat sie mehr als 270 Jets der Serie bestellt. Nach zwei Abstürzen von Boeing-Maschinen des Flugzeugtyps 737 Max 8 in weniger als einem halben Jahr hat der US-Hersteller Probleme mit einer weiteren Software eingeräumt. Diese seien bei der Überarbeitung des umstrittenen Steuerungsprogramms MCAS festgestellt worden, stünden aber nicht in direktem Zusammenhang damit, teilte Boeing mit. Zuvor hatte die Washington Post berichtet, dass die US-Luftfahrtbehörde FAA das neue Problem beanstandet habe. Solange es nicht gelöst sei, werde das Startverbot für Boeing-Flieger der 737-Max-Serie nicht aufgehoben. Die Zeitung schreibt unter Berufung auf zwei mit der FAA-Untersuchung vertraute Quellen, dass das Problem als entscheidend für die Flugsicherheit eingestuft werde. Boeing bezeichnete es indes als "relativ geringfügige Angelegenheit", die zusammen mit dem MCAS-Update adressiert werde. "Wir haben bereits eine Lösung dafür in Arbeit", hieß es in der Stellungnahme des Konzerns. In den "kommenden Wochen" werde das Update so weit sein, dass es der FAA zur Zertifizierung vorgelegt werden könnte. Boeing verfolge einen "umfassenden, disziplinierten Ansatz, um es richtig zu machen". Vorstandschef Dennis Muilenburg hatte kurz zuvor so deutlich wie noch nie Probleme mit der Steuerungssoftware MCAS eingeräumt. Nach dem vorläufigen Ermittlungsbericht zum Absturz in Äthiopien scheine es so, als ob das Programm durch falsche Sensordaten unnötigerweise eingeschaltet worden sei, teilte Muilenburg mit. Damit wird die Theorie, dass ein Softwarefehler die Maschine Richtung Boden lenkte, von oberster Konzernstelle gestützt. Das dringend erwartete MCAS-Update werde sicherstellen, dass Unfälle wie in Äthiopien und Indonesien "nie wieder passieren", versicherte Boeing-Chef Muilenburg. Bislang hatte der Flugzeughersteller stets bestritten, dass die MCAS-Software ein Sicherheitsrisiko darstellt. Kurz vor Muilenburgs Stellungnahme hatte der Konzern aber bereits versprochen, Piloten künftig immer mit der Möglichkeit auszustatten, die Automatik auszuschalten und zur manuellen Kontrolle zu wechseln. Das eigens für die spritsparende Max-Neuauflage von Boeings 737-Serie entwickelte MCAS-Programm soll eigentlich dafür sorgen, in bestimmten Flugsituationen - wie bei einem zu steilen Aufstieg des Jets - automatisch den Flugwinkel zu korrigieren. Doch die bisherigen Unfallberichte deuten darauf hin, dass das System bei den Abstürzen durch falsche Sensordaten fälschlicherweise aktiviert wurde - mit fatalen Folgen. Beim Crash der Lion-Air-Maschine in Indonesien Ende Oktober soll der Bordcomputer die Nase der Boeing 737 Max 8 wegen der MCAS-Fehlfunktion automatisch immer wieder nach unten gedrückt haben, während die Crew gegenzusteuern versuchte. Ein ähnliches Szenario gilt inzwischen auch beim Ethiopian-Airlines-Absturz am 10. März als wahrscheinlich. Insgesamt starben bei den Unglücken 346 Menschen.
11
Der Zuspruch für Rechtspopulisten hängt auch mit Sozialpolitik zusammen. Deshalb bemühen SPD und Union vor den Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern das Thema "Lebensleistung". Falls es noch jemanden geben sollte, der nicht verstanden hat, für wen Hubertus Heil die Grundrente einführen will, dem hilft der SPD-Sozialminister auf die Sprünge, indem er ein paar Namen vorschlägt: "Respekt-Rente", etwa, oder "Gerechtigkeitsrente". Denn je näher der Herbst rückt, in dem die Menschen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landesparlamente wählen, desto häufiger bemühen SPD und Union das Thema "Lebensleistung". Die Wertschätzung für ein Arbeitsleben, das durch die Wende in zwei Teile zerbrochen ist - sie erscheint ihnen als Weg zum Wahlerfolg. Oder besser: als Hoffnung im Kampf gegen die AfD. Der Zuspruch für die Rechtspopulisten hängt schließlich auch mit Sozialpolitik zusammen, das zeigte die Bundestagswahl. Im Westen schien die AfD vor allem dort zu punkten, wo Wähler unterdurchschnittlich verdienen oder in der Industrie arbeiten. Im Osten war sie besonders auf dem Land stark, wo junge Menschen abwandern und wo die, die zurückbleiben, ökonomisch den Anschluss verlieren könnten. Hubertus Heil will mit seiner Grundrente nun all jenen Bürgern unter die Arme greifen, die 35 Jahre lang gearbeitet haben, aber dabei stets nur wenig Geld verdient haben. Sie sollen einen Zuschlag zur Rente bekommen. Auch Kindererziehung und Pflegezeiten sollen hier einberechnet werden. Laut seinem Konzeptpapier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, sollen drei bis vier Millionen Menschen von der neuen Grundrente profitieren. Und zwar nicht nur neue Rentner, sondern auch diejenigen, die schon heute im Alter von einem schmalen Einkommen leben müssen. Welche Bürger für die neue Grundrente in Frage kommen, möchte Heil in Zukunft außerdem anhand der Rentenpunkte berechnen. Ein Gang zum Sozialamt würde für die alten Leute damit wegfallen, genauso wie die Offenlegung ihres Einkommens. Diese Hürde hatte bislang dazu geführt, dass einige Rentner gar keine aufstockende Grundsicherung in Anspruch genommen hatten. Nach 35 Arbeitsjahren zum Sozialamt zu gehen - das fühlt sich schließlich nicht gerade nach "Lebensleistung" an. Dieses schlechte Gefühl möchte Heil den Menschen von nun an ersparen. Dafür legt er sich mit der Union an. Wählerwirksam, natürlich. Rente, Armut, Arbeitslosigkeit: Auch die AfD setzt im gerade anlaufenden Ost-Wahlkampf nicht mehr nur auf Ressentiments gegen Fremde, sondern zunehmend auch auf soziale Themen. Für die etablierten Parteien ist das eine Chance: das bessere Angebot zu machen.
11
Als Heinz-Christian Strache am Samstag seinen Rücktritt bekannt gab, tat er alles, um den Eindruck zu erwecken, weder er noch die FPÖ hätten ernst gemeint, was er der angeblichen russischen Investorin alles versprochen hatte. Es sei eine "b'soffne G'schicht" gewesen, er habe die attraktive Russin beeindrucken wollen, kurzum: er habe dummes Zeug geredet. Es habe auch keinen weiteren Kontakt zu der angeblichen Investorin gegeben, schrieben Strache und sein FPÖ-Freund Johann Gudenus, der ebenfalls in der Villa dabei war, in einer WhatsApp-Nachricht an die SZ. Nach Recherchen von SZ und Spiegel sind die Absprachen etwa um den Kauf der Kronen-Zeitung und das Zuschanzen von Staatsaufträgen keineswegs nur an diesem einen Abend besprochen worden. Im Gegenteil: der zurückgetretene FPÖ-Funktionär Gudenus - Straches engster politischer Verbündeter - hatte offenbar monatelang Kontakt zu der vermeintlichen russischen Investorin und deren Umfeld. Das Thema wurde in dieser Zeit entwickelt und Strache war offenbar auch gebrieft - wie sonst hätte er beim Treffen in Ibiza einleitend fragen können, was in dieser Sache "schon vorangeschritten" sei? Zudem gab es selbst nach dem Abend in der Ibiza-Villa noch weitere Treffen zwischen Gudenus und dem Vertrauten der angeblichen Russin, der auf dem Video meist neben ihr sitzt. Das belegen Audioaufnahmen von Treffen, die offenbar in Wien stattfanden, und SZ und Spiegel vorliegen. Auf Anfrage äußerte sich Gudenus bis Sonntagnachmittag nicht dazu. Bei einem der Nachtreffen Ende August sprechen Gudenus und der Mann darüber, dass Ibiza nicht so lief wie erhofft. "Sie war relativ angepisst", sagt der Vertraute über die angebliche Investorin, aber jetzt gehe es darum, weiterzumachen, "raus aus der Bunkermentalität". Bei den Treffen ging es erneut um mögliche Deals zwischen den beiden Seiten. Der Mann, auch er ein mutmaßlicher Lockvogel, sagte, die Russin brauche eine "Geste des guten Willens". Gudenus und Strache sollten ihr "Zuversicht geben hinsichtlich dieser Strabag-Geschichte, was da auf Ibiza diskutiert wurde". Die vermeintliche Russin könnte noch immer, so bekräftigte ihr angeblicher Vertrauter, versuchen, "euch [im Wahlkampf] nach Möglichkeit auf Platz eins zu pushen, um dann halt nachher die besten Freunde zu haben, die man haben kann." Sein Vorschlag, die Geste: Die FPÖ solle am 4. September 2017, wenige Tage nach einem der beiden Treffen in Wien - eine ganz bestimmte Pressemitteilung auf dem Nachrichtenportal OTS veröffentlichen. Gudenus, den Strache immer "Joschi" nennt, ist einverstanden: "ja eehhh". Bei einem kleinen Braunen - einem Espresso mit Milch - einigen die beiden sich darauf, dass der liberale Mäzen und Miteigentümer der Baufirma Strabag, Hans Peter Haselsteiner Gegenstand der Pressemitteilung sein soll. Über ihn sagt Strache ein paar Wochen zuvor in der Ibiza-Villa: "Den Haselsteiner will ich nicht mehr." Der angeblichen Oligarchen-Nichte verspricht er, ihr alle Staatsaufträge zuzuschanzen, die bisher die Strabag bekommen habe - deren Anteilseigner Haselsteiner ist. Und Gudenus sagt zu. Am 4. September schickt Gudenus von seiner offiziellen E-Mail-Adresse bei der FPÖ tatsächlich eine E-Mail an den Vertrauten der Russin. In diese E-Mail - die SZ und Spiegel ebenfalls vorliegt - ist die versprochene Meldung über Unternehmer Haselsteiner hineinkopiert, samt Link zum OTS-Presseportal. Haselsteiner solle seine Politnetzwerke offenlegen, heißt es in der Meldung, die immer noch abrufbar ist. Bei einem zweiten mitgeschnittenen Treffen Ende August wurde sogar die Möglichkeit einer weiteren Zusammenkunft mit der Frau diskutiert. "In Moskau oder London oder so", sagte Gudenus, das sei "kein Problem". Dazu kam es letztendlich offenbar nicht. Mehr Geschichten aus und zu Österreich jeden Freitag im Österreich-Newsletter. Alle Infos und kostenlose Anmeldung: sz.de/oesterreich
7
Vor dem bislang vielfältigsten US-Parlament spricht der Mann, der Frauen mit Gebäuden vergleicht, sich mit Übergriffen brüstet, Transmenschen verspottet und verächtlich mit jeder Form von Vielfalt umgeht: Donald Trump. Der US-Präsident hält seine Rede zur Lage der Nation. Er trägt ein schwarzes Jackett und eine schief hängende rote Krawatte. Hinter ihm sitzt erstmals die Demokratin Nancy Pelosi als Sprecherin des Repräsentantenhauses. Sie trägt weiß. So wie viele weitere Abgeordnete. Als Trump davon spricht, dass mehr Frauen denn je arbeiten und mehr denn je im Kongress sitzen, springen die Demokratinnen auf und jubeln. Eine Party weiß gekleideter Menschen unterbricht die State of the Union. Die anderen Kongressabgeordneten stimmen in den Jubel ein. Sie zeigen Solidarität - aber nur verspätet, als Reaktion. Sie haben die Chance verpasst, von sich aus solidarisch aufzutreten: die Chance des weißen Outfits. Damit hätten sie zeigen können, dass hier nicht nur eine bestimmte Gruppe betroffen ist, sondern alle, die an Chancengleichheit und Grundrechte glauben. Dass stattdessen nur wenige weiß tragen, verdeutlicht eine Ab- und Ausgrenzung, die es gar nicht mehr geben dürfte. Weiß - das symbolisiert den Kampf für das Frauenwahlrecht und die politische Gleichstellung der Geschlechter. Die Demokratinnen im Kongress haben ihren Erfolg gefeiert, aber sie erinnern auch daran, was noch falsch läuft. Indem sie sich zwischen dunklen Anzügen deutlich abheben, machen die Abgeordneten bildstark darauf aufmerksam, wie viele sie sind - oder eher: wie wenige immer noch. Der Frauenanteil in Senat und Repräsentantenhaus ist historisch hoch, aber mit 22 Prozent noch weit von Parität entfernt. Die Diskussion um Parität in Parlamenten, die gerade auch in Deutschland hitzig geführt wird, ist von einem Frauen-versus-Männer-Narrativ geprägt. Dabei sollte es nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander gehen. Vielfalt ist für alle wichtig. Es geht darum, wie alle gemeinsam es schaffen, die Gesellschaft adäquat abzubilden als Grundlage für den politischen Prozess. In diesem Prozess gibt es zu Recht Meinungsverschiedenheiten - um sie sollte es gehen, nicht ums Geschlecht. Die binäre Vorstellung der zwei Geschlechter gilt vielen Menschen als nicht mehr zeitgemäß. Und selbst wer sich eindeutig als Mann oder Frau identifiziert, wird nicht darauf reduziert werden wollen. Die sogenannten Suffragetten in Großbritannien und den USA trugen grün-violett-weiße Schärpen: Grün stand für Hoffnung, Violett für Loyalität und Würde und Weiß für Reinheit und Ehrenhaftigkeit. Unter deutschen Frauenrechtlerinnen waren die Schärpen nicht üblich. Doch für sie waren weiße Kragen ein Symbol der bislang Männern vorbehaltenen Macht. Auch deshalb trugen die ersten Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung 1919 bei ihrem Einstand weiß. An sie erinnerten die SPD-Bundestagsabgeordneten mit weißer Kleidung bei einer Feierstunde zum 100. Jubiläum des Frauenwahlrechts. Die Sozialdemokratinnen zeigten eine Spaltung zwischen Geschlechtern und Parteien bei einem Thema auf, das nicht spalten, sondern vereinen sollte - genau wie die US-Demokratinnen. Beim nächsten Anlass, egal ob in Washington, Berlin oder anderswo, sollten keine weißen Flecken zu sehen sein, sondern eine breite weiße Front - bestehend aus Frauen, Männern und Diversen jeder politischen Ausrichtung. Sie sollten sich nicht auf weiße Kragen beschränken, die zusammen mit dunklen Anzügen und Krawatten noch heute Uniform der Macht sind. Sondern eben auch weiße Blazer, Pullover, Umhänge, Hüte oder Federboas - egal was. Hauptsache es zeigt: An dieser historischen Wende arbeiten wir zusammen.
7
Das Bundesverkehrsministerium setzt die weiteren Beratungen seiner Klimaschutz-Kommission über ein Tempolimit und höhere Spritsteuern aus. Die für Mittwoch geplante Sitzung des Gremiums werde abgesagt, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. "Die Arbeit der Arbeitsgruppe 1 der ,Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität' ist uns sehr wichtig und sollte unbeachtet der medialen Berichterstattung fortgesetzt werden", heißt es in einer E-Mail an die Teilnehmer. Um eine Koordinierung der Arbeitsgruppen zu erreichen, müsse man den Termin verschieben. Ein neuer werde demnächst bekannt gegeben. Erste Überlegungen dieser Kommission zu höheren Spritsteuern, einem Tempolimit oder einer Quote für Elektro-Autos sorgten in den vergangenen Tagen für Wirbel. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte die Ideensammlung der Experten schroff zurückgewiesen und von völlig überzogenen, realitätsfernen Gedankenspielen gesprochen. Sie seien "gegen jeden Menschenverstand" gerichtet: "Forderungen, die Zorn, Verärgerung, Belastungen auslösen oder unseren Wohlstand gefährden, werden nicht Realität und lehne ich ab", sagte Scheuer. Umweltschützer und Opposition kritisierten die Absage. "Die Verkehrsexperten so abzuwatschen, die man selber berufen hat, ist schon einmalig", sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. "Das riecht nach Bestrafung von Vorschlägen, die einem selber nicht gefallen." Das Umweltministerium hatte nach Angaben aus Regierungskreisen noch auf höchster Ebene versucht, das Treffen doch stattfinden zu lassen, sei aber mit einem Vorstoß gescheitert, hieß es. Die Zeit für die Arbeitsgruppe drängt. Sie soll bereits in den nächsten Wochen zu Ergebnissen kommen. Die Kommission, die unter anderem mit Vertretern von IG Metall, dem ADAC, der Autoindustrie, Bahn und Umweltverbänden besteht, arbeitet an Vorschlägen, wie der Verkehrsbereich zu mehr Klimaschutz beitragen kann. Hintergrund sind die strengen Klimaschutz-Ziele der Bundesregierung bis 2030. Der Verkehrssektor soll seine Emissionen demnach gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent senken. Anders als die meisten anderen Sektoren hat der Verkehr bislang keinen Beitrag zur Minderung geleistet.
7
Nvidia-Chef Jen-Hsun Huang, hier bei einem Auftritt in Las Vegas, kann sich freuen: Sein Unternehmen setzte sich im Bieterverfahren gegen Wettbewerber wie Intel durch. Nvidia übernimmt den israelischen Hersteller Mellanox für mehrere Milliarden Dollar. Über die Gründe wird spekuliert. Fest steht, dass von dem Kauf nicht nur Nvidia profitiert. Er hatte hoch gepokert und diesmal gewonnen: Eyal Waldman, Vorstandsvorsitzender und Ko-Gründer von Mellanox. In den vergangenen Monaten war eine Bieterschlacht um sein bis dahin nur Insidern bekanntes israelisches Unternehmen entbrannt, für das sich die Branchengrößen interessierten: Intel, Microsoft und Xilinx sollen für den Datencenter-Spezialisten geboten haben. Den Zuschlag bekam schließlich Nvidia, einer der größten Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen für Computer und Spielkonsolen. Das US-Unternehmen ist bereit, 6,9 Milliarden US-Dollar in bar für das israelische Unternehmen hinzulegen. Möglichst bis Jahresende soll der Abschluss des Geschäfts besiegelt sein. Die Aktien von Mellanox, das an der US-Technologiebörse Nasdaq gelistet ist, gingen nach der Bekanntgabe des Verkaufs vergangene Woche um acht Prozent hoch, Nvidia-Aktien verteuerten sich um knapp sieben Prozent. Seitdem über eine Übernahme spekuliert wird, waren die Aktien auf Höhenflug. Seit Oktober haben die Mellanox-Anteile um 66 Prozent zugelegt. In diesem Jahr kamen weitere 18 Prozent dazu. Mellanox ist der weltweit größte Hersteller von Verbindungen wie Infiniband sowie Ethernet für Server, also Netzwerkhardware vom Chip bis zum Switch, um einzelne Knoten miteinander verknüpfen zu können. Das Unternehmen mit rund 2700 Mitarbeitern hat seinen Sitz in Yokenam im Norden Israels und im kalifornischen Sunnyvale. Die von Mellanox entwickelte Technologie ist entscheidend beim Transfer von Informationen von einer Komponente zur anderen - innerhalb des Computers und innerhalb von Geräten. Die Schnelligkeit, mit der die Computerchips Daten übertragen, ist besonders wichtig für Unternehmen, deren Geschäft Cloud-Computing ist. Auch innerhalb von Computernetzwerken ist die Bewältigung der zunehmenden Flut von Daten wichtig. Im Supercomputer-Segment geht ohne Mellanox fast nichts Was vielen nicht bekannt ist: Systeme von Dell, HPE, IBM und Lenovo basieren auf Mellanox-Bestandteilen. Gerade im Supercomputer-Segment geht ohne Mellanox fast nichts, Ethernet und Infiniband sind der vorherrschende Standard. Warum sich das US-Unternehmen Nvidia so stark ins Zeug legte, um die israelische Konkurrenz zu erwerben, darüber wird nun munter spekuliert. Laut offizieller Mitteilung will Nvidia den Datencenter-Bereich stärken, zumal die Gaming-Abteilung zuletzt massiv an Umsatz und Gewinn eingebüßt hat. Auch wenn der Spiele-Bereich noch immer den größten Umsatz beiträgt, so versuchen sich die Kalifornier zu diversifizieren. Sie verkaufen nun auch GPU-basierte Beschleuniger für Tesla-Fahrzeuge. Mit Mellanox könnte Nvidia versuchen, vor allem im chinesischen Markt der Datenzentren weiter Fuß zu fassen. Denn zu den großen Kunden von Nvidia gehört unter anderem Alibaba. Für den 58-jährigen Israeli Waldman war der Abschluss der Verhandlungen mit Nvidia ein besonders freudiger Tag, denn vor 18 Jahren hatte er zu früh aufgegeben und eine riesige Chance in seiner Karriere verpasst. Waldman hatte anders als die meisten Gründer in Israels Start-up-Szene nicht bei der legendären 8200-Aufklärungseinheit der Armee gedient, sondern bei der Infanterie. Danach absolvierte er zuerst ein Chemiestudium am Technion in Haifa, sattelte dann aber rasch auf Computerwissenschaften um. 1989 begann er beim amerikanischen Halbleiterhersteller Intel, der seit Jahren in Israel massiv investiert und hier auch eine Fabrik betreibt. Mitgründer Waldman war zweimal kurz davor, sein Unternehmen zu verlassen Nach vier Jahren wechselte Waldman als Vizepräsident zum Start-up Galileo. Im Streit mit dem Gründer Avigdor Willenz verließ er die Halbleiterfirma - kurz bevor diese im Oktober 2000 an Intel für 2,7 Milliarden Dollar verkauft wurde. Im Sommer 2017 bekam dann er ein Angebot von Intel, Mellanox für 2,3 Milliarden US-Dollar zukaufen. Aber so billig wollte Waldman seine Firma nicht hergeben. Eine Bieterschlacht entstand um sein Unternehmen. Im Vorjahr erhöhte dann Intel auf kolportierte sechs Milliarden Dollar - Nvidia bot aber mehr. Somit zog Intel diesmal den Kürzeren. Das US-Unternehmen hatte 2017 bereits das auf Fahrerassistenzsysteme spezialisierte Unternehmen Mobileye gekauft. Der Preis von 15,3 Milliarden Dollar war der höchste, der jemals in Israel für eine Firmenübernahme gezahlt wurde. Die Übernahme von Mellanox durch Nvidia für 6,9 Milliarden US-Dollar liegt nun auf Platz zwei im High-Tech-Bereich. Vor zwanzig Jahren hatte Waldman mit drei Freunden aus seinen Intel-Zeiten Mellanox gegründet. Inzwischen ist nur noch einer an Bord, Michael Kagan. Das Unternehmen ist eines der wenigen in Israel, das auch Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen beschäftigt. Auch Waldman selbst war zumindest zwei Mal versucht, das Unternehmen zu verlassen. Als die Dotcom-Blase zerbarst, forderte einer der beteiligten Venture- Kapitalfonds, dass die Hälfte der Belegschaft gefeuert werden müsste. In einem erbitterten Machtkampf setzte sich Waldman durch mit seinem Ansatz, dass man in einer Krise sogar noch mehr in Forschung und Entwicklung investieren müsse. Zum zweiten großen Machtkampf mit einem Investor kam es, als der US-Fonds Starboard einstieg. Der in New York sitzende Hedgefonds hatte 10,7 Prozent der Aktien im November 2017 gekauft. Kurz nach dem Einstieg begann der Investor eine Kampagne gegen die Führung von Mellanox, vor allem Vorwürfe von Missmanagement wurden erhoben. Waldman war auch direkt Ziel von Angriffen: Er gebe zu viel für Forschung und Entwicklung aus, wurde ihm vorgehalten. Es gab sogar eine Auseinandersetzung vor Gericht, die im Juni 2018 zu zwei juristischen Vereinbarungen führten und dazu, dass Starboard seinen Anteil auf 5,8 Prozent reduzierte. Aber das Halten der Anteile hat sich für den Investor gelohnt. Starboard ist zu einem Preis von 47 US-Dollar pro Aktie eingestiegen, Nvidia bietet nun 125 Dollar. Starboard hat damals insgesamt 250 Millionen Dollar hingelegt. Nun bekommt der Hedgefonds 370 Millionen US-Dollar retour. So hat auch Waldmans größter Widersacher durch die Übernahme gewonnen.
11
Der Duft von Erdnuss-Satay zieht von links durch die Luft, von rechts weht eine Brise geröstete Soja-Ente heran, und der frische Koriander steigt aus der Suppenschale in die Nase. Der intensive Mix aus exotischen Düften wird im Hawker Center unweit des Rochor Canal in Singapur akustisch untermalt von einem Konzert asiatischer Sprachen und dem eckigen Klang des indischen Englisch. Hier kommt vieles zusammen, was den Charakter der Millionenmetropole am Äquator ausmacht: ihre Ethnien, wohlhabende Menschen, arme Schlucker, ihre Esskulturen. Besucher haben eine große Auswahl an örtlichen Spezialitäten. Für die Stadt sind diese traditionellen Imbissmeilen, die es zu Hunderten gibt, elementarer Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts. In den Erdgeschossen spielt sich das öffentliche Leben ab. Das fördert den Zusammenhalt Im Hawker treffen Menschen aus allen Teilen des Lebens aufeinander, um ihre Lieblingsgerichte gegen kleines Geld an einem der unprätentiösen Kunststofftische zu genießen. Weil Kunden einfach dort Platz nehmen, wo etwas frei ist, sitzt Reich neben Arm, Alt neben Jung, Ostasiate neben Südasiate. Singapurs Vize-Premierminister Tharman Shanmugaratnam stellte die Bedeutung der Center für die Stadt bei einer Konferenz der Denkfabrik The Brookings Institution in Washington so heraus: "Einzelne Inhaber, die die kleinen Stände betreiben, und jeder isst dort: verschiedene ethnische Gruppen, verschiedene soziale Gruppen. Das ist das Geheimrezept Singapurs, die Nachbarschaften." Es ist ein Rezept für den Kitt, der eine Metropole zusammenhalten muss, in der Chinesen, Tamilen, Malaien sowie Anzugträger aus aller Herren Länder auf engem Raum zusammenleben. Die Einwohnerzahl von Singapur hat sich in den vergangenen 60 Jahren enorm vergrößert: von weniger als eine Million Menschen in den 50er-Jahren bis auf fast sechs Millionen. Der Bevölkerungszuwachs stellt eine besondere Herausforderung dar. Dem Stadtstaat ist es aber gelungen, diese ohne bemerkenswerte soziale oder ethnische Spannungen zu meistern. "Wie ist dieser Erfolg zu erklären, der anderen großen Städten vorenthalten blieb?", fragt Abhas Jha von der Weltbank, der sich mit der Finanzierung und dem Risikomanagement im Städtebau beschäftigt. Jha lebt seit 2015 in der Stadt und ist fasziniert "von den Sachkenntnissen und der Voraussicht im Wohnungsbau Singapurs". Er weiß um die Herausforderungen, mit denen die Entwickler anderswo auf der Welt nicht klargekommen sind. "Schlecht gestalteter öffentlicher Wohnungsbau wie in New York oder Paris resultierte darin, dass man Ghettos der Armut schaffte, die Ungleichheiten und soziale Unruhen intensiviert und verstärkt haben." Singapur blieben diese negativen Effekte erspart. Es wird oft gerätselt, weshalb das so ist, und ob das Modell Singapurs auf andere Metropolen übertragbar ist. Jha glaubt, dass es das ist. Es müsse nur konsequent verfolgt werden. Andere zweifeln daran, weil der Stadtstaat trotz einer äußerlich demokratischen Struktur autoritäre Züge aufweise und die Behörden entsprechend kompromisslos ihre Wohnungspolitik umsetzen könnten. Beispielsweise liegen Verkaufspreise für Neubauten unterhalb ihres Marktwerts. Die Größe einer Familie hängt davon ab, wie groß ihr Apartment sein darf. Alleinstehende müssen ein Mindestalter erreichen, um überhaupt kaufen zu können. Die Grundprinzipien des sozialen Wohnungsbaus in Singapur bestehen einerseits aus einer gezielten Entwicklung von örtlicher Infrastruktur. Die Wohnanlagen sind gut angebunden an den öffentlichen Nahverkehr, sodass auch Arbeitsplätze, die weiter entfernt liegen, für die Bewohner vergleichsweise gut erreichbar sind. In Gehweite bieten die Anlagen hingegen meist alles, was einer Familie das Leben erleichtert: Schulen, Kindergärten, medizinische Versorgung, Einkaufsmöglichkeiten und Naherholung. Oft sind die Erdgeschosse der Hochhäuser für den öffentlichen Nutzen vorgesehen; statt Wohnungen befinden sich dort Begegnungsstätten, Freizeiteinrichtungen oder Parzellen für Händler und Dienstleister. So entstehen innerhalb der einzelnen Bezirke eigenständige Gemeinschaften, in denen sich Menschen immer wieder begegnen können und in denen ihre soziale Bindung gestärkt wird. Mehr als 80 Prozent aller Einwohner Singapurs leben in einem Gebäude, das dem sozialen Wohnungsbau entstammt. Der nächste Park ist oft nur zehn Gehminuten entfernt Wer hingegen in einem der privaten Wohnblocks lebt, für den ist der Zugang zu Bussen und Bahnen komplizierter. Wegen ihrer größeren Exklusivität sind die Grundstücke häufig etwas abgeschieden. Die Immobilienentwickler gehen zudem davon aus, dass Käufer eines dieser Apartments so viel Geld besitzen, dass sie sich auch ein Auto leisten können und deswegen nicht auf andere Transportmittel angewiesen sind. Spielplätze, Parks und Spazierwege sind ein anderer unverzichtbarer Baustein der Nachbarschaften. Acht von zehn Haushalten der Metropole können einen Park in einer Entfernung von maximal zehn Minuten Fußweg erreichen, etwa 400 Meter Distanz. Bis 2030 sollen es neun von zehn Haushalten sein. "Das sind Räume, die Lebensqualität bedeuten und die nicht weit weg von deinem Zuhause sind, ganz gleich, welcher sozialen Klasse du angehörst", schwärmte Politiker Shanmugaratnam. Um Kompetenzstreit vorzubeugen, hat die verantwortliche Behörde HDB die Autorität über die Entwicklung neuer öffentlicher Bauprojekte dezentralisiert. Die Stadt ist in 16 Bezirke geteilt, die selbständig entscheiden, wie die Anlagen gebaut und verwaltet werden. Anwohner können aktiv in die Planungen eingreifen und mitentscheiden. Das Prinzip dabei: Die Bewohner eines Bezirks wissen am besten, was gut für sie ist. Die Bezirke sind auch dafür verantwortlich, dass sich keine ethnischen Ghettos bilden. Beim Verkauf von Wohnungen achten die Behörden darauf, dass alle Ethnien gleichermaßen zum Zuge kommen, nicht penibel genau nach Quoten, aber so konsequent, dass sich keine Gruppe völlig abschotten kann. So entzieht die Verwaltung drohendem Rassenhass den Nährboden. Die Regierung legt zudem Wert darauf, dass die Wohnanlagen keine hässlichen Bauten sind. International angesehene Architekturbüros treten bei den Ausschreibungen gegeneinander an. Einer der spektakulärsten Wohnkomplexe ist The Interlace des deutschen Architekten Ole Scheeren. Die Anlage ist ebenfalls unter dem Schirm des öffentlichen Wohnungsbaus entstanden. 2015 wurde es beim angesehenen World Architecture Festival in Barcelona zum Gebäude des Jahres gekürt.
3
Die Stadt wählt liberal - Zeichen für eine Wende in Polen ist das aber nicht. Aleksandra Dulkiewicz hat bei ihrer Wahl zur Danziger Oberbürgermeisterin einen überwältigenden Vertrauensvorschuss bekommen - zweieinhalb Monate nach dem Mord an Paweł Adamowicz, der die Stadt zwei Jahrzehnte lang geführt hatte. Vier Fünftel der Danziger stimmten für Dulkiewicz, die als politische Erbin ihres Vorgängers antrat. Das Votum ist auch eine Absage an den nationalistisch-populistischen Stil der polnischen Regierung. Allerdings sollte man sich keine Hoffnungen auf eine politische Wende in Polen machen. Das Ergebnis ist kein Vorzeichen für die anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament, zum polnischen Parlament und schließlich für die Präsidentenwahl. Denn das Phänomen Dulkiewicz wird sich auf Danzig beschränken, eine Stadt, die sich ausdrücklich als liberal und weltoffen versteht. Auf nationaler Ebene werden im polnischen Wahljahr andere Themen bedeutsam: Ob die geteilte Opposition zugkräftige Ideen vorstellt und zu einem schlagkräftigen Bündnis zusammenfindet. Ob die antidemokratischen Manöver und immer deutlichere Korruption im Regierungslager die Polen empören wird. Oder ob der populistische Stimmenkauf, zum Beispiel durch ein ausgeweitetes Kindergeld, verfängt und so die Zukunft des Landes entscheiden wird.
7
Eine der vielsagendsten der tausend Zahlen, die von den statistikbesessenen Amerikanern im Vorfeld des Super Bowl verbreitet wurden, war jene, dass mehr als eine Million Arbeitnehmer am Tag nach dem Mega-Ereignis nicht arbeiten gehen. Das Ereignis elektrisiert ein Mal im Jahr das ganze Land, die USA sind von der Ost- bis zur Westküste so sehr vom weltgrößten Einzelsport-Event fasziniert, dass selbst der Broterwerb in den Hintergrund rückt. Seit Tagen befand sich Atlanta im Ausnahmezustand: 1,5 Millionen Menschen - so die Schätzung - machten sich auf in die Gastgeberstadt des Super Bowl. Dabei kamen lediglich 70 000 in den Genuss, das Spiel live im Stadion verfolgen zu dürfen. Für die, die sich Downtown durch die Straßen schoben, konnte das Spektakel gar nicht laut, grell, bunt und überbordend genug sein. Tausende freiwillige Helfer wiesen den glücklichen Kartenbesitzern den Weg zum gigantischen Stadion, das im August 2017 seiner Bestimmung übergeben wurde und als modernste Sportarena der USA gilt. Dutzende Laienprediger teilten den vorbeihastenden Menschen mit, dass nur der Glaube den Weg weise und Jesus nie lüge. Auf dem Boden lagen T-Shirts, auf denen vor allem der Anführer der vielfach verhassten New England Patriots verunglimpft wurde. "Tom Brady sucks" und "Tom Fuckin Brady". An einer Rolltreppe sprang eine junge Dame wie ein Flummi auf und ab und schrie die Botschaft heraus: "Have fun, guys, have fun." Weiter unten versuchte eine Blaskapelle, sich Gehör zu verschafen. Die Geräuschkulisse war ohrenbetäubend. Ein echtes Problem für die NFL? Die überwiegende Mehrheit der Fans bekannte sich zu den Patrioten aus Neuengland, Trikots der Los Angeles Rams waren überraschend wenig zu sehen, die Anhänger des Teams aus Kalifornien kaum zu hören. Es gab ja auch keinen Grund für sie, vor Begeisterung zu schreien. Eher, vor Entsetzen zu stöhnen - angesichts einer Leistung, die eines Finalisten nicht würdig war. Die Mannschaft von Trainer Sean McVay und Quarterback Jared Goff erwischte einen düsteren Abend, wie es ihn in der 53-jährigen Geschichte des Super Bowl noch nicht gegeben hat. Am Ende stand eine 3:13-Niederlage, mit der die Rams neue Negativrekorde aufstellten: Keinen einzigen Punkt in der ersten Hälfte, ein Fieldgoal in der zweiten, keinen Touchdown im ganzen Spiel - blamabler hätte die Vorstellung kaum ausfallen können. "Es tut mir weh", klagte Quarterback Jared Goff: "Es ist unser Job, Punkte zu erzielen, und den haben wir nicht erledigt." Auch Rams-Trainer Sean McVay gab sich sehr selbstkritisch: "Ich habe uns keine Chance gegeben, heute zu gewinnen. Ich weiß nicht, wie man jemals darüber hinwegkommen sollte. Ich wurde heute definitiv outcoached." Überhaupt war der Super Bowl keine Veranstaltung, die das riesige Bohei im Vorfeld auch nur ansatzweise rechtfertigen konnte: 21 Punkte beim Super Bowl Nummer VII und 22 beim Super Bowl Nummer IX, das waren bislang die Tiefstwerte, die nun mit 16 Punkten locker unterboten wurden. Es gab noch sechs weitere Negativrekorde zu vermelden bei einem Event, das während des Matches kaum Adrenalin freisetzte. Terence Moore aus Atlanta, der in den Vereinigten Staaten zu den profiliertesten Sportjournalisten gehört, fand drastische Worte zum faden Spiel. Dies sei "der mit Abstand langweiligste Super Bowl überhaupt" gewesen, sagte Moore und verzog sein Gesicht: "Das war echt brutal, wenn es solche Spiele öfter gibt, hat die NFL ein echtes Problem."
9
Ein letztes Mal schlug er beim Stand von 7:6, 5:2, 40:15 auf, der Ball flog hin und her. Ein Angriff mit der Vorhand. In die Defensive gedrängt, versuchte sich Borna Coric zu wehren, mit der Rückhand. Aber dann hatte der Oldie verloren. 22 ist der Kroate jung, doch im Vergleich zu seinem Gegner war er der klar ältere. Das Männertennis erfährt seit einiger Zeit ja eine Trend, der sich 2019 wie selbstverständlich fortsetzt: Aus allen Weltecken tauchen Talente auf, die den Übergang vom Junioren- zum Erwachsenenbereich schaffen. Der nächste Name, den sich die globale Tennisfamilie merken darf, lautet Felix Auger-Aliassime. Der Kanadier ist Jahrgang 2000 - 18 Jahre alt erst also. Bei einem Match in Wimbledon sahen ihm Vertreter fast aller großen Managementfirmen zu Bei den Miami Open, einem dieser riesigen neun Turniere der Masters-Serie, die die größten Events nach den vier Grand Slams bilden, steht er im Halbfinale. Als jüngster in der Turniergeschichte seit 35 Jahren. "Die Jugend hat aufgeschlagen", sagte treffend der Kommentator des Branchenkanals Tennis TV und führte aus, Auger-Aliassime zähle zwar zur nächsten Generation, die von der Männertour als "NextGen" vermarktet wird, aber er trete auf, als wolle er allen Zuschauern versichern: "Ihr müsste jetzt schon mit mir klar kommen!" Aus dem Nichts ist Auger-Aliassime freilich nicht aufgetaucht, er ist seit Jahren jemand, den Tennistrainer, Agenten, Reporter, Sponsorenfirmen und auch Offizielle des kanadischen Verbandes aufmerksam verfolgen. Der freundliche, respektvoll auftretende Auger-Aliassime war fast immer seinen Jugendjahrgängen voraus, in denen er noch hätte spielen können, er hat quasi mehrmals seine Klassen übersprungen. In Wimbledon bestritt er vor zwei Jahrem in der Juniorenkonkurrenz einmal ein Match auf den Außenplätzen, am Zaun entlang standen Vertreter im fast aller großen Managementfirmen, auch Max Eisenbud, der listige Berater von Maria Scharapowa, schaute zu. Einer, der Rekord auf Rekord bricht, weckt eben Erwartungen. Noch als Jugendlicher wurde Auger-Aliassime Profi. Das Talent hat er von Vater Sam, der aus Togo stammt und Tennislehrer ist. Auger-Aliassime ist nun der aktuell zweite Teenager, der in die Top 50 der Weltrangliste aufsteigt (vor dem Halbfinale gegen John Isner war ihm schoin Rang 33 sicher). Bei den Australian Open schied er noch in der zweiten Runde der Qualifikation aus, aber dann entfaltete er seine Schubkraft: In Rio, bei einem ATP-Turnier der 500er Kategorie (Masters-Turniere sind 1000er) erreichte er das Finale, das er gegen den Serben Laslo Djere verlor. In São Paulo stand er im Viertelfinale. 2019 beförderte schon fünf Kollegen aus den Top 20 aus dem Wettbewerb. Im sportbegeisterten Kanada ist die Euphorie groß, von einer "teen tennis sensation" schreibt der Toronto Star. "Alle sind super aufgeregt zu Hause", das bekam Auger-Aliassime in Florida mit, "es ist toll, all die guten Kommentare zu hören. Das gibt dem kanadischen Tennis viel Vertrauen." Er selbst ist im kanadischen Verbandszentrum in Montreal angedockt. Auger-Aliassime hat mit Roger Federer etwas gemeinsam: Beide haben am 8. August Geburtstag In der Tat ist es um Kanadas Perspektive gerade blendend bestellt: Der zweite Teenager in den Top 50 ist Denis Shapovalov, 19, der russische Eltern hat und in Tel Aviv geboren wurde, die Eltern zogen mit ihm, als er ein Baby war, nach Richmond Hill in Kanada. Shapovalov ist bislang gar der jüngste, der je bei einem Masters-Turniere im Halbfinale stand, 2017 in Auger-Aliassimes Geburtsstadt Montreal. Bei den Frauen ärgert die 18-jährige Bianca Andreescu neuerdings nicht nur Angelique Kerber auf dem Platz, sondern schoss ebenfalls hoch im Ranking, vor allem nach ihrem furiosen Titelgewinn in Indian Wells. Es passt zur neuen Generation im Tennis, dass Andreescus Stammbaum sich in andere Länder verzweigt; ihre Großeltern stammen aus Rumänien. Frances Tiafoe wiederum, der in Miami gegen Shapovalov um den Einzug in sein erstes Masters-Halbfinale kämpft, ist auch erst 21, seine Eltern immigrierten aus Sierro Leone in die USA. Die Lebensläufe vieler neuer Talente sind in jedem Fall interessant und spiegeln wieder, wie die Welt sich verändert. Der nächste Schritt, den die NextGen im Hier und Jetzt vor sich hat, ist das Mitmischen um Grand-Slam-Titel. Alexander Zverev, 21, der Hamburger mit den russischen Tenniseltern, hat mit drei Masters-Titeln und dem Triumph beim ATP-Finale in London vorgemacht, dass bei Wettbewerben im Best-of-three-Satzmodus die Macht der Branchenriesen wie Roger Federer, RafaelNadal und Novak Djokovic durchbrochen werden kann; bei Grand Slam sind drei Gewinnsätze nötig. Der Russe Karen Chatschanow, 22, besiegte beim Masters-Finale in Paris-Bercy auch Djokovic. Bei den Australian Open im Januar hatte Tiafoe das Viertelfinale erreicht, der Grieche Stefanos Tsitsipas, 20, hatte dort Federer besiegt und war erst im Halbfinale gescheitert. Die Einschläge der jungen Emporkömmlinge nehmen zu. Zum Gefallen von Federer, 37, der schwärmte: "Ich kann keinen herausheben. Es ist eine großartige Gruppe." Der Schweizer selbst hat im Übrigen zur Erstarkung der jungen Konkurrenz beigetragen, er trainiert immer wieder mal mit ihr. Im Winter stand er mit Auger-Aliassime in Dubai auf dem Platz, der später bei Radio Canada von dieser Erfahrung schwärmte: Federer ist, unabhängig seines Legendenrangs, vor allem ein sehr guter Mensch." "Zu sehen, was Felix in den letzten Wochen geschafft hat, ist unglaublich", gab Federer zurück, den eine Gemeinsamkeit mit Auger-Aliassime verbindet, trotz 19 Jahren Altersunterschied: Beide haben am 8. August Geburtstag, mit Sternzeichen Löwe. Ein Zufall, aber ein passender.
9
Auf der Männer-Modewoche in Mailand für Herbst 2019 zelebrieren die großen Häuser von Fendi bis Prada die Rückkehr des Gentleman. Für die labile Luxusindustrie avancieren die Herrenkollektionen zum Retter. Casino ist das Lieblingswort der Mailänder, wenn Modewoche ist in ihrer Stadt. Das Durcheinander aus Passanten, VIP-Autokolonnen, Polizisten mit roter Kelle - herrlich! Che casino, was für ein Chaos: Das ist bei Italienern nur scheinbar eine Klage und in Wahrheit Eigenlob. Wo es drunter und drüber geht, muss etwas Ultrawichtiges im Gange sein. Jeder noch so staugeplagte Augenzeuge ist irgendwie Teil der bedeutenden Vorkommnisse. Die ideale Dosis an bekömmlich gedrosselter Hysterie bietet die Männer-Fashion-Week. Es ist gut was los in der italienischen Modekapitale, der Verkehr zwischen Domplatz und Fondazione Prada stockt. Aber er steht nicht. Casino moderato. Die Januar-Messe "Milano Moda Uomo" ist diesmal ein Ausflug aus dem Eis in den Vorfrühling. Nördlich vom Brenner Schneestarre, während sich in der lombardischen Hauptstadt das Leben nach draußen in die Sonne verlagert. Alles bestens also, und sogar die Männermode gibt neuerdings Anlass zu Schlagzeilen, keine Selbstverständlichkeit in der frauenfixierten Branche. Vielversprechende Zuwächse im maskulinen Sektor, die Herrenkollektionen als Retter der labilen Luxusindustrie: So klangen zuletzt die Nachrichten, und die New York Times rief für Mailand die "Schlacht der Titanen" aus. Kampf um jeden Kunden, von Armani bis Zegna. Eine Schau im Bahnhof aus der Mussolini-Ära? Kein Problem, Hauptsache die Optik stimmt Was die Arenen des Wettkampfs betrifft, legt Ermenegildo Zegna am ersten Abend die Latte hoch und bittet in den monumentalen Zentralbahnhof. Eigentlich erstaunlich, dass der marmorstrotzende Hauptsaal noch nie als Kulisse einer Modenschau diente. An der Entstehungszeit während der Mussolini-Ära kann es schwer liegen, da ist man südlich der Alpen ja recht schmerzfrei. Designer Alessandro Sartori lässt seine Models über eine Treppe hinabsteigen wie die Soldateska im Filmklassiker "Panzerkreuzer Potemkin". In friedlicher Absicht natürlich. Ihm gehe es um Weltoffenheit und Aufnahmebereitschaft, sagt Sartori. Die Ankunftshalle als Melting Pot, das beschreibt auch die Kollektion ganz gut. Detailansicht öffnen Der Mann von heute ist immer im Bewegung: die finale Model-Runde bei Fendi. (Foto: Andreas Solaro/ AFP) Mit angedeuteten Reiterhosen aus Wolle, bis zum Knie mit Bändern umwickelt, Hoodies in Kuhfell-Optik und Kaschmir-Bomberjacken in Burgunderrot entwirft Sartori das Bild vom eleganten Großstadt-Trapper. Stets in Bewegung, für alles gerüstet und nie so richtig zu greifen. Ein Stil-Chamäleon. Die Konstante: Robuste Schuhe wie der Klassiker Cesare, den Sartori nur leicht variiert. Warum sich verkünsteln? Schließlich macht die Marke damit in absatzstarken Ländern wie den USA und China beste Geschäfte. Voraussagen für Trends, die sich kommenden Herbst und Winter auf der Straße durchsetzen werden, sind auch bei Männerschauen schwer zu treffen. Beerentöne und Blauschattierungen gab es viel zu sehen, auffallende Prints, Taillenbetontes und Materialien, die lange als feminin angesehen wurden: Teddystoff zum Beispiel oder fluffiger Mohair für voluminöse Mäntel. So einen wallenden Überwurf mit Leopardenmuster in, sagen wir, Märkisch Buchholz oder Traunreut zu tragen, ist für den Durchschnittsmann wohl noch schwer vorstellbar. Wenn beide Seiten das knospende Interesse an mehr Mode für den Mann ausschöpfen wollen, müssen sich Kunden und Designer bewegen: Ein paar sachte Anbahnungsteile in jeder (guten) Kollektion hier, etwas mehr Mut dort. Detailansicht öffnen So stellt sich Prada den modebewussten Gentleman vor. (Foto: Monica Feudi) Was die Parallelen zum Universum der Frauenmode betrifft, so gibt es die natürlich auch beim Gewese rund um die Fashion Week. Das bizarre Schaulaufen der Snapchat-Stars und Influencer; die Fankurven kreischender Asiatinnen; die blasierten Begrüßungsrituale ("Cherie, la vie est belle?" Antwort: "So good to see you!") - all das lässt sich auch bei den Männerschauen besichtigen. Man führt einen Mops als Accessoire mit zur Präsentation von Marni, nimmt als Matador mit engem Beinkleid bei Emporio Armani Platz oder als eine Art laufender Neon-Lampenschirm bei Prada: Hauptsache irgendwie auffallen, was ja heutzutage nicht mehr so einfach ist. Und es ist hübsch zu beobachten, wie die Art der Selbstinszenierung oft zum Stil der jeweiligen Marke passt, von machohaften Kerlen bei Versace bis zu schrillen Transgenderwesen bei gehypten Newcomern wie Miaoran. Donatella muss in ihrer ersten Show nach dem Verkauf erst mal beweisen: Versace bleibt Versace Dass Kollektionen für Männer neuerdings mehr Aufmerksamkeit (und mehr Verkaufsfläche, bei Harrod's zum Beispiel) bekommen, liegt auch an zwei aufsehenerregenden Personalien. Louis Vuitton berief mit Virgil Abloh 2018 den ersten Schwarzen als Kreativchef eines großen Couturehauses, das sicherte seinem Debüt als Designer der Herrenlinie maximale Aufmerksamkeit. Und bei Dior brach der neu installierte Kim Jones radikal mit der reduzierten Ästhetik seiner Vorgänger. Jones möchte die Welt lieber von pastellfarbenen Dandys bevölkert sehen. Entzücken in der Branche. Quelle élégance, als hätte der heilige Christian Dior selbst seine Hand vom Himmel aus im Spiel gehabt. In Mailand zeigt vor allem Jones' Zieht-euch-gut-an-Offensive Wirkung. Smokings, Sakkos, Bügelfalten- oder grazil schmale Hosen, die den hoffentlich wohlgeformten Knöchel freilegen: Diese Klaviatur spielt so gut wie jedes der großen Häuser durch. Bei Dolce und Gabbana gibt's einen näselnden Conférencier wie bei Schauen in den Fünfzigerjahren und Gary-Cooper-Looks aus dunklem Cord und weißer Seide. Donatella Versace muss in ihrer ersten Show nach dem Verkauf der Marke an Michael Kors erst mal die Gemüter beruhigen: Versace bleibt Versace, also serviert sie den bewährten Mix aus Grellbuntem, Lack und Leder. Aber eben auch Anzüge, die man auf einer Hochzeit tragen kann. Okay, die schweren Goldketten - zumindest auf einer sizilianischen Hochzeit. Und bei Prada wird rabenschwarze "Tailoring"-Eleganz zelebriert. Schneiderkunst mit kastigen Schultern, Dreifachgürteln und taillenkurzen Sakkos. Wenn dem Herrn der Sinn mehr nach Farbe steht: Hemden, Brillengestell oder Handtäschchen hat Miuccia Prada auch in Bonbonblau auf Lager. Das ermöglicht der treuen Fangemeinde draußen in der echten Welt ein bisschen Paradiesvogel-Ablenkung vom scharfkantigen Schnitt der Zweiteiler - denn die werden nicht bei jedem Käufer so nahtlos sitzen wie an den Models. Die Figur dafür muss man erst mal haben. Detailansicht öffnen Ermenegildo Zegna schickt die Männer in bunter Bomberjacke auf die Straße. (Foto: Andreas Solaro/AFP) "Es gibt heute für einen jungen Mann nichts Subversiveres als einen formellen Anzug." Das ließ Silvia Venturini Fendi wissen nach ihrer Gentleman-Kollektion in Kaffee- und Karamelltönen. Nach vielen lässigen Streetwear-Jahren sind Schlips und Kragen das neue Anti-Establishment. Noch etwas war ein Signal in Mailand: Die Grenze zwischen Männer- und Frauenmode schmilzt weiter dahin. Auf den "Uomo"-Laufstegen war, in eingestreuten Entwürfen für die weibliche Kundschaft, eine kleine, feine Supermodel-Auswahl von Kaia Gerber bis Gigi Hadid zu sehen. Das dürfte vielen der männlichen Besucher gefallen haben. Und den Mode-Appetit der Begleiterin weckt man gleich noch mit.
10
Es ist ein Erfolg, ja, aber doch wohl ein weniger großer, als Santiago Abascal, Chef der Vox-Partei, ihn sich erwartet hatte. Erstmals in der spanischen Demokratie zieht mit Vox eine ultrarechte Partei ins Parlament ein. Schon vor Bekanntgabe der Wahlergebnisse hatte der 43-jährige Abascal von "historischen" Wahlen gesprochen. Millionen Spanier würden heute ihre Stimme abgeben, "ohne Furcht vor nichts und niemand", schrieb er auf Twitter. Als dann die ersten Prognosen des TV-Senders RTVE der Partei aus dem Stand zwölf Prozent der Stimmen und 36 bis 38 Sitze im 350 Sitze starken Parlament versprachen, zeigte Abascal sich in Madrid gewiss, dass noch ein größerer Erfolg bevorstünde. Er bezweifelte nach einem Bericht der Zeitung El País, dass die Prognosen richtig seien, und zeigte sich zuversichtlich, dass seine Partei, die Ende 2013 von früheren Mitgliedern der konservativen Volkspartei (PP) gegründet wurde, am Ende auf 70 Sitze kommen werde. Doch so kam es dann nicht. Nach Auszählung von fast 100 Prozent der Wählerstimmen sind die 70 von Abascal erhofften Sitze weiter entfernt als zuvor: Demnach erhält die Partei nur 24 Sitze, also deutlich weniger als zunächst prognostiziert. Und mit etwas weniger als im Mittel der Umfragen vor der Wahl vorhergesagt: Dort waren Vox knapp zwölf Prozent vorhergesagt worden, nun landete die Partei bei etwas über zehn Prozent. Hinzu kommt, dass der Vox-Chef Hoffnungen, seine Partei könne Zünglein an der Waage einer künftigen rechtsgerichteten Regierung mit der konservativen Volkspartei (PP) und bürgerlich-liberalen Ciudadanos sein, begraben muss. Denn die PP, noch bis Juni letzten Jahres mit einer Minderheitsregierung an der Macht, zeigte sich im freien Fall: Sie verlor etwa die Hälfte ihrer Abgeordneten. Bei der Regionalwahl in Andalusien hatte im vergangenen Jahr eine Koalition von PP und Ciudadanos, toleriert von Vox, die über Jahrzehnte hinweg regierenden Sozialdemokraten (PSOE) entmachtet. Ein ähnliches Szenario war vor der Wahl auch auf nationaler Ebene für möglich gehalten worden, nun aber liegt es außer Reichweite. Dass der Einzug von Vox ins Parlament deshalb nicht spürbar sein wird, ist dennoch nicht zu erwarten. Die Madrider Vox-Chefin Rocío Monasterio versprach am Wahlabend, dass sich die neuen Abgeordneten im Parlament "mit Unbeirrtheit und Entschlossenheit für die Einheit Spaniens, die Freiheit und die Gleichheit der Spanier" stark machen würden. Gegen Separatismus und die "repressive Genderideologie" Der Kampf gegen den katalanischen Separatismus und überhaupt jedweden Regionalismus ist das zentrale Thema, mit dem die Partei im seit Jahren aufgeheizten Streit um die Unabhängigkeit Kataloniens Stimmung machte. Vox geht hier noch einen Schritt weiter als die konservative Volkspartei und die Ciudadanos, die "unentschlossene Rechte", wie sie Abascal nannte: die Partei will den Regionen nicht nur weitere Autonomierechte verweigern, sondern strebt an, Spanien komplett zu zentralisieren und die Regionalregierungen abzuschaffen. "Vox ist die Stimme derer, die vor allen anderen wollen, dass die Einheit ihres Vaterlandes Spaniens erhalten bleibt, derer, die seit Oktober 2017 praktisch nicht mehr schlafen konnten", sagte Abascal während des Wahlkampfes. Im Oktober 2017 hielten die Katalanen ihr vom Verfassungsgericht für illegal erklärtes Unabhängigkeitsreferendum ab. Doch nicht nur den früheren Präsidenten Kataloniens, Carles Puigdemont, der in Belgien im Exil lebt, und andere Separatisten will Abascal ins Gefängnis werfen, sondern auch korrupte Politiker in der konservativen Volkspartei und bei den Sozialdemokraten. Ein weiteres zentrales Thema im Wahlkampf war der Kampf gegen das, was Parteimitglieder die "repressive Genderideologie" oder auch den "Genderwahnsinn" nennen. So lehnen Vox-Politiker das Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen ab und beschimpfen Frauen, die sich in der jüngst verstärkten feministischen Bewegung in Spanien engagieren, schon mal als "Feminazis". In welcher Zahl die neuen Abgeordneten am Ende auch ins Parlament ziehen werden, sie dürften hörbar sein.
7
Wer Erfolg haben will, braucht Mut und Disziplin - so war es auch bei Dirk Nowitzki. Die Menschen berührt hat der Basketballer aber mit anderen Eigenschaften. Wer nicht das Glück hatte, den Basketballer Dirk Nowitzki live spielen zu sehen, der kennt ihn wenigstens aus dem Werbefernsehen. Nowitzki wirbt für eine Bank, und tatsächlich scheint die Rolle, die Nowitzki in diesen Spots spielt, abgestimmt zu sein auf den Charakter des Menschen Nowitzki. Mal bekommt der 2,13 Meter-Mann in der Metzgerei eine Scheibe Wurst überreicht, "damit er groß und stark wird". Mal steht er, Stoffschwein in der Hand, im Spielzeugladen rum. Mal hat er im Taxi kein Kleingeld dabei. Die Spots zeigen jemanden, der seine Bedeutung nicht durch eine Inszenierung stützen muss, wie es der Fußballstar Cristiano Ronaldo mit jeder Geste tut. Nowitzki, gesegnet mit einem Gespür für Selbstironie, ist der Lulatsch, der nicht mal vom Taxifahrer erkannt wird. Wer groß ist, darf auch klein sein. Wie groß dieser Nowitzki tatsächlich ist, erfuhr man gerade bei Nowitzkis allerletztem Heimspiel für die Dallas Mavericks. Da stand er in seinem Trikot mit der berühmten 41, schluckte gegen die Nervosität an, gegen die Tränen. Dann sprach er zu seinem Publikum. Es ist tatsächlich seines: Nowitzki ist 1999 aus seiner Geburtsstadt Würzburg in die amerikanische Profiliga NBA gegangen und hat 21 Spielzeiten für die Mavericks gespielt, nie war er woanders, bis zum Ende der Karriere. Am Beispiel Nowitzki kann man erkennen, dass der Sport tatsächlich Vorbilder hervorbringen kann, es geschieht nicht oft, aber es geschieht. Nowitzki war vorbildlich diszipliniert im Training, zugleich war er innovativ genug, die Sportart um einen Spezialwurf zu bereichern. 2011 gewann er die NBA-Meisterschaft. Ohne Titel wird niemand zum Helden, mit Titel wird mancher Held dann aber leider größenwahnsinnig. Zugehörigkeit, Verbundenheit, Treue: So etwas berührt die Leute In dieser Hinsicht bestand bei Nowitzki, genannt Dirkules, keine Gefahr. Wer Mitspieler, Trainer, Autogrammsammler und sogar Reporter vernünftig behandelt, hebt sich ab von vielen sogenannten Stars. Über dem Eingang zum Centre Court beim Tennisturnier in Wimbledon stehen zwei Zeilen von Kipling: "If you can meet with triumph and disaster / and treat those two impostors just the same." Sehr frei übersetzt: Wenn dir Sieg und Niederlage begegnen und du imstande bist, beide Blender gleich zu behandeln. Das ist der Schlüssel: der Größte sein, aber der Hybris widerstehen. Viele Größen können es nicht. Verkleinern sich nach der Karriere zu Celebrities. Veredeln fragwürdige Regimes und Politiker mit ihrem Charisma. Der Hochmut lässt sie glauben, dass sie in einer Welt mit eigenen Regeln leben. Aber es geht auch anders: Steffi Graf hat sich nach einer Weltkarriere in die Stille des Privatlebens zurückgezogen. Oder, ein paar Nummern kleiner: Ein Fußballer wie Claudio Pizarro lässt alle Frührentner-Millionen der Scheichtümer und Asiaten links liegen und kehrt, noch einmal, zu seinem Lieblingsverein Werder Bremen zurück. Ewige Liebe ist ihm sicher. Weil es für ihn offenbar etwas gibt, das bedeutsamer ist als Geld: Zugehörigkeit, Verbundenheit, Treue. So etwas berührt die Leute. Auch Dirk Nowitzki scheint ein treuer Mensch zu sein, gegenüber seinem Verein, seiner Familie, sogar seinem Werbepartner. Als damals der Spot mit der Wurstscheibe rauskam, regten sich die Vegetarier auf, vereinzelt war vom "Wurst-Gate" die Rede. Rückblickend betrachtet war der Wurst-Gate dann zwar ein Schatten, aber kein echter Makel in Nowitzkis Biografie. In jeder Hinsicht: ein Riese.
9
Der Euro ist zur Wochenmitte weiter unter Druck geraten. Marktbeobachter machten erneut Konjunkturdaten für die Verluste bei der Gemeinschaftswährung verantwortlich. Während aus den USA zuletzt solide Nachrichten von Konjunkturseite kamen, trübten sich in der Eurozone die Aussichten zusehends ein. Bereits am Dienstag enttäuschten Daten zum Verbrauchervertrauen im Euroraum, am Mittwoch berichtete das Ifo-Institut über das eingetrübte Geschäftsklima in Deutschland. Stärker noch als die deutschen Daten bewegten Zahlen aus Belgien. Hier hatte sich das Geschäftsklima im Mai deutlich eingetrübt. Volkswirte hatten hingegen mit einer Stagnation gerechnet. Wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung Belgiens mit den beiden größten Euro-Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich gilt das dortige Unternehmensvertrauen als Indikator für den gesamten Euroraum. Der Euro rutschte daraufhin unter die Marke von 1,12 Dollar und notierte am späten Abend mit 1,1155 Dollar fast einen dreiviertel US-Cent tiefer als am Vortag. Am Tag vor der Zinsentscheidung der türkischen Notenbank zogen sich die Anleger aus der Währung des Landes zurück. Der Euro stieg entprechend um 0,8 Prozent auf 5,5932 Lira. "Die türkische Lira wird zum Spielball der politischen Beziehungen zwischen den USA und der Türkei", sagte Analyst Salah-Eddine Bouhmidi vom Brokerhaus Daily-FX. Präsident Erdoğan machte zudem unmissverständlich klar, dass die Türkei in Sachen iranische Ölimporte nicht den USA gehorchen werde. Die USA wollen Ölexporte Irans komplett verhindern und streichen bisherige Ausnahmeregelungen, was die Rohölpreise kräftig nach oben trieb. Die Türkei verliere dabei doppelt, sagte Commerzbank-Analyst Tatha Ghose. Schließlich heize der Ölpreisanstieg die Inflation an. Dennoch gilt es als ausgemacht, dass die türkische Zentralbank den Leitzins bei 24 Prozent belassen wird.
11
Männer holen neuen Studien zufolge beim Shoppen auf. Aber sie gehen dann doch ein wenig anders an die Sache heran als Frauen. Die Geschäfte der Innenstädte sind samstags voller Männer. Sie lagern im Einzugsbereich der Umkleiden auf Sesseln, die eigens dort platziert worden sind, um den erschöpften Männerkörper in sich aufzunehmen, während die Frau seit einer Dreiviertelstunde Dinge anprobiert, die sie nicht braucht, oder - noch schlimmer - Dinge anschleppt, die der Mann angeblich braucht und jetzt anprobieren soll, zum Beispiel eine nicht fleckige, nicht ausgeleierte Jeans. So behauptet es das Klischee. Und so ist es, wenn man mal ehrlich ist, eigentlich auch immer gewesen. Männer und Shopping, das war einfach keine Liebesbeziehung. Männer recherchieren gerne im Internet, ob man das neue Hemd nicht irgendwo günstiger kriegt Nun aber könnte es langsam eine werden. "Einzelhändler müssen sich an die Vorstellung gewöhnen, dass der Kleiderkauf nicht länger Frauensache ist", hat das Magazin Forbes gerade staunend festgestellt. Es bezog sich auf die Ergebnisse einer Studie des Marktforschungsinstitutes First Insight. Diese hatte ergeben, dass es inzwischen besonders häufig die Männer sind, die "sechs Mal monatlich oder noch öfter einkaufen". Und zwar das ganze Sortiment: Bürosachen, Freizeitklamotten, Funktionszeug, Billigtextilien, Luxuskleidung. Sechs Mal monatlich! Respekt. Die Männer wären natürlich nicht sie selbst, würden sie nicht ein klein wenig pragmatischer an die Sache herangehen. Bildhübsches Button-down-Hemd mit farblich abgesetzter Zierpaspel von Saint Laurent, na gut, tausend Euro sind nicht unbedingt geschenkt, aber ich brauch es jetzt sofort? Nicht mit ihnen. Männer, so das Ergebnis der Studie, shoppen sich nicht mal kurz um Kopf und Kragen, sie recherchieren, bevor sie die Kreditkarte rausrücken. Sprich: Sie gehen im nächsten Schritt nicht zur Kasse, sondern erst einmal ins Internet, wo sie ermitteln, ob es das Hemd nicht noch irgendwo ein bisschen günstiger gibt. Das mag ein Grund dafür sein, dass Männer inzwischen fast genauso häufig online einkaufen wie Frauen. Dabei leben sie auch ihre Technikbegeisterung aus: 70 Prozent der Männer, die Zugang zu Smart Speakers wie Siri und Alexa haben, nutzen diese, um online Preise zu vergleichen und Kleidung zu bestellen. Bei Frauen sind es nur 46 Prozent. Auch die Motivation beim Einkaufen ist eine andere. Studien zeigen, dass Frauen vor allem aus hedonistischen Gründen einkaufen, weil es ihnen Freude macht. Männer dagegen verfolgen einen utilitaristischen Ansatz: Sie shoppen, weil sie etwas brauchen - nicht unbedingt, weil sie es dringend haben wollen. Insofern hätte sich gar nicht ihre Freude am Einkaufen, sondern die Summe ihrer Bedürfnisse erhöht, und diese umfassen eben nicht nur die tägliche Standardkleidung, sondern immer öfter auch Designerartikel. Viele suchen nach einem Outfit, in dem sie bequem durch den ganzen Tag kommen Mr Porter, die 2011 lancierte Männersparte der Yoox-Net-a-Porter-Gruppe, die Luxuskleidung online vertreibt, konnte so zur strahlenden Erfolgsgeschichte werden: An den immer rasanter steigenden Umsätzen des E-Commerce-Riesen sind die Herren inzwischen maßgeblich beteiligt. Bei der 2017 gegründeten, günstigeren Eigenmarke Mr P. handelt es sich nach Unternehmensangaben sogar um "einen der erfolgreichsten Markenstarts in unserer Geschichte". Das Sortiment von Mr P. ist für die Bedürfnisse des shoppenden Mannes quasi maßgeschneidert: modern, aber nicht geckenhaft; lässig, aber nicht nachlässig. Oder, wie es auf der Webseite heißt: "Einfache Teile. Raffinierte Details. Eine Auswahl zukünftiger Klassiker." Und um Himmels willen nicht auffallen. Das wäre dann also die magische maskuline Kleiderformel im Jahr 2019. Julia Bruns kann das alles bestätigen, sie ist Stylistin beim Online-Händler Zalando. Nicht nur dass die Zahl der männlichen Kunden zugenommen habe (sie nutzen das Beratungsangebot heute genauso häufig wie Frauen). Auch die unterschiedlichen Präferenzen sprechen für sich. "Bei Männern spielen die Qualität und die Materialien eine größere Rolle - es gibt viele, die zum Beispiel Kunstfasern komplett ablehnen." Auch suchten die meisten nach einem Outfit, in dem sie bequem durch den ganzen Tag kommen, ohne sich für den Abend umziehen zu müssen. Und: "Online-Shopping kommt Männern entgegen, weil sie anders als Frauen analoges Einkaufen nicht wirklich als Vergnügen empfinden." Bis die Ruhesessel vor den Umkleidekabinen abgebaut werden, kann es also noch ein Weilchen dauern.
10
Erstmals wird eine Frau ein Spiel in Frankreichs höchster Fußballliga der Männer leiten. Sie sollte für ihre Leistung respektiert werden - und nicht auf ihr Geschlecht reduziert. An und für sich könnte dieser Kommentar einfach nur eine kurze Nachricht sein. Stéphanie Frappart wird am Sonntag in der Ligue 1 als Schiedsrichterin das Fußballspiel zwischen dem Abstiegskandidaten SC Amiens und dem Ligapokalsieger Racing Straßburg leiten. Ja, und? Die Tatsache, dass in Frappart nun erstmals eine Frau in der ersten französischen Profiliga der Männer pfeift, könnte ganz gelassen hingenommen werden. Aber Frauen im Männerfußball sind eben nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Im hochklassigen sowieso. Meldungen darüber generieren immer noch große Aufmerksamkeit oder sind gar Streitthema. In Deutschland war das so, als die in ihrer Qualifikation und in ihrem Können eigentlich unanfechtbare Bibiana Steinhaus als Schiedsrichterin mit der Partie Hertha BSC gegen Werder Bremen am 10. September 2017 in die erste Bundesliga aufstieg. Und es war so, als Imke Wübbenhorst im Dezember beim Oberligisten BV Cloppenburg als erste Frau eine Männermannschaft trainierte. In Frankreich ist das nicht anders. Frappart fing früh mit der Ausbildung zur Unparteiischen an. Bereits als 19-Jährige pfiff sie ihre ersten Männerspiele, damals in der siebten Liga, und arbeitete sich stetig nach oben. Als erst zweite Französin nach Nelly Viennot schaffte sie es in die dritte Liga. Mit 30 Jahren begann Frappart in der zweiten Liga - und dieses Wochenende, mit 35, also in der ersten. Dass es nun endlich zu dieser Premiere kommt (die in England, Spanien und Italien noch aussteht), liegt auch am Frauenfußball. Frappart wird, wie Steinhaus und Riem Hussein, bei der Weltmeisterschaft von 7. Juni bis 7. Juli in ihrem Heimatland eingesetzt. Der Weltverband Fifa hat den Wunsch geäußert, dass die WM-Schiedsrichterinnen "unter bestmöglichen Bedingungen" auf das Turnier vorbereitet werden, heißt es in einem Statement des französischen Fußball-Verbandes FFF. Die bisherige Karriere der 1,64 Meter großen Frappart, schrieb die französische L'Équipe in einem Porträt vergangenes Jahr, verlief lange fast schon unter dem Radar. Was für Frappart aber ein doppelter Erfolg war: Ein/e Schiedsrichter/in, dessen/deren Entscheidungen nicht debattiert werden, macht seine/ihre Arbeit offenbar gut. Und wenn das Geschlecht nicht groß thematisiert wird, auch. Sexistische Kommentare und dumme Sprüche musste auch Frappart sich anhören. Aber sie wird offenkundig respektiert für ihre Leistung an sich, nicht als Frau. Dass ihr Geschlecht nun doch wieder eine Rolle spielt, zeigt: So lange das noch der Fall ist, ist es wichtig, dass es Vorbilder wie Stéphanie Frappart gibt.
9
Union und SPD wollen Armut im Alter verhindern - aber jede Partei auf ihre Weise. So kann das nicht weitergehen - die Lösung liegt in der Mitte. Bisher gab es in Sachen Grundrente ein Konzept des zuständigen sozialdemokratischen Bundesministers und viel christdemokratische Empörung. Nun gibt es noch einen "Rentenschutzschirm" mit CSU-Logo, aufgespannt von Parteichef Markus Söder. Bedürftige Rentner mit 35 Beitragsjahren sollen zusätzlich zur Grundsicherung im Alter bis zu 212 Euro von ihrer eigenen Rente behalten dürfen; auch für die Mütterrente soll es einen solchen Freibetrag geben. Kosten: etwa eine halbe Milliarde Euro im Jahr. Dieses Mal fiel der Empörungspart an die SPD. Mit seinem Vorschlag, so Sozialminister Hubertus Heil, lasse Söder den Großteil derjenigen, die sich eine Grundrente verdient hätten, im Regen stehen. Von seinem Vorschlag hingegen - wir erinnern uns: eine rund fünf Milliarden Euro schwere Aufwertung niedriger Altersrenten ohne Bedürftigkeitsprüfung - profitierten drei Millionen Menschen. Nun ist es aber so, dass "Mein Paket ist größer als dein Paket" in der Rentenpolitik eher kein überzeugender Bewertungsmaßstab ist. Stattdessen sollte es um zwei einfache Fragen gehen: Was soll mit der Grundrente erreicht werden? Und kriegt man das mit den vorgeschlagenen Instrumenten hin? Leider beantworten Union und SPD diese Fragen unterschiedlicher, als es der Koalitionsvertrag vermuten ließe. Darin hatten sie vereinbart, die "Lebensleistung von Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben", zu honorieren; mit einem Alterseinkommen zehn Prozent über der Grundsicherung. Die Voraussetzungen: 35 Beitragsjahre und eine Bedürftigkeitsprüfung. Abwickeln soll das Ganze die Rentenversicherung, damit Rentner nicht zum Sozialamt müssen. Das aber kann nicht funktionieren. Eine an der Grundsicherung orientierte Grundrente samt Bedürftigkeitsprüfung ist ohne Gang zum Grundsicherungsamt nicht möglich. Die Rentenversicherung hat nicht die Strukturen dafür. Letztlich speist sich aus diesem Widerspruch der gesamte Grundrentenstreit. Die SPD zieht die Schlussfolgerung: Dann eben ohne Bedürftigkeitsprüfung! Während die Union sagt: Dann eben mit Sozialamt! Eine Light-Version reicht Entscheidend aber ist etwas anderes: Soll die Grundrente gegen Altersarmut schützen oder vor allem lange Versicherungszeiten jeglicher Art honorieren? Letzteres will Heil. Denn wirklich arme Rentner erreicht er weniger mit seiner Rentenaufwertung als vielmehr mit dem - Achtung, CSU - ebenfalls geplanten Freibetrag in der Grundsicherung. Dort, wo die Mieten hoch sind, stellen arme Rentner sich nämlich mit letzterem besser. Söder wiederum zielt nur auf bedürftige Rentner ab, springt aber zu kurz, weil viele Menschen das Geld aus Angst vor der Bedürftigkeitsprüfung ausschlagen werden. Die Lösung liegt in der Mitte. Ein Freibetrag in der Grundsicherung wäre fair und würde lange Beitragszeiten honorieren. Weil steuerfinanzierte Sozialleistungen an die Bedürftigkeit gekoppelt sein sollten, sollte es auch eine Bedürftigkeitsprüfung geben. Aber: Eine Light-Version reicht. Geprüft werden sollte weder das Sparbuch noch die Wohnung, sondern nur, ob es noch andere Alterseinkünfte gibt, etwa die Rente des Partners. Vor solch einer Prüfung muss sich niemand fürchten. Und dennoch wäre ausgeschlossen, dass jahrzehntelange Teilzeitarbeit in einer Gutverdiener-Ehe zusätzlich zum Ehegattensplitting auch noch mit einer Grundrente belohnt und gefördert wird.
11
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen beschädigen Vandalen Karl Marx' Grab auf dem Highgate Cemetery in London. Die Schäden sind wohl irreparabel. An sonnigen Wochenenden sind nicht nur grüne Lungen wie der Hyde-Park oder Kew Gardens Anziehungspunkte für Londoner und Touristen in der Metropole, sondern auch der berühmte Friedhof im Stadtteil Highgate. Er ist, seit Mitte des 18. Jahrhunderts, einer jener Parks, in denen die Londoner ihre Toten begraben können, wenn sie die Bestattung auf einem kirchlichen Friedhof umgehen wollen. Unter Bäumen, zwischen Narzissen und Krokussen, sind die Grabplatten so eng gelegt, dass sie einander fast berühren, viele tragen ausführliche und rührende Inschriften, Verszeilen, Liebeserklärungen. Auf dem Highgate Cemetery liegen zahlreiche Berühmtheiten, aber die Hauptattraktion ist zweifelsohne Karl Marx, der bis zu seinem Tod in London gelebt hatte. Sein ursprüngliches Grab befand sich etwa zweihundert Meter weiter, der Philosoph und Kommunist war 1883 dort bestattet, aber 1954 in das größere, besser zugängliche Denkmal umgebettet worden. Dieser Tage zieht es besonders viele Besucher zu Marx' Grab, sei es aus Neugier oder aus Betroffenheit. Das Monument ist vor wenigen Tagen zum zweiten Mal binnen weniger Wochen von Vandalen beschädigt worden. Erst Anfang Februar hatten Unbekannte die Inschrift auf der Marmorplatte mit einem Hammer zerschlagen, auf der festgehalten ist, dass hier Jenny von Westphalen, Marx' Ehefrau, er selbst sowie Familienmitglieder begraben seien. Das Grab des Autors des "Kommunistischen Manifests" war immer Pilgerort für Anhänger, aber auch Ziel von Anschlägen, darunter zwei Bombenattentate in den 70ern. Ian Dungavell von der Stiftung Friends of Highgate Cemetery geht daher davon aus, dass das Grab gezielt ausgewählt worden und das Denkmal diesmal nicht komplett wiederherzustellen ist. Er nannte die Tat im Guardian eine "schreckliche Sache". In der Nacht zum Samstag folgte eine zweite Attacke, diesmal mit roter Farbe. "Memorial für den bolschewistischen Holocaust 1917-1953" und "66 000 000 Tote" hatte jemand auf die Front gepinselt, auf der einer der wohl berühmtesten Sätze von Marx eingelassen ist: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch". Auf einer Seite stand in Blutrot: "Doktrin des Hasses", auf der anderen "Architekt des Genozids". Zwei Tage später ist der Großteil der Farbe abgewaschen. Besucher sind fassungslos - und wütend. Einige haben Blumen abgelegt, eine katalanische Abordnung hat ein Plakat mit dem Schlachtruf "No Pasaran" neben dem Denkmal platziert. Das Unverständnis über die Attacke ist groß: "Der Holocaust geht auf das Konto der Deutschen", schreibt ein Marx-Fan auf Twitter, "und die Toten der russischen Säuberungen gehen auf Stalins Konto. Marx ist unschuldig."
6
Es ist ein Jahrestag, den niemand in Spanien feiern möchte: Vor zehn Jahren beschloss die Regierung in Madrid, den Fonds zur geordneten Restrukturierung des Bankensektors, abgekürzt FROB, einzurichten. Wenig später nahm er seine Arbeit auf, ausgestattet mit neun Milliarden Euro. Bald zeigte sich, dass diese Summe viel zu gering angesetzt war. Die Experten des damaligen sozialistischen Premierministers José Luis Zapatero hatten nicht begriffen, dass nach dem Platzen einer gigantischen Immobilienblase zur Jahreswende 2007/08 der gesamte spanische Bankensektor in eine bedrohliche Schieflage geraten war. Zapatero setzte auf falsche Gegenmaßnahmen, nämlich ein milliardenschweres Konjunkturprogramm, das wirkungslos verpuffte. Ende 2011 wurde er abgewählt, nachdem ihn die EU zu Haushaltskürzungen gedrängt hatte; die Mehrheit der Wähler gab vor allem ihm die Schuld an der Krise. Seinem konservativen Nachfolger Mariano Rajoy gelang es mit einem harten Sparprogramm und Strukturreformen, die Rezession zu überwinden, Spanien wurde zur Konjunkturlokomotive in der Eurozone. Nach einer drastischen Schrumpfkur schien sich auch der Bankensektor stabilisiert zu haben. Doch Grund zum Feiern aus Anlass des bevorstehenden zehnten Geburtstags des Bankenrettungsfonds FROB gibt es kaum. Vielmehr hat die Nationalbank in Madrid nun wenig erbauliche Zahlen vorgelegt: Das Gesamtvolumen der faulen Kredite aller spanischen Banken beläuft sich demnach immer noch auf mindestens 72 Milliarden Euro. Das ist mehr als der aktuelle Börsenwert des größten Geldhauses des Landes, Santander (69,4 Milliarden), und knapp mehr als doppelt so viel wie bei der Nummer zwei, BBVA in Bilbao. Als Ende 2013 das Sanierungsprogramm Rajoys in Kraft trat, wurde die Summe der gefährdeten Kredite noch mit 130 Milliarden veranschlagt. Die Banken haben also beträchtliche Anstrengungen unternommen, ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen, aber nach Auffassung der Nationalbank noch nicht genug. Die zweite unerfreuliche Nachricht kommt von der Börse in Madrid: Im vergangenen Jahr sind die Aktienkurse der acht größten Banken ausnahmslos nach unten gegangen, im Durchschnitt um 21 Prozent; sie haben zusammen 50,8 Milliarden Euro an Börsenwert verloren. Auch bei den beiden Großbanken Santander und BBVA ging es mit einem Minus von 34 und 27 Prozent kräftig bergab; ihre Probleme vor allem in Lateinamerika und der Türkei schlugen auf die Bilanzen durch. Dazwischen lag das Dauersorgenkind Bankia mit 31 Prozent. Wurde die Bankia-Aktie Ende 2014 noch für sechs Euro gehandelt, so war sie Ende 2018 für 2,50 Euro zu haben, Tendenz fallend. Bankia ist das Ergebnis der Verstaatlichung und Fusion von sieben regionalen Sparkassen, die sich alle mit Immobilienkrediten verspekuliert hatten, im Jahr 2010. Erster Vorstandschef wurde Rodrigo Rato, vor 20 Jahren viel gepriesener Superminister der damaligen konservativen Regierung, der anschließend als Chef des IWF die Gefahr einer globalen Finanzkrise nicht erkannte. Rato scheiterte bei Bankia, bekam trotzdem bei seinem Abgang nach knapp zwei Jahren eine Millionenabfindung, womit er einen Sturm der Entrüstung auslöste. Bankia musste mit 21 Milliarden Euro vom Staat gerettet werden. Insgesamt flossen 40 Milliarden, für die die EU garantierte, in die Stabilisierung des spanischen Bankensektors. Derzeit findet in Madrid ein Strafprozess über den Börsengang von Bankia im Jahr 2011 statt. Der oberste Gerichtshof hatte bereits 2016 festgestellt, dass die Prospekte für den Börsengang grob manipulierte Angaben enthielten. Nun soll ausgelotet werden, wer dafür verantwortlich war. Einer der damaligen Abteilungsleiter machte Schlagzeilen mit der Aussage: "Da wurde eine Leiche auf lebendig geschminkt." Nach dem bisherigen Stand des Verfahrens hat die Leitung der Nationalbank den Börsengang gegen den Rat der eigenen Experten abgesegnet. Angesichts der Unsicherheit über zu erwartende Entschädigungszahlungen für Anleger wurde die Frist für die letzten Etappen der in Tranchen erfolgenden Privatisierung von Bankia auf Ende 2021 verlängert. Die dritte unerquickliche Nachricht: Die spanische Bad Bank Sareb, an der der Staat über den FROB 45 Prozent der Anteile hält, wird die Immobilien und Hypothekenverträge, die sie von zusammengebrochenen Regionalbanken übernommen hat, nur schleppend los. Milliarden werden wohl zu Lasten des Steuerzahlers abgeschrieben werden müssen. Einen Bruchteil davon, nämlich 600 Millionen Euro, möchte der FROB als Nebenkläger im derzeitigen Prozess gegen die Manager der zu Beginn der Krise havarierten Banco Valencia hereinholen. 64 Personen sind angeklagt, darunter eine Reihe von Regionalpolitikern. Die Manager der Banco Valencia haben im Rausch des Baubooms, als die Immobilienpreise immer weiter stiegen, Riesenkredite aufgenommen. Nach dem Platzen der Blase zeigte sich, dass sie bei einer Bilanzsumme von 22 Milliarden Euro rund sechs Milliarden grob fahrlässig verspekuliert, dabei aber auch Millionen für sich selbst abgezweigt hatten. Die Staatsanwaltschaft fordert für alle zusammen 300 Jahre Gefängnis. Sollten die Richter den Anträgen folgen, so wäre es das erste Urteil gegen die gesamte Führungsriege einer Bank, mehr als ein Jahrzehnt, nachdem die große Sause im spanischen Finanzsektor abrupt geendet war. Analysten: Von 13 Banken würden nur sieben überleben Allerdings bezweifeln Rechtsexperten, ob es so weit kommt, weil eine strafbare grobe Fahrlässigkeit schwierig nachzuweisen ist. Der größte Pleitier unter den spanischen Bankiers, Miguel Blesa, der großspurige Vorstandsvorsitzende der zusammengebrochenen Caja Madrid, wurde wegen Nebensächlichkeiten zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt: Er hatte "schwarze Kreditkarten" für den Vorstand und Aufsichtsrat auf Kosten der Anleger ausgegeben, die Ausgaben für Privatkonsum wurden als "Computerfehler" verbucht. Blesa hat sich 2017 erschossen, offenbar nachdem sich seine Hoffnungen auf eine Haftverschonung zerschlagen hatten. Rodrigo Rato wurde im selben Verfahren zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Die Nationalbank wartete mit weiteren Zahlen über die zehn Jahre auf, die seit dem Beschluss über die Gründung des FROB vergangen sind: Die Zahl der Banken ist von 45 auf 13 geschrumpft. Analysten meinen, dass bestenfalls sieben von ihnen Chancen hätten, sich mittelfristig zu behaupten. Es wird also mit weiteren Fusionen gerechnet. Vor der Krise war Spanien das Land mit den meisten Bankfilialen im Verhältnis zur Bevölkerung innerhalb der EU, es waren um die 45 000. Etwa 20 000 davon wurden geschlossen, allein in der Drei-Millionen-Stadt Madrid 1500, in dem nur halb so viele Einwohner zählenden Barcelona 1200. Somit wurden auch Zehntausende von Bankangestellten arbeitslos. Eines aber hat sich durch die Krise nicht geändert: Die Gehälter der Vorstandsmitglieder spanischer Banken sind im Verhältnis zu den Bilanzsummen die höchsten in der gesamten Eurozone geblieben.
11
Im Auswärtigen Amt ist es bei einem internationalen Prestigeprojekt, dem "Deutschen Haus" in der vietnamesischen Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals Saigon), offenbar zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Ein Investor erhielt aus dem Amt vertrauliche Informationen über dieses Projekt, die nicht zur Weitergabe gedacht waren. Dieser Investor bekam nach einer Ausschreibung den Zuschlag für Bau und Vermietung des "Deutschen Hauses". Darin ist neben diversen Firmen auch das Generalkonsulat der Bundesrepublik untergebracht, das selbst keine Miete zahlen muss. Es geht um Vorgänge in der Amtszeit von Guido Westerwelle, der von 2009 bis 2013 Außenminister war. Westerwelle soll nach Angaben von Beteiligten mit diesen Vorgängen nichts zu tun gehabt haben. Der frühere Außenminister ist im Jahr 2016 an den Folgen einer Leukämie-Erkrankung gestorben. Die SZ berichtet über die Vorgänge, weil diese den fragwürdigen Umgang des Auswärtiges Amtes (AA) mit einem Investor betreffen. Im Jahr 2010 hatte die Nähe von Unternehmern zum AA eine politische Kontroverse im Bundestag ausgelöst. Im April und Mai 2011 kam es dann zu merkwürdigen, bislang öffentlich nicht bekannten Vorgängen im AA. Ein leitender Mitarbeiter des Amtes und Vertrauter von Westerwelle, Jörg Arntz, schickte interne Informationen über das Projekt in Vietnam zunächst von seiner AA-Mailadresse an seine private Mailadresse. Von dort leitete er die Informationen weiter an den später siegreichen Investor Bernd Dietel, einen Geschäftsmann aus dem Großraum München. Kern dieser Korrespondenz war ein immobilienwirtschaftliches Gutachten für das Bauprojekt sowie ein Entwurf für ein Protokoll zwischen der Bundesregierung und der Regierung Vietnams. Es handelte sich um interne Dokumente des Auswärtigen Amtes, die nicht zur Weitergabe gedacht waren. Jörg Arntz gab darüber hinaus dem Investor Dietel sogar Tipps, wie dieser dem Auswärtigen Amt gegenüber auftreten sollte. Dietel sollte auch auf einen geplanten Besuch von Außenminister Westerwelle in Vietnam verweisen. So steht es in einer Mail, die AA-Mitarbeiter Arntz damals für Dietel formuliert hatte und die der Investor dann an das Auswärtige Amt schicken sollte, um dort Eindruck zu machen. Wenige Tage nach dieser Korrespondenz zwischen Arntz und Dietel hatte der Investor am 9. Mai 2011 einen Termin im Amt. Arntz äußerte sich auf Anfrage der SZ nicht dazu. Dietel bestreitet Unregelmäßigkeiten. Er habe zu Arntz nur Kontakt aufgenommen, um sich mit den Gepflogenheiten im Auswärtigen Amt vertraut zu machen. Dietel bewarb sich 2012 mit Partnern für das "Deutsche Haus" und erhielt 2013 den Zuschlag. Zwischen 2012 und 2014 kaufte Dietel Kunstwerke für mehrere hunderttausend Euro auf Vermittlung von Michael Mronz, dem Ehemann Westerwelles. Im Jahr 2014 verhandelte Dietel mit dem inzwischen aus der Bundesregierung ausgeschiedenen Westerwelle, mit dem er offenbar befreundet war, über einen Beratervertrag. Nach Angaben von Dietel kam der Beratervertrag nicht zustande. Der Investor bestreitet, dass seine Kunstkäufe und der geplante Beratervertrag etwas mit dem Projekt in Vietnam zu tun gehabt hätten. Es gibt nach derzeitigem Stand keine Erkenntnisse, dass Mronz sich damals falsch verhalten beziehungsweise von der möglichen und später auch tatsächlich erfolgten Vergabe des Vietnam-Projektes an Dietel gewusst hätte. Personen, die Westerwelle kannten, halten es für ausgeschlossen, dass dieser seinen Ruf aufs Spiel gesetzt hätte, um einem Investor zu einem Projekt zu verhelfen. Im Auswärtigen Amt hieß es, zu "Personaleinzelfällen" nehme man nicht Stellung. Ob bei Arntz eine strafbare Verletzung des Dienstgeheimnisses vorliege, müsse eine Staatsanwaltschaft beurteilen. Allerdings sei eine mögliche Tat verjährt.
7
Ob es denn nicht nervenaufreibend für ihn sei, fragte ein Journalist noch zu Beginn der Playoffs in der nordamerikanischen Profiliga NHL. Jordan Binnington kniff seine Lippen kurz zusammen und antwortete dann mit einer Gegenfrage: "Schaue ich etwa nervös aus?" Nein, meinte der Gesprächspartner. "Dann haben Sie Ihre Antwort." Das saß, dieser Mann scheint reichlich Selbstvertrauen zu haben. So eine Antwort verwundert auch gar nicht, wenn man den Umstand bedenkt, dass sie ein NHL-Spieler gegeben hat. Die Leute, die dort auf dem Eis stehen, haben sich gegen eine riesige weltweite Konkurrenz durchgesetzt, die sind gestählt. Doch Binnington ist eigentlich gar kein erfahrener Recke, er spielt erst seit Januar in der stärksten Eishockey-Liga der Welt. Seine Berufung kam reichlich spät, muss man hinzufügen, er ist ein Liganeuling im Alter von 25 Jahren. So einer könnte auch ein zweifelnder Charakter sein. Doch zum Zweifeln fehlen Binnington gerade die Gründe. Denn seitdem er ins Tor der St. Louis Blues kam, hat er das Team, von dem man dachte, dass es wohl nie einen Stanley Cup gewinnen wird, ins erste Stanley-Cup-Finale seit 1970 geführt. In der Nacht auf Dienstag (2 Uhr MESZ) beginnen sie die Best-of-7-Serie bei den Boston Bruins, kurioserweise war das auch vor 49 Jahren der Gegner. "Das ist unglaublich", sagte der Angreifer Pat Maroon, geboren und aufgewachsen in St. Louis, nach dem Sieg. "Diese Stadt hat so viele Jahre auf das gewartet." Die Geschichte des Finaleinzugs hat vor allem mit der Geschichte von Binnington zu tun. Denn am 2. Januar war das Team aus dem US-Bundesstaat Missouri noch das schlechteste der Liga. Trainer Craig Berube wagte etwas und setzte fünf Tage später erstmals auf Binnington, der seit Jahren Torhüter des Farmteams in der American Hockey League (AHL) war, zeitweise spielte er sogar in der drittklassigen ECHL und hielt eine NHL-Karriere daher wohl selbst nur noch für bedingt möglich. Doch dann ließ er in seinem ersten Einsatz für die Blues kein Gegentor gegen die Philadelphia Flyers zu (3:0). Er wurde schnell zum sicheren Rückhalt und trug dazu bei, dass St. Louis in den insgesamt 45 Hauptrunden-Spielen seit Anfang Januar das stärkste Team der Liga war. 30-mal blieben die Blues unbesiegt und in den Playoffs schlugen sie in jeweils engen Serien erst die Winnipeg Jets und anschließend die Dallas Stars sowie die San José Sharks. Ein Erfolgsgeheimnis: Binnington grübelt nach schlechten Spielen nicht Binnington hat in dieser Zeit nicht immer überragend gehalten, doch er weist immer noch einen passablen Gegentorschnitt auf (1,89 in der Hauptrunde, 2,37 in den Playoffs) und er hat die Fähigkeit, dass er auch nach schlechten Spielen, in denen er mal fünf oder sechs Gegentore kassiert, wieder stark und gar nicht grüblerisch zurückkommt. Als sein Team nach einer Niederlage gegen Dallas, die das 2:3 nach Siegen in der Serie bedeutete, mit Pfiffen aus der eigenen Halle verabschiedet wurde, führte es Binnington anschließend zu den entscheidenden zwei Erfolgen. St. Louis zog ins Finale der Western Conference ein. "Er hat immer die richtige Antwort gefunden", sagt Trainer Berube über den Keeper. Nein, ein normaler Rookie ist der nicht. Hinzu kommt bei den Blues natürlich auch, dass sich das Team vor ihm so stark präsentiert wie lange nicht. Angreifer Jaden Schwartz etwa, Bruder des früheren Bremerhavers und baldigen Nürnbergers Rylan, hat bereits zwölfmal getroffen in den Playoffs, und sein Partner Vladimir Tarasenko war mit acht Punkten in den sechs Conference-Finalspielen gegen San José der Topscorer der Serie. Es funktioniert gerade seit langem wieder sehr viel in der Stadt der Musik. Favorisiert ist in der Finalserie trotzdem nicht St. Louis, sondern Boston, das die Hauptrunde im Osten als zweitbestes Team abschloss. Doch was heißt das schon in diesem Jahr, in dem Jordan Binnington so vieles gelingt, was man nie für möglich hielt? "Schaue ich etwa nervös aus?", würde er jetzt vermutlich fragen. Dieser Mann startet selbstbewusst in die Serie gegen die Bruins.
9
Rekordgewinner Bayern München hat im DFB-Pokal Losglück gehabt. Der deutsche Fußball-Rekordmeister trifft im Viertelfinale auf den Zweitligisten 1. FC Heidenheim. Das ergab die Auslosung durch Handball-Nationalspieler Fabian Böhm am Sonntagabend im Deutschen Fußball-Museum in Dortmund. "Favorit sind wir nicht in dem Spiel. Aber das ist ein riesiges Erlebnis", sagte Heidenheims Beiratsvorsitzender Rainer Domberg in der ARD. Im Achtelfinale hatten sich die Heidenheimer überraschend gegen Bayer Leverkusen durchgesetzt. Bei den Spielen am 2./3. April kommt es zu zwei Bundesliga-Duellen. Schalke 04 erwartet Werder Bremen, und der FC Augsburg trifft auf RB Leipzig. Ein Zweitligist steht auf jeden Fall im Halbfinale (23./24. April): Der SC Paderborn empfängt den Hamburger SV. "Wir haben schon die Möglichkeiten, auch auf Schalke zu gewinnen, aber es wird natürlich eine sehr, sehr schwere Herausforderung. Wir wissen, dass es die letzte Titelchance für Schalke ist. Es wird ein sehr schweres Spiel, aber es ist auch nicht unmöglich", sagte Bremens Trainer Florian Kohfeldt. Sein Team hatte im Achtelfinale Bundesliga-Tabellenführer Borussia Dortmund aus dem Wettbewerb geworfen. Das Finale findet am 25. Mai traditionell im Berliner Olympiastadion statt. Alle Partien im Überblick: Schalke 04 - Werder Bremen Bayern München - 1. FC Heidenheim SC Paderborn - Hamburger SV FC Augsburg - RB Leipzig
9
Friedhelm Funkel geht auf Rudi Völler los! Dies musste jeder Augenzeuge denken, als der Trainer von Fortuna Düsseldorf ein Gespräch unterbrach, um dem Sportchef von Bayer Leverkusen entgegenzueilen. Tatsächlich ergab sich aus dem Treffen im Stadiongang ein lautstarker Zusammenstoß. Funkel klopfte Völler im Zuge der Umarmung so herzlich auf die Schultern, dass beinahe die in nächster Nähe stattfindenden TV-Interviews unterbrochen werden mussten. Differenzen wurden zwischen den Klubvertretern nicht ausgetauscht, was auf einer gewachsenen Beziehung der beiden erfahrenen Männer beruhte ("Wir kennen uns schon mehrere tausend Jahre", sagte Völler) sowie der Abwesenheit von Animositäten beim Leverkusener 2:0-Sieg. Die beiden Fußballteams waren im Laufe der 90 Minuten vorbildlich friedlich miteinander ausgekommen. Nur ein Muskelfaserriss von Bellarabi trübte etwas die Freude. Ansonsten herrschten klare Verhältnisse: Während Bayer Gebrauch von seinen überlegenen Mitteln machte, hatte der Außenseiter Fortuna seriös Schadensbegrenzung betrieben. Daraus ergab sich zwar kein Spiel, mit dem sich auf dem sagenhaften asiatischen Markt für die Bundesliga werben ließe, aber eine Situation, die den Beteiligten ein geruhsames Restwochenende bescherte. Völler sagte: "So kann's weitergehen." Vier Siege hintereinander haben Bayer wieder in die Sichtweite der Champions-League-Plätze gebracht. Völler sieht sich dadurch in der wiederholt geäußerten These bestätigt, dass der neue Trainer Peter Bosz ein besserer Trainer ist als sein Vorgänger. Damit meint er allerdings nicht Heiko Herrlich, den Bayer im Dezember entlassen hat, sondern jenen Peter Bosz, der in der vorigen Saison für ein paar Monate Borussia Dortmund trainiert hat. Aus den Fehlern, die er beim BVB gemacht habe, habe Bosz viel gelernt, meinte Völler. Auch die Partie gegen Düsseldorf hat Bosz maßgebend beeinflusst. Nicht durch seinen ausgeklügelten Matchplan, sondern durch jene Personalentscheidung, die er in seinen Leverkusener Anfangstagen getroffen hatte. Wie beim 5:1 gegen Mainz war auch gegen Düsseldorf Julian Brandt eine spielbestimmende Erscheinung. Die Tore erzielten andere (Kai Havertz und Leon Bailey), aber Brandt ist im Zentrum zur symbolhaften Figur einer Mannschaft geworden, die in unveränderter Besetzung einen anderen Fußball spielt. "Ich glaube, man sieht mir an, dass es mir Spaß macht, mit den Jungs zu zocken", sagte Brandt am Sonntag. Man sieht aber noch viel mehr: Nämlich einen Nationalspieler Brandt, der in der Mittelfeldzentrale dank seines Talents deutlich mehr Wirkung entfaltet als in der undefinierten Rolle als Flügel- und Angriffsspieler. "Er hat jetzt viel mehr Ballkontakte", sagte Völler. "Die Position steht mir gut", findet Brandt. Vom neuen Bosz und vom neuen Brandt könnte außer Bayer auch der Bundestrainer profitieren. In dessen Mittelfeld wird durch Spieler wie Brandt, Havertz und Leon Goretzka die Mesut-Özil-Lücke immer kleiner.
9
Vital Heynen hatte sich recht entspannt gezeigt bei der Volleyball-Gala am Vorabend des DVV-Pokalfinales gegen Lüneburg. Mit seinen Spielern genoss er das Dinner, Schweinefilet mit Mini-Kartoffeln, Kabeljau-Taler und Gemüse sowie Pasta wurden kredenzt. Heynen schäkerte mit anderen Gästen an den Tischen im VIP-Saal der Mannheimer Arena, selbst den so rastlosen Trainer des VfB Friedrichshafen, der vor knapp fünf Monaten in seiner Zweitrolle mit Polens Nationalmannschaft Weltmeister geworden war, kann inzwischen so leicht nichts mehr aus der Fassung bringen - zumindest äußerlich. Immerhin stand er in Stefan Hübner gewissermaßen seinem volleyballerischen Ziehsohn gegenüber - Heynen gewann mit den deutschen Männern und seinem Assistenten Hübner, dem langjährigen Nationalspieler, 2014 WM-Bronze. Der 49-jährige Belgier musste außerdem auf einen seiner wichtigsten Spieler verzichten. Sein Steller Rafael Redwitz, den Heynen erst kurz vor Weihnachten nachverpflichtet hatte, durfte im Finale gegen die aufstrebende SVG Lüneburg nicht mitmachen, weil er im Pokal-Halbfinale gegen Düren noch in Polen unter Vertrag gestanden hatte. Redwitz' bislang nicht immer überzeugender Ersatzmann Jakub Janouch musste einspringen, was so alternativlos wie gewagt erschien. Denn Janouch spielte erstmals in Mannheim, dort also, wo die Kulisse so groß ist wie bei keinem anderen Volleyballspiel in Deutschland, diesmal waren offiziell 10 287 Zuschauer gekommen. Dem Tschechen aber schien der Lärmpegel gar nichts auszumachen, jedenfalls dirigierte Janouch Friedrichshafens Angreifer so souverän auf seiner so wichtigen Position, dass der VfB das mit Spannung erwartete Duell des Liga-Zweiten mit dem Dritten aus dem Norden überraschend souverän mit 3:0 (25:23, 25:18, 25:16) gewann. "Jakub hatte Druck, aber er hat das super und sehr clever gemacht", lobte Heynen seinen Zuspieler kurz nach dem Erfolg, der Friedrichshafens Dominanz in diesem Wettbewerb manifestierte. Für den Rekordpokalsieger war es der dritte Titel in Serie - und seit 1998 der 16. von 22 möglichen Finalsiegen. Heynens Mannschaft hat zudem in dieser Spielzeit nach dem Supercup-Erfolg gegen Berlin nun schon die zweite Trophäe gewonnen. Lüneburg hingegen muss auch weiterhin auf seinen ersten Titel warten. Vor vier Jahren war die SVG - damals noch als Aufsteiger - bei ihrem ersten Pokalfinale schon nach einer guten Stunde mit 0:3 an Friedrichshafen zerschellt. Friedrichshafens Block war zu stark, Lüneburgs Angriff und Aufschlag zu schwach Im sich nur langsam auflösenden Nebel, den die Pyrotechnik beim Einlauf der Mannschaften in der Halle verteilt hatte, tat sich Friedrichshafen anfangs noch schwer gegen Lüneburg und seinen Trainer Hübner, der mit seiner stoischen Art immer auch wie ein Antipode zu Heynen wirkt. Den ersten Schmetterball des Nachmittags setzte Friedrichshafens Nationalspieler David Sossenheimer gleich mal in den Block, danach ging die VfB-Annahme daneben, beim dritten Ballwechsel fand Sossenheimer erneut seinen Meister in Lüneburgs Mauer am Netz. Nach dem nervösen Beginn fand der Favorit schleppend ins Spiel und zeigte am Ende jene Erfahrung, die Lüneburg noch fehlt. Der VfB glich zum 23:23 aus, dann half ihm Lüneburg mit einem Aufschlag- und einem Angriffsfehler, den Satz zu gewinnen. "Wenn wir hier gewinnen wollen, dürfen wir den nicht verlieren", sagte Lüneburgs Kapitän Matthias Pompe. In der Tat fand Lüneburg, das fast ausschließlich Deutsche und Kanadier im Kader hat, auch danach nicht in seinen Rhythmus. Friedrichshafens Block war zu stark, Lüneburgs Angriff und Aufschlag zu schwach, und wenn die SVG-Profis mal einen Ball auf den Boden brachten, entschied der Videobeweis gegen sie. Wie Mitte des zweiten Satzes, als das Spielgerät bei näherer Betrachtung auf dem Schuh eines Friedrichshafeners gelandet war und der Ballwechsel wiederholt werden musste. Je länger die Partie dauerte, desto mehr wünschte sich wohl auch Lüneburgs Libero Tyler Koslowsky in seine norddeutsche Wahlheimat an die Theke jenes Canadian Coffee Shops zurück, den er nebenbei in Lüneburg betreibt. Und sein Landsmann, Diagonalspieler Ryan Sclater, hätte wohl auch viel lieber in St. Johannis, der größten Kirche Lüneburgs, wieder den sonntäglichen Gottesdienst begleitet mit seiner Gitarre, wie er es ab und zu macht. Insbesondere Sclater, der Hauptangreifer, hatte in diesem Finale gar keinen himmlischen Auftritt. "Ein Pokalfinale zu spielen, muss man lernen", sagte Heynen noch, es klang wie ein väterlicher Rat an den Ziehsohn.
9
Gut, Kimi Räikkönen ist vielleicht nicht der beste Ansprechpartner für die Thematik. Fragen kann man ihn natürlich trotzdem. Auch wenn die Gefahr besteht, dass ihm die ganze Angelegenheit egal ist, wie so viele Dinge abseits seines Privatlebens. Im Jahr 2021 will die Formel 1 endlich wieder spannender werden, deshalb verpasst sie sich sehr bald ein neues Reglement. Darüber kann man mit Räikkönen reden, dem Weltmeister von 2007, der im Vorjahr noch der Teamkollege von Sebastian Vettel bei der Scuderia Ferrari war und der sich seit dieser Saison beim kleinen Team Alfa Romeo allmählich auf die nahende Rennfahrerrente einstellt. Kimi Räikkönen ist 39 Jahre alt, im Jahr 2021 wird er 41. An diesem Sonntag bestreitet er in Monaco sein 300. Formel-1-Rennen. Dieses Jubiläum, man ahnt es vielleicht, ist Räikkönen allerdings wurscht. Er sagt: "Das ist doch nur eine Zahl, die ist mir völlig egal." Er habe einige Anstrengungen unternommen, sämtliche Kuchen und Aufmerksamkeiten, die nun unweigerlich auf ihn niederregnen, abzulehnen. Dies sei ihm nur teilweise gelungen. Weil aber der wunderbare Kimi Räikkönen den Menschen um ihn herum nicht egal ist, haben diese anlässlich dieses Jubiläums, auf das Räikkönen sehr stolz sein dürfte, sich überlegt, welcher seiner Sprüche eigentlich der beste war? Die Entscheidung fällt schwer. Die Auswahl ist riesig. Und viele Dialoge mit ihm lesen sich so, als hätte sie Jim Abrahams und die Brüder David und Jerry Zucker getextet, die Drehbuchautoren der Nackten-Kanone-Reihe und von "Airplane!" ("Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug"). Kimi, du hast ein sexy Tattoo auf dem Arm, was ist das? "Es ist ein Tattoo." Und was bedeutet das Tattoo? "Nichts, gar nichts." Ist es permanent? "Das weiß ich nicht." In Bahrain ist Räikkönen mal gefragt worden, warum ihm der Kurs so gut liege. "Weiß ich doch nicht. Geh' und frag den Kurs!" Oder, hier: vor wenigen Wochen, wieder Bahrain. Die Ingenieure in Räikkönens Box interessieren sich über Funk dafür, was mit seinem Frontflügel los sei? "Das weiß ich doch nicht, das müsst ihr mir sagen!" Womöglich hängt von dem Plan die Zukunft der Formel 1 ab Vor dem Hintergrund von Räikkönens Vorliebe für pointierte Desinformationsrhetorik war seine Antwort am Rande des Rennens in Monaco durchaus erstaunlich. Als er gefragt wurde, ob er irgendwelche Gedanken verbinde mit der Reglementänderung 2021, wurde er fast ein wenig ernsthaft. Für gewöhnlich, sagte Räikkönen, blieben die großen Teams auch nach einer Änderung der Spielregeln vorne. "Weil sie die Mittel haben, um den besten Weg zu finden, damit umzugehen." Im Übrigen wäre es "natürlich nett, wenn alles ein wenig zusammenrücken würde - nicht nur für uns Fahrer, sondern auch für den Sport". Und persönlich? "Mein Vertrag läuft im nächsten Jahr aus, was danach passiert, werden wir sehen. Es kommt darauf an, wie es läuft. Und ob ich noch interessiert bin weiterzumachen." Es hängt sehr viel an dieser Reglementänderung. Womöglich die Zukunft der Formel 1. In Monaco schoben sich am Samstag die Silberpfeile von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas in die erste Startreihe. Mal wieder. Bei der Hafenrundfahrt, bei der sich auf der Strecke kaum überholen lässt, könnte es zum sechsten Doppelsieg von Mercedes im sechsten Rennen kommen. Ende des Jahres, daran zweifelt eigentlich niemand mehr, wird Mercedes im sechsten Jahr nacheinander die Fahrer-WM und die Konstrukteurs-WM gewonnen haben. Was also tun? Der Vorsprung der Großen ist einfach zu groß Liberty Media, im dritten Jahr Rechteinhaber der Formel 1, kennt im Prinzip den Hebel, an dem in erster Linie angesetzt werden müsste: das Geld. Solange die drei großen Rennställe Mercedes, Ferrari und Red Bull über ein Vielfaches an Entwicklungsressourcen verfügen, wird keines der finanziell abgehängten Teams ein Rennen gewinnen. Über die Sinnhaftigkeit einer Budgetdeckelung herrscht inzwischen auch Einigkeit. Allerdings soll sie erst 2021 eingeführt werden. Und dann nicht einmal sofort, sondern stufenweise, ehe 2023 eine Obergrenze von 150 Millionen Dollar bindend sein wird. Für die anstehende Reform kommt die Reglementierung also zu spät. Und abgesehen davon: Die Dominanz von Mercedes lässt sich nicht allein mit dem Entwicklungspotential von Mercedes an den Standorten in Brackley und Brixworth erklären. Ferrari und Red Bull spielen da in derselben Liga. Das Problem der Formel 1 ist es, dass Mercedes mit einem großen Entwicklungsvorsprung in die Ära der Hybrid-Motoren gestartet ist, die im Jahr 2014, im Zuge der vorerst letzten großen Reform, eingeläutet wurde. Seit diesem Moment fahren Red Bull und Ferrari hinterher und bemühen sich, die Lücke zu verkleinern. Ein ähnliches Phänomen gab es wenige Jahre vorher bei Red Bull zu beobachten. Als der Brauserennstall in den guten, alten Vetteljahren zwischen 2010 und 2013 mit einer überlegenen Aerodynamik zu vier Weltmeisterschaften in Serie bretterte - bis zur Reform 2014. Und noch ein Gedanke treibt die Teamchefs der kleineren Rennställe derzeit um: die Frage, wann exakt das Reglement für 2021 präsentiert wird. Teamchefin Claire Williams warnte davor, das Reglement früher als unbedingt nötig bekanntzugeben. Die Rennställe müssten dann zeitgleich drei Rennwagen entwickeln, was die großen Teams stemmen können, die kleinen aber überfordert: Der gegenwärtige Renner muss noch eine Weile weiterentwickelt werden. Parallel dazu wird jetzt schon der Wagen für 2020 entworfen. Und der für 2021 muss vorempfunden werden ab dem Moment, an dem Klarheit über die neuen Spielregeln herrscht. Stand jetzt sollen bereits im nächsten Monat erste Details verkündet werden. Christian Horner, Chef vom Red-Bull-Team, gab in Monaco allerdings zu bedenken, dass, was auch immer dann präsentiert werde, zwischen den Teams noch viele Wochen und Monate nachverhandelt würde. "Irgendwas kommt im Juni. Das wird sich wieder ändern im September, Oktober, wahrscheinlich auch noch im November. In Kürze wird etwas vor uns liegen. Aber dann fängt der Spaß erst richtig an." Wichtig wäre vor allem, da herrscht Einigkeit, dass der Spaß irgendwann auf die Rennstrecke zurückkehrt. Der Tag wird kommen, an dem Kimi Räikkönen nicht mehr fährt.
9
Dass Nicolas Maduro seinen Widersacher Juan Guaidó einreisen ließ, ist noch kein Zeichen für Maduros Schwäche. Im venezolanischen Machtkampf wird entscheidend sein, wer von beiden die traditionellen Chavisten auf seine Seite zieht. Naheliegend wäre es, die triumphale Rückkehr des selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó nach Venezuela als Zeichen der Schwäche seines Widersachers Nicolás Maduro zu deuten. Guaidó wurde am Flughafen nicht festgenommen, wie von höchster Stelle zunächst angedroht, er reiste unbehelligt als Passagier eines Linienfluges ein. Es war eine Demütigung des Regimes. Vor allem aber zeugt es von einem neuen Pragmatismus, dass Maduro sich von Guaidó nicht provozieren ließ. Angesichts der glaubwürdigen Drohungen aus Washington und Brüssel könnte er zur Erkenntnis gelangt sein, dass es ihm mehr schadet als nützt, Guaidó in Handschellen zu legen. Für Nachrufe auf die Maduro-Ära ist es jedenfalls wohl noch zu früh. Für die Frage, wie es im Machtkampf um Caracas weitergeht, ist jetzt entscheidend, ob auch Guaidó pragmatisch vorgeht. Er darf sich von seiner Popularität in traditionellen Oppositionsmilieus nicht blenden lassen und muss auf jene Venezolaner zugehen, die derzeit keinen der beiden Präsidenten unterstützen - traditionelle Chavisten, die sich von Maduro verraten fühlen. Falls es Guaidó gelingen sollte, diese gewichtige Bewegung ins Boot zu holen, hätte er erstens den Vorwurf entkräftet, eine rechte Putschbewegung anzuführen. Zweitens wäre Maduro dann endgültig isoliert.
7
In den Häuserschluchten von Baku hat sich Sebastian Vettel erneut der Übermacht von Mercedes beugen müssen und verliert den fünften Formel-1-Titel schon früh aus den Augen. Im vierten Saisonlauf gelang den Silberpfeilen am Sonntag in Aserbaidschan der vierte Doppelerfolg. Diesmal entschied der Finne Valtteri Bottas das Team-Duell mit Weltmeister Lewis Hamilton knapp für sich und holte sich so die WM-Führung zurück. Der mit großen Hoffnungen nach Baku gereiste Vettel kam als Dritter ins Ziel und liegt nun schon 35 Punkte hinter dem Gesamt-Spitzenreiter. Für den von der Pole Position gestarteten Bottas war der fünfte Grand-Prix-Erfolg auch etwas Genugtuung nach dem Pech der Vorsaison, als ihn eine Reifenpanne kurz vor Schluss in Baku den Sieg kostete. Mit einer fehlerfreien Vorstellung holte er sich nach dem Auftaktsieg in Melbourne zum zweiten Mal in diesem Jahr Platz eins und stockte sein Konto auf 87 WM-Zähler auf. Hamilton hat als Zweiter einen Punkt weniger, Vettel ist mit 52 Punkten nun Dritter. Doch das ist nicht wirklich der Platz, den der viermalige Champion und Ferrari anpeilen. Nach den Enttäuschungen in den ersten drei Saisonrennen verlief auch das vierte Grand-Prix-Wochenende für die Scuderia wieder alles andere als nach Plan. Neuzugang Charles Leclerc, der im Training noch der Schnellste gewesen war, vergab durch einen Unfall in der Qualifikation die erhoffte Pole Position. Die schnellste Rennrunde und ein Zusatzzähler für die WM war da nur ein kleiner Trost für den am Ende fünftplatzierten Monegassen. Vettel musste sich mit Startplatz drei begnügen, weil das Mercedes-Duo auch dank geschickter Windschatten-Strategie die erste Reihe eroberte. Wieder einmal war von der vermeintlichen Überlegenheit des Ferrari-Motors nicht viel zu sehen. Auch am Start war für Vettel kein Vorbeikommen an den Silberpfeilen. Bottas verteidigte geschickt Platz eins vor Hamilton und fuhr schnell ein kleines Polster auf den Briten heraus. Auf Vettel betrug der Vorsprung des Finnen nach zehn Runden bereits satte zehn Sekunden. Offensichtlich kämpfte der Heppenheimer mit Reifenproblemen. Deutlich besser lief es in dieser Phase für seinen Teamgefährten Leclerc. Von Startplatz acht führte der Monegasse eine starke Aufholjagd auf und war nach zwölf Runden dicht hinter Vettel auf Platz vier. Ferrari reagierte, holte Vettel zum Reifenwechsel. Auch Bottas und Hamilton kamen an die Box. Nun führte Leclerc sogar das Feld an, weil er anders als das Toptrio mit der härteren und damit länger haltbaren Reifenmischung losgefahren war. Die Rundenzeiten des 21-Jährigen waren jedoch bald deutlich langsamer als die der Verfolger. Ferrari spekulierte anscheinend darauf, dass auf dem engen Stadtkurs von Baku wie so oft ein Safety-Car benötigt würde und das Team dadurch weniger Zeit beim Boxenstopp verlieren würde. Mercedes setzte dagegen und trieb seine beiden Piloten an, die Lücke zu Leclerc möglichst bald zu schließen. Zwei der zuvor drei Rennen am Kaspischen Meer hatte das Werksteam gewonnen. 2016 siegte Nico Rosberg auf dem Weg zu seinem WM-Titel, im Vorjahr profitierte Lewis Hamilton vom Pech seiner Rivalen und gewann. Ferrari und Vettel verbinden eher Frust-Erlebnisse mit Baku. 2017 entlud sich der Ärger des Hessen sogar in einem Rammstoß gegen Hamilton. Auch diesmal ging die Ferrari-Taktik nicht auf. Nach 31 Runden zog Bottas an Leclerc vorbei, eine Runde später gelang dies auch Hamilton. Immerhin hatte Vettel durch die Scharmützel an der Spitze ein wenig Boden auf die Mercedes gut gemacht, als auch er in der 34. Runde Leclerc überholte. In einem lange spannungsarmen Rennen brachte eine Panne am Red Bull des Franzosen Pierre Gasly zum Ende noch etwas Nervenkitzel. Die Rennleitung bremste das Feld zunächst mit einem virtuellen Saftey-Car ein. Als das Rennen wieder freigegeben war, nahm Vettel noch einmal Schwung für die Jagd auf Hamilton. Doch gegen die Mercedes war für den 33-Jährigen einmal mehr nichts auszurichten.
9
Der Erfolg von Zuzana Čaputova bei der Präsidentschaftswahl in der Slowakei beweist: Im einstigen Ostblock hat die liberale Demokratie doch eine Chance. Gibt es auch Hoffnung für Polen und Ungarn? Noch gut zwei Monate sind es bis zur Europawahl, und die Aussichten sind trüb. Diverse Prognosen lassen befürchten, dass Rechtspopulisten und Rechtsextreme kräftig zulegen und dann auf ihren Parlamentssitzen in Brüssel und Straßburg das ihnen verhasste Wackelgebäude namens EU von innen zerlegen. Die Vorkämpfer dieser Bewegung sitzen besonders geballt im Osten, in Städten wie Warschau und Budapest, und so mancher Europa-Nostalgiker fragt sich, ob es nicht ein Fehler war, jene postkommunistischen, offenbar zu den Anstrengungen einer liberalen und pluralen Ordnung nicht bereiten Gesellschaften in den Klub der Demokraten und Idealisten aufzunehmen. Ausgerechnet aus dem Osten weht jetzt ein tröstlich wärmender Windhauch, ein Frühlingslüftchen. In der Slowakei hat am Wochenende die 45-jährige Anwältin Zuzana Čaputová die Präsidentschaftswahl gewonnen, mit fast 22 Prozentpunkten Vorsprung auf den Kandidaten der Regierungspartei. Zwar hat das slowakische Präsidentenamt vor allem repräsentative Funktion, und Čaputová muss noch die Stichwahl bestehen - trotzdem weckt ihre Wahl Hoffnungen, über die Slowakei hinaus. Sie verkörpert in jeder Hinsicht einen Aufbruch: Čaputová ist als pro-europäische, liberale, antipopulistische Kandidatin angetreten, als Kämpferin gegen Vetternwirtschaft und Korruption. Das "Ausmisten" ist prägender Bestandteil ihrer Biografie; bekannt geworden ist sie als siegreiche Kämpferin gegen eine Giftmüllhalde, in deren Umgebung sich die Krebsfälle häuften. Aufräumen, ausmisten: Das Verlangen danach hat die Slowaken auf die Straßen getrieben Aufräumen, ausmisten: Das Verlangen danach hat die Slowaken zu Zehntausenden auf die Straßen getrieben, nachdem vor gut einem Jahr der Investigativjournalist Ján Kuciak ermordet worden war. Die Tat, die bis heute nicht aufgeklärt ist, war der Zündfunke für das Wiedererwachen des Bürgersinns von 1989, dem Jahr der "Samtenen Revolution". Die neue Welle war stark genug, um Čaputová zum Wahlsieg zu tragen, trotz aller Anfeindungen, Schmähungen und Lügen ihrer Gegner einschließlich des Standardvorwurfs, sie sei bloß eine Marionette des US-Milliardärs George Soros. Die 40,6 Prozent Wahlstimmen für Čaputová sind eine laute Wortmeldung der kritischen Zivilgesellschaft am östlichen Rand der EU: Hallo, wir sind auch noch da! Wir schauen nach Brüssel, nicht nach Moskau, wir lassen uns nicht einlullen und manipulieren von jenen, die uns in eine autoritäre, völkische, "illiberale" Gesellschaftsordnung binden wollen! Die Stimme dieser kritischen Zivilgesellschaft ist auch bei den Nachbarn nicht verstummt, in den anderen, weitaus autoritärer geführten Visegrád-Staaten. In Polen schließt sich eine wachsende Opposition gegen die nationalpopulistische PiS-Regierung zusammen, in Ungarn stemmen sich immer wieder Tausende Demonstranten gegen Viktor Orbáns Angriffe auf Medienfreiheit und Rechtsstaat. Zuzana Čaputovás Wahlsieg ist auch ein Weckruf an jene, die sich als Kerneuropäer verstehen: Nein, die Gesellschaften der ehemaligen Ostblock-Länder sind nicht per se unreif für die moderne Demokratie, für Europa. Sie sind anfällig für falsche Heilsversprechen, für Populismus, für Korruption - wie ihre westlichen Nachbarn auch. Und sie sind in der Lage, sich gegen solche Fehlentwickungen aufzulehnen. Und dabei hilft es sehr, wenn man europäische Verbündete hat.
7
Unbestritten spielt Teheran eine destabilisierende Rolle in der Region. Möglich ist aber auch, dass die US-Regierung die Bedrohung durch das Land gezielt aufbauscht. Das Briefing war lange angesetzt. Per Video-Schalte aus Bagdad sollte der Vizekommandeur der Operation Inherent Resolve, der Brite Chris Ghika, die im Pentagon akkreditierten Journalisten informieren über den Kampf der US-geführten Militärkoalition gegen die Terrormiliz IS im Irak und in Syrien. Aber wegen der Spannungen zwischen den USA und Iran wurde er natürlich nach der Bedrohung durch schiitische Milizen gefragt. Ihretwegen hat das US-Militär immerhin einen Flugzeugträger, eine Bomberstaffel und eine Batterie Patriot-Luftabwehrsysteme in die Region verlegt. Der britische Generalmajor Ghika antwortete: "Nein, es gibt keine gesteigerte Bedrohung durch von Iran unterstützte Kräfte im Irak und in Syrien." Es folgten ungläubige Nachfragen und ein halbes Dutzend Mal dieselbe Antwort. Ja, es gebe eine Bedrohung durch schiitische Milizen, diese werde beobachtet, der Eigenschutz der Truppen entsprechend angepasst. Aber es gebe keine gestiegene Bedrohung, und da sei er mit den Amerikanern ganz und gar auf derselben Seite. Was die offenbar deutlich anders sehen. Denn der Sprecher des Central Command, des für die Region zuständigen Regionalkommandos der US-Streitkräfte, veröffentlichte eine ebenso knappe wie scharfe Erklärung. Die Einlassungen Ghikas "widersprechen identifizierten glaubwürdigen Bedrohungen, die den US-Geheimdiensten und Verbündeten bezüglich iranischer Kräfte in der Region vorliegen". Deswegen sei die Alarmstufe der Truppen auf "hoch" heraufgesetzt worden. Am Mittwoch dann ordnete US-Außenminister Mike Pompeo an, nicht zwingend erforderliches diplomatisches Personal aus der Botschaft in Bagdad und dem Konsulat in Erbil abzuziehen, und zwar so schnell wie möglich. Das wirft die Frage auf, ob die Iran-Falken in Washington eine Bedrohung aufbauschen, um eine harte Linie bis zu möglichen Militärschlägen durchzusetzen, etwa Trumps Sicherheitsberater John Bolton oder Außenminister Mike Pompeo . Seine Haltung zur Islamischen Republik hatte Bolton vor seiner Rückkehr in die US-Regierung im April 2018 unmissverständlich deutlich gemacht: Man müsse Iran bombardieren, um das Atomprogramm zu stoppen, schrieb er in der New York Times. Und als bezahlter Redner der Volksmudschahedin, einer fragwürdigen Gruppe der iranischen Exil-Opposition, rief er zum Regimewechsel in Teheran auf. Die Amerikaner haben bisher wenig von dem öffentlich gemacht, worauf sie ihre Warnungen stützen. Auslöser sei die Entdeckung gewesen, dass Iran Behältnisse mit ballistischen Raketen an Bord mindestens einer Dhau gebracht habe, wie einfache hölzerne Segelschiffe genannt werden, die im Golf üblich sind. Es gibt im Irak mehrere schiitische Milizen, die de facto von den iranischen Revolutionsgarden kontrolliert werden. Auch lasten die USA nach einer vorläufigen Einschätzung Iran die Angriffe auf vier Öltanker vor dem emiratischen Ölhafen Fudschaira an. Zudem reklamiert die von Iran unterstützte Huthi-Miliz in Jemen die Drohnen-Attacke auf eine Pipeline in Saudi-Arabien für sich. Die US-Vorwürfe haben Plausibilität, mehr nicht Unbestritten ist auch unter europäischen Diplomaten, dass Iran eine destabilisierende Rolle in der Region spielt. In Syrien, in Libanon, mit der Unterstützung der Hisbollah und militanter Palästinenser-Gruppen, die Israel bedrohen, im Irak, in Jemen, mit seinem Raketenprogramm. Vor diesem Hintergrund sind die Vorwürfe der Amerikaner nicht ohne Plausibilität - aber auch nicht mehr. Die Huthis schießen seit Jahren Raketen auf zivile Ziele in Saudi-Arabien. Allerdings widersprechen unabhängige Experten ebenso wie europäische Diplomaten und Geheimdienstler der in Riad und Washington gängigen Darstellung, die Huthis würden von Iran kontrolliert und gesteuert, so wie die Hisbollah. Fast zeitgleiche Sabotage-Attacken auf vier Tanker in den gut gesicherten Gewässern vor Fudschaira bedürfen militärischer Planung und würden in den Modus Operandi von Spezialeinheiten der Revolutionsgarden passen. Haftminen, die einen Abschreckungseffekt erzielen sollen, ohne Iran direkt zu inkriminieren. Sie könnten aber auch, wie Irans Außenminister Mohammad Jawad Zarif sagt, ein Versuch sein, einen Konflikt zu provozieren. Er habe "diese Art von Aktivitäten vorhergesagt, die darauf abzielen, Spannung in der Region eskalieren zu lassen", und das "Team B" unter Verdacht gestellt: Israels Premier Benjamin Netanjahu, Saudi-Arabiens Kronprinzen Mohammed bin Salman und US-Sicherheitsberater Bolton. Bis zu 120000 US-Soldaten könnten in die Region verlegt werden Dieser hat sich laut US-Medien vom Pentagon vergangene Woche aktualisierte Planungen für Militärschläge vorlegen lassen. Sollte Iran US-Truppen in der Region attackieren oder sein Atomprogramm wieder derart starten, dass sich die Zeit bis zum möglichen Bau einer Bombe auf deutlich unter ein Jahr verkürzt, könnten bis zu 120 000 US-Soldaten in die Region verlegt werden. Noch ist die US-Truppenpräsenz dort auf einem Niveau, das nicht über dem der vergangenen Jahre liegt. Auch damit aber könnten die USA begrenzte Angriffe auf Ziele in Iran ausführen, etwa mit seegestützten Marschflugkörpern. Irans Oberster Führer Ali Khamenei hat im Staatsfernsehen beschwichtigt, es werde keinen Krieg mit den Amerikanern geben, weil diese wüssten, dass dies nicht in ihrem Interesse wäre. Iran aber werde den "Weg des Widerstands" gegen die USA fortsetzen. Er scheint in der Drohkulisse aus Washington einen Nervenkrieg zu sehen, und nicht einen, der mit Waffen ausgefochten wird.
7
Die Rückennummer 9 ist in Bad Tölz nicht irgendeine Nummer, sondern eine Verpflichtung. Der legendäre Lenz Funk trug sie, als der EC Bad Tölz 1966 zum zweiten Mal die deutsche Eishockey-Meisterschaft gewann. Von dieser Woche an wird Jordan Hickmott sie tragen. Am Freitag, dem letzten Tag der Transferperiode in der DEL 2, erhielt der Stürmer die Freigabe, am Samstag gaben die Tölzer Löwen die Verpflichtung des 28-jährigen Kanadiers bekannt, der von den Black Wings Linz aus der ersten österreichischen Liga kommt. Dorthin war Hickmott aus Villach gewechselt, wo er in 51 Spielen 42 Scorerpunkte gesammelt hatte. Zuvor war er in der Slowakei für Banska Bystrica in 71 Partien auf 68 Punkte gekommen. In Linz aber hatte Hickmott Pech, verletzte sich im zehnten Saisonspiel schwer an der Schulter und schaffte es nicht mehr zurück in den Kader der Oberösterreicher. Seine Saisonausbeute: null Punkte. "Er wird ein paar Spiele brauchen, aber er wird uns definitiv helfen, Erfolg zu haben", sagt Löwen-Trainer Scott Beattie - und lehnt sich weit aus dem Fenster: "Er ist ein sehr guter Spieler und sollte einer der besten DEL-2-Kontingentspieler sein." Hickmott besetzt die Stelle, die durch die Knöchelverletzung seines Landsmanns Kyle Beach frei geworden ist. Damit ist auch klar, dass Beach in dieser Saison nicht mehr zum Einsatz kommen wird. An seiner statt soll Hickmott die Löwen zum Klassenerhalt führen. Sein Geburtsort in der Provinz British Columbia ist eine Verpflichtung: Mission.
5
Es gibt einen Mannschaftsteil des TSV 1865 Dachau, der derzeit besonders gefordert ist. "Die Mittelfeldspieler müssen ackern", sagt Spielertrainer Fabian Lamotte, der als Innenverteidiger einen guten Blick darauf hat, was seine Vorderleute leisten. Besonders das Auftreten in der Rückwärtsbewegung gefällt ihm. "Sie machen es besser als zu Saisonbeginn", findet er. Die Früchte ihrer laufintensiven Spielweise erntet die ganze Mannschaft. "Das macht uns hinten das Leben leichter." So wie am Samstag, als der TSV die DJK Vilzing 1:0 besiegte und so in der Tabelle an Vilzing vorbeizog. 1865 hat damit seit der Winterpause zehn von möglichen zwölf Punkten geholt und nach Pullach und Kottern nun den dritten Gegner aus den vorderen Tabellenregionen geschlagen. Die Dachauer hatten es mit einem gut organisierten Gegner zu tun, der tief stand und auf Umschaltsituationen lauerte. Dass dieses Fach auch sein Team beherrscht, zeigte sich in Minute 34, als Nickoy Ricter von Christian Doll bediente wurde und zum 1:0 traf. "Ich hätte mir noch ein bisschen mehr Geduld in unserem Spiel gewünscht", sagte Lamotte zur ersten Halbzeit, die er dennoch für gut befand. Nach der Pause liefen die Gäste höher an, nahmen dem TSV die Ruhe im Aufbauspiel. "Viele lange Bälle sind in unseren Strafraum geflogen", sagte Lamotte, einer wurde ganz besonders gefährlich: Nach starker Parade von Torhüter Maximilian Mayer schoss Ben Kouame einen Dachauer aus kurzer Distanz auf der Torlinie an. "Da hatten wir Glück", gab Lamotte zu. Dachaus Aufschwung im Frühjahr hat viel mit defensiver Stabilität zu tun: Erst ein Gegentor gab es in vier Spielen. "Das spricht Bände", betonte Lamotte, sein Team arbeite "grundsätzlich besser" gegen den Ball. Der Grundstein dafür wurde in der Winterpause gelegt: "Wir wollen relativ hoch attackieren, und das schaffen wir im Moment phasenweise sogar sehr gut." Plötzlich ist der TSV, der gegenüber seinen Tabellennachbarn noch zwei Nachholspiele in der Hinterhand hat, voll im Rennen um den Aufstiegsrelegationsplatz. Öffentlich spricht darüber niemand. "Das Thema ist immer das nächste Spiel, sonst nichts", sagt Lamotte in Profi-Manier. Den Dachauern stehen beginnend mit der Partie am Mittwoch in Schwabmünchen nun zwei englische Wochen ins Haus. Nicht nur der Rhythmus ändert sich, auch die Kategorie der Gegner: Nach vier Rivalen aus der oberen Tabellenregion bekommt es der TSV nach Schwabmünchen mit drei abstiegsbedrohten Teams zu tun. Das mache es schwieriger, glaubt Lamotte, "die werden kratzen und beißen." Sein TSV wirkt gerüstet.
5
Nun sei der Patient auf der Normalstation, berichtet Peter Jackwerth am Telefon. Man hört ihn einmal durchatmen, bevor er zufrieden anfügt: "Wir warten auf die Entlassung." Vor sieben Wochen sah der Vorstandsvorsitzende des FC Ingolstadt 04 seinen Verein, der in diesem Fall der Patient ist, als abgeschlagenen Tabellenletzten im Leichenschauhaus der zweiten Bundesliga. Ein paar Tage darauf brachte ihn der aktuelle Trainer Tomas Oral mit dem Sieg in Duisburg wieder zurück auf die Intensivstation, so beschrieb Jackwerth es damals. Und so turbulent sich dieser Saisonverlauf anhört, war er auch: Zwei Relegationsspiele gegen den SV Wehen Wiesbaden am Freitag und am Dienstag (je 18.15 Uhr) klären nun, ob die Ingolstädter den späten Klassenverbleib noch schaffen. "Oder es geht wieder zurück", sagt Jackwerth etwas bedrückter. Ins Leichenschauhaus? "Ja, so ungefähr." In den sieben Spielen mit Thomas Oral holte das Team 16 Punkte - zuvor waren es 19 in 27 Partien Der 61-Jährige hat in dieser Saison vier Chef- und einen Interimstrainer erlebt. "Das ist jetzt aber egal", sagt er. "Wir haben zwei Spiele vor der Brust. Die wird ein Trainer machen und die gleiche Mannschaft." Er lacht, das hat vor allem mit der zurückgekehrten Leichtigkeit unter Oral zu tun. Der hat das Team im Gespann mit den Co-Trainern Michael Henke und Mark Fotheringham sowie dem Sportverantwortlichen Thomas Linke stabilisiert. Während die Ingolstädter zuvor ein aufs andere Mal Führungen noch abgaben und so schon erkämpfte Punkte noch verloren, ergreifen sie unter Oral ihre Chancen beherzt. "Er kann eine Mannschaft zusammenschweißen", sagt Jackwerth über die Trendwende unter Oral. "Eine Einheit waren sie schon zuvor. Jetzt sind sie eine zusammengeschweißte Einheit." In den sieben Partien holte das Team 16 Punkte (zuvor 19 in 27 Partien), es verlor unter Oral nur das letzte Saisonspiel in Heidenheim. Mittlerweile hetzt der FCI wieder so seinem Gegner nach, wie vor drei Jahren in der Bundesliga, als man ihm den Zusatz "eklig" gab, diese Eigenschaft war durchaus anerkennend gemeint. Die meiste Zeit hat zwar nun der Gegner den Ball, doch die Tore schießt Ingolstadt. "Tomas Oral hat von Anfang an darauf geachtet, Fehler zu vermeiden", sagt Jackwerth. Es sei für die Mannschaft eine "Bewusstseinsöffnung" gewesen, auf Ergebnis zu spielen statt nach schönen Spielen zu verlieren. Ans Verlieren denkt Jackwerth ohnehin nicht mehr: "Wir können jeden schlagen in unserer Liga, dann denke ich, dass wir auch Wehen Wiesbaden schlagen können." Seit 2009 spielt der Gegner in der ein Jahr zuvor gegründeten eingleisigen dritten Spielklasse, er ist damit der Liga-Dino, führt auch die ewige Tabelle an und blickt auf eine starke Saison unter dem Trainer Rüdiger Rehm zurück. Von den zehn bisherigen Relegationsrunden gewann zudem siebenmal der Drittligist. Doch Oral sieht dieses Jahr eine neue Ausgangssituation: "Es ist nicht üblich, dass beide Teams einen positiven Lauf haben." Normalerweise reist ja ein geknickter Zweitligist an, doch nun sagt auch Jackwerth: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir am 29. Mai noch in der Liga sind." Am 28. Mai findet das Rückspiel im Ingolstädter Sportpark statt. Es sind ja wegweisende Partien, die auf den Verein zukommen und die eben auch zwei mögliche Zukünfte in sich bergen: Klappt es gegen Wehen nicht, könnte der ambitionierte Klub erstmals seit neun Jahren aus den ersten beiden Ligen verschwinden. Das ist auch der Grund, wieso die Ingolstädter bislang keinen Nachfolger für den Geschäftsführer Harald Gärtner, der sich im März einvernehmlich vom Verein trennte, präsentieren konnten. Ohne gesicherte Ligazugehörigkeit ergeben konkrete Verhandlungen wenig Sinn, auch wenn der FCI bisher mit mehreren Kandidaten Gespräche führte. Eines steht ohnehin fest: Der Sportverantwortliche Linke wird seine Arbeit wie vereinbart nach der Saison beenden und sich wieder zurückziehen, vielleicht bleibt er dem Klub als Berater des Aufsichtsrats erhalten. Eigentlich sollte Trainer Oral nur bis Ende Juni bleiben. Das könnte sich nach der Relegation ändern Trotzdem treibt der Klub die Planungen für 2019/20 voran, in welcher Liga er die Saison auch bestreiten wird. Aktuell trifft sich Jackwerth selbst mit Spielern. Denn trotz der unerwartet holprigen Saison drohen auch Abschiede von Stützen des Klubs: Thomas Pledl wechselt zu Fortuna Düsseldorf, auch Topscorer Sonny Kittel oder Zehn-Tore-Angreifer Darío Lezcano könnten den Verein verlassen. Einen Sinneswandel deutet Jackwerth dagegen mit dem möglichen Verbleib des Trainers Oral an, dessen Vertrag bis Ende Juni gilt und der eigentlich nur bis dahin eingeplant war. "Wenn er die Relegation schafft, werden wir uns zusammensetzen. Dann ist es eine 50/50-Sache", sagt er, gibt jedoch zu bedenken, dass es bei einem Veto des neuen Sportchefs wohl keine Zukunft für Oral gäbe. Man merkt Jackwerth an, wie bemüht er darum ist, seinem Patienten nun endlich wieder die dringend benötigte Ruhe zu verschaffen.
9
Der Schlusspfiff war kaum verklungen, das Ausscheiden der Römer aus der Champions League nach dem 1:3 in Porto gerade besiegelt, da brach Kapitän Daniele De Rossi eine Lanze für seinen Trainer: "Eusebio Di Francesco hat noch eine Chance verdient." Aus Boston wütete Präsident James Pallotta via Twitter gegen den Schiedsrichter: "Man hat uns bestohlen!" Der Schiedsrichter sei der Dieb. Einen Elfmeter für Porto in der 117. Minute und keinen für die Roma in der 120. Minute. Di Francesco sagte nichts. Auch den Rückflug nach Rom absolvierte er schweigend. Und am nächsten Mittag war er entlassen. Der Abschied von der Mannschaft soll dem Vernehmen nach eisig gewesen sein. So ist Rom. Wenn ein Papst gestorben ist, wählt man halt den nächsten. Der nächste ist ein alter Bekannter und dazu noch einer, der seine Spieler tatsächlich wie ein Papa behandelt, was das italienische Wort für Papst ja bedeutet. Claudio Ranieri war nicht nur schon einmal Roma-Trainer (2009 - 2011) und hätte dabei fast einmal die Meisterschaft gewonnen - was dann Inter Mailand gelang -, aber die Roma gäbe heute schon ein Königreich für Platz zwei. Ranieri ist überdies erklärter Romanista, sozusagen von Geburt an, und diese Geburt ereignete sich 1951 auch noch in unmittelbarer Nachbarschaft jenes Ortes, wo der Klub selbst aus der Taufe gehoben wurde: Testaccio, das ehemalige Schlachthofviertel. Ranieris Vater betrieb dort eine Metzgerei, was dem Sohn bis heute den nur in Rom schmeichelhaften Beinamen er fettina bescherte - das Schnitzel. Wobei der extrem populäre Trainer, wiewohl zwischenzeitlich ins Reichenviertel Parioli umgesiedelt, eigentlich schon zum Divo Claudio avanciert ist, zum vergöttlichten Imperator, seitdem er auf den Spuren des alten Claudius Britannien erobert hat. Seit dem sensationellen Meistertitel mit Leicester City 2016 hat Ranieri bei den nächsten Stationen Nantes und Fulham nicht mehr ganz so viel Lorbeer einheimsen können. Bei dem Londoner Klub wurde er nach drei Monaten schon wieder weitergeschickt, nachdem Fulham gegen Hinz und Kunz immer nur verloren hatte. In Rom kriegt er jetzt auch drei Monate, bis zum Saisonende. Mehr will Ranieri nicht. Einmal kurz durchlüften und Schluss. Und ein Platz für die Champions League soll es bitte auch sein. Derzeit ist die Roma auf Rang fünf. Im Sommer soll dann Maurizio Sarri kommen, der derzeit beim FC Chelsea leidet. Sarri ist bei Weitem nicht so gemütlich wie Ranieri, er ist sogar ziemlich ungemütlich. In Italien fiel er unter anderem dadurch auf, dass er einen Trainerkollegen als "Schwuchtel" beschimpfte. Vielleicht überlegt sich James Pallotta die Personalie noch mal. Es gibt durchaus Kandidaten, die man bedenkenloser in ein Fernsehmikrofon sprechen lassen darf - was ja heutzutage auch zu den Aufgaben eines Übungsleiters gehört. Die Entscheidung, Di Francesco zu entlassen, soll der Präsident schon lange vor Porto gefasst haben. Dass die Luft raus war nach der überragenden Vorjahressaison mit dem Einzug ins Champions-League-Halbfinale, war tatsächlich seit Monaten spürbar. 23 Gegentore hat die Roma im neuen Jahr kassiert, davon allein sieben beim Pokalspiel am 30. Januar gegen den AC Florenz. Mit dem 1:7 stand Di Francescos Rauswurf im Raum, mit der 0:3-Klatsche im Derby gegen Lazio am vergangenen Samstag war er besiegelt. Wenn die Roma sich ins Viertelfinale gehangelt hätte, wäre vielleicht noch ein Postskriptum drin gewesen. Nicht die Schludrigkeit des Schiedsrichters, der am Ende der Verlängerung auf die Konsultation des Videoassistenten verzichtete, sondern Alessandro Florenzis Trikotzupfer drei Minuten zuvor bedeutete das Ende. Ohne diese irre Aktion, die den Portugiesen den siegbringenden Strafstoß bescherte, wäre wenigstens noch das Elfmeterschießen möglich gewesen. Neben Di Francesco geht Sportdirektor Ramón Rodríguez Verdejo alias Monchi, der für schuldig befunden wurde, eine schlechte Transferpolitik betrieben zu haben: zu viel Geld für zu viele überschätzte Junge. Wie das in naher Zukunft anders laufen soll, weiß niemand so genau. Seit Jahren verkauft die Roma ihre besten Spieler, von Mohamed Salah über Torwart Alisson Becker (beide Liverpool) über Miralem Pjanic (Juventus) bis Radja Nainggolan (Inter Mailand). Pallotta will Kasse machen, und dazu würde er am liebsten auch endlich ein eigenes Stadion bauen - aber bis das so weit ist, wird wohl noch viel Wasser den Tiber hinabfließen. In dieser Saison ließ sich der Präsident in Rom noch seltener blicken als zuvor. Ein abwesender Patron aber macht den Neuanfang noch schwieriger, wenn nicht unmöglich. Claudius, der Britannien-Eroberer, hat bei seinen Feldzügen auch nicht vom Palatin getwittert.
9
Schulpsychologen kümmern sich um Kinder und Lehrer, die zu viel Druck haben, gemobbt werden oder gar über Suizid nachdenken. Wer in der Klasse Hilfe braucht, verraten Hans-Joachim Röthlein oft Mitschüler. Sie sind gestresst, frustriert, verzweifelt: Schülerinnen und Schüler leiden laut Studien immer häufiger an seelischen Problemen. Eine Analyse der Kaufmännischen Krankenkasse brachte kürzlich ans Licht: 13- bis 18-Jährige sind heute doppelt so oft psychisch krank wie vor zehn Jahren. Aber auch Lehrer erkranken häufiger. Schulpsychologen wie Hans-Joachim Röthlein versuchen zu helfen. SZ: Herr Röthlein, neulich hat ein Münchner Schüler eine Petition gestartet. Er fordert in der Schule mehr Aufklärung über Depression. Ist das wirklich nötig? Hans-Joachim Röthlein: Das ist sehr wichtig, weil es um eine Volkskrankheit geht. Ich bin selbst an Schulen, spreche mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit Lehrkräften über depressive Entwicklungen. Die Sensibilität für das Thema ist größer als früher, aber es gibt noch viel zu tun. Woran merkt ein Lehrer, dass ein Kind in seiner Klasse seelische Probleme hat? Wenn sich ein Schüler im Unterricht immer mehr zurückzieht, kann das ein Indiz sein. Manchmal fallen auch Zeichnungen im Kunstunterricht auf. Viele Hinweise kommen aber auch von den Kindern selbst. Sie wissen sehr viel, was Lehrkräfte und Psychologen nicht wissen. Sie sehen zum Beispiel auf Instagram, dass ein Freund oder eine Freundin ein Bild auf einer Brücke postet und dazu einen Text schreibt, der ihnen komisch vorkommt. Oder Nachrichten auf Whatsapp, in denen steht: Ich kann nicht mehr. Wie kriegen Sie die Schüler dazu, dieses Wissen mit Ihnen zu teilen? In vielen Fällen kommen sie von sich aus auf uns zu. Ein guter Ansatz ist auch immer, mit Meinungsführern zu sprechen. Das muss nicht immer der Klassensprecher sein. Es sind Jungen oder Mädchen, deren Wort in der Klasse zählt. Viele haben da ein ganz feines Gespür. Ich habe auch schon Geschichten gehört, die ich nicht glauben konnte. Zum Beispiel? Wenn jemand daran denkt, sich das Leben zu nehmen, kommt es vor, dass andere Kinder stundenlang wach bleiben, mit der Person chatten und sie coachen. Ich habe erlebt, dass manche sogar mitten in der Nacht aufstanden, sich daheim bei einer suizidgefährdeten Mitschülerin trafen, eine Krisensitzung machten, anschließend in der Früh wieder nach Hause schlichen, sich ins Bett legten und so taten, als hätten sie geschlafen. Danach saßen sie völlig übermüdet und verstört im Unterricht. Wie gehen Sie vor, wenn Sie Hinweise erhalten, dass es einem Kind nicht gut geht? Ich suche erst mal das Gespräch mit dem betroffenen Schüler. Hat er Prüfungsangst? Gibt es daheim Ärger? Wird er gemobbt, oder gibt es vielleicht einen ganz anderen Grund? Danach entscheide ich, wie es weitergeht. Dann folgen zum Beispiel Gespräche mit Lehrkräften und den Eltern. Wenn es um schwerwiegende Fälle geht, kümmere ich mich auch um einen Therapieplatz. Wenn es zum Schlimmsten kommt, ein Schüler sich das Leben nimmt - wie vermittelt man das den Mitschülern? Das ist ein wichtiger Punkt. Wem wird was mit welchen Worten und von wem in welchem Setting erzählt? Es ist nicht immer leicht, den Begriff Suizid zu verwenden, weil die Hinterbliebenen das nicht immer wollen. Besonders, wenn sich Lehrer das Leben nehmen. Das Schwierige ist nur, wenn das Gerücht ohnehin schon die Runde macht. Dann muss der Schulleiter im Einzelfall entscheiden. Aber die Todesnachricht muss auf jeden Fall die Schüler erreichen, in welcher Form auch immer.
1
Als Jean-Marc Fournier gefragt wird, welches Gefühl zum Zeitpunkt seiner Heldentat durch ihn ging, wählt er mit Bedacht das Wort "zwiegespalten". Zum einen sei da diese Ruhe gewesen, die er bei jedem Male, die er in Notre-Dame war, gespürt hat. Zum anderen aber diese Vision der Apokalypse. Ein paar Minuten zuvor stand Fournier, der Kaplan der Pariser Feuerwehr, noch unter dem Triumphbogen und nahm an Festivitäten teil. Doch dann kam die Durchsage an alle Einsatzkräfte: Notre-Dame de Paris brennt. Schnell zog sich Fournier um und eilte zu der Kathedrale. Die Mission, für die er sich mit einigen anderen Kollegen meldete, war eine sehr gefährliche. Er wollte die Schätze von Notre-Dame, inklusive der Dornenkrone, die Jesus Christus persönlich getragen haben soll, vor den Flammen retten. Und ist damit jetzt in Frankreich eine Art Held der Tragödie des Feuers Notre-Dame. Der Geistliche ist Teil der französischen Streitkräfte und war unter anderem schon in Afghanistan und Deutschland im Einsatz. Nicht nur dort musste er Zerstörerisches miterleben. Als Kaplan der Feuerwehr in Paris ist er in permanenter Bereitschaft. Bei Großeinsätzen wie dem von Notre-Dame wird standardmäßig ein Geistlicher hinzugerufen. Und so war Fournier bei einigen der schlimmsten Momente dabei, die Paris in den vergangenen Jahren durchstehen musste: Er wurde 2015 angerufen, bei dem Angriff auf einen koscheren Supermarkt, den ein islamistischer Attentäter zwei Tage nach dem Attentat auf Charlie Hebdo ausübte. Und 2015 kümmerte er sich um Verletzte beim Anschlag auf das Bataclan. Es zöge sich eine Art Crescendo der Gewalt durch sein Leben, fasst Fournier zusammen, wenn auch kein Einsatz mit dem anderen vergleichbar sei. Fournier und seine Kameraden wählten einen Seiteneingang, wie er im Interview mit dem Radiosender Europe1 beschreibt. "Als wir in der Kathedrale standen, regneten Asche, Funken und glühende Fetzen von oben herunter", erzählt er. Nah am Mauerwerk hangelte er sich in den Chorumgängen entlang, hin zu dem Tabernakel, das die Dornenkrone enthielt. Sie durchschlugen die sichernde Fensterscheibe, mussten aber noch jemanden finden, der den Code besaß, um den Tresor zu öffnen. In der Zwischenzeit brach eine andere Einheit die Reliquienkammer der Kathedrale auf. Bilder wurden abgehängt und in Sicherheit gebracht. Kurze Zeit später fand sich ein Kirchenmitglied, das den Code besaß, sodass auch die Dornenkrone in Sicherheit gebracht werden konnte. Ob er die Dornenkrone in seinen Händen gehalten habe, fragt ihn der Radiomoderator erstaunt. "Ich halte sie jeden Freitag in den Händen", antwortet Fournier darauf, als sei es das normalste der Welt. Immerhin sei er Mitglied des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Warum er so viel riskiert habe, obwohl es doch nur um ein Objekt, einen Gegenstand ginge? "Klar ist die Dornenkrone nur ein "Ding". Aber Jesus selbst hat sie getragen. Sie ist der Schlüssel, der uns den Himmel aufschließt und uns in die Ewigkeit entlässt", ist Fournier überzeugt. Den Verdienst will sich Fournier ganz und gar nicht alleine zuschreiben Fourniers Erzählung wird dann noch anmutiger. Neben der Rettung der Dornenkrone war sein weiteres großes Bedürfnis der Erhalt der Monstranz, die Jesus selbst mit seinem Körper und Geist darstelle, erklärt der Kaplan. "Ich konnte nicht jemanden, den ich über alles liebe, in den Flammen zurücklassen", sagt Fournier. Mit der Monstranz eilte er zum Ausgang. Währenddessen hatte der Nordturm der Kathedrale Feuer gefangen. "Diesen Moment", sagt Fournier, "wollte ich nutzen. Ich habe die Monstranz gesegnet und Christus dazu ermuntert, dass er uns helfen soll, seine Heimstätte vor den Flammen zu schützen." Am nächsten Tag konnte die Pariser Feuerwehr sowohl die Türme als auch das Fundament der Kirche retten. "Hat er mich gehört oder lag es am großartigen Einsatz meiner Kollegen? Möglicherweise an beidem", sagt Fournier. Den Verdienst um die Rettung der Reliquien will er sich ganz und gar nicht alleine zuschreiben. Immer wieder betont er, dass dies nur durch den professionellen Einsatz seiner Kameraden möglich gewesen sei. Der Zeitung Le Parisien sagte er, besonders stolz sei er, das für Katholiken Allerheiligste aus den Flammen gerettet zu haben: den Kelch mit den geweihten Hostien aus dem Altar, die nach katholischer Überzeugung der Leib Christi sind. Ganz Frankreich würdigte am Donnerstag den Einsatz der Feuerwehr, die am Montag die vollständige Zerstörung des gotischen Bauwerks verhindert hatte. Mehrere Hundert Feuerwehrleute, unter ihnen Fournier, wurden von Präsident Emmanuel Macron im Hof des Élysée-Palasts empfangen, der sich bei ihnen bedankte. Später sollte es noch eine Feierstunde im Rathaus geben.
6
In den Touristenläden der Wiener Innenstadt gibt es ein T-Shirt zu kaufen mit der aufklärerischen Aufschrift: "No Kangaroos in Austria". Wenn es die Etikette nicht gäbe, die bei offiziellen Terminen im Weißen Haus Anzug, Hemd und Krawatte vorschreibt, wäre Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz wahrscheinlich gut beraten, bei seinem Treffen an diesem Mittwoch mit Donald Trump ein solches Shirt zu tragen. Denn erstens kann der US-Präsident Englisch, und zweitens kann er auch leicht mal was verwechseln. Auf Anhieb jedenfalls dürfte ihm sein Gast aus diesem schönen, kleinen Land im Herzen von, ach ja, Europa nicht allzu viel sagen. Eine fieberhafte Lösungssuche für die großen weltpolitischen Krisen wird also kaum dieses Tête-à-Tête belasten. Dazu ist der geopolitische Gewichtsunterschied schlicht zu groß. Es geht viel eher um Symbolpolitik - und das vor allem für den Gast aus Wien. Denn der darf sich mit Recht geadelt fühlen durch diese Einladung, die zum bisher letzten Mal einem seiner Vorgänger vor 14 Jahren zuteil geworden war. Kurz wird das als Belohnung für eine ambitioniert betriebene Außenpolitik verstehen, die den seit gerade einmal 14 Monaten regierenden Kanzler zuvor schon nach Russland und China und auch sonst noch weit um die Welt gebracht hat. Allein 37 000 Flugkilometer hat die stets mitfühlende heimische Boulevardpresse für die vergangenen beiden Wochen ausgerechnet. Für Kurz sind diese Reisen Programm: Er will das neutrale Österreich erklärtermaßen als Brückenbauer zwischen Ost und West platzieren. Er orientiert sich dabei an der Ära des früheren sozialdemokratischen Kanzlers Bruno Kreisky. Demonstriert hat Kurz das gleich am ersten Tag seiner Amtszeit, als er sein Büro in das sogenannte Kreisky-Zimmer des Kanzleramts verlegte. Der Vorgänger hatte es sich bei Metternich bequem gemacht. Aber auch das ist nicht Substanz-, sondern Symbolpolitik. Kreiskys Zeit war der Kalte Krieg, in dem neutrale Vermittlung durchaus von Wert war. Heute jedoch können die Großen der Welt auch ohne Brückenbauer ihre Konflikte direkt ausverhandeln, und zur Not gibt es ja auch noch die sozialen Medien. Wenn Trump und Kurz also nun für 20 Minuten unter vier Augen und anschließend noch mit ihren Delegationen zusammensitzen, geht es vor allem darum, den schönen Schein nach außen strahlen zu lassen. Ein Anknüpfungspunkt fürs Gespräch könnte die Zuwanderungspolitik sein, wo der eine gern Mauern an der Grenze zu Mexiko baut und der andere Routen auf dem Balkan oder dem Mittelmeer sperrt. Interessant ist der 32-jährige Kurz für den 72-jährigen Trump noch als Vertreter der jungen Konservativen in einem Europa, mit dem der US-Präsident sich sonst sehr schwertut. Weniger Freude an seinem Gast dürfte Trump aber bei Themen wie Klimaschutz, dem Atomabkommen mit Iran oder dem transatlantischen Handelsstreit haben, denn da vertritt der österreichische Kanzler, bisher zumindest, die europäischen Positionen. Besser wird es also wohl sein, solche kontroversen Themen nicht allzu sehr zu vertiefen, um sich in bester Erinnerung zu behalten. Wenn Trump dann später einmal beim Zappen durch die Fernsehprogramme bei einem alten Prinz-Eisenherz-Film hängen bleibt, dann könnte er das Gefühl bekommen, dass er diesen Burschen schon mal gesehen hat.
7
Peter Altmaier schmerzt das Knie, eine Entzündung. Gerade noch stand er am Pult der Aula im Wirtschaftsministerium, das hat die Sache nicht besser gemacht. Er hinkt zur Tür, doch davor wartet noch ein Kamerateam. Altmaier soll eine Grußbotschaft nach Lübeck sprechen, so war das abgemacht. Ein Radioreporter vom MDR steht noch da, er hat das Mikro schon gezückt. Und ein Autogrammsammler, den Kuli in der Hand. Altmaier lächelt gequält, er erzählt den Lübeckern etwas über die Buddenbrooks und nimmt eine Schachtel Marzipanpralinen entgegen. Er redet ins MDR-Mikro über die Zukunft des ländlichen Raums und wirft seine Unterschrift auf ein Stück Pappe. Dann schnauft er tief, er sagt: "Schluss jetzt. Ich muss weg hier." Die Schmerzen sind schlimm. Er nimmt den Fahrstuhl ins Büro, lässt sich auf sein Sofa fallen. Verschnaufen. Dann weiter. Altmaier ackert, aber in der eigenen Partei murren sie über ihn Es sind keine guten Tage für den CDU-Mann Peter Altmaier. Der Wirtschaftsminister ist gnadenlos zu sich selbst, er hetzt von Termin zu Termin und mutet sich mehr zu, als gut wäre. Doch in der eigenen Partei murren sie über ihn, immer lauter. Selbst Leute, die eigentlich zum liberalen Lager gehören. Auf die Frage, wie er Altmaiers Arbeit bewerte, sagt ein führender Wirtschaftslobbyist: "So wie alle." Er meint das nicht nett. Der Minister mache zu wenig zu langsam, in Zeiten von Brexit, Handelskrieg und aggressiven Chinesen. Die Koalition kümmere sich viel ums Soziale, aber nicht um die Wirtschaft. Einem, der so nach Zuspruch giert wie Altmaier, der so für die Politik lebt wie er, muss das mehr wehtun als die schlimmste Entzündung. Seit einem knappen Jahr ist Altmaier Bundeswirtschaftsminister, der erste CDU-Mann dort seit Ludwig Erhard. Es könnte die Krönung einer steilen Karriere sein: Er galt als junger Wilder in der Union, war Parlamentarischer Geschäftsführer, Staatssekretär im Innenministerium, Umweltminister, Kanzleramtschef, kommissarischer Finanzminister. Keiner im Kabinett hat so viele Ministerposten bekleidet wie der Jurist von der Saar. Aber wo ist die fröhliche Unbefangenheit, mit der er 2012 als Umweltminister angetreten war, das forsche Voranstürmen mit hochgekrempelten Ärmeln? Es fehlt jede Spur davon. Maaßen, Dieselaffäre und Koalitionsstreit stellen Altmaiers Arbeit in den Schatten "Finden Sie?" Peter Altmaier hat es sich auf dem Sofa bequem gemacht, seine Analyse geht ganz anders. Im vorigen März war er als Minister angetreten, danach eilte er gleich nach Washington, der Handelskonflikt. Er klapperte Kiew und Moskau ab, um über die Pipeline Nordstream 2 zu verhandeln. Er tauchte persönlich bei Baustellen für neue Stromleitungen auf und rettete eine Stromnetzfirma vor den Klauen chinesischer Investoren. "In den Schlagzeilen aber waren Maaßen, die Dieselaffäre, der Streit in der Koalition", sagt Altmaier. Vieles von seiner Wirtschaftspolitik stehe da im Schatten. Das nervt Altmaier. Andere nervt, was sie als Abwesenheit von Wirtschaftspolitik empfinden. "Viele gute Reden, wenig Action", urteilt ein führender deutscher Energiemanager. Zu viel Bürokratie, zu viele Belastungen, zu wenig Fürsprache: Die Wirtschaft dringt auf Steuererleichterungen, verlangt unverblümtes Engagement für die Industrie. Schließlich waren viele von Altmaiers Vorgängern auch Industrielobbyisten innerhalb der Bundesregierung. Doch seine "Industriestrategie" blieb bisher nur eine große Ankündigung im Bundestag. Genau wie die "Charta der sozialen Marktwirtschaft", ganz auf den Spuren Ludwig Erhards. Pause im Boom Der Aufschwung in Deutschland geht im zehnten Jahr in Folge weiter, aber deutlich schwächer als zuletzt. Nach Schätzung des Bundeswirtschaftsministeriums liegt das Wachstum 2019 noch bei einem Prozent - nach 1,5 Prozent 2018. Der Jahreswirtschaftsbericht geht dennoch von einer weiter sinkenden Arbeitslosenquote aus, auf nur noch 4,9 Prozent. Weil die Löhne der Prognose zufolge um knapp fünf Prozent steigen, stützt die Nachfrage der Konsumenten die Konjunktur weiter stark. Der Export wachse, soweit sich das bei allen Risiken vorhersehen lässt, um 2,7 Prozent. Um auch die Investitionen der Wirtschaft anzukurbeln, sollen künftig Forschung und Entwicklung steuerlich gefördert werden. Einen Entwurf dafür wolle die Regierung noch im ersten Halbjahr vorlegen, heißt es im Bericht. miba Der Ruf, auf Bergen unerledigter Akten zu sitzen, verfolgt ihn schon länger Sein Büro wirkt aufgeräumt. Ein paar Bücher im Regal, die Flaggen ordentlich drapiert, auf dem Tisch eine Schale mit Mandeln. Doch auf dem Schreibtisch stapeln sich die Aktendeckel, auf dem Fensterbrett daneben liegt, nicht ganz sauber geschichtet, ein halbes Dutzend dicke Unterschriftenmappen. Der Ruf, auf Bergen unerledigter Akten zu sitzen, verfolgt ihn seit dem Kanzleramt. "Der Unterschied zum Kanzleramt ist aber, dass man dort ungelöste Fragen an die Ministerien zurückgeben kann", sagt einer, der selbst mal in der Führungsebene des Ministeriums gearbeitet hat. "Als Wirtschaftsminister muss man selbst entscheiden." Davor scheue sich Altmaier. Vielleicht stört manche aber auch einfach der radikal andere Politikstil Altmaiers: Er sucht den Konsens, nicht den Konflikt. Er ist der krasse Gegenentwurf zu seinem Vorvorgänger Sigmar Gabriel, der im Konflikt immer auch die Profilierung suchte. "Konsens ist gut, Dissens ist schlecht", sagt Altmaier. Der Lohn sind hohe Beliebtheitswerte, Altmaier registriert sie ganz genau. Der Preis allerdings ist das Schneckentempo von Entscheidungen, und es sind auch die Konturen. Altmaier kommt nicht als der starke Mann rüber, den sich gerade im erzkonservativen Wirtschaftsflügel der Union viele an der Spitze des Ministeriums wünschen. Nur einmal hatte er zuletzt den offenen Konflikt riskiert: Da stützte er seine Landsfrau Annegret Kramp-Karrenbauer öffentlich im Wettstreit mit Friedrich Merz, und das auch gegen den Merz-Unterstützer Wolfgang Schäuble. Die Aktion hätte fies ins Auge gehen können, doch Merz unterlag. Altmaier hat sie nicht geschadet.
7
Es hilft, wenn man Bryce Johnson beim Spielen kennenlernt. Die Leute gehen anders miteinander um, wenn sie während des Gesprächs zocken. Johnson sitzt in seinem Labor, das aussieht wie der wahr gewordene Traum eines zehn Jahre alten Kindes: knuffige und knallbunte Sitzgelegenheiten, Teppiche in grellen Farben, ein Regal mit unfassbar viel Spielzeug darin, Kuscheltiere, mehrere Computer und Konsolen, ein überdimensionaler Fernseher, Lava-Lampen. Von der Wand hängt etwas, das aussieht wie eine leuchtende Schirmqualle. In der Ecke des wohnungsgroßen Labors gibt es einen sogenannten Snoezelenraum: Wer dort unter einer Gewichtsdecke und dieser Schirmqualle liegt und zu sanften Klängen die roten Blubberlampen betrachtet, der kann gar nicht anders als entspannen. Johnson leitet beim Techkonzern Microsoft das "Inclusive Tech Lab" und ist für den Adaptive Controller verantwortlich. Dessen Funktionen sorgen gerade weltweit für Aufregung. Während des Football-Endspiels Super Bowl vor wenigen Wochen hat das Unternehmen einen Werbefilm gezeigt, der wohl jeden rührt, der von der Natur ein Herz geschenkt bekommen hat: Kinder mit Behinderungen und Beeinträchtigungen beschreiben, wie sie dank dieses Controllers nun Videospiele zocken können wie alle anderen Kinder auch, und wie sie damit am sozialen Leben teilhaben dürfen, das sich heutzutage nun mal sehr häufig auf virtuellen Spielfeldern abspielt. Der Slogan der Kampagne: Wenn jeder spielt, dann gewinnen alle. "So, nun spielen wir mal Rocket League ohne Hände", ruft Johnson und wartet nicht auf eine Antwort. Er will jetzt spielen. Rocket League ist futuristisches Auto-Fußball, die Spieler steuern flinke Flitzer über ein Spielfeld und versuchen, einen Ball ins Tor zu schubsen. 50 Millionen Leute sind weltweit dabei, sie spielen übers Internet, verbunden mit- und gegeneinander, sie kommunizieren, schließen Freundschaften. Es ist das, was vor 30 Jahren der Bolzplatz gewesen ist, mehr als nur ein Ort zum Kicken, sondern ein Treffpunkt, an dem man sich miteinander misst, an dem man soziale Fähigkeiten erlernen kann. Detailansicht öffnen Seine Kollegen bei Microsoft fragen sich manchmal, ob Bryce Johnson überhaupt ein Zuhause hat, so viel Zeit verbringt er in seinem Labor. Der Kanadier entwickelt Spiel-Controller für Menschen mit Behinderungen. (Foto: oh) Wer in seinem Leben mal verletzt gewesen ist, der weiß, dass es kaum etwas Schlimmeres gibt, als den anderen beim Spielen zusehen zu müssen. Wer Rocket League spielen will, der braucht dafür eigentlich zwei Hände, den linken Daumen und vier andere Finger - wie soll das also gehen, ohne Hände? Johnson grinst. "Na, dann schauen wir uns das doch einmal an." Er setzt sich hin und legt seinen rechten Fuß auf ein Pedal, mit dem beim Musikspiel Rock Band gewöhnlich die Basstrommel bedient wird, damit gibt er Gas. Er lenkt, indem er das Knie nach links oder rechts bewegt und dadurch die beiden Knöpfe berührt, die über eine Halterung am Tischbein angebracht sind. Das Auto hüpft, wenn Johnson seinen Kopf nach hinten legt und einen an der Kopfstütze befestigten Sensor bedient. Er spielt Rocket League - mit einem Bein und seinem Kopf. "Man wird auf diese Weise nicht zum weltbesten Rocket-League-Spieler", sagt der Kanadier. Die Frage laute vielmehr: "Kann man das Spiel so gestalten, dass man mit einem Minimum an Knöpfen auch Spaß haben kann?" Johnson zeigt, wie er über ein paar Modifikationen nur mit Zunge und Lippen ein Rennauto im Spiel Forza Horizon 4 steuern kann. Und dann zeigt er dieses Video von zwei jungen Freunden, die gemeinsam Fortnite über die Funktion "Co-Pilot" spielen: Der eine steuert die Figur, sein Freund, der an multipler Sklerose erkrankt ist, kann über Kopfbewegungen entweder eine Axt zum Niederhauen von Gebäuden oder den Abzug an der Pistole bedienen. Die beiden spielen gemeinsam, und auch dieses Video berührt. Johnson sagt: "Meine Reaktion auf dieses Video ist ein wenig anders, ich sage nicht gerührt: Aaaaaaaaaaw. Ich sage eher: Jipiiiiiiiieh! Ich freue mich, dass es funktioniert, und ich freue mich für all die Menschen, die nun spielen können. Und ich freue mich, dass andere Unternehmen wie zum Beispiel Ubisoft mit dem Abenteuerspiel Tomb Raider nachgezogen haben." Spielen ist ein Grundbedürfnis des Menschen, schon der Philosoph Heraklit schrieb 500 vor Christus: "Die Welt? Ein Kind beim Spielen." Nur, und das ist für einen wie Johnson ganz besonders wichtig, es ist sogar zum Leitspruch seiner Abteilung geworden: "Wenn wir nicht ganz besonders darauf achten, jeden mitzunehmen, kann es passieren, dass wir jemanden unabsichtlich ausschließen." Detailansicht öffnen Gedacht sind die Spiel-Controller etwa für die Konsole Xbox. (Foto: oh) Drüben, in einem anderen Gebäude auf dem Campus des Technologiekonzerns, vermessen sie den Menschen bis ins kleinste Detail. Es gibt dort eine Kammer mit 36 Kameras (in der nächsten Version sollen es 200 sein), die jede Bewegung eines Spielers aufzeichnen: Welche Finger bewegt er wann? Wohin schaut er? Was tut er, wenn etwas Unerwartetes geschieht? Wann wird er müde? Wann wird er unkonzentriert? Sie experimentieren mit Licht und Lautstärke und Temperatur, sie messen über Nadeln unter der Haut die Muskelaktivitäten, und das alles mit dem Ziel, Geräte zu entwickeln, die möglichst viele Menschen benutzen können. Johnson kennt die ökonomischen Realitäten. Er arbeitet daran, dass die Controller günstiger werden All dies dient natürlich der Steigerung des Umsatzes. Wer Controller und Kopfhörer herstellt, die möglichst vielen Leuten passen, der dürfte auch sehr viele Exemplare davon verkaufen. Johnson aber sagt, dass er die anderen erreichen will, die bislang Ausgeschlossenen. Sein Ansatz ist deshalb um ein Vielfaches komplizierter. Im Gebäude mit der Kamerakammer und den Nadeln versuchen sie, die kleinsten gemeinsamen Nenner für möglichst viele Menschen zu finden. Johnson will Geräte erfinden, die über kleine Variationen so individuell wie möglich gestaltet werden. Deshalb gibt es dieses Labor. "Wir haben bei einem Hackathon im Jahr 2015 festgestellt, wie teuer es sein kann, individuelle Steuerelemente zu produzieren", sagt Johnson, während er beweist, dass man den Controller mit nur einer Hand oder dem Mund von der Verpackung befreien kann: "Beeinträchtigungen lassen sich nicht einfach zusammenfassen, und wir können das auch nicht simulieren. Wir brauchen die Eindrücke der Spieler, die allesamt an der Entwicklung der Geräte mithelfen. Deshalb gibt es dieses Labor, heute Abend kommen zum Beispiel ein paar Kinder in Rollstühlen zum Zocken vorbei." Ein paar Tage davor hat Johnson gemeinsam mit einem ehemaligen Soldaten experimentiert. Man muss sich diesen Mann vorstellen wie den Professor aus dem Film Independence Day - einer, dem das, was er tut, wirklich am Herzen liegt, der seinen Beruf als Berufung sieht, und der sich auch über kleine Fortschritte diebisch freuen kann. Ein unermüdlicher Tüftler, von dem seine Kollegen behaupten, dass sie gar nicht wüssten, ob er überhaupt irgendwo wohne, weil er ohnehin andauernd in diesem Labor sei. Johnson mag solche Scherze, doch wenn er einen dann mit seinen Lausbubenaugen ansieht, dann weiß der Besucher nicht, ob Johnson vielleicht nicht doch in diesem Labor lebt. Als nächstes will er sich auch um Menschen mit neurologischen Krankheiten kümmern Der Mann, der vor mehr als 20 Jahren bei Microsoft anfing, hat für diese Einrichtung gekämpft, und nun scheint er keine Sekunde verschwenden zu wollen. Er kennt dennoch auch die ökonomischen Realitäten in einem Unternehmen wie Microsoft. Der adaptive Controller ist kein Produkt für den Massenmarkt, er kostet in der Grundausstattung zwar nur 90 Euro, über zusätzliche Steuerelemente wie etwa das Basspedal und die Knöpfe für die Knie für die Ein-Fuß-plus-Kopf-Steuerung von Rocket League können aber zwischen 40 und 400 Euro hinzukommen. "Es ist eine tolle Erfindung mit grandioser Technologie", sagt etwa Joshua Straub von Dager System, einem Portal für beeinträchtigte Videospieler: "Um jedoch alle Funktionen nutzen zu können - und manche Spieler brauchen genau das -, kann es für viele Leute sehr teuer werden, und gerade physisch beeinträchtigte Menschen haben nicht gerade die größten finanziellen Mittel zur Verfügung." Johnson weiß das. Er arbeitet nun daran, die einzelnen Funktionen erschwinglicher zu machen. Und es gibt da freilich noch diese eine, ganz große Aufgabe: "Wir haben bislang nur die Spitze des Eisberges berührt. Unser Unternehmen ist ja quasi eine Kleinstadt, und wir bemerken jeden Tag durch die Mitarbeiter, ihre Familien und ihre Freunde, dass es noch viel mehr Probleme gibt." Genau deshalb gibt es den Snoezelenraum in der Ecke des Labors: Johnson will sich nun auch um Menschen mit neurologischen Krankheiten oder mit Entwicklungsstörungen kümmern. Er möchte dafür sorgen, dass Leute, die zum Beispiel Autismus haben, auch an möglichst vielen Spielrunden teilnehmen können. Oder dass ihre Probleme durch extra dafür entwickelte Spiele womöglich gar gelindert werden. "Das sind die nächsten Schritte, über Augmented und Virtual Reality können wir da sehr viel erreichen", sagt Johnson. Er hat diesen Traum, dass jeder spielt, weil dann alle gewinnen. Daran will er arbeiten, jeden Tag, und deshalb schickt er einen irgendwann fort. Er muss das Labor vorbereiten für die Kinder im Rollstuhl, mit denen er den ganzen Abend spielen wird.
11
Das Buch vom Struwwelpeter ist 175 Jahre alt, es ist also noch älter als die SPD. Es stammt aus dem Jahr 1844, dem Jahr, in dem einer der Gründerväter der SPD geboren wurde - Paul Singer, seinerzeit ein ungeheuer populärer Mann. Er war Parteivorsitzender, lange Jahre zusammen mit August Bebel; er war Fabrikant, er war Sozialpolitiker, er war die treibende Kraft im Berliner Asylverein für Obdachlose, er war aktiv in der jüdischen Gemeinde, er leitete fast 20 Jahre lang virtuos die Parteitage der SPD. Seine Beerdigung im Jahr 1911 wurde zum größten Trauermarsch, den Berlin jemals gesehen hat; eine Million Menschen gaben Paul Singer die letzte Ehre. Er war Sozialdemokrat in einer Zeit, in der die Sozialdemokratie nicht nur eine rote Partei, sondern eine sozialistische Bewegung war. Aber Singer ist vergessen, so vergessen wie viel von dem, was die SPD und die Sozialdemokratie einst ausgezeichnet hat. Die SPD und mit ihr fast die gesamte europäische Sozialdemokratie erleben einen jähen Abstieg. In Frankreich steht der Parti Socialiste vor einem Trümmerhaufen; 2012 hatte er noch 295 Abgeordnete in der Nationalversammlung; seit 2017 sind es nur noch 31 Köpfe. Und in Deutschland, und zwar nicht nur im Osten der Republik, ist die SPD auf dem Weg zur Kleinpartei. Sie wurde auch bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und zuletzt Bayern von der AfD überholt. Das schrumpfende Schicksal der Sozialdemokratie erinnert an den Suppenkaspar aus dem Struwwelpeter: "Der Kaspar der war kerngesund, ein dicker Bub und kugelrund, er hatte Backen rot und frisch" - aber dann begann das Desaster. Auf einmal fing er an zu schrei'n: "Ich esse keine Suppe! Nein! / Ich esse meine Suppe nicht. /Nein, meine Suppe ess ich nicht!" Die Geschichte erzählt drastisch, wie der Kaspar dünner und dünner wird und zuletzt nur noch ein halbes Lot wiegt. Bei der Sozialdemokratie hörte sich das Schreien so an: Ich bin nicht links, oh nein. Ich will die neue Mitte sein! Sie verlor die roten Backen, schämte sich ein bisschen für sie. Deshalb hörte sie auf, aus dem Suppentopf zu essen. Sie aß aus neuen Schälchen. Soziale Gerechtigkeit galt ihr nicht mehr so viel, Sozialismus schon gar nicht. Vom Vertrauen ins "Spiel der Marktkräfte" und in den "Unternehmergeist" war nun die Rede; eine "radikale Modernisierung des öffentlichen Sektors" wurde gefordert; mehr Markt, weniger Staat, Senkung des Spitzensteuersatzes. Das war die Abkehr von den bisher wichtigsten sozialdemokratischen Grundvorstellungen. Die Botschaft von gestern galt jetzt als Verirrung, die Kritik des politischen Gegners von gestern als neue Wahrheit. All dies wurde gepriesen als "Der Weg nach vorn für Europas Sozialdemokraten"; so der Titel des Schröder-Blair-Papiers von 1998. Dieser Weg "nach vorn" war aber der Weg in die Sackgasse. Aus ihr fanden in Europa bisher nur Jeremy Corbyn und seine Labour Party mit der Vision von einer gerechteren Gesellschaft heraus; Corbyns doktrinärer Europaskeptizismus führte aber in die nächste Sackgasse. Der Soziologe Ralf Dahrendorf verkündete schon 1983 das Ende des "sozialdemokratischen Zeitalters": Die Sozialdemokratie habe ihren Daseinszweck erfüllt, weil ihre Konkurrenten sich sozialdemokratisiert hätten. Die sozialdemokratischen Errungenschaften seien nun, so Dahrendorf, im gesamtgesellschaftlichen Konsens abgesichert. Schön, wenn es so wäre - aber es stimmt nicht. Nein, nicht die anderen sind sozialdemokratisch, sondern die Sozialdemokratie ist anders geworden. Und abgesichert war und ist gar nichts, wie zuerst die Jahre des Neoliberalismus und die Orgien des Finanzkapitalismus zeigten und wie es heute die Erfolge des populistischen Extremismus zeigen. Die alten Schlüsselworte sind heute wichtiger denn je - Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Internationalismus; mehr Demokratie wagen in der Innenpolitik und Wandel durch Annäherung in der Außenpolitik. Aber die Sozialdemokratie ist, eben weil sie diese Ziele partiell aufgegeben hatte, schwach geworden. Sie versucht nun, wieder zur alten Kraft zu finden. Mindestlohn und Grundrente reichen nicht. Es braucht mehr Mut. In Deutschland propagiert sie höheren Mindestlohn und Grundrente, sie sucht den Anschluss an ihre kreative Sozialpolitik von ehedem. Aber das ist zu wenig Zunder, um das Feuer der Begeisterung wieder zu entfachen. Es reicht nicht, wenn die potenziellen Wähler die SPD als eine Art linken Flügel der CDU empfinden - wie es nach einem Jahr in der dritten Koalition mit Merkel der Fall ist. Weil es keine neuen großen Ideen und Ideale gibt, suchen die Menschen im Abfall der Geschichte nach den alten. Das ist der Grund für die Wiederkehr des Nationalismus. Die menschenverträgliche Gestaltung des digitalen Wandels funktioniert nicht mit Klein-Klein, nicht mit Bastelei an der Arbeitszeitverordnung. In Umbruchzeiten braucht es mehr. Es braucht, wie das der Sozialphilosoph Oskar Negt beschrieben hat, die konkrete Verneinung der als unerträglich empfundenen Verhältnisse, verbunden mit der Perspektive und Entschlossenheit, das Gegebene zum Besseren zu wenden. Es braucht die mutige Vorstellung von einer neuen Einkommens- und Vermögensverteilung. Auch die Arbeit muss neu verteilt werden. Es braucht eine radikale Verkürzung der Arbeitszeiten, um den Wegfall von Arbeitsplätzen durch Automatisierung und künstliche Intelligenz auszugleichen. Es braucht eine neue Verteilung der Lasten in Europa. Und dem Nationalismus muss Paroli geboten werden durch Internationalismus, durch Stärkung der supranationalen Einrichtungen. Es braucht ein solidarisches Zukunftskonzept. Es braucht die Auferweckung der Sozialdemokratie.
7
Die erste höchstrichterliche Entscheidung zum Dieselskandal ist zugunsten der Autokäufer ausgefallen. Der Bundesgerichtshof (BGH) stuft die Softwaremanipulationen an Dieselmotoren juristisch als "Mangel" ein. Autokäufer, deren Ansprüche noch nicht verjährt sind, können damit ihren Wagen zurückgeben und die Lieferung eines Neufahrzeugs verlangen. Auch in einem zweiten Punkt stärkt der BGH die Käufer: Wenn das baugleiche Modell nicht mehr vertrieben wird, habe der Käufer Anspruch auf Lieferung des Nachfolgemodells. In dem Rechtsstreit hatte der Käufer eines VW Tiguan 2.0 TDI der ersten Generation gegen den Händler geklagt, bei dem er den Wagen im Juli 2015 gekauft hatte. Die Software war wie bei Hunderttausenden Fahrzeugen manipuliert, sodass das Fahrzeug im Prüfzyklus die Abgasgrenzwerte einhielt. Der Käufer verlangte ein Neufahrzeug mit identischer Ausstattung, der Händler lehnte dies ab: Verfügbar sei lediglich der ab 2016 produzierte Tiguan der zweiten Generation, der sich technisch deutlich unterscheide. Damit sei die Erfüllung des Anspruchs "unmöglich". So sah es auch das Oberlandesgericht Bamberg und wies die Klage ab. VW beharrte in einer Stellungnahme nun, die Nachlieferung sei unzumutbar, weil der Aufwand dafür unverhältnismäßig sei. Der BGH, der eigentlich nächste Woche über den Fall verhandeln sollte, erteilte den Beteiligten vorab einen "rechtlichen Hinweis", in dem er seine Sicht darlegte. Offenbar hat der Händler daraufhin eingelenkt, jedenfalls zog der Käufer seine Revision zurück - ein in vielen Dieselfällen übliches Prozedere, mit dem Händler und Hersteller ein Grundsatzurteil verhindern wollen. Der BGH, der sich schon seit Jahren über diese Verhinderungsstrategie ärgert, ging in die Offensive und veröffentlichte einen "rechtlichen Hinweis" - der juristisch zwar nicht bindend ist, aber in der Aussage unmissverständlich ist. Danach geht das listige Argument des Händlers ins Leere, ein baugleicher Tiguan sei ja gar nicht mehr lieferbar. Aus Sicht des BGH hat der Händler mit dem Vertrag eine "Beschaffungspflicht" übernommen. Für seine Interessenlage seien die Kosten maßgeblich, nicht ob das gleiche Modell noch verfügbar sei. Damit muss der Händler - gegen Rückgabe des alten Diesel - das Nachfolgemodell liefern. Nur wenn der Wert der Autos weit auseinanderklafft, etwa, wenn der Wagen schon 200 000 Kilometer gelaufen wäre, könnte diese Form der Rückabwicklung unverhältnismäßig sein. Noch wichtiger für die Masse der Diesel-Klagen: Zum ersten Mal hat das oberste Zivilgericht die Softwaremanipulation als "Mangel" eingestuft. Denn laut BGH besteht dadurch die Gefahr, dass ein solches Auto von den Behörden aus dem Verkehr gezogen wird. Das ist ein klares Signal für weitere Verfahren, auch wenn es noch nicht alle Fragen beantwortet. Denn die Masse der Klagen richtet sich nicht gegen die Händler, sondern gegen Hersteller wie VW, Mercedes oder Porsche. Für eine Haftung kommt es dort nicht auf den "Mangel" an, sondern auf eine "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung". Allerdings sind die beiden Dinge nicht so weit von einander entfernt: Wenn ein "Mangel" vorliegt, wird man auch von einer "Schädigung" ausgehen können. In einem Verfahren gegen VW hat jüngst das Oberlandesgericht Braunschweig die Revision zugelassen, sodass auch diese Frage zum BGH gelangen dürfte.
7
Die unerwartete Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen, hat im Land politische Sprengkraft entfaltet: Im Nordwesten kämpfen dschihadistische Gruppen gegen von der Türkei unterstützte Rebellen um Einflusssphären. In dreitägigen Gefechten in den Provinzen Aleppo und Idlib wurden nach Angaben vom Donnerstag 75 Menschen getötet, darunter sollen sechs Zivilisten sein. Die anderen Toten dienten der al-Qaida-nahen Dschihadistenmiliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) und der von der Türkei unterstützte Rebellengruppe Nur al-Din al-Zinki als Kämpfer, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die von London aus ein Informanten-Netzwerk in Syrien betreut. Es sollen die schwersten Kämpfe zwischen den militanten Gruppen seit drei Monaten sein. Beide beschuldigten sich gegenseitig, die Eskalation ausgelöst zu haben. Vor allem die Kämpfer von HTS befürchten, dass die Türkei mit Russland einen Deal auf ihre Kosten schließen könnte, sagte Rami Abdurrahman, Leiter der Beobachtungsstelle. Deshalb wollen sie die von der Türkei unterstützten Kämpfer in Afrin von denen in der Provinz Idlib trennen.
7
Das Straßennetz in Deutschland ist in den vergangenen 25 Jahren deutlich stärker gewachsen als das Schienennetz. Das geht aus einer Zusammenstellung des Netzwerks Europäischer Bahnen (NEE) hervor. Demnach wuchs das Straßennetz von 1994, dem Jahr der Umwandlung der Bundesbahn in eine bundeseigene Aktiengesellschaft, um fast 250 000 Kilometer. Das Netz an Eisenbahnstrecken wurde innerhalb dieses Zeitraums nur um 1709 Kilometer neue Trassen erweitert beziehungsweise wurden bestehende Strecken nennenswert ausgebaut. Die Zahlen zeigten, sagt NEE-Geschäftsführer Peter Westenberger, "dass der Bund beziehungsweise die öffentliche Hand insgesamt seit vielen Jahren ihren Aufgaben als Verantwortliche für die Schieneninfrastruktur nicht ausreichend nachgekommen sind". Die Daten umfassen laut NEE nicht nur den Neubau an Bundesfernstraßen, vielmehr sind auch alle Straßen in Oberhoheit der Länder und Kommunen erfasst. Dem gegenübergestellt wurden die Neu- und Ausbaumaßnahmen des Bundes für den Schienenverkehr. Auf die Erfassung von Schienenprojekten auf Landes- und kommunaler Ebene habe man verzichtet, sagt Westenberger, da die Bundesländer praktisch keinerlei Schienenausbau vorgenommen hätten und auf der kommunalen Ebene allenfalls einige U-Bahnen, Straßen- sowie Hafenbahnen erweitert wurden. Nicht berücksichtigt sind bei der Erhebung außerdem Ausbaumaßnahmen wie zusätzliche Fahrspuren, die an bestehende Autobahnen angestückelt wurden. Dafür lägen nicht genügend Daten vor, sagt Westenberger. Er geht aber davon aus, "dass Kapazitätszuwachs, den die öffentliche Hand der Straße verschafft hat, noch deutlich höher liegen dürfte, als es die Längenentwicklung alleine ausdrückt". Weitaus negativer für den Verkehrsträger Schiene falle die Bilanz zudem aus, wenn man nur den Güterverkehr betrachte. In den vergangenen 25 Jahren seien lediglich fünf Projekte realisiert worden, die rein für den Warentransport auf der Schiene ausgelegt seien - beispielsweise die Anbindung des Jade-Weser-Ports bei Wilhelmshaven an das bundesweite Schienennetz. Unterm Strich seien die Kapazitäten rein für den Schienengüterverkehr binnen 25 Jahren um lediglich 120,5 Kilometer erweitert worden. Im NEE haben sich etwas mehr als 50 Schienengüterverkehrsunternehmen zusammengeschlossen. Wer mehr Verkehr, insbesondere mehr Warentransporte, auf die Schiene bringen wolle, der müsse eine "neue, belastbare Investitionsstrategie des Bundes" auflegen, fordert Westenberger. Länder und Kommunen müssten "in die planerische Gesamtverantwortung" eingebunden werden.
11
Schlicht und elegant wird die Herbstmode, wie man auf der Fashion Week Paris sah, etwa bei Dries van Noten, Celine und Loewe (v.l.n.r.) Die Modemenschen sind erschöpft, die Lust auf Glitzer, Party und Experimente ist ihnen vergangen. Passend zur Weltlage zeigen die Pariser Schauen nun eine sehr ernste Herbstmode voller Eleganz. Es beginnt mit einem gläsernen Container, der hoch unter der Decke schwebt. Rockbeats, Scheinwerferzucken, großes Tremolo. Mit der Präzision einer Schweizer Alpengondel gleitet der Kubus nach vorne und unten, bis er auf dem Laufsteg zu stehen kommt - in Reihe eins macht Bernard Arnault, reichster Franzose, dem der Laden hier gehört, rührenderweise Handyfotos. Im Kubus steht das erste Model. Man erkennt noch nicht viel, ein knielanger Rock, Jacke, Stiefel. "Der Look sieht nicht mal schlecht aus", sagt jemand in Reihe drei. Es klingt ungläubig. Wohl niemals in der Geschichte der Mode ist ein Designer so verdroschen worden wie Hedi Slimane für seine erste Celine-Kollektion - außer vielleicht Hedi Slimane, als er bei Saint Laurent anfing. Manche Leute haben beteuert, zu dieser zweiten Show vor lauter Ärger gar nicht hingehen zu wollen, aber dann ist die Gemeinde im Showzelt vor dem Invalidendom natürlich doch vollzählig versammelt, wenn auch augenrollend. Sie erlebt eine Vollbremsung. Als das erste Model nämlich ins Licht tritt, ist es zweifellos: eine Celine-Frau. Nicht mehr das verwöhnte Rock-Chic aus Los Angeles, das in einem mikroskopischen Glitzerding die Nächte durchfeierte. Sondern ein handfestes Taggeschöpf, unbedingt Französin, très bourgeois und traumwandlerisch stilsicher. Sie weiß exakt, was sie will: einen konsequent das Knie bedeckenden Tweed-Hosenrock im Stil der Siebziger, alternativ Skinny Jeans. Hohe Stiefel mit Keilabsatz, von denen man jetzt schon schwören könnte, dass man sie im Herbst in der Front Row wiedersehen wird. Dazu eine adrette Bluse, Cabanjacke, ein um die Schulter schlenkerndes Täschchen, Fliegersonnenbrille, fertig. Das ist der Look. Slimane zeigt ihn mehr oder weniger 59 Mal, bis auch der letzte Skeptiker kapiert hat, dass er diese Frau ernst meint. Schluss mit Glitzer Am Morgen danach japste der Branchendienst Business of Fashion, man habe dem "Beginn einer neuen Ära in der Mode" beigewohnt. Das war einerseits schamlos übertrieben, auf die ganze Pariser Fashion Week angewendet aber doch auch wieder wahr. Mit täglich wachsender Verblüffung stellte man fest, welche Botschaft sich hier herauszuschälen begann. ‹ › Hedi Slimane ließ sich für seine zweite Celine-Kollektion von der klassischen Französin inspirieren. Heraus kam: die Celine-Frau. Bild: AFP ‹ › Dries Van Noten präsentiert vornehmlich eisgraue, streng maskuline Looks. Bild: AFP ‹ › Fühlt sich wieder ganz der Schönheit verpflichtet: Valentino. Bild: Getty Images ‹ › Streetwear-Trends? Hoodies und Trainingshosen? Also bitte. Nicht bei Valentino. Bild: Getty Images ‹ › Akris hat die Grundprinzipien der hohen Schneiderkunst verinnerlicht: Die Herbst-Kollektion schmücken heuer Rosshaar-Details und grafische Muster. Bild: Getty Images ‹ › Drei Farben gelb: Designer Albert Kriemler kann auch leger, bleibt dabei seiner luxuriösen Linie treu. Bild: REUTERS ‹ › Gvasalia traut sich bei Balenciaga, was keiner der Großen mehr wagt: Seine 109 (!) Looks zeigen riesige Schultern, gewaltige Mäntel in Tweed, Leder, Lackrot. Der Designer wird keine Zwischenkollektionen mehr machen: "Eine gute Kollektion braucht Zeit." Bild: action press ‹ › Jonathan Anderson zeigt für Loewe eine Kollektion, die nur auf den ersten Blick schlicht daherkommt: reduzierte Kleider mit raffinierten Details, schlichte Wollpullis mit Rückenschlitz und Blusen mit Schulterrüschen. Bild: OH ‹ › Auch die schwarzen Mäntel haben entweder drei Reihen verschiedenartiger Knöpfe oder - wie im Bild zu sehen - einen großzügigen Fellsaum. Bild: AFP ‹ › Für Chloé setzt Natacha Ramsay-Lévy auf Lammfelljacken, Tartanröcke und schmal geschnittene, überlange Hosen. Bild: Getty Images ‹ › Hochgeschlossen und zugeknöpft, dafür mit Beinschlitz: Der Mantel, kombiniert mit flachen Stiefeletten, bietet Schutz und Freiheit zugleich - das richtige Outfit für einen stürmischen Tag an der Küste. Bild: Getty Images ‹ › In Memoriam Karl Lagerfeld: die letzte Kollektion für Chanel aus der Hand des im Februar verstorbenen Designers. Bild: AP Wird geladen ... Die Party ist vorbei. Der europäische Markt nahezu tot, die Luxusbranche hängt seit Jahren am Tropf von China, und selbst dort sprudelt das Geld nicht so munter wie erwartet. Frivole Experimente kann sich kein Haus mehr leisten. Es hat - und das ist neu - aber auch keiner mehr Lust auf Party. Man muss sich vorstellen: An den Pariser Laufstegen sitzen Menschen, die Mode nicht nur lieben, sondern atmen, und sie kriegen inzwischen kaum noch Luft. Jeden Monat eine Fashion Week irgendwo auf der Welt, jede Woche eine neue Capsule Collection, jeden Tag ein anderer Hype, eine andere schreiende Klamotte, ein anderer Influencer und ein paar Tausend Instagram-Bilder pro Stunde. Designer wechseln schneller als die Trainer beim VfB Stuttgart. Wie heißt das neue Kreativ-Duo bei Nina Ricci, wer macht jetzt eigentlich Lanvin? Keiner wusste es, keinen interessierte es. Die Modemenschen waren von der Mode diesmal wirklich unglaublich erschöpft. Wenn aber sogar die Branche kapituliert, was soll da erst der Kunde denken? Auf den Champs-Élysées standen nach der Abendroben-Show von Elie Saab ein paar Tausend Gilets jaunes genauso vielen Polizisten gegenüber. Am Tag zuvor demonstrierten Jugendliche wieder für eine bessere Klimapolitik. Die Ozeane ertrinken in Plastikmüll, acht Millionen Tonnen Textilmüll werden allein in Europa jedes Jahr verbrannt. Ist das, was der Mensch jetzt dringend braucht, wirklich eine neue It-Bag? Dies exakt ist der Moment, in dem die Mode die Eleganz wiederentdeckt. Der Dekor wird abgeräumt, der fiebrige Konsum eingebremst. Schluss mit Glitzer. Und während man zuletzt eben einen Partyfummel serviert bekam, den man zweimal anzog und dann satthatte, bekommt man diesmal: einen Mantel. Genauer das Idealbild eines Mantels, wie er sein sollte, also lang und warm und makellos geschnitten.
10
Lustig, wie eine Arbeit, die wir vor fünf Jahren aus Spaß geschrieben haben, plötzlich so ein Interesse hervorruft", sagt David Larcker zur Begrüßung in einem sonnigen Innenhof der Stanford-Universität. 2013 veröffentlichte der heute 69-jährige Wirtschaftswissenschaftler eine Untersuchung über die Auswirkungen, die die Scheidung eines Unternehmenseigentümers oder Vorstandschefs auf ein Unternehmen und die Aktionäre haben kann. Seit die Nachricht von der Scheidung von Amazon-Gründer Jeff Bezos in der Welt ist, wollen plötzlich alle mit Larcker darüber sprechen: Aufsichtsratsmitglieder, Journalisten, Politiker.
11
Das Stadtwappen von Hannover ziert ein Löwe, erkennbar an der Mähne. Wäre es nicht logisch, wenn künftig auf der Hälfte aller Wappen in Broschüren und auf Briefbögen eine Löwin prangen würde? Es soll ja immer noch Leute geben, die Hannover für tendenziell fade halten, obwohl aus Hannover fulminante Geschichten stammen und so unterschiedlich sprachfreudige Zeitgenossen wie Gerhard Schröder, Klaus Meine, Doris Dörrie oder Lena Meyer-Landrut. Zu den Hannoveranern anderer Tage zählen Hannah Arendt, Frank Wedekind oder Rudolf Augstein, der dort den Spiegel erfand. Auch hält sich der Ruf, in Niedersachsens Metropole werde das sauberste Hochdeutsch gesprochen. "Am reinsten und richtigsten", wie einst der Philosoph Theodor Lessing in einer schönen Satire schrieb. Nun ist die niedersächsische Landeshauptstadt wieder eine Art linguistischer Avantgarde, denn aus der Stadtverwaltung stammen "Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache". So sollen ihre Mitarbeitenden "Lehrende" statt Lehrer schreiben und statt Wähler "Wählende". Aus dem Rednerpult soll ein Redepult werden und aus der Rednerliste eine Redeliste, aus der Teilnehmerliste eine Teilnahmeliste und aus dem Personalvertreter die Personalvertretung. Dies trage "der Vielzahl geschlechtlicher Identitäten Rechnung" und gehe damit "weiter als der bisherige Ausgleich zwischen männlichen und weiblichen Formulierungen", informiert das Rathaus und verweist auch auf das neue Gesetz, wonach seit diesem Jahr das dritte Geschlecht im Personenregister geführt wird. Die wichtigste Regel der Autoren: "Überall da, wo es möglich ist", sei eine "geschlechtsumfassende Formulierung zu verwenden". Genderstern nur in Ausnahmen Statt "Protokollführer ist" wird die Variante "das Protokoll schreibt" eingeführt, statt Ansprechpartner der Hinweis "Auskunft gibt", statt "Bewerber sollten" die Alternative "Wer sich bewirbt, sollte". Durch die Nennung von Vor- und Nachnamen lasse sich die Anrede mit Herr und Frau vermeiden, ersatzweise tauge zum Beispiel Anita und Konrad Schulz oder Familie Schulz statt Herr und Frau Schulz. Manchmal sei es "(zurzeit noch) unangemessen, eine andere Anrede als ,Sehr geehrte Damen und Herren' zu verwenden", liest man weiter auf dem Informationsblatt. Bei angemessener Gelegenheit wird "Guten Tag" oder "Liebe Gäste" empfohlen. Nur wo die geschlechtsumfassende Ansprache nicht möglich sei, möge der Genderstern eingesetzt werden, der Asterisk zwischen der männlichen und weiblichen Endung. Der*die Ingenieur*in. Oder: Liebe Kolleg*innen. Ansonsten soll in Hannover etwa die Kirche nicht mehr als Arbeitgeber fungieren, sondern, grammatikalisch zutreffend, weil dem Geschlecht des Wortes folgend, als Arbeitgeberin. Die Stadt ist kein Herausgeber, sondern Herausgeberin. Die Stadt Hannover ist auch Herausgeberin dieser Vorschläge, wobei bei Verstößen vorläufig niemand (nicht: "keiner") in den Kerker oder die Leine geworfen wird. "Natürlich braucht dies alles Zeit", schreibt die Stadtsprecherin Ulrike Serbent. "Wenn zum Beispiel Frau Mustering sich als Frau empfindet, bleibt sie dies natürlich auch auf Türschildern, Visitenkarten und Ähnlichem." Die Mitarbeitenden könnten entscheiden, ob auf ihrem Schild stattdessen zum Beispiel der Vor- und Zuname steht. Aber es sollten eben "alle Menschen in der Stadt angesprochen werden". Die Verwaltung sei "als Abbild der Gesellschaft zu verstehen". Sprachliche Feinheiten Natürlich hagelt es den in Genderfragen üblichen Hohn, vor allem im Netz ("Gendergaga"). Nicht jeder schätzt sprachliche Feinheiten und Entwicklungen. Dabei hat die Stadt Hannover das Thema Gleichstellung auch in Wort und Schrift schon seit vielen Jahren auf der Agenda, das geschlechterübergreifende "Innen" beispielsweise wurde im progressiven Hannover bereits 2003 eingeführt. "Vielfalt ist unsere Stärke", sagt Oberbürgermeister Stefan Schostok, SPD. Diesen Grundgedanken wolle man auch in der Verwaltungssprache implementieren, um "alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht anzusprechen". Unaufgeregte Unterstützung bekommt die Initiative von einer ausgewiesenen Fachfrau. Gabriele Diewald ist Professorin für Germanistische Linguistik an der Leibniz-Uni in Hannover und Mitautorin des Duden-Buches "Richtig gendern", das den Zuständigen als Ratgeber gedient haben könnte. Sie findet die städtische Sprachregelung gut. Die Praxis werde es weisen. "Die Sprache ist immer auch Impulsgeber. Sprache verändert sich. Sprache entsteht durch diejenigen, die sie sprechen." Die Sprachwissenschaftlerin beobachtet, dass solche Vorstöße inzwischen alles in allem besser ankommen. Es habe sich ja gesellschaftlich einiges getan, und viele Menschen wollten, "dass sich das sprachlich irgendwie abbildet". An die Sternchen werde man sich gewöhnen wie an Euro-Zeichen oder Smileys, glaubt Gabriele Diewald, "das ist ein komplexer Prozess, wie alle sozialen Prozesse". Siehe Rechtschreibreform oder das "Innen" à la KollegInnen. Ihr gefiel auch, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsrede von Soldatinnen und Soldaten sprach oder von Beschäftigten in der Pflege statt von Pflegerinnen. Spott gehöre wohl auch dazu, "das ist ein bisschen wie auf die Bahn schimpfen".
6
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erfährt für seine Pläne zu einer bundesweiten Öffnung regional begrenzter Krankenkassen zusehends Widerstand in der Koalition. "Wir werden das so nicht mitmachen", sagte der Fraktionsvizevorsitzende der SPD, Karl Lauterbach, der Deutschen Presse-Agentur. "Das brächte eine Verschlechterung der Versorgung." Es habe keinen Sinn, nur ein bundesweites Kassensystem zu haben. Gebraucht würden mehr regionaler Wettbewerb und regionale Versorgung. "Wer sich als Versicherter für eine bundesweite Kasse entscheiden will, kann das jetzt schon jederzeit tun", sagte Lauterbach. Spahn will die gesetzlichen Regionalbegrenzungen streichen, die bisher für Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK), bestimmte Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen gelten. Dies soll den Wettbewerb unter den Kassen erweitern. So sollen sich Kunden aus ganz Deutschland für Kassen entscheiden können, die wegen günstiger regionaler Bedingungen einen unterdurchschnittlichen Zusatzbeitrag anbieten. Gegen die Pläne kommt auch von der CSU bereits Widerstand, von der AOK werden sie heftig kritisiert. Am Dienstag warnte der AOK-Bundesverband in Berlin vor den negativen Folgen einer bundesweiten Öffnung. Spahns Pläne führten nicht zu einer besseren Versorgung, sondern zu einem "einseitigen Fokus auf den Preiswettbewerb". Die Förderung des Wettbewerbs um den günstigsten Beitragssatz habe keinen Mehrwert etwa für chronisch Kranke, die auf Angebote vor Ort angewiesen seien. Das interessiere vor allem junge und gesunde Versicherte. Zudem könne nicht jeder Vertrag etwa für Hausarztmodelle einfach von einer Region in andere übertragen werden. Der SPD-Politiker Lauterbach sagte: "Wenn wir schon mehr als 100 Krankenkassen haben, sollten sie sich auch im Profil unterscheiden." In Wirklichkeit gehe es bei den Plänen um angeblich mangelnde Kontrolle durch die Länder. Das sei eine Unterstellung. Es gelte aber: "Wenn es Kontrollprobleme gibt, müssen sie gelöst werden." Spahn hatte jüngst gesagt, die bestehende Situation sorge dafür, dass manche Landesregierung ihre Krankenkassen bevorzugt behandle. "Das mag dann gut sein für die Krankenkasse, aber längst nicht immer für die Versicherten." Wenn Kassen eine große Marktmacht hätten, führe das auch dazu, dass sie Bedingungen diktieren könnten. "Was wir brauchen, ist ein fairer Wettbewerb zwischen den Krankenkassen in der Stadt und auf dem Land, sodass die Angebotsvielfalt langfristig erhalten bleibt." Krankenkassen könnten weiterhin Verträge mit Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten aushandeln. "Regionale Besonderheiten werden also nach wie vor berücksichtigt", sagte der Minister.
7
Nach dem verheerenden Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame richten sich die Blicke bereits auf den Wiederaufbau des berühmten Kirchenbaus. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte bei einem Fernsehauftritt am Dienstagabend, "wir werden Notre-Dame noch schöner wieder errichten." Dies solle in fünf Jahren gelingen. Macron rief die Franzosen zu Einigkeit auf. Noch ehe das Feuer gelöscht war, hatte er am Vorabend zu Spenden für die Rekonstruktion der gotischen Kirche aufgerufen. Trotz des "fürchterlichen Dramas" gebe es Hoffnung. Die Spendenzusagen für den geplanten Wiederaufbau folgten prompt: Der Server der französischen Stiftung für Kulturerbe, auf dem für Notre-Dame gestiftet werden kann, brach zeitweise wegen Überlastung zusammen. Die Milliardäre François Pinault und Bernard Arnault, beide Eigner von Luxusgüterkonzernen, die Kosmetikdynastie Bettencourt sowie der Erdölkonzern Total sagten Spenden von zusammen 600 Millionen Euro zu. Auch aus dem Ausland, vor allem aus den USA, wurden hohe Summen für die katholische Kathedrale versprochen, die zu Frankreichs wichtigsten Wahrzeichen zählt und zu den meist besuchten Denkmälern Europas. Ihr Wiederaufbau könnte Hunderte Millionen kosten und wird nach Einschätzung der französischen Bischofskonferenz viele Jahre beanspruchen. Rund um Notre-Dame versammelten sich am Dienstag Tausende Menschen, und aus aller Welt gingen Solidaritätsbekundungen in Paris ein. Papst Franziskus schrieb, er wünsche sich, dass "Notre-Dame dank eines Wiederaufbaus und der Mobilisierung aller wieder dieses Schmuckstück im Herzen der Stadt werden kann." Er bot die Hilfe von Restauratoren des Vatikans an. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief alle Europäer auf, den Wiederaufbau zu unterstützen. Kanzlerin Angela Merkel sagte dabei Hilfe zu. Das Feuer war am Montagabend auf dem Dachboden des Kirchenschiffs ausgebrochen. Dort waren Renovierungsarbeiten in Gang. Die Pariser Staatsanwaltschaft geht nicht von Brandstiftung aus. Medien zufolge könnten Schweißarbeiten das Feuer verursacht haben. Die Ermittler befragten am Dienstag Mitarbeiter der Firmen, die das Dach ausbessern sollten. Erst am Dienstagvormittag war der Brand gelöscht. Ein Feuerwehrmann wurde verletzt. Das Ausmaß der Schäden an der Kathedrale war nicht absehbar. Zerstört wurden das Dach und der Spitzturm. Die charakteristischen Glockentürme der Westfassade blieben verschont. Die Feuerwehr barg dort Kunstschätze wie die als Dornenkrone Jesu verehrte Hauptreliquie. Notre-Dames Denkmalschutzdirektor Laurent Prades sagte der Nachrichtenagentur AP, die Schäden innen seien geringer als gedacht. Der Hochaltar sei schwer beschädigt, Stelen aus dem 18. Jahrhundert, Pietàs, Fresken, Kapellen und die große Orgel seien aber in Ordnung, auch die Rosettenfenster seien zumindest nicht zerstört. Laut Innenstaatssekretär Laurent Nuñez "hält die Struktur im Ganzen gut".
7
Das Spiel lief noch, weshalb Larry Mitchell betonte, er wolle nicht "zu weit nach vorne" schauen. Dass ihn die Angelegenheit beschäftigte, konnte der Sportdirektor des ERC Ingolstadt aber nicht leugnen. "Wir haben lange, lange Zeit nicht mehr gegen Straubing gewonnen", sagte er. Aber solche Dinge wolle er nicht auf seine Mannschaft übertragen. Wobei die davon natürlich auch mitbekommen hat, seit Sonntagabend sind die Straubing Tigers, die Mitchell zweieinhalb Jahre lang trainierte, ein zentrales Thema beim ERC. Am vergangenen Wochenende blieb Ingolstadt ohne Punkte. Auf die 2:3-Heimpleite gegen die Eisbären Berlin folgte trotz einer starken Leistung auch beim EHC München ein 2:3. Und so könnte es bald ein interessantes Szenario geben. Vor den letzten zwei Hauptrunden-Spieltagen der Deutschen Eishockey Liga (DEL) hat der sechstplatzierte ERC zwar immer noch die Chance, Platz vier oder fünf zu erreichen. Selbst Rang drei, den im Moment die Augsburger Panther inne haben, ist zumindest rechnerisch noch möglich. Allerdings sind nun die Straubinger bis auf zwei Zähler an die Ingolstädter herangerückt. Und genau das macht die Situation so brisant: Am letzten Spieltag kommt es am Sonntag nämlich in Ingolstadt zum direkten Duell zwischen dem ERC und den Tigers - gut möglich, dass dann entschieden wird, wer direkt ins Playoff-Viertelfinale kommt (der sechst- oder besser platzierte) und wer den Umweg über die Pre-Playoffs nehmen muss. Wie gefährlich solch eine Mini-Serie sein kann, wissen die Ingolstädter genau: 2016 und 2017 scheiterten sie dort in jeweils zwei Spielen, 2016 ausgerechnet an den Straubing Tigers. Ob der Blick auf die Tabelle eher nach oben oder nach unten geht, ist Benedikt Kohl "komplett Wurst". Der Verteidiger verweist darauf, dass der ERC sein Schicksal selbst in der Hand habe, gesteht aber auch ein, dass "wir es uns hätten leichter machen können". Für den 30-Jährigen würde selbst im Falle einer Pre-Playoff-Teilnahme "nicht die Welt untergehen, denn in den Playoffs braucht man einen Lauf." Und den könnte man womöglich in den Pre-Playoffs starten. Dort würde es aller Voraussicht nach gegen die Nürnberg Ice Tigers gehen. Sollte der Derby-Rivale aus dem Weg geräumt werden, würde im Viertelfinale Meister München oder Tabellenführer Mannheim warten. Dass beide Optionen nicht wirklich wünschenswert sind, wurde nicht erst am Sonntag deutlich: Die Mannheimer stellten mit 112 Zählern einen neuen DEL- , der EHC mit seinen 109 Punkten einen Vereins-Rekord auf. Trotzdem war Münchens Trainer Don Jackson voll des Lobes für den ERC: "Ingolstadt hat uns das Leben schwer gemacht". Die ERC-Treffer von Maury Edwards (11.) und Jerry D'Amigo (57.) waren aufgrund der Vielzahl an Chancen aber zu wenig. "Wir müssen kaltschnäuziger sein und die Dinger vorne reinhauen", sagte Torhüter Timo Pielmeier. "Das ist unser Problem zurzeit, dass wir selbst hochkarätige Chancen nicht nutzen." Spielerisch kann sich der ERC derzeit meistens sehen lassen. "Die letzten Spiele haben schon gepasst", sagte Kohl. Das Problem: Seit der Länderspielpause im Februar verloren die Oberbayern vier ihrer fünf Spiele, wodurch Platz sechs nun wackelt. In München zeigten sie dennoch einmal mehr, dass sie eines der wenigen DEL-Teams sind, die das hohe Tempo der Münchner und Mannheimer mitgehen können. "Kompliment Doug, deine Spieler haben sehr gut gespielt", sagte Jackson zu ERC-Trainer Shedden. Der bedankte sich und unterstrich, dass seine Mannschaft auf diese Leistung aufbauen könne. So, sagte er, müssen wir jeden Abend spielen. Idealerweise auch gegen Straubing.
9
Alexander Winkler, Josef Welzmüller, Sascha Bigalke und Stefan Schimmer blicken recht konzentriert drein auf der Homepage der SpVgg Unterhaching, sie trainieren gerade. Das Bild passt ganz gut zum aktuellen Terminplan der Mannschaft. Denn der Winter hat dem Fußball-Drittligisten bekanntlich eine viel längere Pause beschert als gedacht, bisweilen war wegen der Schneefälle sogar der Kunstrasenplatz gesperrt. Und so sitzen sie eben in der Vereinsgaststätte und bereiten sich dort intensiv vor - auf das Schafkopfturnier am 24. Februar. Für den Eintrittspreis von 19,25 Euro kann man dann an einem Turnier in der Vereinsgaststätte teilnehmen, die Hälfte der Einnahmen geht an einen guten Zweck. Als Hauptpreis winkt ein Flug mit der Mannschaft zu einem Auswärtsspiel. Für die Partie am Samstag in Rostock (14 Uhr) kommt das Turnier freilich zu spät, denn die gemütliche Zeit ist nun endgültig vorbei, zumindest laut Wettervorhersage. Die nämlich ist für Samstag in Rostock so gut, dass die Partie wohl tatsächlich stattfinden wird. "Endlich", sagt Trainer Claus Schromm, kehre dann so etwas wie ein Arbeitsrhythmus ein. Auch die Mannschaft will das Eis nun schnell brechen: "Wir sind sehr heiß darauf, dass es endlich losgeht", sagt Defensivmann Max Dombrowka. Neben Luca Marseiler (Hüftverletzung) und einigen Langzeitverletzten wird auch Jim-Patrick Müller ausfallen, wegen eines Faserrisses in der Wade. "Gerade im Hinblick auf die englischen Wochen trifft uns das sehr", sagt Schromm. Erstmals im Kader steht der 18-jährige Niclas Anspach. Die beiden Spielausfälle zuletzt hatten übrigens auch ihr Gutes: Sascha Bigalke hatte noch mit einer leichten Kniereizung zu kämpfen, er hätte etwa auswärts beim VfR Aalen auf tiefem Boden gar nicht gespielt. Nach knapp sechs statt gut drei Wochen Pause startet die SpVgg nun also mit einem Flug in den hohen Norden in die Restrunde. Wenn man den Trainern glaubt, ist der Ausgang völlig offen. Rostocks Jens Härtel, der Anfang Januar auf den beurlaubten Pavel Dotschev folgte, steht nach zwei Auswärtsniederlagen vor seinem ersten Heimspiel. "Ich glaube, sie sind noch in der Findungsphase", sagt Schromm. Er hat vor dem ehemaligen Trainer des 1. FC Magdeburg und dessen Arbeit viel Respekt und erwartet eine aggressive Mannschaft mit viel Pressing. Härtel wiederum denkt, dass die Unterhachinger "nicht wissen, wo sie stehen", weil sie ja noch gar nicht gespielt hätten. Aber auch wenn die Hachinger zurzeit laut Schromm "keinen Rhythmus haben", so ist doch ihre größte Stärke, dass sie eingespielt sind. Unterhaching ist eine von nur drei Mannschaften, die in der Winterpause gar nicht auf dem Transfermarkt tätig geworden sind. Die Vereinsführung sieht schlicht keinen Handlungsbedarf. Und auch das Rennen um die Aufstiegsplätze "wird noch lange offen bleiben", verspricht Schromm. Das liegt nicht nur daran, dass beispielsweise der Tabellenzweite Uerdingen zurzeit ebenfalls in einer Findungsphase stecke. Sondern freilich auch daran, dass der von vielen hoch gehandelte Verfolger Unterhaching noch zwei Nachholspiele zu absolvieren hat. Zunächst sollte der Abstand aber nicht zu groß werden. Denn im März stehen drei englische Wochen in Serie an. Schafkopf wird dann vermutlich nur noch im Bus gespielt.
5
Vor wichtigen Firmenbilanzen und vor der Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed in dieser Woche agieren die Anleger sehr vorsichtig. Der Dax kommt nicht vom Fleck. Nach der Kursrally der vergangenen Tage haben sich die Anleger am Montag zurückgehalten. Der Dax lag zum Handelsschluss 0,1 Prozent höher bei 12 328 Punkten. Salah-Eddine Bouhmidi, Marktanalyst beim Brokerhaus IG sagte, die Anleger warteten auf neue Impulse unter anderem von der US-Notenbank Fed in dieser Woche. Dazu kämen die jüngsten Geschäftsergebnisse der Unternehmen. In den kommenden Tagen öffnen zahlreiche Firmen im In- und Ausland ihre Bücher. An der spanischen Börse herrschte nach den Parlamentswahlen angespannte Stimmung, da der unklare Wahlausgang die Regierungsbildung erschweren dürfte. Der Leitindex Ibex schloss 0,5 Prozent im Plus und war damit eines der festeren Börsenbarometer in Europa. Dagegen griffen Investoren bei italienischen Banktiteln zu, nachdem die Ratingagentur S&P ihre Bonitätsnote für das Land mit "BBB" bestätigt hatte. Der Index für die italienische Finanzbranche, die besonders unter einer Herabstufung gelitten hätte, legte 1,4 Prozent zu. Bei den Einzelwerten im Dax stachen die Aktien von Thyssenkrupp mit einem Abschlag von 2,1 Prozent hervor. Die Titel des Stahlkonzerns litten unter einem negativen Analystenkommentar. Nach enttäuschenden Quartalszahlen zählten Covestro-Titel ebenfalls zu den Verlierern (nebenstehender Bericht). Derweil standen die Anteile von Fielmann mit plus 2,9 Prozent auf der Gewinnerseite im M-Dax. Die Optikerkette hatte im ersten Quartal mit starken Erlös- und Ergebniszuwächsen überrascht. Für Aurubis-Aktien war die Talfahrt nach der jüngsten Gewinnwarnung noch nicht beendet. Das Papier der Kupferschmelze büßte 3,7 Prozent ein, nachdem sie am Freitag bereits fast sieben Prozent verloren hatten. Im S-Dax war die Salzgitter-Aktie mit einem Gewinn von knapp drei Prozent unter den Favoriten. Der Stahlkonzern blickt nach Zuwächsen im ersten Quartal etwas optimistischer auf das gesamte Geschäftsjahr. Es bleibe zwar bei der Prognose, wonach das Vorsteuerergebnis 2019 zwischen 125 und 175 Millionen Euro betragen solle, teilte der Konzern mit. Gleichwohl rechne man eher mit einem Resultat im oberen Bereich der Spanne. Auch die Anleger in den USA agierten vor den Geschäftszahlen der Tech-Größen Apple und Alphabet vorsichtig. Der Dow Jones schloss kaum verändert.
11
So ein Fehler hätte ihr natürlich nie passieren dürfen. Und dann unterlief er Almuth Schult am Dienstagnachmittag gegen Japan gleich zwei Mal. Die Torhüterin war dafür verantwortlich, dass die eigentlich überlegene deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen zwei Mal in Rückstand geriet. Am Ende aber reihte sich das Ergebnis gegen den Weltmeister von 2011 in die zuletzt makellose Bilanz. Seit einem Jahr ist die Mannschaft von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg unbesiegt, von den vorausgegangenen elf Spielen gewannen die DFB-Frauen zehn - gegen Japan kam mit dem 2:2 (0:1) nun das zweite Unentschieden hinzu. Dabei wäre bei der Heimpremiere von Voss-Tecklenburg durchaus mehr möglich gewesen. "Es ist blöd, das waren zwei richtige Scheiß-Pässe", sagte Schult. "Aber es ist gut, dass mir das jetzt passiert und nicht bei einem Turnier oder Pflichtspiel." Die Deutschen begannen dominant, agierten dann aber zu nervös und mit zu wenig Präzision im Spielaufbau sowie bei der Verwertung der Chancen. Die Japanerinnen erschwerten jeglichen Offensivdrang zudem mit diszipliniertem Stellungsspiel - und profitierten dann von Schults Aussetzern. In der 35. Minute bekam die 28-Jährige von Abwehrspielerin Johanna Elsig den Ball zugespielt und wollte diesen nach vorne weitergeben. Doch der Ball landete direkt bei Yui Hasegawa, die aus über 30 Metern über Schult hinweg das 1:0 erzielte. Drei Wechsel zur zweiten Halbzeit halfen merklich, die Gastgeberinnen agierten druckvoller, zielstrebiger und auch kreativer. In der 53. Minute gelang so schließlich der Ausgleich: Nach einer Flanke von Dzsenifer Marozsan glich Kapitänin Alexandra Popp bei ihrem 45. Tor im 95. Länderspiel per Kopfball den Spielstand und damit auch Schults Fehler aus. Nur legte die Torhüterin einen nach. Der Versuch eines Querpasses misslang völlig. Kumi Yokoyama spielte einen cleveren Doppelpass mit der mitgelaufenen Emi Nakajima und erzielte so das 2:1 (69.). "Wir wissen, was wir an Almuth haben", sagte Voss-Tecklenburg. "Es fehlt ihr noch etwas Sicherheit und auch Mentalität. Sie ist eine Perfektionistin, aber im Spiel muss man auch mal einfachere Lösungen finden." Schult hatte zu Jahresbeginn mit einer Maserninfektion zu kämpfen - und sucht seitdem ihre Bestform. Beim Ausgleich bekamen schließlich auch ihre Mitspielerinnen Hilfe aus dem Tor: Als Japans Chika Hirao bei einer Hereingabe von Turid Knaak den Ball fallen ließ, köpfte Svenja Huth vor 4804 Zuschauern in Paderborn aus kurzer Distanz in der 72. Minute noch zum 2:2 ein. "Wir haben es uns teilweise selbst schwer gemacht", sagte Huth. "Das kam vielleicht gerade zur rechten Zeit, um uns nochmal deutlich zu machen, dass wir über 90 Minuten konzentriert sein müssen." Auch die Bundestrainerin betonte, dass diese Leistung nicht dem eigenen Anspruch entspräche. All diese Erkenntnisse fließen nun in den Auswahlprozess ein: Am 14. Mai wird Martina Voss-Tecklenburg den Kader für die Weltmeisterschaft im Sommer (7. Juni bis 7. Juli) bekannt geben.
9
ICE-Komfort auf Nicht-ICE-Strecken: Der neue Fern­verkehrs­zug der Bahn kommt aus Spanien. Das ist eine klare Niederlage für Siemens, den bisher wichtigsten Lieferanten des Staatskonzerns. Mit dem "ECx" soll sich einiges ändern. ‹ › Blick in die Zukunft: In vier Jahren sollen die neuen Züge des spanischen Herstellers Talgo ausgeliefert werden, die "ECx". Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › Die neuen Fernzüge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h sollen alte Intercity-1-Züge auf Strecken ersetzen, auf denen keine ICE fahren. Bild: bahn ‹ › Unverhohlen stolz teilt die Deutsche Bahn mit, dass die neuen Wagen "echten ICE-Komfort" bieten werden. In der zweiten Klasse gibt es gekennzeichnete Familienbereiche. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › In der ersten Klasse wirken nicht nur die dunkleren Sitzbezüge edler, auch der Abstand zwischen den Sitzen ist größer. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › Die Züge sind stufenlos, der Einstieg befindet sich auf 76 Zentimeter - und damit auf einer Ebene mit den meisten Bahnsteigen. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › Eine weitere Verbesserung: Die Türen sind breiter, große Koffer kann man also neben sich hineinrollen. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › Für Rollstuhlfahrer sind drei Plätze vorgesehen, der Tisch ist dann höhenverstellbar. Auch eines der WC ist behindertengerecht. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › Wer sportlich unterwegs ist, wird sich über den Fahrradbereich freuen: Hier haben bis zu acht Räder Platz. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › Im Kleinkindabteil dürfen Krabbler das tun, was Kinder in diesem Alter gerne machen: hemmungslos die nächste Umgebung erkunden. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon ‹ › Alle Züge sollen außerdem ein Bordbistro mit Stehtischen und Sitzgruppen bieten. Bild: Deutsche Bahn AG/Tricon Wird geladen ... Weißer Grund, roter Seitenstreifen: Die neueste Errungenschaft der Bahn kommt zwar noch im geläufigen Fernverkehrs- Design daher. Sonst aber soll sich mit dem "ECx" getauften Zug, der in einigen Jahren die alten Euro- und Intercitys ablöst, einiges ändern. Neue Sitztypen, mehr Platz für Fahrräder, Skier und Beine verspricht der Staatskonzern. Und überhaupt: ICE-Komfort auf Nicht-ICE-Strecken. Vor allem aber kommt mit dem Gefährt erstmals ein Fernzug der Bahn nicht mehr von deutschen oder zumindest in Deutschland produzierenden Herstellern: Die DB hat ihre neue Flotte beim spanischen Hersteller Talgo gekauft. Der Rahmenvertrag sieht insgesamt 100 Züge vor. Der Vertrag hat ein Volumen von 550 Millionen Euro. Am Mittwoch stellte die Bahn nun in Berlin die Pläne für die ersten 23 Züge vor, die ab 2023 durch Deutschland rollen sollen. Kunden können voraussichtlich Anfang 2023 testweise in die ersten der neuen Züge einsteigen. Mit dem Fahrplanwechsel Ende 2023 sollen sie dann regulär fahren. Bis 2024 sollen alle Züge geliefert sein. Und schon jetzt ist klar, auf welchen Strecken die Züge unterwegs sein werden. Zuerst zwischen Berlin und Amsterdam, die Fahrtzeit zwischen den Hauptstädten verkürze sich dann um etwa 30 Minuten auf fünf Stunden und 50 Minuten, kündigt die Bahn an. Später fahre der Zug auch auf weiteren Routen, ab Sommer 2024 zum Beispiel auf den touristischen Strecken nach Westerland auf Sylt oder auch nach Oberstdorf im Allgäu. Die Züge fahren bis zu 230 Kilometer pro Stunde schnell. Und sie werden auf das ICE-Niveau angehoben: Die Wagen werden weniger hoch, die bisherige steile Stiege entfällt und Passagiere können an allen Türen ebenerdig ein- und aussteigen. "Rollstuhlfahrer können künftig selbständig an Bord kommen", sagte Bahnchef Richard Lutz. Außerdem gebe es in jedem Wagen Wlan - wie im ICE. Alle Züge sollen zudem ein Bordbistro mit Stehtischen und Sitzgruppen bieten und einen Kleinkind- sowie Familienbereich. Der Zuschlag für Talgo gilt auch als Niederlage für Siemens. Die Deutsche Bahn war zuletzt mit den Zügen ihrer bislang wichtigsten Lieferanten unzufrieden. Teils kam es bei der Auslieferung zu großen Verspätungen, teils gab es nach dem Start Probleme. Bahnmanager hatten immer wieder erklärt, den Kauf bei anderen Herstellern zu prüfen. Man verspreche sich von den Zügen mehr Verlässlichkeit, kündigte die Bahn nun an. Er beglückwünsche die Bahn zu diesem Lieferanten, sagte am Mittwoch auch der Bahnbeauftragte der Bundesregierung und Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann. Die neuen Züge sind Teil eines milliardenschweren Investitionspakets zur Verbesserung des Fernverkehrs. Die Bahn steht wegen Verspätungen und Servicemängeln in der Kritik. Auch unter Druck der Bundesregierung soll die Bahn die Probleme möglichst schnell in den Griff bekommen.
11
Detailansicht öffnen Durchblick im Büroalltag: Wer wann wie viel schafft, das muss auch in dieser Frankfurt Anwaltskanzlei künftig dokumentiert werden. (Foto: Michael Probst/AP) Arbeitgeber in der EU müssen künftig die gesamte Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter systematisch erfassen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verpflichtet die Mitgliedstaaten, entsprechende Richtlinien einzuführen. Sie sollen dazu beitragen, dass künftig Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten werden. "Die Erfassung der Arbeitszeit dient den Arbeitnehmern als Beweis für ihre Leistung und den Behörden und Gewerkschaften zur Kontrolle, ob die Arbeitszeitvorschriften eingehalten werden", sagt Inken Gallner, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht. Eine EU-Richtlinie schreibt vor, dass die Arbeitszeit pro Woche in der Regel nicht mehr als 48 Stunden betragen darf. Jeden Tag müssen Mitarbeiter zudem elf Stunden Ruhezeit am Stück bekommen, mindestens einmal in der Woche sind 24 Stunden Ruhe vorgeschrieben. Das Urteil könnte große Auswirkungen auf den Arbeitsalltag in Deutschland haben. Nur in wenigen Branchen werden Arbeitszeiten bisher vollständig erfasst, etwa im Speditionsgewerbe. Andere Arbeitgeber mussten nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz bisher nur Überstunden festhalten. Das genügt dem EuGH nicht. Ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, könne weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden. So sei es für Arbeitnehmer äußerst schwierig oder praktisch unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen. Auch Heimarbeit und Außendienst müssen nach dem Urteil künftig registriert werden, jede E-Mail und jedes berufliche Telefonat könnten aufzeichnungspflichtig werden. Wie die Arbeitszeiterfassung umgesetzt wird, ist den Mitgliedstaaten überlassen. Sie dürfen unterschiedliche Vorgaben etwa für große und kleine Unternehmen treffen. Die Möglichkeiten reichen von elektronischen Chipkarten bis zu Programmen auf dem Smartphone, in kleinen Betrieben könnten auch händische Aufzeichnungen eine Alternative sein. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, vor möglichen Gesetzesänderungen wolle er das Gespräch mit Gewerkschaften und Arbeitgebern suchen, "damit wir das Richtige tun und nicht übers Ziel hinausschießen". Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lobte das Urteil: "Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor - richtig so", sagte Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands. Die Rechte der Beschäftigten blieben "viel zu oft auf der Strecke". Arbeitgeber sehen das Urteil hingegen kritisch: "Die Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung wirkt wie aus der Zeit gefallen", heißt es vom Bund der Arbeitgeber: "Wir sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert. Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren."
7
Präsident Poroschenko muss um seine Wiederwahl fürchten. Neue Korruptions­ermittlungen legen den Verdacht nahe, dass er sich mit unlauteren Mitteln an die Macht klammert. Oleg Swinartschuk hat in seiner Karriere viel Freundschaft erfahren. Seit den Neunzigerjahren war Swinartschuk nicht nur Freund, sondern auch Geschäftspartner des Industriellen Petro Poroschenko. Den beiden Freunden gehörte etwa die Firma Bogdan, die Kleinbusse herstellte. 2005 übernahm Swinartschuk Poroschenkos Anteil. Nach der Weltwirtschaftskrise 2008/09 ging das Geschäft mit den Kleinbussen schleppend. Doch 2014 wurde Poroschenko Präsident. Poroschenko ernannte den Freund, der seinen Nachnamen in Gladkowskij änderte, erst zum Chef der Kommission für Militärisch-Technische Zusammenarbeit, dann zum Vize-Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. Gladkowskijs Firma Bogdan bekam nun lukrative Aufträge für Panzerfahrzeuge oder Armeeambulanzen. Auch sonst sollte der Freund die staatliche Waffenproduktion und den Waffeneinkauf koordinieren. Ein wichtiger Job, zumal die Ukraine im unerklärten Krieg mit Russland liegt. 2014 bezog die Ukraine gut ein Drittel ihrer Waffen und Ersatzteile aus Russland. Schon 2015 aber behauptete der Chef der staatlichen Waffenindustrieholding Ukroboronprom, die Ukraine kaufe keinerlei Armeenachschub mehr von Russland. Verteidigungsindustrie und Armee gelten als hochgradig korrupt Oleg Gladkowskij hat auch einen Sohn, Igor, der 2015 gerade gut 20 Jahre alt ist, doch bald eine erstaunliche Geschäftstätigkeit entfaltet. Er wird nicht nur Statthalter des Autokonzerns Hyundai, sondern handelt auch mit Waffenersatzteilen - ukrainischen Recherchen zufolge sehr gewinnbringend. Gladkowskij junior kauft mit Geschäftspartnern Teile für das Militär in Russland, bringt sie über Umwege in die Ukraine und verkauft sie dem Staat zu teils mehrfach über dem Marktpreis liegenden Preisen weiter. So jedenfalls hat es der Investigativdienst Bihus recherchiert. Dessen Berichten zufolge sollen staatliche Waffenindustriemanager ebenso profitiert haben wie Gladkowskij senior. Auch Präsident Poroschenko steht wegen einer bis vor Kurzem ihm gehörenden, angeblich als Zwischenhändler auftretenden Firma im Zwielicht. Den Bihus-Journalisten zufolge sollen die drei Partner die Ukraine im Zusammenspiel mit hohen Beamten massiv übervorteilt haben. Alle angeblich Beteiligten bestreiten alle Vorwürfe. Doch Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko hat bestätigt, dass die Erkenntnisse der Journalisten auf Ermittlungen und Unterlagen seines Hauses und der Militärstaatsanwaltschaft beruhten. Ein typischer Handel soll so abgelaufen sein: Gladkowskij junior und seine Partner sollen in Russland Höhenmesser für Antonow AN-26-Transportflugzeuge zum Preis von 84 000 Dollar gekauft, sie über die Vereinigten Arabischen Emirate in die Ukraine gebracht - und dem Staat für 567 820 Dollar weiterverkauft haben. Derlei Recherchen erstaunen Fachleute nicht. Wie andere Teile des Staatsapparates gelten auch Verteidigungsindustrie und Armee als hochgradig korrupt. Der Direktor des Anti-Korruptions-Büros der Ukraine berichtete der SZ im April 2018 über massive Korruption etwa in der Lemberger Panzerfabrik: Dort waren in Panzer alte, kaum mehr funktionsfähige Motoren eingebaut worden; am Betrug sei der damalige Chef der Panzerfabrik ebenso beteiligt gewesen wie der damalige Chef der Abteilung für Panzerstreitkräfte im Verteidigungsministerium. Ein deutscher Ukraine-Experte mit Zugang zu Berliner Regierungsinformationen sagte der SZ im Herbst 2017 gar, Schätzungen zufolge werde bis zur Hälfte des ukrainischen Verteidigungshaushaltes "geklaut". Neuigkeiten über Korruption in Verteidigungsindustrie oder Armee sind in der Ukraine besonders brisant, angesichts des fortdauernden Krieges und Soldaten, die oft auch wegen fehlender oder unterlegener Militärtechnik sterben. Und der Skandal schlägt nur wenige Wochen vor der ersten Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahl am 31. März tiefe Löcher in das von Poroschenko gepflegte Image als oberster Patriot und Oberkommandierender der Armee im Kampf gegen ein feindliches Russland. Zwar entließ Poroschenko Oleg Gladkowskij, der ebenfalls alle Vorwürfe bestreitet, am 4. März aus allen Ämtern. Aber "nicht Gladkowskij, sondern Poroschenko selbst müsste entlassen werden", kommentierte der Parlamentarier Sergej Leschtschenko: "Poroschenko ist die Wurzel des Problems und Gladkowskij nur dessen Verlängerung." Einer Umfrage der Agentur Rating zufolge liegt Poroschenko unter wahlwilligen Ukrainern mit knapp 17 Prozent weit hinter dem Spitzenreiter, Fernsehproduzent und Schauspieler Wolodymyr Selensky (25 Prozent), zurück. Poroschenko will sich am 31. März zumindest vor seine andere Hauptkonkurrentin, Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (18 Prozent), schieben und als Zweitplatzierter in die Stichwahl am 21. April gehen. Das Onlineportal Strana berichtete über angeblich bereits seit Januar laufende Vorbereitungen zum massiven Stimmenkauf zugunsten Poroschenkos, etwa unter Ausnutzung von Datenbanken der staatlichen Post oder Sparkasse, durch das Einwirken auf Hunderttausende Soldaten und durch den massenhafte Einsatz bezahlter "Agitatoren". Der gezielte Einsatz von Zusatzzahlungen aus dem Staatshaushalt solle dem Präsidenten "sieben bis zehn Prozent" zusätzlicher Stimmen bringen, so stellen es angebliche Mitglieder des Poroschenko-Wahlkampfstabs dar. Der Bericht schlug hohe Wellen: vor allem, nachdem Ukraines Innenminister Arsen Awakow große Teile des Berichtes und entsprechende Polizeiermittlungen bestätigte - und den Vize-Chef der Poroschenko-Fraktion im Parlament als angeblichen Organisator des geplanten Stimmenkaufs benannte. Awakow gehört nicht zum Präsidentenlager, sondern soll eine Allianz mit Poroschenkos Konkurrentin Timoschenko pflegen. Awakow bestreitet dies und bestätigte zudem, auch gegen das Timoschenko-Lager werde wegen geplanten Stimmenkaufs ermittelt. Kritiker glauben, dass sich der Präsident auf den möglichen Verlust der Immunität vorbereite Kritiker glauben, dass sich der Präsident zudem auf den möglichen Verlust des Präsidentenamtes vorbereitet, wenn er seine Immunität vor Strafverfolgung verliert. Am 25. Februar erklärte das Verfassungsgericht, in der Ukraine eine Institution mit trauriger Tradition politischer Abhängigkeit und bestellten Urteilen, den Kernparagraphen des Strafgesetzbuches für angeblich verfassungswidrig, der in den letzten Jahren Dutzende Korruptionsermittlungen gegen hohe Staatsdiener ermöglicht hatte. Dabei findet sich der Paragraph 368-2, der Strafverfolgung für illegitime Bereicherung ermöglicht, ähnlich bereits in der Anti-Korruptions-Konvention der Vereinten Nationen von 2003 und wurde in der Ukraine nach der Maidan-Revolution eingeführt. Das Urteil des Verfassungsgerichts gilt als politisch motiviert, zumal die Richter den angefochtenen Paragraphen nicht etwa zur Überarbeitung ans Parlament zurückverwiesen, sondern sofort für verfassungswidrig erklärten. Die Folge: 65 Ermittlungen oder Anklagen, teils gegen hochrangige Verbündete des Präsidenten, mussten eingestellt oder zurückgezogen werden. In einem weiteren Manöver schlug eine vom Präsidialapparat kontrollierte Berufungskommission am 6. März als Richter am Obersten Gericht 16 Kandidaten vor, die unabhängigen Experten und Bürgergruppen als möglicherweise korrupt oder politisch abhängig gelten - oder die Poroschenko früher als Anwalt vertraten. Der Präsident glaube nicht mehr an seinen Sieg und bringe jetzt "hörige Richter ins Amt, die ihn nach dem Verlust der Macht absichern", kommentierte der Abgeordnete Leschtschenko - und trat aus Protest aus der Parlamentsfraktion des Präsidenten aus.
7
Robert Habecks Twitter-Abschied sorgte für viele Diskussionen. Dabei spielt sich das nächste große Netz-Ding schon lange in privaten Chats und Messengern ab. Über den Aufstieg von "Dark Social". Es gibt ein Phänomen, das die Gelbwesten in Frankreich, den Wahlsieg des rechtsextremen Jair Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien und den Klassenchat der eigenen Kinder miteinander verbindet: Das Phänomen heißt "Dark Social" und fand bisher nicht nur wegen seines düsteren Namens wenig Beachtung in der Öffentlichkeit. Es ist das Schlagwort für jene von außen kaum einsehbare Form von Internet-Traffic, der über persönliche E-Mails, geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken oder Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Telegram entsteht. Diese Kanäle gelten als "dunkel", weil Betreiber von Webseiten nicht sehen können, woher die Besucher ihrer Seiten genau kommen, wenn sie in diesen privaten Räumen auf einen Link geklickt haben. "Dark Social" wurde als Schlagwort erstmals im Jahr 2012 von dem amerikanischen Journalisten Alexis C. Madrigal verwendet - als Gegenbegriff zu dem sichtbaren Traffic, den Websitebetreiber sehen, wenn Nutzer über eine Google-Suche auf eine Seite kommen oder weil sie zum Beispiel auf Twitter auf einen Link geklickt haben. Seit 2012 wurde - wie zuletzt nach dem Rückzug von Robert Habeck - viel über Twitter und Facebook und deren Wirkung auf die öffentliche Debatte diskutiert. Dabei ist den dazu bekannten Studien zufolge der Anteil des dunklen Traffics enorm gestiegen, ohne dass es größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Vieles spricht dafür, dass die Bedeutung von Dark Social noch steigen wird. Diese auf den ersten Blick harmlos wirkende Form der persönlichen Kommunikation wird zu einer gesellschaftspolitischen Herausforderung. Der Grund dafür ist, dass sich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit im Web verändert. Denn der Austausch von Informationen und Links in persönlichen Mitteilungen ist gerade deshalb so bedeutsam, weil er praktisch unter Ausschluss dessen stattfindet, was klassisch als Öffentlichkeit gilt. In den dunklen Kanälen gibt es selbst bei hochpolitischen Themen kaum sichtbare politische Akteure, Menschen mit anderer Meinung oder gar politische Debatten. Dort schreiben Nutzer in erster Linie mit vertrauenswürdigen Nachbarn oder politisch Gleichgesinnten. Das ist persönlicher Austausch, der sich nie nach Öffentlichkeit anfühlt. Und doch sind diese Mitteilungen und Chats zu mächtigen Werkzeugen auch der öffentlichen Kommunikation geworden. In ihnen werden Botschaften und Links weitergetragen wie ein Erkältungsvirus in der Schnupfenzeit. Jeder, der sich angesteckt hat, kann zum Sender werden, der über seine Fußballgruppe oder den Klassenchat der Kinder andere ansteckt. Keiner löst damit alleine eine Grippewelle aus, aber jeder trägt am Ende doch dazu bei. Anders als die öffentlichen und oft als bezahlt markierten Beiträge in offenen sozialen Netzwerken wirken die "dunkel" verbreiteten Links und Botschaften höchst privat und deshalb besonders glaubwürdig. Viele denken: Was von einem Freund kommt, ist vertrauenswürdig. Diese Tendenz der sozialen Medien wird in den privaten Räumen noch verstärkt. Dass teils blindes Vertrauen zu Problemen führen kann, haben Münchner in der Nacht des Amoklaufs vom Olympiaeinkaufszentrum bemerkt, in der viele Gerüchte auch über Chats und private Gruppen verbreitet wurden. So entstand Panik in der Stadt, die eine auch für Nutzer dunkle Seite von Social Media offenlegte: Die Kanäle können Kräfte und Dynamiken freisetzen, die äußerst mächtig sind. Diese Dynamik führte an jenem Tag zu Panik, ohne dass sie jemand gesteuert hätte. Mittlerweile setzen viele Gruppen und Organisationen sie gezielt für ihre Zwecke ein. Manche so genannte Influencer nutzen zum Beispiel Gruppen in Telegram, um ihre Beiträge auf Instagram schnell populär zu machen: Sie weisen einander auf neue Fotos hin und klicken dann möglichst schnell "gefällt mir", um den Algorithmus des Fotodienstes auszunutzen. Brasiliens Politik hatte ein Whatsapp-Problem Aber auch politische Kommunikation findet mittlerweile mit Hilfe von privaten Chats statt. Das Aufkommen der Gelbwesten-Bewegung soll in beträchtlichem Maß durch private Gruppen auf Facebook organisiert worden sein, in denen sich private Nachbarschaften verbunden haben. Weite Teile des brasilianischen Präsidentschaftswahlkampfs sollen über den im Land äußerst populären Dienst Whatsapp geführt worden sein. Jedenfalls deckte die Zeitung Folha de São Paulo auf, dass der mittlerweile gewählte rechtsnationale Kandidat Jair Bolsonaro mehrere Agenturen beauftragt haben soll, Falschnachrichten in die Kanäle von Whatsapp zu posten. Whatsapp reagierte nur langsam auf die sich rasant verbreitenden Falschmeldungen und handelte sich damit eine Menge Kritik ein. Es ist das Problem für klassische Kontrollinstanzen der öffentlichen Kommunikation: Diese Kanäle sind kaum von außen einsehbar und kaum zu kontrollieren. Whatsapp hat keine Einsicht in die Chats seiner Nutzer, da diese stark verschlüsselt sind. Viel wird über die Debatten-Kultur auf Twitter gestritten, auch Facebook sieht sich öffentlicher Kritik ausgesetzt für seinen schlechten Schutz von Nutzerdaten und die mangelnde Bereitschaft, Falschmeldungen im Netzwerk zu löschen. Dagegen blieb Kritik an Facebooks Tochter Whatsapp in Deutschland fast ungehört. Das Unternehmen führte im Sommer den "Weitergeleitet"-Hinweis ein, um sichtbar zu machen, wenn Mitteilungen und Links einfach nur von einem Chat in den nächsten weitergereicht werden. So soll der Nutzer erfahren, dass diese Botschaft nicht eigenhändig von einem Bekannten getippt wurde, sondern er sie übernommen hat. Dieses neue Feature ist auch als Antwort auf das wachsende gesellschaftspolitische Problem Dark Social zu sehen. Kritiker bezweifeln aber, dass der Hinweis ausreicht, um die Verbreitung von Falschmeldungen über Chats und private Nachrichten einzudämmen. Um Lösungen zu finden, braucht es zunächst auf allen politischen Ebenen ein breiteres Verständnis, dass Social Media mehr ist als nur der öffentliche Streit auf Twitter, sondern eben auch die Dark-Social-Beiträge in Messenger-Diensten. Auf der persönlichen Ebene müssen Nutzerinnen und Nutzer ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Wirkung ihre vermeintlich beiläufigen Botschaften und Kettenbriefe in privaten Chats in der Summe haben können. Denn wie bei einer Grippewelle spielt es am Ende auch eine Rolle wie jede und jeder Einzelne sich verhält. Die beste Impfung gegen Falschmeldungen in dunklen Kanälen ist: Nachdenken - und nur das teilen, was man selber genau weiß.
2
Vielleicht ist es die räumliche Nähe - das Hauptquartier von Facebook ist keine 30 Fahrradminuten von meinem Büro in Stanford entfernt -, die mich immer wieder an das Plädoyer denken lässt, mit dem Mark Zuckerbergs einstiger Kommilitone Chris Hughes am vorvergangenen Sonntag in der New York Times an die Öffentlichkeit trat. Über vier Zeitungsseiten erstreckt sich der Text, in dem Hughes die Zerschlagung des Unternehmens fordert, das er vor 15 Jahren mit Zuckerberg und drei weiteren Harvard-Studenten gegründet hat. Aus der group of nerds von damals sind mindestens Halb-, meist Multimilliardäre in ihren Dreißigern geworden, und wenn sie sich erinnern, hängt der Stolz auf die gemeinsame Großtat noch immer in der Luft. Doch nun schwenkt einer von ihnen radikal um. "Die Regierung muss Mark zur Rechenschaft ziehen", schreibt Hughes, der nach seinem Ausstieg bei Facebook 2008 für Barack Obama in den Digitalwahlkampf zog. "Wir sind eine Nation, die eine Tradition darin hat, Monopolen die Zügel anzulegen, ganz einerlei, wie wohlmeinend die Chefs solcher Unternehmen sein mögen. Marks Macht ist präzedenzlos und unamerikanisch." Wer die seit Jahren sich auftürmenden Nachrichten über die Nachtseiten von Facebook verfolgt hat, dem erklärt dessen Mitgründer womöglich nicht viel Neues; immerhin sind wir über die schlimmsten politischen Skandale wie die Preisgabe von Nutzerdaten an Trumps Wahlkampf-Manipulatoren von Cambridge Analytica schon länger im Bild - dank intensiver Recherchen übrigens der viel geschmähten "alten" Medien. Hughes' Ausführungen über die Macht der Algorithmen im Allgemeinen und die Praktiken bei Facebook im Besonderen könnten gleichwohl einen Wendepunkt markieren. Denn nicht nur spricht hier einer der Miterfinder des mit Abstand größten sozialen Netzwerks der Erde. Fast nebenbei zeichnet der noch immer junge Mann das Bild einer Tech-Gesellschaft von bedrückender politischer Ignoranz und ökonomischer Ahnungslosigkeit. So zitiert er zum Beispiel Freunde ("mehr als nur einen"), die nicht einmal wissen, dass Facebook nicht entkommt, wer zu Whatsapp, Messenger oder Instagram wechselt, weil alle diese Anbieter zu Zuckerbergs Imperium gehören. Man hätte unter den "Millennials", wenn schon keine Vertrautheit mit der Logik des Kapitalismus, doch wenigstens Kenntnis über die Herkunft der Dinge vermutet, mit denen sie alltäglich hantieren. Es ist wohl auch dieses Erschrecken über die eigenen Peers, die Chris Hughes nun auf staatliche Regulierung setzen lässt. Genauer gesagt, liegen seine Hoffnungen bei der 1914 gegründeten Federal Trade Commission. Schon deren entschlossener Versuch, das von ihm, Hughes, mitgeschaffene Ungeheuer zu zerlegen, werde Wirkung entfalten: "Ein aggressives Vorgehen gegen Facebook würde andere Behemoths wie Google und Amazon veranlassen, künftig zweimal über die Ausschaltung des Wettbewerbs in ihren Bereichen nachzudenken: aus Angst, sie könnten die Nächsten sein." Dass nun ausgerechnet einer aus der Gründergeneration der sozialen Medien nach politischem Eingreifen verlangt, ruft die Geschichte von J. Robert Oppenheimer in Erinnerung: Der hochbegabte Kopf des amerikanischen Atomprogramms im Zweiten Weltkrieg begann sich unter dem Eindruck des Abwurfs der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki vor einem nuklearen Wettrüsten zu fürchten - und engagierte sich fortan so sehr für eine internationale Kontrolle der Kernenergie, dass er im Zeitalter des Antikommunismus in Verdacht geriet, sowjetischer Spion zu sein. Derlei Tragik steht im Silicon Valley nicht zu erwarten. Auch dass Chris Hughes allem Anschein nach kein kalifornischer Kevin Kühnert werden will, dürfte im Sinne einer Lösung sein. Denn so schwierig die Ver(welt)gesellschaftlichung global agierender Kommunikationsplattformen werden würde, so unbestreitbar sind die pragmatischen Möglichkeiten, den Zug in Richtung eines Zuckerberg-Monopols aufzuhalten. Zu Recht erinnert Hughes an den Sherman Antitrust Act von 1890, der in den USA bis heute die Zerschlagung wettbewerbsschädlicher Monopole ermöglicht. Die produktiven Kräfte, die solche Eingriffe immer wieder (und auf Dauer selten zu Lasten der Kapitaleigner) freigesetzt haben, zeigten sich zum Beispiel 1911 bei der Entflechtung von Rockefellers Standard Oil Company oder 1982 bei der Aufteilung des nationalen Telefonriesen AT&T. Es ist nicht einzusehen, warum dergleichen auf dem Feld der Digitalwirtschaft nicht ebenfalls möglich sein sollte - auch wenn ein Verfahren gegen Microsoft 1994 ergebnislos blieb. Die EU-Kommission hat bewiesen: Facebook und Co. sind nicht unangreifbar Das klassische Argument der Preisverzerrung durch Monopole ist gegenüber Unternehmen wie Facebook kaum noch von Bedeutung. Doch inzwischen spricht sich unter uns Nutzern herum, dass wir für die vermeintlich kostenlosen Dienste mit unseren Daten bezahlen. An dieser Stelle könnte ein Entflechtungsverfahren ansetzen, dessen Ziel es wäre, neuen Anbietern Chancen zu eröffnen, die ihre Grundsätze des data mining offenlegen oder gegen Bezahlung ganz darauf verzichten. Dass Facebook und Co. nicht unangreifbar sind und die Machtverteilung in der digitalen Welt nicht so undemokratisch bleiben muss, wie sie ist, hat die Europäische Kommission in der Person von Margrethe Vestager bereits bewiesen. Mit zähen Wettbewerbsverfahren und Strafbefehlen gegen Google, Apple und Facebook hat die Dänin in den vergangenen Jahren auch nach dem Eindruck vieler Kritiker der Tech-Giganten einiges erreicht. Im Silicon Valley jedenfalls wird die Kommissarin inzwischen in einer Reihe mit den Senatorinnen Elizabeth Warren und Amy Klobuchar genannt, die beide 2020 für die Demokraten gegen Trump kandidieren wollen; beide haben angekündigt, Facebook zerlegen beziehungsweise dessen Zukäufe von Instagram und Whatsapp überprüfen zu wollen. Nicht mehr ausgeschlossen also, dass die Digitalindustrie mit dem von ihr verfochtenen Prinzip der Disruption nun selbst Bekanntschaft macht. Der globalen Kommunikationskultur könnte das nur nützen.
7
Vor etwas mehr als einer Woche war Mark Rutte bei einem Abendessen in Paris. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte den niederländischen Ministerpräsidenten kurz vor dem EU-Sondergipfel in Rumänien eingeladen. Es war kein Diner hinter verschlossenen Türen. Im Gegenteil: Alle sollten mitbekommen, was in diesem Moment in einem eleganten Pariser Restaurant passierte. Auf Twitter machten die Fotos der beiden dann auch schnell die Runde. Dieses Treffen in Paris symbolisierte nicht weniger als den Schulterschluss zweier Männer, die sich verbündet haben, um die Macht in der Europäischen Union an sich zu ziehen. Nach der Europawahl in zwei Wochen werden die einflussreichsten Posten in Brüssel neu verteilt. Macron und Rutte haben sich positioniert - und vor allem eine gemeinsame Gegnerin ausgemacht: Angela Merkel. Vor dem Abflug zum Gipfel in Rumänien lancierten Frankreich und die Niederlande gemeinsam mit Belgiern, Luxemburgern und den Skandinaviern ein Papier für ambitioniertere Klimaziele in der EU; später schloss sich auch Lettland an. Deutschland war nicht dabei und wurde von dem Vorstoß kalt erwischt. "Wir haben Berlin nicht informiert, insofern kann man nicht sagen, dass sie die Teilnahme verweigert haben", sagt ein beteiligter EU-Diplomat. In Sibiu gingen die Provokationen gegenüber Berlin dann munter weiter. Macron und Rutte machten zusammen mit ihren Verbündeten aus Luxemburg und Belgien deutlich, dass sie vom Prinzip des Spitzenkandidaten bei der Europawahl nichts halten. Das Verfahren sieht vor, dass nur Politiker EU-Kommissionspräsident werden können, die als Spitzenkandidat für das Europaparlament angetreten sind. "Es war von Anfang an eine schlechte Entscheidung, diese Spitzenkandidaten", bilanzierte Luxemburgs Premier Xavier Bettel in Sibiu. Und Macron sagte: "Ich fühle mich daran nicht gebunden." Macron und Co. stellen EVP-Spitzenkandidat Weber in Frage Kein Zweifel, Macron & Co haben damit begonnen, insbesondere einen Bewerber zu demontieren: Manfred Weber. Der Christsoziale ist nicht nur Spitzenkandidat von CDU/CSU in Deutschland, er tritt als solcher für die gesamte Europäische Volkspartei (EVP) an. Merkel sagte in Sibiu zwar, dass sie ihn unterstütze - "damit das ganz klar ist". Nur: Als ganz klare Rückendeckung war ihr öffentlicher Auftritt nicht zu deuten. Innerhalb der EVP soll sie sich weitaus stärker für Weber positioniert haben. Wie massiv die EVP nun unter Druck gerät, zeigte sich am Samstag in Straßburg. Dort versammelten sich Vertreter jener liberalen Parteien, die künftig die Europapolitik entscheidend beeinflussen wollen. Der Ort war natürlich kein Zufall: Dort, im EU-Parlament in Straßburg, will Macron mit seiner La République en Marche (LREM) und der bisherigen liberalen Alde-Gruppe eine der großen Fraktionen bilden. Der Name passt zum Selbstbewusstsein: Renaissance. Neben Premierminister Édouard Philippe begrüßte Macrons Spitzenkandidatin in Frankreich, Nathalie Loiseau, die künftigen Partner: Da wären etwa die FDP, Österreichs Neos, Ciudadanos aus Spanien sowie aus den Niederlanden Ruttes Partei VVD sowie die D66. Umfragen zufolge könnte Renaissance etwa 100 der 751 Sitze erhalten. Zwei Grußbotschaften an die Straßburger Runde zeigten, wie ernst auch Sozialdemokraten die neue Gruppe nehmen. Dass Italiens Ex-Premier Matteo Renzi die Nähe von Macron sucht, ist dabei weniger überraschend als die schwärmerischen Worte des portugiesischen Regierungschefs António Costa. Er sei seit zwei Jahren Zeuge, wie "der liebe Emmanuel" Europa vorantreibe, sagte Costa; er wolle an einem progressiveren Kontinent mitbauen. Renaissance-Kandidaten sollen in Spitzenjobs Costa kündigte zwar nicht an, dass seine Leute die sozialistische Fraktion im Europaparlament verlassen wollen, doch allein schon die Sympathiebekundung ist bemerkenswert. Schließlich pilgern Europas Sozialdemokraten seit langem nach Lissabon und rühmen Costa als Vorbild. Und Frans Timmermans kürten sie in Portugal zu ihrem Spitzenkandidaten. Dessen Chancen, EU-Kommissionschef zu werden, sind zuletzt auch nicht gerade gestiegen. Wie der Personalpoker nach der Europawahl ausgeht, in dem auch die neuen Präsidenten des Europäischen Rats, des Europaparlaments und der Europäischen Zentralbank bestimmt werden müssen, ist offen. Costa und sein spanischer Parteifreund Pedro Sánchez trafen in Sibiu mit Rutte und dem Belgier Charles Michel zusammen - ebenfalls durch Fotos dokumentiert. Bei den Liberalen fallen vor allem zwei Namen: Die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gilt vielen als perfekte Nachfolgerin für Jean-Claude Juncker; und der Belgier Guy Verhofstadt will vom Fraktionsvorsitz der Alde gern aufsteigen zum Präsidenten des EU-Parlaments. Mehr als einen Spitzenjob dürften die Liberalen allerdings nicht kriegen. Und weil die Dänen Anfang Juni eine neue Regierung wählen, ist Vestagers Zukunft unsicher. Es könnte also auch Chancen für einen Joker geben - etwa für Mark Rutte. Der lässt zwar jegliche Ambitionen vehement dementieren. Aber das gehört momentan offenbar zum guten Ton.
7
Stürmer Adriano Grimaldi wechselt trotz seiner schweren Verletzung vom Fußball-Drittligisten TSV 1860 München zum Ligakonkurrenten KFC Uerdingen. Grimaldi hatte deutlich erklärt, 1860 verlassen zu wollen, zog sich aber zuletzt im Training mit der Bayernliga-U21 einen Syndesmosebandriss zu. Dem Vernehmen nach hielten die Uerdinger dennoch nahezu an ihrem ursprünglich abgegebenen Ablöse-Angebot fest. Dieses liegt allerdings sehr deutlich unter den vom TSV 1860 ursprünglich erhofften 600 000 Euro, es beträgt - je nach Einsätzen - nicht einmal die Hälfte. "Es ist sicherlich so, dass jetzt die Verletzungsgeschichte den Wert des Spielers beeinflusst", hatte Sportchef Günther Gorenzel am Vormittag vor dem Vollzug erklärt. Geschäftsführer Michael Scharold sagte, man sei "zu einem Ergebnis gekommen, das für alle Seiten zufriedenstellend ist". Gorenzel plant, für die Restrunde noch einen Angreifer zu verpflichten, wahrscheinlich auf Leihbasis: "Wir wissen, dass wir in drei Testspielen nur ein Tor aus dem Spiel heraus erzielt haben." Unterdessen wartet der Sportchef noch immer auf seine Beförderung zum Sport-Geschäftsführer. "Ich bin nicht erst zwei Tage in dem Geschäft und habe meine Verträge in der Regel schneller unterschrieben", sagte er. "Mir wird gesagt, dass von allen Seiten grünes Licht herrscht. Klar hat jeder einen Geduldsfaden, aber meiner ist recht groß." Präsident Robert Reisinger erklärte der SZ, er habe erst am Montag eine Rückmeldung von der Investorenseite um Hasan Ismaik auf den Vertragsentwurf erhalten und am Dienstag einen Vertreter von Ismaiks Firma beauftragt, einen Entwurf für einen Umlaufbeschluss zu erstellen.
9
Der alpine Skirennläufer Felix Neureuther hat beim traditionsreichen Nachtslalom in Schladming einen weiteren Schritt nach vorne gemacht und sein bestes Saisonergebnis egalisiert. Bei der WM-Generalprobe in der Steiermark landete der 34-Jährige auf Platz acht. Nach seinem womöglich letzten Auftritt beim Partyrennen schlechthin wurde Neureuther von mehr als 45 000 Fans gefeiert - allerdings nicht ganz so sehr wie der Österreicher Marcel Hirscher bei seinem Heimsieg. Eine Woche vor Beginn der Weltmeisterschaften in Are/Schweden setzte sich Hirscher mit 1,21 Sekunden Vorsprung vor dem Franzosen Alexis Pinturault durch, Dritter wurde der Schweizer Daniel Yule. Für Hirscher war es der vierte Slalomsieg in Schladming nach 2012 und 2018, jeweils im Weltcup, sowie 2013 bei der WM. Hirschers Rivale Henrik Kristoffersen (Norwegen) schied im zweiten Durchgang aus. Für den Franzosen Clement Noel, zuletzt Sieger in Wengen und Kitzbühel, war Schladming schon nach sechs Sekunden im ersten Durchgang beendet. Da war Neureuther zwar ohne größeren Fehler ins Ziel gekommen, lag aber schon 2,26 Sekunden hinter Hirscher auf Platz zwölf. "Die Abstimmung hat gar nicht gepasst, ich war im Endeffekt chancenlos", sagte der Routinier, der 2012 im Weltcup sowie bei der WM 2013 zweimal Zweiter in Schladming war und zuletzt dort 2015 als Dritter auf dem Stockerl stand. Neben Neureuther schaffte es von den insgesamt sieben deutschen Läufern nur Dominik Stehle (Obermaiselstein) in den zweiten Durchgang, er kam nach einem groben Fehler aber nur auf Platz 22.
9
Anno 1800 In einem Punkt sind sich die meisten "Anno"-Fans einig: Ein richtiges Anno-Flair kommt nur dann auf, wenn der Spieler mit dem Segelschiff von Insel zu Insel schippert, um die Bedürfnisse der Inselbewohner nach Nahrung, Kleidung oder Tabak zu befriedigen. In den beiden jüngsten Spielen, "Anno 2070" und "Anno 2205", blieb das Spielprinzip zwar erhalten. Aber irgendwie fehlte zwischen Ölplattformen und Androidenfabriken der Charme der Vergangenheit. Die Entwickler haben die Wünsche der Community erhört: Mit "Anno 1800" erscheint nun eine Wirtschaftssimulation, die wieder mehr an die Spiele erinnert, die die deutsche Serie so erfolgreich gemacht haben. Es gibt Segelschiffe und Produktionsketten, in denen beispielsweise aus Getreide erst Mehl und dann Brot entsteht. Dazu bietet die Epoche der Kolonialisierung und Industrialisierung jede Menge Stoff. Und weil die Entwickler offenbar besonders viel Kundenverbundenheit signalisieren wollten, durften die Fans auch über einzelne Schiffsmodelle mitbestimmen und sogar eine Insel entwerfen. "Anno 1800" soll am 26. Februar 2019 für PC erscheinen.
2
Die Vorstellung eines neuen Wettrüstens treibt bisher nur wenige Menschen auf die Straße. Dabei wäre der Protest so wichtig wie lange nicht mehr. Stell dir vor, Krieg wird auch hier wieder vorstellbar - und kaum jemand regt sich länger als ein paar Tage darüber auf. Gerade einmal eine Woche ist es her, dass zunächst Donald Trump und dann Wladimir Putin ihren Rückzug vom INF-Vertrag bekanntgegeben haben. Die Präsidenten der USA und Russlands läuten das Ende des zwischen beiden Ländern vereinbarten Verbots landgestützter atomarer Mittelstreckenraten ein - das hat kurz Aufregung in Politik und Medien verursacht, ist aber schon wieder aus dem Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerutscht. Sollte die Diplomatie in den kommenden Monaten das Abkommen nicht doch noch retten, steht der Stationierung neuer Massenvernichtungswaffen in Europa zumindest kein Vertrag mehr im Weg; der Friede wird brüchiger werden. Doch von einem heftigen Ruck in der Gesellschaft, den diese Entwicklung auslösen könnte, ja: müsste, ist bislang nichts zu spüren. Es ist nicht absehbar, dass sich das in näherer Zeit ändert, dass Bürger in nennenswerter Zahl gegen die wachsende Bedrohung protestieren, dass die seit vielen Jahren schwächelnde Friedensbewegung einen kräftigen Schub erhält. Dabei wäre genau dies genau jetzt so wichtig wie lange nicht mehr. Die einzelnen Friedensgruppen protestieren tapfer gegen die doppelte Kündigung des INF-Vertrags; Widerhall finden sie allerdings kaum. Schon richtig, es sind erst wenige Tage vergangen seit den Ankündigungen Trumps und Putins. Und ja, es braucht vielleicht noch einige Zeit, bis die Erkenntnis sich breitmacht, dass ein Europa ohne diesen Vertrag gefährdeter ist als mit ihm. Trotz alledem spricht derzeit nicht viel dafür, dass die Menschen demnächst massenhaft öffentlich gegen das protestieren werden, was zwei verantwortungslose Männer in Washington und Moskau beschlossen haben. Das hat ganz verschiedene Ursachen. Und nur an einigen davon ließe sich - wenn man es denn wollte - etwas ändern. Gut und Böse lassen sich heute nur noch schwer zuordnen Nichts ändern kann man daran, dass die Welt heute noch weniger übersichtlich zu sein scheint als in den 1980er-Jahren, dass Gut und Böse sich noch schwerer zuordnen lassen. Nicht ändern ließe sich auch, dass die Generation der Jüngeren, die am ehesten auf die Straße gehen würden, im Bewusstsein aufgewachsen ist, dass Kriege weit weg stattfinden, dass Europa von dieser Geißel verschont bleibt. Für die Friedensbewegung der späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre war die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg noch sehr gegenwärtig. Viele der mehr als 300 000 Demonstranten im Bonner Hofgarten Anfang der 80er-Jahre waren mit den Geschichten ihrer Eltern oder Großeltern vom Krieg aufgewachsen und in den Jahren der Konfrontation zwischen West und Ost großgeworden. Ihr Protest gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen war auch getragen vom Gefühl der unmittelbaren Bedrohung. Die meisten jungen Menschen in Deutschland haben dieses Gefühl nicht, bisher jedenfalls nicht. Mag sein, dass sich das ändert, wenn in sechs Monaten der INF-Vertrag endgültig Geschichte ist. Allein davon hängt es allerdings nicht ab, ob es bald wieder eine große, starke Bewegung geben könnte, die sich dagegen auflehnt, dass weitere Atomwaffen den Frieden in Europa bedrohen. Hinzukommen müsste jemand, an den man diesen Protest adressiert und der, ganz wichtig für die Mobilisierungskraft, möglichst nah ist. Vor rund 60 Jahren und vor fast 30 Jahren waren das die jeweiligen deutschen Regierungen. Wer heute gegen die Kündigung des INF-Vertrags auf die Straße ginge, der würde sich an Trump oder Putin abarbeiten, zwei Männern, denen herzlich egal sein dürfte, dass Bürger hierzulande gegen sie demonstrieren. Jenseits der recht kleinen Gruppen von Friedensaktivisten wüchse der Widerstand wahrscheinlich erst dann, wenn die große Koalition ihren Streit darüber fortsetzen, ja intensivieren würde, ob man die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Betracht ziehen darf oder nicht. Gegen die eigene Bundesregierung - oder Teile von ihr - protestieren zu können, treibt für gewöhnlich viel mehr Menschen an als die Aussicht, gegen jemanden anzugehen, der weit weg und auf das Wohlwollen dieser Bürger nicht angewiesen ist. Allerdings: Wer will, dass viele Bürger sich gegen eine atomare Nachrüstung Europas stemmen, der darf sich nicht alleine auf die vage Aussicht verlassen, dass ein Konflikt in der schwarz-roten Koalition die Massen mobilisieren würde. Es muss wesentlich mehr passieren, als dass ein paar CDU-Politiker sich für die Stationierung neuer Atomraketen aufgeschlossen zeigen, damit die Friedensbewegung irgendwann wieder aus mehr Menschen besteht als den Männern und Frauen, die Jahr für Jahr an den Ostermärschen teilnehmen oder gegen Rüstungsexporte demonstrieren. Passieren muss etwas mit den Initiativen, die als Schaltstellen dieser Bewegung gelten. Auch wenn sie begonnen haben, sich zu verjüngen und sich mit manchem Sektierertum, das es hier und da in ihren Reihen gab, auseinanderzusetzen: Sie kommen nicht darum herum, diesen Prozess zu beschleunigen und zu intensivieren, um wieder mehr und vor allem junge Menschen anzusprechen. Wichtig wäre außerdem, dass große Organisationen wie Gewerkschaften oder Kirchen ihre Verbindung zu den Friedensgruppen wieder stärken, um deren Arbeit zu unterstützen. Vor allem aber kommt es darauf an, dass die Bürger, denen eine wache und wahrnehmbare Friedensbewegung am Herzen liegt, sich als ihren Teil begreifen und in ihr engagieren. So schnell es eine Forderung wie die des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), man brauche eine neue Friedensbewegung, in die Nachrichten schafft: Wenn man den gesellschaftlichen Protest gegen ein neues Wettrüsten im Wesentlichen dann ein paar wenigen in Ehren ergrauten Aktivisten überlässt, dann bleiben Appelle wie dieser nichts weiter als wohlfeil.
7
Trainer Huub Stevens von Schalke 04 hat verärgert auf das kolportierte Interesse des FC Bayern an Torwart-Talent Alexander Nübel reagiert. "Ich denke, dass sie in München glücklich sind. Jetzt hoffe ich auch, dass sie sich in einer bestimmten Art und Weise gegenüber unseren Spielern benehmen. Was letzte Woche passiert ist mit Nübel, das gehört sich eigentlich nicht", sagte Stevens im ZDF-Sportstudio nach dem Derbysieg bei Borussia Dortmund (4:2). Bayern-Präsident Uli Hoeneß hatte nach dem Erfolg im Pokal-Halbfinale bei Werder Bremen (3:2) erklärt, dies wäre eine Sache, die der Sportdirektor erledige, also Hasan Salihamidzic. "Das wären Investitionen unter 25 Millionen, da bin ich nicht für zuständig", sagte Hoeneß und bestätigte damit indirekt das Interesse an dem 22-Jährigen. Die Schalker hatten es verpasst, Nübels im Juni 2020 auslaufenden Vertrag zu verlängern. Aussagen des Münchner Vorstandschefs Karl-Heinz Rummenigge dürften Stevens zumindest etwas beruhigen. "Ich hatte am Donnerstag ein Gespräch mit Herrn Schneider von Schalke (Sportvorstand; d. Red.). Wir haben kein Interesse daran, wegen Alexander Nübel Unruhe bei Schalke zu stiften", sagte Rummenigge in Bild am Sonntag. Die Bayern planen langfristig mit Nationaltorhüter Manuel Neuer als Nummer eins. "Er hat einen Vertrag bis 2021, aber ich bin überzeugt, dass er hier noch mal verlängern wird", so Rummenigge. Der 33-Jährige war in den vergangenen Jahren allerdings verletzungsanfällig.
9
Basketball, NBA: Basketball-Nationalspieler Daniel Theis hat mit den Boston Celtics in der nordamerikanischen Profiliga NBA die dritte Niederlage in Folge kassiert. Beim 102:109 des Rekordmeisters bei den Brooklyn Nets kam der Center in gut 18 Minuten auf fünf Punkte und vier Rebounds. Als Tabellenfünfter der Eastern Conference liegt Boston dennoch weiter auf Play-off-Kurs. Eine weitere One-Man-Show zog derweil James Harden beim 112:94 seiner Houston Rockets gegen die Memphis Grizzlies ab. Harden erzielte 57 Punkte und damit seine beste Ausbeute der Saison. Der 29-Jährige übertraf zudem im 17. Spiel in Folge die 30-Punkte-Marke. Eine längere Serie hatte zuletzt der legendäre Wilt Chamberlain 1964 geschafft, als er sogar in 20 Begegnungen in Folge 30 oder mehr Zähler verbuchte. Rookie Isaiah Hartenstein blieb in knapp sieben Minuten ohne Punkt für die Rockets. Fußball, Premier League: Der englische Fußballverein Huddersfield Town und sein deutscher Trainer David Wagner haben sich getrennt. Das gab der Tabellenletzte der Premier League am Montagabend bekannt. Der Club betonte in einer Mitteilung auf seiner Website, es sei eine einvernehmliche Entscheidung. "Ich hatte nicht die Absicht, David in dieser Saison zu entlassen", wurde Klubboss Dean Hoyle zitiert. "Folglich ist David, der ein großartiger Mann ist, zu uns gekommen und hat klargemacht, dass er eine Pause von den Strapazen des Fußballmanagements braucht." Der 47 Jahre alte Wagner hatte die Terriers im November 2015 in der zweiten Liga übernommen und im Sommer 2017 sensationell zum Aufstieg in die Premier League geführt und feierte in der darauffolgenden Spielzeit den Klassenerhalt. In der laufenden Saison konnte Wagner mit seinem Team nur zweimal gewinnen, bei fünf Unentschieden und fünfzehn Niederlagen. Als 20. der Premier-League-Tabelle hat Huddersfield acht Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz. "Ich kann David nicht genug für alles danken, was er erreicht hat", sagte Hoyle, der von einem "sehr, sehr traurigen Tag" sprach. "Unter seiner Leitung haben wir Dinge auf dem Fußballplatz erreicht, die alles in der jüngeren Erinnerung toppen und die meine wildesten Träume als Vorsitzender und als Fan übertroffen haben." Bundesliga, BVB: Bundesliga-Herbstmeister Borussia Dortmund investiert weiter in die Zukunft des Vereins. Der BVB verpflichtete den argentinischen U20-Fußball-Nationalspieler Leonardo Balerdi von Boca Juniors aus Buenos Aires. Wie die Dortmunder am Montag mitteilten, unterschrieb der 19 Jahre alte Innenverteidiger einen langfristigen Vertrag beim achtmaligen Deutschen Meister. "Bei der Verpflichtung von Leonardo Balerdi handelt es sich um einen perspektivischen Transfer, der ursprünglich erst für den kommenden Sommer geplant war und nun vorgezogen wird", sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc. "Wir sind sehr froh, dass er sich für uns entschieden hat und sind überzeugt, dass er uns mit seinem Talent in Zukunft weiterhelfen wird." Für Balerdi zahlt der BVB Medienberichten zufolge eine Ablösesumme von rund 16 Millionen Euro an den argentinischen Hauptstadtklub. Bereits am Nachmittag trainierte der Nachwuchsspieler, der in Dortmund die Rückennummer 18 erhält, mit der Mannschaft von Trainer Lucien Favre. Handball-WM: Titelverteidiger Frankreich hat sich mit einem 34:23 (17:16) gegen Korea für das Top-Duell gegen Gastgeber Deutschland bei der Handball-WM warm geworfen. Nach dem dritten Sieg im dritten Vorrundenspiel führt der Rekord-Weltmeister die Gruppe A mit 6:0 Punkten vor der DHB-Auswahl (5:1) an. Allerdings tat sich der Favorit am Dienstagabend in den ersten 30 Minuten äußerst schwer, ehe eine Steigerung nach dem Wechsel doch noch zum klaren Erfolg führte. Nedim Remili war mit sieben Toren erfolgreichster Werfer der Franzosen. Seine Chance auf das Erreichen der Hauptrunde wahrte Brasilien. Die Südamerikaner landeten mit einem 24:22 (14:11) gegen Serbien ihren ersten Endrundensieg. Bester Werfer beim Sieger war José Toledo mit fünf Treffern. Für die Serben, am Donnerstag letzter deutscher Gruppengegner, waren die Bundesliga-Profis Bogdan Radivojevic von den Rhein-Neckar Löwen und Mijajlo Marsenic von den Füchsen Berlin mit ebenfalls jeweils fünf Toren am erfolgreichsten. In der Gruppe B feierten Europameister Spanien und der WM-Vierte Kroatien jeweils den dritten Sieg. Die Spanier hatten beim 26:22 (10:11) gegen Japan jedoch mehr Mühe als erwartet. Für den von Ex-Bundestrainer Dagur Sigurdsson betreuten Olympia-Gastgeber 2020 war es die dritte Turnier-Niederlage. Ohne Probleme blieb Kroatien beim 31:22 (16:11) gegen Mazedonien. In der Gruppe C ziehen Dänemark und Norwegen weiter souverän ihre Kreise. Der Co-Gastgeber landete beim 34:22 (17:11) gegen Saudi-Arabien ebenso den dritten Erfolg wie der Vize-Weltmeister von 2017 mit dem 34:24 (16:13) gegen Österreich. Eine makellose Bilanz weist weiter auch der EM-Zweite Schweden in der Gruppe D nach einem 37:19 (19:14) gegen Angola auf.
9
In der Werbebranche hat man üblicherweise mit zwei verschiedenen Managertypen zu tun. Da sind, Variante eins, die Diplomaten. Sie betonen ständig, wie harmonisch alles sei. Dass man dieses oder jenes als Team erreicht habe. Dass es nicht den Hauch einer Unstimmigkeit gebe mit dem geschassten Vorgänger. Und dass man sich übrigens immer an den Wünschen des Kunden orientiere. Solche Sachen eben. Und dann gibt es, Variante zwei, die Egozentriker. Sie reden furchtbar gerne über sich selbst. Sie lieben Disharmonie. Sie machen nie ein Hehl aus ihrer Lust an der Macht und sie führen immer gegen irgendwen Krieg: Kollegen, Eigentümer oder Jurys, die sie bei irgendwelchen Preisen nicht berücksichtigt haben. Sie sind anstrengend, aber oft haftet ihnen auch etwas Geniales an - deshalb ist die Zahl ihrer Bewunderer oft größer als die ihrer Kritiker. An Marianne Heiß, und das ist ungewöhnlich, kann man Züge beider Typen entdecken. Das kommt ihr bei ihrem neuen Job vielleicht entgegen, denn der wird ihr eine Menge unterschiedlicher Qualitäten abverlangen: Heiß, 46, Österreicherin, wird Deutschland-Chefin der Werbeagentur BBDO, eine der größten der Welt. Das ist ein komplizierter Job. BBDO ist eine sogenannte Netzwerk-Agentur, gehört also zu einer der großen internationalen Werbeholdings, die in vielen Ländern mit verschiedenen Agenturmarken vertreten sind. Im Fall von BBDO ist das Omnicom. Für den Chefposten bei BBDO bedeutet das, dass man sich ständig an vergleichbaren Agenturen aus dem gleichen Netzwerk messen lassen muss. Und dass es da eine höhere Macht in New York gibt, die bisweilen gerne mitreden möchte - in einem Ausmaß, das gerade bei Omnicom stark schwankt und deshalb schwer vorhersehbar ist. Dass der Job an der Spitze von BBDO nun freigeworden ist, soll auch genau daran liegen: Die beiden bisherigen Chefs, heißt es, hätten keine Lust mehr auf einen ständig schrumpfenden Entscheidungsspielraum gehabt. Klingt dieser Job also nicht wahnsinnig mühsam? Heiß sagt, da ist sie ganz Diplomatin, sie habe nicht lange gezögert, als ihr der neue Job angeboten worden sei. Tatsächlich weiß sie, worauf sie sich einlässt: Sie arbeitet seit 23 Jahren in unterschiedlichen Positionen in der Gruppe, in den vergangenen sechs Jahren war sie Finanzvorstand. Ihre Karriere habe sie nicht geplant, sagt Heiß. Aber klar, man müsse den Erfolg auch wollen. "Ich denke schon, dass ich anderen Frauen ein Beispiel sein kann. Ich war immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die Chancen, die sich mir geboten haben, habe ich ergriffen. Das waren dann auch Führungspositionen." Tatsächlich war Heiß nicht nur bei BBDO rührig. Ein Leben "im Stand-by-Modus" sei nie ihr Ziel gewesen, sagt sie. Heiß gilt als ambitionierte Netzwerkerin. Sie suchte die Öffentlichkeit, schrieb eine Zeit lang eine Kolumne im Handelsblatt und ein Buch über Frauen in Top-Jobs. Seit 2018 ist sie zudem Aufsichtsrätin beim Volkswagen-Konzern. Eine Position, die viel Prestige bringt, viele Kontakte - und eine komplizierte Konstellation: Denn einer der wichtigsten Kunden bei BBDO ist ausgerechnet der VW-Konkurrent Ford. Heiß - verheiratet, keine Kinder - hat ihren Lebensmittelpunkt in Wien, sie pendelt schon seit vielen Jahren immer am Wochenende nach Österreich. Auch ihren Mitarbeitern will sie das möglich machen. Nur mit Flexibilität könne man die besten Leute gewinnen, glaubt Heiß. Was andere anstrengend fänden, sei für sie persönlich optimal: die volle Fokussierung auf die Arbeit während der Woche und auf das Privatleben am Wochenende. "Die Leute denken oft, ich hätte für die Karriere große Opfer gebracht. Aber ich mag es einfach, unterwegs zu sein."
11
In der Medizin werden Kontrastmittel eingesetzt, um in bildgebenden Verfahren mehr Informationen zu gewinnen. Sie werden in der Diagnostik verwandt und machen sichtbar, was ohne sie nicht so leicht erkennbar wäre: Beschädigungen an Strukturen und Funktionen des Körpers. Schon jetzt, bevor der Ausgang des historischen Debakels im Vereinigten Königreich absehbar ist, wirkt der Brexit wie ein in den politischen Körper injiziertes Kontrastmittel, durch das Erkrankungen der demokratischen Anatomie sichtbar werden. Bei allem Entsetzen über das, was in London gerade geschieht, ist das etwas, wofür sich dankbar sein lässt: dass uns vorgeführt wird, was unbedingt vermieden werden muss, wenn Europa nicht nur weiter existieren, sondern demokratisch vertieft werden will. Es lässt sich zunächst erkennen, dass gemeinsames Handeln im transnationalen Verbund keinen Widerspruch zu staatlicher Selbstbestimmung darstellt, wie gern behauptet, sondern im Gegenteil deren nachhaltigste Garantie. "Take back control" war die vollmundige Etikettierung jener imperialen Nostalgie, die nationale Souveränität in postnationalen Zeiten versprechen wollte - und die schon jetzt kleinlaut gescheitert ist. Die Fantasie, das Vereinigte Königreich könnte, auch ohne die EU, lukrative Handelsverträge mit anderen Staaten abschließen, erwies sich als ebenso naiv wie die, eine (europäische) Grenze dürfte keine (irische) Grenze sein. Gäbe es eine Hitliste der Absurditäten magischen Denkens des britischen Parlaments, wäre das Wegträumen des Irland-Problems weit vorn. Wenn der Brexit eines demonstriert hat, dann wie ein verwundbares Land wie Irland sich in seiner Souveränität geschützt weiß durch die Solidarität der anderen EU-Staaten. In den zwei Jahren seit dem Referendum hat sich zudem die bipolare Struktur der Geopolitik mit den USA und China als Antipoden noch schärfer konturiert, als absehbar war. Zwischen diesen Machtfeldern eigene Interessen durchzusetzen, ist schon als EU anspruchsvoll. Es als freiwillig geschrumpftes Vereinigtes Königreich zu versuchen, lässt die Sehnsucht nach "Kontrolle" komplett traumwandlerisch erscheinen. Populisten wie Boris Johnson interessiert "das Volk" kein bisschen Das Scheitern der neonationalistischen Versprechen hat Populisten wie Boris Johnson als das entlarvt, was sie sind: rhetorisch-akrobatische Zyniker, die nichts weniger interessiert als die Partizipation "des Volks". Der Versuch der Konservativen, den berechtigten Unmut vieler Briten über die Aushöhlung der sozialen Infrastruktur, über ein unterversorgtes Gesundheitswesen, über fehlende Investitionen bei der Polizei oder in Schulen umzuleiten auf die EU, ist fehlgeschlagen. Im Englischen gibt es den Begriff "scapegoaten" für die Methode, jemanden zum Sündenbock zu machen. Falls im Vokabular Europas ein Synonym gebraucht würde, böte sich mittlerweile auch "brexiten" an. All die Verheerungen der eigenen Austeritätspolitik zu externalisieren, als bloße Folgen der Mitgliedschaft in der EU zu projizieren, war systematisches "Brexiten". Das Kontrastverfahren signalisiert vor allem, dass sich Demokratie nicht simulieren lässt. Ein Referendum ist nicht per se ein partizipatives Verfahren. Ob ein Volksbegehren tatsächlich als demokratisches Instrument taugt, ist abhängig davon, ob die Frage, über die abgestimmt wird, hinreichend klar ist. Ein Referendum, das die Alternativen nur verkürzt oder verfälscht formuliert, das den Bürgerinnen und Bürgern keinen Raum, keine Zeit und kein öffentliches Prozedere zur Verfügung stellt, um die Optionen kritisch zu erörtern, ein solches Referendum sabotiert eben jene demokratische Willensbildung, die zu organisieren es behauptet. "Eine argumentierende Öffentlichkeit fungiert zugleich als (...) normativer Maßstab zur Kritik realer Verhältnisse wie als real wirksames Medium von kollektivem Lernen", schrieb der Soziologe Bernhard Peters in einem Aufsatz über "Deliberative Demokratie" im Jahr 2001. Allein die Formulierung "argumentierende Öffentlichkeit" stimmt schon melancholisch, ruft man sich die hysterisch-verlogenen Auseinandersetzungen über den Brexit in Erinnerung, von "kollektivem Lernen" einmal ganz abgesehen. Eben das fehlte: die Möglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger, sich mit ausreichend substantiellen Informationen zu versorgen, die politischen Behauptungen auf ihre Rationalität hin zu prüfen, die abstrakten Szenarien in konkrete Erfahrungen zu übersetzen - und dann zu entscheiden, ob und wie sie darin vorkommen wollen. Das war einer der Unterschiede zwischen dem Brexit-Referendum und der Abstimmung in Irland über die Liberalisierung der Abtreibungsregelung. In Irland waren dem Votum im Parlament monatelange Erörterungen in den sogenannten Citizen's Assemblies vorausgegangen, bei denen 99 zufällig ausgewählte (aber demografisch repräsentative) Bürgerinnen und Bürger sich in einem beeindruckenden deliberativen Verfahren eine Meinung bilden konnten. Sechs Monate lang hatten sie den Ausführungen von Expertinnen und Experten, betroffenen Frauen und diversen Lobbygruppen zugehört. Die Anhörungen wurden live übertragen und führten zu einem Ergebnis, das viele für unmöglich gehalten hatten: 87 Prozent stimmten für eine überaus liberale Verfassungsänderung. Sie erwiesen sich als immun gegenüber allen populistischen, aggressiven Hetzkampagnen. Wenn die EU etwas lernen kann über die Bedingungen der Demokratie, dann dass Referenden nur Sinn machen, wenn sie auch den Zugang zu relevantem und zutreffendem Wissen ermöglichen und wenn sie den Prozess der Willensbildung so inklusiv und offen halten, dass Argumente wie Erfahrungen darin ernsthaft erörtert und befragt werden können. Alles andere ist keine reale Mitbestimmung, sondern nur eine surreale Farce.
7
Gleich nach dem Schlusspfiff hatten die Bremer Spieler nahe des Mittelkreises den Schiedsrichter belagert, und als Daniel Siebert schließlich den Platz verließ, reckten ihm die Fans hunderte Mittelfinger entgegen. Trommelten mit den Händen auf das Dach des Spielertunnels, schickten dem Referee wüste Flüche hinterher. Für alle, die es am Mittwochabend mit Werder hielten, war Siebert der Mann, der einem denkwürdigen Pokalabend mit einem falschen Pfiff die finale, unerwünschte Wendung gegeben hatte. Und das sollte Siebert, 34, seit 2012 Bundesliga-Schiedsrichter, nun zu spüren bekommen. So hochklassig, wild und turbulent das DFB-Pokal-Halbfinale zwischen Werder und dem FC Bayern am Mittwochabend war, so umstritten auch die Szene des Spiels. 2:0 hatten die Bayern durch Treffer von Robert Lewandowski (36.) und Thomas Müller (63.) geführt, die Bremer hatten binnen 60 Sekunden durch Yuya Osako (74.) und Milot Rashica (75.) ausgeglichen und das Stadion in den Tobezustand versetzt, als Kingsley Coman im Strafraum zu Boden sank. Der Münchner hätte den Ball nicht mehr erreicht, doch sein Gegenspieler Theodor Gebre Selassie hatte den Ellenbogen ausgefahren, Coman angerempelt. Nicht hart, aber an der Grenze zur Regelwidrigkeit; und wenn man in Betracht zog, welch ähnliche Rempler Siebert zuvor nicht geahndet hatte, kam der schnelle, unmissverständliche Pfiff doch etwas überraschend. Lewandowski trat zum Elfmeter an - das 3:2 (80.). Und die Bremer, die sich in ein schon verloren geglaubtes Spiel zurückgekämpft hatten, konnten ihre Wut schwerlich verbergen. "Das ist lächerlich", beschwert sich Max Kruse "Oh Gott, ey", schimpfte Kapitän Max Kruse, während er die TV-Bilder betrachtete: "Das ist lächerlich. Wozu haben wir den Videobeweis?" Der alte Vorwurf vom Bayern-Bonus, respektive vom Bayern-Dusel, lag in der Luft. Es war in der Vergangenheit durchaus vorgekommen, dass die Münchner von Schiedsrichter-Entscheidungen profitiert hatten - Kruse wollte sich gar nicht mehr einkriegen. Ein "ganz leichter Kontakt" sei das gewesen, so Kruse, aus seiner Sicht definitiv nicht elfmeterwürdig: "Wir haben einen Videobeweis, wenn man das nicht sieht, dann können wir den auch abschaffen." Was Siebert gepfiffen hatte, war tatsächlich nicht ganz klar. Zunächst schien es, als hätte der Schiedsrichter den Ellenbogenstoß gegen Comans Oberkörper geahndet. Die Spieler berichteten allerdings, Siebert habe ihnen noch auf dem Platz erklärt, Gebre Selassi habe seinen Gegner am Fuß erwischt - das widerlegten die TV-Bilder eindeutig. "Unten ist der Kontakt vielleicht mit dem Rasen", klagte Maximilian Eggestein verzweifelt. "Sehr bitter" sei das alles, "einfach unfair." Für Unmut sorgte zudem, dass Siebert anscheinend Kontakt mit dem Videoassistenten im berüchtigten Kölner Keller hatte - und die Kollegen dort nach Ansicht der TV-Bilder offenbar keinen Anlass sahen, korrigierend einzugreifen oder Siebert den Hinweis zu geben, dass er sich die Szene am Bildschirm noch einmal angucken solle. "Der Videoschiri muss sich ja sicher gewesen sein", fuhr Eggestein fort, "ich verstehe es nicht." Wobei sich der Videoassistent normalerweise nur bei klaren Fehlentscheidungen meldet; in diesem Fall fiel der Pfiff vermutlich unter die Kategorie "Auslegungssache". Bremens Trainer Florian Kohfeldt bezeichnete den Elfmeter trotzdem als "brutal". Er selbst hatte noch auf dem Platz mit Siebert gesprochen, seine eigenen Spieler weggeschickt und den Schiedsrichter schließlich gebeten, den Platz zu verlassen, um eine noch größere Provokation für die Zuschauer abzuwenden. In die Debatte um einen möglichen Bayern-Bonus wollte Kohfeldt ausdrücklich nicht einsteigen, er war sich aber sicher: "In neun von zehn Fällen pfeift der Schiedsrichter diesen Elfmeter nicht." Der Bremer Schmerz war groß, über Siebert, den Strafstoß, aber auch über das Pokal-Aus, der einzigen realistischen Titelchance in diesem Jahr.
9
Weil Bibiana Steinhaus das Bundesliga-Gastspiel des FC Bayern München am Freitag beim FC Augsburg geleitet hat, soll die Übertragung des Spiels im iranischen Staatsfernsehen IRIB abgesagt worden sein. Das berichteten diverse iranische Medien am Samstag und veröffentlichten auch Bilder der deutschen Schiedsrichterin. Wegen der strengen islamischen Vorschriften werden im iranischen Fernsehen keine Bilder von freizügig gekleideten Frauen - wie etwa in kurzen Sporthosen - gezeigt. In Spielfilmen werden solche Szenen zensiert. Da aber Steinhaus ständig im Bild gewesen und so eine Zensierung kaum möglich gewesen wäre, sei die Übertragung einfach gestrichen worden, hieß es. Das iranische Fernsehen durfte wegen der strikten Regeln in der Vergangenheit schon mehrmals die Auslosungen oder Eröffnungszeremonien wichtiger Fußball-Turniere nicht komplett übertragen. Die iranischen Fans reagieren immer verärgert über die Maßnahmen, doch der einflussreiche Klerus hält an seinen islamischen Kriterien weiterhin fest.
9
Die Schweiz will die Zusammenarbeit mit China im Rahmen der Neuen Seidenstraße ausweiten - dass diese Kooperation ihren Preis hat, zeigt der Auftritt des Schweizer Bundespräsidenten Ueli Maurer am Montag in Peking. Er sprach nicht offen die Lage der Menschenrechte im Land an, die sich rapide verschlechtert hat. Er übte sich in Ausflüchten, die man sonst nur von der KP selbst kennt. Ja, das Land habe "einen gewissen Nachholbedarf", sagte er, doch sei China auch ein Entwicklungsland, und er selbst könne gar nicht beurteilen, ob sich die Lage wirklich derart verschlechtert hätte, wie berichtet würde. Dabei gibt es da ziemlich eindeutige Berichte, zum Beispiel über die Arbeitslager in Xinjiang, wo China den Vereinten Nationen zufolge eine Million Menschen festhält. Maurer schwieg dazu. Mundhalten ist das Erste, was China seinen Partnern beibringt. Es folgen: wegschauen, schweigen, mitmachen. Dass die Schweiz bei so etwas mitspielt, ist ein Armutszeugnis. Viele Länder aus Afrika, Zentralasien und Südostasien beteiligen sich an der Neuen Seidenstraße, weil sie hoffen, mit chinesischem Geld dringend notwendige Infrastrukturprojekte finanzieren zu können. Die Schweiz hat das nicht nötig. Sie knickt vor den Interessen der heimischen Wirtschaft ein. Dass Maurer dies als Entwicklungshilfe verkauft und auf die "lange humanitäre Tradition" der Schweiz verweist, ist schlicht perfide. Die humanitäre Tradition, auf die das Land zu Recht stolz ist, hat er an diesem Tag über Bord geworfen.
7