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Es läuft die 62. Minute im Al-Nahyan-Stadion in Abu Dhabi. Rechtsverteidiger Bassam al Rawi, die Nummer 15 der Katarer, steht zum Freistoß bereit. Mit konzentriertem Blick läuft er an, mit dem rechten Fuß erwischt er den Ball ideal, er fliegt über die Mauer hinweg und landet unhaltbar im linken unteren Eck. Es war genau dieser Schuss, der der Fußballnationalmannschaft aus Katar am Dienstagabend das spielentscheidende 1:0 gegen den Irak bescherte. Doch nicht allein wegen dieses entscheidenden Tors im Achtelfinale steht das Team mittlerweile im Halbfinale der Asienmeisterschaften, die momentan in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfinden. Am Freitag besiegte Katar dann überraschend auch noch Südkorea 1:0. Schon der gesamte Turnierverlauf hätte für die vom Spanier Félix Sánchez trainierte Mannschaft nicht besser laufen können. In der Gruppenphase gewann Katar drei Spiele und wurde Erster. Nach einem 2:0 gegen Libanon und einem deutlichen 6:0 gegen Nordkorea war auch gegen Saudi-Arabien, immerhin letztjähriger WM-Teilnehmer, kein Halten - am Ende stand ein 2:0 Sieg zur Bilanz. Für den kürzlichen Erfolg der Katarer ist in besonderem Maße Toptorschütze Almoez Ali Abdullah verantwortlich. Allein im Spiel gegen Nordkorea gelangen dem 22-jährigen Angreifer vier Tore. In der Vergangenheit waren immer wieder Vorwürfe zu hören, der Wüstenstaat plane im Fußball ein ähnliches Modell, wie es zuvor im Handball erfolgreich umgesetzt worden war. Bei der Handball-WM 2015, die wie die Fußballweltmeisterschaft 2022 im eigenen Land stattfand, kam eine Gruppe an Spielern unter der Flagge Katars bis ins Endspiel, die mit dem Staat verhältnismäßig wenig zu tun hatte. Ein Großteil der Spieler war eingebürgert worden, ohne jegliche familiäre Verbindung zu Katar. So war Žarko Marković eine der Stützen der Mannschaft. Marković hatte 30 Länderspiele für Montenegro bestritten, bevor er kurz vor der WM Staatsbürger von Katar wurde und in diesem Zuge auch das Nationalmannschafts-Trikot wechselte. Seine Berührungspunkte mit dem Emirat waren zuvor überschaubar gewesen. Im Sommer 2014 war er zum katarischen Klub al-Jaish gewechselt, wo weitere frisch eingebürgerte Nationalmannschaftskollegen untergekommen waren. Der Vergleich der Handballer von 2015 mit dem katarischen Fußballteam, das gerade beim Asien-Cup antritt, ist aber unpassend. Im 23-Mann-Kader der Katarer stehen zwar zehn Spieler, die neben der katarischen noch eine weitere Staatsbürgerschaft haben und nicht im Wüstenstaat geboren sind. So ist etwa Abwehrchef Pedro Miguel, genannt Ró-Ró, gebürtiger Portugiese, Stürmer Abdullah kommt aus dem Sudan. Trotzdem ist das Team derzeit weit davon entfernt, hauptsächlich von doppelten Staatsbürgern oder Eingebürgerten zum Erfolg getragen zu werden. Denkbar ist ein milderes Einbürgerungskonzept Die Mittelfeldachse der Mannschaft besteht ausschließlich aus gebürtigen Katarern und Toptorschütze Abdullah, in der heimischen Liga für den Al Duhails Sports Club aktiv, spielt schon seit seiner Jugend für Katar. Auch der spanische Trainer Sánchez ist ein bisher eher unbeschriebenes Blatt und kein Startrainer geholt aus Imagegründen. Seit 2006 ist er bereits für Katar tätig, coachte bis 2017 mehrere Jugendnationalmannschaften. Bevor er 2006 zur Aspire Academy kam, die auch als regelmäßiger Aufenthaltsort des Wintertrainingslagers der Bayern bekannt ist, war Sánchez Jugendcoach beim FC Barcelona. Im Hinblick auf die WM 2022 muss also nicht befürchtet werden, dass es wie bei den Handballern läuft. Das liegt auch an den strengeren Regeln der Fifa, die ein wahlloses Einbürgern nicht ermöglichen. Trotz des aktuellen Erfolges bleibt abzuwarten, ob eine katarische Mannschaft in vier Jahren schlagkräftig genug ist, sich aus eigener Kraft für eine WM zu qualifizieren. Als Gastgeber des kommenden Turniers waren sie automatisch qualifiziert. Denkbar wäre etwa ein milderes Einbürgerungskonzept wie das der ebenfalls im Asien-Cup vertretenen Philippinen. Diese verfolgen bereits seit einigen Jahren das Vorhaben, Spieler mit philippinischen Wurzeln von einem Engagement in der heimischen Nationalmannschaft zu überzeugen. Die Ausgangssituation ist jedoch schwer zu vergleichen, können die Südostasiaten doch gemessen an ihrer Einwohnerzahl aus einem viel größeren Pool an potenziellen Profifußballern schöpfen. Obwohl die heimische Liga eher als Auffangbecken für Altstars wie die spanischen Mittelfeldlenker Xavi und Gabi bekannt ist als für seine hervorragende Jugendarbeit, muss sich Katar somit weiterhin auf eigene Kräfte verlassen, was zumindest angesichts des Asien-Cups bisher zu gelingen scheint.
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Eine Zugfahrt von Kassel nach Nordrhein-Westfalen endete für einen 76-jährigen Mann mit einem herben Verlust. Wie die Bundespolizei mitteilt, hat der Mann eine große Einkaufstasche im Zug stehen lassen - darin: ein Keramik-Krug von Pablo Picasso im Wert von rund 10 000 Euro. Der etwa 26 Zentimeter hohe Krug ist mit dem Motiv einer Eule gestaltet. Die Ausschütt-Öffnung ist als Schnabel bemalt. "Cruchon Hibou", Krug Eule, so heißt die Serie, zu der dieses Gefäß vermutlich gehört. Die Auflage beträgt 500 Stück. Alle Krüge stammen aus der Werkstatt von Pablo Picasso im französischen Madoura. Bei der Bundespolizei gab der ältere Herr an, dass es sich um ein Original gehandelt habe. In einer großen Einkaufstasche aus fester Kartonage habe er den Krug transportiert, als er am vergangenen Freitag von Kassel aus mit einem Zug in Richtung Düsseldorf fuhr. Er sei auf dem Weg nach Hause gewesen. Die große Tasche mit dem blauen Schriftaufdruck "Neumeister - Alte Kunst - Moderne" habe er im Zug auf den Boden gestellt. Im westfälischen Hamm musste der ältere Mann umsteigen. Kurz nach 21 Uhr sei es gewesen, als der Zug den Bahnhof verließ - und der 76-Jährige fassungslos festgestellt habe, dass mit ihm auch sein Picasso davonfuhr. "Man kann sich vorstellen, wie aufgelöst der Mann gewesen sein muss, als er da am Bahnsteig stand", sagt Jürgen Gerdes von der Bundespolizeiinspektion Münster. Der 76-Jährige habe sofort bei der Bahn um Hilfe gebeten. Das Zugpersonal wurde verständigt und machte sich auf die Suche - alles ohne Erfolg, sagt der Sprecher der Bundespolizei, die jetzt wegen Unterschlagung ermittelt. Warum der ältere Herr mit dem teuren Kunstwerk im Zug unterwegs war, vermag Gerdes aber auf SZ-Nachfrage nicht zu sagen. "Vielleicht wollte er den Krug schätzen lassen", vermutet er. An den Angaben des 76-Jährigen zweifele die Polizei jedenfalls nicht. "Er konnte belegen, dass ihm der Krug gehört: Er hatte sogar ein Foto dabei, das den Krug bei ihm Zuhause in einer Vitrine zeigt", sagt der Polizeisprecher. Große Hoffnungen kann er dem Mann aber nicht machen: "Wir haben es öffentlich gemacht, mehr können wir im Moment nicht tun." Die Bundespolizei hoffe jetzt, dass der Krug auf dem freien Markt auftauche. Christie's versteigert einen nahezu identisch aussehenden Krug Auf Auktionen sind Picasso-Keramiken häufig anzutreffen. Mehr als 3500 verschiedene Designs soll Picasso für Krüge, Teller, Ziegel und andere Keramiken geschaffen haben. Beim Auktionshaus Christie's wird derzeit sogar ein Krug versteigert, der dem verlorenen Stück täuschend ähnlich sieht. "Der Krug aus unserer Auktion wurde aber schon vor Wochen bei uns abgegeben - und befindet sich auch noch immer sicher im Warenhaus", sagt Sprecherin Alexandra Kindermann. Es sei aber nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Krug auf dem Bild der Bundespolizei um ein Exemplar der gleichen Serie "Cruchon Hibou" handele - "sofern er denn echt ist". Für den Krug der Christie's-Auktion werden derzeit mehr als 6200 Euro geboten. Es sei aber möglich, dass der im Zug verlorene Krug noch mehr wert sei, sagt Kindermann. Der Preis hänge nicht nur stark davon ab, in welchem Zustand ein Werk sei, sondern auch davon, welche Nummer einer Serie der Krug habe. Frühe Werke ohne Blessuren, so erkläret Christie's anlässlich der laufenden Online-Auktion, seien deutlich teurer.
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Detailansicht öffnen (Foto: Jonas Güttler/dpa) Den etwa 160 000 Beschäftigten brachte das Wochenende zumindest eine gute Nachricht: Wenn Thyssenkrupp bald 6000 Arbeitsplätze abbaut, dann sollen betriebsbedingte Kündigungen nur die "Ultima Ratio" sein, das letzte Mittel also. Doch dass der Konzern herbe Einschnitte plant, etwa einen Börsengang der profitablen Aufzugssparte, scheint unausweichlich: Der Strategieausschuss des Aufsichtsrates hat sich am Samstag einstimmig - also auch mit den Stimmen der Arbeitnehmervertreter - hinter die Pläne des Vorstands gestellt. Das Präsidium des Gremiums empfiehlt nun, dass die Aufsichtsräte dem Umbau am 21. Mai zustimmen sollen. Thyssenkrupp, dieser letzte große Weltkonzern aus dem Ruhrgebiet, hatte am Freitag die Fusion seiner Stahlwerke mit dem Konkurrenten Tata Steel Europe abgesagt, da die EU-Kommission den Zusammenschluss nicht genehmigen werde. Auch die geplante Zweiteilung von Thyssenkrupp in einen Stahl- und einen Technologiekonzern ist seither vom Tisch. Stattdessen soll aus dem Mischkonzern nun eine schlanke Dachgesellschaft werden, wie es kritische Investoren schon vor Jahren forderten. Allein in Deutschland sollen in den nächsten drei Jahren 4000 Stellen wegfallen. An den Stahlwerken und dem Stahlhandel will Thyssenkrupp noch langfristig und mehrheitlich beteiligt bleiben; diese Sparten leiden immer wieder an schwankenden Weltmarktpreisen und Billigimporten aus Asien. Aber: "Es sind Geschäfte, die wir gut verstehen, in denen wir führende Marktpositionen haben", sagt Vorstandschef Guido Kerkhoff. Den Industriesparten um Autoteile und Anlagen will der Konzern hingegen mehr Freiheit geben. "Manche Geschäfte werden sich außerhalb von Thyssenkrupp besser entwickeln können", kündigt Kerkhoff an. Der erste Schritt, der Teilbörsengang der Aufzugssparte, dürfte dem verschuldeten Konzern Milliardeneinnahmen bescheren. "Der Umbau von Thyssenkrupp ist leider unvermeidbar", sagt Markus Grolms, IG-Metall-Sekretär und stellvertretender Aufsichtsratschef. Die Gewerkschaft hat in der Nacht zu Samstag eine Grundlagenvereinbarung ausgehandelt. Demnach sei die betriebliche Mitbestimmung in allen Sparten gesichert, sagt Grolms. Wenn Thyssenkrupp künftig Firmenteile verkaufe oder verselbständige, brauche es zunächst eine Vereinbarung mit der IG Metall. "Betriebsbedingte Kündigungen wollen wir vermeiden", kündigt Thyssenkrupp-Personalvorstand Oliver Burkhard per Twitter an, diese seien nur in Ausnahmen möglich. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet kam am Samstag in die Konzernzentrale in Essen. Das Konzept des Vorstands sei überzeugend, sagt der CDU-Politiker, "es bietet Zukunftschancen für Thyssenkrupp und für Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen." Zugleich fordert Laschet, dass die Erlöse aus einem Börsengang der Aufzugssparte "in die Zukunftsfähigkeit" des Konzerns investiert werden müssten, "damit der überwiegende Teil der Arbeitsplätze gesichert werden kann." Auch die IG Metall pocht darauf, dass Thyssenkrupp die Einnahmen aus dem Teilverkauf des Aufzugsgeschäftes nicht an die Aktionäre ausschüttet. Laschet gehört dem Kuratorium der Krupp-Stiftung an, die etwa 21 Prozent der Aktien besitzt, mithin größte Aktionärin ist. Thyssenkrupp hatte sich vor einem Jahrzehnt mit einer Expansion nach Brasilien und in die USA verhoben, die acht Milliarden Euro kostete. Seitdem ist der Konzern hoch verschuldet. In den vergangenen Jahren hat er nicht genug Geld verdient, um in die Zukunft all seiner Geschäfte investieren zu können. Auch für dieses Geschäftsjahr erwartet Thyssenkrupp einen Verlust. Die vorgeschlagene Kehrtwende sei da "eine verantwortungsvolle Entscheidung", sagt Aufsichtsratschefin Martina Merz. Nach der Absage der Stahlfusion habe der Konzern seinen Weg neu bewerten müssen. "In dieser schwierigen Situation wird es so möglich, die Interessen von Mitarbeitern, Kunden und Aktionären gleichermaßen zu berücksichtigen", sagt Merz. Sie spricht von einer "schwierigen Zeit" für Thyssenkrupp.
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Wann immer in diesen Tagen im Berliner Regierungsviertel über die ungewisse Zukunft der österreichischen Nachbarrepublik diskutiert wird, geht es nicht nur um die FPÖ, ein skandalöses Video oder den gerade erst gestürzten Kanzler Sebastian Kurz. Es geht auch um die Zukunft des wohl bekanntesten deutschen Gastarbeiters in Wien. Sein Name ist Klaus-Dieter Fritsche. Sein halbes Arbeitsleben hat er den deutschen Spionageapparat dirigiert: Erst als Vizepräsident im Bundesamt für Verfassungsschutz, danach in der Führungsetage des Bundesinnenministeriums, und zuletzt gehörte der CSU-Mann als Geheimdienstkoordinator vier Jahre lang zum Führungsteam im Kanzleramt. "Ich bin froh, 21 Jahre als politischer Beamter überlebt zu haben," sagte er, als er im März in Pension ging. Das derzeitige Überleben in Österreich ist dagegen nicht mehr garantiert, dabei hat Fritsche seinen neuen Job eigentlich gerade erst angetreten. Seit März berät er nämlich das dortige Innenministerium bei der Umgestaltung des Nachrichtendienstes, sein Vertrag läuft noch bis November. Als Vergütung vereinbart sind je nach Leistung bis zu 79 000 Euro, einschließlich Mehrwertsteuer. Fritsche hat ein Büro beim österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Amtsgebäude in der Rennweggasse. Selbst in den derzeit turbulenten Tagen, so berichten es Zeugen, kam Fritsche zum Dienst. Dabei ist der Mann, den er beraten sollte, schon gar nicht mehr im Amt. Es ist der soeben geschasste FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, ein besonders radikaler Vertreter seiner Partei. Die Parole "Wiener Blut - zu viel Fremdes tut niemand gut" stammt von ihm, und als Herr über Österreichs Polizisten und Spione sagte er Dinge wie: "Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht." Im Januar gab es ein erstes Gespräch des FPÖ-Manns mit Fritsche. Am 5. Februar schon wurde der Vertrag unterzeichnet. Das war vielleicht etwas voreilig von Fritsche. Denn erst mit Brief vom 21. Februar teilte das Bundeskanzleramt seinem Geheimdienstkoordinator a. D. "abschließend" mit, dass "keine Einwände" gegen seinen neuen Job bestünden, weil "Interessen" der Bundesregierung nicht beeinträchtigt seien. Dass jemand mit Fritsches Vergangenheit so mühelos als Berater in einem Nachbarland anheuern konnte, irritiert viele in den deutschen Sicherheitsbehörden. Fragt man danach, werden Augenbrauen hoch- und Mundwinkel nach unten gezogen. "Schwierig" ist ein Wort, das dann fällt, "sonderbar" oder "ich hätte das nicht gemacht". Auch weil der FPÖ-Mann Kickl eine so problematische Figur sei. Unter seiner Ägide stürmten im vergangenen März Polizisten in die streng abgeschirmten Büros des österreichischen Verfassungsschutzes. Die Polizisten nahmen Datenträger mit, auch mit Informationen zur Überwachung von Rechtsextremisten, zu denen Kickls FPÖ Verbindungen pflegte. Von einem "staatsstreichähnlichen Vorgehen" sprachen damals Politiker auch in Deutschland. Seither vertrauen die europäischen Nachrichtendienste den Österreichern nur noch bedingt. Dass Deutschland eng befreundeten Ländern auch in Sicherheitsfragen aushilft, ist nichts Ungewöhnliches. Dann entsendet Berlin etwa altgediente Abteilungsleiter. Dass aber der ehemalige erste Mann der deutschen Geheimdienst-Community in einem fremden Land anheuert - das gab es noch nie. Wiener Innenministerium hält sich offen, wie es mit Fritsche weitergeht Wer auf die Idee für die Berufung Fritsches kam, ist bis heute umstritten. In Wien kursiert das Gerücht, dass die deutsche Bundesregierung ihr ehemaliges "Mastermind der Sicherheitsarchitektur" (so Kickl über Fritsche) regelrecht angeboten habe. Tatsächlich aber fragten die Österreicher wohl den deutschen Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke im November nach einem externen Berater. Engelke nannte drei Namen, die theoretisch über die Expertise verfügen würden: die beiden ehemaligen BND-Präsidenten August Hanning und Gerhard Schindler - und eben Fritsche. Dass es Fritsche werden würde, erfuhr das Innenministerium erst, als dieser das Kanzleramt über seinen Karriereschritt in Kenntnis setzte. Das Wiener Innenministerium hält sich noch offen, wie es mit Fritsche weitergeht, nachdem die Ibiza-Affäre Minister Kickl aus dem Amt gefegt hat. Man könne dies "zum jetzigen Zeitpunkt nicht kommentieren", sagt ein Sprecher. In Deutschland steigt dagegen der Druck. Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka hat die Bundesregierung mit Blick auf die sichtbar gewordene Nähe zwischen FPÖ und Russland aufgefordert, Fritsche sofort zurückzubeordern. Seine Tätigkeit in Wien sei "ein Sicherheitsrisiko für unser Land". Im Bundestag haben die Geheimdienstkontrolleure den Fall schon diskutiert, neben Grünen und Linken fordert auch FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae, dass Fritsche zurückgepfiffen wird: "Gerade nach den jüngsten Enthüllungen über die Pläne der FPÖ zur Aushebelung der Pressefreiheit und zur Umgehung einer transparenten Parteienfinanzierung kann die Bundesregierung nicht so tun, als sei die Tätigkeit des ehemaligen Geheimdienstbeauftragten für eine ausländische Regierung eine reine Formsache." Gut möglich, dass Fritsche sein Büro in der Rennweggasse nicht mehr allzu lange braucht.
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Etwa 90 Prozent der Kunstwerke konnten bei dem Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame am vergangenen Montag gerettet werden. Davon geht Michel Honore aus, der den Domschatz im Auftrag eines Versicherers vor Ort begutachtet. Dass so viele Kunstgegenstände vor den Flammen bewahrt werden konnten, liegt auch daran, dass der Evakuierungsplan minutiös befolgt wurde. "Der Plan selbst hat perfekt funktioniert, und deshalb sind die Verluste nicht so groß, wie man hätte befürchten können," sagte Honore der Nachrichtenagentur Reuters. Hilfskräfte hatten die Kunstschätze mit einer Menschenkette in Sicherheit gebracht. Der Kunstschatz von Notre-Dame besteht aus 1000 bis 1200 Gegenständen. Darunter befinden sich wertvolle Kelche, historische Kirchengewänder und großformatige Gemälde. "Zu den ersten Stücken, die gerettet wurden, gehörten die Dornenkrone und der Nagel vom Kreuz", sagte Honore. "Sie standen ganz oben auf der Liste und wurden vorschriftsgemäß herausgebracht." Die meisten der Gemälde sähen auf den ersten Blick unversehrt aus, ein endgültiges Urteil über ihren Zustand müssen aber Restauratoren fällen. Honore zeigte sich zuversichtlich, dass auch die Orgel den Brand ohne größeren Schaden überstanden habe. Die geretteten Kunstwerke befinden sich zurzeit im Pariser Rathaus, sollen aber in den Louvre gebracht werden. Dort können sie sicher aufbewahrt werden. Direktor will temporäre Holzkirche bauen Unterdessen schlug der Direktor von Notre-Dame vor, eine temporäre Holzkirche auf dem Vorplatz der Kathedrale zu errichten. "Wir dürfen nicht sagen, die Kathedrale ist für fünf Jahre geschlossen und das war's," sagte Patrick Chauvet dem Sender CNews. Die Holzkirche soll dazu dienen, Touristen willkommen zu heißen, die eigentlich Notre-Dame hätten besuchen wollen. Noch ist völlig unklar, wie lange die Kathedrale geschlossen bleibt. Sollte die Sicherheit des Gebäudes gewährleistet sein, sei eine baldige Wiedereröffnung möglich, sagte eine Sprecherin der Pariser Diözese. In der Pariser Kathedrale Notre-Dame war am Montag bei Renovierungsarbeiten ein Großbrand ausgebrochen. Ein Grund für das Feuer ist noch nicht bekannt, die Staatsanwaltschaft geht aber nicht von Brandstiftung aus. Während das Feuer hauptsächlich den Dachstuhl der Kathedrale zerstört hat, ist das Innere weitgehend erhalten geblieben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte in Aussicht gestellt, Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren wiederaufbauen zu wollen. Notre-Dame gehört seit 1905 dem französischen Staat.
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Das Büro könnte bald aussehen wie eine Hotellobby - oder wie eine Turnhalle. Die Chefs der Zukunft müssen sich etwas einfallen lassen, um Angestellte in die Firma zu locken. Wie viele Buchseiten muss man vollschreiben, um eine ganze Welt zu erklären? Die Antwort ist: 5568. So viele brauchte der niederländische Schriftsteller J. J. Voskuil, als er sich von 1996 an daranmachte, minutiös die Umgebung zu schildern, in der er jahrzehntelang gearbeitet hatte. "Het Bureau" heißt sein siebenbändiges Romanepos, es ist ein arbeitshistorisches Monument, denn es dreht sich auf ganzer Länge nur um das Wesen des Büros und darum, was es mit den Menschen macht, die darin ihre Leben absitzen. Im Gegensatz zu seinen Protagonisten, die sich im ewig dämmernden Zustand der Nicht-Produktivität befinden, hatte Voskuil mit seiner Arbeit in den Niederlanden großen Erfolg ("Das Büro", auf Deutsch im Verbrecher Verlag). Jenseits der Literatur aber scheint die Geschichte des Büros eine Geschichte voller Missverständnisse zu sein. Seit seinen modernen Anfängen (Kafka ging ja noch ins "Kontor") will es sich eigentlich von sich selbst befreien. Schon 1964 legten die amerikanischen Designer Robert Probst und George Nelson mit dem "Action Office" ein Büromöbel-Set vor, das den Angestellten lässig losgelöst im Raum positionieren und zu mehr Bewegung und Abwechslung verleiten sollte. Seit mehr als 50 Jahren arbeiten sich die Gestalter an solchen Zielen ab, seitdem geht es beim Stichwort "innovativer Arbeitsplatz" immer um mehr Dynamik und weniger Bürogefühl. Denn das hat mit den Jahrzehnten massiv an Ansehen eingebüßt - nicht zuletzt seit TV-Hits wie "The Office" und "Stromberg" das Büro als Epizentrum des Stumpfsinns entlarvten und Therapeuten es als Keimzelle der Burn-outs ins Visier nahmen. Lange schien die fade Einheit von grauem Resopaltisch, Drehstuhl, Topfpflanze und tropfiger Teeküche trotzdem nur in Details veränderbar zu sein. Größer werden die Fortschritte erst, seit sich die Büroarbeit selbst rasant verändert hat. Seit sie digital, cloudbasiert und von nahezu überall zu erledigen ist, seit relativ kurzer Zeit also, bewegt sich etwas bei der Fahndung nach einer guten Büroumgebung. Ein moderner Arbeitsplatz braucht keine Wände, sondern Kokons, Raumtrenner, Sofas Wichtige Vorreiter sind dabei die Co-Working-Spaces, die zuletzt in den Metropolen der Welt entstanden sind. Sie dürfen als innovative und meist sehr interessant konzipierte Versuchsgelände einer neuen Arbeitswelt gelten. Und ein Chef der Zukunft, so die Annahme, wird ähnlich gut gestaltete Argumente brauchen, um die Mitarbeiter noch leibhaftig unter sein Firmendach zu locken. Dass diese Argumente auch mit Mitteln des Interieurdesigns geschaffen werden können, zu dem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Fraunhofer Instituts. In dem Papier wurde die Entwicklung weg von hergebrachten Einzel- und Großraumbüros hin zu zukünftigen Multispace-Umgebungen beleuchtet. Multispace, das ist auch einer der vielen Kunstbegriffe, die auf der Orgatec-Büromesse im Herbst in Köln kursierten. Letztlich wollen all diese Wortschöpfungen etwas Ähnliches umreißen: die Auflösung bestehender Büroformen zugunsten einer luftigen Arbeitsumgebung, die parallel mehrere Aufgaben erfüllt und möglichst viele Hierarchien und Firmenbereiche einbezieht. Ergänzt wird so eine Multispace-Vision meistens noch um etwas, das die Fraunhofer-Wissenschaftler "non-territoriales Bürokonzept" nennen. Dergleichen kennt man von den jungen Duz-Konzernen: Jeder Angestellte sitzt jeden Tag, wo er will, soll frei durch die Etage ziehen und dabei nach Laune und Bedarf unterschiedliche Plätze finden können. Darunter auch abgeschottete, eigene Bereiche, zum Telefonieren oder Konzentrieren. Konsens der Objektausstatter und Architekten ist mittlerweile: Ein moderner Arbeitsplatz benötigt zwar zum einen Demokratie und deshalb gestalterische Offenheit. Ein moderner Arbeitsplatz erfordert aber zum anderen auch Privatsphäre - die das klassische Großraumbüro noch bekämpfte. Und deshalb braucht es weiterhin ein paar Wände. Das sollen aber nicht unbedingt die ollen Zimmerwände sein. Die Designer auf der Orgatec brachten stattdessen eine Vielzahl organischer Kokons mit, dazu innovative Raumtrenner, Sofas mit abschirmenden Seitenwänden, nachempfundene Telefonzellen oder lustig in den Raum gewürfelte Kuben.
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Das Programm heißt "Universal Credit", es sollte die britische Sozialversicherung ins 21. Jahrhundert befördern. Millionen Menschen ohne Jobs oder mit niedriger Bezahlung sollten ihre Ansprüche digital anmelden können. Sechs vorhandene Sozialprogramme für Menschen im arbeitsfähigen Alter sollten in eine einzige monatliche Zahlung münden. Alles sollte effizienter sein, es sollten Anreize geschaffen werden für die Leistungsempfänger. Statt Zuschüsse zu kassieren, sollten sie angespornt werden, mehr zu arbeiten. Aber - verbunden mit massiven Sparmaßnahmen seit dem Jahr 2010 - hat das Programm für ein aufkeimendes Prekariat neue Probleme entstehen lassen: Millionen Briten müssen feststellen, dass sie nicht über die Runden kommen, selbst wenn sie einen Job haben. Universal Credit hat es nicht geschafft, denen zu helfen, für die das Programm gedacht war: Haushalte mit niedrigen Einkommen. Besonders kritisiert wird, dass Leistungsempfänger mindestens fünf Wochen auf eine erste Zahlung warten müssen. Das hat zu Schulden und Mietrückständen geführt. Zehntausende sind auf Essensausgaben angewiesen. Clare Eckerman ist ein Beispiel, wie Universal Credit in das Leben eingreift - und das nicht zum Guten. Die 62-jährige Schul-Verwaltungsangestellte aus der nordostenglischen Grafschaft Country Durham hat 400 Pfund (etwa 460 Euro) weniger zur Verfügung, seit sie im Herbst in das neue Sozialprogramm gerückt ist. Das Leben, sagt sie, sei jetzt härter, stressiger und unsicherer. Eckerman, die auch unter einer behördlich anerkannten Behinderung leidet, hatte einst vom zuständigen Sozialhilfe- und Rentenministerium (DWP) den Rat bekommen, aus ihrer bestehenden Sozialleistung in Universal Credit zu wechseln. Weder wurde ihr erklärt, dass ihr Einkommen damit über Nacht verringert werden würde, noch, dass es unmöglich sei, aus dem Programm wieder in ein anderes zurückzukehren. "Es erhöht die Sorgen und Ängste", sagt sie. "Universal Credit schränkt einen massiv ein. Wir können uns momentan keine Kleidung mehr kaufen, wir können nicht ins Theater oder Essen gehen." Es gebe keine Lebensqualität mehr. Die Parlamentsabgeordnete Laura Pidcock hat sich den Fall angeschaut und fordert das DWP auf, Eckerman eine Entschädigung für die fehlgeleitete Beratung zu zahlen. Das DWP weist daraufhin, dass es keine Beweise für eine Fehlberatung gebe. Eckerman wiederum, die einen Universitätsabschluss in Mathematik hat, betont, dass sich doch niemand bewusst dafür entscheiden würde, auf 5000 Pfund im Jahr zu verzichten. Das Vertrauen in den Staat "ist wie weggespült", sagt eine Sozialhilfeempfängerin Wütend macht sie der Vorgang vor allem, weil sie ihr ganzes Leben in die Sozialversicherung eingezahlt habe. Sie habe durch Universal Credit "sehr viel verloren". Sie bräuchte dringend einen neuen Boden im Wohnzimmer, der Kühlschrank falle bald auseinander. Es gebe vieles, was sie sich jetzt nicht mehr leisten könne. Diese Erfahrung habe ihr nicht nur finanziell geschadet, sondern auch ihr Vertrauen in den Staat erschüttert. "Ich dachte, dass wir uns glücklich schätzen könnten, weil wir im besten Land der Welt leben". Sie hat immer daran geglaubt, dass die Regierung sich um sie kümmere: "Das ganze Vertrauen ist wie weggespült." Die Regierung versucht, die problematischen Effekte von Universal Credit abzumildern - etwa mit Vorabkrediten für neue Anspruchsberechtigte und indem sie die Wartezeiten auf Zahlungen verringert. Aber es vergeht kaum eine Woche ohne Berichte über Nöte, die das Programm verursacht - von Krankheiten bis hin zu reißerischen Geschichten über mittellose Empfänger, die gezwungen sind, sich zu prostituieren, um zu überleben. Philip Alston, der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Armut, hat bei seinem Besuch in Großbritannien im November auf Probleme hingewiesen, die das Programm trotz seiner anfänglich guten Absicht verursacht hat. Selbst die rechtsgerichtete Boulevardzeitung The Sun, die normalerweise die Konservativen unterstützt, kämpft für radikale Änderungen an dem Programm. Die Regierung hat einst betont, niemand werde schlechter gestellt. Aber Milliardeneinsparungen am Sozialstaat, die sich auch darin äußern, dass vier Jahre lang Leistungen nicht erhöht werden - sprechen eine andere Sprache. Laut der angesehenen Denkfabrik "Institute for Fiscal Studies" sind zwar 1,6 Millionen Menschen durch Universal Credit besser gestellt worden. Aber fast zwei Millionen Menschen verlieren mehr als 1000 Pfund pro Jahr. Bezugsberechtigte mit Behinderungen haben laut einer Studie der Denkfabrik die größten Nachteile. Millionen weitere Menschen werden in den kommenden Jahren in das Programm wechseln. Sein schlechter Ruf wächst derweil. Universal Credit steht sinnbildlich für Entbehrungen, einen von den Bedürfnissen der Menschen entfernten Staat und die Unsicherheit der Bürger, die am unteren Ende der Einkommensskala stehen.
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Die Zeiten, in denen Konzernmanager auf ihren Hauptversammlungen fast automatisch mit hundertprozentiger Entlastung rechnen konnten, sind vorbei. Nach der historischen Abstimmungsniederlage beim Chemiekonzern Bayer straften Aktionäre am Donnerstag auch die Führungsspitze der Schweizer Großbank UBS ungewöhnlich hart ab. Allen voran Verwaltungsratspräsident Axel Weber - eine Art Vorzeigemanager der europäischen Finanzbranche, früher einmal Präsident der deutschen Bundesbank, bekam den Unmut der Anteilseigner zu spüren: Bei der Generalversammlung in Basel verweigerten die Aktionäre der Unternehmensspitze mit Weber und Konzernchef Sergio Ermotti die Entlastung. Hauptgrund war eine juristische Niederlage in Frankreich. Dort war die UBS im Februar wegen Geschäften mit Steuerhinterziehern zu enormen 4,5 Milliarden Euro Strafe verurteilt worden, wogegen die Bank Berufung eingelegt hat. UBS-Chefjurist Markus Diethelm hatte Vergleichsangebote für geringere Summen ausgeschlagen - und sich damit Kritik eingefangen, er habe sich verspekuliert. Nur 41,67 Prozent des anwesenden Kapitals stimmte mit "Ja", womit die Zustimmung unter der für die Entlastung erforderlichen Schwelle von 50 Prozent lag. Üblich sind bei europäischen Konzernen quasi sozialistische Werte von mehr als 90 Prozent. Allenfalls, wenn es ganz schlecht läuft, wie im vergangenen Jahr bei der krisengeplagten Deutschen Bank, kann die Zustimmung auch einmal auf unter 90 Prozent fallen. In einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Resignation nickten viele Profianleger in der Vergangenheit stets die Vorschläge des Managements ab. Vor allem so genannte passive Investmentfonds, die nur in einen Aktienindex investieren, haben oft zu wenig Ressourcen, sich mit den Unternehmen im Detail zu befassen. Viele Profianleger aber scheinen inzwischen aus ihrer Lethargie zu erwachen und winken Beschlüsse nicht mehr einfach nur durch: Vor allem internationale Stimmrechtsberater wie Glass Lewis oder Institutional Shareholder Services (ISS) empfehlen häufiger die Nicht-Entlastung als früher. An diesen Empfehlungen wiederum orientieren sich die Manager der passiven Investmentfonds (auch ETFs genannt). Viele Investoren wollen grobe Management-Fehler nicht mehr so einfach hinnehmen Ihnen geht es weniger darum, eine höhere Dividende zu fordern, als vielmehr schwerwiegende Managementfehler nicht mehr einfach hinzunehmen. Die diesjährige Saison der Hauptversammlungen (HV) dürfte daher spannend werden. Auch bei den Aktionärsversammlungen von Volkswagen (14. Mai) und der Deutschen Bank (23. Mai) wird es massiv Kritik geben. Beim größten deutschen Kreditinstitut erwägt dem Vernehmen nach zumindest ein einflussreicher Großaktionär, Aufsichtsratschef Paul Achleitner erstmals nicht zu entlasten. Eine ähnliche Abstimmungsniederlage wie die UBS hatte vergangene Woche auch Bayer-Chef Werner Baumann erlebt. Erstmals hatten die Anleger einem amtierenden Dax-Vorstand die Entlastung verweigert. Grund waren die Rechtsrisiken in den USA nach der Übernahme von Monsanto, das wegen möglicher Krebsrisiken glyphosatbasierter Unkrautvernichter unter Druck ist. Die Übernahme hat den Leverkusener Konzern in eine massive Führungs- und Vertrauenskrise gestürzt. Die Verweigerung der Entlastung ist für die Manager zwar zunächst nur ein Imageschaden. In der Vergangenheit führte ein solches Abstimmungsergebnisse jedoch mittelfristig oft zum Rauswurf eines oder mehrerer Vorstände. Aktionäre erhalten sich damit außerdem für sechs Monate die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche gegenüber Geschäftsführung und Verwaltungsrat geltend zu machen. Das dürfte sich auch der ein oder andere UBS-Aktionär überlegen. "Die Risiken aus der Vergangenheit sind für uns UBS-Aktionäre eine bittere Realität", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen Vertreter der Schweizer Stiftung Ethos, die viele Schweizer Pensionskassen vertritt. Allfällige damit verbundene Bußen könnten die Aktionäre mehrere Milliarden kosten. Verwaltungsratspräsident Weber hatte zuvor erklärt, warum sich die UBS in Frankreich nicht außergerichtlichen geeinigt habe. Es habe keinen "akzeptablen Weg" gegeben. Die Bank sei aber weiter überzeugt, "dass unsere Argumente in der nächsten Instanz überzeugen". Für Missmut sorgten auch die hohen Bonus-Zahlungen für die Banker. Konzernchef Sergio Ermotti erhielt für 2018 Gehalt und Bonus von enormen 14,1 Millionen Franken - nach 14,2 Millionen Euro im Jahr davor.
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Die Hauptrunde der Deutschen Eishockey Liga (DEL) neigt sich langsam dem Ende zu, acht Mal ist der EHC Red Bull München vor dem Playoff-Start noch gefordert. Die Trainer bezeichnen diese Phase als eine der wichtigsten der Saison, denn es gilt, sich bestmöglich in der Tabelle zu positionieren und Schwung für die K.-o.-Spiele aufzunehmen. Dem EHC gelang das zuletzt wunderbar: In den vergangenen acht DEL-Spielen holte die Mannschaft von Trainer Don Jackson das Maximum von 24 Zählern - die Jagd auf Meistertitel Nummer vier in Serie ist in vollem Gange. Wie schwer es aber ist, diesen einzufahren, verdeutlicht ein Blick in die Geschichte. In 60 Jahren Bundesliga- und DEL-Eishockey ist das erst einem Verein gelungen: der Düsseldorfer EG, gegen die der EHC am Sonntag zu Hause antritt (14 Uhr). Die aktuelle DEG-Mannschaft hat freilich nichts mit jener zu tun, der dieses Kunststück in den neunziger Jahren unter der Leitung von Trainer Hans Zach gelang. Eine enge Verbindung in jene erfolgreiche Vergangenheit besteht aber dennoch. Der gebürtige Münchner Andreas Niederberger, der bei jenen vier Düsseldorfer Meisterschaften als Spieler dabei war, ist der Vater der heutigen DEG-Profis Mathias und Leon. Die jungen Niederbergers sind mitverantwortlich dafür, dass aus den Rheinländern, die 2017 und 2018 die Playoffs verpasst hatten, wieder ein Topteam geworden ist. Die DEG reist als Tabellendritter nach München, das Duell beim Titelverteidiger und aktuellen Zweiten ist das Spitzenspiel der 45. Runde. "Die DEG spielt dieses Jahr richtig gut", sagt Münchens Nationalspieler Yasin Ehliz, "sie ist das ganze Jahr schon dicht hinter uns." Trotz der Düsseldorfer Stärke geht der EHC mit einem guten Gefühl in die Partie: Die letzten fünf Heimspiele gegen die DEG gewann er und erzielte jeweils mindestens fünf Tore. Das Spitzenspiel ist für das Team von Jackson, der Düsseldorf von 2005 bis 2007 trainiert hat, nicht nur die letzte Partie vor der Länderspielpause, sondern auch die Generalprobe für das Endspiel der Champions Hockey League (CHL). Am kommenden Dienstag können die Münchner in Göteborg gegen die Frölunda Indians den ersten deutschen CHL-Triumph perfekt machen. Ob Tobias Eder dabei mithelfen kann, ist noch fraglich. Zumindest hat sich der 20-jährige Angreifer beim 6:2-Sieg am Dienstag in Berlin nicht schwerer am Oberkörper verletzt. Das ergab eine Untersuchung am trainingsfreien Donnerstag. Das Sonntagsspiel gegen die DEG, mit der er für die kommende Saison in Verbindung gebracht wird, verpasst er allerdings.
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Der nächste Spieler wechselt aus Salzburg nach Leipzig: Hannes Wolf gilt als eines der größten Talente Österreichs - und erinnert in seiner Spielweise an einen RB-Stürmer mit ungewisser Zukunft in der Bundesliga. Wie wichtig der 6. April 2005 für den Fußball in Leipzig werden würde, das wusste an diesem Tag natürlich noch niemand. Aber besondere Wegmarken in der Geschichte scheren sich nicht viel darum, wann sie als solche wahrgenommen werden. Das kann auch mal dauern. Und so nahmen es die Leipziger an diesem Tag schulterzuckend hin, dass die Zeitungen in kurzen Meldungen berichteten, dass der österreichische Getränkeunternehmer Dietrich Mateschitz damit begann, einen Teil des Unternehmensgeldes in den Fußball zu stecken. Damals stieg er nach Engagements in der Formel 1 oder in Trendsportarten bei seinem ersten Fußballverein, dem SV Austria Salzburg, ein. Fortan hieß der Verein FC Red Bull Salzburg. Welches Unternehmen Mateschitz leitet, dürfte mittlerweile Menschen auf allen Kontinenten klar sein, es gibt nun schon drei weitere Fußballklubs, die Mateschitz' Kosmos angehören: Red Bull Brasil, New York Red Bulls und eben RB Leipzig, den aktuell einzigen Bundesligisten aus den neuen Bundesländern. In Salzburg wirkt Mateschitz inzwischen "nur" noch als Sponsor. Dennoch sorgten der 74-Jährige und sein Konzern dafür, dass der Weg zwischen Leipzig und Salzburg nun so kurz zu sein scheint, wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. 17 Spieler wechselten inzwischen vom FC Red Bull Salzburg zu RB Leipzig, einer zuletzt übrigens auch aus New York nach Leipzig und einer aus Salzburg nach New York. Ersteres ist durchaus umstritten, vor allem in Österreich. Der Salzburger Fußballer Hannes Wolf sagte etwa vor wenigen Monaten der Kleinen Zeitung: "Diese Phase, dass jeder von uns nach Leipzig gehen will, ist lange vorbei." Es nerve alle Salzburger, "wenn immer vom großen Bruder Leipzig gesprochen wird". Vor ihm äußerte sich schon der frühere Salzburger Martin Hinteregger ähnlich. Er entschied sich später für einen Wechsel nach Augsburg statt nach Leipzig. Und der 19-jährige Hannes Wolf? Wird im Sommer der 18. Spieler sein, der aus Salzburg nach Leipzig geht, das wurde in der vergangenen Woche bekannt. "Viele wundern sich nun vielleicht, weil ich gesagt habe, dass der Schritt dorthin nicht so attraktiv ist", sagte Wolf. Doch die deutsche Liga sei eben doch sehr attraktiv, fügte er an - sportlich und wirtschaftlich. An diesem Sonntag in Düsseldorf (18 Uhr) wird Wolf den Leipzigern aber noch nicht helfen können, sein Vertrag gilt ab 1. Juli. Dortmund und Leverkusen sollen an Wolf interessiert gewesen sein Wenn man wissen will, wieso so viele Salzburger und nun auch Wolf nach Leipzig wechseln, muss man sich eigentlich nur Wolfs bisher größten Moment im RB-Trikot ansehen: einen Angriff im Finale der Uefa Youth League, Salzburg gegen Benfica Lissabon. Alexander Schmidt sprintete durchs Mittelfeld, schickte einen Steilpass in den Strafraum, wo er Wolf fand. Der Stürmer schnappte sich den Ball, er dribbelte ein paar Meter und passte ihn wieder zurück zu Schmidt. Der schoss ihn ins Tor. Genauso hätten auch Timo Werner und Emil Forsberg in Leipzig treffen können. Und weil Wolf diese effektiven Sprints im Stile Werners (den Leipzig gerne behalten würde, der aber noch keinen neuen Vertrag unterschrieben hat) mittlerweile auch bei den Erwachsenen öfter zeigt (unter anderem beim Salzburger 3:2 in der Europa League in Leipzig im September), hat sich Ralf Rangnick, Trainer und Sportdirektor in Leipzig, an ihn erinnert. Schon im Jugendbereich hatte er ihn ja aus Graz geholt, als "eine meiner letzten Amtshandlungen in Salzburg", wie er nun sagte. Und zum Transfer im Sommer meinte er: "Ich habe ihn und seinen Berater am 23. Dezember gerade noch rechtzeitig angerufen, um zu verhindern, dass er zu einem anderen großen Verein wechselt." Nicht nur Dortmund und Leverkusen sollen interessiert gewesen sein. Dass lediglich Konrad Laimer und Dayot Upamecano beim Wechsel von Salzburg nach Leipzig noch jünger als Wolf waren, unterstreicht seine Fähigkeiten - und weckt eine gewisse Erwartungshaltung, die Wolf bestätigen könnte: In Österreich gilt er seit Jahren als eines der größten Talente des ohnehin großen Red-Bull-Talentereservoirs. Und seine Torvorlage im Finale 2017 war bereits die zweite, auch den Treffer von Patson Daka zuvor hatte er durch einen Eckball vorgelegt. 2:1 gewann Salzburg das Endspiel - und damit am 24. April 2017 den ersten Uefa-Titel für ein österreichisches Team, den ersten für den RB-Fußballkonzern überhaupt. Wolf weiß also, wie aus Daten historische Ereignisse werden. Und von Letzteren gibt es ja noch nicht gar so viele bei RB Leipzig.
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Sie heißen BMW City Scooter, City Blitz Professional oder Megawheels. Sie sind schnell, meist zusammenfaltbar und ziemlich leise. Egal ob Elektro- oder Baumarkt: Schon für rund 200 Euro gibt es die E-Scooter genannten Elektroroller in Deutschland bereits heute fast überall zu kaufen. Wer sie testen will, muss sich allerdings spezielle Plätze suchen. Nur an Orten wie dem stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof sieht man sie bislang in hohem Tempo über die Teerpisten flitzen. Denn auf öffentlichen Rad- und Fußwegen oder gar Straßen sind die Gefährte in Deutschland bislang verboten. Seit Mittwoch ist klar, dass sich das in wenigen Monaten ändern wird. Fußgänger, Rad- und Autofahrer müssen sich dann auch abseits abgesperrter Areale an die schnellen Gefährte in ihrer Nähe gewöhnen. Der Kampf um den ohnehin knappen Raum in Städten wird noch härter. Am Mittwoch beschloss das Bundeskabinett eine Verordnung zur Zulassung der Tretroller mit Elektromotor. Nur der Bundesrat muss noch zustimmen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will die Stromgefährte möglichst schnell nach dem für den 17. Mai geplanten Bundesratsvotum überall in Deutschland erlauben - als "echte Alternative zum Auto". Es wird noch trubeliger auf Straßen, Rad- und Gehwegen. Die Details des Gesetzes sehen vor, dass Roller mit einem Höchsttempo von zwölf Kilometer pro Stunde auch auf Gehwegen fahren dürfen. Gefährte, die zwischen zwölf und 20 Kilometer pro Stunde schnell sind, dürfen auf Radwegen fahren. Existiert beides nicht, können sie innerorts jeweils auch auf die Straße ausweichen. Eine Helmpflicht ist nicht vorgesehen. Die langsamen Gefährte sollen ab zwölf Jahren, die schnellen ab 14 erlaubt sein. Vorgeschrieben ist lediglich eine Haftpflichtversicherung samt Versicherungsaufkleber am Fahrzeug. Der Radfahrerverband erwartet "sehr unschöne Szenen und viele Unfälle" Für Verkehrsforscher wie Andreas Knie ist der Vorstoß aus Berlin zwar eigentlich eine gute Nachricht. Denn laut Untersuchungen ist jede vierte Autofahrt kürzer als zwei Kilometer. Als Ersatz dafür oder auch für die kurzen Strecken zu Fuß von der U-, S-Bahn oder Bushaltestelle nach Hause oder zur Arbeit sind die Geräte attraktiv und könnten das Auto direkt oder indirekt verdrängen. Es wäre die seit Langem erhoffte Entlastung auf der Straße - und könnte auch die schlechte Klimabilanz des Verkehrssektors verbessern. Weil Städte wachsen und immer mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind, wird die Lage in den Zentren der großen deutschen Städte derzeit immer schwieriger. "Wir drohen am wachsenden Verkehr zu ersticken", sagt Knie. Bis 2030, so erwartet das Bundesverkehrsministerium, könnte der Güterverkehr auf der Straße noch einmal um weitere 39 Prozent, der Autoverkehr um 13 Prozent zunehmen. "Wenn nicht endlich Entlastung kommt, werden die Deutschen in Zukunft noch häufiger im Stau stehen, noch seltener vorankommen", sagt der Forscher voraus. Der Start der Elektroroller dürfte dennoch zum bundesweiten Streitthema werden. Vor allem im Lager der Radfahrer regt sich Protest. Deutsche Radwege reichten nicht einmal für die sichere Abwicklung des vorhandenen Radverkehrs, warnt etwa ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork. Wenn nun auch noch E-Scooter auf Radwegen durch die Innenstädte fahren sollten, erwarte er "sehr unschöne Szenen und viele Unfälle". Auch bei der Polizei wachsen die Sorgen. "Wir befürchten eine weitere Zuspitzung der bereits seit Längerem hitzigen Lage im innerstädtischen Straßenverkehr", sagt Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei. Mit E-Tretrollern werde eine neue Konfliktzone geschaffen. Die Polizei sehe sich außerstande, nun auch noch den rollenden E-Verkehr auf den Bürgersteigen zu moderieren und zu kontrollieren. Der Präsident der Deutschen Verkehrswacht, Kurt Bodewig, mahnt: "Wir dürfen einen aggressiven Nutzungskonflikt gegen Fußgänger in den Innenstädten nicht zulassen." Noch in dieser Woche droht Scheuer deshalb Ärger mit Ministerkollegen auf Landesebene. Auf der laufenden Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern in Saarbrücken könnte der Streit eskalieren. Der Bremer Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne) warnte, Jugendliche ab zwölf Jahren hätten meist nicht die ausreichende Erfahrung im Straßenverkehr, um komplexe Situationen auf Gehwegen mit E-Rollern beherrschen zu können. Lohse will deswegen bei der Konferenz an diesem Freitag einen Vorschlag zur Abstimmung stellen, der die Freigabe von Gehwegen für Elektrokleinstfahrzeuge ablehnt. Ob Deutschland allerdings wirklich ein Elektrorollerland wird, ist auch für Fachleute offen. Elektroräder gibt es schon länger. Sie sind beliebt. Den Verkehr revolutioniert haben sie nicht. Und auch die Verkehrseffekte sind fraglich. In den USA, wo die Roller bereits in den Städten unterwegs sind, zeigte sich, dass sie für Strecken genutzt werden, die man gut zu Fuß zurücklegen kann - also dass sie zu mehr statt zu weniger Verkehr führen. Ein Rollerverleih startete im Oktober - nun ist er schon in 19 Städten aktiv Das Unternehmen Tier Mobility aus Berlin, das in Städten Leihroller anbietet, macht allerdings klar, welche Dynamik da unterwegs ist. Erst im vergangenen Jahr wurde die Firma gegründet. Im Oktober startete Tier das erste Verleihangebot in Wien mit 250 Rollern. Inzwischen ist Tier in 19 europäischen Städten aktiv. Sobald Roller auch in Deutschland die Erlaubnis bekommen, wird es auch hier losgehen. Die Wirtschaft ist überzeugt, dass ein Milliardengeschäft wartet. US-Unternehmen wie die Uber-Beteiligung Lime und deren Konkurrent Bird haben bereits viele Hundert Millionen Dollar für den Aufbau eines globalen Leihgeschäfts mit den Rollern eingesammelt. Der deutsche Autobauer Daimler steckt hinter dem Dienst Hive, der in Paris, Warschau, Athen und Lissabon Roller verleiht. BMW verkauft Roller aus eigener Produktion. Die Autohersteller ahnen wohl, dass sie den Wandel besser mitgestalten, als von ihm überrollt zu werden. "Noch ist der Verkehr ganz klar vom Auto dominiert", sagt Verkehrsforscher Knie. Das aber könne sich ändern. Vor allem dann, wenn für andere Mobilitätsformen mehr Platz, etwa eine eigene Spur zur Verfügung stehe. Zudem brauchten neue Gefährte wie E-Roller und E-Räder eigene Abstell- und Lademöglichkeiten. "Auch Stadtplaner sollten umsteuern", sagt Knie und ergänzt: "Wir werden Autofahrern in Zukunft etwas wegnehmen müssen."
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Der Abstiegskampf ist kein Schneckenrennen, das würde Schnecken beleidigen. Die Spiele sind nur schwer erträglich - und haben etwas von Katastrophentourismus. Am Freitagabend dürften einige Fußball-Beobachter mit Stift, Blatt und Taschenrechner bewaffnet das Restprogramm der Bundesliga durchgegangen sein. Sollten sie dem FC Schalke 04 nahestehen, dürfte danach mindestens so viel Angstschweiß geflossen sein wie in den 95 Minuten während des unerquicklichen Auftritts der Knappen in Nürnberg. Fünf Spiele dauert die Tortur noch, und viele Punkte dürften beim Zweiten der Vorsaison nicht mehr dazu kommen; wenn überhaupt. Denn drei der letzten fünf Gegner (Hoffenheim, Dortmund, Leverkusen) dürften derzeit mindestens eine Klasse zu groß sein, und angesichts des zerfetzten Nervenkostüms der Spieler und der Tatsache, dass von 14 Heimspielen neun verloren gingen, wirken die Aufgaben gegen die direkten Konkurrenten Augsburg und Stuttgart wie Ansetzungen eines hemmungslosen Sadisten. Deshalb lautet die logische Frage nach einer Nullpunkte-Hochrechnung: Reichen 27 Punkte vielleicht tatsächlich zum ersten Mal, um die Klasse direkt zu erhalten? Und die kuriose Antwort heißt: Kann gut sein. Der Abstiegskampf lässt sich in diesem Jahr nicht mit einem Schneckenrennen vergleichen, das würde Schnecken beleidigen. Man sieht eher Sprintern zu, die an den Startblöcken festgekettet sind. Das hat mehrere Gründe. Einer dürfte psychologisch begründet sein: Vier der letzten fünf Teams weigerten sich lange zu glauben, dass sie da unten hingehören. (Nürnberg ist die einzige Ausnahme.) Wenn man sieht, wie etepetete sich Schalker Spieler wie Bentaleb, Sané oder Rudy bewegen, dann hat man bisweilen den Eindruck, dass sie sich immer noch als Champions-League-Teilnehmer betrachten. Hybris lähmt die Nerven und die Füße. Und damit sind sie nicht allein. Stuttgart hatte vor Saisonbeginn den internationalen Wettbewerb als Ziel ausgegeben, mindestens; Hannover hatte ähnlich luftige Ambitionen. Und auch Augsburg träumte von einstelligen Tabellenrängen. Den Abstiegskandidaten zuzusehen, hat etwas von Katastrophentourismus Aber dann blieben die Siege aus, dreisterweise weigerten sich die designierten Kellerkinder aus Düsseldorf, Mainz und Freiburg, ihre Rollen einzunehmen, und so wurden sie von einem Quintett ersetzt, von dem zuletzt nur Nürnberg eine Art Positivlauf schaffte (drei Spiele ohne Niederlage). Der Rest ist schwer erträglich und erfolgsarm. Augsburg, Schalke, Stuttgart, Nürnberg und Hannover haben seit dem 19. Spieltag insgesamt acht Partien gewonnen - genau so viele wie RB Leipzig im gleichen Zeitraum. Den fünf Abstiegskandidaten zuzusehen, hat oft etwas von Katastrophentourismus. Klagen führender Masochistenverbände, Nürnberg hätte am Freitag gegen Schalke 04 viel zu gut Fußball gespielt, wurden mit dem Einwand abgeschmettert, die Gäste hätten dafür aber doppelt schlecht gespielt. Es wird nicht der letzte Anschlag auf den Qualitätsfußball gewesen sein. Schon am nächsten Wochenende erwartet Augsburg den Tabellennachbarn Stuttgart. Masochisten sehen dem Event mit Freude entgegen.
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Pokalfinale zum Klub-Jubiläum: RB Leipzig hat nach einem packenden Halbfinal-Duell beim Hamburger SV erstmals das Endspiel des DFB-Pokals erreicht. Leipzig gewann gegen den Zweitligisten dank einer Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit mit 3:1 (1:1) und darf im zehnten Jahr seines Bestehens vom ersten großen Titelgewinn der Vereinsgeschichte träumen. Yussuf Poulsen traf per Kopf nach einem Eckball (12.) zur frühen Leipziger Führung. Doch Bakery Jatta brachte den vor allem kämpferisch starken HSV mit einem sehenswerten Schlenzer aus 25 Metern zurück ins Spiel (24.), ehe der Hamburger Vasilije Janjicic den Bundesliga-Dritten mit einem Eigentor auf die Siegerstraße beförderte (53.). Emil Forsberg sorgte mit einem trockenen Rechtsschuss für die Entscheidung (72.). Letzter Gegner für die Mannschaft von Trainer Ralf Rangnick auf dem Weg zum ersten Cupgewinn ist am 25. Mai im Berliner Olympiastadion Werder Bremen oder Bayern München, die im zweiten Halbfinale am Mittwochabend (20.45 Uhr/ARD und Sky) aufeinander treffen. Der HSV musste vor 52 365 Zuschauern die Hoffnungen auf den vierten Pokalsieg nach 1963, 1976 und 1987 dagegen trotz seiner besten Vorstellung seit Wochen begraben. Wie vor zehn Jahren (damals 2:4 n.E. gegen Werder Bremen) fehlte den Hanseaten ein Schritt zum großen Finale in Berlin. "Für unseren Verein ist es das größte Spiel seit zehn Jahren. Wir können heute Abend nur gewinnen", sagte HSV-Klubchef Bernd Hoffmann unmittelbar vor dem Anpfiff bei Sky und sprach von einem "absoluten Bonusspiel" für den Zweitliga-Zweiten. Spielerisch überzeugt erst RB Entsprechend engagiert gingen das Team von Trainer Hannes Wolf zu Werke. Angetrieben von einer tollen Atmosphäre im Volksparkstadion warfen sich Pierre-Michel Lasogga und seine Mitspieler in jeden Zweikampf und waren dem klassenhöheren Rivalen in puncto Lauf- und Einsatzbereitschaft mehr als ebenbürtig. Die spielerischen Schönheiten setzte zunächst allerdings RB, das bei einer kuriosen Dreifach-Chance schon nach einer guten Viertelstunde auf 2:0 hätte davonziehen können - wenn nicht gar müssen. Erst hämmerte Poulsen das Leder an den Innenpfosten. Dann scheiterte Timo Werner im Nachschuss am glänzend reagierenden HSV-Keeper Julian Pollersbeck, ehe Sabitzer das Kunststück fertig brachte, den trudelnden Ball aus wenigen Zentimetern erneut an den Pfosten zu befördern. Die Schludrigkeit rächte sich, als Kevin Kampl den Ball an der Auslinie leichtfertig gegen Jatta vertändelte. Der Angreifer aus Gambia fackelte nicht lange und übertölpelte den völlig überraschten RB-Torhüter Peter Gulacsi mit seinem Schuss in den Winkel. Fortan waren die Hamburger voll auf der Höhe, und es entwickelte sich ein offenes Duell. Doch während Khaled Narey die durchaus mögliche HSV-Führung zwei Mal verpasste (32. und 42.), traf Leipzig zum perfekten Zeitpunkt kurz nach der Pause. Nach Poulsen-Hereingabe landete ein Rettungsversuch von Janjicic unglücklich im eigenen Netz. Der HSV wirkte nun ausgepowert, was RB eiskalt nutzte. Erst traf Forsberg noch die Latte (69.), drei Minuten später entschied er das Spiel. Nach dem Halbfinal-K.o. legen die Hamburger ihren Fokus nun voll auf die Mission direkter Wiederaufstieg. Am Sonntag geht es zum Topspiel beim Verfolger Union Berlin. Leipzig kann mit einem Heimsieg am Sonntag gegen Freiburg die Champions-League-Qualifikation klarmachen.
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Benjamin Netanjahu haben seine rechtspopulistischen Positionen sehr geholfen - und der Umstand, dass kein israelischer Politiker über eine so lange sicherheitspolitische Erfahrung verfügt wie er. Benjamin Netanjahu war eine Notlösung. Eigentlich sollte nach dem Willen seines Vaters Benzion nicht er in die Politik gehen, sondern sein älterer Bruder. Aber Yoni starb als Kommandant einer Eliteeinheit bei der Befreiung von entführten Flugpassagieren im ugandischen Entebbe 1976. In Israel gilt er als Held, seine Geschichte kennt jedes Kind. Bei der Trauerfeier auf dem Jerusalemer Herzlberg trat Benjamin Netanjahu zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auf. Damals war er noch Student und nannte sich Ben Nitay. Erst später wurde er zu Bibi - wie ihn Freund und Feind gleichermaßen nennen. Sein Vater, Professor für jüdische Geschichte, war mit der Familie in die USA gezogen. In Israel, das damals von der Arbeitspartei dominiert wurde, fühlte sich der radikale Zionist wegen seiner Ansichten verfolgt - die Opferrolle sollte später auch sein Sohn häufig einnehmen. Benzion Netanjahu trat für Großisrael ein, über Palästinenser äußerte er sich abfällig: "Die Neigung zum Streit liegt in der Natur der Araber. Sie sind der geborene Feind." Von seinem jüngeren Sohn, der nach ein paar Jahren im diplomatischen Dienst 1988 nach Israel zurückkehrte, schien er keine gute Meinung zu haben. Der Dokumentarfilmer Dan Shadur, der sich lange mit Netanjahus Aufstieg beschäftigt hat, zeigt in einem Film eine bezeichnende Szene aus dem Jahre 2009: Der damals fast hundertjährige Vater sollte in einem Wahlkampfspot für den Sohn werben, den Frontmann des rechtsnationalen Likud. "In der augenblicklichen Situation wäre er der beste Ministerpräsident", sagt der Alte - und sein da schon fast 60-jähriger Sohn steht bei dieser nicht gerade euphorischen Empfehlung wie ein Schuljunge daneben. Als Zweiter gewonnen Benjamin Netanjahu wurde damals nur Zweiter, aber er war es, der eine Koalition zustande brachte. Zehn Jahre hatte er gebraucht, um sich wieder an die Spitze zu kämpfen. 1996 hatte er schon einmal die Wahl gewonnen, drei Jahre später aber verloren - gegen einen ehemaligen Generalstabschef, Ehud Barak. Zwei Jahrzehnte später sah sich Netanjahu gar drei ehemaligen Generalstabschefs gegenüber und zog alle Register, um nicht wieder zu verlieren. Mit den Medien hatte er schon früh umzugehen gelernt. In seiner 1976 erschienenen Masterarbeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) beschäftigte er sich mit der Computerisierung der Presse und prophezeite, dass jeder, der viel Geld hat, seine eigene Zeitung aufmachen könne. Er selbst eröffnete später einen Fernsehkanal auf Facebook, setzte früh auf soziale Medien und damit die direkte Ansprache der Bürger, ohne sich kritischen Fragen von Journalisten stellen zu müssen. Er wurde zum ersten Vertreter des modernen Rechtspopulismus, wie ihn Politiker wie Viktor Orbán oder Matteo Salvini pflegen. Mit Clinton und Obama verband ihn herzliche Abneigung, Bush nahm er nicht so recht ernst Mit dem Slogan "Netanjahu - einen sicheren Frieden schaffen" war er 1996 angetreten und gewann. Danach handelte er zwar mit Palästinenser-Führer Yassir Arafat das Wye-Abkommen zum Truppenabzug der israelischen Streitkräfte aus dem Westjordanland aus, gleichzeitig aber hob er den Baustopp für Siedlungen auf. Mit den US-Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama verband ihn auf Gegenseitigkeit beruhende Abneigung, George W. Bush schien er nicht ernst zu nehmen. Mit Donald Trump zog dann ein Partner ganz nach seinem Geschmack ins Weiße Haus ein. Beide sind zum dritten Mal verheiratet, beide stehen für Populismus und Nationalismus, beide greifen Linke und Medien an, beide sprechen von "Hexenjagden", wenn sie sich angegriffen sehen. Netanjahu halte sich für einen unersetzlichen Politiker Diejenigen, die Netanjahu näher kennen, wie der ehemalige Journalist und jetzige Oppositionspolitiker Jair Lapid, nennen das Jahr 2015 als Wendepunkt: Netanjahu habe sich von da an zu einem Politiker entwickelt, der sich für unfehlbar und unersetzlich halte. Mit seiner ihm selten von der Seite weichenden Frau Sara habe er begonnen, den Staat als Selbstbedienungsladen zu begreifen und zusehends Anstand missen zu lassen. Wer ihm, nicht nur in der Politik, im Weg stand, wurde diffamiert. Dass ihn der Generalstaatsanwalt wegen Korruption anklagen will, empfindet Netanjahu als Zumutung angesichts dessen, was er für den Staat geleistet habe. Mit seinem Argument, es handle sich um Lappalien, ist der 69-Jährige bei Wählern augenscheinlich durchgedrungen. Viele Israelis haben sich davon überzeugen lassen, dass niemand sonst über so große Erfahrung verfüge, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Die Mehrheit ermöglichte ihm eine fünfte Amtszeit mit dem für ihn besten Likud-Ergebnis. Im Juli wird er sogar länger im Amt gewesen sein als Staatsgründer David Ben Gurion. "Er ist einfach der geschickteste Politiker, den es jemals in Israel gegeben hat", meint der Politologe Jonathan Rynhold. Für den Filmemacher Shadur hat die Bibi-Verehrung in Israel schon "monarchische Züge". Deshalb hat er seinen Film "King Bibi" genannt.
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Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnt vor den Folgen der EU-Urheberrechtsreform und erklärt, warum er dringend davon abrät, Whatsapp auf einem beruflichen Smartphone zu nutzen. SZ: Die entscheidende Abstimmung über die Reform des EU-Urheberrechts steht kurz bevor. Besonders umstritten ist Artikel 13, der zu Upload-Filtern führen könnte. Was halten Sie als Datenschützer davon? Ulrich Kelber: Wir befürchten, dass die ohnehin dominanten Plattformen noch mächtiger werden. Um den Anforderungen von Artikel 13 zu entsprechen, benötigt es Upload-Filter. Die werden aber nicht alle Anbieter entwickeln können, sondern nur einige wenige. Dann laufen noch mehr Daten durch die Hände der großen amerikanischen Internetkonzerne, die dann noch mehr über alle Nutzer erfahren. Upload-Filter halten wir deshalb für falsch und gefährlich. Geht es nur um Machtverhältnisse, oder wären Upload-Filter auch ein datenschutzrechtliches Problem, weil sie in die Privatsphäre eingreifen? Um das zu beurteilen, müssten wir die exakte technische Ausgestaltung kennen. Die liegt uns nicht vor. Wie das genau funktionieren wird, weiß vermutlich noch niemand. Klar ist aber, dass es nicht Hunderte Filter geben wird, sondern nur eine Handvoll. Kleinere Plattformen müssten die Software von den großen Unternehmen einkaufen oder lizenzieren. Diese könnten dann das Nutzerverhalten auf mehreren Plattformen überwachen. Das ist aus Sicht eines Datenschützers natürlich hochproblematisch. Ein anderes EU-Projekt hat fast genauso große Verunsicherung ausgelöst: die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Bald steht der erste Jahrestag an. Wie fällt ihr vorläufiges Fazit aus? Die DSGVO hat sich zum Exportschlager gewandelt. Sie setzt weltweit Standards, weil immer mehr Staaten ihr grundsätzliches Prinzip übernehmen wollen. Beispiele hierfür sind Japan und Kalifornien, aber auch in Asien und Lateinamerika gibt es ein großes Interesse. Damit scheint sich die Hoffnung zu realisieren, mit der DSGVO einen globalen Maßstab für den Datenschutz zu setzen. Man könnte also sagen, dass die Aufregung übertrieben war, die kurz vor dem Stichtag am 25. Mai 2018 um sich gegriffen hat? Es gab auf jeden Fall viele Übertreibungen, Falschdarstellungen und Missverständnisse. Dazu haben auch Leute beigetragen, die aus Eigeninteresse Verunsicherung geschürt haben. Manche haben sich Aufträge erhofft, andere wollten den Datenschutz insgesamt diskreditieren. Es gibt aber auch berechtigte Kritik. Das betrifft vor allem den Aufwand für Dokumentationspflichten. Da wollen und müssen wir nachbessern. Wir werden dieses Thema in den Fokus nehmen, wenn wir das Gesetz im kommenden Jahr evaluieren. Wenn wir von der Einführung der DSGVO nochmal ein knappes halbes Jahr zurückgehen, landen wir beim dritten großen digitalen Gesetzesvorhaben, dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Damals hätte man den Eindruck gewinnen können, das Ende der freien Meinungsäußerung stünde bevor. War die Sorge vor Zensur berechtigt? Eins kann man auf jeden Fall festhalten, sowohl bei DSGVO als auch beim NetzDG: Die zentralen Prophezeiungen der Gegner, also eine angeblich drohende Abmahnwelle und das sogenannte Overblocking, sind beide nicht eingetroffen. Trotzdem müssen wir solche Gesetze sorgfältig prüfen und zum Beispiel fragen: Hat das NetzDG einen Chilling-Effekt ausgelöst, sodass Menschen sich von vornherein selbst zensieren? Zweimal hat sich also herausgestellt: Die Panik war übertrieben. Könnte es sein, dass wir in einem Jahr dasselbe über die Urheberrechtsreform sagen? Werden Upload-Filter das neue NetzDG: heißer gekocht als gegessen? Ich halte die Kritik an der Urheberrechtsreform für weitaus fundierter. Um zu verhindern, dass ein mutmaßlich rechtswidriger Inhalt online gestellt wird, habe ich genau zwei Möglichkeiten: Entweder besorge ich mir die Lizenzen für alle Inhalte. Das ist theoretisch kompliziert und praktisch vermutlich völlig unmöglich, erst recht für kleinere Plattformen. Oder ich muss eben vorab filtern. Mir hat noch niemand einen anderen Weg genannt. Selbst Befürworter der Reform können das nicht leugnen. Und diese Upload-Filter sind ein ganz klarer Eingriff. Maschinen werden nicht in der Lage sein, zuverlässig zwischen legalen und rechtswidrigen Inhalten zu unterscheiden. Können Sie ein Beispiel nennen? Sie laden das Video einer Demo hoch. Im Hintergrund läuft ein urheberrechtlich geschütztes Lied. Die Software erkennt die Hintergrundmusik und blockt den Upload. Dabei geht es im Video aber gar nicht um die Musik, sondern nur darum, die Demo zu zeigen. Tatsächlich ist die Tonqualität der Musik so mies, dass niemand darauf verzichten würde, das Lied zu kaufen, nur weil er es verrauscht und von Stimmengewirr übertönt auf Youtube hören kann. Bringen Sie diese Unterscheidung mal einer Maschine bei ... Und um sicherzugehen, werden die Plattformen eher blocken als durchlassen. In Berlin warnt die Digitalisierungsbeauftragte Dorothee Bär vor strengen Datenschutzgesetzen, aus Sorge um den Fortschritt im Gesundheitswesen. Auch die Bundeskanzlerin hat mehrfach gesagt, dass Datensparsamkeit nicht die Richtschnur sein dürfe, Datenschutz könne sonst die deutsche Wirtschaft ausbremsen. Was antworten Sie als Datenschutzbeauftragter? Datensparsamkeit ist geltendes europäisches Recht. Als die Kanzlerin das 2017 gesagt hat, war das Gesetz bereits beschlossen. Das habe ich damals überhaupt nicht verstanden. Ich glaube, dass Frau Merkel einfach schlecht vorbereitet wurde. Und Dorothee Bär? Von ihr bekomme ich auf meine Gegenfrage keine Antwort, nämlich: "Welches Gesetz genau steht welchem medizinischen Fortschritt entgegen?" Die großen Projekte wie die elektronische Gesundheitskarte stocken nicht aufgrund des Datenschutzes, sondern wegen anderer Probleme. Aus gutem Grund ist die Schweigepflicht der Ärzte zusammen mit dem Beichtgeheimnis vermutlich die älteste Datenschutzregelung, die wir kennen. Das betrifft den sensibelsten Bereich, den man sich vorstellen kann.
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Wer in Berlin bald mit der neuen App "Jelbi" unterwegs ist, der wird Christof Schminke vermutlich nur am Rande wahrnehmen. Dabei stellt der Deutschland-Chef von Trafi mit seiner neuen App die Grundlage für etwas Einmaliges in Europa: Zum ersten Mal integriert eine europäische Stadt dieser Größe ein vollständiges Mobilitätsnetzwerk. Schluss soll sein mit dem Chaos von verschiedenen Apps für Bahn, Taxi und Carsharing. Die Möglichkeiten, von A nach B zu kommen, sind derzeit schier endlos. "Das ist schön, wird aber sehr schnell sehr kompliziert", sagt Schminke. Gemeinsam mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) kündigte Trafi am Montag in Berlin eine Kooperation an, deren Kernstück die App "Jelbi" ist - abgeleitet von der Berliner Aussprache von "Gelb", Markenfarbe der BVG. Im Sommer kann dann, wer will, die Apps der S-Bahn und fürs Carsharing vom Handy löschen und fortan alles über die eine App machen: Seine Route durch Berlin planen, Fahrten reservieren und sie schließlich auch bezahlen - mit einem einzigen Nutzerkonto. Es habe vorher schon Angebote gegeben, wo dann beispielsweise ein Leihrad eines anderen Anbieters in der App angezeigt wurde, aber dann habe man sich doch bei der anderen App anmelden müssen. Damit gibt sich Schminke, der auch schon bei McKinsey und Zalando gearbeitet hat, nicht einfach so zufrieden. "Der Anspruch ist, dass ich mich aus dieser App nicht mehr herausbewegen muss", sagt Schminke. Das heißt, wer eine Verbindung sucht, bekommt eine übersichtliche Liste von Preisen und Fahrtzeiten für die verschiedenen Möglichkeiten. Also zum Beispiel für die S-Bahn, Leihfahrrad oder Taxi. Später soll dann sogar noch mehr Vernetzung möglich sein. Dann soll der Routing-Algorithmus auch Kombinationen von verschiedenen Angeboten hinbekommen können. Und während zunächst noch jede Fahrt einzeln abgerechnet werden wird, gibt es auch die Überlegung eines Flatrate-Modells - also ein Abo für alle Anbieter gleichzeitig. Trafi und die BVG machen klar, dass sie während der Zusammenarbeit dazulernen und die Mobilitätsplattform weiterentwickeln wollen. 25 Partner hat die BVG an Land gezogen hat. Davon werden im Sommer, wenn die App startet, aber wohl zunächst nur etwa sechs verfügbar sein, vermutet Schminke. Der Start in der Bundeshauptstadt ist ein großer Schritt für Trafi: Es handele sich um eine Stadt mit einer sehr komplexen Mobilitätsstruktur, was sie für das Unternehmen aus Vilnius in Litauen sehr interessant mache sagte Schminke. Aus den Daten, die sie so gewinnen, wollen sowohl Trafi als auch die BVG lernen. Die BVG wisse fast nichts darüber, wie beispielsweise Abokunden ihre Karte nutzen, sagt BVG-Digitalvorstand Henrik Haenecke. Trafi wiederum plant, das Nutzerverhalten anonymisiert auszuwerten und Muster zu erkennen, um den Service zu verbessern. Dazu sollen die Nutzer auch selbst Routenvorschläge bewerten können. Wer gar nicht möchte, dass bestimmte Partnerunternehmen seine Daten bekommen, brauche sich keine Sorgen zu machen, sagt Schminke: "Der Kunde entscheidet selber, mit wem er seine Daten teilen möchte." Und wer überhaupt nicht möchte, für den werden weiterhin die regulären Apps der einzelnen Anbieter zur Verfügung stehen. Für die BVG und andere Mobilitätsunternehmen bedeutet die Plattform natürlich auch mehr Konkurrenz. Schminke jedoch glaubt dass es gut für die Anbieter ist, dass sie sie sich Kunden teilen - wenn also etwa jemand so auf die Idee kommt, ein Leihrad zu benutzen. Das Wasser abgraben will Trafi jedenfalls nur einem. "Jelbi" soll eine "Alternative zum eigenen Auto werden", sagt Schminke.
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Michelin-Sterne sind keine Fleißsternchen, sondern eine Auszeichnung. Der Guide Michelin kürt hochtalentierte Kreateure neuer Genüsse, Künstler eigentlich. Gerade deshalb ist es wichtig, dass seine Redaktion im Blick hat, dass die Sterne bislang vor allem an Männer gehen - und das ändern will. Der Guide rouge führt bisher 300 Sterne-Restaurants in Deutschland auf, acht davon von Frauen geführt. 2,7 Prozent. In den Abschlussjahrgängen renommierter Kochschulen und in vielen Küchen stellen die Frauen jedoch bereits die Mehrheit. Warum sie es trotzdem nicht bis ganz nach oben schaffen? Vielleicht, weil noch der Geist von Ikonen wie Paul Bocuse herrscht, von dem der Satz überliefert ist, Frauen gehörten ins Schlafzimmer, nicht in die Profiküche. Bocuse setzte auf männliche Netzwerke, seine bande à Bocuse. Gelernt hatte er bei einer Frau. In der Gastronomie ist es wie anderswo: Es setzt sich durch, wer vollen Einsatz bringt - und gute Kontakte hat. Spitzenköche sind, subtrahiert man den Geniekult, Führungskräfte. Um auf solche Posten zu kommen, brauchen Frauen Chancengleichheit: eigene Netzwerke, weibliche Vorbilder, gerne mit Sternen behängt, und Freiräume, um ihren Weg in einem von Männern dominierten System zu finden. Die Zeit ist günstig, jetzt wo die Generation Bocuse abtritt
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Gleich, nachdem Prinz Harry den vollen Namen seines neugeborenen Sohnes - Archie Harrison Mountbatten-Windsor - bekannt gegeben hatte, gingen auf Twitter die Spekulationen los: Archie? Wirklich? Einfach Archie? Oder ist das vielleicht doch eine Kurzform des altehrwürdigen "Archibald"? Nein, das Kind heißt Archie, was auch aus der offiziellen Ankündigung auf der Website royal.uk unzweideutig hervorgeht. Nachdem das klar war, gratulierte ein Namensvetter, der britische Journalist Archie Bland, dem Neugeborenen ausdrücklich dazu, dass es nicht "Archibald" geworden ist: "Dann hätte nämlich die Gefahr bestanden, dass man dir den Spitznamen 'Baldy' (zu Deutsch: Glatzköpfchen) verpasst hätte", schreibt Bland im Guardian. Tatsächlich wäre das angesichts der Anlage männlicher Windsors zum Haarausfall grausam gewesen. Die britischen Buchmacher hatten auf Albert oder Arthur gesetzt, und damit komplett danebengelegen. Dabei ist Archie keineswegs ein seltener Name in Großbritannien. Seit der Jahrtausendwende ist seine Beliebtheit kontinuierlich gestiegen. Laut dem Office for National Statistics schaffte er es 2017 in England und Wales auf Platz 18 der beliebtesten Jungennamen (der zweite Name von Baby Sussex, Harrison, lag auf Rang 34). In der britischen Oberschicht sind alberne Spitznamen normal - aus Albert wird "Bertie", aus Felicity "Fizzy" und aus Archibald eben "Archie". Die Kurzform gleich als Taufnamen zu wählen, ist allerdings ein klarer Bruch mit der Tradition. Häufige Namen für Mitglieder des Königshauses sind Henry, George, Edward oder William. Selbst der glücklich vermiedene, staubige Archibald taucht nirgends in der Liste englischer Monarchen auf. Er findet sich stattdessen vor allem in den Genealogien schottischer Adelsgeschlechter, der Campbells oder der Douglas. Detailansicht öffnen Die britische Königsfamilie mit ihrem neuesten Mitglied Archie. (Foto: AFP) Einen gewissen Familienbezug scheint es auch zu geben Während "Harrison" noch relativ leicht und einfach als "Harrys Sohn" herzuleiten ist, bleibt die Frage: Warum ausgerechnet Archie? Eine mögliche Inspiration, auf die diverse Kommentatoren verweisen, ist die amerikanische Comicfigur Archie Andrews. Der Teenager erlebt schon seit 1941 mittelmäßig interessante Abenteuer in der fiktiven Kleinstadt Riverdale. Dafür spricht, dass Archie Windsors Mutter Meghan Amerikanerin ist, und dass der Comic-Archie rotes Haar hat, genau wie Daddy Harry. Die britische Historikerin Kate Williams hat andere mögliche Archie-Vorbilder ins Spiel gebracht: Den südafrikanischen Anthropologen, Autor und Cambridge-Dozenten Archie Mafeje sowie zwei amerikanische Musiker, den Rhythm-and-Blues-Sänger Archie Lee Bell und den Saxofonisten Archie Shepp. Dafür spräche, dass es sich dabei um bedeutende Persönlichkeiten schwarzer Hautfarbe handelt, womit eine Verbindung zu den afroamerikanischen Wurzeln Markles hergestellt wäre. Einen weiteren Archie, den von John Cleese dargestellten, verklemmten Anwalt Archie Leach aus dem Film "Ein Fisch namens Wanda" kann man als Referenz mit ziemlicher Sicherheit ausschließen. Einen gewissen Familienbezug scheint es auch zu geben: Das Klatschblatt Hello und die Sun berichten, eine Frau, die im Januar in einem Park ihren Hund spazieren führte, sei Prinz George über den Weg gelaufen. Der Erstgeborene von Harrys Bruder William ging dort unter Polizeischutz spazieren. Der Fünfjährige habe ihren Hund gestreichelt und sie habe ein bisschen Small Talk gemacht. "Ich fragte ihn, wie er heißt, obwohl ich das natürlich wusste", so die Hundehalterin. "Zu meiner Überraschung sagte er: 'Ich heiße Archie'." Es ist nicht bekannt, ob Prinz George einen Witz machte, oder ob er familienintern wirklich Archie genannt wird. Auf jeden Fall existiert jetzt auch offiziell ein Archie Windsor. Einen König Archie wird es aber wohl nicht geben, denn der Neugeborene ist nur siebter in der Thronfolge.
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Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt. Im vergangenen November war hier eine Razzia - wegen der Panama Papers. Die Deutsche Bank ist tief in Deutschlands größten Steuerskandal verstrickt. Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR war das Geldinstitut früh darüber im Bilde gewesen, dass andere Institute und Finanzfirmen den Fiskus mit dubiosen Aktiengeschäften jahrelang systematisch ausnahmen. Das geht aus internen Mails der Deutschen Bank vom März 2007 hervor. Die Bank sah aber nach derzeitigen Erkenntnissen davon ab, die Bundesregierung zu warnen. Vielmehr entschied sich das Geldinstitut, bei solchen Geschäften als Dienstleister zu agieren, um daran zu verdienen. Es geht um den Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende. Banken und Börsenfonds hatten eine Gesetzeslücke genutzt, um sich eine nur einmal gezahlte Steuer auf die Dividendenerlöse mehrmals erstatten zu lassen. Der Staat soll auf diese Weise um insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro betrogen worden sein. Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln gegen Bank-Manager und Börsenhändler, darunter zwei Ex-Beschäftigte der Deutschen Bank. Im Zusammenhang mit Cum-Ex hat die Bank Ende 2018 vier Millionen Euro Bußgeld zahlen müssen. Die Bundesregierung hatte Anfang 2007 versucht, eine Gesetzeslücke bei diesen Geschäften zu schließen. Sofern der Aktienhandel über das Ausland abgewickelt wurde, war es aber weiter möglich, den Fiskus auszunehmen. Interne Mails der Deutschen Bank vom 19. und 26. März 2007 belegen, dass diese Auslandslücke in der Steuerabteilung frühzeitig gesehen wurde. In einer der Mails hieß es, bestimmte Geschäfte würden wahrscheinlich dazu führen, dass von den Finanzbehörden eine Erstattung von Steuern verlangt werde, die niemals gezahlt worden waren. Steuerrechtler der Bank erkannten den Mails zufolge, dass "zahlreiche Personen" (gemeint waren wohl Akteure aus der Finanzbranche) so agieren dürften und dass es um "erhebliche Beträge" gehe. Die Bank hatte damals offenbar keine Bedenken gegen solche Praktiken. Das Institut unterstützte Firmen, die fragwürdige Cum-Ex-Deals machten, mit Krediten und Aktienpaketen. Intern berief sich die Bank auf das Gutachten einer Anwaltskanzlei, wonach Aktienkäufer im Ausland berechtigt seien, Steuergutschriften auch für gar nicht gezahlte Steuern in Anspruch zu nehmen. Erst zwei Jahre später, im März 2009, gingen im Bundesfinanzministerium von anderer Seite konkrete Hinweise auf Schäden in Milliardenhöhe durch Cum-Ex-Geschäfte ein. In der Zwischenzeit hatte die Deutsche Bank wegen der damaligen Finanzkrise häufig mit der Regierung zu tun gehabt. Der Staat bewahrte etliche Institute mit Beträgen in Milliardenhöhe vor der Pleite. Die Deutsche Bank nutzte nach derzeitiger Erkenntnis aber keinen ihrer Kontakte mit der Regierung, um diese vor den gleichzeitig laufenden Aktiendeals zulasten des Staates zu warnen. Die Auslandslücke wurde erst später geschlossen. Die Deutsche Bank erklärte, sie sei als Dienstleister in "Cum-Ex-Geschäfte von Kunden eingebunden" gewesen. Man unterstütze die Behörden bei der Aufklärung solcher Geschäfte.
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Wenn der chinesische Konzern die Mobilfunknetze in Deutschland aufbaut, werde man weniger mit dem deutschen Geheimdienst zusammenarbeiten, schreibt US-Botschafter Grenell in einem Brief. Das Netz sei dann zu unsicher. Im Streit mit den USA um die Beteiligung des chinesischen Technologiekonzerns Huawei am geplanten Ausbau des modernen 5-G-Mobilfunknetzes in Deutschland verschärft sich der Ton. Die US-Regierung warnte Berlin noch einmal eindringlich davor, Huawei mit dem Ausbau zu beauftragen. Erstmals kündigte die Trump-Regierung zugleich drastische Konsequenzen an. Sollten die Chinesen zum Zuge kommen, müssten die USA den Austausch von Informationen, insbesondere der Geheimdienste, deutlich einschränken. Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, teilte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in einem Brief vom Freitag mit, den USA wäre es dann nicht mehr möglich, das bisherige Niveau des Austausches aufrecht zu erhalten. Konkret bedeutet das, dass auch Sicherheits- und Terrorwarnungen möglicherweise nicht mehr weiter gegeben werden könnten. Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigte am Montag den Eingang des Schreibens. Altmaier werde es prüfen und "zeitnah" beantworten. Ein Sprecher von Botschafter Grenell wollte den Inhalt der "diplomatischen Mitteilung" nicht kommentieren. Das sei unter Diplomaten nicht üblich, sagte er. Der Sprecher bestätigte, dass die USA vertrauliche Informationen nur in sichere Netze liefern würden. Ohne Huawei direkt zu nennen, ließ er durchblicken, dass die Chinesen nach Ansicht der USA nicht zu diesen Anbietern zählen. "Die Position der USA zur Netzwerksicherheit sei allgemein bekannt", sagte Grenells Sprecher. In dem Maße, in dem sich nicht vertrauenswürdige Anbieter in den Netzwerken eines Verbündeten befinden, "könnten Zweifel über die Integrität und Vertraulichkeit sensibler Kommunikation innerhalb dieses Landes sowie zwischen diesem Land und seinen Verbündeten aufkommen". Dies könnte künftig die schnelle Zusammenarbeit und den Informationsaustausch gefährden. "Wir arbeiten intensiv mit unseren Verbündeten zusammen, um die Telekommunikationsnetze sicher und kompatibel zu halten", hieß es weiter. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, in Deutschland zügig das moderne 5-G-Mobilfunknetz auszubauen. Dazu werden geeignete Anbieter gesucht. Huawei ist einer der weltweit größten Technologieanbieter. Die USA warnen ihre Verbündeten allerdings seit Monaten davor, mit den Chinesen zusammen zu arbeiten. In Berlin hieß es bisher dazu, man habe keine Beweise, dass der chinesische Konzern die Technologie nutzen könnte, um zu spionieren. Es gebe also keinen Grund, Huawei generell von dem Anbieterverfahren auszuschließen. Grenell schreibt in seinem Brief, dass die Sicherheit der geheimdienstlichen Zusammenarbeit für die westlichen Verbündeten einschließlich der Nato-Partner essenziell sei. Damit verweist er auch auf die Forderungen von US-Präsident Donald Trump, dass Nato-Verbündete nicht enge Zusammenarbeit mit Russland oder China pflegen können und sich zugleich auf die Beistandsverpflichtung in der Nato verlassen können.
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Die U-Bahnen in Tokio sind am Morgen heillos überfüllt. Jetzt haben die Betreiber eine Idee, wie sich das ändern soll. Um die Überfüllung der U-Bahn in Tokio während des morgendlichen Berufsverkehrs abzumildern, setzt die Betreibergesellschaft auf den Appetit der Pendler: Sollten in den kommenden zwei Wochen mindestens 2000 Pendler überzeugt werden, morgens früher in die chronisch überfüllte Tozai-Linie einzusteigen, werden sie mit kostenlosem Tempura, einer frittierten Speise, belohnt. Sollten es 2500 Pendler früher in die Bahn schaffen, gibt es eine Schüssel kostenlose Soba-Nudeln. Sollten sogar 3000 Pendler morgens früher los, erhalten sie beides - Tempura und Soba für ihre Anstrengung. "Wir hoffen, dass das die Leute ermutigt, dabei zu helfen, dass sich die Lage im Berufsverkehr entspannt", sagte U-Bahn-Sprecher Takeshi Yamashita der Nachrichtenagentur AFP. Gleichzeitig hat die Regierung der Metropolregion Tokio ihre eigene Initiative zur Entlastung der U-Bahn ins Leben gerufen: Knapp tausend Unternehmen beteiligen sich an der Kampagne, die es ihren Mitarbeitern erlaubt, morgens früher zur Arbeit zu kommen und dafür früher zu gehen oder von zu Hause zu arbeiten. Die U-Bahn-Betreiber versuchen seit Langem, mit verschiedenen Initiativen die Überfüllung der Tozai-Linie in der größten Metropolregion der Welt abzumildern. Zwischen 7.50 und 8.50 Uhr morgens nutzen mehr als 76 000 Passagiere diese Linie, doppelt so viel wie für die Bahn ursprünglich vorgesehen. Die Auslastung liegt bei 199 Prozent. Pendler stehen so eng beieinander, dass sie sich praktisch nicht bewegen können.
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Eine gut ausgebildete Brieftaube wie diese brachte bei Auktionen bisher schon mal mehrere Hunderttausend Euro ein. Armando hat die Dimensionen gesprengt. Joel Verschoot züchtet Brieftauben, seit er ein Kind ist. Nun hat der 63-jährige Belgier ein besonderes Exemplar verkauft: "Armando" brachte mehr ein als je eine Brieftaube vor ihm und soll künftig dem chinesischen Markt auf die Sprünge helfen. Die einen hassen und verspotten sie als "Ratten der Lüfte", andere sehen in ihnen Boten des Friedens und wieder andere schätzen sie seit Jahrtausenden als zuverlässige Überbringer von Geheimnissen: Tauben. Sie sind auch jene Vögel, von denen man nie Küken zu sehen glaubt. Bei Joel Verschoot, 63, ist das anders - der Belgier züchtet Brieftauben. Und sorgt für Schlagzeilen: Anfang der Woche gab das auf Brieftaubenzucht spezialisierte Portal "Pigeon Paradise" (Pipa) bekannt, dass Armando, eine Brieftaube aus Verschoots Zucht, bei einer Auktion den höchsten je gebotenen Preis erzielte - 1,25 Millionen Euro. Armando ist aber nicht so wertvoll, weil er sich als Nachrichtenübermittler bewährt hat - als solche dienten Brieftauben früher einmal, heute werden sie vor allem zum Sport gezüchtet, ähnlich dem Pferde- und Hundesport. Joel Verschoots belgische Heimat gilt dabei als Mutterland des Brieftaubensportes. SZ: Herr Verschoot, kennen Sie Lewis Hamilton? Joel Verschoot: Den Formel-1-Fahrer? Genau. In deutschen Medien war zu lesen, Sie hätten den "Lewis Hamilton der Tauben" großgezogen. Mein Armando? Pardon, diesen Vergleich habe ich noch nie gehört. Dann könnte man übrigens auch Hamilton den "Armando der Formel 1" nennen, weil er über die Rennstrecken fliegt wie die schnellste Taube Belgiens durch die Luft. Erzählen Sie uns ein bisschen von ihrem Rekord-Vogel, was macht ihn so besonders und teuer? Armando ist nicht nur schnell, er ist auch sehr schlau. Er ist ein total verlässliches Tier und hat diverse Wettbewerbe über die Lang- und die Kurzdistanz gewonnen, das macht ihn so wertvoll. 2018 war er der erfolgreichste Vogel Belgiens. Seit ich Tauben züchte, ist er die beste Taube, die ich je gesehen habe. Und Sie haben eine Menge Tauben gesehen? Oh ja. Ich habe damals als Kind angefangen, meinem Vater in seiner Zucht zu helfen. Als er starb, habe ich sie übernommen. Ich verbringe schon mein ganzes Leben mit Tauben. Gerade habe ich etwa 300 Stück hier. Detailansicht öffnen Joël Verschoot, belgischer Taubenzüchter, mit Rekordtaube Armando. (Foto: privat) Es heißt, sie können sie alle unterscheiden und beim Namen nennen. Selbstverständlich. Ich trainiere zwei Mal pro Tag mit ihnen, da lernt man sie schon ziemlich gut kennen. Außerdem ist das etwas, was einen guten Züchter ausmacht: Je mehr Zeit man mit den Tieren verbringt, je mehr man sich um sie kümmert, umso besser entwickeln sie sich. Dazu kommt ausgewogene Ernährung. Ich mache da zwar nichts Außergewöhnliches, sondern kaufe ganz normales Futter im Supermarkt, ich achte aber darauf, dass die Tauben zum Beispiel vor Langstrecken-Wettkämpfen fettreicher fressen, weil sie dann ausdauernder sind. Armando mag übrigens besonders gern Mais. Hatten Sie schon öfter Verkäufe in dieser Dimension? Der Preis für Armando schlägt alles bisher Dagewesene. Bislang lag der Rekordpreis ja bei einem Drittel von dem, was nun für Armando bezahlt wird. Ich hatte schon Tauben, die für 200 000 Euro über den Tisch gingen, für Armando hatte ich schon sehr optimistisch auf 500 000 Euro gehofft - dass es dann 1,25 Millionen geworden sind, hat uns natürlich enorm überrascht. Detailansicht öffnen 1,25 Millionen Euro wert: Die Rekord-Brieftaube "Armando". (Foto: OH) Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen? Sie kam am Sonntag. Ich habe meine vier Söhne angerufen, sie kamen sofort her und wir haben ein bisschen gefeiert. Um fünf Uhr morgens bin ich ins Bett. Wissen Sie schon, was Sie mit dem vielen Geld anfangen werden? Noch haben wir es ja nicht bekommen. Armando ist noch bei uns, ich denke, er wird bis Ende der Woche abgeholt und nach China gebracht, die Rechnung sollte dann innerhalb der kommenden drei Wochen bezahlt werden. Was wir dann damit anstellen - noch keine Ahnung, ganz ehrlich. Nur so viel steht fest: Ich bleibe mit beiden Beinen auf dem Boden. Das gleiche gilt im Großen und Ganzen auch für Armando, er soll in China keine Wettkämpfe mehr fliegen, sondern nur noch Nachkommen züchten. Genau, er hat jetzt ein ziemlich angenehmes, neues Leben vor sich. Ist das nicht eine ungehörige Verschwendung für so ein Talent? Wer sagt, dass er in der Zucht nicht vielleicht auch begabt ist? Armando ist jetzt fünf Jahre alt, sein neuer Besitzer kann ihn gut und gerne noch zehn Jahre nutzen. Macht er das anständig, kann sich seine Investition lohnen.
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Donald Trump besucht die Grenze zu Mexiko. Und das, kurz nachdem er dem Nachbarstaat gedroht hat, genau diese Grenze zu schließen. Würde er sich damit nicht nur selbst schaden? Donald Trump besucht am Freitag Calexico, eine Grenzstadt zwischen Kalifornien und Mexiko. Er will sich einen Bauabschnitt der Grenzmauer ansehen und voraussichtlich über den nationalen Notstand sprechen, den er selbst für die Grenzregion ausgerufen hat. Die vergangene Woche war dabei von Drohungen des US-Präsidenten gezeichnet: Er werde die Grenze zu Mexiko schließen, wenn dort noch mehr Migranten aus Zentralamerika ankommen, oder er werde Strafzölle auf mexikanische Autos verhängen. Ist das sinnvoll? Darüber spricht der SZ-Korrespondent Hubert Wetzel in dieser Folge. Er hat vor kurzem in der Grenzregion zwischen USA und Mexiko recherchiert. Alles, was die mexikanische Wirtschaft schwächen würde, wäre auch für die USA noch schlechter, sagt er. Weitere Themen: Brexit-Verschiebung, Ermittlungen gegen deutsche Autokonzerne, Deutsche Energiepolitik. So können Sie unseren Nachrichtenpodcast abonnieren "Auf den Punkt" ist der Nachrichtenpodcast der SZ mit den wichtigsten Themen des Tages. Der Podcast erscheint von Montag bis Freitag immer um 17 Uhr. Sie finden alle Folgen auf sz.de/nachrichtenpodcast. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: iTunes Spotify Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Wie Sie unsere Podcasts hören können, erklären wir in diesem Text. Alle unsere Podcasts finden Sie unter: www.sz.de/podcast. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns: [email protected].
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Vielen Hartz-IV-Empfängern fällt es schwer, die Stromrechnung zu bezahlen - vor allem, wenn der Strom teurer wird. Mehr als 340 000-mal im Jahr wird Stromkunden der Strom abgestellt - weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlt haben. Im Jahr 2017 waren es einer Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage nach exakt 343 865 Fälle, im Durchschnitt lag der Zahlungsrückstand 2017 bei Zahlungsrückstand im Fall einer Sperrandrohung bei 117 Euro. Die Grünen im Bundestag wollen das ändern. Der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Sven Lehmann, hat ein Konzept ausgearbeitet, wie Stromsperren verhindert werden sollen; einen entsprechenden Antrag wollen er und seine Fraktion in den Bundestag einbringen. Energiearmut sei ein zunehmendes Problem in Deutschland, heißt es in dem Antrag, der der SZ vorliegt. Die Folgen seien für die Betroffenen eklatant; vom Heizen über das Kochen bis zu Hausaufgaben im Dunkeln und Lebensmitteln, die nicht mehr im Kühlschrank gelagert werden könnten. Hinzu kämen die Kosten für Mahnungen, Sperrung und Entsperrung. Besonders betroffen: Hartz-IV-Empfänger. "Etwa die Hälfte der Stromsperren entfallen auf Menschen in der Grundsicherung", sagt Lehmann. "Seit der Einführung von Hartz IV sind die Stromkosten stärker gestiegen als der Stromkostenanteil im Regelsatz." Nach Ansicht der Grünen sind die Stromkosten von den gegenwärtigen Hartz-IV-Sätzen nicht ausreichend abgedeckt. In ihrem Antrag fordern sie deshalb eine Stromkostenpauschale - zusätzlich zum geltenden Hartz-IV-Satz und mit jährlicher Anpassung an die Entwicklung der Strompreise. Dazu kommen soll im Fall von Energieschulden ein "frühzeitiges Hilfesystem" zwischen Energieversorgern und dem Sozialamt oder Jobcenter. Auch verlängerte Mahn- und Sperrfristen schlagen die Grünen vor, genau wie eine Deckelung der bislang je nach Energieversorger unterschiedlich hohen Mahn- und Folgekosten bei einer Stromsperre - und deutschlandweite Energieberatungen zum Stromsparen, gerade für ärmere Haushalte. Vornehmlich ärmere Haushalte hätten nicht genügend Geld, etwa Haushaltsgeräte gegen solche auszutauschen, die weniger Strom verbrauchen. Deshalb müsse ihnen bei solchen Anschaffungen geholfen werden. "Stromsperren können verhindert werden", sagt Lehmann, bei Grundsicherungsempfängern etwa dadurch, dass die Stromkosten vom Jobcenter direkt an den Stromerzeuger gezahlt würden. Die Bundesregierung, kritisiert der Abgeordnete, rede das Problem der Energiearmut in Deutschland klein. "Sie weigert sich sogar, den Vorschlag der EU umzusetzen und Energiearmut jährlich zu messen." Notwendig sei ein nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Energiearmut.
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Die Quote wirkt - aber nur dort, wo sie gilt. So lässt sich zusammenfassen, was sich hierzulande im vergangenen Jahr getan hat in Sachen Frauen in Führungspositionen. In den 100 umsatzstärksten deutschen Unternehmen ist der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten um gut drei Prozentpunkte auf 28,4 Prozent gestiegen; in den 200 größten Unternehmen waren es knapp 27 Prozent und ein Plus von 2,3 Prozentpunkten. Das Managerinnen-Barometer wird regelmäßig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erhoben. Am Mittwoch wurde es in Berlin vorgestellt. Die Finanzbranche hat das DIW separat betrachtet: Der Frauenanteil in den Vorständen der 100 größten Banken in Deutschland stagnierte 2018 bei knapp neun Prozent. In den 60 größten Versicherungen nahm er um gut einen Prozentpunkt auf fast zehn Prozent zu. Der Frauenanteil in den Kontrollgremien lag im Jahr 2018 bei jeweils rund 23 Prozent. Seit 2016 müssen börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen, in denen also Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen in den Kontrollgremien vertreten sind, mindestens 30 Prozent Frauen in ihren Aufsichtsräten sitzen haben. Dass das gelungen ist, zeigt sich in den insgesamt 104 Unternehmen, die Ende 2018 unter diese Quote fielen. Dort lag der Frauenanteil in den Aufsichtsräten am Jahresende bei knapp 33 Prozent, knapp drei Prozentpunkte höher als im Vorjahr. Die Dax-30-Konzerne kamen ebenfalls auf einen Frauenanteil von einem Drittel. Allerdings hatten sie diesen Anteil schon im Vorjahr erreicht. Die DIW-Forscherinnen Elke Holst und Katharina Wrohlich ziehen daraus, dass sich dort nichts geändert hat, den Schluss, dass "offenbar viele Unternehmen ihre Bemühungen, Frauen für die Aufsichtsgremien zu gewinnen, nach Erreichen des gesetzlich vorgegebenen Frauenanteils in Aufsichtsräten wieder zurückfahren oder gar ganz einstellen". Zudem führen die aktuellen Zahlen noch zu einer weiteren, eher ernüchternden Erkenntnis: Die Frauenquote für die Aufsichtsräte hat offenbar keine besondere Durchschlagskraft auf die Vorstände. Dort gilt keine Quote; die Hoffnung war, mehr Frauen in den Aufsichtsräten würden dazu führen, dass Frauen auch der Aufstieg in die Vorstände leichter fällt. Dem DIW-Bericht zufolge zeigten Studien, dass es in Norwegen oder Australien durchaus Hinweise auf solche "Spillover"-Effekte gebe. In Deutschland ist das aber bislang nicht eingetreten. Zumindest kurzfristig sei nicht davon auszugehen, "dass ein höherer Frauenanteil in Aufsichtsräten automatisch zu einem höheren Frauenanteil auch in Vorständen führt", heißt es in der Studie. Das allerdings könnte jenen Auftrieb geben, die auch für die Vorstände von Unternehmen eine Frauenquote fordern. In den Vorständen der Firmen, die unter die Aufsichtsratsquote fallen, saßen auch im vergangenen Jahr nur 8,5 Prozent Frauen. Und: Es ging kaum voran, denn verglichen mit den 7,9 Prozent des Vorjahres war das nur eine minimale Verbesserung. Insgesamt sitzt nur in jedem dritten dieser Unternehmen überhaupt eine Frau im Vorstand - und den Vorsitz hat nur in zwei Unternehmen eine Frau inne. In der Gruppe der größten 100 Unternehmen hingegen hat der Frauenanteil in den Vorständen erstmals die Zehn-Prozent-Marke erreicht. Allerdings sind auch dort fast 60 Prozent der Vorstände eine frauenfrei. Und der Zuwachs fiel auch in dieser Gruppe mit knapp eineinhalb Prozentpunkten nicht gerade rasant aus. Interessant ist noch ein weiterer Aspekt: Die Politik selbst geht nicht wirklich mit gutem Beispiel voran, was Frauen in Spitzenpositionen angeht. Auch in den 60 Beteiligungsunternehmen des Bundes sitzt nur in jedem dritten eine Frau im Vorstand, und der Frauenanteil in den Vorständen ist im vergangenen Jahr sogar gesunken; um rund vier Prozentpunkte auf 14 Prozent. Das sei "eine Zäsur", schreiben die DIW-Forscherinnen. Zuvor war der Frauenanteil von 2010 bis 2017 kontinuierlich von fast sieben auf knapp 18 Prozent gestiegen.
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Neuwagen stehen auf einem Verladeplatz nahe Michendorf. Die Autokonzerne BMW, Daimler und VW haben nach Erkenntnissen der EU-Wettbewerbshüter illegale Absprachen zu Technologien der Abgasreinigung getroffen. Die Autokonzerne BMW, Daimler und VW haben nach Erkenntnissen der EU-Wettbewerbshüter illegale Absprachen zu Technologien der Abgasreinigung getroffen. Dies teilte die EU-Kommission am Freitag in Brüssel auf Basis eines vorläufigen Ergebnisses der Ermittlungen mit. Die Konzerne können sich noch verteidigen und die Vorwürfe potenziell ausräumen, so die EU-Kommission. Ihnen droht eine Strafe in Milliardenhöhe. Die EU-Kommission untersucht den Fall seit 2017. Im Einzelnen sollen sich die Autobauer bei der Einführung von SCR-Katalysatoren für Dieselmotoren und von Feinstaub-Partikelfiltern für Benzinmotoren (OPF) unerlaubterweise abgesprochen haben. Diese Absprachen seien bei Treffen der Automobilhersteller in den sogenannten 5er-Kreisen getroffen worden. Die Unternehmen hätten den Innovationswettbewerb in Europa bei diesen beiden Abgasreinigungssystemen eingeschränkt und den Verbrauchern somit die Möglichkeit verwehrt, umweltfreundlichere Fahrzeuge zu kaufen - obwohl sie über die entsprechende Technologie verfügten, teilten die Wettbewerbshüter mit. Sollte sich der Verdacht endgültig bestätigen, wäre es ein Verstoß gegen europäisches Kartellrecht - auch wenn es sich nicht um Preisabsprachen handelt. Das habe nichts mit dem Abgasskandal zu tun, hieß es weiter. Die Ermittlungen seien zudem unabhängig von laufenden Untersuchungen etwa von Staatsanwaltschaften zur Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen der Autohersteller. BMW bestreitet die Vorwürfe Sowohl Daimler als auch Volkswagen hatten nach Bekanntwerden der Vorwürfe im vergangenen Jahr den Antrag auf Kronzeugenregelung gestellt. Der Kronzeuge in Kartellverfahren kann auf den größten Straferlass oder gar Straffreiheit hoffen. Die Autokonzerne regieren ganz unterschiedlich auf das vorläufige Urteil der EU-Kommission. BMW bestreitet die Vorwürfe: Es habe keine Preis- oder Gebietsabsprachen zu Lasten von Kunden oder Lieferanten gegeben, erklärte das Unternehmen. Der Autohersteller kritisierte das Vorgehen der Kommission: "Die BMW Group sieht in diesem Verfahren den Versuch, die zulässige Abstimmung von Industriepositionen zu regulatorischen Rahmenbedingungen mit unerlaubten Kartellabsprachen gleichzusetzen", hieß es in der Stellungnahme. Laut BMW ging es bei den Gesprächen mit Daimler und VW im Kern um die Verbesserung von Technologien zur Abgasnachbehandlung. Auf BMW könnte auch der größte Anteil einer solchen Kartellstrafe lasten, eben weil die Münchner nicht als Kronzeugen angetreten waren und auch nicht antreten wollen. Daimler rechnet nicht mit Bußgeld Deswegen geht Daimler davon aus, kein Bußgeld zahlen zu müssen: "Daimler hat frühzeitig und umfassend mit der Europäischen Kommission als Kronzeuge kooperiert und erwartet in dieser Sache deshalb kein Bußgeld", teilte der Autobauer mit. VW hat angekündigt, eine Beschwerde zu prüfen. Nach VW-Einschätzung erkennt die Kommission "grundsätzlich an, dass Kooperationen zwischen Herstellern zu technischen Fragen in der Automobilindustrie weltweit üblich sind".
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"Im Moment fällt es unheimlich schwer, die angemessenen Worte zu finden": Die deutschen Rudersportler trauern um Maximilian Reinelt, der beim Skilanglaufen in der Schweiz zusammenbrach. Die deutschen Rudersportler trauern um Maximilian Reinelt: Der Olympiasieger ist am Wochenende beim Skilanglaufen in St. Moritz im Alter von 30 Jahren verstorben. Unter Berufung auf die Kantonspolizei Graubünden berichtete die Schweizer Zeitung Blick, Reinelt sei in der Loipe zusammengebrochen und von Ersthelfern am Unglücksort nicht mehr zu retten gewesen. "Im Moment fällt es unheimlich schwer, die angemessenen Worte zu finden", hieß es in der Mitteilung des Deutschland-Achters, der vor allem den Menschen Reinelt würdigte: "Er war in erster Linie ein Freund, jemand auf den wir uns nicht nur im Training und Wettkampf, sondern im gesamten Leben verlassen konnten." Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruderverbandes, war ebenfalls bestürzt: "Sein viel zu früher Tod macht mich unendlich traurig. Jeder, der ihn kennenlernen durfte, war eingenommen von seiner freundlichen Art." Der in Ulm geborene Reinelt gehörte zwischen 2010 und 2016 zur Besatzung des Deutschland-Achters. In dieser Zeit wurde er zweimal Welt- (2010 und 2011) und fünfmal Europameister (2010, 2013 bis 2016), zudem dreimal WM-Zweiter (2013 bis 2015). Höhepunkt seiner Karriere war zweifellos der Olympiasieg in London 2012. Dabei saß der 1,94 Meter große Athlet im sogenannten Maschinenraum, an der Nahtstelle zwischen vorderer und hinterer Bootshälfte - er war also im Wortsinn Mittelpunkt der Mannschaft. Vier Jahre später in Rio holte er noch Silber. Parallel zur Sport-Karriere hatte Reinelt Medizin studiert. Nächste Woche wollte er die U23-Auswahl als Teamarzt ins Trainingslager nach Spanien begleiten. Seine früheren Bootskollegen schrieben: "Dass er nicht mehr Teil unserer Gemeinschaft sein kann, übersteigt unsere Vorstellungskraft."
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Als sie vor die Kameras tritt, ist die Ministerin gefasst, beinahe gelassen."Das Amt darf nicht beschädigt werden", sagt sie, und dass heute der richtige Tag sei, "aus dem Ministeramt zu gehen". Neben ihr steht eine sichtlich bekümmerte Kanzlerin. Dass sie überhaupt da steht, dass die Ministerin diesen Gang nicht alleine gehen muss, wäre Ausrufezeichen genug. Doch Angela Merkel will ihr Unwohlsein noch einmal ausdrücklich vorbringen. Nur "sehr schweren Herzens", sagt sie nicht ein-, sondern zweimal, habe sie diesen Rücktritt angenommen. Gut sechs Jahre ist das jetzt her, dass die Kanzlerin den Abgang von Annette Schavan so außerordentlich betrauerte. Über ihre Dissertation war sie gestolpert, die Bundesbildungsministerin, Vertraute und, ja, auch Freundin der Kanzlerin. Erst hatten anonyme Plagiatsjäger ihre Doktorarbeit ins Visier genommen, ehe nach monatelanger Prüfung die Universität Düsseldorf entschied: Der mehr als 30 Jahre alte Titel ist futsch. Ein paar Tage später trat die CDU-Politikerin zurück. Dass all das so aktuell wirkt, liegt daran, dass sich dieser Vorgang bald wiederholen könnte. Der Doktortitel von Familienministerin Franziska Giffey wackelt und mit ihm, den eingeübten Gesetzen des Dissertationsrücktritts folgend, die SPD-Ministerin selbst. Auch wenn sie sich nichts anmerken lässt. Nur ausnahmsweise spricht die Ministerin Montagabend, ein Empfang im Haus der Wirtschaft in Berlin. Giffey sitzt an einem der runden Tische und plaudert. Ihre Tischnachbarn kommen aus Schulen und Kitas, die sich dafür einsetzen, dass Jungs nicht immer bloß Mechaniker und Mädchen auch mal was anderes als Friseurin werden wollen. Die Ministerin hält eine dreiminütige Laudatio: munter, ein bisschen lustig, gut gelaunt, giffeyesk. Es ist ihr dritter Vor-Ort-Termin an diesem Tag, und auch sonst spult sie ungerührt ihr übliches, üppiges Pensum ab. Ein Auszug aus ihrem Terminkalender für diese Woche: 100 Jahre Frauenwahlrecht, Initiative Klischeefrei, Juniorwahl, Ministerrat in Brüssel, Kitabesuch im Saarland, Kitabesuch in Brandenburg. Franziska Giffey scheint gar keine Zeit zu haben, zurückzutreten. Das Erste, was einem auffällt, wenn man sich umhört im Fall Giffey, ist das große Schweigen. Am lautesten schweigt die Ministerin selbst. Als die Plattform Vroniplag Wiki im Februar Vorwürfe gegen ihre Dissertation ("Europas Weg zum Bürger - Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft") erhebt, bittet Giffey die Freie Universität Berlin um eine Prüfung. Danach sagt sie so gut wie nichts mehr, monatelang. Eine der raren Ausnahmen: Anfang Mai, auf der Digitalkonferenz Republica. "Für mich ist eine anonyme Internetplattform nicht der Ort, der die Entscheidung trifft", sagt sie dort, "sondern meine Universität, an der ich diese Dissertation geschrieben habe." Sie werde das Ergebnis abwarten "und dann entsprechend damit umgehen". Vielleicht hat sie sich das von Dr. Ursula von der Leyen abgeschaut, das mit dem Schweigen. Auch die Verteidigungsministerin stand vor drei Jahren unter Plagiatsverdacht, auch sie sagte keinen Mucks, bis die Medizinische Hochschule Hannover mit der Prüfung fertig war. Am Ende durfte die CDU-Politikerin ihren Titel behalten und damit auch ihr Amt. Erstaunlicher als Giffeys Schweigen aber ist das Schweigen der anderen. Dass die Ministerin nichts sagt, hält jeder, mit dem man über den Fall spricht, für geradezu zwingend, um eine solche Affäre politisch zu überleben. Dass der Fall aber auch sonst auf kleiner Flamme gekocht wird, ist ungewöhnlich. Kein Furor, kaum Rücktrittsforderungen. Was ist geworden aus "Auge um Auge" und "Wie du mir, so ich dir"? Macht sich eine Doktortitel-Rücktritts-Fatigue breit? Oder werden womöglich politische Automatismen überdacht? Einen Anlauf, an bisherige Gepflogenheiten anzuknüpfen, unternahm kürzlich die CDU-Vorsitzende: "Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, gehe ich davon aus, dass die SPD an ihre eigene Ministerin die gleichen Maßstäbe anlegt, die sie an die Unionsminister angelegt hat", sagte Annegret Kramp-Karrenbauer der Welt am Sonntag. Vermutlich rechnete sie mit einem lauten Echo. Zurück kam aber bloß Stille. Einer, der lange dabei ist im Berliner Regierungsbetrieb und die Dissertationsskandale der vergangenen Jahre verfolgt hat, sagt, es müssten mehrere Dinge zusammenkommen für den plagiatsbedingten Rücktritt. Genug Leute, die den Betroffenen loswerden wollen. Ein ungeschickter Umgang mit dem Fall. Keine sonstigen Themen von Gewicht. Und ein Nachfolger. Bei Aufstieg und Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg, der vor acht Jahren als Verteidigungsminister zurücktreten musste, traf all das in Reinform zu. Erschwerend hinzu kam, dass der CSU-Shootingstar besonders dreist die Copy- und Paste-Tasten gedrückt hatte. Bei Schavan allerdings lagen die Dinge anders. Ihr Vergehen wurde als weniger gravierend eingestuft, und sie wurde auch jenseits der Union geschätzt. Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte sie nach ihrem Rücktritt "eine hochanständige und kompetente Kollegin", um die es ihm "außerordentlich" leid tue. Da waren zwar durchaus Krokodilstränen dabei, schließlich hatte die damalige SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zuvor mehrfach betont, als Wissenschaftsministerin sei Schavan nicht tragbar, wenn sie in ihrer Doktorarbeit getäuscht habe. Genau das aber war der Punkt. Schavan musste gehen, weil die Vorwürfe gegen sie just aus dem Milieu kamen, für das sie zuständig war: Wissenschaft, Forschung, Bildung. Horst Seehofer, damals CSU-Vorsitzender, sprach aus, was viele heute noch denken, selbst in der SPD: "Wenn sie ein anderes Ministerium geführt hätte, bei dem sie nicht jeden Tag mit Hochschulen und Universitäten zu tun gehabt hätte, dann hätte ich geraten, im Amt zu bleiben." Für die SPD wäre ihr Rücktritt eine Katastrophe Das muss nicht, aber es kann etwas bedeuten für Giffey. Dass sie für Familienpolitik zuständig sei, für Frauen, Kinder und Senioren, und nicht für Bildung und Wissenschaft, darauf weisen die Ersten in der Bundesregierung schon vorsichtig hin, selbst auf Unionsseite. Auch jetzt, in der Doktortitelkrise, äußert sich ein Unionsminister wohlwollend über die Zusammenarbeit mit der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin. Manchmal, sagt er, ändere sich die Wahrnehmung vermeintlicher Gesetzmäßigkeiten in der Politik ja auch. Übersetzt heißt das: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Giffey als erste Ministerin ihren Titel verlieren, ihr Amt aber behalten könnte. Jedenfalls, wenn er ihr "nur" wegen Schlampigkeit aberkannt würde. Sollte ihr die Universität aber bewusste Täuschung, gar Betrug vorwerfen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie zurücktreten muss - und das vermutlich selbst so sieht. Um es anders zu sehen, spricht Giffey einfach zu oft und zu gern über Anstand, Moral und die Bedeutung von Vorbildern. Giffey ist im Kabinett noch immer anders als die anderen. Nicht nur, weil sie Gesetzen handfeste Namen gibt. Sondern weil sie anders auf die Bürger zugeht als das Berliner Stammpersonal. Das kommt an, auch im Osten, wo dieses Jahr gewählt wird und sie als die einzige Ostdeutsche im Kabinett wahrgenommen wird. Selbst politische Gegner halten Giffey für ein Talent und lassen durchblicken, dass sie ihren Abgang bedauern würden. Nicht alle, aber einige. Auch die Kanzlerin kann, so hört man, gut mit ihr. Inzwischen hat sogar Giffeys Partei ihr Talent erkannt. Ein SPD-Regierungsmitglied sagt, es wäre schlecht für die Regierung, wenn Giffey gehen müsste, für die SPD aber wäre es eine Katastrophe.
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Für seinen jüngsten Vorstoß in der Enteignungsdebatte hat Kevin Kühnert massive Kritik geerntet, er wurde verspottet und verhöhnt. Abseits von parteipolitischen Scharmützeln wäre es jedoch übereilt, den Hinweis auf den Sozialismus nur als politische Provokation abzutun. Denn selbst wenn die Antworten des Sozialismus in der Tat überholt scheinen, ergibt der Rekurs auf ihn Sinn, wo das individualistische Freiheitsverständnis eines zur Ideologie erstarrten Liberalismus in Widerspruch zur Gleichheitsforderung der Demokratie gerät. Individuelle Freiheit produziert Ungleichheit und unterminiert auf diese Weise das demokratische Versprechen gleicher Teilhabe. Das Problem ist nicht neu, aber es hat sich im Zuge der Globalisierung zugespitzt. Während das 19. Jahrhundert vor die "soziale Frage" gestellt war, sind wir heute mit der "globalen Frage" konfrontiert. Konnte man das Problem im nationalen Rahmen durch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen korrigieren (wenn auch nicht lösen), ist das vor dem Hintergrund globaler Handlungszusammenhänge nicht mehr in selbem Maße möglich. Das Aufkommen transnationaler Protestbewegungen ebenso wie das Erstarken rechtspopulistischer Parteien zeugen davon. Zumindest auf den ersten Blick verfolgen sie ein ähnliches Ziel, wenn auch mit völlig anderen politischen Intentionen: dem Volk eine Stimme zu geben. Beide sind Symptome desselben Problems: Der individualistische Liberalismus begünstigt ein elitäres Politikverständnis. Der Soziologe Salvatore Babones spricht von einem "neuen Autoritarismus", einer "Tyrannei der Experten". Ausdruck davon ist nicht zuletzt der öffentliche Umgang mit Rechtspopulisten: Sie als irrational und unaufgeklärt abzutun, zementiert nur die gesellschaftliche Spaltung. Was wir stattdessen benötigen, ist ein neues, unideologisches Verständnis von freiheitlicher Demokratie. Dazu ist es erforderlich, unser Verständnis von Freiheit zu überdenken und zu fragen, wie Freiheit für alle gelten kann. Freiheit als ein Recht, das wir uns wechselseitig garantieren, braucht Gleichheit. Dass manche Interessen gar nicht gehört werden, während andere überproportional großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, zeigt, dass der Interessenausgleich als Garantie der Freiheit nicht funktioniert. Will man die Freiheit eines Jeden schützen, ist es unabdinglich, die individuelle Freiheit um eine soziale Dimension zu erweitern. Man muss also nicht nur den Einzelnen vor staatlicher Willkür schützen, sondern auch die politische Zusammenarbeit vor individueller Willkür - etwa indem man Lobbygruppen, Parteispenden, die Verknüpfung von politischem Amt und Posten in der Wirtschaft reglementiert, kontrolliert oder verbietet, um den Einfluss von organisierten Einzelinteressen auf politische Entscheidungen so weit wie möglich auszuschließen. Wenn individuelle (oft ökonomische) Interessen einiger Weniger die politischen Entscheidungen dominieren, dann gefährdet das langfristig die Freiheit aller - das führen Wohnungsnot, Abgasskandal oder auch die Klimapolitik deutlich vor Augen. In der derzeitigen Krise der liberalen Demokratie liegt so verstanden eine Chance. Die Chance, sie von ihrem ideologischen Ballast zu befreien und ihr Versprechen von Freiheit und Gleichheit gleichermaßen zu realisieren. Frauke Höntzsch, 39, forscht an der Universität Augsburg zu Politischer Theorie.
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Anfang 2018 streiten sich zwei Schülerinnen auf einem Parkhaus in Dortmund. Eine der beiden, damals 16 Jahre alt, zückt ein Messer und sticht auf ihre Bekannte ein. Sie trifft ihr Opfer ins Herz. Die 15-Jährige erliegt im Krankenhaus ihren Verletzungen. Etwa ein Jahr später hat das Dortmunder Landgericht die heute 17-Jährige nun zu sechs Jahren und vier Monaten Jugendstrafe verurteilt. Die gesamte Hauptverhandlung fand wegen des jugendlichen Alters der Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Weshalb es zu dem Streit kam, wurde nicht bekannt. Anders als von der Staatsanwaltschaft beantragt, wertete die Kammer die Tat nicht als Totschlag. Sie konnte nicht sicher feststellen, dass die Angeklagte den Tod ihrer Bekannten zumindest für möglich gehalten hat. Verteidigerin Henriette Lyndian sagte: "Es gab Zweifel am Tötungsvorsatz. Und wie immer galt auch hier: Im Zweifel für die Angeklagte." Nach Angaben der Rechtsanwältin hat die heute 17 Jahre alte Schülerin die Entscheidung "ruhig und gefasst" aufgenommen. Die Angeklagte habe natürlich vor dem entscheidenden Tag Angst gehabt und gehofft, dass die Strafe nicht so hart ausfalle. "Dennoch weiß sie, was sie getan hat und dass sie schuldig ist", sagte Lyndian. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben die Möglichkeit, Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen. Erst bei Rechtskraft werde entschieden, wie der künftige Strafvollzug ihrer Mandantin aussehe, sagte die Verteidigerin. Das Mädchen wolle die Zeit in Haft aber in jedem Fall nutzen, um einen Schulabschluss zu machen.
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Als Schauspieler ist Robinson Reichel, 52, nächsten Dienstag in der BR-Serie „Dahoam is Dahoam“ als überarbeiteter Unternehmer zu sehen. Privat ist der Joe aus dem „Schuh des Manitu“ eher ein Actionsport-Typ. Wenn er nicht gerade von Bord geht, steht er auf einem Board - oder mehreren: Schauspieler Robinson Reichel. SZ: Sport ist ... Robinson Reichel: ... schön, macht aber viel Arbeit (Karl Valentin). Oder, in Abwandlung: Es ist nicht immer leicht, den inneren Schweinehund zu überwinden, aber es lohnt sich! Ihr aktueller Fitnesszustand? Wenn es mit Anfang 50 noch zum Windsurfen, Wakeboarden und Snowboarden reicht, muss man doch zufrieden sein. Felgaufschwung oder Einkehrschwung? Vitelli-Turn und Powerhalse. Sportunterricht war für Sie? Ersehnte Erholung nach endlos scheinendem Stillsitzen. Ihr persönlicher Rekord? Über 200 Mal freiwillig aus intakten Flugzeugen abgesprungen und immer noch am Leben. Stadion oder Fernsehsportler? Sport ist wie Plätzchen: Am besten selbst gemacht. Ansonsten lieber die flauschige Couch als das zugige Stadion. Bayern oder Sechzig? Baeechzig! ;) Minga bleibt Minga, und Hauptsach' schee gspuit werd! Ihr ewiges Sport-Idol? Windsurf-Legende Robby Naish! Ein prägendes Erlebnis? Der Sport hat mir viele unvergessliche Momente geschenkt. Aber als ich 1977 auf einem Baggersee das erste Mal auf einem Windsurfer stand, hat das alles verändert. In welcher Disziplin wären Sie Olympiasieger? In keiner; zu wenig Ehrgeiz. Mit welcher Sportlerin/welchem Sportler würden Sie gerne das Trikot tauschen? Da muss ich mich leider wiederholen: Robby Naish! Wobei, könnte heikel werden, weil der normalerweise außer Boardshorts nichts trägt. In diesem Sinne, hang loose! Unter der Rubrik "Formsache" fragt die SZ jede Woche Menschen nach ihrer Affinität zum Sport. Künstler, Politiker, Wirtschaftskapitäne - bloß keine Sportler. Wäre ja langweilig.
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In Hamburg haben sie einen Spielplatz auf dem Dach eines Parkhauses gebaut, in Stuttgart eine Kita über dem Aldi platziert und in Freiburg eine Kirche in 42 Wohnungen umgewandelt. Städte, in denen die Wohnungsnot besonders groß ist, haben gelernt, bebaute Flächen unkonventionell zu nutzen. Einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel-Instituts Hannover zufolge könnten 1,2 Millionen Wohnungen entstehen, wenn auf Supermärkten und Parkhäusern weitere Etagen aufgesattelt oder leer stehende Bürogebäude umgenutzt würden. Das wären sogar 170 000 Wohnungen mehr als Ende 2018 fehlten. Die Wohnungsnot wäre so schnell gelindert, ohne dass grüne Fläche angetastet werden müsste, heißt es in der in Berlin vorgestellten Studie, die im Auftrag von 16 Verbänden und Organisationen erstellt wurde. Über Büros wären demnach 560 000 Wohnungen möglich, in leer stehenden Büros 350 000, Dächer von eingeschossigen Lebensmittelmärkten böten Platz für 400 000 Einheiten, Parkhäuser für zusätzliche 20 000 Wohnungen. Das größte Potenzial bergen allerdings Wohngebäude aus den 1950er bis 1990er Jahren. Mit zusätzlichen Stockwerken könnten dort bis zu 1,5 Millionen Wohneinheiten entstehen, behaupten die Verfasser der Studie. Die Rede ist von jeweils etwa 75 Quadratmeter großen Wohnungen. Und das sei noch "konservativ gerechnet", sagt Karsten Tichelmann, Fachbereichsleiter Tragentwicklung und Bauphysik am Pestel-Institut. Um zu demonstrieren, wo sich überall Wohnungen schaffen und zugleich "Narben im Stadtbild" korrigieren ließen, zeigte Tichelmann Fotos: von Tankstellen und grauen Parkhäusern sowie Discountern mit riesigen, halb leeren Parkplätzen, die inmitten von Hochhäusern wie ein Fremdkörper wirken. Es sei "Luxus", derart "kostbare Flächen freizuhalten", ätzt Tichelmann. Für die Studie sichteten seine Mitarbeiter Luftbilder von 34 Städten und identifizierten 22 275 eingeschossige Supermärkte. Selbst wenn nur ein Drittel von ihnen aufgestockt würden, ließen sich die genannten 400 000 Wohnungen gewinnen. Davon sind die Discounter und Supermarktbetreiber derzeit noch weit entfernt. Aber sie haben die Marktlücke erkannt, Aldi Nord baut derzeit 2000 Mietwohnungen in Berlin, Aldi Süd vermietet vollmöblierte Studenten-Wohnungen in Tübingen und Lidl baut in München. Das hat gleiche mehrere Vorteile für die Konzerne: "Die Lebensmittler rücken so wieder näher an den Verbraucher ran", sagt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung in München. Einst bauten sie ihre "Flachmänner" vor allem an Ausfallstraßen der Städte, jetzt kehren sie im Zuge der Reurbanisierung wieder zurück. Und sie sichern sich so ihren Standort. "Dieses Grundstück kann dann nicht mehr von einem Wettbewerber belegt werden", erklärt Stumpf. Architekten äußern Bedenken Oben wohnen, unten einkaufen oder parken: Die Städte sind daran interessiert, weil günstiges Bauland eine Seltenheit ist. Oft ist zwar das Geld da, Kredite sind noch immer günstig, aber es fehlen die Flächen. Allein in Berlin hat Tichelmann bei eingeschossigen Lebensmittelmärkten ein Potenzial von 22 000 bis 38 000 Wohnungen ausgemacht. Einfach oben etwas draufsetzen, geht aber auch nicht. "Die Discounter wird man nicht überbauen können", sagt Paul Lichtenthäler, Referatsleiter der Bundesarchitektenkammer. Zum einen seien die Gebäude dafür nicht ausgelegt, zum anderen aber nutze man das Grundstück mit dem oft großen Parkplatz dann auch nicht optimal aus. Doch natürlich sei es gut, wenn diese "hässlichen Wunden der Stadt" verschwänden. "Im Prinzip muss man abreißen und von vorne anfangen", sagt Lichtenthäler - mit Tiefgaragen und Einfahrten für Lieferwagen, damit es morgens nicht zu laut werde. Das Planungsrecht müsse flexibler werden, Baugenehmigungen schneller erteilt werden, fordern auch die Bauverbände, die die Studie in Auftrag gegeben haben. Denn es ist ja schon so, dass Supermärkte und Parkhäuser oft sehr attraktiv mitten in der Stadt liegen. Tankstellen und Autostellplätze könnten überflüssig werden, sagt Tichelmann, weil immer weniger Menschen in der Stadt ein Auto besäßen. Nur 20 Prozent der Kunden führen mit dem Auto zum Supermarkt, es bräuchte oft nicht so einen großen Parkplatz. Der Bau-Dachverband fordert mehr finanzielle Anreize für private Investoren In Parkhäusern sieht der Studienleiter deswegen ebenfalls Potenzial. Sie seien wegen ihrer großen Tiefe weniger für Wohnungen, aber gut für Bildungs- oder Freizeiteinrichtungen geeignet. So wurde in Münster ein Parkhaus in ein Wohn- und Geschäftshaus mit Fahrradgarage umgewandelt. In Nürnberg baute man einen Kindergarten auf eine Parkgarage und in Köln verringerte man die Anzahl der Parkplätze von 450 auf 250 und sattelte stattdessen zwei Wohnetagen oben drauf. Verdichtung ist ein Schlagwort, das oft negativ konnotiert ist, Anwohner protestieren häufig, wenn Gebäude in ihrer Nachbarschaft aufgestockt werden sollen. Die Akzeptanz könne durch transparente Planung und Einbeziehung der Quartiersbewohner gesteigert werden, sagt Ingeborg Esser, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Um das Wohnraumpotenzial ohne zusätzliches Bauland ausschöpfen zu können, fordert der Bau-Dachverband bessere politische Rahmenbedingungen, allem voran: mehr finanzielle Anreize. Private Investoren, die flächenschonend bauen, sollten durch eine erhöhte Abschreibung begünstigt werden, kommunale und genossenschaftliche Unternehmen mit einer Investitionszulage von 15 Prozent gefördert werden und Förderprogramme Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden beachten. Wichtig wäre auch, die Umnutzung von Gewerbeflächen zu Wohnungen zu erleichtern, sagte Ingeborg Esser. Gehören die Discount-Flachmänner also der Vergangenheit an? Nein, meint man bei Lidl. Filialen mit Wohnungen oben drüber seien nicht überall eine gute Lösung. "Auf dem Land, in kleineren Städten und am Stadtrand benötigen wir eingeschossige Filialen mit großzügigen und kundenfreundlichen Parkflächen."
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Wer eigentlich baut mit Legosteinchen? Wie viel von seinem Umsatz verdankt einer der größten Spielwarenhersteller der Welt erwachsenen Kunden, die die Bauklötzchen nicht für Kinder kaufen, sondern für sich selbst? "Ganz ehrlich", sagt Frédéric Lehmann, "wir wissen es nicht genau". Die Kernzielgruppe von Lego seien zwar nach wie vor Kinder, "die Baumeister von morgen", sagt Lehmann, der für den Konzern die Region Deutschland, Österreich und Schweiz verantwortet. Aber andererseits weiß auch er, dass vor allem die großen, mehrere hundert Euro teuren Legobausätze, etwa von Raumschiffen der Star-Wars-Reihe, weniger für Kinderzimmer geeignet sind, als vielmehr für Ausstellungsregale von Erwachsenen. Denn nur wenige Fünf-, Sechs- oder Achtjährige können die komplizierten Bausätze bewältigen, es sei denn, Erwachsene bauen mit. Nun ist generationenübergreifendes Spielen ein Feld, das immer mehr Spielwarenhersteller für sich entdecken. Darüber hinaus nehmen viele ganz direkt Erwachsene als Zielgruppe ins Visier. Es sei "höchste Zeit, dass wir unsere traditionellen Vorstellungen zum Thema Spielen über Bord werfen", sagt die chinesische Spielwarenexpertin Jane Wong. Sie gehört einem Gremium an, das für die Nürnberger Spielwarenmesse nach Trends sucht. Gefunden haben die Fachleute dabei zumindest "einen Nischenmarkt, der immer weiter wächst", wie Wong sagt. "Immer mehr Erwachsene geben Geld für Spielsachen aus, die sie selbst nutzen." Modellbauer und speziell die Hersteller von Modelleisenbahnen wissen dies schon lange. Sie wissen: Je aufwendiger, detailgetreuer und auch teurer ihre Produkte sind, desto seltener landen sie in Spielekisten in Kinderzimmern. Bei Märklin sei das "vor 40 Jahren schon so gewesen", sagt Firmenchef Florian Sieber. Für das Unternehmen sind Sammler und Modellbauenthusiasten in fortgeschrittenem Alter als Käufer längst existenziell. Wenn Erwachsene spielen, spielt Nostalgie eine große Rolle. Man will das detailgetreue Modellauto haben, dessen Original man als Kind oder Jugendlicher bewundert hat. Manches wird gekauft, weil man es als Kind nicht bekam, nun aber selbst das Geld hat, um sich den Wunsch zu erfüllen. Wieder andere Erwachsene spielen rein zur Entspannung. Auch diese Klientel nehmen Hersteller verstärkt ins Visier. Die Schweizer Firma Naef etwa präsentiert bei der Messe einen Bausatz, mit dem zahlreiche geometrische Figuren und Konstruktionen geformt werden können. Sei es zum bloßen Anschauen, als Schreibtischzierde etwa, oder um sich zwischendurch immer wieder als Designer zu versuchen. Die erwachsenen Spieler sind allerdings in der Regel auch kritischer als Schulkinder. Lego etwa musste das schmerzhaft erfahren. Grund ist, dass der dänische Konzern juristisch auf den "Held der Steine", alias Thomas Panke, losgegangen ist, einen Lego-Händler und -Enthusiasten aus Frankfurt, der obendrein mit 200 000 Followern der einflussreichste Lego-Youtuber ist. Panke hatte einen legoähnlichen Baustein als sein Markenzeichen verwendet, was der Konzern ihm per Anwaltsbrief verbot. Worüber sich die große Legogemeinde im Internet gewaltig empörte - und einige Legoianer dem Unternehmen bei der Gelegenheit auch gleich vorwarfen, qualitativ schwer nachgelassen zu haben. Diesen Vorwurf will Deutschland-Chef Lehmann nicht stehen lassen. "Wir haben kein Qualitätsproblem", sagt er. Den Shitstorm in Sachen "Held der Steine" hätte der Konzern allerdings gern vermieden. "Es wäre besser gewesen, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und mit ihm zu reden."
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Nach dem großen Aufstand gegen seinen Plan, dem Streit, und den Drohungen, die er erhalten hat, bleibt die Frage: Würde Axel Voss sich das noch einmal antun? Noch einmal Berichterstatter des Europaparlamentes für die Urheberrechtsreform sein? "Das würde ich mir in der Tat stark überlegen, weil es schon eine sehr anstrengende Zeit war", sagt Voss und schaut nachdenklich von der Bühne in den Saal. Axel Voss, 56, ist an diesem Dienstag der mutigste Mann in Berlin. Er ist auf die Republica gekommen, Deutschlands große Digitalkonferenz. Hier halten ihn praktisch alle für inkompetent, manche gar für den Zerstörer ihres heiß geliebten Internets. Er hat jene neue EU-Richtlinie für das Urheberrecht vorangetrieben, die Plattformen in die Haftung nimmt. Weil das - wie auch Voss zugibt - dazu führen wird, dass Plattformen wie Youtube alle Beiträge mit Software vorfiltern werden. Nur so können sie sich vor ständigen Strafen schützen, wenn ihre Nutzer Filme oder Bilder hochladen, an denen ein anderer Künstler oder ein Unternehmen die Rechte hat. Voss sitzt auf der Bühne Markus Beckedahl gegenüber. Der hat ein Heimspiel, er ist Republica-Mitgründer und Betreiber des Blogs netzpolitik.org - und er hat das Publikum auf seiner Seite. Die Schlange am Eingang ist lang, im vollen Saal herrscht leichte Kirmesboxkampfstimmung. Voss ist in der "Höhle des Löwen", wie der Moderator vor dem Streitgespräch sagt. Beckedahl ist von sich selbst befugt, im Namen der "neuen Kreativen" zu reden. Jener Blogger und Künstler, die ohne große Strukturen wie Verlage und Verwertungsgesellschaften digital veröffentlichen. "Viele hier im Raum haben die Erfahrung gemacht, wie teuer es wird, wenn man ein Foto veröffentlicht und vielleicht falsche Lizenzangaben gemacht hat." Die Reform habe aber "nur die Rechte einer bestimmten gut organisierten Urheberrechtslobby berücksichtigt". Wer täglich im Netz unterwegs sei, müsse nun aufpassen. Dann hält Beckedahl ein Blatt Papier hoch: Captain Jean-Luc Picard, die Hand fassungslos vor dem eigenen Gesicht. Das Bild, das eine Szene aus der Serie "Star Trek" zeigt, ist, kombiniert mit immer neuen Schriftzügen, zum Meme geworden. Viele im Netz verwenden es, um auszudrücken, dass sie konsterniert sind. Im Filter würde es hängen bleiben, sagt Beckedahl. Schließlich sei "Star Trek" ja urheberrechtlich geschützt. Voss will Anerkennung für die Ausnahmen, die er nach der ersten Welle der Kritik in der Richtlinie untergebracht hat. Im Alltag ändere sich ja quasi nichts: "Ich glaube, dass der User keine Veränderung spürt, wir haben ihm ja die Haftung entzogen." Weiterhin möglich seien Remixe, Gifs, Memes - also die kreative Verwurstung geschützter Werke. Das Problem, dass Filtersoftware nicht "klug" genug ist, um Satire und Memes als solche zu erkennen, übergeht Voss. Dann wird es kurz giftig. Juristen hätten ihm versichert, für so einen Beitrag halte die Regel keine Ausnahme bereit, sagt Beckedahl. Voss kontert: "Das sind wahrscheinlich Juristen, die Ihre Seite unterstützen wollen." Beckedahl darauf: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich beim Urheberrecht auf Ihre Expertise verlassen möchte." Im Ganzen bleiben die Kontrahenten fair, das Publikum reagiert mehrfach mit Gelächter auf Voss' Äußerungen. Einmal muss er sich höhnische "Oohs" anhören, als er wieder einmal beklagt, niemand habe ihm vor der Reform zugehört. Aus seiner Perspektive war und ist es ein Kommunikationsproblem, kein inhaltliches. "Jetzt mal ernsthaft, wie sollen wir es denn sonst regeln?" Ja, das Urheberrecht brauche eine Reform, sagt auch Beckedahl - es sei zu kompliziert. "Selbst Sie als zuständiger Berichterstatter wissen es ja nicht in den Details." Voss hatte sich vor der Abstimmung in manchen Interviews widersprüchlich geäußert. Zwischenzeitlich hatte er den Eindruck erweckt, er wisse nicht wirklich, wie Google funktioniert. Das wirkt auf das Republica-Milieu, als würde jemand Astronomen erklären, warum die Erde eine Scheibe sei. Hunderttausende demonstrierten in den vergangenen Monaten gegen die Reform, Befürworter und Gegner warfen einander vor, wahlweise vom Silicon Valley oder der Medienindustrie gesteuert zu sein. Das Gespräch auf der Republica hätte so etwas wie ein Friedensschluss sein können, doch keiner bewegt sich. Voss bleibt dabei: Seine Reform sei alternativlos. "Die Frage dahinter ist, ob man fremdes Eigentum respektiert oder nicht." Dann fleht er fast in den Saal: "Jetzt mal ernsthaft, wie sollen wir es denn sonst regeln?" Wieder Gelächter. Wenn Beckedahl nach Details der Umsetzung fragt, zieht sich Voss auf die Position zurück: Die liege jetzt bei den Ländern. Da hat er Recht, allerdings bleibt die Frage, warum die Möglichkeit zur allgemeinen Vor-Filterung dann nicht schon in der Richtlinie bewusst verhindert wurde. Der Europäische Gerichtshof sieht Uploadfilter seit Jahren kritisch. Filter blockte Republica-Vortrag Beckedahl hämmert seine Gegenargumente runter: Die Ausnahme für Start-ups, die jünger als drei Jahre sind und weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen, sei nicht weit genug gefasst, die Filterpflicht würde ihnen schaden. "Man hat mit einer Schrotflinte auf Youtube geschossen und das halbe Internet getroffen." Wie Filter-Software funktioniert, erlebten die Republica-Organisatoren Montagnacht am eigenen Leib. Weil während eines Vortrags ein kurzer Ausschnitt aus einer Arte-Sendung gezeigt worden sei, blockierte Youtube die Aufzeichnung aus dem Republica-Kanal von Youtube. Der Arte-Inhalt war im Filter hinterlegt, und der erkannte kein Zitat, sondern eine Urheberrechtsverletzung. So erklärte es jedenfalls das ZDF. Kritiker wie Beckedahl sagen, dass dieses automatisierte, von Nutzern als erratisch empfundene Blockieren von Inhalten mit der neuen Urheberrechts-Richtlinie Alltag werde. Insbesondere, weil auch aus anderen, politischen Gründen, in der EU noch mehr Filterpflichten vorgeschlagen werden, etwa solche gegen "Terror-Propaganda". Voss wirkt zwar nicht wie ein Gewinner, aber er hat sich in Straßburg und Brüssel durchgesetzt. Am Ende gibt er sich versöhnlich: "Lassen Sie uns weiter debattieren, und wenn es zu Übertreibungen kommt, dann kann man ja nachbessern." Dann müsste Axel Voss sich das vielleicht alles noch einmal antun.
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Die von der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) in Aussicht gestellte Verringerung der Erdölbestände hat die Ölpreise am Montag zunächst in die Höhe getrieben. Nervosität verursachten zudem die Spannungen zwischen den USA und dem Iran. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent verteuerte sich in der Spitze um 1,6 Prozent auf 73,40 Dollar und erreichte damit den höchsten Stand seit mehr als drei Wochen. US-Leichtöl WTI kostete mit 63,81 Dollar so viel wie seit drei Wochen nicht mehr. Im Handelsverlauf kamen die Preise von ihren Tageshochs zurück und notierten leicht über dem Niveau des Vortages. Die Opec und ihre Verbündeten wollen nach Angaben aus Saudi-Arabien Erdölbestände behutsam verringern. Für Unruhe am Ölmarkt sorgte auch die Drohung von US-Präsident Donald Trump, den Iran zu zerstören, nachdem im Regierungs- und Diplomatenviertel der irakischen Hauptstadt Bagdad eine Rakete eingeschlagen war. Die wachsenden Spannungen im Verhältnis zwischen den USA und dem Iran hatten Befürchtungen ausgelöst, es könnte ein Krieg am Golf bevorstehen. Dies schürte die Furcht vor Produktions- und Lieferausfällen in der Region. Der Euro stoppte seine jüngste Talfahrt vorerst. Die Gemeinschaftswährung stand am späten Abend mit 1,1167 Dollar zwar etwas höher als am vergangenen Freitag, notierte jedoch weiter klar unter 1,12 Dollar. "Im Vorfeld der Europawahl, die insbesondere im Falle Italiens von Devisenhändlern genau beäugt wird, bleibt der Euro in der Defensive", kommentierte Experte Manuel Andersch von der BayernLB das Handelsgeschehen. Kursgewinne gab es hingegen beim australischen Dollar. Dieser profitierte vom überraschenden Sieg des Mitte-Rechts-Bündnisses von Regierungschef Scott Morrison in den Parlamentswahlen vom Wochenende. Umfragen hatten dagegen auf einen Sieg der oppositionellen Sozialdemokraten hingedeutet.
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Ein Pils hat auf 100 Millilitern etwa 40 Kilokalorien - und das soll der Kunde auch erkennen können. Auch für Wein oder Whisky stehen die Angaben zur Debatte. Biertrinker in Deutschland sollen künftig schon beim Blick aufs Etikett erfahren, wie viel Kalorien ein Getränk hat. Die Brauereien wollen auf freiwilliger Basis alle Biere und Biermischgetränke mit entsprechenden Nährwert-Angaben versehen, wie der Deutsche Brauer-Bund und der Verband Privater Brauereien in Deutschland am Freitag mitteilten. Die Kennzeichnung soll von diesem Jahr an schrittweise eingeführt werden. Die EU-Kommission hatte zuvor auf einen solchen Schritt gedrängt. Bislang müssen alkoholische Getränke in der EU noch keine Nährwertangaben tragen. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag des Brauer-Bundes würden es 52 Prozent der deutschen Konsumenten aber begrüßen, wenn künftig auf allen alkoholischen Getränken wie Bier, Wein oder Whisky die Kalorienangaben auf dem Etikett zu finden wären. Die Brauer hoffen, dass andere Branchen - etwa die Weinwirtschaft und die Spirituosenindustrie - ihrem Beispiel folgen werden. Den Kaloriengehalt eines klassischen Pilsbieres bezifferten die Brauer auf rund 40 Kilokalorien je 100 Milliliter. Zum Vergleich: 100 Gramm dunkle Schokolade haben etwa 546 Kilokalorien. Der Bierabsatz in Deutschland war zuletzt dank der Fußball-WM und des warmen Sommers gestiegen - langfristig verkaufen die Brauereien aber immer weniger Bier. Vor allem die klassischen Fernsehbiere haben Probleme. Gleichzeitig steigt der Absatz von regionalen Biersorten - und von alkoholfreiem Bier.
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Was als erstes auffällt bei dieser Wahl in Deutschland ist der Erfolg der Grünen. Die Partei hatte im Wahlkampf auf die Themen Klimaerhitzung, Artenvielfalt und Umweltschutz gesetzt - und kam damit offenbar bei vielen Menschen an. Während die Partei bei der Bundestagswahl 2017 auf nicht einmal neun Prozent der Zweitstimmen gekommen war, ist ihr Anteil nun mehr als doppelt so groß. Bei der Europawahl 2014 hatten sie mit 10,7 Prozent ebenfalls deutlich weniger Zustimmung erhalten. Die mit Abstand meisten Wählerinnen und Wähler hat zwar die Union überzeugt. Allerdings sieht es so aus, als hätten CDU und CSU erneut viele Anhänger verloren. 2014 war noch deutlich mehr als ein Drittel der Stimmen auf die Konservativen gefallen, bei der Bundestagswahl waren es immerhin noch fast ein Drittel. Nun sind es deutlich weniger als 30 Prozent. Noch klarere Verluste muss offenbar die SPD hinnehmen. Die Sozialdemokraten liegen sogar deutlich hinter den Grünen. Bei der Bundestagswahl hatte die SPD noch 20,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler für sich gewonnen, bei der Europawahl 2014 immerhin noch 27,3 Prozent. Viele linke SPD-Wählerinnen und -Wähler sind offenbar nicht zur Linkspartei übergelaufen. Die Linke konnte ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Europawahl 2014 nicht halten. Mehr als jeder Zehnte hat - wie schon 2017 bei der Bundestagswahl - die EU-Skeptiker der AfD gewählt. Bei der Europawahl vor vier Jahren hatten schon sieben Prozent für die Rechtspopulisten gestimmt. Die Partei, die sich für ein "Europa der Vaterländer" starkmachen will, erreicht einen relativ stabilen Anteil der Bevölkerung, der offenbar kein Interesse am Klimaschutz und einer europäischen Sozialunion hat und sich vor einer "Masseneinwanderung" von Fremden fürchtet. Keinen großen Erfolg konnte offenbar die FDP mit ihrer klaren Pro-EU-Haltung verbuchen. Sie bleibt deutlich hinter dem Stimmenanteil zurück, den sie bei der Bundestagswahl gewinnen konnte (10,8 Prozent), sie konnte die Zustimmung aber im Vergleich zur Europawahl 2014 erhöhen. Gute Chancen für die Kleinparteien Da es bei der Europawahl - anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen in Deutschland - derzeit keine Sperrklausel gibt, haben auch kleine Parteien eine Chance, Abgeordnete ins Europaparlament zu schicken. Die Zahl der Parlamentarier ist natürlich begrenzt, Deutschland hat Anspruch auf 96 Sitze. Um in das Zuteilungsverfahren zu kommen, benötigt eine Partei etwa 0,5 Prozent der Stimmen. 2014 waren insgesamt 25 Parteien angetreten, sieben davon profitierten vom Fehlen der Sperrklausel und konnten jeweils einen Abgeordnete/n ins Europaparlament entsenden. 2019 sind 41 Parteien angetreten. Die Konkurrenz war demnach noch deutlich größer als vor fünf Jahren. Unter den kleinen Parteien konnten die Freien Wähler und "Die Partei" einen Erfolg verbuchen. Sie werden wieder ins Europaparlament einziehen - und diesmal nicht mehr nur mit jeweils einem Abgeordneten. Jeweils einen Sitz erhalten die Piraten, die Tierschutzpartei, "Familie", die ÖDP und Volt.
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Im Jahr 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission ein Grundsatzpapier über ihre Arbeit mit China, das wie alle Dokumente dieser Art das Adjektiv "strategisch" trägt und als Zieldatum das Jahr 2020 nennt. Dieses Datum ist nun fast erreicht. Aber nicht deshalb hat die Kommission wieder ein Dokument geschrieben, das sich "strategischer Ausblick" nennt. Mit Ausnahme der bedeutungsschwangeren Bezeichnung "strategisch" könnten die Papiere unterschiedlicher nicht sein. China ist vom Fantasiegebilde zum Wettbewerber und, auch dies: zum Feindbild mutiert. In den sechs Jahren, die zwischen beiden Dokumenten liegen, hat die EU eine Währungskrise überstanden, eine Flüchtlingskrise durchlitten, den Aufstieg von Populisten und Rechtsnationalisten in ihren Reihen ansehen müssen, die USA als nahezu bedingungslos loyalen Partner an Donald Trump verloren, in Russland einen undurchschaubaren Aggressor erlebt und schließlich Bekanntschaft mit einem neuen China gemacht. Dieses neue China hat zum 19. Parteitag im Oktober 2017 eine Maske fallen lassen und zum ersten Mal Ambitionen formuliert, die Europa Sorge bereiten müssen. Seitdem vertritt das moderne China offen globale Ambitionen, möchte in wenigen Jahrzehnten die Welt ökonomisch und technologisch dominieren und so etwas wie ein sinozentrisches Weltbild etablieren. Das ist eine Kampfansage, oder weniger martialisch ausgedrückt: eine Zäsur im Wettbewerb um technologischen Vorsprung, Rohstoffe, Märkte und vor allem Regeln. Die naive Phase der Globalisierung ist vorbei. China ist nicht nur ein ökonomischer Wettbewerber, der qua Größe selbstverständlich das Zusammenspiel der Mächte stärker beeinflussen wird, als er dies jetzt bereits tut. China ist auch ein politischer Rivale, dessen autoritär geführtes Einparteiensystem in weltanschaulicher Konkurrenz zu den Vorstellungen der Staaten Europas steht. Noch klaffen Worte und Taten weit auseinander, wenn China und Europa von Multilateralismus reden, wie sie es nun wieder in Brüssel getan haben. Aber die ökonomischen Supermächte haben zumindest erkannt, dass sie für ihre Beziehung neue Regeln brauchen. Der EU ist sechs Jahre nach der pompös formulierten Strategie klar geworden, dass sowohl Klingelbeutel als auch Glaubensbekenntnis zur Kirche gehören. Geschäfte lassen sich von politischen Machtfragen nicht trennen. Wenn Europa nicht in eine wirtschaftliche Abhängigkeit geraten will, dann muss es geschlossen und fordernd Peking gegenüber auftreten. Das chinesische System tut sich viel leichter, wirtschaftliche Geschäfte als politischen Hebel zu nutzen. Und viel zu lange hat der schier unersättlich erscheinende Riesenmarkt China europäische, vor allem deutsche Unternehmer zu gefährlichen Kompromissen verleitet. Es war dieser wachsende Existenzdruck von außen, der die EU in bemerkenswertem Tempo eine neue China-Politik finden ließ. Die neuen Verabredungen mit Peking werden zwar nicht strategisch genannt, sie könnten aber eine lang anhaltende Wirkung entfalten, wenn die EU auf ihren Prinzipien beharrt und auf deren Umsetzung dringt: fairer Wettbewerb bei Handel, Marktzugang und Subventionen. Handelsfragen sind Ordnungsfragen. Und Ordnungsfragen sind Machtfragen. Die müssen nun geklärt werden zwischen der EU und China.
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Der Verfassungsschutz will mit der AfD nicht weiter vor Gericht darüber streiten, ob der Nachrichtendienst die Partei als "Prüffall" bezeichnen darf oder nicht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) teilte am Freitag mit, es werde die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts akzeptieren, das der Behörde die Nennung als "Prüffall" untersagt hatte. Stattdessen will sich die Behörde nach Angaben ihres Präsidenten Thomas Haldenwang darauf konzentrieren, den rechtsnationalen Parteiflügel und die Nachwuchsorganisation der AfD zu durchleuchten. Das Gericht hatte im Februar einem Eilantrag der Partei stattgegeben. Die Klage der AfD richtete sich nicht dagegen, dass der Verfassungsschutz die AfD prüft, sondern dagegen, dass das Amt dies öffentlich gemacht hatte, was "stigmatisierenden Charakter" habe. Dass der Verfassungsschutz nun auf eine Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster verzichtet, begründete er damit, dass die Klärung von Rechtsfragen nicht weiter "vom eigentlichen Thema ablenken" solle. Haldenwang erklärte: "Das BfV konzentriert sich auf die vorrangige Aufgabe, die ich darin sehe, die Aktivitäten der unter Extremismus-Verdacht stehenden Teilorganisationen 'Der Flügel' und 'Junge Alternative' zu beobachten." Dabei spielten unter anderem die programmatische Ausrichtung, die Verbindungen zu rechtsextremistischen Bestrebungen und die öffentlichen Äußerungen führender Protagonisten eine wichtige Rolle. Das BfV wolle "die Öffentlichkeit zu gegebener Zeit über den Fortgang dieser Bearbeitung unterrichten". AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland sagte zu dem Verzicht auf Rechtsmittel, dies sei eine "späte Einsicht, dass man nicht rechtsstaatlich gehandelt hat". Co-Parteichef Jörg Meuthen hatte bereits nach der Entscheidung des Kölner Gerichts erklärt, damit sei die "politisch motivierte Instrumentalisierung" des Verfassungsschutzes gegen die AfD vorerst gescheitert. Eine Partei kann zum Prüffall werden, wenn die Behörden erste Anzeichen für extremistische Bestrebungen erkennen. Bei einem Prüffall ist eine Beobachtung mit V-Leuten oder anderen nachrichtendienstlichen Mitteln aber grundsätzlich nicht erlaubt. Haldenwang hatte am 15. Januar in einer Pressekonferenz öffentlich gemacht, dass die Gesamtpartei für den Verfassungsschutz nun ein "Prüffall" sei, der Flügel und die Junge Alternative würden als "Verdachtsfall" behandelt. Bei einem Verdachtsfall stehen dem Verfassungsschutz weitreichendere Mittel zur Verfügung, um Erkenntnisse über eine Gruppierung zu gewinnen.
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Es gibt viele Gründe, warum Elektroautos in Deutschland immer noch ein Nischendasein führen. Drei werden jedoch immer wieder genannt: Die Reichweite ist zu gering, das Ladenetz ist noch nicht gut genug ausgebaut - und sie sind einfach zu teuer. Zumindest für den letzten Punkt gibt es eine Alternative, die mit zunehmender Verbreitung der Stromer für viele Autokäufer interessant werden dürfte: gebrauchte E-Autos. Zwar ist das Angebot noch überschaubar (etwa 7000 Stromer deutschlandweit versus 1,5 Millionen Fahrzeuge mit anderen Antrieben auf der Auto-Plattform Mobile.de), doch mit den umfangreichen Bonus-Programmen der Hersteller und der Bundesregierung dürfte dieser Markt in den nächsten ein bis zwei Jahren stetig wachsen. Die Preisersparnisse, die Kunden jetzt schon finden, sind zum Teil enorm: Laut einer Anfrage von Auto Bild beim Restwert-Analysten Schwacke kostet ein VW e-Golf nach vier Jahren mit 18 750 Euro nur noch die Hälfte des Neupreises. Zudem liegen die Reparaturkosten von Elektroautos gemäß einer Studie der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen 35 Prozent unter denen eines Modells mit herkömmlichem Antrieb. Doch welche Modelle gibt es jetzt schon auf dem Gebrauchtwagenmarkt? Und worauf müssen Interessenten beim Kauf eines Elektroautos besonders achten? Am günstigsten ist der Einstieg in die Welt der Elektroautos mit dem Renault Twizy. Ihn gibt es bereits ab 4000 Euro mit Laufzeiten um die 20 000 Kilometer. Ein sonderlich vielseitiges Auto ist der seit 2012 hergestellte Twizy aber nicht. Der Einsitzer leistet in seiner stärksten Ausführung gerade einmal 11 PS und ist maximal 80 km/h schnell. Er ist eher eine überdachte Alternative zum E-Roller. Mehr Platz bieten Mitsubishi i-MiEV und das Schwestermodell Citroën C-ZERO, 2010 die ersten modernen Elektroautos auf dem deutschen Markt. Mit Laufzeiten um die 50 000 Kilometer kosten sie gebraucht heute etwa 7000 Euro. Zu empfehlen sind sie aber nicht - zwar liegt die offizielle Reichweite laut Hersteller bei 160 Kilometer, doch ein Langzeittest in Dänemark zeigte, dass diese Stromer im Realbetrieb gerade einmal 90 Kilometer schaffen. Im Winter sinkt die Reichweite auf 65 Kilometer. Interessant wird es erst, wenn Käufer bereit sind, mehr als 8000 Euro zu investieren. In diesem Preissegment gibt es die ersten Generationen des Nissan Leaf oder des Renault Zoe. Solide Kleinwagen, die in großer Stückzahl auf dem Markt zu finden sind. Wer noch mehr Geräumigkeit sucht, muss mindestens 20 000 Euro für den Autokauf einplanen. In diesen Preisregionen bewegen sich die ersten Baureihen des E-Golf (ab 2014) oder des BMW i3 (ab 2013). Den Komfort einer Limousine bietet auf dem Gebrauchtmarkt nur das Tesla Model S. Das ist zwar nur halb teuer wie in der Neuanschaffung, kostet aber immer noch mindestens 50 000 Euro. Eine Million Kilometer und mehr sind kein Problem Generell gilt bei all diesen Gebrauchtwagen: Je neuer das Auto ist, umso besser. Die Technik der Elektroautos hat sich den letzten Jahren konstant verbessert, wer mehr ausgibt, investiert das Geld in bessere Akkus, einen stärkeren Antrieb und größere Reichweite. Grundsätzlich unterscheidet sich der Kauf eines Stromers aber nicht von dem eines anderen Gebrauchtwagen. Stoßdämpfer und Fahrwerk sind auf das höhere Gewicht ausgelegt und unterliegen vergleichbaren Kräften und Abnutzung wie herkömmlich angetriebene Autos. Die Bremsen halten sogar länger, weil der E-Motor nicht nur beschleunigt, sondern auch verzögert und so die Beläge und Scheiben schont. Volker Blandow, Spezialist für E-Mobility beim TÜV Süd geht sogar so weit zu sagen: "Die Laufleistung spielt beim Elektrofahrzeug, zumindest für die Zuverlässigkeit des Antriebsstrangs, eine untergeordnete Rolle. Eine Million Kilometer oder mehr sind kein Problem - und das komplett wartungsfrei und praktisch ohne nennenswerten Verschleiß." Ein paar Dinge, auf die Käufer achten sollten, gibt es allerdings - zum Beispiel die Reifen. Durch das hohe Anfahrtsdrehmoment von Elektroautos verschleißen sie schneller. Der ADAC warnt, dass die hinteren Bremsen wegen der geringeren Nutzung schneller rosten. Außerdem empfieht er, die Hochvolt-Leitungen auf Marderbisse zu prüfen. Die Batterien sind der Schwachpunkt Das Hauptaugenmerk sollte aber auf der Batterie liegen. Mit zunehmendem Alter lässt ihre Leistung nach. Das ist abhängig davon, wie die Akkus aufgeladen wurden und wie oft, was je nach Nutzung zu geringeren Reichweiten führen kann. Ein erster Eindruck vom Zustand der Batterie lässt sich bei einer Testfahrt gewinnen: Wie reagiert die Reichweite auf den eigenen Fahrstil? Sinkt sie schneller als vom Hersteller angegeben? Um sicher zu gehen, sollten Autokäufer die Batterie beim Markenhändler in der Werkstatt analysieren lassen: "Die Werte geben erste wichtige Hinweise für Interessenten und die Prüfung sollte auf jeden Fall durchgeführt werden", so Blandow vom TÜV Süd. Wichtig ist auch, wie lange der Hersteller Garantie auf die Batterie gibt. In der Regel sind das fünf bis acht Jahre oder 100 000 bis 150 000 Kilometer. Ist der Akku defekt, heißt das aber nicht, dass sofort die ganze Speichereinheit ausgetauscht werden muss. Bei einigen Modellen wie dem BMW i3, dem VW e-Golf oder dem Nissan Leaf lassen sich einzelne Zellen ersetzen. Das kommt aber nur selten vor. "Unsere Erfahrung ist, dass die Batterien sogar besser halten, als viele Hersteller sagen", sagt Volker Blandow vom TÜV Süd. "Nach mehr als 200 000 Kilometern Laufleistung und sieben bis acht Betriebsjahren sind viele Akkus häufig noch mit 80-90 Prozent ihrer Anfangskapazität in Betrieb." Die Haltbarkeit der Batterieeinheiten dürfte sogar bei 15 bis 20 Jahren liegen. Wem das immer noch zu unsicher ist, für den bieten einige Hersteller an, die Batterie zu mieten. Je nach Jahresfahrleistung oder der Laufzeit kostet das zwischen 50 und 150 Euro im Monat. Beim Gebrauchtkauf kann der Vertrag entweder vom Vorbesitzer übernommen oder mit dem Hersteller neu abgeschlossen werden. Das ist zwar ein nicht zu unterschätzender Kostenaufwand, hat aber den Vorteil, dass immer die neueste Batterie für Strom sorgt - und garantiert, dass auch das gebrauchte Elektroauto die größtmögliche Reichweite erzielt.
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Drillisch steigt ins Bieterrennen um Lizenzen für 5G ein. Der Mutterkonzern United Internet setzt damit die drei bisherigen Mobilfunkanbieter unter Druck. Die Frage ist aber auch, ob sich der Angreifer dabei nicht übernimmt. Die drei großen deutschen Mobilfunk-Netzbetreiber bekommen bei der im Frühjahr anstehenden Versteigerung der Frequenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G Konkurrenz. United Internet (web.de, GMX) werde mit seiner Tochter 1&1 Drillisch an der Auktion für den ultraschnellen Mobilfunkstandard teilnehmen, kündigte der Online-Konzern an. Man sei zuversichtlich, dass dies ein Schritt sei "für eine erfolgreiche und dauerhafte Positionierung der 1&1 Drillisch Gruppe als vierter Mobilfunknetzbetreiber in Deutschland". Die Aktien des neuen Konkurrenten fallen erneut stark United Internet wagt damit den Schritt zum Netzanbieter, um so den Wettbewerb in der deutschen Telekombranche anzuheizen. Bisher mietet Drillisch fremde Netze an. Die dafür aufgewendeten Kosten können "durch den Aufbau eines eigenen Netzes künftig schrittweise reduziert (...) werden", teilte Drillisch mit. Dadurch ergäben sich "weitreichende finanzielle Spielräume für Investitionen". Die Anleger zeigen sich angesichts dieser Ziele allerdings skeptisch. Die im TecDax notierten Drillisch- und United-Internet-Aktien fielen nach der Ankündigung in der Spitze um 7,7 beziehungsweise 2,8 Prozent. Seit United Internet im Sommer vergangenen Jahres sein Interesse an der Versteigerung bekannt gegeben hatte, büßten Drillisch sogar 43 Prozent und United Internet 40 Prozent ihres Wertes ein. Investoren befürchten, dass sich beide Unternehmen mit den 5G-Geboten übernehmen könnten. Das bisherige Geschäftsmodell eines virtuellen Netzbetreibers (MVNO), der keine eigenen Funkstationen hat, gilt als profitabler. Konzernchef Ralph Dommermuth wollte ursprünglich auch dabei bleiben, allerdings verweigerte ihm die Bundesnetzagentur das sogenannte nationale Roaming. Dies hätte es Drillisch erlaubt, in Gebieten die Netze von Wettbewerbern zu nutzen, in denen sie selbst kein Netz haben. Die Wettbewerber müssen darüber verhandeln, aber sind nicht verpflichtet, die Konkurrenz in ihr Netz zu lassen. Das letzte Wort ist hier allerdings noch nicht gesprochen, die Koalition aus Union und SPD erwägt, in bestimmten Gebieten eine solche Pflicht zum Roaming festzulegen. Jedenfalls aber wird der Wandel vom Mieter bestehender Netze zum Betreiber von Funkmasten Drillisch und United Internet teuer zu stehen kommen. Zum einen muss Drillisch für die Frequenzen zahlen, zum anderen für den Aufbau des Netzes beziehungsweise für das Leasen. In einem ersten Schritt vereinbarte Drillisch mit einem europäischen Bankenkonsortium eigene Kreditlinien in Höhe von 2,8 Milliarden Euro. Sollte die Versteigerung erfolgreich sein, soll demnach auch die Dividende reduziert werden. Die bestehenden Mobilfunkanbieter werden durch die Entscheidung unter Druck geraten, denn Drillisch ist für seine aggressive Preispolitik bekannt. Nun wird es spannend zu beobachten, wie die Auktion ausgeht.
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Symbolische Grenze vor dem Stormont, dem nordirischen Parlament in Belfast: Seit dem Referendum wird in Irland und Nordirland gegen den Brexit und seine möglichen Konsequenzen protestiert. In Großbritannien gibt es viele Menschen, die den Brexit für eine fürchterliche Idee halten. Und es gibt viele, die den geplanten EU-Austritt ganz wundervoll finden. In der Republik Irland hingegen, dem kleinen Nachbarstaat, können nur sehr wenige Menschen dem Brexit positive Seiten abgewinnen. Kein anderes verbleibendes EU-Mitglied hat durch den Austritt des Königreichs mehr zu verlieren. Neben den USA ist Großbritannien der wichtigste Handelspartner der Iren. Zudem verläuft die einzige Landgrenze des Vereinigten Königreichs auf der irischen Insel. 499 Kilometer lang ist diese Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland. Sie zählt 208 Übergänge - an der Autobahn, an Dorfstraßen und Feldwegen. Mindestens. Bisher ist sie nahezu unsichtbar. Doch nach dem 29. März markiert sie die Außengrenze der EU. Und wenn die Briten ohne Abkommen austreten, müssten an dieser Außengrenze Importe in die Europäische Union kontrolliert werden - genau wie zum Beispiel an der Grenze zwischen den baltischen Staaten und Russland. Irland besteht darauf, dass die Grenze zum Norden unsichtbar bleibt Dass das britische Parlament den Brexit-Vertrag mit großer Mehrheit abgelehnt hat, erhöht das Risiko eines ungeordneten Brexit. Verlassen die Briten die Union ohne gültiges Abkommen, fällt die vereinbarte Übergangsphase weg, in der sich für Bürger und Unternehmen fast nichts ändern soll. Stattdessen würden Geschäfte auf einmal den Regeln der Welthandelsorganisation WTO unterliegen. Und die sehen Zölle vor - von zehn Prozent auf Autos oder 35 Prozent auf Milchprodukte - sowie Zollkontrollen. Trotzdem verkündet der irische Regierungschef Leo Varadkar ausdauernd, dass es zwischen seinem Staat und Nordirland unter keinen Umständen Kontrollen geben werde. Der Taoiseach - so heißt sein Posten auf Irisch - behauptet, dabei die Rückendeckung der EU zu haben: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie Staats- und Regierungschefs "haben bei mehreren Anlässen gesagt, dass sie nicht von uns verlangen würden, an der Grenze zwischen Nordirland und Irland physische Infrastruktur zu errichten und Zollkontrollen zu starten", sagt der konservative Politiker. Physische Infrastruktur meint Zöllnerhäuschen und Parkplätze, um die Ladung von Lkws stichprobenartig zu überprüfen. Brexit-Befürworter wittern eine Chance Solche Ankündigungen dienen dazu, die Iren zu beruhigen und das Überleben von Varadkars Minderheitsregierung in Dublin zu sichern. Aber zugleich dienen die Zitate Brexit-Enthusiasten in Großbritannien als Munition. Premierministerin Theresa May, ihre Minister und Firmen im Königreich warnen eindringlich vor einem Austritt ohne Vertrag. Sie zeichnen düstere Szenarien: Die Häfen auf dem Festland und in Großbritannien seien nicht auf Zollkontrollen vorbereitet. Chaos und Staus drohten. Und eine sichtbare Grenze auf der irischen Insel könnte in der einstigen Unruheprovinz Nordirland wieder Spannungen auslösen zwischen probritischen Protestanten und jenen Katholiken, die eine Vereinigung mit der Republik Irland fordern. Solche Mahnungen sollen Parlamentarier in London überzeugen, doch noch den Brexit-Vertrag zu unterstützen. Brexit-Fans, die das Abkommen ablehnen, greifen Varadkars Aussagen deshalb begierig auf - als scheinbaren Beleg dafür, dass es keine Kontrollen geben werde und die Regierung eine Angstkampagne betreibe. Die Ankündigungen aus Dublin zeigten, dass alle vermeintlichen "Probleme hervorragend lösbar" seien, sagt Steve Baker, ein konservativer Abgeordneter, der aus Protest gegen Mays Kurs als Staatssekretär im Brexit-Ministerium zurücktrat. Wenig hilfreich für May sind auch die Thesen von Jean-Marc Puissesseau, dem Chef des Hafens im französischen Calais. Der verkündete nun, sein Hafen sei gut vorbereitet auf den Brexit, ob mit Abkommen oder ohne. Chaos und Dauerstau werde es nicht geben. Logistikverbände und das Management des Hafens von Dover auf der anderen Seite des Ärmelkanals widersprechen dieser Einschätzung. Die Brexit-Enthusiasten im Parlament sind trotzdem entzückt über Monsieur Puissesseaus Zuversicht.
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Die einen in hellblauen Trikots und Jeans, die anderen in dunkelblauen Dressen und Sporthosen - dazwischen 16 Jahre. Die mehr als 20 Frauen auf dem Parkett der Dachauer Georg-Scherer-Halle waren nicht zum sportlichen Vergleich angetreten, es war ein Blick in die Historie: Die sieben Damen in Hellblau waren die Regionalliga-Aufsteigerinnen des ASV aus dem Jahr 2003. Dunkelblau hat das Kunststück nun wiederholt und ist in die dritte Liga aufgestiegen, die weiland noch Regionalliga hieß. Der Aufstieg war schon seit einer Woche klar, deswegen blieb vor dem Schaulaufen gegen den TSV Haunstetten II, das der ASV locker 31:20 gewann, genügend Zeit, um die beiden Aufstiegsmannschaften zum Get-Together vor dem Anpfiff zusammenzuholen. Nicole Oberrenner hieß 2003 noch Nicole Kühn. Damals Spielerin, heute Damenwartin - an beiden Aufstiegen war sie beteiligt, einmal auf der Platte, das andere Mal als Organisatorin im Hintergrund. Meisterschaft und Aufstieg, das war nicht ein Wunschtraum, sondern "das war der Plan", sagt die 47-Jährige. Die Voraussetzungen dafür waren "ein großer Kader, eine gute Physio-Abteilung und eine ordentliche Vorbereitung". Dass der Kader nicht nur groß, sondern auch gut besetzt war, kam der Sache zugute. Von der Breite her habe man den besten Spielerinnen-Pool der Bayernliga gehabt, sagt Oberrenner: "Die eine kann die andere adäquat ersetzen." In den vergangenen beiden Jahren sind die ASV-Frauen im Kern zusammengeblieben, einige Verletzte kamen als Verstärkung zurück, Alina Watzlowik etwa, bei der es "Spitz auf Knopf" stand, ob sie überhaupt wieder Handball spielen wird. Mit dem ausgeglichenen Kader setzte der ASV gleich mal das Tempo: 14 Siege in Serie - insgesamt leistete sich der ASV nur drei Niederlagen in 24 Spielen. Zwischendurch gelang auch noch das bayerische Double mit dem Gewinn des Molten-Cups. Nachdem der alte Plan aufgegangen ist, gibt es einen neuen: Überleben in der dritten Liga. "Der Sprung ist definitiv wie zwei Ligen", sagt Oberrenner. Auf dem Spielfeld wird es schwerer, die Organisation in der viergleisigen dritten Liga ist für das Management ebenfalls ein Kraftakt. Die viel genutzte Dachauer Halle muss eine Stunde vor Spielbeginn leer sein, jedes Spiel muss gefilmt und online gestellt werden, ein Raum für Dopingkontrollen wird benötigt, zählt Handball-Abteilungsleiter Jürgen Betz auf. Die Fixkosten für Heimspiele steigen wegen des höheren Aufwands für die Offiziellen, die Fixkosten für die Auswärtsspiele wegen langer Auswärtsfahrten. Der Etat verdoppelt sich, schätzt Oberrenner. Der Kader bleibt weitgehend derselbe, eine Schlüsselposition aber wird umbesetzt: Aufstiegstrainer Bernd Dreckmann verlässt den ASV nach acht Jahren, das war schon länger klar. Vom alten Trainerteam bleibt Stefan Weidinger, neu dazu kommt Thomas Lukauer. Lukauer war lange Jahre beim Drittligisten HCD Gröbenzell, zuletzt bei den A-Juniorinnen in der Jugendbundesliga. "Deswegen glaube ich, kann ich ganz gut einschätzen, was auf den Verein und die Spielerinnen zukommt", sagt Lukauer. Er geht das Wagnis ein, weil ihn die dritte Liga sportlich reizt und ihm die familiäre Atmosphäre in Dachau gefällt: "Es gibt viele verrückte Leute dort, die alles für Handball machen." Lukauer ist zurzeit am Scouten und Sondieren, er forscht nach punktuellen Verstärkungen für den ASV. Höherklassige Erfahrung, entweder im Jugend- oder Damenbereich, ist Voraussetzung, sagt der 44-Jährige: "Jemand, der nicht mindestens Jugendbundesliga gespielt hat, wird sich sehr, sehr, sehr schwer tun, in der dritten Liga einzusteigen."
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Die Dramaturgie des Ostersamstags hatte damit gelockt, dass der gebeutelte FC Schalke 04 im fünftletzten Spiel der Saison nur einen unscheinbaren Sieg benötigt hätte, um einen großen Schritt zum Klassenerhalt zu tun, um nämlich zwölf Punkte und 16 Tore Vorsprung vor dem ersten direkten Abstiegsplatz zu erlangen. Aber wie schwer fällt solch ein Sieg in einer Phase der fußballerischen Trübsal gegen einen Kontrahenten wie die TSG Hoffenheim, die in anderen Sphären und zuletzt mit einer gewissen Leichtigkeit um eine internationale Starterlaubnis spielt? Sehr schwer, er ist offenbar nahezu unmöglich. Deshalb verlor Schalke am späten Samstagabend mit 2:5 (0:2) und hat statt der erhofften zwölf Punkte auf Platz 17 weiterhin nur sechs Punkte vor Platz 16 - allerdings ein um 20 Tore besseres Torverhältnis als der dort stehende VfB, was noch wichtig werden könnte. Am letzten Spieltag empfängt man nämlich die Stuttgarter zum möglicherweise entscheidenden Spiel. Auf Platz 16 droht die Relegation, nach derzeitigem Stand gegen den ostwestfälischen SC Paderborn. Hoffenheim hingegen winken in der kommenden Saison Spiele gegen europäischen Topklubs, die Kraichgauer sind bis auf einen Punkt an Borussia Mönchengladbach herangerückt. Schalke, schon in den vorangegangenen fünf Pflichtheimspielen fünf Mal nacheinander besiegt bei 3:12 Toren, gestaltete die Partie zu Beginn erstaunlich offen und verzeichnete sogar die effektiveren Vorstöße, ehe Hoffenheims Ishak Belfodil in der 25. Minute wie aus heiterem Himmel ein Solo mit einem sehenswerten Schuss zur 1:0-Führung abschloss. Von solchem Pech wie paralysiert, vergaben die Schalker im Gegenzug ihre größte Chance, als Guido Burgstaller und Breel Embolo gemeinsam allein vorm gegnerischen Tor den Ball empfangen wollen, doch aus unverständlichen Gründen bekam ihn keiner von beiden unter Kontrolle, weshalb der schnelle Ausgleich Wunschdenken blieb. Schalke ergibt sich erst spät seinem Schicksal - Hoffenheim darf wieder träumen Respektabel war die Leistung der Königsblauen bis hierher trotzdem, vor allem, wenn man bedenkt, dass mit Torwart Alexander Nübel sowie Weston McKennie, Suat Serdar, Breel Embolo und dem Bundesliga-Debütanten Jonas Carls aus der U23 fünf Spieler 22 Jahre und jünger waren. Es war aber vermutlich auch diese Unerfahrenheit, die den cleveren Hoffenheimern ermöglichte, in der 45. Minute auf 2:0 zu erhöhen, weil sich auf ihrer rechten Seite Räume auftaten, von denen Andrej Kramaric die seinen auf Vorlage von Kerem Demirbay zum zweiten Treffer nutzte. "Uns gelingt es nicht, das 1:1 zu machen, dann gehen die Köpfe nach unten und das müssen wir versuchen zu verhindern", sagte auch Stevens nach der Partie. In der Pause pfiffen die Schalker Fans vielleicht aus Enttäuschung, dabei konnten sie ihrer tapferen Mannschaft bis dahin so ganz viel gar nicht vorwerfen. Die Hoffenheimer legen zum sukzessiven Abschied ihres Trainers Julian Nagelsmann gen Leipzig eine immer bessere Form an den Tag und dürfen jetzt sogar wieder von der Champions League träumen, nachdem sie nun vier Spiele nacheinander mit insgesamt 15:3 Toren gewonnen haben. Mit 16 Punkten aus den jüngsten sechs Ligaspielen haben sie sich aus dem bedeutungslosen Mittelfeld zurück ins Rampenlicht gespielt. Spannend wurde die Sache in Gelsenkirchen für wenige Minuten nur deshalb noch einmal, weil die Schalker in der 58. Minute einen Foulelfmeter zugesprochen bekamen (Pavel Kaderabek an Embolo), den Daniel Caligiuri in der 60. Minute zum 1:2 verwandelte. Doch schon fünf Minuten später sorgte der neun Minuten zuvor eingewechselte Adam Szalai per Kopf nach einer Flanke von Belfodil mit dem 3:1 für die Vorentscheidung. Das 4:1 schoss Nadiem Amiri (80.), das 5:1 wieder Belfodil. Schalke ergab sich nun widerstandslos. Eiskalt und ohne spielerische Dominanz haben die Hoffenheimer die deprimierten Gelsenkirchener am Ende gar gedemütigt, auch Stevens war sichtlich angegriffen: "Deswegen habe ich gesagt, dass das meine schwierigste Aufgabe ist, die ich je gehabt habe, und das weiß ich auch." Trotz des Treffers zum 2:5 durch Burgstaller in der Schlussminute pfiffen die königsblauen Fans, diesmal voller Unverständnis und Verbitterung.
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Welch ein Glück, wenn man einen BMW 507 in der Garage stehen haben sollte. Ein Roadster aus den 1950er-Jahren, so elegant wie heute kaum noch ein Wagen ist. Und zugleich so begehrt: Der Wert des BMW 507 erhöhte sich dem Oldtimerindex der Südwestbank AG zufolge zwischen 2005 und 2019 um 813 Prozent - einwandfreie Wagen rangieren nun bei 1,73 Millionen Euro, pro Auto. Auch insgesamt legen gut gepflegte alte Autos deutlich mehr an Wert zu, als die zeitgenössische Wirtschaft, zeigt der Index, in dem nur Fahrzeuge aufgenommen werden, die mindestens 30 Jahre alt sind und die ausschließlich von Herstellern aus dem süddeutschen Raum kommen. Seit 2005 ging der Index um 454 Prozent nach oben, der Aktienindex Dax lediglich um 148 Prozent, deutsche Staatsanleihen schafften gerade einmal ein Plus von gut 60 Prozent. "Oldtimer können interessant sein für Investoren, die in Zeiten niedriger Zinsen nach alternativen Anlagemöglichkeiten suchen", sagt Jens Berner, Oldtimer-Experte bei der Südwestbank, die einmal jährlich die Preisangaben des Fachmagazins Motor Klassik auswertet. Mit alten Autos zum großen Geld? Das ist ganz so einfach auch nicht, erklärt einer, der sich auskennt: Heinz Gottwick war lange Zeit Topmanager bei Daimler und kümmert sich seit seiner Pensionierung um seine auf inzwischen 40 Autos gewachsene Sammlung alter Wagen. "Es ist eine Geldanlage, an der man sich freuen kann, die lebt und an der man auch einmal reüssieren kann bei einer Ausfahrt", sagt er. Zumal es eine gute Zeit zum Einsteigen sei, weil viele ältere Leute gerade ihre Sammlungen auflösten oder verkleinerten. Aber es gebe auch etliche Herausforderungen: Kennt man die Achillesfersen eines Oldtimers, kennt man sich aus mit der Technik? Wo stehen die Wagen gut geschützt? "Das ist aufwendiger, als sein Geld in einen Fond anzulegen", sagt Sammler Gottwick. Sieht er in Stuttgart eine freie Garage, mietet er sie. Dann müssen die Wagen bewegt werden: "Ein Oldtimer, der nur herumsteht, wird schlecht wie eine Kiste Tomaten." Der Automanager fährt seine Autos - der BMW 2002 ist ihm lieb, aber auch die Giulia von Alfa Romeo und der Mercedes 300 SEL - auf Rennen wie der Mille Miglia. Ihm geht es vor allem darum, sich an die eigenen Jugendträume zu erinnern, für ein Lächeln am Straßenrand zu sorgen. Diese Emotionalität sei ein weiteres Problem solcher Investitionen: "Können Sie das Auto gegebenenfalls wirklich veräußern?" Daran denken die Berater der Südwestbank nicht. Aber sie haben den durchschnittlichen Aufwand für einen Oldtimer berechnet: Bei einem Kaufpreis von 100 000 Euro müsste ein Besitzer etwa vier Prozent Nebenkosten pro Jahr einkalkulieren.
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Bislang war unklar, ob der Bau der neuen europäische Trägerrakete "Ariane 6" überhaupt wie geplant anlaufen kann - es gab zu wenig Aufträge. Nun beginnt der Bau einer ersten Serie mit 14 Trägerraketen. Aufatmen bei den Herstellern der europäischen Trägerrakete Ariane: Nachdem die deutsch-französische Ariane-Group über zu wenig Aufträge für die neue Generation, die Ariane 6 , geklagt hatte, kann das Unternehmen jetzt mit der Serienproduktion beginnen. Nach Angaben von Ariane soll demnächst der Bau einer ersten Serie von 14 Trägerraketen starten. Die Raketen sollen 2021 bis 2023 Nutzlasten staatlicher und privater Kunden ins All schießen. Der Erstflug des Modells ist für Juli kommenden Jahres geplant, diese Rakete wird bereits gebaut. Die Ariane 6 soll dann 30 Satelliten des Internet-Kommunikationssystems Oneweb in die Erdumlaufbahn befördern, wie Ariane-Space-Chef Stéphane Israël unlängst per Twitter angekündigt hatte. Weitere Oneweb-Flüge sind ab 2023 geplant. Darüber hinaus gibt es diverse Aufträge für das Satellitennavigationssystem Galileo, die Kommunikationssatelliten Eutelsat sowie womöglich für eine Jupitersonde der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Bislang war unklar, ob die Ariane-Group die Produktion mit dem Wechsel zur Ariane 6 auf bis zu zwölf Raketen pro Jahr verdoppeln kann, weil sich vor allem staatliche Auftraggeber zurückgehalten hatten. Hintergrund ist ein Preiskampf mit der Konkurrenz von Elon Musks Raketenfirma Space-X. Während dort ein Start der Falcon 9 etwa 62 Millionen Dollar kostet, müssen für die Ariane 5 nach Branchenangaben knapp 180 Millionen Dollar gezahlt werden. Selbst die Bundeswehr und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nutzen deswegen den US-Anbieter. Mit der neuen Ariane 6 soll der Preis um 40 bis 50 Prozent sinken. Die Ariane wird vor allem in Frankreich, Deutschland und Italien gefertigt. Hierzulande ist neben Ariane Group in Bremen und Ottobrunn die OHB-Tochter MT Aerospace in Augsburg beteiligt. Die Ariane-Group ist eine Tochter der Luftfahrtkonzerne Airbus und Safran.
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Die 63 ist eine fast schon mystische Nummer im Augusta National Golf Club. Nur zwei Golfspieler spielten in der langen, prestigeträchtigen Geschichte des Masters eine Runde mit neun Schlägen unter dem Platzstandard von 72 Schlägen: Nick Price und Greg Norman stellten 1986 beziehungsweise 1996 den Platzrekord auf, der seither fast schon sagenumwoben ist, weil ihm nur wenige der weltbesten Golfer überhaupt nahekommen konnten. Umso bemerkenswerter war der Verlauf der dritten Runde des Masters am Samstag, in der sich gleich drei Spieler anschickten, Price und Norman in den Schatten zu stellen. Patrick Cantlay, Webb Simpson und Tony Finau scheiterten letzten Endes nur an einem Schlag, doch auch die Runden von 64 hatten einen deutlichen Effekt, vor allem für den Letztgenannten: Mit einem Score von insgesamt elf Schlägen unter Par ist der Amerikaner Finau bei seiner zweiten Masters-Teilnahme als geteilter Zweiter voll dabei im Geschehen. Dass der sonst so gefürchtet schwierige Kurs in Augusta sich am Samstag vergleichsweise freundlich präsentierte, lag vor allem an den angenehmen Klimabedingungen. Der Regen der vergangenen Woche hatte die Grüns weich und damit leichter anspielbar werden lassen, das warme und nahezu windfreie Wetter am Samstag ließ die Bälle weit fliegen und gut kontrollieren. Die besten Spieler der Welt griffen an: Die 64er-Runden des genannten Trios waren nur die Spitze des Eisbergs, dahinter schob sich die Spitzengruppe eng zusammen, sechs Spieler liegen vor der Schlussrunde innerhalb von nur vier Schlägen. Woods spielt um den Sieg mit - die deutschen Golfer nicht Unter den Kandidaten für das grüne Jacket, das der Masters-Sieger traditionell am Sonntag erhält, ist auch der Golfer, der die Zuschauer in Augusta mit großem Abstand am meisten elektrisiert: Tiger Woods ist nach 54 von 72 Löchern ebenfalls Zweiter, ihm werden auch am Sonntag die meisten Anhänger folgen. Weil die Löcher auf dem vergleichsweise kleinen Gelände in Augusta nahe beieinander liegen, hört man das Raunen der Patrons, wie die Zuschauer beim Masters genannt werden, fast über den ganzen Platz. Wenn Woods einen Putt versenkt, ist dieses Raunen noch einmal unvergleichlich lauter. Jene sogenannte "Tiger-Roars" hörte man am Samstag häufig, mit einigen Schlägen, die an die Hochzeit seiner Karriere erinnerten, brachte sich der viermalige Masters-Champion einem erneuten Triumph näher. Als Führender mit zwei Schlägen Vorsprung in die Schlussrunde geht jedoch der Italiener Francesco Molinari - jener Spieler also, der im Juli vergangenen Jahres schon einmal Woods einen Major-Titel verwehrte. Damals spielte Molinari bei der Open Championship in Großbritannien zu gut, zu konstant für den Altmeister, auch in Augusta wirkt der Italiener nahezu unschlagbar: In den bisherigen drei Runden spielte er gerade einmal einen einzigen Bogey. Während Molinari und Woods sich am Sonntag als finale Gruppe auf den Weg machen werden, können sowohl Bernhard Langer als geteilter 50. (+2) als auch Martin Kaymer als geteilter 57. (+3) bei der Entscheidung nichts mehr mitreden - und müssen früh aufstehen: Weil für den Nachmittag am Sonntag schwere Gewitter vorhergesagt sind, starten die Spieler bereits ab 7.30 morgens (die Übertragung in Deutschland läuft ab 15 Uhr), vermutlich mit deutlich mehr Wind. Nick Price und Greg Norman können daher beruhigt sein: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich am Sonntag jemand ihrem Platzrekord nähert, ist eher gering.
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Der kleine Bub auf dem Arm seines Vaters hatte keine Lust auf ein Interview. "No", entgegnete der Sohn von Will Clyburn mit grimmigem Blick auf die Frage eines Reporters, ob er etwas sagen wolle. Er hoffte, auch sein Papa würde endlich aufhören, in so ein blödes Mikrofon zu plappern. Doch Clyburn, der frühere Ulmer Basketballer, war am Donnerstagabend beim Sieg von ZSKA Moskau gegen den FC Bayern nun mal der gefragteste Spieler des Abends, weil er im Schlussviertel entscheidend mitgeholfen hatte, dass Moskau gegen die lange renitenten Münchner in den letzten zehn Minuten erstmals in Führung ging. "Es war wichtig, dass wir gewonnen haben", fand Clyburn, der 20 Punkte sammelte. "Wir haben den Sieg für unser Selbstvertrauen gebraucht, besonders nach der letzten Heimniederlage." Dass das Spitzenteam nicht unverwundbar ist für die Konkurrenten in der höchsten europäischen Spielklasse, hatte in der Woche zuvor schon Tel Aviv bewiesen. Nun zeigten auch die Münchner, dass sie der Auswahl mit einigen internationalen Spitzenkräften auf Augenhöhe begegneten. Sie piesackten sie gehörig, in der Anfangsphase dominierten sie die Partie sogar und konnten ein bisschen enteilen, auf 19:6, weil sie ihre Würfe trafen und lästig verteidigten, während die Moskauer mit ihren Würfen haderten. "Wir hatten uns einen Vorteil erarbeitet", sagte Bayern-Cheftrainer Dejan Radonjic. Im letzten Viertel aber, als Sergio Rodriguez seine Mannschaft 66:64 in Führung brachte, entschieden Kleinigkeiten die Partie. "ZSKA hat dann in ein paar Minuten Fehler von uns mit seiner großen Erfahrung und Qualität ausgenutzt", stellte Radonjic enttäuscht fest. Ein bisschen mehr als zwei Minuten benötigten die Russen nur, um sich nach einem Dreier von Rodriguez einen zweistelligen Vorsprung zu erspielen (75:64). "Wenn du nicht die kompletten 40 Minuten aufpasst, zieht so ein Topteam eiskalt weg", sagte Münchens Center Leon Radosevic. Die Bayern mussten in dieser kurzen Phase leidvoll erfahren, wie es sich anfühlt, wenn der Kontrahent angesichts der Ausfälle der Langzeitverletzten Milan Macvan und Devin Booker sowie kurzfristig Vladimir Lucic (Infekt) die besser besetzte Bank besitzt. In der Bundesliga sind es normalerweise die Münchner, die frische Profis einwechseln können, die dem Spiel noch eine Wendung geben können. Doch diesmal mussten sie tatenlos zusehen, wie Joel Bolomboy mit einem Verzweiflungsdreier und einem spektakulären Dunk neben Clyburn großen Anteil daran hatte, dass Moskau das Spiel noch zu drehen vermochte. Erschwerend kam im Schlussviertel hinzu, dass Münchens Kapitän Danilo Barthel (fünftes Foul) und Spielmacher Maodo Lo (Kniebeschwerden) nicht mehr mitwirken konnten. Radonjic vermisste in der Verteidigung vor allem den vielseitigen Lucic. "Er hat uns gegen Clyburn gefehlt", hob der Montenegriner hervor. Clyburn zeichnet neben seiner Treffsicherheit und Athletik vor allem auch die Fähigkeit aus, sich in Korbnähe mit dem Rücken zu kleineren Gegenspieler aufzuposten, um so zu leichten Punkten zu kommen. Lucic soll am Dienstag wieder mitspielen können. Der Spielplan führt den FC Bayern dann in der Bundesliga nach Göttingen, bevor sich der Tross abermals aufmacht nach Moskau, wo die Bayern-Basketballer dann am Freitag bei Khimki antreten müssen.
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"Die Elektromobilität läuft bei Daimler", freut sich Konzern-Chef Dieter Zetsche. Wirklich? Bisher war der Weg zur emissionsarmen Mobilität steinig. 2012 investierten die Stuttgarter vergleichbare Beträge in Diesel und Stromer: Drei Milliarden Euro kostete es, die Euro-5-Stinker durch saubere Selbstzünder zu ersetzen. Minimale Stickoxid-Werte und niedrige Verbräuche sind das Ergebnis bei den neuen Diesel-Modellen. So glatt lief es bei den Stromern nicht, obwohl ihre Entwicklung inklusive Zellproduktion ähnlich teuer war. Während sich der Smart Electric Drive mit Lieferengpässen herumschlug, floppte der erste batterieelektrische Mercedes komplett. Doppelt so teuer wie der Smart kam die B-Klasse Electric Drive im Alltag auch nicht weiter als 150 Kilometer: "Mangelhaft" befand der ADAC EcoTest. Weil die Kunden dafür keine 40 000 Euro ausgeben wollten, verschwand das Elektroauto klammheimlich von der Bildfläche. Der erste Elektro-Mercedes war ein totaler Flop Entsprechend plan- und wehrlos haben die deutschen Marken Teslas Aufstieg zugeschaut: BMW stoppte 2015 zunächst den geplanten Ausbau der BMW-i-Palette und Mercedes legte den 2009 angekündigten Brennstoffzellenantrieb auf Eis. Statt im doppelten Boden der B-Klasse kam er im vergangenen Jahr lediglich als Kleinserie im GLC F-Cell auf den Markt: Echter Wille zum Umsteuern sieht anders aus. Die Quittung bekommt Mercedes in Form von schlechten CO₂-Werten. Für das abgelaufene Jahr gibt die Pkw-Marke 132 g CO₂/km als Durchschnitt an. Damit fahren die Sternenkreuzer Audi und BMW hinterher. Viele Experten bezweifeln, dass Mercedes die vorgeschriebenen 105 g/km bis 2021 erreichen wird. Denn 2019 wird sich die Lücke von 27 g/km nach Aussage der Stuttgarter "nur geringfügig" schließen. Schuld seien die "Verschiebung des Absatzes weg vom Diesel sowie der weiter steigende Absatz von größeren SUVs". Jetzt rächen sich die Fehler der Vergangenheit: Die überstürzte Wende zu einer sauberen Klimabilanz wird teuer. Detailansicht öffnen Abgastests auf der Straße und dem Prüfstand: Die neue Mercedes B-Klasse mit einem portablen Emissions-Messgerät. (Foto: Daimler) Im Hauruckverfahren führt Mercedes nun in jeder Baureihe E-Antriebe ein. Zehn Milliarden Euro fließen in die EQ-Flotte, die 2022 zehn reine Stromer umfassen soll. Die Nachfrage nach dem neuen EQC auf Basis des GLC-SUV sei hoch, lässt Mercedes verlautbaren. Doch die Händler bekommen in den ersten beiden Jahren gar nicht so viel Luxusstromer, wie sie wollen. Auf der Frankfurter IAA wird im September ein EQA mit über 400 Kilometer Normreichweite vorgestellt. Mehr als die B-Klasse Electric Drive darf die Einstiegsvariante nicht kosten, sonst kommt sie 2020 nicht auf 70 000 verkaufte Fahrzeuge in Europa. Nach Berechnungen von PA Consulting ist diese Stückzahl nötig, um die Kurve beim Flottenwert zu kriegen. Das alles treibende Thema bei der Verkehrswende seien die Kosten, bekannte Dieter Zetsche auf dem Car Symposium in Bochum: "Wenn Elektromobilität nicht erschwinglich wird, dann bekommt man einen ganz großen Zielkonflikt: Einerseits den CO₂-Fußabdruck zu reduzieren und gleichzeitig die Mobilität finanzierbar zu halten." Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma heißt derzeit: Geld in den Kofferraum legen. "Unsere Kunden verzichten gerne auf Emissionen", betonte Dieter Zetsche zwar in Bochum. Tatsächlich verdient Mercedes mit den AMG-Spritsäufern aber am meisten. Viel von dem Geld fließt als Quersubvention in die alternativen Antriebe. Profit bringen diese ohnehin nicht, dafür sind die Anlaufkosten viel zu hoch. Das muss sich bis 2025 ändern, dann wollen die Stuttgarter mehr als 40 Prozent aller Pkw in Europa entweder als Plug-in-Hybride oder als reine Stromer verkaufen. Anders werden sie die dann gültigen Emissionsgrenzen kaum einhalten. "Wir machen Absatz- und CO₂-Planungen, aber wir sind nicht in einer Plan- sondern in einer Marktwirtschaft. Deshalb brauchen wir die Möglichkeit, flexibel reagieren zu können", sagt Frank Overmeyer, der bei Daimler für die Emissionsstrategie verantwortlich ist: "Dazu gehört technische Modularität und ein flexibles Vertriebskonzept." Was das konkret bedeutet, bekommen Mercedes-Vertriebspartner in einem Pilotprojekt zu spüren. Seit Anfang des Jahres wird auf Basis der landesspezifischen Gesetze und Fördermaßnahmen für jeden Markt ein CO₂-Ziel festgelegt. Allein die aktuellen Regeln und Formeln zu verstehen, sei eine Herausforderung, so Overmeyer. Mit dem neuen CO₂-Fahrzeuginformationssystem Cofi könne jede Landesgesellschaft nun im Jahresverlauf sehen, wie weit sie ihr jeweiliges Klimaziel erreicht habe. Sonst heißt es, mit Aktionen gegensteuern, zum Beispiel bei den Plug-in-Hybriden: Unter 50 000 Euro waren die Ökomobile aus Stuttgart bisher nicht zu haben. Doch mit den Teilzeitstromern der dritten Generation wollen die Stuttgarter jetzt richtig Gas geben. Mercedes kündigt 90 kW elektrische Motorleistung und rund 50 Kilometer Reichweite ohne Abgase an. Die Limousine und das T-Modell der C- und E-Klasse können ab diesem Sommer nicht nur an der Steckdose, sondern auch an der Diesel-Zapfsäule tanken. Die Frage, ob diese Kombination von zwei teuren Technologien wirtschaftlich sinnvoll ist, stellt sich nicht mehr: Auf der CO₂-Zielgeraden zählt jedes einzelne emissionsarme Auto. Bis Ende 2020 wollen die Stuttgarter weit mehr als 20 Modellvarianten mit Stecker und Tankstutzen anbieten. Weil das alles nicht reicht, soll bis 2022 das gesamte Mercedes-Pkw-Portfolio leicht elektrifiziert werden. Nächstes Jahr werden weit mehr als hundert Modellvarianten mit der 48-Volt-Technologie ausgestattet. Egal, ob riemengetriebene oder ins Getriebe integrierte (Starter-)Generatoren: Die Mildhybridsysteme sparen acht bis 15 Prozent Kraftstoff, indem sie Schubenergie beim Bremsen in Strom umwandeln. Die in der Batterie geparkte Energie steht beim Anfahren wieder zur Verfügung. Dieses zweite, verstärkte Bordnetz ist gut für die Klimabilanz; die operative Marge dürfte es weiter belasten.
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Es dauert etwa drei Minuten, diesen Text zu lesen. In dieser Zeit wird Facebook mehr als 100 000 Euro verdient haben. Das zeigen die Quartalszahlen, die Mark Zuckerberg am Mittwochabend vorgestellt hat. Seit Jahren läuft es so: Die Zahlen haben viele Nullen, und sie werden immer größer. Diese Entwicklung macht drei Dinge deutlich: Erstens spielt Datenschutz für die meisten Menschen eine untergeordnete Rolle. Zweitens spielt Datenschutz für die meisten Aktionäre gar keine Rolle. Sie wollen nur wissen, ob ein Unternehmen Geld verdient. Wie, ist egal. Drittens sind Aufsichtsbehörden nicht in der Lage, Facebook zu kontrollieren. Es braucht also andere Formen der Regulierung, und zwar besser heute als morgen. Die ersten beiden Punkte sind schnell erklärt. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass Daten von bis zu 87 Millionen Nutzern an das dubiose Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica abgeflossen waren. Die Affäre läutete ein Seuchenjahr für Facebook ein. Kaum hatte sich Mark Zuckerberg für einen Skandal entschuldigt, folgte der nächste. Doch das scheint folgenlos zu bleiben: Nutzerzahlen und Aktienkurs steigen. Die Machtlosigkeit der Aufsichtsbehörden zeigt sich an dieser Summe: drei bis fünf Milliarden Dollar. Das Geld hat Facebook für mögliche Strafzahlungen an die US-Handelskommission zurückgestellt, die wegen Datenschutzverstößen gegen Facebook ermittelt. Die Behörde würde ihre eigene Rekordstrafe um das 200-fache überbieten - und Facebook trotzdem kaum treffen. Das Unternehmen besitzt 45 Milliarden Dollar in bar. Warum wirksame Regulierung dringend nötig wäre, zeigt ein Blick auf die Schlagzeilen, die Facebook in der vergangenen Woche produziert hat. Bei vielen anderen Unternehmen hätten die Nachrichten einen Aufschrei ausgelöst, bei Facebook rufen sie nur noch ein Schulterzucken hervor. Dennoch lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn die Meldungen stehen sinnbildlich für zwölf Monate voller Skandale, unglücklicher Öffentlichkeitsarbeit und Ereignissen, die Facebook selbst als "Versehen" beschreibt. Die meisten dieser Missgeschicke enden jedoch damit, dass Facebook "versehentlich" mehr Daten sammelt. Facebook fragt Nutzer "versehentlich" nach E-Mail-Passwörtern Der Fernsehsender NBC berichtete über interne Dokumente, die den Eindruck nahelegen, dass Wachstum bei Facebook im Zweifel wichtiger ist als Datenschutz. Am selben Tag veröffentlichte das Magazin Wired eine Titelgeschichte, die unter anderem beschrieb, dass 2018 zwischenzeitlich 90 Prozent weniger Leser von Facebook zu Wired gekommen seien - ausgerechnet, nachdem ein kritischer Bericht über Facebook erschienen war. Erst nach vier Wochen und zahlreichen Beschwerden habe Facebook die Ursache entdeckt, angeblich ein bedauerlicher Fehler. Zufall? Womöglich war es auch Zufall, dass Facebook einen Blogeintrag aus dem März genau dann aktualisierte, als der Mueller-Bericht veröffentlicht wurde. Darin gab Facebook zu, man habe die Passwörter statt von Zehntausenden von Millionen Instagram-Nutzern unverschlüsselt gespeichert. Garantiert kein Zufall war es, dass Facebook 1,5 Millionen Nutzer nach ihren E-Mail-Passwörtern fragte, die Adressbücher dann "versehentlich" auf seine Server hochlud und für zielgerichtete Werbung und Freundschaftsvorschläge nutzte. Facebook bedroht nicht nur die Privatsphäre, sondern die Demokratie Das sind nur die Meldungen einer Woche. Die Jahreschronik der Skandale füllt einen Roman. Hinzu kommen Desinformation, Propaganda und gezielt über Facebook und Whatsapp gestreute Gerüchte, die in mehreren Ländern soziale Unruhen und Lynchmobs ausgelöst haben. Das Unternehmen bedroht nicht nur die Privatsphäre von Milliarden Menschen, sondern auch die Demokratie. Facebook ist nicht böse, aber es ist sich selbst über den Kopf gewachsen. Eine der wichtigsten Kommunikations-Infrastrukturen der Welt ist in Teilen außer Kontrolle geraten. Ende März hat Mark Zuckerberg vier aufsehenerregende Vorschläge gemacht. Er plädierte für mehr Regulierung im Netz, schärfere Datenschutzgesetze und demokratische Aufsicht für globale Plattformen. Es ist höchste Zeit, ihn beim Wort zu nehmen. Jahrelang haben Staaten tatenlos zugesehen, wie Technologiekonzerne mächtiger und reicher geworden sind. Wenn Alternativen zu Facebook, Instagram und Whatsapp entstehen, könnte es passieren, dass Facebook während der Lektüre dieses Textes künftig nur noch 50 000 Euro verdient. Das wäre immer noch genug.
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Die Arbeitszeit bestimmen Sie mit: Zumindest in größeren Betrieben können Mitarbeiter von nun an ihre Stundenzahl vorübergehend reduzieren, wenn sie Zeit für andere Dinge haben möchten. Schluss mit der Teilzeitfalle: Wer weniger arbeiten möchte, soll dafür nicht mehr seine Vollzeitstelle aufgeben müssen. Zumindest Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in größeren Betrieben dürfen vorübergehend kürzertreten. Für wen der Anspruch gilt, was er beinhaltet und wie Sie ihn durchsetzen. Was ist unter Brückenteilzeit zu verstehen? Mit der Brückenteilzeit ist ein gesetzlicher Anspruch auf vorübergehende Teilzeitbeschäftigung gemeint. Sie wird vorab auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt und für mindestens ein Jahr, maximal fünf Jahre vereinbart. Sie kann taggenau vereinbart werden. Eine vorzeitige Rückkehr ist möglich, wenn der Arbeitgeber zustimmt. Im Unterschied zu anderen Teilzeitregelungen, müssen Beschäftigte für ihre Forderung nach Brückenteilzeit keine Gründe angeben. Für wen gilt die Brückenteilzeit? Der Anspruch auf Brückenteilzeit gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeiter, die in einem Betrieb mit mindestens 45 Beschäftigten arbeiten. Voraussetzung ist, dass der oder die Beschäftigte seit mindestens sechs Monaten für den derzeitigen Arbeitgeber tätig ist. Außerdem müssen seit der letzten Teilzeitbeschäftigung mindestens zwölf Monate vergangen sein. Arbeitnehmer in Betrieben mit wenigen Beschäftigten können ohne Rechtsanspruch das Gespräch mit ihrem Arbeitgeber suchen und nach der Möglichkeit einer Brückenteilzeitbeschäftigung oder einer anderen Teilzeitregelung fragen. Ihren Anspruch auf Brückenteilzeit können Interessierte hier prüfen. Welche Rechte habe ich, wenn ich bereits in unbefristeter Teilzeit arbeite? Auch Teilzeitbeschäftigte haben einen Anspruch darauf, vorübergehend weniger zu arbeiten. Sie können also ihre Arbeitszeit für einen begrenzten Zeitraum weiter reduzieren und zum Beispiel zwei Jahre lang nur 50 statt 80 Prozent arbeiten. Anschließend kehren sie dann auf die 80-Prozent-Stelle zurück. Es ergibt sich aus dem Gesetz aber kein Anspruch, die ursprünglich vertraglich vereinbarte Arbeitszeit einer Teilzeitstelle zu erhöhen beziehungsweise eine gewöhnliche Teilzeitstelle in eine Vollzeitbeschäftigung umzuwandeln. Wie setze ich den Anspruch auf Brückenteilzeit durch? Wer in Teilzeit arbeiten möchte, muss diesen Wunsch spätestens drei Monate zuvor schriftlich beim Arbeitgeber einreichen. Das gilt für Brückenteilzeit wie beim zeitlich unbegrenzten Teilzeitanspruch. Mit dem Antrag wird der Arbeitgeber verpflichtet, über eine entsprechende Regelung zu sprechen. Was gilt, wenn der Arbeitgeber auf meinen Antrag nicht reagiert? Einfach gesagt: Das ist nicht Ihr Problem. Arbeitgeber müssen mit Arbeitnehmern über den Brückenteilzeit-Wunsch sprechen und mit ihnen zu einer Vereinbarung kommen. Spätestens einen Monat vor dem geforderten Beginn der Arbeitszeitreduzierung müssen sie ihre Entscheidung über den Antrag schriftlich mitteilen. Tut der Arbeitgeber das nicht, gilt die vom Arbeitnehmer gewünschte Regelung. Unter welchen Voraussetzungen können Arbeitgeber die Brückenteilzeit ablehnen? Für Arbeitgeber mit 45 bis 200 Beschäftigten gilt eine sogenannte Zumutbarkeitsregelung. Sie müssen nicht allen Mitarbeitern zugleich die Brückenteilzeit ermöglichen. Der Arbeitgeber kann den Antrag auf Brückenteilzeit ablehnen, wenn er bereits einem von 15 Mitarbeitern eine Brückenteilzeit gewährt. Bei 45 Beschäftigten muss er nur drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine vorübergehende Teilzeit gestatten. Schnell sein lohnt sich also. Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern haben sehr gute Chancen, dass der Arbeitgeber ihrem Antrag auf Brückenteilzeit nachkommen muss. Er kann eine Verringerung der Arbeitszeit nur dann ablehnen, wenn ihr betriebliche Gründe entgegenstehen. Das trifft etwa zu, wenn dadurch der Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt würden oder ihm unverhältnismäßig hohe Kosten entstünden. Gründe für die Ablehnung können im Tarifvertrag festgelegt werden. Was gilt, wenn der Arbeitgeber eine Ablehnung erteilt? Führt der Arbeitgeber für seine Ablehnung betriebliche Gründe an, kann der Arbeitnehmer es nach zwei Jahren wieder versuchen. Lehnt der Arbeitgeber aufgrund der Zumutbarkeitsgrenze ab, also weil bereits genügend Mitarbeiter in Brückenteilzeit sind, kann nach Ablauf von einem Jahr erneut eine Arbeitszeitverringerung verlangt werden.
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Das britische Parlament soll am 29. Januar über neue Vorschläge von Premierministerin May zum Brexit abstimmen. Dem werde eine ganztägige Debatte vorausgehen, erklärte die Fraktionschefin der Konservativen Partei, Andrea Leadsom. Sie bestätigte, dass May am Montag - acht Tage davor - ihre überarbeiteten Vorschläge zum Austritt aus der EU vorlegen und eine Erklärung dazu abgeben wird. Unklar blieb zunächst, welche Änderungen May vorschlagen wird. Am Morgen traf eine Gruppe von konservativen Abgeordneten zusammen, die sich für ein zweites Referendum aussprechen. Auf einer Veranstaltung veröffentlichten sie Umfragedaten, wonach konservative Wähler diese Schritt befürworten, falls es im Parlament keine andere Lösung gibt. Anwesend war nur eine Handvoll Abgeordnete. Ihre Sichtweise werde breiter geteilt, sagte ihr Wortführer Phillip Lee. Doch würden sich die Betreffenden nicht öffentlich dazu bekennen. Klar sei, dass ein zweites Referendum im Unterhaus bei weitem noch nicht mehrheitsfähig sei. 50-Millionen-Paket in Frankreich Das Parlament hatte das bisherige von May und der EU ausgearbeitete Brexit-Abkommen am Dienstag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Ein von der Labour-Opposition eingebrachtes Misstrauensvotum scheiterte am Mittwoch knapp. Frankreich hat unterdessen weitere Vorkehrungen für einen No-Deal-Brexit getroffen. Vorgesehen sind unter anderem Hilfen in Höhe von 50 Millionen Euro für französische Häfen und Flughäfen, die mit am meisten betroffen sein könnten. Premierminister Edouard Philippe kündigte zusätzlich die Rekrutierung von rund 600 Zöllnern und Veterinären an. Sie sollen nach seinen Worten für die "nötigen Kontrollen" sorgen, sollte bis Ende März kein neues Austritts-Abkommen der EU mit London stehen. Die französische Regierung befürchtet schwerwiegende Auswirkungen im Reiseverkehr und auf den Agrar- und Fischereisektor, wenn die bisherigen EU-Abkommen zur Zusammenarbeit ersatzlos wegfallen.
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Unsere Autorin war in Hamburg unterwegs und wollte einen der vielen neuen Fahrdienste nutzen. Die App aufs Handy zu laden ging zunächst ganz einfach - doch dann fingen die Probleme an. Die Vision wird ja gerne beschworen: Wenn es erst mal bequeme, bezahlbare und zuverlässige Alternativen gibt, werden sich mehr und mehr Menschen vom eigenen Auto verabschieden. Schon jetzt kann man sein Smartphone vollpacken mit Apps, die smarte innerstädtische Mobilität versprechen. Doch was hilft es, wenn man sich nicht darauf verlassen kann? Ein verregneter Nachmittag in Hamburg: An einer Ampel steht ein Kleinbus des VW-Fahrdienstes Moia. Das Sammeltaxi soll Menschen günstig und bequem durch die Stadt fahren. Klingt nach einer guten Idee, günstig zum Flughafen zu kommen. Die App ist schnell aufs Smartphone geladen, der Flughafen als Ziel eingegeben. Der Preis, den die App nennt, ist tatsächlich ein Superangebot: nur fünf Euro für die etwa halbstündige Fahrt. Klar, das bestätigt man gern sofort. Nur Moia bestätigt leider gar nichts. Kein Shuttle verfügbar, meldet die App. Mehrere Versuche, gleiches Ergebnis. Ob das die Folge des Gerichtsurteils ist, das Moia zuletzt dazu zwang, seine Flotte vorerst auf 200 Autos zu begrenzen? Nächster Ridesharing-Dienstleister, nächste App: Die Deutsche-Bahn-Tochter Clevershuttle soll es richten. Wieder Daten eingeben, Ziel auswählen, hoffen. 10,81 Euro sind das Angebot - immer noch ein guter Preis. Aber wieder bestätigt Clevershuttle das Angebot nicht. Auch dort heißt es: leider kein Shuttle verfügbar. "Versuchen Sie es später noch einmal." Danke, nein. Da es Uber in Hamburg nicht gibt, führt der nächste Versuch zu Mytaxi. Auch dort kann man sich Fahrten mit anderen Gästen teilen. Die App gibt nur einen Schätzpreis für die Strecke an: 20 bis 22 Euro. Tatsächlich findet sie eine Fahrt. Doch darauf müsste man 28 Minuten warten. Ein Blick auf die Uhr sagt: zu riskant. So ist es am Ende das gute alte Taxi, das nach der Bestellung per App innerhalb von zwei Minuten vor der Tür steht. Was es kostet, kann man vorher nur ungefähr schätzen. Am Ende sind es 35,70 Euro. Natürlich totaler Irrsinn im Vergleich zum öffentlichen Nahverkehr oder den Ridesharing-Diensten. Aber was nützen deren Offerten, wenn sie in der Praxis nicht funktionieren? Als dann in München am Airport auch noch die S-Bahn streikt, ist kurz nach Mitternacht Uber die letzte Option, um nicht für ein Taxi mehr zu bezahlen, als die gesamte Reise von München nach Hamburg und zurück gekostet hat. Buchung und Fahrt klappen reibungslos und versöhnen etwas mit der smarten Mobilität der Zukunft. Über die Arbeitsbedingungen des Fahrers sollte man dabei aber besser nicht weiter nachdenken.
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Das Landgericht Dortmund weist eine Klage von Opfern einer Brandkatastrophe in Karatschi/Pakistan im September 2012 ab. Die Opfer hatten den Textilkonzern Kik verklagt. Die Dortmunder Richter stuften die Ansprüche nun allerdings als verjährt ein. Das Landgericht Dortmund hat die Klage von vier Betroffenen eines Fabrikbrandes in Pakistan gegen den deutschen Textildiscounter Kik abgewiesen. "Die Ansprüche seien verjährt", sagte Richter Heribert Beckers, Vorsitzender der siebten Zivilkammer. Damit bleibt die zentrale Frage unbeantwortet, ob ein deutsches Unternehmen für die Zustände bei einem ausländischen Zulieferer verantwortlich gemacht werden kann. Deswegen hatten Unternehmen diese Art Musterklage für Deutschland aufmerksam verfolgt. "Das Urteil kommt für uns nicht unerwartet", sagte Gunter Aderhold. Der Kik-Anwalt sprach aber auch von einer "verpassten Chance", weil der Rechtsstreit in der Sache nicht entschieden worden sei. Nach Ansicht des Klägeranwalts Remo Klinger hat das Unternehmen aber genau dieses verhindert, indem es sich "in die Verjährung geflüchtet" habe. Kik hatte vor der Klage einem Verjährungsverzicht zugestimmt, aber etwa zwei Jahre nach Einreichung der Klage erklärt, der Verzicht sei unwirksam. Ob die Kläger Berufung einlegen, wollen sie nach der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden. Am 11. September 2012 war die Fabrik Ali Enterprises in Karatschi abgebrannt. 258 Menschen starben. Verletzte Arbeiter und Hinterbliebene organisierten sich und wählten vier Kläger aus ihren Reihen aus - sie forderten je 30 000 Euro Schmerzensgeld von dem fünftgrößten Textilhändler Deutschlands und reichten Klage ein, unterstützt von der Menschenrechtsorganisation ECCHR und Medico International. Da die Tengelmann-Tochter den Jeanslieferanten bis zu drei Viertel ausgelastet hatte, zogen die Klägeranwälte - vereinfacht gesagt - eine Parallele zur Scheinselbständigkeit Beschäftigter. Kik hatte den Betroffenen und Hinterbliebenen freiwillig mehr als sechs Millionen Dollar ausgezahlt, aber darüber hinaus einen Vergleich abgelehnt. Das Verfahren fand nach pakistanischem Recht statt. Eine zentrale Rolle spielte deswegen ein vom Gericht bei dem britischen Rechtsgelehrten Ken Oliphant in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten. Demnach waren mögliche Ansprüche auf Schmerzensgeld spätestens zwei Jahre nach dem Brand verjährt. Damit hätte die Klage nicht erst im März 2015 eingereicht werden müssen. Das Gericht sieht auch keinen Ausnahmetatbestand für eine Unterbrechung der Verjährung. Darüber hatten die Prozessparteien zuletzt gestritten. In einem Punkt gibt es zwischen den beiden Prozessgegnern jedoch Einigkeit: Beide Seiten fordern eine gesetzliche Regelung für die Haftung von Unternehmen entlang der Lieferketten. Bei nächster Gelegenheit könnten Betroffene aus dem Ausland erneut hier zu Lande gegen ein deutsches Unternehmen klagen. Diese Rechtsunsicherheit würden einige Unternehmen - auch Kik - gerne beseitigen. Ein Gesetz für unternehmerische Sorgfaltspflichten solle festschreiben, welche Verantwortung eine Firma für ihre Zulieferer im Ausland hat und wann Beschäftigte aus anderen Ländern vor einem deutschen Gericht klagen können. Davon verspricht sich Kik auch fairere Wettbewerbsbedingungen. Als Vorbild gilt Frankreich - dort verpflichtet seit 2017 ein Gesetz französische Unternehmen, einen Überwachungsplan im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Lieferkette aufzustellen. Halten die Unternehmen diesen nicht ein und kommt jemand in Folge dessen zu Schaden, so haften die Firmen. Die Bundesregierung setzt auf einen freiwilligen Ansatz. NGOs halten Änderungen für notwendig, damit Beschäftigte aus dem globalen Süden klagen können. Die Klage "verdeutliche Lücken beim Prozessrecht", sagte Cornelia Heydenreich, bei Germanwatch zuständig für Unternehmensverantwortung. Knappe Verjährungsfristen, fehlende Möglichkeiten von Sammelklagen und unrealistische Anforderungen an die Beweiserbringung "torpedierten den Rechtsanspruch der Betroffenen".
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Aus Furcht vor einer weltweiten Konjunktureintrübung haben sich die Anleger am Freitag von der Börse zurückgezogen. Der Dax gab bis zum Handelsschluss um 0,5 Prozent auf 11 458 Punkte ab. Nachdem EZB-Chef Mario Draghi auf der turnusmäßigen Sitzung der Währungshüter am Vortag einen düsteren Ausblick auf die Wirtschaft der Euro-Zone gegeben hatte, goss China mehr Öl ins Feuer: Die Exporte brachen im Februar um mehr als zwanzig Prozent ein. Auch die Importe in das Land sanken deutlich. Darüber hinaus erlitt die deutsche Industrie zu Jahresbeginn einen Auftragseinbruch. "Egal wohin man schaut, die Weltwirtschaft kühlt sich deutlich ab", sagte Fondsmanager Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners. "Die Anleger werden wieder vorsichtiger. Und das aus gutem Grund." Zu den größten Verlierern im Dax zählten erneut die Aktien aus der Automobilbranche (nebenstehender Bericht). Ebenfalls zu den Top-Favorit zählten die Titel von Vonovia mit einem Aufschlag von drei Prozent. Immobilienkonzerne profitieren derzeit vom niedrigen Zinsniveau der EZB. Das verhalf auch den beiden im M-Dax notierten Anteilsscheinen von TAG Immobilien und LEG Immobilien zu Kursgewinnen von 3,3 beziehungsweise knapp drei Prozent. Die Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank standen wegen eines neuerlichen Berichts über ein mögliches Zusammengehen im Blick. Seit Monaten wird darüber spekuliert. Die Aktie der kleineren Coba verlor 1,8 Prozent, für die Aktie Deutschen Bank ging es um ein Prozent abwärts. Zu den wenigen Gewinnern im Dax zählten auch die Titel von Linde, die sich in der Spitze um zwei Prozent verteuerten. Insidern zufolge verkauft der Industriegase-Konzern einen Teil seines Geschäfts in Südkorea für rund eine Milliarde Euro an den einheimischen Finanzinvestor IMM Private Equity. Das Geschäft ist Teil der Kartellauflagen der südkoreanischen Behörden, denen sich Linde wegen der Fusion mit dem US-Rivalen Praxair beugen musste. Die Erlöse aus den Desinvestitionen - schon vor der Transaktion in Südkorea mehr als acht Milliarden Euro - schüttet Linde größtenteils an die Aktionäre aus. Auch an der Wall Street machten sich Konjunktursorgen breit. Der US-Leitindex Dow Jones notierte zur Handelsmitte 0,4 Prozent tiefer bei 25 376 Punkten.
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Vorsichtiger Optimismus im Handelsstreit zwischen den USA und China, sowie Spekulationen auf eine nicht ganz so straffe US-Geldpolitik beflügeln den deutschen Leitindex. Auch die Anleger an der Wall Street sind in Kauflaune. Zum Abschluss der verkürzten Handelswoche haben die Börsen in Europa eine Aufholjagd gestartet. Dabei half die neue Hoffnung der Anleger auf eine baldige Entspannung im Handelskonflikt zwischen China und den USA. Ein zusätzlicher Schub kam vom Präsidenten der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, der den Investoren die Sorgen vor einer zu straffen Geldpolitik gnahm, indem er mehr Flexibilität bei der Zinspolitik der Fed signalisierte. Der Dax legte daraufhin am Freitag um 3,4 Prozent auf 10 768 Punkte zu. "Man hofft auf dem Börsenparkett auf eine Verbesserung der Kommunikation zwischen Peking und Washington", sagte Analyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus AxiTrader. Anfang der kommenden Woche wollen sich Delegationen aus China und den USA treffen, um über den seit Monaten schwelenden Zollstreit zu sprechen. "Es gibt mehr Gründe zu glauben, dass sich eine Handelsvereinbarung zwischen China und den USA in den kommenden Wochen abzeichnen könnte", erklärte Ray Attrill, Währungsstratege bei der National Australia Bank. Davon profitierten auch die Aktienmärkte in China. Der Leitindex SSE Composite verbesserte sich um mehr als zwei Prozent. Einer der größten Gewinner im Dax waren die Aktien von Bayer mit einem Plus von 6,7 Prozent. Der Pharma- und Agrarchemieriese verschaffte sich im US-Schadensersatzverfahren um den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat einen Vorteil. Die Entscheidung eines US-Richters milderte die Angst vor milliardenhohen Risiken durch Klagen wegen des umstrittenen Unkrautvernichters. Auf der Verliererseite standen Aktien von Fernsehanbietern, nachdem Analysten der US-Investmentbank Morgan Stanley steigende Ausgaben für den Ausbau von Streamingdiensten und sinkende Dividenden der Unternehmen prognostiziert hatten. Die Titel von ProSiebenSat.1 rutschten um bis zu 7,4 Prozent auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren ab. Mediaset-Aktien verloren an der Börse in Mailand gut zwei Prozent an Wert. Auch die Anleger in New York waren in Kauflaune. Der Dow Jones beendete den Handel 3,3 Prozent höher bei 23433 Punkten. Apple-Aktien gewannen 4,3 Prozent. Am Vortag hatten sie noch zehn Prozent eingebüßt, nachdem der Konzern seine Umsatzerwartungen für das abgelaufene Quartal verfehlt hatte.
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Straßensperren, besetzte Plantagen, schießwütige Soldaten, das sind die jüngsten Meldungen aus der Region um die Stadt Lokutu in der Demokratischen Republik Kongo. Dort ist die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) in einen Konflikt zwischen der Palmölfirma Plantations et Huileries du Congo (PHC) und eines Teils der Bevölkerung verwickelt. Die DEG und andere Entwicklungsbanken haben dem Unternehmen 2015 einen Kredit von 44 Millionen Dollar (etwa 39 Millionen Euro) gewährt. Damit sollte PHC Ölpalmen pflanzen, Jobs schaffen und soziale Projekte für die Bevölkerung finanzieren. Die Firma streitet jedoch mit Bauern über Landrechte und mit Arbeitern über Lohnzahlungen. Der Verbund von Nichtregierungsorganisationen im Kongo "Réseau d'Information et d'Appui aux ONG en RDC" (Riao) hat deshalb im Namen von neun Gemeinden das unabhängige Schlichtungsverfahren der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft beantragt. "Es gibt ein großes Konfliktpotenzial", sagt Michael Windfuhr, stellvertretender Leiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Er hat im Team der unabhängigen Experten die Verantwortung für den Streitfall. Ende Mai wird er mit einer Expertin für ländliche Entwicklung in den Kongo reisen. Die Mediatoren müssen zunächst herausfinden, welche Personen an den Gesprächen über eine Konfliktlösung teilnehmen sollen. Das ist eine schwierige Aufgabe angesichts weit verbreiteter Gewaltbereitschaft und Korruption. Windfuhr und sein Team müssen zudem klären, welche Version der jüngsten Eskalation am ehesten der Wahrheit entspricht. Riao-Vertreter Jean-François Mombia Atuku berichtet, die Palmölfirma habe monatelang die Arbeiter nicht bezahlt. Sie habe den Ausstand damit begründet, dass die Firma wegen des Schlichtungsverfahrens keine Kredite mehr bekomme. Deshalb hätten die Arbeiter die Lastwagen von PHC auf der Straße blockiert, die Ölfrüchte selbst geerntet und auf eigene Rechnung verkauft. Das Militär habe die Arbeiter vertreiben wollen und dabei in die Luft geschossen. Ein Sprecher der kanadischen Firma Feronia, Besitzerin von PHC, bestreitet das. Die Firma habe die Löhne bezahlt und niemals das Schlichtungsverfahren für Ausstände verantwortlich gemacht. Das Palmölgeschäft von PHC ist nahezu die einzige operative Tätigkeit von Feronia. Die defizitäre Mutterfirma hat im Januar und im März kurzfristige Kredite von insgesamt acht Millionen Dollar erhalten. Geldgeber sind die britische Entwicklungsbank und KN Agri Capital Management, ein Finanzkonstrukt verschiedener Fondsgesellschaften. Uwe Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen, hat die Bundesregierung in Berlin gefragt, ob sie von den Zwischenfällen im Kongo wisse, und wie die DEG gegebenenfalls die Lage beruhigen wolle. Die DEG ist eine Tochter der staatlichen Entwicklungsbank KfW und hat somit einen entwicklungspolitischen Auftrag. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit bestätigte, von einem Vorfall zu wissen, bei dem Bewaffnete eine öffentliche Straße blockiert hätten, die auch von PHC-Fahrzeugen genutzt werde. Straßenblockaden kämen im Kongo häufig vor und seien Ausdruck der "generellen wirtschaftlich und politisch angespannten Situation". Die Aufarbeitung obliege den örtlichen Behörden. Uwe Kekeritz nennt diese Antwort aus dem Ministerium "bewusst ahnungslos". Die DEG und Feronia würden die Beschwerden der Bevölkerung nicht ernst nehmen. Daher sei der Erfolg des Schlichtungsverfahrens zweifelhaft. Die DEG und Feronia wollten das laufende Verfahren nicht kommentieren, versicherten jedoch, sie würden mit den unabhängigen Schlichtern zusammenarbeiten.
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Rolle rückwärts bei Fortuna Düsseldorf: Nach der Verkündung, sich im Sommer von Friedhelm Funkel zu trennen, folgen jetzt doch neue Vertragsgespräche mit dem Trainer. Viele wütende Fans schimpfen auf Vorstandschef Schäfer. Das zweite Januar-Wochenende 2019 war ein denkwürdiges für Fortuna Düsseldorf. Der Vorstandsvorsitzende Robert Schäfer, seit März 2016 im Amt, hat diesen 124 Jahre alten Fußballklub in eine Posse gestürzt, von der man sich schnellstens erholen muss. Denn die Mannschaft muss am Limit ihrer fußballerischen Fähigkeiten weiterhin hart um den Bundesliga-Klassenerhalt kämpfen - und kann deshalb eine öffentlich entbrannte Fehde zwischen Schäfer und Trainer Friedhelm Funkel partout nicht gebrauchen.
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Bei einem Zusammenstoß von zwei Schiffen vor der Ostseeinsel Rügen sind am Dienstag fünf Menschen schwer und zehn weitere leicht verletzt worden. Gegen 7:30 Uhr waren das Versorgungsschiff World Bora und der Frachter Raba mehrere Seemeilen östlich der Insel kollidiert. Beide Schiffe hatten es aber im Anschluss geschafft, jeweils noch einen Hafen anzusteuern. Gegen beide Kapitäne werden jetzt Ermittlungen wegen des Verdachts der Gefährdung des Schiffsverkehrs aufgenommen, sagte ein Sprecher der Wasserschutzpolizei am Mittwoch. Bei den Verletzten handelt es sich laut Wasserschutzpolizei um 15 Personen, die sich auf der World Bora befunden haben. Neben vier Crew-Mitgliedern des Schiffes wurden auch elf Techniker verletzt, die auf dem Weg zur Arbeit auf Offshore-Windkraftanlagen in der Ostsee gewesen seien. Fünf Schwerverletzte und zehn Leichtverletzte wurden in Krankenhäuser auf Rügen gebracht, meldete die polizei am Mittwoch. Damit revidierte sie ursprüngliche Angaben, denen zufolge es sich um zehn Schwerverletzte gehandelt haben sollte. Die Ursache der Kollision ist bislang unklar. Laut Wasserschutzpolizei habe keines der Schiffe Leck geschlagen. Zunächst soll über Positions- und Wetterdaten versucht werden, den Unfall zu rekonstruieren. Die Untersuchungen nach Schiffsunfällen ziehen sich häufig lange hin, so dass eher nicht mit schnellen Ergebnissen gerechnet werden könne, sagte der Polizeisprecher am Dienstag. Erste Ermittlungen ergaben am Mittwoch, dass beide Schiffe mit hoher Geschwindigkeit zusammengestoßen seien. Die World Bora sei frontal in die Steuerbordseite, die rechte Schiffsseite, des Frachters Raba gefahren, sagte ein Spreche der Wasserschutzpolizei. Bilder der Polizei von Dienstag zeigen, dass Bordwand und Reling der World Bora auf der Steuerbordseite eingedrückt sind. Der Frachter war den Angaben zufolge auf dem Weg vom dänischen Kopenhagen ins polnische Szczecin und lief nach dem Unfall im Hafen von Mukran auf Rügen ein. Die unter zyprischer Flagge fahrende Raba war auf dem Weg von Kopenhagen nach Stettin. Sie wurde auf der Steuerbordseite beschädigt. An der Rettungsaktion waren den Angaben zufolge neben der Polizei auch die Feuerwehr und Rettungshelikopter beteiligt. Bereits Ende Januar waren vor Rügen ein deutscher und ein norwegischer Frachter in der Dunkelheit zusammengestoßen. Damals waren alle Seeleute unverletzt geblieben. Als Unfallursache gilt ein Vorfahrtsfehler des norwegischen Frachters. Auf ihm war es zu einem größeren Wassereinbruch gekommen. Auch diese Schiffe hatten aus eigener Kraft in Häfen einlaufen können.
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Bei den "Fridays for Future" brechen sie eine Regel, weil die Politik ihr Versprechen bricht. Die Klimastreiks stehen damit in der Tradition der großen Bürgerrechtsbewegungen. Versprechen sind die dem Menschen eigentümliche Art, die Zukunft in den Griff zu bekommen", schrieb die Philosophin Hannah Arendt in ihrem Essay über zivilen Ungehorsam aus dem Jahr 1970, "sie in einem menschenmöglichen Ausmaß berechenbar und verlässlich zu machen." Das ist, was das Klimaabkommen von Paris aus dem Jahr 2015 im Kern ausmachte: ein wechselseitiges Versprechen, ein Versuch, die Zukunft in den Griff zu bekommen. Nicht nur irgendeine Zukunft, sondern die Zukunft in der Epoche des Anthropozäns. Die 195 Staaten, die mittlerweile die Übereinkunft ratifiziert haben, einigten sich nicht nur auf gemeinsame Ziele: die Begrenzung des Anstiegs der globalen Temperatur auf 1,5 Grad, die Stärkung der Resistenz gegenüber den Folgen des Klimawandels und die Koordinierung von Finanzströmen und Klimazielen. Sondern sie versprachen auch einander, dementsprechend zu handeln. Sich etwas zu versprechen bedeutet, sich an diese Ziele zu binden. Abkommen ohne Versprechen wären keine Abkommen, sondern wahrhaftige oder unwahrhaftige Absichtsbekundungen, die nichts gelten und nichts in den Griff bekommen. Deswegen erklärte Donald Trump auch ausdrücklich den Austritt der Vereinigten Staaten aus dem Klimaabkommen - selbst der für seine notorische Unehrlichkeit bekannte amerikanische Präsident wollte nicht an ein Versprechen gebunden sein, das er nicht zu erfüllen gedenkt. Das ist, was die "Fridays for Future"-Bewegung so beeindruckend macht: Sie nimmt Versprechen ernst, nimmt die eigene Regierung beim (unterschriebenen) Wort. Sie will ihnen glauben können. Anders als den streikenden Schülerinnen und Schülern unterstellt wird, ist dieser Protest nicht eine Regelverletzung, die Respektlosigkeit vor Regeln artikuliert. Im Gegenteil, die Regelverletzung entspringt dem Zorn über jene Respektlosigkeit, mit der die Regierenden ihre eigenen Versprechen ignorieren und brechen. Dies ist keine anarchistische Rebellion, keine staatszersetzende Unruhe, die bestehende Normen aushebeln will, sondern eine soziale Bewegung, die Übereinkünfte umgesetzt sehen will. Die Schülerinnen und Schüler verletzen eine Pflicht, um die politischen Akteure an ihre Pflicht zu erinnern - das ist der performative Widerspruch, den sie begehen müssen, wenn sie den politischen Repräsentanten vorführen wollen, was diese mit ihrer klimapolitischen Tatenlosigkeit anrichten. Das ist riskant, denn es lädt ein zu Missverständnissen von außen oder innen. Würde das Handeln der Schülerinnen und Schüler als grundsätzliche Missachtung für Gesetze gedeutet werden, wäre es fatal. Die subversive Praxis des Streiks zieht ihre Legitimität nur daraus, dass sie sich selbst als symbolische Ausnahme versteht (und im Zweifel die Strafe dafür hinnimmt). Es macht einen Unterschied, ob die Schülerinnen und Schüler nach Belieben die Schule schwänzen oder ob sie, wie es hier geschieht, eben nur einen Tag pro Woche der Schule fernbleiben. Sie stellen nicht per se die Bedeutung von Bildung infrage oder die Schulpflicht, sondern sie zeigen ihren Dissens mit der einzigen politischen Geste, die ihnen Sichtbarkeit verspricht. Die streikenden Schülerinnen und Schüler demonstrieren nicht ihre radikale Zügellosigkeit, sondern eher ihre intelligente Diszipliniertheit. Ein Tag pro Woche - angesichts der ökologischen Dramatik des Abschmelzens der arktischen Eisschilde, der Übersäuerung der Meere, des massiven Artensterbens -, ist das noch moderat. Die Schüler eint kein ideologischer Wahn Die Protestierenden von "Fridays for Future" reihen sich damit in die Tradition jener historischen Bürgerrechtsbewegungen, die gerade durch ihre unbedingte Selbstkontrolle und Gewaltfreiheit wirken konnten. So wie der Busboykott von Montgomery und die Sit-ins gern mit Rosa Parks oder Martin Luther King assoziiert wurden, so sucht sich die mediale Gegenwart in Greta Thunberg gern ihre ikonografische Entsprechung. Aber damals wie heute ist es mehr gemeinschaftliches Handeln als individueller Heroismus, mehr strategisches Kalkül als explosive Hemmungslosigkeit, mehr kommunikative Vernetzung als persönliches Charisma allein, die die Bewegung so eindrucksvoll wie wirksam machen. Es ist kein ideologischer Wahn, kein ressentimentgesättigtes magisches Denken, das sie eint, die Protestierenden orientieren sich an wissenschaftlichen Studien und Analysen. Es gibt keine Vorgaben, wer sich ihnen anschließen darf; die Bewegung zeigt sich bislang inklusiv und rational. Ihr Ungehorsam verweigert sich nicht demokratischen Institutionen oder Verfahren, sondern im Gegenteil appelliert er an sie. Politiker, die "Fridays for Future" als naiv oder hypermoralistisch, als manipuliert oder unprofessionell diskreditieren wollen, entblößen nur die Leerstelle, an der ursprünglich einmal die Selbstachtung vor sich als demokratischen Repräsentanten verortbar war. Sich als Politiker zu echauffieren, dass jemand politische Aussagen beim Wort nimmt, als Politiker zu belächeln, dass jemand überhaupt Erwartungen an die eigene Regierung richtet, Lobbyismus zu unterstellen, weil genuin politische oder soziale oder ökologische Nöte schon gar nicht mehr gedacht werden können, entlarvt nur einen brutalen Zynismus, der im toten Winkel der eigenen Wahrnehmung liegt. "Dissens schließt Konsens ein und ist das Kennzeichen eines freien Staates", schreibt Hannah Arendt in demselben Text, "jemand, der weiß, dass er widersprechen kann, weiß auch, dass er gewissermaßen zustimmt, wenn er nicht widerspricht." Die Zeiten, in denen vor allem denen Aufmerksamkeit gewährt wurde, die keinen Konsens suchen und die den freien Staat ablehnen, gehen womöglich zu Ende. Nach all den Bewegungen, die lediglich ihren antiaufklärerischen, antidemokratischen Unmut auf die Straßen trugen, ist eine Bewegung, die leidenschaftlich an die Wissenschaft und Vernunft appelliert, die aus demokratischen Verfahren nicht aussteigen, sondern sie eingehalten sehen will, die nicht in nationalistische Regression verfällt, sondern lokale mit internationalen Bedürfnissen zusammen zu denken weiß, ein beglückender Horizont.
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Rechtsschutz auf Algorithmenbasis Im Internet bekommt man inzwischen immer häufiger Rechtsschutz auf Algorithmenbasis angeboten. Die Angebote heißen Flightright oder Geblitzt, Zug-erstattung, Bahn-buddy, oder auch Hartz4widerspruch. Alles kostenlos und sofort, "Erstattung und Entschädigung in drei Minuten beantragen", heißt es dann zum Beispiel. Es ist, mit anderen Worten, eine technikbasierte Alternative zur Welt der staubigen Prozessakten und langen Verfahrensdauern. Bisweilen wird suggeriert, die "Roboteranwälte" könnten dank künstlicher Intelligenz gleich wesentliche Teile der traditionellen Juristenjobs übernehmen. Schon die Kurztitel der als "Legal Tech" zusammengefassten Angebote zeigen freilich, es geht vorwiegend um einfache Sachverhalte mit eindeutigen Rechtsfolgen. Verspätete Bahnen, ausgefallene Flüge oder Knöllchen - vieles davon ist von sehr überschaubarer Komplexität und lässt sich standardisiert abwickeln, nach dem Schema: Wenn A, dann B. Deshalb ist es ein wenig hoch gegriffen, von "künstlicher Intelligenz" zu sprechen; Automatisierung wäre meist das treffendere Wort. Wenn es schwierig wird, müssen immer noch Menschen ran. "Denn Algorithmen können keine Analogien bilden", sagt der Rechtsprofessor Christian Wolf. Und so dienen manche dieser Angebote auch der Akquise neuer Mandate, die dann von echten Anwälten abgewickelt werden. Das Problem solcher Portale ist, dass sie oft auf Erfolgsbasis arbeiten - was ihnen aber nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz nicht erlaubt wäre. Deshalb firmieren viele von ihnen als Inkassounternehmen, die lediglich Forderungen eintreiben, aber angeblich keine Rechtsberatung bieten. Ob das zulässig ist, wird demnächst erstmals der Bundesgerichtshof überprüfen. Am 12. Juni verhandelt er über die Angebote der Berliner Firma Mietright, es geht um Ansprüche im Zusammenhang mit der Mietpreisbremse. Anwaltstag 2019 Vom 15. bis 17. Mai richtet der Deutsche Anwaltverein den Anwaltstag in Leipzig aus. Das Motto lautet "Rechtsstaat leben". Dem Veranstalter zufolge werden 2000 Teilnehmer erwartet. Das Verfahren dürfte für die gesamte neue Branche von Bedeutung sein. Ist das bereits eine "Rechtsdienstleistung", die in dieser Form nicht erlaubt wäre? Die unteren Instanzen sind in der Frage uneins. Je nachdem, wie das Urteil ausfällt, könnte auch der Gesetzgeber gefragt sein. Die FDP hat bereits einen Vorstoß unternommen, automatisierte Rechtsdienstleistungen zu regeln. Und Professor Wolf schlägt vor, solche Start-ups von einer Genehmigung des Bundesamts für Justiz abhängig zu machen - um den Wildwuchs im Netz zu verhindern. Schlichtungsverfahren Zwar liegt Deutschland bei der sogenannten Verbraucherschlichtung noch weit hinter Frankreich und Großbritannien zurück - aber die Liste der anerkannten Schlichtungsstellen wird von Jahr zu Jahr länger. Denn 2016 trat das auf eine EU-Richtlinie zurückgehende Gesetz über die "alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen" in Kraft, das einen gewissen Schub ausgelöst hat. Inzwischen führt das Bundesamt für Justiz, das den Schlichtern eine Art Gütesiegel in Sachen Unparteilichkeit verleiht, 27 solcher Institutionen. Allen voran der Versicherungsombudsmann mit zuletzt fast 20 000 Anträgen pro Jahr, dahinter die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr mit 15 600 Anträgen. Großen Zulauf haben auch die Ombudsleute der Privatbanken sowie der privaten Kranken- und Pflegeversicherung und die Schlichtungsstelle Energie - jeweils mit 5000 bis 7000 Anträgen jährlich. Inzwischen ist fast die gesamte Palette des Verbraucherlebens abgedeckt - Bankgeschäfte, Flugbuchungen, Telekommunikation, selbst Anwaltsmandate. Die Idee ist, den Verbrauchern außerhalb der Gerichte eine schnelle und günstige Möglichkeit zu bieten, juristische Konflikte beizulegen. Einen Antrag kann man online auf der Website der jeweiligen Stelle einreichen, und in der Tat sind die Angebote fast durchgängig kostenlos; missbräuchliche Anträge können allerdings Geld kosten. Nach dem Schlichtungsbericht 2018, erstellt vom Bundesamt für Justiz, geht es auch einigermaßen schnell. Alle Stellen halten demnach die gesetzliche Frist von 90 Tagen ein, oft liegen sie darunter. Wie erfolgreich die Einigungsversuche sind, lässt sich schwer ermessen. Viele Anträge scheitern an den Formalien, zum Beispiel daran, dass sich der Verbraucher mit seiner Beschwerde nicht zuerst an das Unternehmen selbst gewandt hat. Oder weil er die falsche Schlichtungsstelle ausgesucht hat. Anträge können aber auch abgewiesen werden, weil sie für eine Schlichtung - die eben kein Gerichtsverfahren ist - einfach zu aufwendig sind. Immerhin weist der Schlichtungsbericht eine Einigungsquote von 50 Prozent aus. Ob der Schlichterspruch bindend ist, hängt von der jeweiligen Stelle ab. Manchmal reicht es, wenn der Verbraucher ja sagt, meist müssen aber beide Seiten zustimmen. Immerhin: In einigen Fällen, etwa beim Streit um die Belieferung mit Energie, ist für die Unternehmen die Teilnahme an der Schlichtung gesetzliche Pflicht. Prozesskostenhilfe Früher sagte man dazu "Armenrecht". Wer es in Anspruch nehmen wollte, der benötigte eine Bestätigung der Gemeinde - das "Armutszeugnis". 1981 wurde die Armut vor Gericht abgeschafft, wenn auch nur in sprachlicher Hinsicht. Seither spricht man von "Prozesskostenhilfe" (PKH), oder, wenn es nur um den Rat vom Anwalt geht, um "Beratungshilfe". Erste Voraussetzung, um staatliche Hilfe beim Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können, ist die Abgabe einer "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse". Zuständig ist das Gericht, bei dem der Prozess zu führen wäre. Oder, wenn es nur um einen Beratungshilfeschein geht, das örtliche Amtsgericht; man kann aber auch gleich zum Anwalt gehen, der dann den Antrag stellt. Ob man wirklich bedürftig ist, kann zwar kompliziert herauszufinden sein. Bezieht der Antragsteller - wie häufig in diesen Fällen - Hartz IV, dann ist die Sache rasch geklärt. Allerdings bedeutet PKH keine Einladung, auf Staatskosten Prozesse nach Gusto zu führen. Erstens springt der Staat nur ein, wenn der Fall eine "hinreichende Erfolgsaussicht" bietet; aussichtslose Klagen werden also aussortiert. Das kann durchaus Vorteile haben. Wer beim PKH-Antrag grünes Licht bekommen hat, der hat einen Anhaltspunkt dafür, dass er auch im Hauptsacheverfahren gewinnen könnte. Das gilt freilich nur, wenn es vorwiegend um rechtliche Fragen geht. Hängt das Schicksal des Prozesses - wie etwa bei Verkehrsunfällen - dagegen von einem Sachverständigengutachten ab, das bei der PKH-Prüfung natürlich noch nicht vorliegt, dann ist der Probelauf nicht aussagekräftig. Zweitens darf die Klage nicht "mutwillig" sein. Und drittens bleibt ein Risiko: Wer am Ende verliert, muss zwar weder Gerichtskosten noch den eigenen Anwalt bezahlen, wohl aber den Anwalt des Gegners. Eine besonders große Rolle spielt die staatliche Unterstützung im Familien-, Miet- und Arbeitsrecht, also in den typischen Alltagskonflikten. Rechtsanwälte sind oft nicht sonderlich scharf auf solche Mandate, weil sie dann zu geringeren Gebühren arbeiten müssen - Beratungshilfe dürfen sie aber nur aus "sachlichen Gründen" ablehnen ("übervoller Terminkalender"). Wenn sie gewinnen, können sie sich den vollen Gebührensatz vom Gegner holen. Übrigens kann so ein Prozess auch die Armut beenden. Wer mit 100 000 Euro Pflichtteil aus dem Verfahren rauskommt, muss staatliche Hilfen zurückzahlen.
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Nach jahrelangem Rechtsstreit hat das höchste deutsche Finanzgericht dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt. Attac soll die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Wie schwer trifft das die Globalisierungskritiker? Sprecherin Frauke Distelrath über Gütesiegel, Steuernachteile und einen gemeinnützigen Rüstungslobby-Verein. Der Bundesfinanzhof hat am Dienstag ein Grundsatzurteil zur Gemeinnützigkeit von Vereinen gefällt. Im konkreten Fall ging es um Attac. Die Globalisierungskritiker seien zu politisch, argumentierten die Richter in der letzten Instanz. Sie dürfen die steuerrechtlichen Vorteile der Gemeinnützigkeit nicht nutzen. Attac sei über das Urteil empört, sagt die Pressesprecherin der Organisation, Frauke Distelrath. SZ: Frau Distelrath, Ihre Arbeit ist also nicht gemeinnützig? Frauke Distelrath: Der Bundesfinanzhof hat unsere Gemeinnützigkeit juristisch infrage gestellt. Aber aus unserer Sicht ist das, was wir tun, selbstverständlich gemeinnützig. Wir setzen uns selbstlos für eine gerechte Welt ein. Das könnte jede Partei von sich sagen. Parteien streben nach Macht und treten zu Wahlen an, das sind nicht unsere Ziele. Wir wollen Menschen aufklären und ermuntern, selbst aktiv zu werden. Das wiederum könnte auch Pegida von sich sagen. Diesen Vergleich finde ich schlecht. Das ist eine fremdenfeindliche Gruppe, die nur einen Teil der Menschheit vertreten will. In der Abgabenordnung stehen 25 Bereiche, deren Förderung als gemeinnützig gilt. Was fördert Attac Ihrer Meinung nach - Sport, Heimatpflege, Karnevalsbrauchtum? In dem Sammelsurium sind viele Zwecke aufgelistet, unter die wir auch fallen: Attac fördert die Demokratie. Wir setzen uns für Umwelt- und Klimaschutz ein. Vor allem verstehen wir uns als Bildungsbewegung. Wir leisten ökonomische Alphabetisierung, die weit über unsere Forderung einer Finanztransaktionsteuer hinausgeht. Detailansicht öffnen Frauke Distelrath, 50, ist Pressesprecherin von Attac Deutschland. Die Bewegung setzt sich seit 1998 gegen Globalisierung und für eine Steuer auf Finanztransaktionen ein. In Deutschland hat Attac etwa 29 000 Mitglieder. (Foto: oh) Attac fordert seit 20 Jahren eine solche Tobin-Steuer, kritisiert Finanzwesen und Globalisierung und ist inhaltlich häufig Gegenspieler des Finanzministeriums. Dieses Ministerium hat Ihrer Bewegung den Gerichtsprozess beschert. Ja, das finden wir auch befremdlich. Zumal wir eigentlich gemeinsame Interessen haben sollten. Wir treten für Steuergerechtigkeit und gegen Steuerhinterziehung ein. Es ist bittere Ironie, dass das Finanzministerium ausgerechnet gegen uns vorgeht. Dahinter steckt ein autoritäres Verständnis von Demokratie und Zivilgesellschaft. Die Politik will unliebsame Organisationen kleinhalten und nutzt das Gemeinnützigkeitsrecht systematisch aus. Wieso halten Sie das für systematisch? Es gibt ein Ungleichgewicht zugunsten von Lobbyisten. Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik, die die Rüstungslobby vertritt, gilt als gemeinnützig. Genau wie der Förderverein der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die von Arbeitgeberverbänden getragen wird. Die Stiftung Familienunternehmen hat von dem eingesparten Geld im Interesse ihrer Mitglieder eine Kampagne gegen die Erbschaftsteuer für Unternehmer gemacht. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, deren Gemeinnützigkeit infrage gestellt wird, vertreten keine Eigeninteressen. Sie werden als unbequem wahrgenommen. Ihre Vereinigung soll nicht verboten werden, es geht um Steuernachteile. Wie groß ist der Verlust, den Attac macht? Die genaue Höhe des Verlusts lässt sich nicht beziffern. Aber wir haben finanzielle Einschränkungen dadurch. Wir müssen Steuern zahlen, die andere Vereine nicht zahlen müssen. Gemeinnützige Vereine dürfen uns beispielsweise bei Kongressen nicht mehr finanziell unterstützen. Den wirklichen finanziellen Schaden haben unsere Spender und Mitglieder. Die können ihre Zahlungen nicht mehr von der Steuer absetzen. Außerdem könnten potenzielle Mitglieder abgeschreckt werden. Gemeinnützigkeit ist wie ein Gütesiegel, wenn die entzogen wird, klingt das, als stimme etwas nicht. Der Bundesfinanzhof hat Ihren Fall an die erste Instanz zurückverwiesen. Was erhoffen Sie sich vom erneuten Prozess vor dem Hessischen Finanzgericht? In Kassel geht es vor allem darum, wofür der Attac-Trägerverein verantwortlich ist. Der Bundesfinanzhof hat einen engen Rahmen gesteckt. Wir warten das Urteil trotzdem erst mal ab und prüfen dann weitere rechtliche Wege. Wir bleiben entschlossen und kämpferisch - und wir machen weiter.
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Es gibt Hollywoodfilme, in denen etwas Schlimmes hereinbricht, als Sturzregen oder als Kugelhagel. Joe und Jenny suchen Zuflucht in einem Keller. Wenn sie später ins Freie treten, steht in den Gesichtern geschrieben: Oijoijoi, ist gerade noch mal gut gegangen. So ähnlich erging es den Wirtschaftsbeobachtern Jenny und Joe oder wie immer sie heißen, nachdem die Finanzkrise abgeebbt war. Derzeit fragt alle Welt, ob dergleichen wieder geschehen könne. Die Antwort ist natürlich: Ja. Die fundamentale Imbalance, ohne die es die Finanzkrise nicht gegeben hätte, besteht immer noch: Es gibt viel mehr Geld auf der Welt als materielle Werte. Auf den Finanzmärkten wird gefuhrwerkt wie mit Spielgeld. Der Casino-Kapitalismus floriert. Zwar muss es mehr Geld geben als Waren, anderenfalls diese Waren nicht hergestellt werden könnten, weil die Produzenten keine Kredite bekämen. Aber es gibt zu viel Spielgeld. Die sogenannten Finanzprodukte machen es möglich: Nicht existierendes Geld, also Kredit, wird als Derivat weiterverkauft; auf das Steigen oder Sinken seines Werts wird gewettet. Für den Fall, dass ein solches Derivat im Wert fällt, gibt es Ausfallversicherungen: Auch auf deren Wert wird gewettet. In diesen Tagen hat der Schneefall in Süddeutschland den öffentlichen Verkehr vielerorts lahmgelegt. Auf den Finanzmärkten muss man sich daran gewöhnen, dass der Verkehr quasi aus Versehen behindert wird. Angeblich soll man aus der Geschichte lernen können. Deshalb lohnt sich ein Blick zurück: Was war diese Krise überhaupt? Manche nennen sie eine Finanzkrise, andere eine Bankenkrise, und was Europa angeht, wird von einer Eurokrise geredet. Was war da passiert? Dieser Frage widmet sich der exzellente Wirtschaftshistoriker Adam Tooze in seinem Buch "Crashed. Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben" (2018). Der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble hat in das Buch vielleicht hineingeschaut. Falls er das tat, wird er sich geärgert haben. Er kommt nämlich nicht gut weg. Es war seinerzeit verwunderlich, das mitzuerleben: Aus der von den USA ausgelösten globalen Finanzkrise wurde in Europa 2009 eine "Eurokrise". Tooze, ein Brite, der heute in New York lehrt, schreibt: "Die Neudefinition der Krise in Europa als interne Krise der Eurozone, mit den öffentlichen Schulden im Zentrum, war an sich bereits ein politischer Akt." Damit habe eine Art "transatlantischer Kulturkampf" in Fragen der Wirtschaftspolitik begonnen. Die Zentralbank der USA (kurz: Fed) hat angesichts der amerikanischen Krise sehr schnell erkannt, dass die ganze Welt betroffen sein werde. Es gab keine Dollars mehr. Aber viele Länder und viele Konzerne arbeiten mit Dollars. 2008 hat die Fed, so Tooze, "in letzter Minute" eine spektakuläre Maßnahme ergriffen: Sie stellte allen halbwegs seriösen Banken weltweit Dollars zur Verfügung. Sie pumpte eine Unmenge von Milliarden Dollar in das europäische Bankenwesen. Das war nötig, weil einige europäische Großbanken vorwitzig und ohne Rücklagen Riesenkredite in Dollar aufgenommen hatten. Ohne diese Aktion der Federal Reserve Bank der Vereinigten Staaten hätte es einen weltweiten Crash gegeben. In Europa reagierte man auf die Krise deutlich zaghafter. Und als dann 2009 die griechischen Finanzprobleme klar wurden, dachte man nationalstaatlich: Mein Land, meine Wähler. Griechenland wurde zum Sündenbock erkoren. Es hieß, wenn Griechenland sich nicht mehr finanzieren könne, dann würden andere südliche Länder Europas auf den Finanzmärkten abschmieren, und dann sei es mit der Europäischen Union vorbei. Dieser Auffassung war der Europa-Freund Wolfgang Schäuble. Tooze ist nicht der erste, dem aufgefallen ist, dass Griechenlands Wirtschaft nur ein bis 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU ausmacht. Außerdem war es nur in Griechenland der Staat, der sich zu sehr verschuldet hatte. In anderen Ländern waren es private Kreditnehmer und verantwortungslose Banken, die zuviel Geld geliehen und zu wenig Eigenkapital hatten. In den USA wurden Banken schnell gerettet (mit Ausnahme von Lehman Brothers, die man hops gehen ließ), dies nach der Devise: Erst die Wall Street, für die Bürger werde sich das auszahlen. Das hat recht gut funktioniert. In Europa hingegen entspann sich ein gehässiger Moral-Disput, befeuert von Wirtschafts-Politikern wie Wolfgang Schäuble und diversen deutschen Zeitungen. Vor allem südliche Länder der Eurozone - Griechenland, Spanien, Portugal, Italien - wurden bezichtigt, mit Geld nicht umgehen zu können. Sie wurden betrachtet wie schlecht erzogene Kinder. Es war die Zeit der großen Heuchelei: Mit dem Geld von EU-Steuerzahlern wurden Gläubiger von Banken ausgezahlt. Offiziell hieß es aber, das sei nötig, weil es leider Länder gebe, die nicht wirtschaften können. Damit ging die verbale Verschiebung von einer Banken- zu einer Eurokrise einher. Kein Wunder ist es, dass viele europäische Bürger sich verladen fühlen und den altbekannten Parteien nicht mehr vertrauen. Erst sehr spät kamen Europas Regierende auf die Idee, dass die Maßnahmen der Fed wohl nicht ganz falsch gewesen waren. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank - er hatte in London für das amerikanische Bankhaus Goldman Sachs gearbeitet - setzte etwas Ähnliches um, wie es die Fed Jahre zuvor gemacht hatte: Er ließ alles an Anleihen aufkaufen, was zu haben war. Damit war Europas Wirtschaft gerettet. In den 90er Jahren machte der US-Präsident Bill Clinton sich berühmt mit dem Satz "It's the economy, stupid". Adam Tooze dreht das um: Es ist alles eine Frage der Politik, Doofling.
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In Sankt Petersburg ist oft Stau dieser Tage. Die Gründe hat eine Zeitung mit "Schnee und Panzer" bezeichnet. Im Stadtzentrum übt das Militär seine Parade, damit am Sonntag alles passt. Dann jährt sich die Befreiung der Stadt zum 75. Mal. Wieder einmal schicken die in Moskau Regierenden Soldaten statt Mitgefühl und verordnen Nationalstolz statt Gedenken. Die Blockade der Stadt, die damals Leningrad hieß, bleibt ein wunder Punkt in Russlands Vergangenheit. Stets wollten die Mächtigen kontrollieren, wie sich die Menschen daran erinnern. In der Stadt stoßen die Panzer nicht nur wegen der Straßensperren auf Unmut. Dort ist die Parade mitunter als "Tanz auf den Gräbern" kritisiert worden. Fast 900 Tage lang hatte die deutsche Wehrmacht Leningrad während des Zweiten Weltkrieges belagert. Ihr Ziel war es nicht, den Widerstand der Bewohner zu brechen. Ihr Ziel war es, sie auszuhungern. Mehr als eine Million Menschen starben. Die Blockade war ein Völkermord. Doch nach dem Krieg hatte keine der beiden Seiten viel Interesse, es auch so zu nennen. Die Machthaber in Moskau stellen die Belagerten bis heute als Helden dar, die den Deutschen tapfer widerstanden. Dass sich die Menschen vor Hunger kaum auf den Beinen halten konnten, dass sie Kleister und Katzen aßen und manche als Kannibalen bestraft wurden, wurde größtenteils erst in den Neunzigerjahren bekannt. Dass ihnen wohl auch Aufgeben kaum genützt hätte, wird bis heute selten oder gar nicht erwähnt. Deutschland verdrängte den Völkermord, Russland zensiert ihn Die Stadtbehörden hätten sich sonst wohl viel früher fragen lassen müssen, warum sie damals so wenig für die Bürger taten. Und russische Historiker hätten vielleicht schon viel früher darüber gestritten, ob die Katastrophe hätte verhindert werden können. Ob Stalin diese Menschenleben fast ebenso leichtfertig zu opfern bereit war, wie es seine Gegner waren. Eine Frage, die selten gestellt wird, auch weil es in Russland immer noch Menschen gibt, die Stalin verehren. Und die Regierung ihnen ungern widerspricht. In Deutschland wurde lange überhaupt nicht an die Leningrader Blockade gedacht, eines der monströsen Verbrechen der Wehrmacht. Wie muss sich das für die Überlebenden angefühlt haben, dass sie in Deutschland marginalisiert und in der Heimat mitunter zensiert wurden? Bis heute muss man in Russland aufpassen, was man über die Blockade sagt. Der kritische TV-Sender Doschd stellte vor fünf Jahren die Frage, ob es nötig war, die Stadt zu halten - auf Kosten Hunderttausender Leben. Die Kabelbetreiber nahmen den Sender aus dem Programm. Jüngstes Beispiel: Ein Film von Alexej Krasowskij feierte auf Youtube Premiere. Der Regisseur sah keine Chance, dass "Das Fest" eine Genehmigung für die russischen Kinos bekommt. Die Satire zeigt, wie eine Familie während der Blockade Silvester feiert. Wer Kontakte hatte, lebte selbst unter schrecklichsten Umständen gut und auf Kosten anderer. Die Kritik des Regisseurs reicht bis zur Gegenwart. Die Opfer der Blockade, so möchte man das sehen, haben ihr Leben für den Sieg des russischen Volkes gegeben. Als sei ihr Tod so gerechtfertigt, als seien sie freiwillig verhungert. Dies verharmlost das Geschehene, und das ist gefährlich. In Sankt Petersburg gedenken viele der Opfer nicht am Sonntag, sondern am 8. September, als die Blockade begann. Dann treffen sie sich in Wohnblocks und Stadtvierteln, und lesen die Namen der Toten vor.
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Ende eines Traums: Illegal in die USA eingereiste Menschen werden von Behördenvertretern im texanischen El Paso eskortiert. Donald Trump will eine Null-Toleranz-Politik in der Migrationsfrage. Doch an der Grenze zu Mexiko schlägt sich sein Ansinnen noch nicht in den gewünschten Zahlen nieder. So sehr sich Kirstjen Nielsen auch beeilte, nach ihrem Treffen mit Donald Trump am Sonntagabend ihren Rücktritt von ihrem Posten als Heimatschutzministerin zu verkünden - der Präsident war schneller. Trump tippte in sein Handy, dass Nielsen ihren Posten verlassen werde, und verbreitete diese Botschaft auf Twitter, bevor sie eine Chance hatte, sich selbst zu erklären. Dabei war Nielsen sogar auf diesen Schritt vorbereitet gewesen: Den Beobachtern in Washington zufolge hatte sie zwar nicht die Absicht gehabt, ihr Amt am Sonntag aufzugeben, aber sicherheitshalber ein Rücktrittsschreiben vorbereitet. Bis dieses die Öffentlichkeit erreichte, hatte der Präsident bereits Fakten geschaffen. Auch der ihr unterstellte Direktor des Secret Service, Randolph Alles, muss seinen Posten räumen, verkündete Trumps Sprecherin am Montag. Dass Trump es ihr nicht gönnte, sich zunächst selbst zu äußern, dürfte auch daran gelegen haben, dass er zuletzt schlecht auf die Ministerin zu sprechen war. Zwar gefiel es ihm, dass Nielsen in Interviews oft entschlossen agierte und seine harte Linie in Sachen Immigration verteidigte. Was ihm jedoch zunehmend missfällt, sind die Zahlen von der Grenze zu Mexiko: Mehr und mehr Menschen erreichen diese Grenze jeden Tag, vor allem Familien aus Zentralamerika bitten um Asyl. Allein im März haben die Behörden etwa 100 000 Menschen an der Grenze festgesetzt. Trump will unbedingt, dass diese Zahlen kleiner werden. Wie das bewerkstelligt wird, scheint ihm ziemlich egal zu sein. Vergangene Woche hat er mehrmals damit gedroht, die Grenze zu Mexiko komplett zu schließen, davon aber wieder Abstand genommen, weil Vertreter seiner Regierung und aus der Industrie erläutert hatten, dass das enorme wirtschaftliche Konsequenzen habe. Von Nielsen soll er mehrmals gefordert haben, die Entwicklungshilfe für zentralamerikanische Staaten einzustellen, obwohl das Außenministerium für diese Zahlungen zuständig ist. Zudem soll er Nielsen dazu gedrängt haben, niemandem mehr Asyl zu gewähren. Ihre Hinweise, dass es diesbezüglich internationale Standards gebe, hätten ihn erst recht wütend gemacht. Nielsen hatte das Amt im Jahr 2017 von John Kelly übernommen, nachdem dieser zum Stabschef im Weißen Haus aufgestiegen war. Kelly hatte sich für sie eingesetzt, obwohl es Bedenken gab, sie könne zu unerfahren sein, um diese Mammutbehörde zu führen. Das Ministerium für Heimatschutz hat ein Budget von 40 bis 50 Milliarden Dollar im Jahr und 240 000 Mitarbeiter. Die heute 46 Jahre alte Nielsen war die bisher jüngste Chefin der Behörde, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geschaffen worden ist. Das Ministerium bearbeitet eine enorme Bandbreite an Themen, es ist für den Umgang mit Naturkatastrophen ebenso zuständig wie für die Abwehr von Cyberattacken. Nachdem Kelly seinen Posten als Stabschef Anfang des Jahres aufgegeben hatte, fehlte Nielsen ihr wichtigster Fürsprecher im Weißen Haus. Stattdessen verschafften sich der Nationale Sicherheitsberater John Bolton und Stephen Miller, Berater in Einwanderungsfragen, zunehmend Gehör beim Präsidenten. Sie forderten eine härtere Gangart an der Grenze und sprachen sich für eine Ablösung von Nielsen aus. Besonders Miller gilt als Hardliner in Immigrationsfragen. Er bestärkt den Präsidenten, keinerlei Kompromisse zu machen. Der Nachfolger der geschassten Ministerin gilt selbst bei den Demokraten als Pragmatiker Miller galt auch als Befürworter der sogenannten Null-Toleranz-Politik, in deren Zuge im vergangenen Jahr mehr als 2500 Kinder an der Grenze von ihren Eltern getrennt wurden. Diese Praxis wurde wieder eingestellt, es erwies sich zum Teil als schwierig, Eltern und Kinder wieder zu vereinen. Trump hat verlauten lassen, dass Miller künftig für die Entwicklung aller neuen Maßnahmen in Sachen Einwanderung verantwortlich sein werde. Deren Umsetzung soll zunächst von Nielsens kommissarischem Nachfolger Kevin McAleenan vorgenommen werden, der derzeit als Beauftragter für Zölle und Grenzschutz arbeitet. Dass er in der Sache ähnlich wie Trump denken könnte, hat er kürzlich angedeutet, als er sagte, in puncto Immigration sei die Belastungsgrenze erreicht. Damit reagierte er darauf, dass die Behörden allein am 27. März 4100 Einwanderer aufgegriffen hatten. Das ist die höchste Zahl an einem einzigen Tag seit mehr als einem Jahrzehnt. Anfang der 2000er-Jahre waren die Zahlen noch höher. Damals versuchten vor allem Mexikaner auf Arbeitssuche ins Land zu gelangen, die leicht abgeschoben werden konnten. Nun sind es überwiegend Familien aus Zentralamerika. Da die Auffanglager überfüllt sind, werden diese zumeist auf Städte und Gemeinden an der Grenze verteilt. Trump hat diese Praxis zuletzt mehrmals kritisiert. Wenn die Leute erst einmal im Land seien, monierte er, würden sie sich später keinem geregelten Asylverfahren mehr stellen. Darauf, dass Nielsens kommissarischer Nachfolger Kevin McAleenan womöglich doch nicht ganz der Hardliner ist, den Trump sich wünscht, könnten zwei Dinge hinweisen: Zum einen wird er von den Demokraten als Pragmatiker geschätzt, zum anderen ist er mit einer Einwanderin aus El Salvador verheiratet.
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Viele Bauern haben Versicherungen gegen Sturm- und Hagelschäden, Starkregen und Frost. Auch Dürreschäden sind versicherbar, aber zu sehr hohen Kosten. Angesichts der Gefahr, dass es auch 2019 zu einer Dürre kommt, sollen Bauern durch eine staatlich unterstützte Versicherung vor Missernten geschützt werden. Der Freistaat Bayern will über den Bundesrat eine sogenannte Mehrgefahrenversicherung durchsetzen, welche auch Ernteausfälle ausgleicht. Das sagte Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. Die Kosten für die Versicherung sollen - ähnlich wie in Österreich - zur einen Hälfte von Bund und Ländern gezahlt werden, zur anderen Hälfte von den Landwirten. "Die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt, dass eine breite Absicherung von Risiken wie etwa Dürre nur dann zu erreichen ist, wenn die Versicherungsprämien für die Bauern bezahlbar bleiben", sagte Kaniber. Eine Sprecherin von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte der SZ, die Bundesregierung prüfe den Vorschlag sorgfältig. Es sei geplant, dass sich die Agrarministerkonferenz im Herbst mit dem Thema Risikovorsorge "eingehend befasst". Grundsätzlich habe Kaniber recht, sagte die für Landwirtschaft zuständige Vizevorsitzende der Union im Bundestag, Gitta Connemann (CDU). So könnten Schadensereignisse abgesichert werden, für die es heute keine Versicherung gebe. Der Vorschlag sei aber zu teuer, es gehe um Summen "bis zu einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag". Auch Dürreschäden sind versicherbar, aber zu sehr hohen Kosten Als die Bauern 2018 einen großen Teil der Ernte durch die Dürre verloren, sprang der Staat ein. Landwirtschaftsministerin Klöckner sagte Bundesmittel von 170 Millionen Euro zu, weitere 170 Millionen Euro kamen von den Ländern. Bund und Länder würden durch eine subventionierte Ernteversicherung zwar dauerhaft belastet, müssten aber künftig keine Hilfen nach Missernten leisten. Viele Bauern haben Versicherungen gegen Sturm- und Hagelschäden, Starkregen und Frost. Auch Dürreschäden sind versicherbar, aber zu sehr hohen Kosten. Dürreschäden treffen einen großen Teil der versicherten Bauern gleichzeitig, daher sind die Prämien hoch. Der Deutsche Bauernverband verlangt, dass die Landwirte in guten Jahren steuerfreie Gewinnrücklagen bilden können, um schlechte Jahre besser zu überstehen. Zur staatlich subventionierten Dürreversicherung gibt es im Verband auch skeptische Stimmen. Sie befürchten, dass die Politik die Zahlungen gegen andere Subventionen aufrechnen und deshalb weniger Mittel an die Bauern fließen als jetzt, wo Bund und Länder im Notfall einspringen. Die Versicherungswirtschaft, allen voran der Rückversicherer Munich Re, macht sich dagegen für die Idee stark. "Die Einführung einer staatlich geförderten Mehrgefahrenversicherung in Deutschland ist zu befürworten", sagte Munich-Re-Chefökonom Michael Menhart. Weil Dürreversicherungen teuer sind und sich Landwirte im Schadenfall auf die Hilfe des Staates verlassen, sind solche Absicherungen momentan kaum verbreitet. Das System der Katastrophennothilfe sorge für Fehlanreize, weil es diejenigen belohne, die keine Risikovorsorge betrieben, kritisierte Menhart.
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Es war ein Verbrechen mit Ansage. Um 13:28 Uhr Ortszeit kündigt ein anonymer Account auf dem Online-Forum 8chan an: "Ich werde die Invasoren angreifen, und ich werde den Angriff auf Facebook live streamen." Kurz darauf erschießt ein Terrorist Dutzende Menschen in einer Moschee in der neuseeländischen Stadt Christchurch. Die Morde werden in Echtzeit bei Facebook und anderen sozialen Medien übertragen. Vieles spricht dafür, dass die Nachricht in dem Forum tatsächlich von dem Schützen stammt. Wenig später überträgt der Australier 17 Minuten lang live in die ganze Welt, wie er unschuldige Menschen umbringt. 8chan-Nutzer feuern den Mörder an und feiern ihn. Einer postet das Bild eines salutierenden Mannes, ein anderer antwortet mit Hakenkreuzen. Das passt zur Gesinnung des mutmaßlichen Täters. Der 8chan-Post verlinkt nicht nur auf die Facebook-Seite eines Australiers, auf dem das Video später auftaucht, sondern auch auf ein 73-seitiges Manifest. Es steckt voller rechtsradikaler Aussagen und Symbole, Muslime werden darin als "Invasoren" bezeichnet, die Terroristen Anders Behring Breivik und Dylann Roof als Vorbilder genannt. Das zeigt zwei Dinge: Erstens radikalisieren sich Menschen im Netz. Oft sind es junge, weiße Männer, die sich in kruden Foren gegenseitig aufstacheln. Amokläufer und Terroristen werden dort als Helden verehrt, die handeln und nicht nur reden. Es ist eine Welt voller hasserfüllter Meme und Aufrufen zur Gewalt. Teilweise ziehen sich die Fremdenfeinde in geschlossene Gruppen zurück, teilweise nutzen sie öffentliche Imageboards wie 8chan, wo sie anonym posten. Die Betreiber werten diese Posts als Meinungsäußerung und übernehmen keine Verantwortung für Inhalte. Zweitens vernetzen sich die Rassisten zwar in den Nischen des Internets, suchen dann aber die größtmögliche Bühne für ihre Taten - und die finden sie in sozialen Medien. Facebook hat den bestialischen Livestream gelöscht, Twitter hat den Account des mutmaßlichen Täters entfernt, und die neuseeländische Polizei versucht, das Video aus dem Netz zu tilgen. Doch dafür ist es zu spät. Andere Nutzer laden den Film erneut hoch, und wer die Aufnahmen sucht, der findet sie. Dazu tragen auch zahlreiche Medien bei, die trotz der Aufforderung zur Zurückhaltung Teile des Videos zeigen und dem Täter damit noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Die Süddeutsche Zeitung hat sich entschieden, weder das Video noch Standbilder daraus zu zeigen, um sich nicht die Bildsprache des Täters zu eigen zu machen. Auf Facebook werden Vergewaltigungen, Morde und Terroranschläge live gestreamt Wie ist es überhaupt möglich, dass Morde live gestreamt werden? Warum tun die Plattformen nichts dagegen? Seit etwa drei Jahren gibt es Facebook Live. Damit können Nutzer jederzeit Videos streamen. Es ist unmöglich, all diese Aufnahmen vorab zu überprüfen. Also kann Facebook immer nur auf Hinweise reagieren und Videos nachträglich sperren oder löschen. Früher hatten Medien eine Gatekeeper-Funktion inne. Sie entschieden, was wichtig war. Sie setzten die Themen, über die am kommenden Tag gesprochen wurde. Das ist längst vorbei. Milliarden Menschen können Fotos und Videos veröffentlichen oder sogar live auf Sendung gehen. Immer seltener sind Journalisten die Ersten vor Ort. Immer öfter verbreiten sie bloß Augenzeugenvideos von Tatorten - oder sogar Livestreams der Täter. Manche Menschen missbrauchen diese Macht. In den vergangenen Jahren wurden mehrfach Massenvergewaltigungen, Morde und Suizide gestreamt. Auch Terroristen nutzen das aus und lassen die Welt in Echtzeit an ihren Taten teilhaben. "Menschen machen das, was möglich ist", sagte Kriminalpsychologe Rudolf Egg. "Also zeigen sie auch eine Vergewaltigung im Livestream." Im Mittelpunkt sollten nicht die Täter, sondern die Opfer stehen Es wäre jedoch falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass diese Möglichkeiten wieder eingeschränkt werden müssen. Denn die Demokratisierung der Öffentlichkeit bietet auch Chancen - für diskriminierte Minderheiten zum Beispiel, etwa für Afroamerikaner in den USA. "Gott sei Dank gibt es Apple, Google und Microsoft", sagte der Anwalt eines Schwarzen, der von Polizisten erschossen worden war. Minderheiten können sich gegen Polizeigewalt wehren - nicht mit der Waffe, sondern mit dem Smartphone in der Hand. Auch in Ländern, wo Menschen unter staatlicher Willkür leiden, Demonstrationen blockiert und Protestierende eingeschüchtert werden, schreckt das gezückte Handy knüppelnde Beamte womöglich eher ab als eine geballte Faust. Auch deshalb wäre es voreilig zu fordern, dass Facebook und andere Plattformen ihre Livestream-Funktion abschalten sollen. Wer nicht will, dass Terroristen Aufmerksamkeit für ihre Verbrechen bekommen, sollte ihre Selbstinszenierung nicht verbreiten: keine Links auf ihre Manifeste, keine Ausschnitte aus ihren Videos, keine Bilder, am besten nicht einmal ihre Namen nennen. Mörder wie Anders Behring Breivik wollen zu Vorbildern werden und andere junge Männer anstiften. Wichtiger als die Täter sind die Opfer: In Christchurch sind mindestens 49 unschuldige Menschen gestorben. "Neuseeland ist ihre Heimat", sagte Premierministerin Jacinda Ardern. "Sie hätten sich hier sicher fühlen sollen."
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Im vergangenen Herbst wurde Bixente Lizarazu nach Lucas Hernández und Benjamin Pavard befragt. Damals wusste Lizarazu nicht, dass die beiden vom kommenden Sommer an bei seinem früheren Verein, dem FC Bayern, spielen würden. Niemand wusste das damals, wobei bei Pavard alle davon ausgingen. Dass Lizarazu ins Schwärmen geriet, das war also ein objektives Schwärmen. Er sprach über zwei Spieler, die das mitbringen, was er, Lizarazu, sich von einem Fußballer wünscht. Lizarazu ist Surfer, er wurde nach seiner Karriere Europameister im Brasilianischen Jiu-Jitsu, zwischendurch dachte er über eine Karriere im Skeleton nach. Lizarazu hat es immer gereizt, eine Technik perfekt zu beherrschen, so war das auch in seinen 97 Länderspielen für Frankreich und in seinen 273 Spielen für den FC Bayern. Hernández und Pavard, lobte Lizarazu also im Herbst, "spielen sehr sauber". Am Mittwochnachmittag hat der FC Bayern verkündet, dass er einen weiteren französischen Nationalspieler verpflichtet hat, den Abwehrspezialisten Lucas Hernández von Atlético Madrid. Der 23-Jährige wird bereits der vierte Franzose im Kader der Münchner sein, nach Kingsley Coman, Corentin Tolisso und eben Pavard, der aus Stuttgart kommt, für die festgeschriebene Ablösesumme von 35 Millionen Euro. Hernández, der einen Vertrag bis 2024 unterschrieben hat, kommt ebenfalls für eine festgeschriebene Ablösesumme, für 80 Millionen Euro - er ist dadurch der teuerste Einkauf in der Bundesliga-Geschichte. Teuerster Zugang der Münchner war bisher Tolisso, der 2017 dem Vernehmen nach für 41,5 Millionen Euro aus Lyon gekommen war. Im Kader des FC Bayern stehen vom Sommer dann auch drei aktuelle Weltmeister: Tolisso, Pavard, Hernández. Vier Franzosen beim FC Bayern Detailansicht öffnen Fussball Lucas Hernandez mit Pokal, Frankreich Weltmeister 2018 Moskau, 15.07.2018, FIFA Fussball WM 2018 in Russland, Finale, Frankreich - Kroatien 4:2 (Foto: Tim Groothuis/Witters) "Ich bin sehr glücklich, dass wir in Lucas Hernández einen der besten Defensivspieler der Welt und einen Weltmeister verpflichten konnten", wird Sportdirektor Hasan Salihamidzic in der Mitteilung des Vereins zitiert. "Außerdem wird Lucas unsere Tradition herausragender französischer Spieler fortschreiben und unsere Mannschaft verstärken." Zu dieser Tradition gehören Tolisso und Coman, vor allem aber gehört dazu Franck Ribéry, der seit zwölf Jahren in München spielt und gerne ein bisschen länger für den FC Bayern antreten würde (wobei als unwahrscheinlich gilt, dass der Verein ihm diesen Wunsch erfüllen wird; Ribérys Vertrag läuft im Sommer aus). Doch die zwei neuen Franzosen im Kader, Pavard und Hernández, erinnern an zwei weitere Franzosen: Willy Sagnol und eben Lizarazu.
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So ist das eben mit Freiluftsport in den Wintermonaten: Bei der Terminierung kannst du je nach Wetterlage Glück, aber auch richtig Pech haben. Letzteres ist nun schon zum zweiten Mal binnen sechs Tagen den Drittligafußballern der SpVgg Unterhaching passiert. Ihr für Sonntag angesetztes Heimspiel gegen Energie Cottbus musste wegen der heftigen Schneefälle abgesagt werden. Tags zuvor hätte die Partie problemlos über die Bühne gehen können. Eine ähnliche Situation wie vor einer Woche, als das Auswärtsspiel am Montag beim VfR Aalen wegen eines heftigen Wintereinbruchs ausfiel, während am Sonntag noch bestes Wetter geherrscht hatte. "Ich habe noch nie erlebt, dass zwei Spiele in Folge nicht stattfinden können. Vor allem hatten wir am Tag zuvor immer optimale Bedingungen", sagte Hachings Trainer Claus Schromm am gestrigen Sonntag. Sein Team kommt nun in Terminschwierigkeiten: "Jetzt wird es kritisch, wir haben nun vier englische Wochen. Das ist sehr bitter. Die Mannschaft war heiß darauf, zu spielen."
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Hanno Behrens war noch voller Hoffnung, als er am Samstag um viertel nach vier auf das Tor von Borussia Mönchengladbach zielte. Es stand 0:0, der 1. FC Nürnberg hatte noch die Chance, auch im kommenden Jahr in der Bundesliga zu spielen. Behrens bekam den Ball aufgelegt und schoss, aber ein Verteidiger sprang dazwischen. Kurz darauf war Halbzeit, die Nürnberger hörten von der Führung des VfB Stuttgart, der mit einem Sieg auf dem Relegationsplatz uneinholbar war, die Hoffnung schwand. Eine Stunde später hatte der Club 0:4 verloren und war zum neunten Mal in seiner Geschichte in die zweite Liga abgestiegen. Niemand in Nürnberg wird Behrens, 29, in diesen Tagen einen Vorwurf machen, im Gegenteil: Der Kapitän war der konstanteste Profi im Kader. Aber trotzdem steht er für das größte Problem der Mannschaft in dieser Saison. Als Mittelfeldspieler war er gemeinsam mit Stürmer Mikael Ishak der beste Torschütze, mit vier Treffern. Insgesamt hat Nürnberg nur 25 Tore geschossen, die wenigsten der Liga. Und deshalb soll sich im Sommer vor allem um Behrens herum etwas ändern. Die Suche nach Torgefahr ist in diesen Tagen die wichtigste Aufgabe von Robert Palikuca. Nürnbergs Sportvorstand hat bereits am Samstag vom Ziel gesprochen, nach einer Saison in der zweiten Liga wieder in die Bundesliga zurückzukehren. Dafür, sagt er, brauche man nicht nur eine starke Defensive, "man muss Tore schießen". Wenn man ihn fragt, wie das in Zukunft geschehen soll, sagt er: "Die Voraussetzung sind zum Teil personelle Wechsel." Es werde ein paar neue Gesichter im Kader geben, sagt er - und ergänzt, dass sich Offensivstärke auch aus der Zusammensetzung des Trainerteams ergeben könne. Das Gerüst der Mannschaft soll bestehen bleiben Ebenfalls bereits am Samstag hat Palikuca angekündigt, dass der Club noch vor dem letzten Saisonspiel in Freiburg einen Trainer für die kommenden Saison präsentieren werde. Seit Wochen wird der Österreicher Damir Canadi von Atromitos Athen gehandelt, offenbar steht ein Vertragsabschluss unmittelbar bevor. Trainernamen wollte Palikuca am Montag allerdings nicht kommentieren, bis auf einen: Peter Hermann, derzeit Assistenztrainer beim FC Bayern, sei "für jeden deutschen Verein ein interessanter Mann". In Nürnberg, heißt es, könnte er in der kommenden Saison die sportliche Leitungsebene ergänzen. Palikuca, der Hermann aus gemeinsamen Jahren bei Fortuna Düsseldorf kennt, sagt: "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mit Peter nicht rede." Und Palikuca bestätigt auch, dass nach der Verpflichtung von zwei Scouts noch weitere Fachkräfte seinen Stab ergänzen werden: "Ich habe für meine Vorstellungen grünes Licht bekommen." Mit dem grünen Licht für teure Verstärkungen dürfte es etwas komplizierter sein. Zwar bestätigt Palikuca, dass es Weggänge unter den Stammspielern geben wird - "manche Spieler, die gehen, müssen ersetzt werden", sagt er. Aber das Gerüst der Mannschaft soll bestehen bleiben, dazu gehört zum Beispiel die Innenverteidigung, dazu gehört Behrens, dazu gehört auch Torwart Christian Mathenia, der mit starken Leistungen in der Rückrunde Interesse aus der ersten Liga geweckt haben dürfte. "Ich muss schauen, was in den nächsten Wochen passiert, der Ausgang ist offen", sagte Mathenia am Samstag. Doch Palikuca sagt: "Wir sollten versuchen, Kontinuität auf der Position zu haben, das ist wichtig." Bleibt bloß weiterhin die Frage: Wer soll in der nächsten Saison für Nürnberg die Tore schießen? Die letzten drei Treffer, beim 1:1 gegen den FC Bayern, beim 1:1 gegen Schalke 04 und beim 1:1 in Stuttgart, fielen jeweils unter Mithilfe des Rechtsaußen Matheus Pereira, zwei erzielte er selbst, eines bereitete er vor. Dass Palikuca den Brasilianer gerne noch ein weiteres Jahr von Sporting Lissabon ausleihen möchte, hat er schon vor ein paar Wochen gesagt. Und nun sieht es so aus, als könnte dies vielleicht sein erster Erfolg werden. Noch in dieser Woche soll es ein Gespräch mit Pereira geben. Die Signale, dass er in Nürnberg bleiben will, seien eindeutig.
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Als einziges Bundesland will Nordrhein-Westfalen seine Bürgermeister und Landräte künftig ohne einen Stichentscheid im zweiten Wahlgang küren. Das hat am Mittwoch der Düsseldorfer Landtag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von CDU und FDP beschlossen. Sprecher der schwarz-gelben Koalition verwiesen darauf, dass bei früheren Wahlen mehr Bürger am ersten als am zweiten Wahlgang teilgenommen hatten. Die Stichwahl führe somit zu "einem Rückgang demokratischer Legitimation". SPD und Grüne kritisierten, die Gesetzesänderung diene allein dem Zweck, der CDU bei der im Herbst 2020 anstehenden Kommunalwahl mehr Posten zu sichern. "Das ist weniger Demokratie für mehr CDU-Bürgermeister", sagte der SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty am Rande der Debatte. SPD und Grüne wollen die Reform per Klage beim NRW-Verfassungsgerichtshof stoppen. Die hauptamtlichen Landräte und Bürgermeister in NRW werden seit 1999 per Direktwahl bestimmt. Das Bürgervotum verleiht den Verwaltungschefs mehr Autorität gegenüber Stadträten und Kreistagen. Als gewählt galt, wer im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen gewann. Falls dies keinem Bewerber gelang, kam es zur Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen. Dieser zweite Wahlgang ist zwischen den Parteien im Bundesland seit einem Vierteljahrhundert umstritten, wobei stets der FDP die Rolle des Züngleins an der Waage zufiel: 2007 schuf die CDU mit Hilfe der Liberalen den Stichentscheid ab, 2011 half die FDP der rot-grünen Regierung hingegen, den zweiten Wahlgang wieder einzuführen. Der nun erneute Schwenk der Liberalen hatte voriges Wochenende zu Protesten einzelner Mitglieder beim FDP-Parteitag geführt. Dennoch warb am Mittwoch der FDP-Abgeordnete Henning Höne für ein Ende der Stichwahl: Die Zahl der nötigen zweiten Wahlgänge sei seit 1999 (131 Stichwahlen) auf zuletzt nur noch 98 gesunken. Dabei habe eh meistens der Kandidat gewonnen, der schon im ersten Wahlgang vorn lag. Und landesweit sei die Wahlbeteiligung beim zweiten Urnengang um 13,4 Prozent (436 644 Stimmen) geringer ausgefallen als beim ersten. Wie die CDU interpretierte Höne den Verzicht auf einen zweiten Wahlgang deshalb als Schritt zu "mehr demokratischer Legitimation". Vor allem die SPD warnt vor "Minderheiten-Bürgermeistern" mit wenig Gewicht Dem hatte am Vormittag die Initiative "Mehr Demokratie" widersprochen, die CDU und FDP mehr als 17 000 Unterschriften gegen die Reform überreichten. Auch SPD und Grüne geißelten die Abschaffung der Stichwahl als "Verfassungsbruch" und "Schlag gegen die Demokratie". Die Opposition verwies darauf, bei einer Anhörung hätten alle drei Verfassungsexperten Bedenken geäußert. Der Jurist Martin Morlok hatte eine Abschaffung der Stichwahl gar als "Perversion der Mehrheitsentscheidung" bewertet. Die Wahlbeteiligung, so Morlok, sei zwar wichtig als Legitimation des politischen Systems. Entscheidend für die Legitimation eines Bürgermeisters sei aber die Stimmenzahl und der Prozentsatz des jeweiligen Siegers. Sozialdemokratische Kommunalpolitiker warnen, ohne Stichwahl könnten angesichts der Zersplitterung des Parteiensystems künftig häufig Stadtoberhäupter mit kaum einem Drittel der Stimmen gewählt werden. Solche "Minderheiten-Bürgermeister" hätten dann wenig Gewicht, um gegenüber dem Stadt- oder Kreisparlament die Verwaltung zu führen. Die SPD rechnet vor, bei zuletzt 62 Stichwahlen um Rathäuser habe die Zahl der Stimmen im Stichentscheid in 45 Fällen über der Stimmenzahl des Führenden im ersten Wahlgang gelegen. Und nur 23 dieser 62 Stichwahlen habe die CDU gewonnen. Paradebeispiel für die Bedeutung des Wahlrechts ist die Landeshauptstadt Düsseldorf. Dort hatte 2014 der SPD-Kandidat Thomas Geisel im ersten Wahlgang deutlich hinter seinem CDU-Konkurrenten gelegen. Den Stichentscheid jedoch gewann Geisel mit 59 Prozent klar, zugleich eroberte er (trotz gesunkener Wahlbeteiligung) 11 000 Stimmen mehr als der CDU-Gewinner des ersten Wahlgangs. Ohne Stichwahl wäre Geisels Wiederwahl gefährdet.
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Heinz-Christian Straches Aussagen auf Ibiza wecken Erinnerungen an frühere FPÖ-Korruptionsaffären und Vetternwirtschaft. Die Aufräumarbeiten beschäftigen bis heute die österreichische Justiz. Als sich in Wien nach der Parlamentswahl im Herbst 2017 die Koalition aus der Volkspartei ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Heinz-Christian Straches FPÖ zusammentat, legten alle Beteiligten größten Wert darauf, nicht von einer Neuauflage zu sprechen. Denn die erste Regierungszusammenarbeit dieser beiden Partner, die schwarz-blaue Koalition der Jahre 2000 bis 2005, ist vielen Österreichern vor allem durch Korruptionsaffären in Erinnerung geblieben. Der Staat galt damals als Selbstbedienungsladen, und die Aufräumarbeiten beschäftigen bis heute die Justiz. Auch politisch wurden diese ersten Jahre an der Macht zum Trauma für die FPÖ: Die Partei stritt über die Richtung und spaltete sich schließlich im April 2005 auf. Jörg Haider und ein Großteil der Funktionäre gründeten das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), das noch bis Anfang 2007 in der Regierung blieb. In der Rest-FPÖ schwang sich Strache zum Vorsitzenden auf. "Wir haben nichts gehabt - und haben mit einem Nichts von drei auf 30 Prozent aufgebaut", sagt er 2017 auf dem Video aus Ibiza, wo er einer angeblichen russischen Investorin in prahlerischer Pose seine Rolle in der FPÖ beschreibt. Protagonisten der ersten schwarz-blauen Koalition waren der ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel und Jörg Haider, der die FPÖ 1986 übernommen und groß gemacht hatte. Haider trat aber nicht in die Regierung ein, sondern blieb Landeshauptmann, also Regierungschef, in Kärnten. Hier hatte er seine Machtbasis, hier regelte er Geschäftliches rund um die Hypo-Alpe-Adria-Bank, und hier hatte er schon in den Neunzigerjahren eine Riege smarter, junger Männer um sich geschart, die als "Buberlpartie" in die Zeitgeschichte einging. Haider starb 2008 bei einem Autounfall, und von den "Buberln" landeten etliche vor Gericht und auch im Gefängnis. Der wohl schillerndste und bekannteste Mann aus dem Gefolge Haiders ist Karl-Heinz Grasser, der für die FPÖ in der ersten schwarz-blauen Koalition das Finanzministerium besetzte. Grasser stand damals für Geld und Glamour, letzteres noch verstärkt seit 2005, als er Fiona Pacifico Griffini aus der Kristall-Familie Swarovski heiratete. Heute steht er vor Gericht. Es geht um die juristische Aufarbeitung mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen bei der Privatisierung von 60 000 Wohnungen im Staatsbesitz. Die Wohnungsbaugesellschaft Buwog war 2004 an ein "Österreich-Konsortium" unter Führung der Immofinanz AG für einen Preis von 961,2 Millionen Euro verkauft worden, und die Staatsanwaltschaft glaubt, dass der damalige Finanzminister Grasser und einige Mitstreiter für entscheidende Tipps im Bieterverfahren knapp zehn Millionen Euro eingestrichen haben. Der Prozess wurde jahrelang verschoben und verschleppt, mit einem Urteil wird frühestens im kommenden Jahr gerechnet. Grasser beteuert vor Gericht seine Unschuld, er fühlt sich von den Staatsanwälten "verfolgt". "Damals gab es Glücksritter, Abenteurer und Abkassierer", sagte Strache über die FPÖ vor seiner Amtsübernahme All dies wirft ein Schlaglicht auf die in Österreich weit verbreitete Freunderlwirtschaft, wo man sich kennt und hilft zum gegenseitigen Nutzen. Mit der Verfilzung zwischen Parteien und Konzernen, Politikern und Unternehmern befasste sich schließlich 2012 auch ein Untersuchungsausschuss des österreichischen Parlaments. Das mündete in der Verabschiedung eines sogenannten Transparenzpakets, in dem die Bestimmungen gegen Korruption verschärft und neue Regeln für die Parteienfinanzierung festgeschrieben wurden. Für Heinz-Christian Strache, der am Ende dieser unrühmlichen FPÖ-Regierungsperiode zum Parteichef aufstieg, könnte dies alles ein Lehrstück sein. "Die heutige FPÖ hat nicht das Geringste mit der damals regierenden FPÖ zu tun", sagte er 2011 einmal zur SZ. "Damals gab es Glücksritter, Abenteurer und Abkassierer." Auf Ibiza aber, wo ihm eine angebliche russische Investorin eine Falle stellte - offenbar um herauszufinden, wie er auf Korruptionsangebote reagiert - ist Strache nicht entrüstet aufgestanden. Stattdessen blieb er sitzen bis tief in die Nacht und hat über Geschäftliches und Politisches geredet.
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In Ägypten wird nach Angaben des Auswärtigen Amtes nach dem Verschwinden eines jungen Mannes ein zweiter Deutscher vermisst. Die Deutsche Botschaft stehe in Kontakt mit den Behörden und bemühe sich in beiden Fällen mit Nachdruck um Aufklärung, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin. "Es geht dort um zwei verschiedene Fälle von deutschen Staatsangehörigen, die vermisst werden. Wir sind mit denen seit einigen Tagen befasst und wir nehmen beide Fälle sehr ernst", sagte er. Mit Blick auf das Wohl der Betroffenen könnten keine weiteren Angaben gemacht werden. Beide Männer haben Angehörigen zufolge eine deutsche Mutter und einen ägyptischen Vater und besitzen beide Staatsbürgerschaften. Der dpa zufolge handelt es sich im ersten Fall um einen 18-Jährigen aus Gießen, der am 17. Dezember über Luxor in das Land einreisen wollte, um seinen Großvater in Kairo zu besuchen. Vor dem Weiterflug in die Hauptstadt brach der Kontakt ab, bestätigte sein Vater der Nachrichtenagentur. "Es sind jetzt drei Wochen und es gibt keine Spur. Niemand weiß, ob er noch am Leben ist", sagte der Vater. Er geht davon aus, dass ägyptische Sicherheitskräfte seinen Sohn festgenommen haben und er seitdem in Gewahrsam ist. Gründe für eine mögliche Festnahme kennt er nicht. Sein Sohn, der wahrscheinlich mit seinem ägyptischen Pass einreisen wollte, habe nichts getan. Im zweiten Fall geht es um einen 23 Jahre alten Deutschen aus Göttingen, der mit seinem Bruder am 27. Dezember über den Flughafen Kairo nach Ägypten einreisen wollte. Die Behörden hielten den jungen Mann am Flughafen fest und ließen nur seinen Bruder passieren, wie seine Mutter der dpa sagte. Seitdem ist der bei der Einreise Festgehaltene verschwunden. Die Mutter hatte sich in einem Brief an den deutschen Botschafter in Ägypten gewandt und um Hilfe gebeten. Durch Kontakte in Kairo habe man herausgefunden, dass sich der Sohn angeblich in einem Gebäude der "Hauptstelle des Geheimdienstes" in der Hauptstadt befinde. Er werde demnach ohne jegliche Begründung festgehalten. Die ägyptische Regierung hat Menschenrechtsorganisationen zufolge in den vergangenen Jahren Zehntausende Menschen aus politischen Gründen eingesperrt. Bei einigen der aufsehenerregenden Fällen handelte es sich um Doppelstaatler. Diese behandelt der ägyptische Staat als Ägypter, so dass die Möglichkeiten der Einwirkung für ausländische Regierungen gering sind.
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Ein neuer Vorfall hat die Spannungen am Persischen Golf nach Sabotageakten gegen Öltanker weiter verschärft. Saudi-Arabiens Energieminister Khalid al-Falih teilte am Dienstag mit, zwei Pumpstationen einer Pipeline in der Nähe von Riad seien von bewaffneten Drohnen angegriffen und beschädigt worden. Der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco habe den Betrieb der Leitung vorsorglich unterbrochen, um die Schäden zu begutachten. Die Ereignisse fallen in eine Phase großer Spannungen zwischen den USA und Iran. Wie zuvor im Fall der Tanker gab es keine offizielle Schuldzuweisung seitens der USA oder Saudi-Arabiens. Ein Sprecher der Huthi-Miliz in Jemen, die von Iran unterstützt wird, erklärte aber, sie habe mit Drohnen strategische wirtschaftliche Ziele in dem Königreich angegriffen. "Dies ist eine Botschaft an Saudi-Arabien, stoppt eure Aggression!", sagte er. Solche Angriffe mit kleinen Drohnen haben bereits andere Milizen im Irak und in Syrien verübt. Nach Ansicht unabhängiger Experten werden die Huthis nicht von Iran kontrolliert. Die USA haben aber klargemacht, dass sie Attacken der Gruppe Iran zurechnen würden. Irans Oberster Führer Ali Khamenei sagte im Staatsfernsehen: "Weder wollen wir einen Krieg noch die USA, die wissen, dass dies nicht in ihrem Interesse wäre." Deshalb werde es auch keinen Krieg geben. Iran habe aber "den Weg des Widerstands" gegen die USA gewählt; Verhandlungen lehnte er ab. US-Präsident Donald Trump sagte, die USA planten keinen Krieg gegen Iran. Er reagierte damit auf einen Bericht der New York Times, dem zufolge das Pentagon auf Verlangen von Sicherheitsberater John Bolton dem Weißen Haus aktualisierte Pläne für mögliche Militärschläge vorgelegt hat. Demnach könnten bis zu 120 000 US-Soldaten in die Region verlegt werden, sollte Iran US-Truppen attackieren. Ein Einmarsch in Iran sei aber ausgeschlossen. Trump bekräftigte zugleich seine Entschlossenheit, auf etwaige Angriffe Irans auch militärisch zu antworten. Weder er noch Khamenei kündigten jenseits ihrer Beteuerungen konkrete Schritte an, die Spannungen wieder zu verringern. Die angegriffene Pipeline verbindet die Ölfördergebiete in der Ostprovinz Saudi-Arabiens mit dem Hafen Yanbu am Roten Meer. Über sie könnte Saudi-Arabien täglich bis zu fünf Millionen Barrel Öl für den Export pumpen, sollte Iran im Zuge einer militärischen Auseinandersetzung die Straße von Hormus blockieren, die Meerenge am Eingang zum Persischen Golf. Darin liegt eine Parallele zu den Attacken auf die Öltanker vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate. Der Ölhafen von Fudschaira am Golf von Oman ist ebenfalls Endpunkt einer Pipeline, die den Golf umgeht. USA vermuten Iran hinter Angriffen auf Tanker Nach einer ersten vorläufigen Einschätzung vermutet die US-Regierung Iran hinter den Attacken auf die Tanker. Belege dafür wurden nicht veröffentlicht. Das US-Militär schickte Experten nach Fudschaira, die feststellensollen, wer für die Sabotage verantwortlich ist. Alle vier Schiffe haben im Rumpf auf Höhe der Wasserlinie Löcher, die von Explosionen stammen könnten.
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Das Internet überfordert uns mächtig, vor allem bei der Reisebuchung. Deshalb kann man diese nun an Unternehmen abgeben, die uns eine ganz persönliche Überraschungsreise zusammenstellen. Manchmal auch unfreiwillig. Die Welt ist groß, und Verwirrung lauert überall. Und noch größer als die Welt ist das Internet. Wie jeder weiß, der einmal seine ganz individuelle Reise organisiert hat: Man kann sich in den Weiten des Netzes schneller und gründlicher verirren als in der Atacamawüste oder im Ruwenzori-Gebirge. Nach gefühlten zwei Minuten, die real 14 Stunden waren, hat man auch schon die fünf Hotels an drei Reisezielen, die in die engste Wahl kommen. Die Buchung ist jetzt nur noch eine Sache von wenigen Tagen. Wem das alles zu viel Aufwand ist und auch zu viel Nervenkitzel, weil die Preise der Hotels und Flüge mit jedem neuen Besuch derselben Websites steigen, der kann die Qual der Wahl auch outsourcen, sprich: abgeben. An ein Reisebüro? Mit echten Menschen? Die vielleicht schon mal an Orten waren, von denen man selbst noch nicht weiß, dass man hinmöchte? Aber nein! Natürlich begibt man sich in die Hände eines Überraschungsreiseanbieters. Die offerieren ihre Dienste natürlich im Internet, nennen sich "Unplanned", "Wowtrip" oder "Lufthansa Surprise". Gegen eine Pauschale nehmen sie die Last von den Schultern des Überforderten und rufen ihm zu: Sag uns ungefähr, was dir ländermäßig gefällt und wie viel Geld du ausgeben willst, und wir basteln dir deine ganz individuelle Überraschungsreise aus unserer schönsten Resterampe, pardon, unserem exklusiven Angebot. Kurz vor Abflug erhält man ein Kuvert mit dem Namen des Ortes, und schwups ist man schon auf unvergesslicher Traumreise ins All-inclusive-Hotel auf Teneriffa. Dass das Leben aber oft die schöneren Geschichten und Reisen bietet als jede Internetseite, durften unlängst die Passagiere eines British-Airways-Fluges erfahren. Sie hatten Tickets von London nach Düsseldorf gekauft, vielleicht, um auf der Kö noch ein letztes Mal vor dem Brexit günstig einzukaufen. Die Maschine flog aber nach Edinburgh, was der Pilot nach der Landung auch kundtat. Als der Protest der überraschten Kunden nicht abflaute, beteuerte er, sich nicht verflogen zu haben. Vielmehr hätten die ihm ausgehändigten Unterlagen das Ziel Edinburgh angegeben, wohin er auch geflogen sei. Es müssten dann wohl die falschen Papiere gewesen sein. Ein Passagier schrieb dazu auf Twitter: "Obwohl es ein interessantes Konzept ist, glaube ich nicht, dass sich jemand für diese Rätsel-Reiselotterie angemeldet hat." Ach, britisches Understatement, wir werden dich vermissen!
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Detailansicht öffnen Queen Elizabeth II. hat die britischen Politiker in einer Rede aufgefordert, im Streit um den Brexit einen Kompromiss zu finden. Die Königin, die sich grundsätzlich nicht zu politischen Fragen äußert, hatte während eines Vortrags gesagt, sie bevorzuge es, wenn Menschen "den Standpunkt des jeweils anderen respektieren, wenn sie sich bemühen, eine gemeinsame Basis zu finden, und dabei das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren". Auch wenn in diesen Formulierungen das Wort Brexit nicht vorkommt und kein konkreter Bezug zum EU-Austritt steckt, wird dies in Großbritannien als Mahnung an die Politik verstanden. Für die Times war die Botschaft der 92-Jährigen an die "sich bekriegenden Politiker" klar: "Beendet die Brexit-Fehde", titelte die Zeitung.
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Die Zeit der Ungewissheit scheint gerade erst wieder zu beginnen beim TSV 1860 München. Denn nach allem, was Geschäftsführer Günther Gorenzel am Mittwoch erklärte, ist in Sachen Implementierung des angekündigten Konsolidierungskurses noch keine einzige Entscheidung gefallen - zumindest nicht in seinem, dem sportlichen Bereich. Allein für diesen könne er sprechen, das betonte der 47-Jährige. Es wird geschätzt, dass der Etat für die erste Mannschaft von rund 4,5 Millionen Euro auf drei Millionen Euro schrumpfen wird. "Fakt ist: Es läuft auf einen Konsolidierungskurs hinaus, und das hat Umstrukturierungen zur Folge", sagte Gorenzel. Einzige Neuigkeit: Der Etat für die Nachwuchsmannschaften von der U9 bis zur U17 bleibt gleich oder wird möglicherweise sogar erhöht; die U19 und die U21, die unter den Zuständigkeitsbereich der KgAa fallen, werden für den Spielbetrieb der Saison 2019/20 zumindest schon einmal angemeldet. Aber auch das bedeutet nicht, dass sie nicht vielleicht doch noch aus den Planungen gestrichen werden. So ist zum Beispiel für den U21-Trainer Sebastian Lubojanski, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, im Moment noch nicht einmal klar, ob es überhaupt Gespräche zu seiner Zukunft im Verein geben wird. Die Profimannschaft wird zum Stichtag 1. März erwartungsgemäß für die Lizenzierung zur zweiten und dritten Liga angemeldet. Auf die Nachfrage, dass das Grünwalder Stadion allerdings gar nicht den Zweitliga-Ansprüchen der Deutschen Fußball Liga genügt, sagte Gorenzel, dass dies nicht in seinem Zuständigkeitbereich liege. Entschieden wehrte er sich gegen eine "Streichliste" von Spielern, von der er gelesen habe, um auf diesem Wege Geld einzusparen. So eine Liste gebe es nicht, "das ist an den Haaren herbeigezogen." Demnach könne der bald 34-jährige Leistungsträger Sascha Mölders auch nicht auf solch einer Liste stehe, mit solchen Gerüchten müsse man leben, so Gorenzel. Erst, wenn Trainer Daniel Bierofka seine letzten Prüfungen zum Fußballlehrer absolviert hat, werde man die Kaderplanung für die kommende Saison angehen. Mit dem Konsolidierungskurs einhergehen soll eine "realistische Erwartunghaltung" - mit anderen Worten: Wer einspart, sollte tunlichst nicht von einem Aufstieg träumen.
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In Rostock-Laage war noch nie viel los. Aber jetzt ist der Flughafen in Mecklenburg-Vorpommern - hoch oben an der Ostsee - in ernsten Schwierigkeiten. Am Wochenende hatte die britische Fluggesellschaft Flybmi bekannt gegeben, dass sie ab sofort den gesamten Flugverkehr einstellt, auch die Flüge von Rostock nach München und zurück. Nach der Pleite der deutschen Germania gibt es damit nun keine regelmäßigen Linienverbindungen mehr von Rostock aus. Der Zusammenbruch von Flybmi kam überraschend. Man habe "schweren Herzens" Insolvenz anmelden müssen, auch wegen der gestiegenen Treibstoffkosten, teilte die Airline mit. Dazu kämen die großen Unsicherheiten angesichts eines unkontrollierten Brexit. Flybmi beschäftigt 376 Menschen in Deutschland, Großbritannien, Schweden und Belgien, besitzt 17 Flugzeuge und flog 25 Städte in Europa an, darunter auch einige Ziele in Deutschland. Zudem wurden innerdeutsche Strecken bedient wie etwa München-Rostock oder München-Saarbrücken. Im vergangenen Jahr transportierte die Fluggesellschaft, die ihren Hauptsitz in Schottland in der Nähe von Glasgow hat, nach eigenen Angaben auf 29 000 Flügen mehr als eine halbe Million Passagiere. Flybmi sagte am Wochenende nun sämtliche Flüge ab. In einer Mitteilung an die Kunden auf der Internetseite heißt es: "Gehen Sie nicht zum Flughafen, es sei denn, Sie haben einen Flug mit einer anderen Fluggesellschaft gebucht." Das Unternehmen sei nicht mehr in der Lage, Flüge zu organisieren. Die Passagiere müssten mit anderen Airlines fliegen und dort buchen. Durch die plötzliche Entscheidung sind auch Hunderte Passagiere gestrandet. Das Unternehmen riet ihnen, sich ihre Ticketkosten von Kreditkartenunternehmen, Reisebüros und Reisekostenversicherungen zurückzuholen. Flybmi ist nicht die erste europäische Airline, die nun aufgeben muss - und es wird aller Voraussicht nach auch nicht die letzte sein. "Es gibt schlicht zu viele Airlines in Europa, die in dem harten Wettbewerb nicht bestehen können. Das zeigen die Insolvenzen der vergangenen Monate mehr als deutlich. Und diese Entwicklung ist noch nicht am Ende", sagte zuletzt Lufthansa-Vorstand Harry Hohmeister dem Handelsblatt. Anfang Februar erst hatte Germania Insolvenzantrag gestellt. Die deutsche Fluggesellschaft mit Sitz in Berlin ist deutlich größer als Flybmi und stellte ebenfalls per sofort den Betrieb ein. Germania betrieb zuletzt 27 Flugzeuge und war unter anderem für einen Shuttleservice für den Flugzeughersteller Airbus zwischen Hamburg und Toulouse zuständig. Unter dem Druck sinkender Ticketpreise, schwacher Auslastung im Winter und gestiegener Treibstoffkosten war der Firma das Geld ausgegangen. Von der Insolvenz betroffen sind knapp 1700 Beschäftigte, darunter etwa 400 Piloten und 580 Flugbegleiter. Ein Teil des fliegenden Personals müsse die Flugzeuge alle zwei Wochen in die Luft bringen, damit deren Betriebsgenehmigung nicht verfällt, hatte Insolvenzverwalter Rüdiger Wienburg zuletzt betont: "Unser vorrangiges Ziel ist es, die Fluglinie betriebsbereit zu halten, um die Start- und Lande-Slots behalten zu können." Eine der Optionen, die durchgespielt werden, könnte die Wiederaufnahme des Flugbetriebs auf profitablen Strecken sein. Fast alle Airlines leiden derzeit Im August 2017 war Air Berlin, nach Lufthansa damals die zweitgrößte deutsche Airline, zusammengebrochen, der Betrieb wurde unter anderem mit einem Bundeskredit noch einige Monate aufrechterhalten. Ein Teil von Air Berlin ging an Lufthansa, auch andere Airlines bekamen Flugzeuge. Der britische Ferienflieger Monarch stellte ebenfalls 2017 den Betrieb ein. Fast alle Gesellschaften leiden derzeit. Ryanair, Europas größte Billigfluglinie, hatte zuletzt einen Quartalsverlust gemeldet und gewarnt, dass die Ticketpreise derzeit deutlicher als erwartet sinken, weil das Angebot zu groß sei. Dazu kamen höhere Personalkosten und Kerosinpreise sowie Entschädigungszahlungen für verspätete und ausgefallene Flüge. Bereits im vergangenen Oktober war die Prognose gesenkt worden. Schlechte Zahlen wegen eines verschärften Preiskampfes gab es zuletzt auch vom Tourismuskonzern Tui, zu dem auch die Fluggesellschaft Tuifly gehört. Konkurrent Thomas Cook hatte vor zwei Wochen sogar angekündigt, dass er sein gesamtes Airline-Geschäft veräußern wolle. "Thomas Cook muss keine eigene Airline vollständig besitzen, um ein erfolgreiches Reiseunternehmen zu sein", sagte Vorstandschef Peter Fankhauser. Die Flotte umfasst derzeit 103 Maschinen in Großbritannien, Deutschland, Skandinavien und Spanien, dazu gehört auch die deutsche Gesellschaft Condor. Interesse daran hat unter anderem Lufthansa. Dem Flughafen in Rostock wird das womöglich aber nicht helfen.
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Präsident Abdelaziz Bouteflika bewirbt sich um eine fünfte Amtszeit - doch viele Algerier begehren auf. Bei Straßenschlachten werden mehr als 180 Menschen verletzt. Es sind schicksalhafte Tage, durch die Algerien vor der Präsidentenwahl geht, die für den 18. April angesetzt ist - wie sie ausgehen, ist offen. Am Sonntag um Mitternacht endete die Frist, bis zu der Kandidaten ihre Unterlagen einreichen mussten beim Verfassungsrat, der Wahlkommission. Amtsinhaber Abdelaziz Bouteflika hatte Mitte Februar trotz seiner schlechten Gesundheit angekündigt, für ein fünftes Mandat anzutreten - und löste damit eine Protestwelle aus. Die nötigen Dokumente ließ er Sonntagabend vorlegen, wie etwa der Nachrichtensender Ennahar meldete. Am Sonntagabend nun wurde im Staatsfernsehen ein Brief von Bouteflika verlesen. Darin kündigt er an, nach einer Wiederwahl nicht mehr die volle Amtszeit zu absolvieren. Binnen einen Jahres solle es Neuwahlen geben, wird Bouteflikas Wahlkampfmanager zitiert. Umstritten war, ob er die Bewerbungsunterlagen persönlich vorlegen müsse; das Wahlgesetz schreibt es nicht vor. Bouteflika, der am Samstag 82 Jahre alt wurde, beging seinen Geburtstag im Universitätskrankenhaus von Genf, wo er sich seit einer Woche Routineuntersuchungen unterzieht, nach offiziellen Angaben zumindest. Wann er in die Heimat zurückkehren sollte, war unklar. Seit einem Schlaganfall 2013 ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Er hat seither nicht mehr öffentlich geredet und tritt selten auf - er ist der allgegenwärtige Abwesende. Sein Konterfei ist überall in Algerien zu sehen, regiert wird das Land aber von seinen Beratern, einer undurchsichtigen Clique aus Militär, Geheimdiensten und Funktionären der regierenden Nationalen Befreiungsfront (FLN). Die Algerier nennen dieses Schattenreich nur le pouvoir, die Macht. Im Jahr 2014 akzeptierten die Menschen im größten Land Afrikas mit derzeit etwa 42 Millionen Einwohnern noch, dass die FLN den seit 1999 amtierenden Bouteflika erneut aufstellte - einen Veteranen des Unabhängigkeitskriegs gegen Frankreich, dem viele Algerier auch seine Rolle bei der Beendigung des blutigen Bürgerkriegs zu Gute halten, der zwischen 1991 und 2002 bis zu 200 000 Menschen das Leben kostete. Doch das ist nun vorbei. Am Freitag zogen Demonstranten durch die Hauptstadt Algier, auch in Oran, Constantine, Annaba und anderen Städten gingen Menschen auf die Straßen, wie Lokalmedien berichteten. Mit landesweit wohl Hunderttausenden Teilnehmern waren es die größten Proteste seit dem Arabischen Frühling im Jahr 2011. Der führte in Algerien zwar zu Kundgebungen - anders als im benachbarten Tunesien oder in Ägypten aber nicht zum Regimewechsel. "Nein zum fünften Mandat!", skandieren die Demonstranten nun, oder: "20 Jahre sind genug!" Sie rufen Parolen, die an den Umsturz in Ägypten erinnern, wie "Das Volk will den Sturz des Regimes!", zugleich aber auch immer wieder "friedlich, friedlich!". Das sollen die Proteste bleiben, auch um dem mächtigen Sicherheitsapparat keinen Vorwand für Gewalt zu bieten. Detailansicht öffnen Die Proteste wie hier in der Hauptstadt Algier am vergangenen Freitag richten sich gegen den seit 1999 amtierenden Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. (Foto: Ryad Kramdi/AFP) Ein starkes Polizeiaufgebot besetzte am Wochenende zentrale Plätze in Algier. Zu Ausschreitungen kam es während des Protestzugs nicht, am Abend hinderten die Einsatzkräfte Demonstranten mit Tränengas, vor den Präsidentenpalast oder den Verfassungsrat zu ziehen. Es kam zu Straßenschlachten, laut Gesundheitsministerium wurden 183 Menschen verletzt, einer starb an einem Herzinfarkt. 45 Demonstranten nahm die Polizei fest. Es gibt Spekulationen, Ex-Außenminister Lamamra könne Bouteflika ablösen Begonnen hatten die Proteste vor zwei Wochen. Vergangenen Dienstag hatten Journalisten demonstriert, um zu erreichen, dass sie in den dominierenden Staatsmedien endlich über die Proteste berichten durften. Am Sonntag versammelten sich erneut Zehntausende Menschen in Algier, die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Detailansicht öffnen Schon seit seinem Schlaganfall 2013 tritt Abdelaziz Bouteflika öffentlich nicht mehr auf. (Foto: Ryad Kramdi/AFP) Am Freitag hatten sich bekannte Intellektuelle den Protesten angeschlossen, Helden des Unabhängigkeitskrieges wie Djamila Bouhired, die in der Politik eine große Rolle spielen, oder etwa der frühere Premierminister Ali Benflis. Der bekannte Schriftsteller Kamel Daoud sagte: "Der grundlegende Wandel ist: Die Menschen haben keine Angst mehr, die Mauer der Angst ist zerbrochen." Es ist das Gefühl, das Hunderttausende Tunesier beflügelte und Millionen Ägypter auf dem Tahrir-Platz, als sie 2011 aufstanden gegen ihre greisen Autokraten Zine el-Abidine Ben Ali und Hosni Mubarak. Algeriens Premier Ahmed Ouyahia warnte vor einem Bürgerkrieg wie in Syrien - das beantworteten die Demonstranten mit solchen Rufen: "He Ouyahia, Algerien ist nicht Syrien!" Es ist schwer vorstellbar, dass Algerien schnell wieder zur Ruhe kommt. Zu tief sitzt die Unzufriedenheit, gehen die strukturellen Probleme der von Öl und Gas abhängigen Wirtschaft: Ein Drittel der Algerier unter 30 Jahren hat keinen Job. Allerdings ist die Opposition schwach, zersplittert und zerstritten, eine klare Führungsfigur ist nicht erkennbar. Einige Parteien rufen zum Boykott der Wahl auf. Es gibt Spekulationen, der frühere Außenminister Ramtane Lamamra könne Bouteflika ablösen. Dieser tauschte am Samstag jedoch nur seinen langjährigen Wahlkampfchef und engen Berater Abdelmalek Sellal gegen Verkehrsminister Abdelghani Zaalane aus, wie die amtliche Nachrichtenagentur APS meldete.
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Noch vor wenigen Jahren galt für die meisten Autohersteller bei der Präsentation neuer Motorvarianten: noch leistungsfähiger, noch dynamischer, aber auch einen Zacken sparsamer als die Vorgängergeneration. Heute gilt: noch schneller irgendwie elektrisch, sei es als reines Batterieauto, als Hybrid, Plug-in-Hybrid oder wenigstens als Mild-Hybrid mit 48-Volt-System. Alle Hersteller stehen unter dem Druck, ihre Flotten möglichst schnell zu elektrifizieren und die Verschärfung der CO₂-Ziele bis 2030, die die EU jüngst beschlossen hat, erhöht diesen Druck erheblich. Besonders groß ist dieser Druck für Hersteller, die viele große, schwere und spritschluckende Fahrzeuge im Programm haben. Jaguar Land Rover ist so ein Hersteller, vor allem SUVs von Land Rover sind gefragt. Entsprechend schlecht ist der aktuelle Flottenwert der Briten, er liegt bei 150 Gramm CO₂ pro Kilometer (g/km), der europäische Durchschnitt beträgt ungefähr 118,5 g/km. Von 2021 an gilt aber ein CO₂-Grenzwert von 95 g/km. Bis zum Jahr 2030 soll der CO₂-Ausstoß nach dem Willen der EU nochmals um 37,5 sinken. Ein sehr weiter Weg also für die Premium-Marke aus Großbritannien. Bis 2020 will sie für die gesamte Modellpalette auch elektrifizierte Varianten anbieten. Den Anfang hat 2018 der Jaguar i-Pace gemacht, ein reines Elektroauto. Jetzt präsentieren die Briten den Range Rover und den Range Rover Sport als Plug-in-Hybrid. Sie kombinieren dabei im ersten Schritt einen Vierzylinder-Benziner mit einem Elektromotor. Später sollen dann auch Hybridvarianten mit Dieselmotoren folgen. Das kombinierte Triebwerk leistet insgesamt 404 PS, wobei 300 auf den Verbrenner entfallen. Das ist sicherlich gewaltig, aber die Motoren müssen auch einen sehr schweren Wagen antreiben. Der Range Rover Sport wiegt als Plug-in-Hybrid fast zweieinhalb Tonnen, der klassische Range Rover liegt knapp über dieser Marke. Die rein elektrische Fahrleistung wird mit 48 Kilometern angegeben und das ist ganz bewusst kalkuliert. Denn damit erfüllen die beiden Range-Rover-Modelle die neuen Steuerkriterien für Dienstwagen, wonach Autos, die mindestens 40 Kilometer rein elektrisch fahren können, nur noch mit 0,5 Prozent des Listenpreises versteuert werden müssen statt wie bisher einem Prozent. Bei den Preisen, die Land Rover für die Fahrzeuge aufruft, ist das schon ein Argument. Der Range Rover Sport beginnt als Plug-in-Hybrid bei 88 000 Euro, der klassische Range Rover bei 120 000 Euro und damit deutlich über den Preisen für den Sechszylinder-Diesel. Jaguar Land Rover zielt mit den Hybriden auf eine Klientel, die viel in der Stadt unterwegs ist und keine hohe Jahreskilometerleistung hat. Erste Fahreindrücke zeigen, dass der Hybrid in jeder Situation mehr als genug Leistung hat. Die Boost-Funktion des E-Motors, mit der der Verbrenner beim Beschleunigen an das Drehmoment eines Diesel heranreichen soll, braucht man im Grunde nicht. Fährt man aber im Hybridmodus und tritt kräftig aufs Gas, schmilzt die elektrische Reichweite rasch dahin. Ein Nachteil des Hybridkonzepts von Jaguar Land Rover ist, dass sich das Auto nicht in einem rein elektrischen Modus fahren lässt, sondern nur über den Umgang mit dem Gaspedal: Tritt man sanft aufs Gas, fährt der Wagen elektrisch, solange die Reichweite eben reicht. Bei stärkerem Pedaldruck schaltet sich sofort der Verbrenner dazu.
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Der Insolvenzverwalter der Container-Firma P&R verschickt in den nächsten Tagen einen Brief an die 54 000 Anleger. Darin findet sich eine Vergleichsvereinbarung mit der Möglichkeit zur Unterschrift. "Diese kann von den Insolvenzverwaltern im Interesse aller Gläubiger allerdings nur umgesetzt werden, wenn sie von einer überragenden Mehrheit der Gläubiger akzeptiert wird", sagt der Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Sollte sich eine substanzielle Anzahl der Gläubiger gegen den Abschluss der Vereinbarung aussprechen, könnten sich das Insolvenzverfahren und die Verteilung der ersten Abschläge bis 2020 "erheblich verzögern". Bisher seien 110 Millionen Euro aus der Fortführung des vorhandenen Containergeschäfts eingegangen, im laufenden Jahr würden weitere 150 Millionen Euro dazukommen. Die Pleite von P&R ist mit einem Schaden von rund 3,5 Milliarden Euro einer der größten Betrugsfälle im Bereich der Geldanlage. "Einem Milliardenschaden für Anleger stehen mögliche Auszahlungen von einem Bruchteil gegenüber", sagt Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. "Es zeigten sich im Fall P&R Schwächen in der Aufsicht wie auch in der bestehenden Gesetzeslage", sagt Schick. Die Frage der Steuerzahlungen ist noch nicht geklärt Viele Familien haben seit den 70er-Jahren über P&R ihr Geld immer wieder in die Vermietung von Frachtcontainern gesteckt. Das Geschäft lief lang gut, die Zahlungen an die Anleger gingen stets pünktlich ein, bis 2018 überraschend Insolvenz angemeldet wurde. Bald schon kam der Betrugsverdacht auf durch den Aufbau eines Schneeballsystems. Der Insolvenzverwalter stellte einen hohen Fehlbestand bei den Containern fest. Von den 1,6 Millionen an die Anleger verkauften Container waren nur 600 000 Stück vorhanden. P&R habe ab dem Jahr 2007 immer häufiger Verträge mit Anlegern über Container geschlossen, die es de facto nie gegeben habe und die auch nicht angeschafft worden seien, so der Insolvenzverwalter in seinem damaligen Bericht. Neu eingeworbene Gelder seien benutzt worden, um Altanleger auszubezahlen. Dieses Gebaren bezeichnet man gemeinhin als Schneeballsystem. Die Staatsanwaltschaft München hat inzwischen Anklage gegen den P&R-Gründer Heinz Roth erhoben. Sie wirft ihm gewerbsmäßigen Betrug sowie Steuerhinterziehung vor. Nun geht es vor allem um die grundsätzliche Frage, ob der Insolvenzverwalter frühere Ausschüttungen von den Anlegern zurückfordern muss, um diese Beträge der Insolvenzmasse zuzuschlagen. "Es wird nun einige Musterverfahren gegen Anleger geben, am Ende wird das der Bundesgerichtshof entscheiden", sagt der Fachjournalist und Herausgeber des Investmentcheck, Stefan Loipfinger. Um genug Zeit für diese höchstrichterliche Entscheidung zu haben, liegt dem Brief des Insolvenzverwalters an die Anleger eine Hemmungsvereinbarung bei. "Mit ihrer Unterzeichnung stimmen die Anleger zu, dass die Verjährungsfrist auf 2023 verlängert wird. Das sollte man auch machen", empfiehlt Loipfinger. Der Rechtsanwalt Peter Mattil berichtet, dass Anleger wegen P&R Post vom Finanzamt erhalten haben, mit unterschiedlichem Inhalt, was mögliche Steuerzahlungen angeht. "Es gibt dort verschiedene, offenbar nicht abgesprochene Rechtsauffassungen", so Mattil. "Die Oberfinanzdirektionen konnten sich noch nicht auf eine klare Grundsatzentscheidung einigen, aber das müsste bald kommen", sagt Loipfinger.
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Französische Politiker, die etwas erreichen wollen, unterscheiden sich grundsätzlich von deutschen Politikern, die etwas erreichen wollen. Worin dieser Unterschied besteht, lässt sich gut nachvollziehen, wenn man sich vorstellt, Angela Merkel und Emmanuel Macron müssten jeweils einen Sack Mehl von A nach B bewegen. Die deutsche Kanzlerin würde mit stetiger, mittlerer Kraftanstrengung losschieben, so wie es in der Rückenschule empfohlen wird. Der französische Präsident würde zu dem einen Sack noch vier weitere dazustapeln und dann eine originelle Wurftechnik entwickeln, bei der besonders viel Mehlstaub aufwirbelt. Ein eindrückliches Beispiel dieser französischen Jonglage-Kunst stellt nun Macrons Brief an die Europäer dar. Gleichzeitig in 28 Ländern veröffentlicht, in 22 Sprachen übersetzt, unterschrieben einfach mit "Emmanuel Macron". Als wäre er nicht der französische Präsident, sondern ein gesamteuropäischer Visionär, dem die Massen aller Länder folgen. Dieser Brief wird nicht nur von konkreten Ideen für europäische Reformen getragen, sondern auch von einer ordentlichen Portion Größenfantasie. Nur steht dahinter kein Realitätsverlust, sondern eine Strategie, die in der französischen Politik immer wieder zum Erfolg führt. Wenn man sich noch einmal die Mehlsäcke vergegenwärtigt, sind die deutsche und die französische Zielvorgabe ähnlich: Ein Sack soll Punkt B erreichen. In Deutschland reicht die Fantasie dann genau für diese Handlung, in Frankreich wird die Aufgabe so weit vergrößert, dass am Ende sicher ist, dass wenigstens die Minimalvorgabe erfüllt wurde. Macron will auch jenseits von Frankreich eine Anziehungskraft entwickeln Nur was ist in diesem Fall die Minimalvorgabe? Macron hat in den kommenden Monaten zwei Ziele: Er will seine rechtsradikale Widersacherin Marine Le Pen in der Europawahl besiegen, und er will im Europaparlament mit seiner Partei La République en Marche Teil einer möglichst mächtigen Fraktion werden. Für ersteres Ziel ist der Brief nützlich, weil er Macron breitbeinig in der Mitte Europas platziert. Frankreichs Präsident war bisher bei seinen Wählern dann besonders beliebt, wenn er sich als internationaler Lenker inszenierte und den Franzosen das Gefühl gab, dass die Welt auf Weisungen aus Paris wartet. Indem er nun 28 Zeitungen gleichzeitig dazu bewegt hat, ihm ihre Seiten freizuräumen, demonstriert er einen Machtanspruch, mit dem sich viele seiner Landsleute identifizieren können. Gleichzeitig sagt er: Dieses internationale Netzwerk, diesen Respekt der anderen Länder, den büßt ihr ein, wenn ihr Le Pen wählt. Indem er den Brief gleichzeitig auf Deutsch, Englisch, Finnisch, Rumänisch, Polnisch und so weiter veröffentlicht, bietet er außerdem potenziellen europäischen Verbündeten das Label Macron an. In ganz Europa beginnt nun die Phase des Wahlkampfs. Macron setzt darauf, dass er auch jenseits von Frankreich eine Anziehungskraft entwickelt, die Politiker dazu bringt, sich ihren Bürgern als Macron-Partner zur Wahl zu stellen. Das Ergebnis: Eine starke Macron-Fraktion im Europaparlament, die ihn auch innenpolitisch absichert. Frankreichs Präsident hat die Krise für sich zur Chance umgedeutet Die Frage ist, inwiefern sein großeuropäischer Auftritt ihn diesen Zielen näherbringt. Macron versucht nun bald schon seit einem Jahr, die Dynamik, die ihn in Frankreich in den Élysée-Palast brachte, auf Europa zu übertragen. Dazu startete er die sogenannten "consultations citoyennes", den europäischen Bürgerdialog. Seine Mitstreiter und er setzten sich auf Podien und in Hörsäle, sie "sprechen über Europa". Innenpolitisch bedeutete das: Die Partei La République en Marche filterte aus den Bürgergesprächen heraus, welche Themen und Schlagworte sich besonders gut für den Wahlkampf eignen. Wie erfolgreich dieses Manöver war, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Europaweit muss man den Bürgerdialog unter gescheitert verbuchen. Wenn eine aus Frankreich kommende Bewegung in den vergangenen Monaten Anhänger fand, dann die Proteste der Gelbwesten und nicht die Fans von Macron. Der große Brief ist nun eine Spur weniger subtil als die Bürgerdialoge. Macron gibt nicht mehr vor, den Bürgern zuhören zu wollen, er verkündet seine Überzeugungen. Auch wenn weiterhin Zehntausende Gelbwesten auf die Straße gehen, Macrons Popularität steigt seit Januar von Umfrage zu Umfrage an. Rutschten seine Beliebtheitswerte kurz vor Weihnachten bis hinunter zur 20-Prozent-Marke, sind sie inzwischen wieder nahe an den 40 Prozent. Macron ist tatsächlich das gelungen, was er den Franzosen zum Jahresende per Fernsehansprache verkündete: Er hat die Krise für sich zur Chance umgedeutet. Sein wiedergewonnenes Selbstbewusstsein spricht aus jeder Zeile dieses europäischen Briefes. Europa funktioniert anders als Frankreich Für Macrons Bewunderer in Brüssel, Berlin oder Warschau ist dieses Sendungsbewusstsein verlockend. Sie können sich einfach in seinen Elan einklinken. Doch dieser bequeme Weg birgt auch Gefahren. Viele Bürger in Europa wollen eine starke EU und keine Konkurrenzkämpfe zwischen nationalistischen Regierungen. Macron nimmt diesen Wunsch auf und personalisiert ihn: Wer die EU will, will mich. Nur funktioniert Europa anders als Frankreich. Es gibt dort nicht den einen Präsidenten, der vom politischen Alltag losgelöst in seinem Palast den Zampano gibt. Der Kampf für eine friedliche europäische Gemeinschaft muss ein Werk der vielen bleiben, nicht des großen Einzelnen. Auch wenn Macron sich gerne als über den Dingen schwebender Ideengeber sieht, der allen anderen das Hirn durchlüftet: Er bleibt in erster Linie Frankreichs Präsident. Die beste Reaktion auf seinen Brief dürfte Gelassenheit sein. Schauen, welche seiner Ideen nützlich sind und sie dann vom Macron-Stempel befreien. Der EU ist nicht geholfen, wenn sie zum Prestigeprojekt eines Mannes mit größten Ambitionen wird.
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Ein Einbruch in die eigene Wohnung oder das eigene Haus erschüttert das Sicherheitsgefühl so schwer wie nur wenige andere Straftaten. Lange Zeit stieg die Zahl solcher Einbrüche in Deutschland an, nun aber ist sie 2018 bereits im dritten Jahr hintereinander erneut zurückgegangen - und zwar deutlich. "Besonders erfreulich" nannte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) an diesem Dienstag in Berlin bei der Vorstellung der Kriminalstatistik diese Entwicklung. Die Zahl der registrierten Einbrüche sank 2018 um 16,3 Prozent auf 97 504. Hinzu kommt, dass dabei der Statistik der Polizei zufolge fast die Hälfte, nämlich 45 Prozent, bereits im Versuchsstadium scheitern. Seehofer sieht das als Beleg, dass Präventionsprogramme helfen, die Bürger aufzuklären, wie sie ihre Wohnung besser sichern können. Der Rückgang bei den Einbrüchen ist eine der markanten Entwicklungen in der Kriminalitätsstatistik, die Seehofer zu dem Schluss kommen lässt, dass Deutschland zu den sichersten Ländern der Welt gehöre. Unterdes haben allerdings, wie eine gleichzeitig vorgestellte Umfrage ergab, mehr Menschen Angst vor Straftaten als noch 2012. Besonders groß sind diese Ängste der Umfrage zufolge bei Menschen mit Migrationshintergrund und in Ostdeutschland. Bundesweit haben generell Frauen häufiger Angst, sie könnten Opfer einer Straftat werden. Detailansicht öffnen Horst Seehofer (mit BKA-Präsident Holger Münch) stellt die Kriminalstatistik vor. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa) Die Zahl der Straftaten ist in Deutschland seit 2017 rückläufig, sie sank 2018 noch einmal auf nun insgesamt 5 555 520 Fälle. Eine vergleichbar geringe Zahl gab es nach den Angaben des Bundesinnenministeriums zuletzt 1992. Besonders stark stechen die Rückgänge etwa bei Diebstählen um 7,5 Prozent und Straßenkriminalität um 6 Prozent heraus. "Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung haben wir einen Rückgang bei den Gewaltdelikten um 1,9 Prozent", betont Seehofer und fügt an: "Gleiches gilt für die Kriminalität von Ausländern", der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen sei nicht gestiegen. Große Sorgen bereite ihm die hohe Zahl von Straftaten etwa gegen Polizeibeamte, erklärt der Minister. Die Statistik ist hier aber höchstens bedingt aussagekräftig, wegen der neuen Rechtslage bei der Ahndung von "tätlichen Angriffen auf die Staatsgewalt". Hier wurde ein Zuwachs um fast 40 Prozent registriert. Nachweislich stark angestiegen sind Fälle von Kinderpornografie: um 14,4 Prozent. Einen markanten Anstieg gab es auch bei Rauschgiftdelikten. Parallel zur Kriminalstatistik stellte der Chef des Bundeskriminalamtes Holger Münch die Studie zur Angst vor Kriminalität vor, wonach die meisten Deutschen sich sicher fühlen, aber der Anteil jener gestiegen ist, die sich vor Einbrüchen oder Diebstahl fürchten. Erstellt wurde die Untersuchung vom BKA gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (MPI). Die Grundlage des sogenannten "Deutschen Viktimisierungssurveys 2017" bildet eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, für die von Juli 2017 bis zum Januar 2018 insgesamt 31 192 Personen telefonisch befragt wurden. Das BKA wertet sie im Vergleich zur Umfrage von 2012 aus. Daraus geht hervor, dass auch 2017 sich die meisten, nämlich knapp 79 Prozent, nachts in ihrer Wohngegend sehr oder eher sicher fühlten. Allerdings gaben 22 Prozent der Bürgerinnen und Bürger an, dass sie sich in dieser Lage unsicher fühlten. Noch 2012 hatten nur 17 Prozent solche Ängste. Einen Anstieg registrierte die Studie auch, wenn nach der Furcht vor konkreten Straftaten gefragt wurde. Das am häufigsten gefürchtete Delikt waren dabei Wohnungseinbrüche. Stark gestiegen ist auch die Angst vor Terrorismus. "Alles in allem zeugen die empirischen Befunde von einer Zunahme der Unsicherheitsgefühle in der Bevölkerung seit 2012", heißt es in dem Bericht des BKA. Es fällt auf, dass einige Bevölkerungsgruppen stärker von zunehmender Sorge erfasst sind als andere. So sind Frauen nicht nur in wesentlich größerem Maße von Kriminalitätsfurcht betroffen als Männer, auch ihr Unsicherheitsempfinden hat seit 2012 stärker zugenommen. Besonders häufig gaben Menschen mit Migrationshintergrund, also eingewanderte Personen und deren Kinder, Ängste vor Kriminalität an, etwa in ihrer Wohnumgebung. Sie sind tendenziell stärker beunruhigt, Opfer von Straftaten zu werden, als Personen ohne Migrationshintergrund. Die gefühlte Unsicherheit hat laut Studie seit 2012 in fast allen Bundesländern tendenziell zugenommen. Besonders ausgeprägt ist die Angst vor Kriminalität der Umfrage zufolge in den ostdeutschen Ländern und Berlin. Demnach fühlt sich in Ostdeutschland etwa jeder Vierte unsicher in seiner Wohnumgebung, in Westdeutschland jeder Fünfte.
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Ist die AfD eine rechtsextremistische Partei? Die AfD fürchtet diese Frage, weil die Antwort "Ja" lauten könnte und weil diese Antwort ungute Konsequenzen für sie hat; diese Konsequenzen beginnen mit der Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz. In dieser Situation ist der Parteitaustritt des Neonazis André Poggenburg, bisher AfD-Abgeordneter in Sachsen-Anhalt, ein verspätetes Weihnachtsgeschenk für die Partei. Die Partei wird nun behaupten, dass die Selbstreinigungskräfte der Partei funktionieren. Wenn es nur so wäre! Wenn es so wäre, dann wäre das Parteiausschlussverfahren gegen den Neonazi Björn Höcke nicht im Sande verlaufen. Wenn das so wäre, dann müssten auch Spitzenleute der Partei wie Gauland und Storch abtreten. Poggenburg war der Mann, der die Türken in Deutschland in öffentlicher Rede als "Kümmelhändler" und "Kameltreiber" beschimpft hat, die sich "dahin scheren" sollten, "wo sie hingehören". Solche Beleidigung und Volksverhetzung ist aber keine Spezialität von Poggenburg; man findet derlei bei Gauland, Höcke und Co. in ähnlicher Weise. Beim Vorsitzenden Gauland ist nur die Kunst der nachträglichen Relativierung bösartiger Äußerungen besser ausgebildet als bei Poggenburg. Die Verharmlosung der NS-Gräuel ist der braune Faden in der Partei, an dem Gauland ebenso wie Höcke spinnt. Und die andauernde Forderung nach einem politischen Systemwechsel stellt die demokratische Grundordnung infrage. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber, Professor an der Hochschule des Bundes in Brühl, bilanziert deshalb in einem Aufsatz, der demnächst im "Jahrbuch für öffentliche Sicherheit" erscheint, "dass man es bei der AfD mittlerweile mit einer rechtsextremistischen Partei zu tun hat" - auch wenn die "Extremismusintensität" geringer sei als bei der NPD. Der Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Partei mache deutlich, so der Extremismusexperte, dass die gemäßigten Liberalkonservativen in der Partei kontinuierlich ihren einst tragenden Stellenwert eingebüßt hätten: Sie seien entweder ausgetreten wie Bernd Lucke, der Mitbegründer der AfD, oder passten sich dem Rechtsruck an wie Jörg Meuthen, der jetzt Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl ist. Man muss damit aufhören, Extremisten als Populisten zu verharmlosen. Das ist eine verniedlichende Beschreibung. Wer die Feinderklärung in die Demokratie trägt, wer dem Volk das "Anti-Volk" als Feind gegenüberstellt; wer die NS-Vergangenheit verharmlost und mit Volksverhetzung Politik macht; wer behauptet, das Monopol der authentischen Repräsentation zu haben; wer für sich allein die Führerschaft beansprucht und sich anmaßt, die alleinige Stimme des Volkes zu sein; wer ein moralisches Monopol für sich behauptet und damit Grundrechte und Grundwerte aushebeln will, - der ist ein Anti-Demokrat; und ein Fall für den Verfassungsschutz - genauso wie die neue Partei, die Poggenburg jetzt zu gründen beabsichtigt.
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Um es gleich vorwegzunehmen: Man trifft an diesem Nachmittag durchaus auf menschliche Mitarbeiter. Man spricht auch mit ihnen, mehr sogar als üblicherweise. In der Innenstadt von San Francisco haben in den vergangenen Monaten drei Läden aufgemacht, die versprechen, für die Zukunft zu stehen. Und sie lassen erst einmal befürchten, dass diese Zukunft eine unpersönliche wird und vor allem eine schweigsame. Es gibt da ein Burger-Restaurant namens Creator, ein Café mit dem schönen Namen Café X und Amazon Go, einen von inzwischen zehn Supermärkten, die Amazon in den vergangenen zwei Jahren eröffnet hat. Was alle drei gemeinsam haben und was die Zukunft ins Spiel bringt: Sie ersetzen menschliche Mitarbeiter durch Maschinen. Man kann diese drei Läden bequem zu Fuß ablaufen, sie liegen nur wenige Häuserblocks voneinander entfernt im Stadtteil South of Market. Seit das Silicon Valley südlich der Stadt zu teuer und auch ein bisschen zu uncool wurde, sitzen immer mehr Tech-Firmen in diesem vor Kurzem noch ziemlich runtergekommenen Teil der Stadt. Auf dem Spaziergang kommt man an den Zentralen von Slack und Linkedin vorbei, Twitter, Airbnb und Uber sind in der Nähe. Zehntausende überwiegend junge Menschen arbeiten hier und man tritt wohl niemandem zu nahe, wenn man sagt, dass die meisten von ihnen grundsätzlich alles gut finden, was neu ist. Wo also könnten Firmen die Zukunft der Mittagspause besser erforschen, als hier? Soßen, Gewürze, Käse - all das berechnet der Computer auf das Milligramm genau Beim Burgerbrater Creator stehen schon am Eingang drei Mitarbeiter. Sie tippen die Bestellung in ihre Tablets und kassieren. Klar, dass es nicht mehr lange dauert, bis diese Jobs verschwinden, schließlich können die Kunden in anderen Schnellrestaurants schon lange an Terminals bestellen und bezahlen. Erst einmal ist es aber gut, dass die drei da sind. Das hier ist schließlich "das Robo-Restaurant", über das alle reden, viele Kunden sind aufgeregt und haben viele Fragen. Im Inneren ist es hell und modern, ein bisschen skandinavisches Design, aber alles leicht abwischbar. Wer zum ersten Mal hier ist, steht vor einer der Glasscheiben, die ins Innere der beiden Maschinen blicken lassen. Hier kann man zusehen, wie die Brötchenhälften geröstet werden und dann in Pappschachteln über ein Fließband laufen. Gurken, Tomaten, Zwiebeln stecken in Röhren darüber und werden frisch auf jeden Burger geschnippelt. Soßen, Gewürze, Käse - all das berechnet der Computer auf das Milligramm genau. Zum Schluss wird das Fleisch für jeden Kunden frisch durch den Wolf gedreht und mit maschinenhafter Perfektion gebraten. Nach fünf Minuten zieht ein Mitarbeiter den fertigen Burger aus der Maschine und übergibt ihn dem Kunden. Auch so ein Job mit begrenzter Laufzeit. Die Maschinen müssen gewartet, die Zutaten eingeladen und das Restaurant geputzt werden. Trotzdem ist es leicht vorstellbar, dass so ein Schnellimbiss schon bald mit vielleicht der Hälfte der bisher üblichen Mannschaft auskommt. Jetzt stehen hier noch einige Mitarbeiter herum, um den Kunden alles zu erklären und um die Maschine zu kontrollieren. Das wird nicht mehr lange nötig sein. Und schon heute sparen die Burger-Maschinen Personal ein. Es bräuchte schon eine sehr große Küche, um so viele Burger so schnell und so frisch auszuspucken, wie es diese Maschinen tun. Etwa 2,4 Millionen Menschen verdienen in Amerika ihr Geld mit dem Zubereiten von Essen. Diese Jobs werden nicht alle verschwinden und schon gar nicht sofort. Nicht alle Gerichte sind für eine Maschine so gut beherrschbar wie ein Burger mit seinen paar Arbeitsschritten. Aber wie lange wird es dauern, bis etwa McDonalds einen Teil seiner 230 000 Mitarbeiter durch Roboter ersetzt? Dass die Firma es nicht schon getan hat, liegt nur daran, dass es bislang billiger ist, ihre Mitarbeiter gnadenlos darauf zu drillen, blitzschnell die immer gleichen Handgriffe auszuführen. Lange wird es nicht mehr dauern, bis diese Rechnung anders ausfällt. Kleinere Fast-Food-Ketten setzen schon heute Roboter in ihren Küchen ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Roboter Köche ablösen: 96 Prozent Es gibt da diese kurzweilige Internetseite www.willrobotstakemyjob.com, die auf einer Studie der Universität Oxford basiert. Die Seite sagt einem, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Job in den kommenden 15 Jahren von Robotern übernommen wird. Die Antwort für Köche in Restaurants: 96 Prozent. Alex Vardacostas, der Gründer des Roboter-Restaurants Creator, erzählt, er habe als Jugendlicher im Restaurant seiner Eltern Zehntausende Burger gebraten. "Das ist ein Job, den niemand vermissen wird", ist er überzeugt. Stattdessen sollten seine Mitarbeiter angenehmere, wichtigere Aufgaben übernehmen, nah am Kunden sein. Es ist das alte Argument der Roboter-Apologeten: Die Maschinen befreien die Menschheit von den eintönigen Jobs und erlauben ihnen, sich Interessanterem zu widmen. Was das sein wird, soll uns dann zeigen, was es heißt, menschlich zu sein. Und es gibt ja auch schlagende Beispiele, die diese These untermauern: Anfang des 19. Jahrhunderts waren 90 Prozent der Amerikaner Bauern. Heute sind es etwa zwei Prozent. Wer vermisst schon diese Jobs? Oder die Heerscharen an meist jungen Frauen, die vor dem massenhaften Einsatz von Computern damit beschäftigt waren, Texte abzutippen. Niemand trauert diesen Jobs nach.
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In der Mode war Geiz schon immer geil, nur anders. Früher war es normal, Kleidung zu reparieren. Man wollte sie möglichst lange tragen, möglichst lange etwas von ihr haben. In jedem Dorf und in der Stadt sowieso gab es dazu Schneider, die flicken und kunststopfen konnten. Heute ist auch Geiz angesagt, allerdings beim Preis. In Läden wie H&M, Zara und Primark kosten Pullover und Strickjacken teilweise weniger als zehn Euro. Dass die Sachen oft nach dem dritten Waschen hinüber sind, ihre Form verlieren, Taschennähte einreißen, Partien unansehnlich fusseln, sogar Löcher entstehen - geschenkt. Seit neue Kleidung nur ein paar Euro kostet, wird sie eher ersetzt als repariert. Es ist noch nicht so lange her, da war Kunststopfen ein eigener Ausbildungsberuf. Seit ein paar Jahren ist das Kunststopfen nur noch Teil der Schneiderausbildung, und Kunststopfer sind rar geworden. Eine der wenigen, die es in Deutschland noch gibt, arbeitet in München in der "Cashmere Clinic" der Münchner Kaschmirmarke Allude, die 2015 eröffnet hat. Dilek Can, 29, ist gelernte Schneidermeisterin, das Kunststopfen ihre Passion. Can arbeitet von Anfang an hier und repariert nicht nur Stücke von Allude, sondern alle Strickwaren mit möglichst hohem Kaschmiranteil. "Am besten sind mindestens 70 Prozent", sagt Can. "Sonst fällt das Kaschmirgarn, das ich zum Stopfen verwende, im Muster auf." Sie nimmt aber auch Stücke ab 30 Prozent Kaschmiranteil an. Im Laden im Münchner Lehel hängen mehr als 130 Kaschmirknäuel in den verschiedensten Farben an der Wand, und das ist nur ein Bruchteil von Cans Fundus. "Letzte Woche haben wir die 600 geknackt", sagt sie und zieht einen grauen Cardigan über eine Leuchte im Verkaufstresen. Sie prüft, ob die Nähte an den Taschen noch halten, guckt von jedem Winkel, ob sich noch irgendwo ein kleines Loch versteckt. "Eines kommt selten allein", sagt sie. Mit roten Stickern markiert sie zwei marienkäfergroße Löcher. Mit den Ärmeln wiederholt sie das Ganze über einer kleineren Leuchte. Immer wieder streicht sie langsam über das Strickgut. "Löcher reparieren", sagt sie, "ist für mich das Schönste überhaupt." Da ist keine Ironie. Die Kunden bringen zum Dank Blumen und Schokolade Allein um die 50 verschiedene Grautöne hat Can zur Auswahl. Gelb-, grün- und blauchstichiges Grau. Taubengrau, Aschgrau, Schiefer, Anthrazit. Das Richtige ist nicht dabei. Wenn Can wie jetzt genau den richtigen Farbton nicht findet, verzwirnt sie vor dem Stopfen zwei Fäden zu einem. Ein dunklerer und eine hellerer ergeben den perfekten Ton. Das Hinterzimmer im Geschäft ist Cans Reich. Vier Waschmaschinen stehen in der Ecke, ein Bügelbrett, in einem Regal liegen Pullover. Sie steckt die Strickjacke auf einem Polster fest, vernäht das Stopfgarn, umschlingt die sicheren Maschen und bildet das fehlende Stück Strickmuster nach. Wieder streicht sie darüber. Ihre Kunden bringen ihr zum Dank Blumen und Schokolade, am meisten freut sich Can, wenn sie die einst kaputte Stelle auf ihrem Stück nicht mehr finden. Eine Werkstatt für Pullover, Strickjacken und Schals - das widerspricht eigentlich allen Regeln der Modebranche heute. Labels wollen mindestens zwei neue Kollektionen im Jahr verkaufen. Zara launcht sogar 24 Kollektionen im Jahr, H&M bis zu 16. Auch bei Chanel sind es sechs Kollektionen jährlich. Einer Greenpeace-Umfrage von 2015 zufolge haben etwa die Hälfte der Deutschen noch nie Kleidung zum Schneider gebracht. Auch privat sind Handarbeitstechniken wie Stopfen aus der Mode gekommen. Eine kleine Gegenbewegung zur Wegwerfmode gibt es. In privaten Nähtreffs und in Repaircafés, wie es sie in einigen Städten gibt, wo meistens an Elektrogeräten und Fahrrädern geschraubt wird, wird auch Kleidung repariert, das Wissen lebt wieder auf und wird weitergegeben. Detailansicht öffnen Reparieren ist besser als Wegwerfen: Faden für die Kaschmirpulli-Ausbesserung. (Foto: mauritius images) Was in der Cashmere Clinic landet, sind meist hochwertige Pullover, Strickjacken und Schals. Lieblingsteile, Erbstücke. Meistens kostet eine Reparatur zwischen 27 und 60 Euro, vorab kann man sich online beraten lassen. Can repariert derzeit alles allein in Handarbeit, deshalb liegt die Wartezeit bei drei Monaten. Seit anderthalb Jahren sucht man bei Allude Verstärkung, doch es gibt kaum Nachwuchs, der das Kunststopfen beherrscht. Selma Ciba, 60, hat in den Achtzigern mit ihrem Mann die Schneiderei, Kunststopferei, Stickerei und Plisseebrennerei Von Veen in Dortmund übernommen. "Das Kunststopfen stirbt aus", sagt sie am Telefon. Jeden Tag nimmt sie mindestens zehn Teile an, mit zehn bis 14 Tagen Wartezeit. "Wir sind der einzige Laden weit und breit, teilweise bekommen wir Sachen aus Hamburg geschickt", sagt sie. "Wir haben immer Arbeit." Neben Strickwaren stopft sie auch Anzüge und Mäntel, mit Originalfäden, die sie aus den betroffenen Kleidungsstücken zieht, von versteckten Stellen, an denen die Entnahme nicht auffällt, und webt damit die Löcher zu. Pro Woche bekommt Can 80 Teile zur Reperatur Am besten repariert man Löcher, sobald man sie entdeckt, wenn sie noch klein sind - "und nicht wartet, bis sie beim Waschen größer werden", sagt Ciba, und dass die meisten Löcher durch Motten entstehen. Auch wenn man überzeugt ist, dass man keine Motten in der Wohnung hat, sollte man Lavendelsäckchen in den Schrank legen. "Und Strickwaren nach dem Winter nur gewaschen aufbewahren. Hautschuppen und Haare ziehen Motten an." Beim Waschen gehen die Meinungen auseinander. Ciba empfiehlt bei teuren Pullovern, vor allem Kaschmir, immer Handwäsche. In der Cashmere-Clinic sagt Can: "Mit einem Wollprogramm bis 30 Grad ist Maschinenwäsche besser als Handwäsche, weil man per Hand die Temperatur nicht regeln kann. Oft wäscht man zu heiß und rubbelt und drückt zu viel." Ideal sei ein Woll-Wiege-Programm ohne Umdrehungen - "je weniger mechanische Bewegung, desto besser." Das gelte auch, wenn auf dem Etikett Handwäsche empfohlen wird. Bei anderen Wollarten wie Mohair und der etwas robusteren Merinowolle kann man sich Can zufolge an die gleichen Regeln halten: am besten nur bis 30 Grad waschen mit maximal 400 bis 700 Umdrehungen pro Minute. In der Cashmere-Clinic empfiehlt man, nach jedem dritten oder vierten Tragen zu waschen, dazwischen reicht es, die Sachen auch mal zu lüften und ihnen zwischen jedem Tragen 24 Stunden Ruhe zu geben. "Regelmäßiges Waschen schadet Strickwaren nicht", sagt Can. "Das Pilling ist kein Zeichen von schlechter Qualität. Die Knötchen bilden sich, weil sich überschüssiges Haar vom Pullover löst", sagt Allude-Managerin Lara Hentenaar-Beckermann. In der Cashmere Clinic empfiehlt man, Pillingknötchen vor dem Waschen mit einem Pillingkämmchen zu entfernen. "Bei gutem Kaschmir hört das Pilling etwa nach dem fünften Mal Entpillen und Waschen auf, weil die losen Fasern reduziert werden, und das Produkt wird immer schöner." Hentenaar-Beckermann und Can warnen vor Fusselrasierern, die Fussel abschneiden. "Spätestens dann stehen die Kunden bei mir im Laden", sagt Can. Die Nachfrage nach Cans Fähigkeiten steigt. Pro Woche, schätzt sie, bekommt sie um die 80 Teile zur Reparatur. Weil sich das Angebot herumspricht, aber auch, weil die Menschen Nachhaltigkeit wieder mehr schätzen. Vor Kurzem reiste eine Frau aus Oberösterreich mit 36 Pullis an. Neben Mottenlöchern hat Can schon Hunde- und sogar Eichhörnchenbisse repariert. Ihren härtesten Fall hatte sie vor ein paar Wochen: Bei einem Rollkragenpullover war eine handtellergroße Fläche zwischen den Schulterblättern abgewetzt. Anderthalb Tage hat sie daran gearbeitet - zwischendurch musste sie ihren Augen Pausen gönnen. Wann lohnt sich nun eine Reparatur? "Kommt natürlich darauf an, wie man zu dem Teil steht", sagt Can. "Aber eigentlich immer."
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Dass sie den Interimspräsidenten Juan Guiadó erfunden hätte, so weit will Maria Corina Machado nicht gehen. Aber sie geht immerhin so weit, bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass sie schon Mitte Dezember mitgeteilt habe: Der Weg in die Freiheit führt über 233! Damit meinte Machado den 233. Artikel der venezolanischen Verfassung, der es inzwischen zu weltweitem Ruhm gebracht hat. Sollte Verfassungsvater Hugo Chávez das in seinem Mausoleum mitbekommen, dürfte er sich schön darüber ärgern, dass Machado nach zwei Jahrzehnten der vergeblichen Suche nun doch noch einen Weg zum Sturz den Chavismus entdeckt zu haben scheint - ausgerechnet in der chavistischen Verfassung. Machado, 51, gilt als eine der einflussreichsten, erfahrensten und radikalsten Figuren der venezolanischen Opposition. Am Eingang zu ihrem Büro in Caracas hängt ein Flugblatt mit dem Titel "Manual des Kampfes gegen die Diktatur." Punkt 3 lautet: "Erkläre allen, dass es hier keinen Präsidenten gibt." Machado sagt es nicht so direkt, aber sie lässt zwischen den Zeilen anklingen, sie sei es gewesen, die vor wenigen Wochen einem gewissen Juan Guiadó sinngemäß sagte: Wenn sich Nicolás Maduro auf Basis einer ungültigen Wahl für eine zweite Amtszeit vereidigen lässt, dann ist das Präsidentenamt de facto frei. Dann übernimmt laut Artikel 233 übergangsweise der Parlamentspräsident, also er, Guaidó. Jetzt oder nie, greif zu! Der 35-jährige Familienvater Guaidó wird vielerorts für seinen Mut bewundert, ein brutales Militärregime offen herauszufordern. Aber je länger man mit Maria Corina Machado spricht, umso kleiner wird der neue Nationalheld. "Wir müssen ihn schützen", sagt sie. Machados Pressesprecherin nennt Juan Guaidó "einen Zauderer". Nach Machados Deutung hat sich Guaidó nicht selbst zum Interimspräsidenten ernannt, er ist laut Verfassung automatisch nachgerückt. Es fehlte nur noch ein winziger Schritt, damit der Automatismus politisch wirksam würde - Guaidó musste einen öffentlichen Eid schwören. Machado sagt: "Er hatte gar keine andere Wahl. Es war seine Pflicht, das zu tun." 13 Tage lagen zwischen Maduros Vereidigung am 10. Januar und Guaidós Amtseid als Gegenpräsident. 13 Tage, in denen der radikale Flügel der venezolanischen Opposition offenbar auf den jungen Parlamentspräsidenten einwirkte, endlich den entscheidenden Schritt zu wagen. Noch am Vorabend seines Schwurs, heißt es, sei er unentschlossen gewesen. Laut eines Berichts des Wall Street Journals gab letztlich ein Anruf von US-Vizepräsident Mike Pence den Ausschlag, in dem Guaidó zugesichert wurde, dass ihn Washington umgehend anerkennen würde. Als er am nächsten Tag tatsächlich die rechte Hand zum Schwur hob, war lediglich ein sehr kleiner Kreis der venezolanischen Opposition eingeweiht, darunter Maria Corina Machado. Man verlässt ihr Büro mit der Botschaft, dass Juan Guiadó weniger die treibende Kraft im Machtkampf mit Nicolás Maduro ist als ein prominent platziertes Puzzlestück. Das größte Lob, das Machado über die Lippen kommt, hört sich so an: "Im Moment steht er im Zentrum der Aufmerksamkeit." Wohlgemerkt: Im Moment. Gesetzt den Fall, dass Maduro tatsächlich stürzt und es in absehbarer Zeit zu Neuwahlen kommt in Venezuela, dann gilt es keinesfalls als ausgemacht, dass der Übergangspräsident Guaidó auch zum Präsidentschaftskandidaten ernannt wird. Derzeit tritt die notorisch zerstrittene Opposition in der Öffentlichkeit ausnahmsweise wie eine verschworene Einheit auf. Alle scheinen Guaidó zu unterstützen. Aber vieles deutet darauf hin, dass dies nur so lange hält, wie es einen gemeinsamen Feind gibt, also Maduro. Offenbar bemühen sich langjährige Schwergewichte der Opposition bereits um eine gute Ausgangsposition für den nächsten internen Machtkampf. Auch die Argumentationsstrategie, um Guaidó bei Bedarf wieder aus dem Rennen zu kegeln, ist vorbereitet. Es sei weltweit absolut unüblich, dass ein Interimspräsident, dessen einzige Aufgabe es sei, eine Neuwahl zu organisieren, anschließend selbst bei dieser Wahl antrete. In Machados Presseabteilung behaupten sie, dies sei verfassungswidrig, was nach Ansicht von Verfassungsrechtlern aber nicht stimmt. Einer, der Guaidó sehr nahesteht, räumt ein, dass diese Hintergrundgeräusche "ein echtes Problem seien". Juan Guaidó hatte sich vor wenigen Wochen wohl nicht träumen lassen, dass er jemals im Fokus der Weltpolitik stehen würde. Aber inzwischen hat er offenbar Gefallen an seiner rapide steigenden Popularität gefunden. Wenn man seine Leute richtig versteht, wird er seine Pole-Position für eine mögliche Neuwahl nicht freiwillig räumen. Nicht auszuschließen, dass die Anti-Maduro-Kräfte am Ende mit mehreren Kandidaten antreten Zu seinen härtesten Konkurrenten um diese Position zählt ausgerechnet sein langjähriger Mentor Leopoldo López, 47. Er ist der Gründer und Anführer der Partei Voluntad Popular, zu der auch Guaidó gehört. López wurde in einem dubiosen Verfahren zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, die er derzeit im Hausarrest absitzt. Er gilt als prominentester politischer Häftling Venezuelas. Sollte das Maduro-Regime stürzen, dürfte López wohl umgehend von Guaidó begnadigt werden. Er könnte dann auch in einer Präsidentschaftswahl kandidieren - und würde das wohl auch tun. Neben Machado und López steckten offenbar auch die Oppositionsführer Julio Borges und Antonio Ledezma hinter dem Plan mit dem Übergangspräsidenten Guiadó. Der frühere Parlamentspräsident Borges lebt derzeit im Exil in Kolumbien, Ledezma in Spanien; er ist ein ehemaliger Bürgermeister von Caracas. Beide dürften im Falle eines Regimewechsels sofort nach Hause zurückkehren, und beide gelten als Anwärter auf das höchste Staatsamt. Sie alle, Borges, Ledezma, Machado und López, gehören konkurrierenden Parteien an, die sich bis vor Kurzem in dem Oppositionsbündnis MUD zusammengeschlossen hatten. Aber der MUD existiert nicht mehr, jetzt kämpft wieder jeder für sich allein - wenn auch noch hinter den Kulissen. Dort aber geht es recht ruppig zu. Maria Corina Machado von der Partei Vente Venezuela behauptet: "Wir sind die einzige liberale Partei im Land. Alle anderen sind mehr oder weniger sozialistisch." Ihren Plan für die Zukunft nennt sie "La ruta del coraje", den mutigen Weg. Soll heißen: Die dialogbereiten, die zögerlichen Teile der Opposition, das sind Schwächlinge. Nicolás Maduro hat jeden Kredit in der Bevölkerung verspielt, aber Hugo Chávez wird von vielen Venezolanern immer noch wie ein Heiliger verehrt, und der ursprüngliche, "der wahre Chavismo" besitzt weiterhin Mobilisierungspotenzial. Trotzdem ist es dieser Opposition im Falle einer Neuwahl zuzutrauen, dass sie sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen kann, sondern mit drei oder vier konkurrierenden Bewerbern antritt. Es wäre die Pointen allen Pointen, wenn deshalb in der ersten freien Wahl nach dem Ende des Chavismus ein relativ moderater Chavist das Rennen machte.
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Silbrig-grün schimmern die Hügel der Landschaft zwischen der Stadt Trento und Riva del Garda an der Nordspitze des Gardasees. Denn Tausende Olivenbäume haben sich auf ihnen eingewurzelt. In den Tälern zu ihren Füßen wachsen Weinreben, Pflaumen- und Apfelbäume, auch Kiwis werden hier kultiviert. "Wir besitzen eine doppelte Identität - die mediterrane und die alpine", sagt Giulio Bonomi auf der Fahrt durch diese fruchtbare Gegend und zeigt auf die Kletterfelsen in der Nähe des Städtchens Arco. Bonomi ist Inhaber des kleinen Transportunternehmens Ingoviaggi. Vorzüglich sei der Grappa, der in der Umgebung destilliert werde, sagt er mit schwärmerischem Blick. Einer, der seine Heimat wirklich liebt, denkt man sich. Über steile Straßen mit Haarnadelkurven fährt er Touristen, die mehr über die Kulturgeschichte der Region erfahren möchten, hinauf zu den mittelalterlichen Dörfern, die sich mit dem Prädikat "I borghi più belli d'Italia" - "Die schönsten Dörfer Italiens" - schmücken: Canale di Tenno, Rango und San Lorenzo in Banale. Ihre Gebäude stammen aus dem 14. oder 15., manche sogar aus dem 13. Jahrhundert. Ganz Italien zählt knapp 300 dieser "schönsten Dörfer", sechs von ihnen befinden sich im Trentino. Gerade mal 40 Menschen wohnen in Canale di Tenno. Der Ort zieht Künstler und Wanderer an Kühl und klar ist die Luft an diesem sonnigen Frühlingstag in Canale di Tenno. Eingebettet in Olivenhaine liegt es auf einer Höhe von 600 Metern. Von hier blickt man auf die markanten Gipfel der Pichea-Gruppe, sie tragen noch Häubchen aus Schnee. Urkundlich erwähnt wurde der Ort erstmals im Jahr 1221 - einige Gemäuer blieben bis heute so gut wie unversehrt. Ein Geflecht aus steilen, engen Gassen führt durch das Dorf mit seinen Häusern aus Kalkstein, Bogengängen und kleinen Innenhöfen. Hier fahren keine Autos, Souvenirläden und Restaurants gibt es nicht, aber vor ein paar Jahren eröffnete eine Bed&Breakfast-Herberge. Still ist es hier, umso lauter hallen die Absätze einiger Besucher auf dem gepflasterten Weg. Sie wollen zum Künstlerhaus, der Casa degli Artisti Giacomo Vittone, um sich die Ausstellung "Arte Donna" anzusehen. Sie widmet sich bis 16. Juni speziell italienischen Künstlerinnen, die mit ihren Gemälden und Skulpturen das Novecento, also das 20. Jahrhundert, prägten. In der Casa degli Artisti werden regelmäßig Workshops für Musiker und Künstler veranstaltet. In einem der Räume befindet sich eine historische Feuerstelle mit Sitzbänken. "Hier saßen die Familien früher zusammen und aßen Polenta", sagt Reiseführerin Carmen Picciani. "Im Mittelalter wohnten die Menschen teils gemeinsam mit ihren Tieren", fügt die Trentinerin hinzu und weist auf die auffallend breiten Eingangstore einiger Häuser hin: Auch das Vieh und hölzerne Karren für den Warentransport mussten hindurchpassen. Picciani kennt sich in der Geschichte der Region bestens aus und begleitet regelmäßig Besucher in "I borghi più belli d'Italia" des Trentino. Hinter dem Titel steckt eine private, im Jahr 2001 gegründete Vereinigung mit Sitz in Rom, deren Ziel es ist, Ortschaften mit herausragender historischer und kultureller Bedeutung zu erhalten. Dafür hat dieser Klub Kriterien definiert. "Fördermittel vergeben wir nicht, aber wir machen Werbung für die Dörfer", sagt Monica Gillocchi, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung zuständig ist. Der Titel zieht Touristen an. Auch Geldgeber und Veranstalter gewinnt man damit leichter. Schließlich gilt es zu verhindern, dass die mittelalterlichen Dörfer verlassen werden.
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Das Bundeskartellamt untersagt Facebook, die Nutzerdaten von verschiedenen Quellen in den einzelnen Facebook-Konten in Deutschland ohne explizite Zustimmung der Nutzer zusammenzuführen. Dabei geht es sowohl um Konzerntöchter wie Whatsapp oder Instagram, als auch um Webseiten und Apps anderer Betreiber. Künftig dürfen Dienste wie Whatsapp oder Instagram zwar weiterhin Daten sammeln, teilt das Bundeskartellamt mit. Der Konzern dürfe die Daten aber nur noch im Facebook-Konto eines Nutzers zusammenführen, wenn dieser dem freiwillig zustimmt. Facebook solle nun Lösungsvorschläge erarbeiten und der Behörde vorlegen. "Wir nehmen bei Facebook für die Zukunft eine Art innere Entflechtung bei den Daten vor", sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts. Dass Facebook Daten aus verschiedenen Quellen zusammentrage, habe "maßgeblich dazu beigetragen", dass der Konzern einen so einzigartigen Bestand an Daten seiner Nutzer gesammelt habe und so mächtig geworden sei, sagt Mundt. "Der Verbraucher kann in Zukunft verhindern, dass Facebook seine Daten ohne Beschränkung sammelt und verwertet." Facebook wird wohl Beschwerde einlegen Facebook kündigte an, Beschwerde gegen die Entscheidung einzulegen. Man habe zwar mit dem Bundeskartellamt kooperiert, stimme aber dessen Schlussfolgerungen nicht zu. Die Behörde unterschätze die Konkurrenz, der Facebook durch "YouTube, Snapchat, Twitter und vielen anderen Wettbewerbern" ausgesetzt sei, heißt es in einer ersten Stellungnahme. Facebook argumentiert, 40 Prozent der Nutzer sozialer Medien in Deutschland seien gar nicht auf Facebook. Doch das Kartellamt geht davon aus, dass der Konzern mit 23 Millionen täglichen Nutzern hierzulande auf einen Marktanteil von mehr als 95 Prozent komme. Andere Dienste wie Snapchat, Youtube oder Twitter zählt die Behörde nicht zu dem relevanten Markt, weil sie "jeweils nur einen Ausschnitt der Leistungen eines sozialen Netzwerks" anbieten würden. Doch selbst wenn man diese Konkurrenten einbeziehe, komme Facebook mit seinen Töchtern Whatsapp und Instagram auf hohe Marktanteile, teilt das Kartellamt mit. Der Konzern halte sich an die Datenschutz-Grundverordnung, die für alle Europäer gelte, erklärte Facebook. Man habe die Privatsphäre-Einstellungen für Nutzer bereits überarbeitet und wolle noch mehr verbessern. Dass der Konzern über die Grenzen seiner einzelnen Dienste hinweg Informationen nutze, sei sogar im Sinne der Nutzer: Es trage auch zu ihrer Sicherheit bei, etwa um den Missbrauch von Accounts zu verhindern. Facebook führt auch an, dass diese Praxis im Kampf gegen "Terrorismus, Kindesmissbrauch oder die Manipulation von Wahlen" helfe - Themen, die Politiker gerne hören, wenn es um die Regulierung des Internets geht. Das Bundeskartellamt hatte sein Verfahren gegen Facebook vor knapp drei Jahren eröffnet. Die Behörde geht davon aus, dass der Konzern den Markt für soziale Netzwerke in Deutschland beherrscht. Sie hat den Verdacht, dass Facebook diese Macht missbrauchen könnte. Nämlich dann, wenn der Konzern auch Nutzerdaten der Tochterfirmen Whatsapp und Instagram sammelt sowie Daten anderer Webseiten, und all diese Informationen mit den Facebook-Konten der Nutzer zusammenführt. So verknüpft Facebook zum Beispiel die Telefonnummern von Whatsapp-Nutzern mit ihrem Facebook-Konto. Zudem hat das Unternehmen angekündigt, die technische Infrastruktur für Chats zwischen Whatsapp, Instagram und Facebook Messenger bis nächstes Jahr zu verschmelzen. Damit das Unternehmen auch Informationen anderer Webseiten und Apps sammeln kann, reiche es aus, wenn diese einen Facebook-"Gefällt mir"-Button enthalten, hatte Mundt schon vor gut einem Jahr in einer vorläufigen Einschätzung erklärt. "Dies ist den Nutzern nicht bewusst." Dabei enthielten Millionen Webseiten und Apps derlei Schnittstellen. Mundt bezweifelte auch, dass die Facbook-Nutzer dem Sammeln ihrer Daten zugestimmt haben. Möglicherweise nähmen sie diese Praxis nur hin, weil sie auf keine anderen sozialen Netzwerke ausweichen können oder wollen. Facebook verbat sich ein Einschreiten des Kartellamts und argumentierte: Eigentlich gehe es um Datenschutz und nicht um Wettbewerbsrecht, die Behörde vermische beides unzulässig und überschreite ihr Mandat. Und da das Unternehmen seinen europäischen Sitz in Dublin hat, sei nach der neuen Datenschutz-Grundverordnung die irische Datenschutzbehörde zuständig. Diese geht erfahrungsgemäß freundlicher mit Facebook um als die Kollegen vom Festland. Auflagen könnten Nutzer in ganz Europa betreffen Die Argumentation des Kartellamtes wäre in dieser Form vor wenigen Jahren noch unmöglich gewesen. 2017 hat die Bundesregierung das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) novelliert und an die digitale Ökonomie und ihre mächtigen Konzerne angepasst. Das erneuerte Gesetz berücksichtigt genau die Faktoren, die Facebook und Google so mächtig machen: Netzwerkeffekte (je mehr Nutzer auf der Plattform agieren, umso mehr lohnt es sich, ihr beizutreten), das Sammeln "wettbewerbsrelevanter" Daten und den Aufwand, der ein Wechsel zu einem anderen Dienst für einen Nutzer bedeuten würde. Diese Faktoren darf das Amt nun heranziehen, um die Marktmacht einer Plattform zu bewerten. Zudem hat die Novelle ein Problem gelöst, welches das Kartellrecht lange mit digitalen Diensten hatte: "Wo kein Umsatz, da kein Markt", hieß es früher. Nur wenn Geld floss, waren die Marktwächter zuständig. Facebook ist wie andere Plattformen von Uber bis Google ein sogenannter zweiseitiger Markt: Auf der einen Seite spricht das Unternehmen Nutzer an, auf der anderen Werbetreibende. Letztere bringen dem Netzwerk Geld ein, die Nutzer zahlen nichts. Doch wie die Novelle klargestellt hat, kann das Kartellamt auch dann zuständig sein, wenn kein Geld bezahlt wird. Schließlich zahlen Nutzer mit ihren Daten, auf deren Basis Facebook die Werbeplätze an Anzeigenkunden verkauft. In den USA könnte Facebook theoretisch zerschlagen werden, etwa indem Whatsapp oder Instagram aus dem Konzern herausgelöst werden. Allerdings griffen die Behörden in der Vergangenheit nur in extremen Ausnahmefällen zu diesem Mittel. Für das Bundeskartellamt war das keine Option. Das hiesige Kartellrecht gibt eine Entflechtung von Unternehmen nicht her. Dennoch könnte die Entscheidung weitreichende Folgen haben für Facebook. Da es umständlich wäre, in jedem EU-Staat eine andere Version der Plattform anzubieten, könnte sich der Konzern nach den strengsten Regeln richten. Dann könnten die Auflagen aus Deutschland Nutzer in ganz Europa betreffen. "Wegweisende Entscheidung" Justizministerin Katarina Barley hat den Kartellamtsentscheid "nachdrücklich" begrüßt. "Facebook hat die Sammlung und Vernetzung von Nutzerdaten inzwischen weit über seine eigene Plattform hinaus ausgebaut", sagte die SPD-Politikerin der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Schnittstellen des Konzerns greifen die Daten nicht nur bei den anderen Diensten des Konzerns ab, sondern auch bei zahlreichen Apps und Webangeboten von Dritten", kritisierte sie. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber begrüßte die "wegweisende Entscheidung" des Kartellamts, auch vom Verbraucherzentrale Bundesverband kommt Lob. Der Digitalverband Bitkom dagegen beurteilte die Entscheidung "sehr kritisch". Der Versuch, eine große Plattform zu regulieren, werde "vor allem negative Auswirkungen auf andere, kleinere Unternehmen, Verlage, Blogger und die Internet-Nutzer haben", sagte der Verband voraus.
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Der Euro wird 20 Jahre alt. Eigentlich sollte dies Anlass zum Feiern sein. Denn der Euro hat entscheidend zur Integration Europas beigetragen und ist ein Grund für den Wohlstand, den wir heute in Deutschland genießen. Leider wird der Euro von Populisten und Nationalisten für eigene Zwecke und als Sündenbock für nationale Fehler missbraucht. Dies lenkt von einer ehrlichen Debatte über seine Erfolge und seine Fehler ab, die aber dringend notwendig wäre, um Europa zukunftsfähig zu machen. Der Euro hat die Integration und das Friedensprojekt Europa unumkehrbar gemacht - so, wie von Helmut Kohl und François Mitterrand angedacht. Die überwältigende Mehrheit der Europäerinnen und Europäer kann sich Europa ohne den Euro gar nicht mehr vorstellen, selten zuvor haben ihn so viele Menschen befürwortet. Der Euro ist für eine große Mehrheit zum Symbol für die Einheit Europas geworden. Der Euro ist auch ein wirtschaftlicher Erfolg, von dem alle Länder, allen voran Deutschland, profitiert haben und profitieren. Die gemeinsame Währung hat zu mehr Handel, mehr Investitionen, mehr Stabilität und, in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens, zur Integration der Finanzmärkte geführt. Dabei haben der Euro und seine Hüterin, die Europäische Zentralbank, von der Stärke und Glaubwürdigkeit der Deutschen Mark und der Bundesbank profitiert. Denn der Euro war und ist so stark und stabil, wie die D-Mark es über 50 Jahre hinweg gewesen ist. Und der Euro hat sich schnell als zweite Leitwährung der Welt etabliert, mit vielen Vorteilen für Wirtschaft und Politik. Das bedeutet nicht, dass bei der Währungsunion keine Fehler gemacht worden wären. Die Fehler liegen jedoch nicht im Euro selbst, seiner Ausgestaltung oder in seinen Institutionen. Ein Fehler war vielmehr das Versäumnis, den Euro mit all den Elementen auszustatten, die zu einer funktionierenden Währungsunion gehören. Zu einer ehrlichen Debatte gehört jedoch auch, die falsche, irreführende Kritik, die vor allem in Deutschland zu hören ist, als solche zu entlarven. So sollte uns spätestens durch die vom US-Präsidenten Donald Trump geschürten Handels- und Währungskonflikte klar sein, dass Deutschland den Euro nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus politischen Gründen braucht. Denn Deutschland ist ein vergleichsweise kleines Land, das seine globalen Interessen nur dank eines starken Euro und eines geeinten Europas wahren kann. Der zweite Trugschluss ist die Behauptung, der Euro könne für so unterschiedliche Länder nicht funktionieren. Das Gleiche behaupteten viele auch von der deutsch-deutschen Währungsunion im Jahr 1990. Diese war jedoch richtig und letztlich ganz entscheidend für den Aufholprozess Ostdeutschlands. Auch der Euro hat in den ersten zehn Jahren seines Bestehens zu einer Konvergenz in Europa beigetragen. Auch die Behauptung, Deutschland übernehme durch den Euro zu viele Risiken, etwa über das Zahlungssystem Target, ist falsch. Sie zeugt von einem grundlegenden Missverständnis darüber, was eine Währungsunion ist: Sie ist keine Transferunion, sondern eine Versicherungsunion. Die Chancen und Vorteile für alle können nicht gehoben werden, ohne auch Risiken zu teilen. Eine Währungsunion bedeutet, dass alle Länder füreinander einstehen, dass Gewinne und mögliche Verluste des Euro geteilt werden. So funktioniert das gemeinsame Zahlungssystem Target gut und ist essenziell für den Binnenmarkt und für den Euro. Deutschland hat auch durch die Rettungskredite an andere Länder und die Geldpolitik der EZB keine Verluste, sondern hohe finanzielle Gewinne erzielt. Die Vorteile können nicht gehoben werden, ohne Risiken zu teilen Als der Euro geschaffen wurde, konnten sich Unternehmen, Haushalte und Regierungen in vielen Ländern zu deutlich geringeren Zinsen verschulden als zuvor mit ihren nationalen Währungen. Ein Boom bei Investitionen und Konsum war die Folge - viele hofften, dass sich diese Investitionen in ein permanent höheres Wachstum und damit größeren Wohlstand umsetzen ließen. Mit Beginn der globalen Finanzkrise und der folgenden europäischen Finanzkrise erwies sich dies jedoch in vielen Fällen als Irrtum. Manche deutschen Euro-Kritikerinnen und -Kritiker sehen die ersten zehn Jahre als einen Beleg für das Scheitern des Euro: Aus ihrer Sicht konnten viele Regierungen und Unternehmen mit den Privilegien des Euro nicht verantwortungsvoll umgehen und hätten diese absichtlich, auch auf Kosten Deutschlands, missbraucht. Doch diese Sichtweise offenbart nicht nur eine moralische Überheblichkeit, sondern sie ist auch schlichtweg falsch. Deutschland hat keine Verluste für andere Länder übernommen. Ganz im Gegenteil, alle Rettungskredite wurden und werden zurückgezahlt, mit satten Gewinnen für den deutschen Fiskus. Teilweise wurden die Gelder auch genutzt, um Kredite bei deutschen Banken zu bedienen, die in Griechenland, Italien oder Spanien vom Wirtschaftsboom der 2000er-Jahre profitiert hatten, von einer Haftung für die eingegangenen Risiken später aber nichts wissen wollten. Nicht der Euro trägt die Schuld für falsche Kredit- und Investitionsentscheidungen in Europa, sondern einzig und alleine die handelnden Akteure sind dafür verantwortlich. Die Politik, auch in Deutschland, muss endlich aufwachen und Reformen umsetzen. Die nötigen Veränderungen, die die Geburtsfehler des Euro beheben können, sind durchaus realisierbar. Dazu gehört eine Vollendung des Binnenmarktes für Dienstleistungen, vor allem eine Kapitalmarktunion und eine funktionierende Bankenunion. Es bedarf klügerer europäischer Regeln bei der Finanzpolitik und eines makroökonomischen Stabilisierungsmechanismus, bei dem sichergestellt ist, dass die Risiken einer Krise und deren Ansteckungseffekte minimiert werden. Der Euro war und ist ein Glücksfall für die deutsche und europäische Geschichte. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob der Euro besser früher oder später hätte eingeführt werden sollen. Er existiert, es geht ihm gut, die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken machen gute Arbeit. Mit dem Euro ist es so wie mit dem Leben: Die Kindheit ist häufig unbeschwert und glücklich, die schwierigste Zeit ist die Jugend, das Teenageralter. Diese hat der Euro nun überwunden. Statt seine Existenz anzuzweifeln, sollten wir uns darauf konzentrieren, wie der Euro erwachsen und vollendet wird, damit der wirtschaftliche Wohlstand Europas dauerhaft gesichert und gefördert werden kann. Dazu sollten wir Deutsche ehrlich zu uns selbst sein: Ohne den Euro ständen wir wirtschaftlich heute nicht so gut da. Er ist ein Gewinn für ganz Europa, allen voran für Deutschland.
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Am Mittwochvormittag war Seefeld noch von der üblichen Vorfreude erfüllt gewesen, Frauen zogen mit Schmink-Kästen durch die Fußgängerzone und pinselten Besuchern der Nordischen Ski-WM die gewünschte Landesflagge auf die Wangen. Rund 200 Meter jenseits der Fröhlichkeit, in der Innsbrucker Straße, lag derweil ein Ferienhaus unscheinbar in der Morgensonne, eine Villa mit rosafarbenem Putz, braunem Giebel und Balkonen aus hellem Holz. Ein Schild auf einem Parkplatz legte nahe, wer sich dort in der Nachbarschaft einquartiert hatte: "ÖSV parking only" stand da, reserviert für Bedienstete des Österreichischen Skiverbandes. Die Rollos in der Villa waren bereits heruntergelassen, die Ermittler bereits am Ort gewesen. "Operation Aderlass", so haben österreichische und deutsche Kriminalbehörden jenes Unterfangen getauft, das am Mittwoch den kleinen WM-Ort in Tirol erschütterte und den globalen Sport wohl in die nächste, gewaltige Krise stürzt. 120 Beamte waren den ganzen Tag über im Einsatz, in Seefeld nahmen sie fünf Spitzensportler fest, die am Nachmittag im WM-Langlauf über 15 Kilometer hatten starten wollen. Es handelte sich um die Österreicher Max Hauke und Dominik Baldauf, beide angehende Polizeianwärter, Alexej Poltoranin aus Kasachstan sowie die Esten Karel Tammjarv und Andreas Veerpalu. Letzterer ist der Sohn von Andrus Veerpalu, dem Langlauf-Olympiasieger von 2002, der nach einem (später annullierten) Dopingbefund seine Karriere beendete. Der Verdacht nun in Seefeld: Blutdoping. Einen Athleten hatten die Ermittler auf frischer Tat erwischt, wie in einem billigen Krimi: mit der Kanüle in der Vene. Kronzeuge Johannes Dürr löste den Sport-Krimi aus Kurz zuvor hatten deutsche Zollbeamte in Erfurt bereits die mutmaßlichen Versorger der Seefelder Athleten ausgehoben. Sie durchsuchten unter anderem die Praxis des Sportmediziners Mark Schmidt, einst Teamarzt beim dopingumtosten Team Gerolsteiner und als solcher damals schon von Radprofis belastet. Der 40-Jährige und ein Komplize wurden am Ort festgenommen, die Behörden stellten zudem diverse Blutbeutel sicher, Zentrifugen, Computer, viel Beweismaterial. Schmidts Vater, ein Rechtsanwalt, wurde am Mittwoch parallel in Seefeld festgesetzt, er hatte die Versorgung der Athleten laut den Behörden mit einem weiteren Komplizen betreut. Man habe, teilte das österreichische Bundeskriminalamt später mit, ein "weltweit agierendes Netzwerk der Kriminalität" zerschlagen. Sicher war zunächst in jedem Fall: Der Wintersport steckt mitten in einem neuen Dopingskandal. Einer, der vielleicht sogar die verseuchten Winterspiele vor fünf Jahren in Sotschi in den Schatten stellen könnte, wie manche Ermittler am Mittwoch mutmaßten. Der Auslöser dieses neuen Sportkrimis, auch so viel steht bereits fest, waren Aussagen des Kronzeugen Johannes Dürr. Der österreichische Langläufer war während der Winterspiele 2014 des Dopings überführt worden, Mitte Januar hatte er nun in der ARD berichtet, wie er im Großraum München und in Ostdeutschland Blutdoping betrieben hatte. Dürr erzählte damals nicht, welcher Arzt ihn versorgt hatte oder wer aus seinem Umfeld ebenfalls dopte, zumindest nicht öffentlich. Er gab aber später an, von der Staatsanwaltschaft München vernommen worden zu sein. Und er sprach öffentlich von Systemzwängen, wie man im Sport nach und nach in den Betrug getrieben werde, was ihm vor allem aus dem deutschen Lager viel Kritik einbrachte. Dürr sei doch ein Einzeltäter, hieß es, der Aufmerksamkeit suche und alle Sportler in die Nähe des Generalverdachts rücke. Intern waren die Ermittler - die Staatsanwälte in München und in Innsbruck - freilich bestens informiert. Sie sammelten Beweise, horchten Schmidt und dessen Umfeld aus, in Seefeld war der Zeitpunkt gekommen, um loszuschlagen. Am Dienstag erfuhren sie, wann die deutschen Blutkuriere anreisen wollten; sie wussten genau, welcher Sportler sich in welchem Quartier beliefern lassen würde. Am Mittwochmorgen waren in Seefeld bereits auffällig viele Männer mit Knöpfen in den Ohren unterwegs, Straßen waren gesperrt, immer wieder gab es Kontrollen. Am Mittag verkündeten die Behörden dann eine vorläufige Bilanz: Neun Festnahmen, 16 durchsuchte Quartiere, ein zentrales war die Villa in der Innsbrucker Straße, die offenkundig eine Blut-Tankstelle gewesen war. Direkt gegenüber vom ÖSV-Teamquartier. Um 14 Uhr begannen in Seefeld derweil die 15 Kilometer der Männer, bei Sonnenschein und vollen Tribünen. Die Langläufer brachen in kurzen Ärmeln in die Loipe auf, im Ziel dann: Athleten und Betreuer, die vor Ratlosigkeit dampften. "Schwarze Schafe gibt es leider immer", behauptete der Sonthofener Sebastian Eisenlauer, wichtig sei nur, "dass sie knallhart entfernt werden." Der Deutsche Skiverband (DSV) teilte mit, man sei nicht betroffen, weder die Athleten noch das medizinische Personal. Auch die Österreicher nährten tapfer die These der verirrten Einzeltäter. "Im ÖSV gilt Null-Toleranz gegenüber Doping", sagte der ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel, außerdem sei wohl kein Betreuer in die Vorfälle involviert. Was sich angesichts der durchsuchten Villa in unmittelbarer Nachbarschaft des ÖSV-Teamhotels noch zu einer, nun ja, interessanten These entwickeln könnte. Markus Gandler, der ÖSV-Langlauftrainer, befand jedenfalls: "Hoffentlich werden jetzt einmal die Drahtzieher erwischt." Ach ja?
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Die USA erhöhen ihren Druck auf Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro. Washington werde "sehr schwerwiegende zusätzliche Sanktionen" gegen Banken erlassen, die mit Maduro zusammenarbeiten, sagte der US-Sondergesandte für Venezuela, Elliott Abrams. Zudem würden die USA weitere Visa für Vertraute Maduros widerrufen. Die Maßnahmen würden "sehr bald" offiziell verkündet werden. Washington hat inzwischen auch alle verbliebenen Botschaftsmitarbeiter aus Venezuela abgezogen. Die US-Regierung hatte bereits mehrfach Sanktionen verhängt, die auf Maduro und dessen Umfeld abzielten. So versuchen die Vereinigten Staaten, Caracas etwa von den Erlösen aus Ölexporten abzuschneiden. Die Maßnahmen richten sich dabei gegen die staatliche Erdölgesellschaft PDVSA und deren in den USA tätige Tochterfirma Citgo. Auch die in Russland ansässige Evrofinance Mosnarbank, die teilweise in venezolanischem Besitz ist, belegte die US-Regierung mit Sanktionen. Der selbst ernannte Übergangspräsident Juan Guaidó kündigte derweil die wirtschaftliche Öffnung des Ölsektors in Venezuela für private Firmen an. Der PDVSA-Einfluss auf den wichtigsten Industriezweig des Opec-Landes solle eingedämmt werden. Der Sondergesandte Abrams äußerte sich besorgt über die Sicherheit Guaidós. Die venezolanische Justiz hatte angekündigt, gegen den Oppositionspolitiker wegen dessen angeblicher Beteiligung an der Sabotage des venezolanischen Stromnetzes zu ermitteln. Der Stromausfall begann am Donnerstagabend und gilt als der längste in der Geschichte des südamerikanischen Krisenstaats. Nach Regierungsangaben ist die Stromversorgung inszwischen aber wiederhergestellt. Guaidó: "Wir sind kurz davor, unsere Freiheit zurückzuerobern" Bereits seit Januar wird gegen Guaidó ermittelt, nachdem sich der Abgeordnete zum Übergangspräsidenten erklärt und Staatschef Maduro damit offen herausgefordert hatte. Dabei wurde auch eine Ausreisesperre gegen ihn verhängt. Seine Konten wurden eingefroren. Im Machtkampf mit Maduro gibt sich Guaidó siegessicher. "Wir sind kurz davor, unsere Freiheit zurückzuerobern", sagte der 35-Jährige bei einer Demonstration in der Hauptstadt Caracas. Die US-Regierung warnte die venezolanischen Behörden vor Schritten gegen Guaidó. "Die Vereinigten Staaten machen die venezolanischen Sicherheitskräfte für die Sicherheit von Präsident Guaidó und der Nationalversammlung verantwortlich", schrieb US-Sicherheitsberater John Bolton auf Twitter. "Jede Art von Gewalt gegen sie oder ihre Familien wird eine starke Antwort erfahren. Die Welt schaut zu."
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Vor allem wegen des befürchteten Abschwungs kann ein Fonds in den kommenden Jahren sehr schnell an Wert verlieren. Indexfonds folgen jeder Zuckung der Börsen. Solange es stetig bergauf ging, war das eine tolle Sache. Aber wie sollten sich Anleger verhalten, wenn ein Abschwung droht? Die Hiobsbotschaften kommen dieser Tage Schlag auf Schlag. Das chinesische Wachstum kühlt sich ab, der Internationale Währungsfonds kassiert seine Wachstumsprognosen. "Nun sind die fetten Jahre vorbei", sagte selbst Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Viele Anleger fürchten angesichts der Brexit-Briten und des Handels-Hickhacks, dass die Börsenkurse noch einmal abrauschen. Indexfonds (ETF) stecken dann in der Bredouille, weil sie einen Aktienindex wie den Dax eins zu eins nachzeichnen. Sinkt der Dax, geht der Indexfonds genauso in die Knie. Manche Experten unken, die "dummen Fonds" würden sich nun "entzaubern". Was Anleger daher wissen müssen. Soll ich meine Indexfonds jetzt verkaufen, bevor es in diesem Börsenjahr rumpelig wird? Darauf gibt es nur eine Antwort: drin bleiben. Auf den ersten Blick mag das merkwürdig klingen, viele Privatanleger dürften kaum Lust und Nerven haben, sich einer Achterbahnfahrt an den Märkten auszusetzen. Doch wenn Anleger verkaufen, sobald es schon ein gutes Stück nach unten gegangen ist, begehen sie einen Kardinalfehler: Sie handeln sich Verluste ein. Wer noch ein paar Jahre auf sein Geld warten kann, sollte eine mögliche Schwächephase aussitzen. Denn mit Aktien ist es wie beim Marathon: Durchhaltevermögen zahlt sich aus. "Nur wer weiß, dass er in einem oder zwei Jahren das Geld dringend braucht, sollte jetzt verkaufen", sagt Finanzplanerin Stefanie Kühn. Denn angesichts der politischen Risiken könnten die Kurse dieses Jahr durchaus noch nach unten sacken. Sollten sich Neulinge im Falle fallender Märkte von Indexfonds fernhalten? Sicher, sollten die Kurse fallen, sinken auch die Notierungen der Indexfonds. Mitgefangen, mitgehangen. Viele Anleger mag das abschrecken: Wer will schon in ein Papier investieren, das direkt am Anfang Verluste bringen könnte? Auch hier sitzen Anleger einem gedanklichen Kurzschluss auf: Wer neu in Indexfonds anlegen will, sollte einen langfristigen Horizont haben und mindestens 15 Jahre dabeibleiben. Daten des Deutschen Aktieninstituts zeigen: Wer in der Vergangenheit in den Dax investierte, brauchte nie länger als 12 Jahre, um nominal im Plus zu sein. Im Rückblick zeigt sich: Wer genug Zeit mitbringt, kann mit einem gut gefüllten Aktienkorb kaum etwas falsch machen. Selbst wenn die Kurse anfangs bröckeln. Soll ich mein Geld nun auf einmal in ETF schieben oder scheibchenweise? Anleger sollten derzeit nach Salamitaktik investieren, ihr Geld also nach und nach in Aktien schieben. "Auf einmal zu investieren, würde ich aktuell nicht empfehlen", sagt Anlageberaterin Kühn. Denn diese All-In-Strategie ist derzeit so gefährlich wie beim Poker: Sollten die Börsen dieses Jahr noch abrauschen, hätten Anleger vorher für ihr ganzes Geld zu überhöhten Kursen gekauft und sofort Verluste gemacht. Bei der Salamitaktik hätten sie dagegen nur einen Teil ihres Geldes zu hohen Preisen investiert. Außerdem können Anleger mit der "Methode scheibchenweise" ihre Angst überwinden: Die Hürde, jeden Monat eine kleine Summe in Aktien zu schieben, ist geringer als bei einem großen Batzen auf einmal. Können clevere Fondsmanager nicht besser mit schwierigen Börsenphasen umgehen als stupide Indexfonds? Das ist das Werbeargument der Fondsmanager, die sich gern als Finanzmagier inszenieren. Wer jedoch genau hinschaut, merkt: Die meisten aktiven Fonds haben eine miese Bilanz. Während es über ein Jahr noch 64 Prozent der Aktienfonds mit Schwerpunkt Deutschland schaffen, entsprechende Indexfonds zu schlagen, gelingt dies über einen Zeitraum von 15 Jahren nur jedem vierten noch existierenden aktiven Fonds. Meist wären Anleger mit den günstigen ETF besser gefahren. Der Grund: Viele aktive Fondsmanager stehen sich selbst im Weg. Mit ihrem Wissen setzen sie durchaus auf gute Titel. Allerdings verlangen sie hohe Gebühren, die diese Überrendite sofort wieder auffressen. "Die aktiven Fonds sitzen in der Gebührenfalle", sagt Ali Masarwah von Morningstar. Machen ETFs auf Unternehmensanleihen Sinn? Das klingt nach Rendite und Sicherheit zugleich. Privatanleger täuschen sich bei Anleihe-ETFs leicht. Wer glaubt, dass Anleihefonds profitieren, wenn die Zinsen irgendwann wieder steigen sollten, liegt daneben. Denn wenn das Zinsniveau steigt, sinken die Kurse der bereits ausgegebenen Unternehmensanleihen. Denn viele Profiinvestoren schieben ihr Geld dann schnell in neue Anleihen, die mehr Zinsen bringen - gerade sie sind in den Anleihekörben dann aber noch unterrepräsentiert. Die Kurse der Anleihe-ETF knicken daher ein. Außerdem enthalten viele der Indizes auf Unternehmensanleihen aktuell eine Menge Titel, die nur knapp über Ramschniveau stehen. Können neue, "clevere" Indexfonds die Aufregung an den Märkten dämpfen? In der Tat gibt es Indexfonds, denen die Macher Beruhigungsmittel verabreichen. Diese Indexfonds setzen auf Aktien, die wenig schwanken und geben sich den englischen Beinamen "Low Vola". Auf deutsch: wenig Schwankung. Schaut man sich solche Indexfonds genauer an, sieht man: Deren Schwankungsbreite ist oft tatsächlich niedriger als bei klassischen Indizes. Wer aber glaubt, die "cleveren" Indizes seien risikolos, liegt falsch (siehe Tabelle). Viele der Schlafmittelfonds haben das turbulente Börsenjahr 2018 mit Verlust abgeschlossen. "Für viele Privatanleger sind diese speziellen Fonds oft kaum zu durchschauen", sagt Fondsexperte Masarwah. Und Anlageberaterin Kühn sekundiert: "Die Fonds vermitteln mit vermeintlich cleveren Konzepten das irrige Gefühl von Sicherheit." Gleiches gilt für Indexfonds, die versprechen auf "Qualitätsaktien" zu setzen, die solide wirtschaften, oder solche mit einer hohen Dividende. Anleger sollten lieber zu leicht verständlichen Klassikern greifen. Mit dem MSCI World können sie auf mehr als 1600 Aktien aus Industrieländern setzen. Wer risikobereiter ist, kann mit dem MSCI All Countries World Index Schwellenländer beimischen. Mancher Anleger sagt, er könne so die ganze Welt kaufen - wer will das nicht?
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Drei Jahre lang, seit dem Brexit-Referendum, hat das Königreich, und mit ihm die EU, darauf gewartet, dass die Regierung in London nicht nur die 17 Millionen Brexit-Befürworter, sondern auch die 16 Millionen Remain-Wähler anspricht und mitnimmt auf dem Weg durch das tiefe Tal, das der Brexit bedeutet. Zwei Jahre nach der Verkündung, sechs Tage nach dem geplanten Austritt aus der EU und neun Tage vor der Deadline, die Brüssel den Briten gesetzt hat, hat Theresa May sich nun endlich am Dienstagabend entschlossen, auf die Opposition zuzugehen, die für diese Wähler spricht. Der Grund liegt auf der Hand: May bleibt nichts anderes übrig. Es sind nicht die Überzeugungen, die sich in der Downing Street geändert haben, der Schritt von May, nun Labour einbinden zu wollen, rührt aus der banalen Erkenntnis her, dass die Zahlen ihr keine andere Wahl lassen. Drei Mal hat sie ihren Deal nicht durch das Unterhaus bekommen, sie wäre auch beim vierten Mal gescheitert. Und das nicht nur, weil die Opposition ihr die Zustimmung verweigert hätte. Nein, in ihrer Minderheitsregierung, für deren Überleben sie auf eine nordirische Kleinpartei angewiesen ist, sind es die Nordiren und die Europafeinde, denen kein Brexit hart genug sein kann. Sie haben ihr die Tour vermasselt. Die Tories haben den Brexit nicht geschafft, nun sollen wir May helfen - so lauten dementsprechend die bitteren Kommentare vieler zweifelnder Labour-Abgeordneter. Sie fragen sich, warum sie die Premierministerin retten und für einen Deal stimmen sollen, den sie von Anfang an nicht wollten. Mit dieser Frage ist man dann schon wieder ganz schnell in den Niederungen britischer Politik. Es ist Mays Schicksal, dass sie den richtigen Schritt geht und alle "endlich!" rufen, und ihr doch zugleich vorwerfen, dass sie diesen Schritt eben viel zu spät gemacht hat. Mittlerweile aber sind die Truppen tief eingegraben in ihren Schützengräben. Und während die Premierministerin, die nicht mehr anders kann und nicht mehr weiter weiß, vom Handeln im gemeinsamen Interesse spricht und an den Patriotismus der Gegenseite appelliert, wetzen all ihre Gegner die Messer. Die Brexiteers fordern weiter ihren "puren" Brexit und wollen Mays Weg nicht mitgehen. Der Brexit-Minister, ein Leaver, stellt im Morgenradio gleich mal fest, eine Zollunion als Modell für die Zukunft sei "nicht wünschenswert". Dabei ist just eine permanente Zollunion die minimale gemeinsame Basis, auf die sich beide Seiten im besten Falle einigen dürften. Eine mehrheitsfähige Lösung ist nur ohne die Leaver möglich Eine Schattenministerin aus dem Kabinett von Jeremy Corbyn wiederum rechnet vor, zu was man bereit sei, will sich aber nicht darauf festnageln lassen, ob Labour ein zweites Referendum mittragen würde. Und so weiter, und so fort. Und die Unabhängigen im Parlament wollen, wenn es zum Schwur kommt, einen gemeinsamen Weg nur mittragen, wenn es ein zweites Referendum gibt. Gespräche ohne rote Linien sehen anders aus. Pessimismus ist eine schlechte Angewohnheit im politischen Geschäft, und auch jetzt, so kurz vor Toresschluss, ist es gut, dass überhaupt über Parteigrenzen hinweg geredet wird. Aber letztlich wird May noch viel weiter gehen müssen auf dem Weg, den sie am Dienstag in ihrer Not eingeschlagen hat. Sie wird ertragen oder sogar befördern müssen, dass die Brexiteers, die sich in der European Research Group organisiert haben, die Tories verlassen. Das wäre dann die Spaltung der Partei, vor der sie alle gewarnt haben. Aber einen Kompromiss, der auf einen weichen Brexit zuläuft und Zustimmung im ganzen Unterhaus findet, wird May nur ohne diese unversöhnlichen Leaver zustande bringen; sie sind für einen nationale Einigung verloren. Es gibt aber auch Grund zum Optimismus. Anlass dafür sind absurderweise der Zeitdruck - und die skeptischen Reaktionen aus Brüssel. Die Uhr tickt, No Deal ist immer noch nicht vom Tisch, und die EU drängt auf eine Entscheidung. May und Corbyn treffen sich am Nachmittag, sie wollen in wenigen Tagen, vielleicht bis zum Wochenende, ein Konzept auf den Tisch legen. Vielleicht ist es das Einzige, was hilft: Druck, Stress, Ausweglosigkeit. Vielleicht tun die Briten dann das, was sie von der EU-Kommission immer erwartet haben: einknicken, in letzter Minute.
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Tobias Wadenka kämpfte gegen Dortelweils Spitzenspieler David Peng, als ginge es für sein Team noch um den Gruppensieg in der zweiten Badminton-Bundesliga - und für ihn um sein Leben. Dabei führte der TSV Neuhausen-Nymphenburg die Tabelle vor dem abschließenden Spieltag mit 46 Punkten uneinholbar vor dem Tabellenzweiten Saarbrücken-Bischmisheim an, die Teilnahme an der Aufstiegsrunde zur ersten Liga war dem TSV nicht mehr zu nehmen. Am Ende stand für Wadenka ein 11:6, 11:9, 5:11 und 11:9-Erfolg gegen den wendigen, einen Kopf kleineren Linkshänder zu Buche, abgeben musste der Favorit am Sonntag nur das zweite Herrendoppel und das Mixed. Am Ende hieß es also wieder: Im Westen von München nichts Neues, Neuhausen gewann auch diese Partie klar mit 5:2 und blickt mit dem Rekordergebnis von 18 Siegen in den 18 Partien der Relegation auf eigener Anlage mit breiter Brust entgegen. Genau das war nach Ansicht des Teammanagers Philipp Blonck die ganze Saison über entscheidend: dass sie jede Partie ernst genommen hatten, nie nachgelassen, niemanden unterschätzt hatten. Diese Gefahr bestand bei Wadenka in seinem Einzel ohnehin nicht. "Peng ist einer der stärksten Spieler der zweiten Bundesliga, außerdem wollte ich für die Aufstiegsspiele noch einmal meine beste Leistung abrufen", begründete der 27-Jährige seinen unbedingten Siegeswillen. In der Relegation am 13. und 14. April wird es der TSV nicht, wie erwartet, mit dem Sieger der zweiten Liga Nord (BC Hohenlimburg) zu tun bekommen, auch nicht mit dem BV RW Wesel oder dem HamburgHorner TV als Nachrückern. Sämtliche Teams der Nordgruppe haben auf die Aufstiegsspiele verzichtet. Deshalb rückt neben dem Erstliga-Vorletzten Blau Weiß Wittorf nun überraschend der Süd-Dritte SG Schorndorf in die Relegationsrunde - der zweitplatzierte BC Saarbrücken-Bischmisheim II ist nicht aufstiegsberechtigt. Mit den Kandidaten für den Aufstieg war es bis vor kurzem ein bisschen so wie mit den Kapriolen der Liebe: Der eine will, darf aber nicht, die anderen dürfen, wollen aber nicht. Nur einer darf und will auch. Neuhausen - wenngleich Blonck einräumt, dass die neue Konstellation die Spannung deutlich schmälert. Zwei der drei Teams qualifizieren sich für die erste Liga, und gegen Schorndorf hat der TSV im Saisonverlauf zweimal klar gewonnen. Diese Konstellation kommt nun dem TuS Geretsried zugute. Der hatte am vergangenen Wochenende noch einmal zittern müssen, nachdem Schlusslicht Dillingen im Endspurt nach Punkten gleichgezogen hatte. Dank der größeren Zahl von Saisonsiegen behielt der TuS aber seinen vorletzten Platz. Und der reicht nun sicher zum Ligaverbleib, weil ja eines der beiden Süd-Teams auf alle Fälle aufsteigen wird. Trainer Johann Niesner und sein Team zeigten sich darüber erleichtert. "Unsere Freude ist durch die beiden 1:6-Niederlagen gegen Fischbach und Bischmisheim allerdings ein wenig getrübt", fügte Niesner hinzu. Er weiß, dass der Wegfall des Geretsrieder Aushängeschilds Ann-Kathrin Spöri (wechselt zum Erstligisten Refrath) für die kommende Saison kaum zu kompensieren sein wird. Niesners Resümee der ersten Zweitliga-Saison nach dem Aufstieg fiel positiv aus, wenngleich sein Team insbesondere auswärts "den einen oder anderen Punkt" liegen gelassen habe. Souveräner hat der sechstplatzierte TSV Neubiberg/Ottobrunn am Ende den von Abteilungsleiter Hubert Hauber anvisierten sicheren Nichtabstiegsplatz erreicht. Nach einem holprigen Saisonauftakt hatte sich sein Team in der Rückrunde deutlich gesteigert.
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Am Tag nach dem großen Knatsch twitterte der Rekordmeister mal wieder auf Englisch. Ein Bild mit den Logos des FC Bayern und der europäischen Klubvereinigung ECA, dazu ein Spruch, der wohl wie ein Bekenntnis klingen sollte: "#FCBayern is proud to be a member of @ECAEurope! Let's shape the future of football - together!" Der FC Bayern ist stolz, Mitglied der ECA zu sein! Lasst uns die Zukunft des Fußballs gestalten - gemeinsam! Die Bayern haben hier also, schön international, ihre Eintracht mit dem europäischen Klubfußball beschworen. Aber ist das auch die ganze Wahrheit? Erst am Tag zuvor, am Dienstag, hatten sich die ECA-Vorstände in Nyon, in der Zentrale der Europäischen Fußball-Union Uefa, ziemlich empört zwei Vereine vorgeknöpft, die gerade die gemeinsame europäische Linie verlassen hatten: Real Madrid - und Bayern München. Die beiden Klubs sind, im Gegensatz zum Rest der 232 ECA-Mitglieder, plötzlich hellauf begeistert von einem Projekt, welches der Fifa-Präsident Gianni Infantino gerade auf gewohnt zwielichtige Weise durchgesetzt hat: eine neue Klub-WM für 24 Mannschaften, die schon 2021 erstmals stattfinden soll. "Finde ich super", "wunderbar", "her damit", hatte Bayern-Präsident Uli Hoeneß am Sonntag in der Münchner Arena erklärt. "Sie werden sehen: Die Klub-WM wird kommen, und der FC Bayern wird mitspielen." Das war gerade mal zwei Tage, nachdem Infantino das umstrittene Format im Fifa-Vorstand durchgeboxt hatte. Gegen den harten Widerstand von Uefa und ECA. Europa kämpft erst vereint dagegen - und die Bayern finden's dann toll? Das sorgt für Verstimmung in den Fußballkreisen des Kontinents. Zumal man hier besonders auf Zusammenhalt und Solidarität bedacht ist, seit der Fifa-Boss mit immer neuen Volten versucht, einzelne Europäer auf seine Seite zu ziehen, um Mehrheiten für diverse undurchsichtige Geschäftsprojekte zu schaffen. Es ist jene Art von Verstimmung, die man auch als FC Bayern nicht mit einem Tweet aus der Welt schafft. Bayern und Real gegen den Rest Europas: Was wie ein Reflex zweier geldgieriger Klubs wirkt, gewinnt nun allerdings zusätzliche Brisanz. Auf SZ-Anfrage räumt der FC Bayern jetzt ein, dass er sich auch mit einem anderen, höchst umstrittenen Geld- und Spaltungsprojekt zumindest befasst hat. Nämlich mit der Errichtung einer neuen Super League für Großklubs - und auch dies im Kontext mit Real Madrid. Das ist schon deshalb pikant, weil das Thema Anfang November 2018 europaweit in den Schlagzeilen war. Da hatten der Spiegel und andere Medien auf Basis von Dokumenten der Plattform Football Leaks über einen Geheimplan berichtet, nach dem elf Großklubs die Loslösung vom organisierten Fußballbetrieb anstrebten. Präsentiert wurde ein detailliertes Dossier zum diskreten Projekt, das am 22. Oktober bei einem Klub gelandet war: bei Real Madrid. Genauer: in den Mailaccounts von Real-Präsident Florentino Pérez, seinem Vize Pedro López und Geschäftsführer Juan Ángel Sánchez. Konkrete Hintergründe blieben damals unklar, überall wurden derartige Pläne strikt dementiert. Doch nun kommt heraus: Das Trio Pérez/López/ Sánchez hatte just zwei Wochen zuvor Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Chefjustiziar Michael Gerlinger zu einem Gespräch in Madrid empfangen. Als das Papier, der Entwurf einer "bindenden Absichtserklärung", am 2. November veröffentlicht worden war, beteuerten die Münchner via Vereins-Webseite, sie seien völlig ahnungslos: "Neuerliche Pläne für eine so genannte Super League (...) sind dem FC Bayern weder bekannt, noch hat der FC Bayern an Verhandlungen hierzu teilgenommen." Man verstehe gar nicht, warum der Verein in so einem Papier aufgeführt werde. Das von der Madrider Beratungsagentur Key Capital Partners erstellte Dossier hatte den FC Bayern als einen der "Gründer" und den viertgrößten Aktionär des Vorhabens benannt. Die neue "European Super League" solle, als von der Uefa unabhängiger Elitebetrieb, ab 2021 mit 16 Teams gespielt werden, hieß es. Was also war nur Wochen zuvor, beim Besuch der Bayern bei den Real-Spitzen, besprochen worden? War die neue Super League ein Thema? Dazu teilt die Bayern-Pressestelle nun mit: "Es gab ein Treffen mit Offiziellen von Real Madrid im vergangenen Oktober, bei dem über verschiedene Themen gesprochen wurde. Unter anderem fragten die Leute von Real Madrid nach unserer Meinung zu einer Super-League. Wir sagten, das sei in Deutschland nicht möglich." Wieso standen die Bayern dann kurz darauf im Madrider Geheimpapier? Und warum versichern Bayern-Funktionäre, die im Oktober in Madrid zu einer neuen europäischen Elite-Liga befragt wurden, drei Wochen später, ihnen seien partout keine neuen Superliga-Pläne bekannt? Präzise Nachfragen ließ der Rekordmeister am Mittwoch seinen Medienanwalt beantworten. Der fegte, ratzfatz, alle Widersprüche vom Tisch. "Die Erklärung vom 2. November 2018 ist uneingeschränkt richtig", teilt er mit zur Frage, wie man in Madrid über eine neue Super League reden könne, dann aber drei Wochen später nichts von neuen Super-League-Plänen wisse, die in Madrid aufgetaucht sind. Die Bayern, so der Medienanwalt, seien auch "nicht explizit zu einer neuen Super-League befragt" worden. Vielmehr seien sie "gelegentlich eines Treffens zu verschiedenen Themen auch gefragt" worden, "was man von einer Super-League halte". Antwort: siehe oben. Sicherheitshalber legt der Bayern-Medienanwalt in seiner Antwort auch gleich die Grenzen der journalistischen Wissbegierde fest: "Im übrigen bitten wir, von weiteren Anfragen (...) abzusehen." Auffallend dünnhäutig wirken sie gerade, die Bayern. Aber die Frage bleibt natürlich: Wurde das Milliarden-Euro-Thema Super League in Madrid wirklich nur mal kurz erwähnt, zwischen Dessert und Espresso? Dass die Super League jenseits von Madrid und München Ende 2018 noch ein Gesprächsthema war, ist tatsächlich weitgehend ausgeschlossen. Anders als 2016, als die Großklubs mit solchen Plänen eine Drohkulisse aufgebaut und der Uefa auf diese Weise Vorteile im Champions-League-Betrieb abgepresst hatten. Das hatten sie damals sogar zugegeben. Doch 2018? Abgesehen vom mysteriösen Dossier gab es keinen Hinweis auf eine neuerliche Offensive der Superklubs von Paris über Turin bis Manchester, keine Meetings, nicht mal eine Flüsterdebatte wie zwei Jahre zuvor. Bloß Real Madrid zählte wie immer zu jenen, die im Grunde permanent von der eigenen Gier übermannt werden. Und die Bayern? Die haben ihre wacklige Version der Dinge. Klubs wie Manchester United erklären auf Anfrage, ob auch sie von Real damals zu Super-League-Gesprächen eingeladen worden, aber nicht erschienen seien, ausweichend: "Wir werden das nicht kommentieren." Hinzu kommt: Zwei Wochen nach Ruchbarwerden des in Madrid aufgetauchten Papiers verlängerten Uefa-Präsident Aleksander Ceferin und ECA-Chef Andrea Agnelli das Format der Champions League bis 2024. Bei diesem langfristig terminierten Treffen verhehlten sie nicht ihre Irritation. "Was ich interessant finde ist, dass 2018 fast niemand über eine neue Super League diskutiert hat", erklärte Ceferin. "Und dass es dennoch ein Dokument gab, das sagt, es werde da was passieren. Wir haben mit allen großen Klubs geredet, und es gab keine ernsthafte Diskussion darüber. 99 Prozent wussten gar nichts davon."
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Ganz genau konnte sich Thomas Hitzlsperger nicht erinnern, wann er daran geglaubt hatte, dass das gut enden würde für den VfB Stuttgart. Der Sportvorstand stand im Kabinengang der Arena in Bad Cannstatt, er wirkte halb gelöst, halb angespannt in einer Art Transitgefühlswelt nach diesem Fußballspiel gegen den VfL Wolfsburg. "Irgendwann habe ich gemerkt, dass die Spieler nicht nachlassen heute", sagte Hitzlsperger. Da sei ihm klargeworden, dass viel zusammenkommen müsse, damit das noch schiefgehe. "Dann habe ich das Ergebnis von Nürnberg mitbekommen und es hat gutgetan, einfach mal ruhig auf der Bank zu sitzen." Der 1. FC Nürnberg, Tabellensiebzehnter vor dem Anpfiff des vorletzten Spieltags, hatte parallel 0:4 gegen Borussia Mönchengladbach verloren. Der einen Rang besser platzierte VfB Stuttgart 3:0 (1:0) gegen Wolfsburg gewonnen. Dass auch Hannover an diesem Samstag ein 3:0 gegen Freiburg erzielte, war den Schwaben egal. Die Reihenfolge lautet nun: Stuttgart, Hannover, Nürnberg. Die Mannschaft von Interimstrainer Nico Willig wird also am 23. und 27. Mai in der Relegation um den Verbleib in der ersten Bundesliga spielen - nach einer schlechten Saison, die mit so viel Euphorie begonnen hatte und nach zwei Trainerentlassungen und dem Rauswurf von Sportvorstand Michael Reschke noch in eine halbwegs versöhnliche Übergangsphase gegangen ist. Wie das Fazit ausfällt, entscheiden die kommenden Wochen. Mit wem die neue Saison auf der Trainerbank angegangen wird, ist offenbar schon entschieden. Zumindest bestätigte Hitzlsperger das indirekt. "Jetzt ist der falsche Moment, über Trainerkandidaten und deren Qualitäten zu sprechen", hatte der 37-Jährige dem TV-Sender Sky vor dem Spiel gegen Wolfsburg gesagt. "Aber unterstellen wir Fabian Wohlgemuth mal, dass er nicht lügt, dann ist es auch okay." Zuvor hatte Wohlgemuth, Sport-Geschäftsführer von Holstein Kiel, erklärt, dass ihm Tim Walter, 43, seinen Wechselwunsch zum VfB mitgeteilt habe. Den Fokus wollte Hitzlsperger an diesem Tag lieber auf die Gegenwart legen: "Es ist schön, dass wir das heute selbst erledigt haben. Jetzt überwiegt die Freude, aber natürlich werden wir uns bald fragen: Warum nicht gleich so? Vielleicht finden wir es bald raus, das ist nicht so einfach." Dieses "so" bezog sich auf offensiv nicht nachlassende Spieler, die jedoch auch von dem schwachen Tag profitierten, den die Wolfsburger erwischten. Die Gastgeber zeigten auffallend früh, dass sie sehr genau wussten, um was es an diesem Nachmittag ging. Schon seit dem 16. Spieltag Mitte Dezember verharrt der VfB auf dem Relegationsplatz und konnte keine wirklich beruhigende Distanz zwischen sich und die Abstiegsränge bringen. Die Leistung sollte - und musste - sich also bessern. Mit hängenden Köpfen, wie vergangene Woche in Berlin, wollte am Samstag keiner den Platz verlassen. In der vierten Minute aber erinnerte eine Szene dann doch an das 1:3 bei Hertha BSC. Dort hatte sich der VfB um einen Elfmeter gebracht gefühlt, nun gegen Wolfsburg ebenfalls. Schiedsrichter Felix Brych schallte früh der schwäbische Groll entgegen, als er nach einem Foul von William an Nicolas Gonzalez im Strafraum weiterspielen ließ und auch vom Videoassistenten aus Köln zu Unrecht keine Gegenstimme kam. Stuttgarts Glück war es, dass Wolfsburg auch nichts gelang Nach Ballgewinnen so schnell wie möglich nach vorne, das versuchte der VfB immer wieder - und scheiterte doch auf den letzten Metern. Dass Wolfsburg auch nichts gelang, war Stuttgarts Glück. Maximilian Arnold schoss kurz vor der Pause beherzt aus über 60 Metern, warum auch nicht, Ron-Robert Zieler stand ja einladend weit vorne und kam nicht hinterher. Doch der Ball landete auf und nicht im VfB-Tor. Im Stadion wurden die Spielstände der anderen Partien durchgegeben und auf den Rängen mit Freude darauf reagiert, dass fast überall Tore erzielt wurden, in Nürnberg aber nicht. Hannovers Führungstreffer verschwiegen sie in Stuttgart sicherheitshalber. Ob es umgekehrt bei 96 auch so war? Es hätte jedenfalls doch noch Meldungspotenzial gegeben. Unmittelbar bevor Brych zur Pause pfiff, zog Gonzalo Castro wuchtig ab - doppelt abgefälscht landete der Ball am Innenpfosten und zum 1:0 im Tor. Nach der Pause wechselte Willig Daniel Didavi für Alexander Esswein ein (53.). Schon zwei Minuten später konnte sich der Trainer dazu selbst gratulieren. Didavi tänzelte zwei Gegner aus, passte zur Mitte auf Anastasios Donis, der seinen Fuß hinhielt und den Ball flach ins rechte Eck zum 2:0 lenkte. Die schwäbische Euphorie war nicht weniger laut als beim zuvor geäußerten Groll, als sich in der 83. Minute Benjamin Pavard und Christian Gentner den Ball hin und her spielten und zu Didavi passten, der nach seiner Vorlage auch noch selbst zum 3:0-Endstand traf. Spätestens da war alles besiegelt: Der VfB Stuttgart ist in der Relegation, er darf (besser: muss) für all das zuvor in dieser Saison Versäumte noch ein bisschen nachsitzen.
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Mehr als zwei Milliarden Menschen haben kein sauberes Trinkwasser. In den nächsten Jahren könnte sich die Situation verschärfen, warnen die Vereinten Nationen. Eine kleine blaue Murmel ist die Erde vom Weltall aus gesehen. Mehr als zwei Drittel der Oberfläche sind von Wasser bedeckt, doch nur ein Bruchteil davon ist Trinkwasser, zu dem derzeit 2,1 Milliarden Menschen keinen durchgängigen Zugang haben. Mehr als doppelt so viele leben zudem ohne gesicherte Sanitäranlagen, wie aus dem Weltwasserbericht der Vereinten Nationen hervorgeht, den die UNESCO am gestrigen Dienstag in Genf vorgestellt hat. Es gebe erhebliche Unterscheide zwischen und innerhalb der Länder, hieß es weiter. Vor allem bedürftige und ohnehin diskriminierte Menschengruppen seien betroffen. Ihnen werde damit ein seit 2010 anerkanntes Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung verwehrt. Es fehlt weltweit an der Infrastruktur, auch in Nordamerika und Europa Besonders betroffen sind dem Bericht zufolge Frauen, Minderheiten und Menschen mit Beeinträchtigungen, die überdurchschnittlich häufig keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Generell seien neben ärmeren vielfach auch Menschen benachteiligt, die in ländlichen Regionen leben. Schlechter gestellt seien zudem oft die Bewohner von Slums. Ihr Wasser sei häufig schlechter als das in wohlhabenderen Vierteln, und koste zudem oft zehn bis zwanzig Mal so viel wie in wohlhabenderen Vierteln. Auch für geflüchtete und vertriebene Menschen sei die Wasserversorgung oft besorgniserregend, etwa in Kolumbien an der Grenze zu Venezuela fehle es derzeit an ausreichender Infrastruktur. Fast die Hälfte der Menschen, die Wasser aus ungeschützten Quellen trinkt, lebt den Angaben zufolge in Afrika: Nur 24 Prozent der Menschen südlich der Sahara hätten Zugang zu sicherem Trinkwasser und nur knapp ein Drittel der Haushalte verfüge über eigene sanitäre Anlagen. Grund seien oft auch politisches Missmanagement und fehlende Investitionen in die Infrastruktur. Doch selbst in Europa und Nordamerika hätten 57 Millionen Menschen keine Wasserleitungen in den Häusern. Etwa indigene Völker in Kanada tränken minderwertiges Wasser. In Deutschland hingegen sei Wasser in guter Qualität für fast 100 Prozent der Haushalte zugänglich. Weltweit werden Wassermangel und Umweltschäden bis 2050 voraussichtlich 40 Prozent der weltweiten Produktion von Getreide bedrohen, so der Bericht. Sorgen bereitet der Organisation auch der weltweit steigende Wasserverbrauch. Die Zunahme liegt demnach seit den Achtzigerjahren bei etwa einem Prozent pro Jahr. Laut Ulla Burchardt, Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, liegt dies an drei Megatrends: Der Klimawandel mitsamt zunehmenden Dürren, Überschwemmungen und Stürmen, das Bevölkerungswachstum und ein veränderter und gestiegener Konsum. "Wir als Verbraucher in Deutschland sind Mitverursacher der Probleme in anderen Weltregionen, vor allem durch den Import von Baumwolle und Rindfleisch, deren Herstellung teils gewaltige Wasserressourcen benötigt", sagt sie. Die Autoren des Berichts empfehlen im Kampf gegen Ungleichheiten Mut zu unkonventionellen Lösungen: Wenn die beste Lösung zu teuer ist, müsse jeweils spezifisch vor Ort nach umsetzbaren Mitteln gesucht werden. Damit Entwicklungshilfe in Ländern mit hoher Korruption dennoch effektiv ist, müssten auch nicht staatliche Akteure und die lokale Bevölkerung einbezogen werden, betont Burchardt.
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Aus unzähligen Eiszapfen formen Künstler jedes Jahr das Ice Castle in Edmontons Hawrelak-Park. Es steht, bis der Winter endet und das Tauwetter einsetzt - irgendwann im April. Minus 22 Grad? Da geht es für die Bewohner von Edmonton erst los. Sie machen aus dem Winter ein Festival. Frozen Yogurt geht in Edmonton auch bei minus 22 Grad. Während in deutschen Eisdielen im Winter Lebkuchen verkauft werden, läuft in der Hauptstadt der kanadischen Provinz Alberta das Geschäft weiter. Gut, wer will, kann sich ein paar Türen weiter eine heiße Pho-Bo-Suppe holen, aber generell gilt: Kanadier begegnen dem Winter auf sehr pragmatische Art. Monsterschneepflüge räumen die Straßen frei. Eisfräsen schneiden Bahnen in Schneeverwehungen, fahrende Dampfgeräte schmelzen Eisplatten weg. Man zieht sich einen dicken Parka über, und das Leben geht seinen Gang. Nordamerikas Autofahrer fahren ja schon im Sommer umsichtig, winters sind sie eben noch etwas bedächtiger unterwegs. In Edmonton bummeln auch die Fußgänger im Szeneviertel Old Strathcona ohne Eile von Geschäft zu Geschäft, plaudern über alles Mögliche - aber Wetter und Schnee sind kein Thema. Die Leute gehen raus, machen Sport und verabreden sich. Die Dichte und Qualität der Restaurants und Cocktailbars würde man eher in einer Metropole erwarten. Das war nicht immer so. Die Stadt liegt auf 1000 Meter Höhe, und die Winter sind lang. "Irgendwann wurde uns klar, dass wir eine Strategie brauchen, die Stadt war im Winter einfach tot", erklärt Daniel Cournoyer. Er gehört zu Edmontons französischsprachiger Gemeinde. Keiner ging raus, erzählt er, wozu auch, da war ja nichts. Es musste etwas passieren. So entstand vor sieben Jahren die Idee, ein Festival zu organisieren: "Flying Canoe", französisch "Canoë Volant". Cournoyer ist dessen Direktor. Er sagt: "Wir wollten Lebensfreude in den Winter bringen und eine Brücke zu den anderen Einwohnern bauen." Detailansicht öffnen Trommeln, Gesang, Tipidorf: Bei einem Festival im Februar wird die Legende vom Fliegenden Kanu nachgespielt. (Foto: exploreedmonton) Während der drei Tage des Festivals, das immer im Februar stattfindet, verwandelt sich das französische Viertel in eine magische Welt, in der sich alles um die Legende vom Fliegenden Kanu dreht - eine in Kanada weit verbreitete Sage, die es in vielen Varianten gibt. Die Besucher wandern nachts durch die Flusslandschaft des Mill Creek, in den Zelten des eigens dafür aufgebauten Tipidorfes arbeiten Schnitzer, gibt es Trommelvorführungen und Gesang, an Lagerfeuern wird getanzt. So konnten sich auch die kanadischen Ureinwohner ins Festival einbringen. Fantastische Lichtskulpturen illuminieren die Wege. Und im französischen Gemeindezentrum gibt es Stände mit Spezialitäten, Konzerte und ein großes Kinderprogramm. Die Winterstrategie hat längst die gesamte Stadt erfasst. Das zeigt sich auf einer Radtour mit Michael MacFynn. Er ist passionierter Radfahrer - das ganze Jahr über. Im Winter fährt er mit Gesichtsmaske und beheizbaren Handschuhen. "Deutsches Fabrikat, sehr zu empfehlen", scherzt er. Bei Schneetreiben geht es auf Fat Bikes mit überbreiten, im Schnee Auftrieb gebenden Reifen von der City hinab ins River Valley. Der North Saskatchewan River hat ein gewundenes Flusstal geschaffen, die Stadt hat daraus einen Grüngürtel mit Parks und einem 160 Kilometer langen Wegenetz gemacht. Im Winter verwandeln städtische Bedienstete einen Teil der Wege in Iceways, Eiswege, auf denen die Edmontonians Schlittschuh laufen. Andere Pfade werden zu Trails für Langläufer, auch Fat Bikes sind erlaubt. "Share the trails" steht auf Schildern, kein Problem für die entspannten Kanadier. In den Parks gibt es Winter-Picknickplätze und im Hawrelak-Park erschaffen Künstler jedes Jahr ein Eisschloss mit Eisrutschen und einem Thron aus Eis, mit Labyrinth und Kammern, in deren Eisfenster Verliebte ihre Namen ritzen. Detailansicht öffnen Anstengend: Auch bei Schneetreiben unternimmt man hier eine Fat-Bike-Tour ins River Valley. (Foto: Ingrid Brunner) Das Eisschloss ist ein willkommener Stopp, denn bei Neuschnee ist das Fahren auf Fat Bikes Schwerarbeit. Sogar bergab muss man treten. Trotz klirrender Kälte kommen Ungeübte derart ins Schwitzen, dass sie sich am liebsten die Thermowäsche vom Leib reißen würden. Doch davon rät Michael MacFynn ab. Der Windchill, die Kühle des Windes, mache minus 18 Grad schnell zu gefühlten minus 29 Grad. Auch abends haben die Locals von Schnee und Eis noch nicht genug. Wenn ihr Eishockeyteam, die Edmonton Oilers, ein Heimspiel hat, ist Rogers Place ausverkauft. Das Eisstadion ist Teil einer 2016 eröffneten Multifunktionsarena, mit Platz für mehr als 18 000 Zuschauer. Es ist eine großartige Erfahrung, einmal die Stimmung bei einem kanadischen Eishockeyspiel mitzuerleben. Ganze Familien kommen, viele im Fanshirt, einige verkleidet, sehr viele Einwanderer sind darunter. Alle feuern sie ihr Team an, alle essen das gleiche Fast Food: Integration auf Kanadisch scheint zu funktionieren. Detailansicht öffnen Die Einheimischen treffen sich im Hockeystadion beim Heimspiel der Oilers. Das Eisstadion Rogers Place ist Teil einer 2016 eröffneten Multifunktionsarena mit Platz für mehr als 18.000 Zuschauer. (Foto: exploreedmonton) Auf einigen Fanshirts steht Draisaitl. Der Kölner Leon Draisaitl ist Mittelstürmer im Oilers-Team und einer der Publikumslieblinge. Der Name Oilers verweist auf die Ursache von Edmontons Wohlstand: Die im nördlichen Alberta liegenden Ölsandfelder haben Edmonton zur Boomtown gemacht. Das ist zwar ökologisch fragwürdig, aber die Förderung des Ölsands hat Arbeitsplätze für die Mittelschicht gebracht. Wer in den Ölfeldern schuftet und gutes Geld verdient, gönnt sich und der Familie in der Freizeit auch gerne etwas. Davon lebt auch die bunte und niveauvolle Gastroszene. Zum Beispiel das Café Linnea. Name und Interieur sind schwedisch, ebenso die Wurzeln der 30-jährigen Chefin Kelsey Johnson. Sie setzt auf eine Mischung aus euro-kanadischer Weltküche. Sämtliche Zutaten sind frisch und kommen aus einem Umkreis von maximal 80 Kilometern. Sogar direkt aus der Stadt: Ökogärtner ziehen auf Brachflächen und in alten Lagerhallen Gemüse und Kräuter. Eröffnung war 2016, im Jahr darauf war Linnea bei Air Canada als Kanadas bestes neues Restaurant gelistet. Wer einmal den hausgebeizten Graved Lachs auf Kartoffel-Bete-Puffer probiert hat, versteht warum. Den Abend könnte man in der Cocktailbar Clementine auf der Jasper Avenue beginnen. Die Cocktails sind erstklassig gemixt und ihre Zubereitung ist eine unterhaltsame Show: Die Gläser werden vor dem Gast teils mit heimischen Kräutern aromatisiert. Je nach Temperament könnte es dann mit einer mexikanischen Kochshow im Rostizado oder entspannt am Kaminfeuer im Woodwork weitergehen, einem stimmungsvollen Restaurant mit erstklassigen Fleischgerichten. Als Entree darf, nein muss man jedoch den gegrillten Rosenkohl probieren. Detailansicht öffnen Im Szeneviertel Old Strathcona gibt es viele Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten. (Foto: Ingrid Brunner) Angeblich soll der Körper bei Kälte ja mehr Kalorien verbrennen. Wer sich darauf nicht verlassen möchte, der kann sich wieder aufs Fat Bike schwingen, Schlittschuh laufen oder rodeln. Oder die Stadt verlassen: Nur circa 40 Kilometer entfernt von Edmonton liegt der Elk-Island-Nationalpark. Dort lassen sich beim Langlaufen Bisons in freier Wildbahn beobachten. Oder man macht Anfang Februar beim Birkebeiner-Lauf mit, ein Wettbewerb, den die "Canadian Birkies" aus Norwegen importiert haben. Auch er geht auf eine Legende zurück. Der zufolge haben die Birkebeiner während eines Bürgerkrieges im 13. Jahrhundert das königliche Baby auf Langlaufskiern 54 Kilometer von Rena nach Lillehammer gebracht und vor den nach der Macht greifenden Baglern gerettet. Birkenrinde muss sich niemand um die Beine wickeln, wie es die Birkebeiner taten. Funktionskleidung tut's auch. Doch wer will, verkleidet sich als Wikinger oder läuft mit einem 5,5 Kilogramm schweren Rucksack, als Symbol für das gerettete Kind. Schnee und Eis verbreiten in Edmonton keine Schrecken. Man macht lieber ein Festival draus. "Es ist leichter, sich aufzuwärmen als sich abzukühlen", sagt Daniel Cournoyer. Zur Not hilft Frozen Yogurt. Reiseinformationen Anreise: KLM fliegt ab Amsterdam nonstop nach Edmonton, ab 539 Euro hin und zurück, www.klm.com Unterkunft: Das Mettera Boutique Hotel in Old Strathcona ab circa 120 Euro pro Nacht, www.metterra.com Gastronomie: Café Linnea, 10932 119 Street Northwest, www.cafelinnea.ca; Clementine www.barclementine.ca; Woodwork Restaurant, 10132 100 Street Northwest, https://woodworkyeg.com; Rostizado, 102 10359 104 St, www.rostizado.com Festivals: Flying Canoe Volant, 31.1. bis 2.2., www.flyingcanoevolant.ca, Canadian Birkie Ski Festival, 8. bis 10.2., www.canadianbirkie.com Weitere Auskünfte: www.exploreedmonton.com
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Der Spekulant André Kostolany bereicherte die Börse um zahlreiche Sprüche. Einer davon betrifft das Verhältnis von Wirtschaft und Börse, von Realität und Spekulation. Kostolany erfand dazu das Bild von Herrchen und Hund. Dabei fällt dem Herrchen die Rolle der Wirtschaft zu und dem Hund die Rolle der Börse. Bei einem Spaziergang läuft der Hund mal neben dem Herrchen, mal vorneweg, mal hinterher. Aber am Ende kehrt der Hund immer zum Herrchen zurück. Thomas Mayer, der für das Flossbach von Storch Research Institute forscht, findet Kostolanys Vergleich treffend. "Ich habe selbst einen Hund, und genauso ist es." Mayer hat einen Aufsatz dazu geschrieben, wo Wirtschaft und Börse derzeit stehen. Darin findet sich eine Grafik, die zwei Kurven zeigt; eine ist der Weltkonjunkturindikator des ifo-Insituts, die andere der Aktienindex MSCI Welt, der 1600 Aktien aus Industriestaaten widerspiegelt. Die Kurven laufen seit 2007 zeitweise parallel, aber auch immer wieder auseinander. Dem Bild wohnt eine tiefe Wahrheit inne. Es ist auch ein Argument gegen Kritiker der Börse, die meinen, darin gehe es nur irrational zu. "Sicherlich sind die Aktienmärkte keine verlässlichen Konjunkturindikatoren, weil sie dafür zu nervös sind", so Mayer. Die Börse versuche künftige Entwicklungen vorwegzunehmen, das sei das Element der Spekulation, mal übertreibe sie nach oben, mal nach unten. Doch es muss immer einen Ausgleich geben zwischen Wirtschaft und Börse, weil vom Lauf die Konjunktur die Gewinne der Unternehmen abhängen und von den Gewinnen der Unternehmen die Aktienkurse. Am Ende können die Unternehmen nur so stark oder schwach sein wie die Wirtschaft. Noch vor kurzem klaffte eine Lücke, die Aussichten waren schlechter als der Aktienindex. Doch dann kam eine Serie negativer Börsentage. Der Hund scheint wieder einmal auf dem Weg zurück zum Herrchen. Mayer sieht sich an Spaziergänge mit seinem Hund erinnert: "Manchmal wartet er ab, weil er glaubt, dass ich bald umkehre, wenn ich aber doch weitergehe, muss er hinterherlaufen." Für Mayer verheißt das nichts Gutes. Er sieht derzeit deutliche Rezessionsgefahren, der Wirtschaftszyklus nähere sich dem unteren Punkt. "Für den Aktionär heißt dies, sich und sein Portfolio für die mit einer Wirtschaftsrezession verbundene Baisse am Markt zu wappnen."
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