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Montana mit seinen Bibern nach Kanada verkaufen? Im Bundesstaat selbst findet die Petition offenbar Anklang. Im Bild ein kanadischer Biber auf seinem Bau. Das beste Geschäft, das die Vereinigten Staaten je abschlossen, war wohl im Jahr 1867 der Kauf Alaskas von Russland. 1,6 Millionen Quadratkilometer Land wechselten für 7,2 Millionen Dollar die Nation. Hochgerechnet auf heutige Preise wären das - je nach Berechnungsvariante - ungefähr 123 Millionen Dollar. Könnte so ein Geschäft nicht auch umgekehrt funktionieren? Das mag sich Ian Hammond vielleicht gefragt haben. Der startete auf der Kampagnen-Plattform Change.org eine heitere, nicht ganz ernst gemeinte Petition: Verkauft Montana an Kanada für eine Billion Dollar, um die Staatsschulden abzutragen, heißt es dort sinngemäß. "Wir haben zu viele Schulden, und Montana ist nutzlos." Ein Verkaufsargument präsentiert er auch: Man könne doch den Kanadiern sagen, dass es dort Biber gebe. Viele finden diese Idee super - 12 000 Menschen haben bereits virtuell unterschrieben, viele davon angeblich aus Montana. Auch in den anhängenden Kommentaren steigen viele auf das Gedankenspiel ein. Die Vorstellung, nicht mehr in den USA leben zu müssen, findet Zuspruch. Zumal es ja obendrein noch die kanadische Krankenversicherung geben würde - ganz ohne Umzugskosten. Aber was erhielte Kanada für eine Billion Dollar? Immerhin einen Bundesstaat, der mit 380 000 Quadratkilometern noch etwas größer ist als Deutschland. Dazu einen Teil der Rocky Mountains, Tausende Seen und sogar ein kleines Stückchen des Yellowstone-Nationalparks mit einem Schwung an Bisons. Bevölkerungstechnisch käme Kanada freilich kaum voran: Montana hat nur rund eine Million Einwohner und ist damit noch dünner besiedelt als Kanada. Zugleich würde das Land seine Staatsschuld von anderthalb Billionen Dollar nach oben treiben, während die USA ihren Schuldenberg von mehr als 20 Billionen Dollar nicht nennenswert reduzieren könnten. Die in Montana erscheinende Great Falls Tribune stellte denn auch eine wichtige Frage: "Hat Kanada eine Extra-Billion?". Sie griff das Thema freudig auf, fragte aber auch besorgt, ob sich die Einwohner Montanas künftig wie die Kanadier ständig entschuldigen müssten. Und macht es dann gleich vor: "Sorry, das war möglicherweise eine unhöfliche Frage. Sorry!" Spott gab es aber damals schon beim Kauf Alaskas. Vor allem der damalige US-Präsident Andrew Johnson wurde gegeißelt. Er verschwende das Geld der Steuerzahler für einen lächerlichen "Polarbär-Garten".
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In vielen Punkten ähneln Unternehmen und Fußballklubs einander. Man nehme die Personalstruktur: Einen leitenden Angestellten zu ersetzen, fällt vielen Betrieben alles andere als leicht. Fußballvereine brechen manchmal völlig zusammen, wenn Sportdirektor, Trainer oder Kapitän ihren Abschied nehmen. Beim VfR Garching ist Daniel Weber im zwölften Jahr Coach und Manager in einer Person, nun hat er für den kommenden Sommer seinen Weggang angekündigt. Weber hat im Winter einen heftigen privaten Schicksalsschlag erlitten, er wird sich eine Auszeit vom Fußball gönnen. Wer weiß, wie ehrgeizig der 45 Jahre alte frühere Torwart ist, kann sich vorstellen, dass er den Klub aus dem nördlichen Landkreis München keinesfalls als Absteiger verlassen will. Nach 20 absolvierten Partien in der aktuellen Saison in der Regionalliga Bayern hat der Vierte der vergangenen Spielzeit erst 19 Punkte eingesammelt und liegt derzeit auf Relegationsplatz 16, allerdings punktgleich mit Schlusslicht SV Heimstetten. Daniel Weber ist jedenfalls bereit für den Abstiegskampf, der ihn und seine Mannschaft in den verbleibenden 14 Spielen erwartet und der diesen Samstag (14 Uhr) mit dem Nachholspiel gegen den Tabellenvierzehnten SpVgg Greuther Fürth II gleich mit einer ganz wichtigen Partie beginnt. "Wenn wir das gewinnen würden, wäre es natürlich ein Brett ", sagt Weber, dessen Mannschaft sich in den letzten Tagen im Training "sehr motiviert" gezeigt habe: "Der Ehrgeiz ist auf jeden Fall da, auch wenn du natürlich nach einer so langen Pause nicht weißt, wo du stehst." Seit dem 24. November ist der VfR im Winterschlaf, was Pflichtspiele angeht; seit dem Start der Vorbereitung auf die zweite Saisonhälfte plagen sich die Garchinger auf unwirtlichen Plätzen herum. "Testspiele auf Kunstrasen bringen dich nicht weiter, das sind nur taktische Schiebereien", sagt Weber, der froh ist, dass der Winter derzeit Pause macht. So konnte das letzte Testspiel am Mittwoch gegen Bayernliga-Spitzenreiter SV Türkgücü-Ataspor im heimischen Stadion auf Rasen über die Bühne gehen - es endete mit einer 1:3-Pleite für den VfR. "Auch wenn da viele Probleme zu sehen waren, bin ich glücklich über diesen Test", sagt Weber, der beobachten musste, wie Andreas Pummers Team die Fehler seiner Elf "gnadenlos bestrafte". Der VfR-Übungsleiter hatte gehofft, "dass die Türken hoch stehen", schließlich erwartete er auch die Fürther am Samstag offensiv und mutig. Aber leider tat Türkgücü den Garchingern diesen Gefallen nicht, "sie haben Fehler schmarotzt", so Weber. Nun soll es beim Punktspielstart klappen, auch wenn Daniel Suck und Mario Staudigl verletzt fehlen. "Mentalität schlägt Talent und ich hoffe, dass wir am Wochenende unsere Mentalität auf den Platz bringen", betont der VfR-Coach, genau die nämlich brauche man im Abstiegskampf. Ebenfalls hilfreich ist ein ausgewogener Kader, und da konnte Garching im Winter nachbessern: Simon Seferings, offensiver Mittelfeldspieler, kam von der zweiten Mannschaft des TSV 1860 München, außerdem kehrte der routinierte Torwart Sebastian Seibold, 31, nach einem Gastspiel in Berchtesgaden zu seinem ehemaligen Klub zurück, weil der zweite Keeper Joey Brenner nach einem Daumenbruch aus der Hinrunde immer noch nicht fit ist. Und in Valentin Micheli, 21, schloss sich ein Mittelfeldspieler den Garchingern an, der beim FC Bayern ausgebildet wurde, zuletzt für Wacker Burghausen spielte und nach drei Kreuzbandrissen nun einen Neubeginn anstrebt. "Er wollte sich bei uns nur fit halten, dann habe ich erwidert, er soll einfach zu uns kommen", sagt Weber. Micheli wird schon gegen Fürth im Kader stehen, soll nach und nach an längere Einsätze herangeführt werden. Womit die Frage bleibt, wer im Sommer beim VfR das Ruder übernehmen könnte. Der neue Sportdirektor Ludwig Trifellner sondiert derzeit den Markt. Daniel Weber will sich explizit nicht an der Trainersuche beteiligen; das war bei der Bestellung des neuen Managers anders: "Ich hatte bei Lous Verpflichtung die Finger im Spiel, weil wir einen Mann brauchten, der ein breites Kreuz hat und über ein riesiges Netzwerk verfügt. Und ich wusste, dass das auf ihn zutrifft." Außerdem sei es für ihn leichter, mit jemandem zu arbeiten, den er kennt und mag, "als mit einem, auf den ich keine Lust habe". Im Sommer könnte sich noch mehr ändern als nur die Personalie Weber: Auch dessen Assistent Günter Edahl, ein Garchinger Urgestein, wird womöglich aufhören; und es ist alles andere als klar, ob Kapitän und Leitfigur Dennis Niebauer, 31, dabeibleibt, was vor allem berufliche Gründe hat. "Manchmal schadet es einem Verein gar nicht, wenn er sich komplett neu sortiert", sagt Daniel Weber. Auch das haben Fußballklubs mit manchen Betrieben gemeinsam.
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Fangen wir mit der größten Übertreibung an: "Wäre ich nicht zum US-Präsidenten gewählt worden, dann wären wir heute in einem großen Krieg mit Nordkorea", sagt Donald Trump. Rechts hinter ihm sitzt die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und verschluckt sich fast. Ihre Demokraten im Halbrund des Repräsentantenhauses kann sie gerade noch davon abhalten, Trump auszubuhen. Pelosi hebt dafür nur sacht die Hände und blickt streng mit leicht gesenktem Kopf in die Reihen ihrer Parteifreunde. Ein Zeichen dafür, wie gut die ranghöchste und mächtigste Demokratin der USA ihre Leute im Griff hat. Trump hält seine State of the Union Address, die Rede zur Lage der Nation. Ein politisches und mediales Großereignis. Millionen Zuschauer verfolgen die Rede live, die der US-Präsident vor den Mitgliedern von Senat und Repräsentantenhaus hält, vor den Richterinnen und Richtern des Obersten Gerichtes, des Supreme Courts. Vor seinem versammelten Kabinett und einer Reihe anderer Würdenträger und Gäste. Es ist die größte Bühne des politischen Jahres. Trump darf die Rede endlich halten an diesem Dienstagabend in Washington. Mit einer Woche Verzögerung. Pelosi hatte ihre neue Macht genutzt, die sich mit ihrem Amt als Mehrheitsführerin des Repräsentantenhauses verbindet: Sie strich Trump den für den 29. Januar avisierten Termin. Wegen des Regierungsstillstandes, des Shutdowns, der das Land 35 Tage lang lähmte. Trump hatte vom Kongress vergeblich 5,7 Milliarden Dollar für den Bau einer Mauer zu Mexiko gefordert. Dafür braucht er nun die Stimmen der Demokraten, die im Repräsentantenhaus seit Jahresbeginn die Mehrheit stellen. Das ist neu für Trump. Es ist seine erste Rede vor einem Kongress, der nicht vollständig von Republikanern dominiert wird. Für die verbleibenden zwei Jahre dieser Amtszeit wird er auf die Demokraten angewiesen sein, wenn er noch irgendetwas erreichen will. Seine Redenschreiber im Weißen Haus haben sich alle Mühe gegeben, diesem Umstand Rechnung zu tragen. Und ihm ein Lob auf den Kompromiss und auf überparteiliche Lösungen ins Manuskript geschrieben. Trump hat das auch alles brav abgelesen. Im Vorfeld hieß es, er werde eine versöhnliche Rede halten. In den ersten Minuten ist das auch so. Das Land habe unbegrenztes Potenzial, sagte er. Er sei bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, um dieses Potenzial zu heben. Nicht als zwei Parteien, sondern "als eine Nation". Selbst Nancy Pelosi klatscht Wenn es denn nur wahr wäre. Pelosis Gesicht hinter ihm spricht Bände. Sie grinst seinen Hinterkopf an, als glaube sie ihm kein Wort. Trump macht weiter: Es sei nicht wichtig, Siege für die eigene Partei einzufahren. Sondern "Siege für das Land". Da klatschen auch Demokraten mit. Sie wären ja froh, wenn Trump das wirklich so sähe. Und dann hält es auch Pelosi nicht mehr auf ihrem Sitz. Trump sagt, die Politiker des Landes müssten jetzt "das grenzenlose Potenzial von Kooperation, Kompromiss und dem Gemeinwohl umarmen". Pelosi steht auf, beugt sich weit zu Trump vor und klatscht mit ausgestreckten Armen, so demonstrativ zustimmend, dass ihre Botschaft klar ist: Sie wird ihn an diesen Worten messen. Bisher nämlich hat er noch fast jeden Kompromiss in die Tonne getreten, der ihm nicht gepasst hat.
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Macht, dass es passiert! Lasst es wahr werden! PSOE-Wahlwerbung mit dem Konterfei von Pedro Sánchez auf einem Flaschencontainer in Madrid. Die Katalonienfrage hat das Land gespalten, fünf größere Parteien konkurrieren um Stimmen. Was ist von der Wahl am Sonntag zu erwarten? Antworten auf die wichtigsten Fragen. An diesem Sonntag wählen die Spanier ein neues Parlament - zum dritten Mal in weniger als vier Jahren. Die Neuwahlen sind notwendig geworden, nachdem die sozialistische Regierung im Februar nach nur wenigen Monaten an einer fehlenden Mehrheit für ihren Haushaltsentwurf gescheitert ist. Doch wenige Tage vor der Wahl ist noch vieles unklar. Welche Parteien konkurrieren um die Macht in Madrid? Fünf größere Parteien kämpfen um die Stimmen der Wähler. Die Zeiten, in denen nur zwei Parteien das politische Geschehen Spaniens bestimmten - die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) und die konservative Volkspartei (PP) -, sind endgültig vorbei. Bereits 2015 waren mit der linkspopulistischen Bewegung Podemos und den bürgerlich-liberalen Ciudadanos zwei neue Parteien ins Parlament eingezogen. In diesem Jahr wird aller Voraussicht nach mit Vox erstmals eine rechtsextreme hinzukommen - sie kann mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen. Relevant könnte nach der Wahl auch werden, wie viele Sitze an kleinere Regionalparteien aus Katalonien und dem Baskenland fallen. Wer könnte Spanien künftig regieren? "Ich strebe an, allein zu regieren, mit einer starken Regierung, die auf ihre eigenen Kräfte bauen kann", hatte PSOE-Chef Pedro Sánchez in einem Interview mit der FAZ Anfang April vollmundig verkündet. Doch dafür wird es nicht reichen, auch wenn die Sozialdemokraten, wie Umfragen nahelegen, mit knapp 30 Prozent eindeutig stärkste Partei werden. Nicht einmal eine Koalition mit Unidas Podemos, dem linkspopulistischen Bündnis von Podemos und Izquierda Unida unter der Führung von Pablo Iglesias, dürfte für die absolute Mehrheit von mindestens 176 Parlamentssitzen reichen. Eine linke Koalition könnte also erneut von den Stimmen der Regionalparteien in Katalonien und im Baskenland abhängig werden. Keine sehr angenehme Aussicht für die Sozialdemokraten, hatten doch gerade die separatistischen Hardliner in Barcelona die bisherige Sánchez-Regierung im Februar zu Fall gebracht, weil sie dieser die Zustimmung zum Haushalt verweigert hatten. Doch auch im rechten Lager ist eine absolute Mehrheit den letzten Umfragen vor der Wahl zufolge nicht in Sicht. Und das, obwohl die Volkspartei und die Ciudadanos (die Umfragen bei 20 und etwa 15 Prozent sehen) offenbar keinerlei Bedenken haben, sich von der Rechtsaußen-Partei Vox zumindest dulden zu lassen. Noch kurz vor der Wahl warnte PSOE-Chef Sánchez im Interview mit El País, es gebe "eine reale Gefahr, dass sich die Rechte mit der extremen Rechten verbündet". Der Sozialdemokrat Sánchez ist der Hauptgegner von PP und Ciudadanos. In den TV-Debatten diese Woche schien es zeitweilig allerdings so, als ob sich die beiden bürgerlich-rechten Parteien vor allem gegenseitig Stimmen abjagen wollten. Ciudadanos-Chef Albert Rivera und PP-Chef Pablo Casado zeigten sich hier, wie El País schrieb, in "wildem Kampf" um die Führung im rechten Lager. Politische Bündnisse jenseits des linken oder rechten Lagers sind wenig wahrscheinlich. Eine Koalition von PSOE und Ciudadanos könnte vielleicht rein rechnerisch eine Regierungsmehrheit erlangen. Doch die unterschiedliche Haltung in der Katalonienfrage - die Sozialdemokraten versuchten zu verhandeln, die Ciudadanos zeigten sich unnachgiebig gegenüber den Separatisten - hat einen deutlichen Graben zwischen den Parteien aufgeworfen. Ciudadanos-Chef Rivera hat sich im Wahlkampf klar positioniert: "Wir werden keine Deals mit Sánchez machen." Eine große Koalition von PSOE und der konservativen PP erscheint aus demselben Grund ausgeschlossen. Sie wird nicht einmal diskutiert.
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Besonders in den USA fordern heute viele eine Rückkehr zur nuklearen Energie, um den Klimawandel zu bremsen. "Falls der Podcast nicht korrekt abgespielt wird, kann er unter diesem Link aufgerufen werden" Vor acht Jahren hat Angela Merkel mit ihrem Kabinett den Atomausstieg beschlossen. Besonders in den USA fordern heute viele eine Rückkehr zur nuklearen Energie, um den Klimawandel zu bremsen. War Merkels Entscheidung also ein Fehler? Kann Atomenergie ein Konzept für die Zukunft sein? Darüber spricht in dieser Folge einerseits der SZ-Wissensredakteur Christoph von Eichhorn. Er erklärt den Stand der Forschung zu neuen Atomreaktoren, die angeblich sicherer und sauberer sind als bisherige Kernkraftwerke. Andererseits beschreibt Michael Bauchmüller, SZ-Korrespondent in Berlin, wieso Angela Merkel im Jahr 2011 entschieden hat, aus der Atomenergie auszusteigen, und warum eine Rückkehr mit der deutschen Energiepolitik kaum zusammenpasst. So können Sie den SZ-Podcast abonnieren "Das Thema" erscheint immer mittwochs um 17 Uhr. In der halbstündigen Audiosendung sprechen Redakteure der Süddeutschen Zeitung über ihre Themen und Recherchen. Alle Folgen von "Das Thema" finden Sie unter sz.de/das-thema, sobald sie erscheinen. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: iTunes Spotify Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. (Zum XML-Feed geht es hier lang.) Alle Folgen finden Sie auch auf Soundcloud, hier können Sie die Episoden auch herunterladen. Wie Sie unsere Podcasts hören können, erklären wir in diesem Text. Alle unsere Podcasts finden Sie unter: www.sz.de/podcast. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns: [email protected].
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Drei junge Mädchen sind in Berlin fremdenfeindlich beleidigt und attackiert worden. Im Ortsteil Marzahn schlug ein bislang unbekannter Mann eine 15- und eine 16-Jährige aus Syrien am späten Freitagnachmittag mehrfach mit der Faust ins Gesicht, wie die Polizei am Samstag mitteilte. Zuvor soll er sich den beiden demnach genähert und sie fremdenfeindlich beschimpft haben, als diese sich miteinander unterhielten. Die Mädchen erlitten bei dem Übergriff den Angaben zufolge Verletzungen im Gesicht und wurden ambulant im Krankenhaus behandelt. Im Stadtteil Neukölln versuchte laut Polizei eine zunächst unbekannte Frau, einer Zwölfjährigen das Kopftuch vom Kopf zu reißen. Die Angreiferin habe ihr am späten Freitagabend in der Hermannstraße an den Haaren gezogen und sie fremdenfeindlich beleidigt, hieß es. Zudem soll sie mit einer augenscheinlich mit Blut gefüllten Spritze mehrfach versucht haben, das Mädchen zu stechen, und sie mit Pfefferspray bedroht haben. Die 12-Jährige wurde bei der Attacke leicht verletzt. Die Staatsangehörigkeit dieses Mädchens war zunächst ungeklärt. In beiden Fällen ermittelt der Staatsschutz.
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Nach einem 0:0 gegen Palästina und einem 0:2 gegen Jordanien entlässt der syrische Verband den früheren DDR-Trainer Bernd Stange während der Grupenphase des Asien-Cups. Der 70-Jährige hatte angekündigt, nach dem Turnier in Rente zu gehen. Die letzte große Mission von Fußballtrainer Bernd Stange ist jäh beendet worden. Mitten in der Gruppenphase des Asien-Cups in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat ihn der syrische Verband als Nationalcoach entlassen. Das erste große Turnier seiner langen Karriere hatte sich der 70-jährige Stange anders vorgestellt. Bei seinem Amtsantritt vor elf Monaten hatte der frühere DDR-Auswahltrainer angekündigt, nach dem Asien-Cup in Rente zu gehen. Nach einem 0:0 gegen Palästina und einem 0:2 gegen Jordanien wird nun Fajr Ibrahim Syrien im letzten Vorrundenspiel gegen Australien coachen. "Natürlich ist der Trainer verantwortlich für die Leistung der Mannschaft. Wir sind extrem enttäuscht, denn wir wollten in die nächste Runde", sagte Stange, der sich stets als unpolitisch beschrieb und nur selten zum international geächteten syrischen Machthaber Baschar al-Assad äußerte. Das Nationalteam schaffte unter seiner Regie in elf Spielen nur drei Siege. Zuvor hatte Stange Trainer-Stationen im Irak, in Oman, Singapur, Weißrussland, Zypern, Australien und der Ukraine.
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Die Briten fliegen in diesem Sommer nicht mehr so viel wie in den Vorjahren, zeigt die Buchungslage. Im Bild der Flughafen Gibraltar. Easyjet hatte auch eine gute Nachricht. "Was immer passiert, wir fliegen normal weiter", vermeldete Johan Lundgren, Chef der zweitgrößten europäischen Billigfluggesellschaft. Seine Aussage bezog sich natürlich auf die verworrene Lage rund um den Brexit, in der die europäischen und britischen Fluggesellschaften versuchen müssen, neue Regularien einzuhalten, die sie zum großen Teil noch nicht kennen. Die nicht so gute Nachricht, die Lundgren auch verbreiten musste, sorgte indes dafür, dass die Easyjet-Aktie zeitweise etwa acht Prozent ihres Wertes verlor. Denn Lundgren warnte, der Ausblick für die zweite Hälfte des Geschäftsjahres 2019 müsse nun "vorsichtiger" sein. Bei Easyjet endet das Geschäftsjahr am 30. September. Die Airline mag auf den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union so gut vorbereitet sein wie sie will, die "makroökonomische Unsicherheit und die vielen unbeantworteten Fragen rund um den Brexit zusammen sorgen für schwächere Nachfrage." Vor allem die britischen Kunden fliegen im Sommer nach Lage der Buchungen offenbar weniger häufig, als das Unternehmen bisher angenommen hat. Vor allem im dritten Quartal, das bei Easyjet den Zeitraum April bis Juni einschließt und damit bereits einen guten Teil der Sommersaison abdeckt, wirkt sich dem Unternehmen zufolge die schwache Nachfrage aus. Das Timing ist besonders unglücklich, weil Easyjet oft den gesamten Gewinn im Sommer macht. Von Juli an rechnet das Unternehmen dann damit, die Ticketpreise wieder stabilisieren zu können, zumal bis dahin mehr Klarheit über den Zeitplan und Details des Brexit herrschen sollte. Im ersten Halbjahr machte das Unternehmen bei einem Umsatz von 2,3 Milliarden Pfund einen Verlust von 275 Millionen Pfund. Der Umsatz pro Sitz sank um 7,4 Prozent, auch deswegen, weil die Airline die Kapazität um 14,5 Prozent erweitert hat. Immer noch belastet wird das Ergebnis durch den Aufbau der Basis in Berlin-Tegel, die weiter Verluste schreibt. Easyjet hatte im Januar 2018 mit hohen Anlaufkosten die Station der insolventen Air Berlin übernommen, um die Präsenz im deutschen Markt zu stärken. Auch sonst sind die Kosten wegen der vielen Flugausfälle im vergangenen Jahr gestiegen - Easyjet musste nun wie viele andere Fluggesellschaften mehr Geld investieren, um den Flugplan weniger störungsanfällig zu machen. Die Probleme von Easyjet hatten auch Folgen für die Aktien anderer Fluggesellschaften. Lufthansa verlor zeitweise 1,6 Prozent, Air France-KLM 2,1 Prozent und Ryanair, die wie Easyjet besonders abhängig vom britischen Markt ist, gar 3,7 Prozent.
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Was am Wochenende wichtig war - und was Sie auf SZ.de am meisten interessiert hat. Das Wochenende kompakt Regierungskrise und Neuwahlen in Österreich. Nach dem Skandal um das Ibiza-Video seines zurückgetretenen Vizekanzlers Strache will Kanzler Kurz die Koalition mit der FPÖ nicht mehr fortsetzen. Kurz wolle durch die Aufkündigung des Regierungsbündnisses tatkräftig erscheinen, kommentiert Peter Münch. Doch er sei es, der Strache und die FPÖ erst salonfähig gemacht hat. Alle Texte zum Strache-Video finden Sie hier. EXKLUSIV Gudenus hielt noch wochenlang Kontakt zu vermeintlicher russischer Investorin. Nach Bekanntwerden des Strache-Videos hatte der inzwischen zurückgetretene Vizekanzler gesagt, es habe sich nur um eine "b'soffne G'schicht" gehandelt. Aber auch nach dem Treffen auf Ibiza hatte Straches engster politischer Verbündeter Gudenus offenbar den Kontakt aufrecht erhalten. Von SZ-Autoren Schweiz verschärft mit großer Mehrheit ihr Waffenrecht. Fast zwei Drittel der Wähler stimmen für die Änderung. Halbautomatische Waffen mit großen Magazinen sind künftig verboten. Zudem müssen Waffen besser markiert werden. Von Isabel Pfaff Deal zwischen FC Bayern und BMW geplatzt. Noch im März hatten beide Seiten die Pläne für eine Partnerschaft des Münchner Premium-Herstellers mit dem Club bestätigt. Nun bleibt Audi nicht nur Partner der Bayern, sondern verlängert sein Engagement um fünf Jahre bis mindestens zum Jahr 2030, zum Preis von 300 Millionen Euro. Von Max Hägler FC Bayern wird Deutscher Meister. Die Mannschaft von Trainer Kovac siegte am letzten Spieltag gegen dessen Ex-Team Eintracht Frankfurt 5:1 und machte damit den letzten Schritt zum siebten Titelgewinn in Serie, der 29. insgesamt. Durch den Münchner Erfolg war das 2:0 von Verfolger Dortmund bei Mönchengladbach wertlos. Bei Bayern steht gerade sehr viel zur Debatte. Dass es trotzdem zum Titel reichte, ist eine beunruhigende Botschaft an die Konkurrenz, kommentiert Claudio Catuogno. Niederlande gewinnen den Eurovision Song Contest. Der 25-jährige Duncan Laurence landet in Tel Aviv mit seinem Beitrag vor den Songs aus Italien und Russland. Als einziger von 26 Beiträgen hat das deutsche Lied null Punkte von den Zuschauern bekommen. Wegen der Jurywertung wurde das Duo S!sters zumindest Drittletzter. Von Hans Hoff 3 aus 24 - Meistempfohlen heute Wie man Bienen helfen kann. Lebensräume für Insekten lassen sich auch auf dem Fenstersims, dem Balkon oder im Garten einfach schaffen. Fünf Tipps. Von Manuel Kronenberg Wie weit dürfen Lobbyisten gehen? Nachdem Monsanto Listen von Kritikern hat erstellen lassen, fordern Politiker Aufklärung. Doch es herrscht Uneinigkeit darüber, was rechtlich und moralisch erlaubt ist. Von Markus Balser, Thomas Fromm und Max Hägler Streit tut gut! In Deutschland ist die Debattenkultur verkümmert. Wer radikale Forderungen aufstellt, wird nicht ernst genommen. Das ist ein Fehler. Denn ohne Konflikt gibt es keinen Fortschritt. Essay von Kathrin Werner SZ-Leser diskutieren​ Ihre Meinung zum Fall Strache: "Auf elegante Weise ist die korrupte Gesinnung des Herrn Strache bloßgelegt worden", schreibt earthbird. "Es geht ihm darum, den Staat zu übernehmen und nicht mehr aus seinen schmierigen Klauen zu lassen. Und da versichert man sich eben der ebenso hoch korrupten russischen Oligarchen-Elite. Hier hat sich etwas entlarvt, was sich entlarven musste. Der Rechtspopulismus ist im Kern pressefeindlich, autoritär und undemokratisch. Einig ist er nur darin, die Einheit Europas zu zerstören, ansonsten aber übereinander herzufallen. Staat gegen Staat, und jeder suche seinen eigenen maximalen Vorteil auf Kosten aller anderen. Man entlarve den Rechtspopulismus, wo sich nur die Gelegenheit bietet." Rosleh hofft für die Europawahl, "dass sich das Sprichwort bewahrheitet - Wer Wind sät, wird Sturm ernten - und der ganze Populistenspuk einen gewaltigen Dämpfer bekommt". Diskutieren Sie mit.
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In den kommenden Tagen will US-Justizminister William Barr dem US-Kongress eine überarbeitete Fassung des Mueller-Berichts übergeben. Es ist kaum zu erwarten, dass sich die Demokraten im Kongress damit zufrieden geben. Sie verlangen den vollständigen, nicht geschwärzten Bericht, den der Sonderermittler in der Russland-Affäre, Robert Mueller, am 21. März dem Justizminister übergeben hat. Inklusiver aller Beweise und Dokumente, die seinen Ausführungen zugrunde liegen. Die Chefs der zuständigen Ausschüsse im Repräsentantenhauses haben Barr eine Frist gesetzt, die Forderung zu erfüllen. Sie lief Anfang April ab. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die zu erwartende juristische Auseinandersetzung: Was erhoffen sich die Demokraten vom vollständigen Bericht? Die Führerin der Demokraten im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, hat es diese Woche auf den Punkt gebracht: Sie vertraut Mueller, aber nicht Justizminister Barr. Anders gesagt, die Demokraten wollen sich ein eigenes Bild machen und sich nicht allein auf einen Justizminister verlassen, den Trump gerade erst ins Amt geholt hat. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in den USA ein hohes Gut, warum haben die Demokraten so wenig Vertrauen in den Minister? Barr war bereits unter dem im Herbst verstorbenen US-Präsidenten George H. W. Bush Justizminister und bringt eine Menge juristischer Erfahrung mit. Allerdings hat er im vergangenen Sommer ungefragt seine Einschätzung zu den Mueller-Ermittlungen an das Justizministerium übersandt. Darin kommt er zu dem Schluss, dass die Mueller-Ermittlungen gegen Trump wegen des Verdachts der Justizbehinderung zu weit gingen. Dieser kam auf, nachdem Trump im Mai 2017 erst FBI-Chef James Comey feuerte, der damals die Russland-Ermittlungen leitete, und später auch den für Comey eingesetzten Sonderermittler Mueller entlassen wollte. Wovon nur der Justiziar des Weißen Hauses Trump so gerade noch abhalten konnte. Barr befand, der Präsident habe dazu das Recht. Diese unaufgeforderte Analyse war dessen Eintrittskarte ins Justizministerium, glauben die Demokraten. Barr hat in der vergangenen Woche zudem für erhebliche Irritationen gesorgt. In einer Kongress-Anhörung erklärte er, das FBI habe womöglich 2016 die Trump-Kampagne "ausspioniert". Die Demokraten warfen Barr daraufhin vor, Trump nach dem Mund zu reden. Der US-Präsident hatte selbst vor einiger Zeit Spionage-Gerüchte in die Welt gesetzt, um sich als Opfer dunkler Machenschaften eines von Demokraten durchsetzten FBI hinstellen zu können. In den Anhörungen weigerte sich Barr auch, Trumps Aussage geradezurücken, die Ermittlungen seien nur eine "Hexenjagd" gegen ihn gewesen. Er konnte sich nur zu der Erklärung durchringen, dass das eine Frage des Standpunktes sei. Nicht zuletzt sind Mitarbeiter aus Muellers Ermittlungsteam offenbar nicht glücklich mit Barrs Brief. Nach Medienberichten sollen sie gesagt haben, dass ihr Bericht Trump in deutlich größere Schwierigkeiten bringen kann, als die Zusammenfassung vermuten lasse. Wie hat Barr denn den Mueller-Bericht zusammengefasst? Der Justizminister übermittelte bereits zwei Tage, nachdem er den knapp 400-Steiten starken Bericht in den Händen hatte, seine vierseitige Zusammenfassung an den Kongress. Barr lieferte im Kern zwei Schlussfolgerungen: 1. Mueller hat keinen Beweis gefunden, dass Trump oder einer seiner Leute im Wahlkampf 2016 vorsätzlich mit der russischen Regierung zusammengearbeitet haben, um die US-Wahl zu gewinnen. Niemand bezweifelt, dass das so ist. Nur wenige haben erwartet, dass Mueller ein rauchender Colt in die Hände fällt, ein über jeden Zweifel erhabenen Beweis, dass es eine vorsätzliche Zusammenarbeit mit Russland gab. Es gibt allerding Dutzende Hinweise, dass es anders gewesen sein könnte. Aus Gerichtsakten etwa sind über 100 Treffen mit russischen Offiziellen bekannt, an denen mindestens eine Trump nahe stehende Person beteiligt war. Die Demokraten hoffen, dass sie über die bekannten Fakten hinaus Hinweise in dem Bericht finden, die zumindest den politischen Schluss untermauern, dass es die Zusammenarbeit gegeben hat, auch wenn diese Hinweise nicht die Beweiskraft haben, um vor Gericht bestehen zu können. 2. Mueller hat Trump in der Frage der Justizbehinderung weder für schuldig erklärt, noch ihn von jeder Schuld freigesprochen. Diese Entscheidung hat allerdings Barr übernommen. Er entschied, dass es keinen Anlass gibt, Trump weiter wegen Justizbehinderung zu verfolgen. Seine Begründung: Da der US-Präsident sich ja auch nicht der kriminellen Kooperation mit Russland schuldig gemacht habe, habe er auch kein Motiv gehabt, die Justiz zu behindern. Das ist aus Sicht der Demokraten eine zumindest gewagte These. In seiner Zusammenfassung liefert Barr keine Indizien, die für oder gegen seine Entscheidung sprechen. Schon das ist für die Demokraten Grund genug, den vollständigen Bericht sehen zu wollen. Trump hat - verfälschend, aber von Barr unwidersprochen - den Vier-Seiten-Brief von Barr als "totale Rehabilitierung" seiner Person dargestellt. Warum will Barr dem Kongress keinen vollständigen Bericht zur Verfügung stellen? Er macht bestimmte Geheimhaltungsregeln geltend, denen das Justizministerium angeblich verpflichtet ist. Dazu gehört das ungeschriebene Gesetz, dass keine Ermittlungsergebnisse über Personen bekannt werden, die nicht angeklagt sind. In der Konsequenz würde das bedeuten, dass auch über Trump kein Wort in dem geschwärzten Bericht zu lesen sein wird. Die Demokraten machen allerdings geltend, dass dieser Fall wegen des großen öffentlichen Interesses anders gelagert ist. Zudem wurden in der jüngeren US-Geschichte Berichte von Sonderermittlern stets offen behandelt. Zwei solcher Berichte hat es gegeben. Einen zur Watergate-Affäre von Präsident Richard Nixon. Und einen zu Präsident Bill Clintons Sex-Affäre mit einer Praktikantin des Weißen Hauses. Im Bericht von Sonderermittler Kenneth Starr zu Clintons Sex-Affäre konnten selbst pikante Details der Liaison nachgelesen werden. Allerdings sind danach die Veröffentlichungsregeln für künftige Berichte von Sonderermittlern deutlich verschärft worden. Ein zweites Argument von Barr ist, dass Akten der im Geheimen tagenden Grand Jury grundsätzlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Eine Grand Jury ist ein aus Zivilisten zusammengesetztes Gremium, welches Ermittlungsergebnisse der Anklage und deren Zeugen sichtet. Die Grand Jury entscheidet dann zusammen mit den Anklägern, ob die vorgetragenen Fälle vor Gericht landen. Sonderermittler Robert Mueller hat intensiv mit einer Grand Jury zusammengearbeitet. Mehrere Dutzend Anklagen sind daraus hervorgegangen. Sollten die Grand-Jury-Akten nicht öffentlich werden dürfen, dann dürfte der redaktionell überarbeitete Mueller-Bericht recht dünn ausfallen. Die Demokraten sagen, dass eine Grand Jury auf Antrag und unter bestimmten Bedingungen die Akten freigeben kann. Barr jedoch hat erklärt, er habe zunächst nicht vor, um eine Freigabe zu bitten. Was können die Demokraten tun, um den vollständigen Bericht zu bekommen? Mit ihrer Mehrheit in den entscheidenden Ausschüssen im Repräsentantenhaus können sie den Bericht formell "vorladen". Der dortige Justizausschuss hat seinen Vorsitzenden Jerrold Nadler bereits autorisiert, so eine rechtlich bindende Vorladung auszusprechen. Die Vorladung ist die schärfste Waffe, die die Demokraten in ihrem Arsenal haben. Allerdings lässt sie sich nicht beliebig einsetzen. Weigert sich etwa Barr weiterhin, den Mueller-Bericht für den Kongress freizugeben, müsste Nadler vor Gericht ziehen. Das kostet Zeit und frisst Ressourcen. Die Demokraten könnten sich bald schon gezwungen sehen, auch Trumps Steuerklärungen per Vorladung anzufordern, deren Herausgabe das Finanzministerium gerade zu verschleppen versucht. Auch dieser Streit wird wohl vor Gericht landen. Erfahrungsgemäß sind mehr als zwei oder drei solcher Vorladungsverfahren in einer Legislaturperiode von nur zwei Jahren kaum zu bewältigen. Eine weitere Variante ist, dass zumindest die Geheimdienstausschüsse im Kongress vollständigen Einblick in alle Mueller-Akten bekommen. Sie könnten sich etwa auf den Patriot Act berufen, der ihnen praktisch unbegrenzten Zugang zu Informationen der Auslandsgeheimdienste garantiert. Da vieles in den Mueller-Ermittlungen den russischen Staat betrifft, könnte das eine Brücke zum vollständigen Mueller-Bericht sein, schreibt Vicki Divoll in der New York Times. Divoll war von 2001 bis 2003 juristischer Beraterin des Geheimdienstausschusses im Senat. Der Haken an der Sache: Der Mueller-Bericht würde mit ziemlicher Sicherheit nicht öffentlich werden. Die US-Bürger könnten sich also kein eigenen Bild vom Inhalt machen. Die Demokraten könnten doch auch einfach Sonderermittler Robert Mueller zu einer Anhörung vorladen, oder? Ja, es ist nur zweifelhaft, ob das viel bringt. Mueller müsste dafür eine Aussagegenehmigung des Justizministeriums einholen. Und die wird an Bedingungen geknüpft sein. Mit dem wahrscheinlichen Ergebnis, dass Mueller vor dem Kongress nicht mehr sagen darf, als in der Zusammenfassung von Barr oder dem überarbeiteten Bericht steht. Ähnliches dürfte zu erwarten sein, wenn Barr selbst vorgeladen wird, über den Mueller-Bericht zu sprechen.
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Privatschulen haben das Recht auf die Auswahl ihrer Schüler, findet der Berliner Senat. Die Entscheidung der Waldorfschule war kontrovers diskutiert worden, auch Berlins Schulsenatorin Scheeres sah sie "sehr kritisch". Die Entscheidung einer Berliner Waldorfschule, das Kind eines AfD-Politikers abzulehnen, ist nach Einschätzung des Berliner Senats rein rechtlich völlig in Ordnung. Das Vorgehen der Schule sei auf dieser Ebene "nicht zu beanstanden", teilte die Senatsschulverwaltung mit. Das habe eine Bewertung des Falls ergeben. Privatschulen hätten das Recht auf die Auswahl ihrer Schüler. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei dabei nur "eingeschränkt anwendbar", nämlich "bei Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft", hieß es weiter. Privatschulen könnten ihren Unterricht im Hinblick auf Erziehungsziele, Weltanschauung, Methoden und Inhalte eigenverantwortlich gestalten. Diese Gestaltungsfreiheit gelte auch für die Auswahl der Schüler. AfD sieht "Ausgrenzung und Sippenhaft" Die Waldorfschule hatte nach langen Diskussionen von Lehrern und Eltern die Aufnahme des Kindes des Berliner AfD-Abgeordneten abgelehnt. Zur Begründung hieß es im vergangenen Herbst, die Schule sehe keine Möglichkeit, das Kind, das den zugehörigen Waldorf-Kindergarten besuchte, mit der nötigen Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit aufzunehmen. Berlins Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) sah die Entscheidung damals "sehr kritisch". Auch der Bund der Freien Waldorfschulen hatte erklärt, er wünsche sich, dass die Schule ihre Entscheidung noch einmal überdenke. Der Berliner AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski sprach von "Ausgrenzung und Sippenhaft".
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Deutschlands größer Halbleiterproduzent Infineon spürt eine erste Abkühlung der weltweiten Konjunktur. Zwar ist im abgelaufenen Quartal, also von Oktober bis Dezember 2018, der Gewinn noch einmal deutlich gestiegen. Doch die Aussichten werden schlechter, vor allem die Nachfrage aus der Automobilindustrie als auch aus China nehme ab. "Wir haben die Herausforderungen eines schwieriger werdenden Umfelds bislang gut gemeistert", sagte Infineon-Chef Reinhard Ploss. Das Umfeld habe sich "spürbar abgekühlt", sagte Finanzchef Dominik Asam, der im April in gleicher Funktion zu Airbus wechselt. Nun würden vorsichtshalber die Investitionen um 100 bis 200 Millionen Euro reduziert. Davon seien vor allem Fertigungsanlagen betroffen. Die Erweiterung des Standorts Villach in Österreich bleibt davon indes unberührt sowie solche Fertigungen, die für die strategische Ausrichtung wichtig seien. In Österreich wird für 1,6 Milliarden Euro ein neues Werk gebaut. Die Infineon-Aktie ging am Dienstag zunächst nach unten, erholte sich im weiteren Tagesverlauf allerdings wieder. Die Münchner liefern unter anderem Halbleiter für Autos. In Elektrofahrzeugen, noch dazu in autonom fahrenden, werden deutlich mehr Chips gebraucht als in solchen mit herkömmlichen Antrieben. Zudem zählen die Energie-, die Mobilfunk- sowie die Sicherheitsbranche zu den wichtigen Kunden. Auch andere große Chiphersteller hatten zuletzt ihre Aussichten nach unten korrigiert. Infineon gilt dabei noch als relativ optimistisch. Der Umsatz soll um etwa neun Prozent steigen.
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Wer an einer namhaften Business School studieren möchte, muss zuvor einen Bewerbungsessay schreiben. Dabei geht es auch darum, seine Motivation überzeugend zu formulieren. Zeugnisse, Referenzschreiben, Lebenslauf und ein Sprachtest sowie der Graduate Management Admission Test (GMAT), der Sprachkenntnisse und mathematische Grundlagen abfragt, sind wichtige Elemente im anspruchsvollen Bewerbungsverfahren fürs Studium an einer renommierten Business School. Sie sagen aber nur wenig über die Persönlichkeit des Kandidaten aus. Diese Lücke schließt der Bewerbungsessay. "Der Bewerbungsessay ist das einzige flexible Element in einem sonst eher mechanischen Bewerbungsprozess", sagt Tobias Dauth, der im Zulassungskomitee der Leipzig Graduate School of Management (HHL) sitzt. Der Admission Essay bietet den Bewerbern die Chance, der Hochschule einen Eindruck von ihrer Persönlichkeit zu vermitteln. Im Idealfall zeigt der Text, dass sich der Bewerber intensiv mit der Hochschule auseinandergesetzt hat, motiviert ist und weiß, was er erreichen möchte. Wichtig sei, dass die Interessenten auch darlegen, was sie geben können: "Sie sollten klare Vorstellungen davon haben, welche Ziele sie mit dem Programm verfolgen und welche Qualifikationen sie mitbringen, von denen ihre Kommilitonen profitieren können", sagt Ralf Bürkle, Sprecher der Mannheim Business School. Das Hauptkriterium dafür, ob ein Bewerber an der gewünschten Business School angenommen wird, ist der Essay aber nicht. "In den letzten Jahren ist an der HHL niemand ausschließlich wegen seines Essays ausgesiebt worden", erinnert sich Dauth. Umgekehrt kann er bis zu einem gewissen Grad ein schlechtes Abschneiden im GMAT oder dem Sprachtest ausgleichen. Bewerber sollten einen locker-leichten Ton finden, der neugierig macht, und ihre Motivation auf ein bis zwei Seiten knapp und präzise formulieren. "Eine klare Struktur, saubere Formatierung und keine Rechtschreib- oder Flüchtigkeitsfehler sollten selbstverständlich sein. Schließlich haben die Bewerber ausreichend Zeit zum Schreiben", sagt Bürkle. Wichtig ist auch das optische Erscheinungsbild. Grelle Farben, riesige Logos und bunte Grafiken rufen einen Werbeeffekt hervor, der nicht an jeder Hochschule gut ankommt. "Auf Effekthaschereien sollte verzichtet werden", sagt Dauth von der HHL. Auch zur Bewerbung an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht (EBS) in Oestrich-Winkel (Hessen) gehört ein Motivationsschreiben. Doch liegt der Fokus eher auf dem sich anschließenden persönlichen Gespräch, zu dem überzeugende Bewerber eingeladen werden. Dieses ist an den meisten Business Schools der zweite und letzte Schritt im Bewerbungsverfahren. An der Mannheim Business School müssen die Kandidaten zusätzlich eine Fallstudie lösen und bei einem zweiten Interview bestehen. An der EBS hält der Bewerber im Vorstellungsgespräch einen kurzen Vortrag zu einem selbstgewählten Thema, etwa zu einem Hobby, sozialem Engagement oder zu einer politischen Fragestellung. "Interviews sind facettenreicher als ein bis zwei Seiten Text. In dem einstündigen Gespräch lernen wir den Bewerber kennen und können beurteilen, ob er zu uns passt", sagt Anna Schneider, Sprecherin der EBS. In den USA gehören ein- bis zweiminütige Bewerbungsvideos ebenso zum Alltag, wie der Einsatz von Robotern für Interviews. "In Deutschland gibt es Vorbehalte gegenüber dieser Technik", sagt Dauth und spielt damit auf den Datenschutz und die Wertschätzung gegenüber dem Bewerber an. Er findet, dass innovative Bewerbungsformat auch deutsche Business Schools bereichern würden, sieht aber gleichzeitig die Gefahren, die diese mit sich bringen: "Der Essay gehört zur ersten Stufe der Bewerbung, auf der wir ein möglichst objektives Bild des Kandidaten erhalten möchten", sagt Dauth. Ein Ziel, über das Bewerbungsvideos hinausschießen. Aus diesem Grund hat die HHL auch die 2016 entstandene Idee einer App, mit der Bewerber einen kurzen Film über sich drehen sollten, verworfen. Ein Stück weit kreativ sein, das dürfen Bewerber beim Admission Essay durchaus. Dauth erinnert sich an einen Kandidaten, der seine Fähigkeiten in einzelnen Balkendiagrammen darstellte. "Das war gut zugänglich und ist mir in Erinnerung geblieben." Und darauf kommt es letztendlich an. In Erinnerung zu bleiben, um es in die nächste Runde des Bewerbungsprozesses zu schaffen: das persönliche Interview. Den Führungsetagen ein kleines Stück näher.
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Der Rückkehrer erzielt zwei Tore. Kiel gewinnt deutlich gegen Bochum und spielt weiter um den Aufstieg mit, auch St. Pauli bleibt im Rennen. Rückkehrer Anthony Modeste hat den Fußball-Zweitligisten 1. FC Köln vor der ersten echten Krise unter Trainer Markus Anfang bewahrt. Der eingewechselte Franzose traf im ersten Heimspiel seit seiner Rückkehr (83./90.+5) doppelt und führte den FC gegen Abstiegskandidat SV Sandhausen zum wichtigen 3:1 (0:1)-Sieg. Köln kletterte damit wieder auf den zweiten Tabellenplatz. Schon bei seinem Comeback beim jüngsten 2:3 in Paderborn hatte Modeste gleich nach seiner Einwechslung getroffen, nun war er in der 83. Minute per Kopf erfolgreich. Zuvor hatte Andrew Wooten (4.) zur frühen Führung für die Gäste getroffen, die mit nur einem Sieg aus den vorangegangenen zwölf Ligaspielen angereist waren. Dominick Drexler (49.) sorgte kurz nach der Pause für den Ausgleich. Das Kölner Umfeld hatte schon vor dem Spiel die Zukunft von Trainer Anfang beim FC infrage gestellt. "Damit er Rosenmontag noch FC-Trainer ist", titelte der Express, müsse das Team gegen Sandhausen, bei Erzgebirge Aue (27. Februar) und beim FC Ingolstadt (3. März) mindestens sieben Punkte holen. Vor 49.600 Zuschauern schockte der Abstiegskandidat den Favoriten schon nach nicht einmal vier Spielminuten: Die Gäste störten von Beginn an früh den Kölner Spielaufbau und hatten damit Erfolg, Dennis Diekmeiers Flanke von der rechten Seite verwertete Wooten zur Führung. In der Folge fand der FC lange nicht zu seinem dominanten Spiel und arbeitete vor allem mit langen Bällen, bis zur Pause kam Anfangs Mannschaft nur zu einer echten Torchance: Jhon Cordobas Heber (45.+1) strich knapp über die Latte. Köln kam dann leicht verbessert aus der Kabine, Drexler traf nach einem Freistoß von Johannes Geis aus kurzer Distanz. Wenig später hatte Marco Höger (59.) beinahe per Hacke Erfolg, in der Schlussphase vergab erneut Cordoba (81.) völlig frei. Doch dann schlug Modeste zweimal zu und ließ die FC-Fans jubeln. Kiel siegt weiter Holstein Kiel nimmt die Aufstiegsplätze ins Visier, der VfL Bochum stürzt immer rasanter ab. Die Störche setzten sich beim Ex-Bundesligisten mit 3:1 (3:0) durch und kletterten auf den fünften Rang - zwei Punkte hinter Union Berlin auf dem Relegationsplatz. Während die Kieler seit sechs Spielen ungeschlagen sind, kassierte der VfL die vierte Niederlage in Folge. Die Mannschaft von Trainer Robin Dutt verschwindet im Niemandsland der Tabelle - elf Punkte hinter dem Dritten, ebenso elf Zähler vor dem 16. FC Ingolstadt. Alexander Mühling nach einem kapitalen Fehler von Dominik Baumgartner (30.) und Janni Serra per Elfmeter nach einem Foul von Tim Hoogland an Jae Sung Lee (32.) sorgten mit einem Doppelschlag für die Vorentscheidung. Masaya Okugawa beseitigte mit einem Abstaubertor nach einem Schuss von Serra (41.) noch vor der Pause die letzten Zweifel am Sieg der Gäste. Simon Zoller (77.) gelang vor 13.398 Zuschauern das Ehrentor für die Hausherren. Die Bochumer, die mit Aufstiegshoffnungen nach der Winterpause in die Restsaison gestartet waren, setzten damit ihre schwarze Serie gegen Kiel fort: Der VfL gewann auch im vierten Anlauf in der 2. Liga nicht gegen die Störche (zwei Niederlagen und zwei Remis). St. Pauli bleibt dran Der FC St. Pauli ist ebenfalls voll im Aufstiegskampf dabei. Eine Woche nach der 1:2-Heimpleite gegen Erzgebirge Aue bezwang der Kiezclub am Samstag den FC Ingolstadt dank einer Steigerung in der zweiten Halbzeit verdient mit 1:0 (0:0). Vor 29 546 Zuschauern im ausverkauften Millerntor-Stadion erzielte Winterzugang Alexander Meier (54. Minute) den umjubelten Siegtreffer für die Gastgeber, die drei Niederlagen in den vorherigen vier Spielen des Jahres kassiert hatten. Der Aufwärtstrend der weiter stark abstiegsgefährdeten Ingolstädter, bei denen Thorsten Röcher die Gelb-Rote Karte sah (90.+1) ist hingegen schon wieder gestoppt. Beide Mannschaften neutralisierten sich lange, so dass in den ersten 45 Minuten praktisch keine nennenswerten Einschussmöglichkeiten zustande kamen. Erst nach dem Wechsel übernahmen die Gastgeber das Kommando und kamen auch prompt zur Führung. Nach starker Vorarbeit von Daniel Buballa stand Meier goldrichtig und staubte mit seinem vierten Treffer für St. Pauli zur Führung ab. Erst jetzt suchten auch die Gäste die Offensive, doch der Ausgleich gelang nicht mehr. Da die Konkurrenten Union Berlin und 1. FC Heidenheim am Freitagabend Punkte liegen gelassen hatten, stellte der FC St. Pauli mit diesem wichtigen Dreier wieder den Anschluss an das Führungstrio her.
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Der Kurs des Euro ist am Donnerstag nach besser als erwartet ausgefallenen US-Konjunkturdaten gesunken. Am Abend wurde die Gemeinschaftswährung bei 1,1174 Dollar gehandelt und damit 0,2 Prozent tiefer als am Vortag. Am Nachmittag stützte ein überraschend starker Auftragseingang in der US-Industrie und ein unerwartet kräftiger Anstieg der amerikanischen Produktivität den Dollar, während der Euro im Gegenzug etwas unter Druck geriet. In den Monaten Januar bis März war die Produktivität in der größten Volkswirtschaft der Welt um 3,6 Prozent im Vergleich zum Zeitraum Oktober bis Dezember 2018 gewachsen. Bereits am Mittwoch hatte ein überraschend zuversichtlicher US-Notenbankchef dem Dollar Rückenwind verliehen. Jerome Powell, Vorsitzender der Fed, bewertete die weltwirtschaftliche Lage etwas zuversichtlicher. Somit wurden Spekulationen auf eine Zinssenkung der Fed in diesem Jahr durch die Äußerungen Powells zurückgedrängt. Die Ölpreise sanken. Ein Barrel (159 Liter) der US-Sorte WTI kostete mit 61,59 Dollar 3,2 Prozent weniger. Belastet wurden die Notierungen durch die US-Produktion, die auf immer neue Rekordstände steigt. Daten des amerikanischen Energieministeriums zeigten einen starken Aufbau der Bestände an Rohöl. Die Erdölpreise gerieten daraufhin unter Druck. Unterstützt werden die Preise dagegen durch die Aussicht auf ein anhaltend knappes Angebot an Erdöl. Am Donnerstag lief eine Ausnahmegenehmigung aus, mit der die USA einigen Ländern erlaubten, trotz amerikanischer Sanktionen weiterhin Rohöl aus Iran zu beziehen. Ob das Ölkartell Opec in die Bresche springt und seine Produktion entsprechend ausweitet, ist ungewiss. US-Präsident Donald Trump verlangt dies. Saudi-Arabien kann sich dagegen eine Verlängerung der mit anderen Produzenten vereinbarten Förderreduzierung, die zur Jahresmitte ausläuft, vorstellen.
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Nikolaos Zisis schmiss staunend seine beiden Hände auf die Stirn, er war überwältigt von dem Wurf, den er gerade gesehen hatte. Zisis, 35, kann eigentlich nichts mehr so leicht beeindrucken im Basketball, der Grieche vom Bundesligisten Brose Bamberg hat alles erlebt, alles gewonnen, was dieser Sport in Europa an Titeln so hergibt. Aber der Wurf von Tyrese Rice am Donnerstagabend beim Spiel in Vechta war ein Kunstwerk, von dem Zisis ganz sicher später noch seine Enkeln erzählen wird. "Damals in Vechta, als mein Mitspieler Rice ..." So könnte die Erzählung beginnen. 6,1 Sekunden waren in der regulären Spielzeit noch zu spielen, Aufsteiger Rasta Vechta führte 84:81, als Zisis den Ball zu Rice einwarf. Der Amerikaner dribbelte in die rechte äußere Ecke des Spielfeldes, eng bewacht von seinem Gegenspieler Maximilian Dileo, der fuchtelte wild mit seinen Armen im Gesicht von Rice, der Bamberger war in die Falle getappt. Das glaubten alle, es war eigentlich kein Platz zum Werfen. Die Sekunden rannen von der Uhr, drei Sekunden waren noch zu spielen, als Rice eine Eingebung hatte, er machte mit dem linken Fuß einen Schritt vor, drückte sich ab und sprang zurück, er hatte sich mit dieser Finte, diesem sogenannten step back jump shot ein bisschen Platz verschafft, er warf auf einem Bein im hohen Bogen über Dileo hinweg. Der Ball flog und flog, ehe er sich im Ring noch kreiselte und schließlich hindurchflutschte. 84:84 und noch 1,3 Sekunden zu spielen. Es war der Wurf, der Bamberg in die Verlängerung brachte. Ein irrsinniger, eigentlich ein unmöglicher Wurf, aber Rice ist ein Artist am Ball, der manchmal sogar zu zaubern vermag und dann selbst seine erfahrenen Mitspieler zum Staunen bringt. Die Geschichte der Verlängerung ist schnell erzählt. Die Bamberger gewannen die Partie mit 101:95, weil sie frischer und routinierter waren. Mit dem - wettbewerbsübergreifend - elften Sieg in Serie überholten sie Vechta auch in der Tabelle und liegen nun auf Rang drei. "Wir haben gut als Team harmoniert", fasste Rice die Partie zusammen, in der er 30 Punkte und neun Korbvorlagen sammelte. Der 31-Jährige klang ziemlich nüchtern, fast zu emotionslos nach so einer bemerkenswerten Leistung. Um seinem "Wahnsinnswurf", wie ihn sein Kollege Patrick Heckmann nannte, machte er kein großes Aufheben. "Natürlich war am Ende auch etwas Glück dabei", gab Rice immerhin zu, "auch bei meinem Wurf. Wichtig ist aber, dass wir gewonnen und einen Schritt nach vorne gemacht haben." In der Tat war der Erfolg in Vechta, wo vorher sowohl Meister München als auch Berlin das Nachsehen hatten, ein weiterer Beleg für die gedeihliche Entwicklung der Bamberger unter Federico Perego, 34. Der jüngste Trainer der Liga hat den Profis des neunmaligen deutschen Meisters nicht nur die Freude an der Arbeit zurückgebracht, sie haben auch sehr vieles von dem Lehrinhalt schon umgesetzt, was er sich vorgenommen hatte. Vor allem in der Defensive ist die Mannschaft nicht wieder zu erkennen, wo sie unter Peregos Vorgänger Ainars Bagatskis noch einen Hang zur Sorglosigkeit praktizierte. Inzwischen verteidigen die Oberfranken ihren eigenen Korb wieder mit so viel Hingabe wie Dagobert Duck seinen Geldspeicher. Auf diese Weise konnten sie in der ersten Hälfte auch die gefürchteten Distanzwerfer Vechtas aus dem Spiel nehmen. "Es nimmt in der Offensive Druck von einem, wenn man weiß, dass man hinten Stopps hat", beschreibt Heckmann den Lernerfolg. Das neue Pflichtbewusstsein in der Verteidigung müssen die Bamberger auch in den nächsten Spielen beibehalten. So steht am nächsten Mittwoch das Hinspiel im Champions-League-Viertelfinale gegen AEK Athen an, es folgt am Sonntag darauf das Heimspiel gegen Alba Berlin, ehe Bamberg am 3. April nach Athen reist. "Für uns kommen jetzt Wochen, die voll sind mit sehr wichtigen Begegnungen", sagte Perego in der Pressekonferenz, "das heute war der Anfang und wir werden versuchen, da gut durchzukommen." Die Endrunde der letzten Vier ist das Ziel der Bamberger im europäischen Wettbewerb, in der Bundesliga wollen sie noch einen Platz nach oben klettern, um München im Idealfall in den Playoffs bis zum Finale aus dem Weg gehen zu können. Auf die Erfahrung und die Kunstfertigkeit von Tyrese Rice wird es dann wieder ankommen, der seine Stepbackwürfe im Training regelmäßig trainiert. "Wir können uns bei Tyrese bedanken, dass er uns damit das Leben gerettet hat", sagte Heckmann in Vechta voller Bewunderung. Rice ließ sich auch am Ende kein Eigenlob entlocken und stellte lapidar fest: "Manchmal fallen die Würfe, manchmal nicht. Heute sind sie gefallen."
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Wer ermessen wollte, mit welchem Willen, welcher Passion und Leidensfähigkeit Kira Walkenhorst ihrem Beruf als Beachvolleyballerin nachging, der konnte davon einen Eindruck bei den Weltmeisterschaften 2017 in Wien gewinnen. Nach dem Viertelfinale gegen die Amerikanerinnen Summer Ross und Brook Sweat saß die Blockspielerin abgekämpft in der Mixed Zone am Rande des mächtigen Stadions auf der Donauinsel und berichtete den erstaunten Journalisten, sie habe noch am Morgen vor Schmerzen ihren Arm nicht heben können. Im Spiel war davon nichts zu sehen, Kira Walkenhorst aus Essen agierte am Netz so dominant wie eh und je. "Sie würde nie abbrechen", erklärte ihre Partnerin Laura Ludwig bewundernd, "selbst wenn ihr der Arm abfallen würde." Schmerzen aushalten zu können und Widrigkeiten zu ertragen, das war eine der herausragenden Eigenschaften einer Athletin, der in ihrer Karriere nichts in den Schoß gefallen ist. Im Gegenteil: Kira Walkenhorst musste sich durchsetzen, sie musste Widerständen trotzen, die zarter besaitete Charaktere zur Aufgabe gezwungen hätten. Als Ausnahmeathletin hat sie alles erreicht, was sich im Sport erträumen lässt: Olympiasiegerin 2016, Weltmeisterin 2017, Europameisterin 2015 und 2016. Nun ist Schluss mit 28 Jahren, der geschundene Körper verweigert die Gefolgschaft: "Mein Körper erlaubt mir keinen Leistungssport mehr", so lässt sie durch den Deutschen Volleyball-Verband (DVV) offiziell vermelden: "Alles andere als Laura nahezulegen, sich eine andere Partnerin zu suchen, mit der sie ihre Ziele erreichen kann, erschien mir unfair." "Ich konnte in den letzten Wochen nie länger als 30 Minuten trainieren" Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, das war in den vergangenen sechs Jahren das Traumpaar des deutschen Beachvolleyballs. Nach dem Gewinn der olympischen Goldmedaille beim Turnier an der Copacabana in Rio de Janeiro wurden sie hofiert und genossen die Auftritte im Rampenlicht. Sie wurden ausgezeichnet als Beachvolleyballer des Jahres, als Mannschaft des Jahres: Zwei Frauen aus einer sonst nur am Rande wahrgenommenen Sportart waren für einige Monate fast so häufig auf dem roten Teppich wie im Sand zu sehen. Knapp zwei Jahre später ist dieses grandiose Duo, das den Rest der Welt nach Belieben dominierte, nun Geschichte. Aus und vorbei. Kira Walkenhorst kann nicht mehr. Sie muss ihrer schier unendlichen Krankengeschichte Tribut zollen. Verletzungen und Rückschläge kennzeichnen ihren Karriereweg, trotz eines Kreuzbandrisses, trotz Pfeifferschen Drüsenfiebers und eines Meniskusschadens hatte sie sich immer wieder zurückgekämpft. Doch diesmal funktionierte es trotz einer mehr als ein Jahr dauernden Zwangspause nicht mehr. Anfang Dezember teilte Kira Walkenhorst schon via Facebook mit, dass es mit dem für Anfang 2019 avisierten Comeback nichts wird: "Ich konnte in den letzten Wochen nie länger als 30 Minuten trainieren. Entweder ist mir unter Belastung die Rippe rausgesprungen oder die Hüfte und die Schulter haben dicht gemacht. Trotz aller Behandlungen hat sich der Zustand nicht verbessert, was für alle Ärzte und Physios ein echtes Rätsel ist."
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Die Musik spielt anderswo. Das merken sie schnell, die Liberalen, die sich im Berliner Hans-Dietrich-Genscher-Haus versammelt haben. Ein paar hundert Meter weiter nur, im Garten der Heinrich-Böll-Stiftung, gibt es wirklich was zu feiern: Da steigt die Wahlparty der Grünen. Als aber bei der FDP die erste Prognose auf der Großleinwand erscheint, quittieren die Liberalen das eigene Ergebnis mit Schweigen. 5,5 Prozent für die FDP bei der Europawahl - das ist nicht gut. Und würden die Zahlen noch weiter sinken im Laufe des Wahlabends, das wissen hier alle, dann wäre das sogar richtig schlecht. Als dann die erste Prognose aus Bremen kommt, kommt doch noch so was wie Jubel auf. Sechs Prozent für die FDP - damit wäre der Wiedereinzug in die Bürgerschaft klar geschafft. Das immerhin hebt die Stimmung. Seit dem Wiedereinzug in den Bundestag 2017 lautet das Mantra in der FDP Stabilität. Stabile Umfragewerte weit genug über der Fünf-Prozent-Hürde seien mehr wert als kurzlebige Höhenflüge, predigte Parteichef Christian Lindner. Die Parole hatte verfangen. Zumindest bis zu diesem Wahlabend. "Wir sind heute Abend kein großer Wahlgewinner, aber wir sind ein kleiner Wahlgewinner", versucht Lindner das Europa-Ergebnis halbherzig schönzureden, als er vors Parteivolk tritt. Im Vergleich zur vorigen Europawahl habe man immerhin eine Million Stimmen hinzugewonnen. Die erhoffte Verdreifachung des Ergebnisses aber habe man verfehlt. Warum man hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben sei, werde man nun analysieren. Vor ein Rätsel stellt das schwache Abschneiden bei der Europawahl die Partei aber nicht wirklich. Die FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer hatte ihren Wahlkampf mit der Bürde bemerkenswerter Unbeliebtheit in der eigenen Partei bestreiten müssen. Mit miserablen 58,6 Prozent war sie im April zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt worden - zur Strafe, weil sie die bisherige Amtsinhaberin Marie-Agnes Strack-Zimmermann von ihrem Posten verdrängt hatte. Nicht verfangen hatte überdies offenbar ein Wahlkampf, der die Partei als moderne, technikaffine pro-europäische Partei zu präsentieren versucht hatte. Umso wichtiger ist für die Liberalen das Resultat in Bremen. Lindner schickt denn auch eine "herzliche Gratulation" zur dortigen Spitzenkandidatin Lencke Steiner. Vor vier Jahren war die Wahl in Bremen eine wichtige Etappe gewesen auf dem Weg zur politischen Wiederauferstehung. Der damals 29-jährigen Seiteneinsteigerin Steiner gelang es damals, die FDP mit 6,6 Prozent der Stimmen zurück in die Bürgerschaft zu führen. Steiner, die erst am Wahlabend in die FDP eintrat, sprach damals nicht ganz zu Unrecht von einer "Sensation". Nicht nur hatte sie das Resultat der Liberalen in Bremen verdreifacht, sie gab auch der seit 2013 außerparlamentarischen Bundespartei Hoffnung. Im Februar war den Hamburger Liberalen die Rückkehr in die Bürgerschaft gelungen, nun sah es schon fast nach einem Trend aus. Wäre die FDP nun wieder aus der Bürgerschaft geflogen, hätten die Liberalen fürchten müssen, dass auch das wieder einen Trend begründet. Die Europawahl vor fünf Jahren wiederum hatte die FDP noch tief im Jammertal erwischt. Sie kam auf 3,4 Prozent, womit sie noch deutlich unter jenen 4,8 Prozent blieb, mit denen sie im Jahr zuvor an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl gescheitert war. Nur dem Umstand, dass es eine solche Hürde bei der Europawahl nicht gibt, verdankte sie den Einzug mit drei Abgeordneten. Nun sind es gerade einmal zwei, bestenfalls drei mehr. Im Wahlkampf hatte die FDP gerade zuletzt damit punkten wollen, Teil eines großen Bündnisses mit der Renaissance-Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu sein - und somit den CSU-Mann Manfred Weber als EU-Kommissionspräsidenten verhindern zu können. Wer zum Beispiel Grüne wähle, wähle hingegen womöglich Weber. Die grüne Spitzenkandidatin Ska Keller habe das doch schließlich nicht ausgeschlossen. Eine Stimme für die FDP, behaupteten die Liberalen, sei hingegen eine Stimme für die bisherige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager aus Dänemark. Was das betrifft, können die Freien Demokraten immerhin noch hoffen.
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Der Angriff auf eine Synagoge in den USA hat weltweit Entsetzen ausgelöst. Das Attentat sei nicht nur ein Angriff auf die Freiheit von Jüdinnen und Juden, "es ist zugleich ein Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft und auf unsere Werte", schrieb der Zentralrat der Juden in Deutschland am Sonntag auf seiner Facebook-Seite. Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, sagte: "Es gibt absolut keine Rechtfertigung oder Erklärung für solche Gewalt." Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, sagte, Gotteshäuser würden zunehmend zu bevorzugten Zielen für Terroristen und religiöse Extremisten. Sechs Monate, nachdem ein Neonazi in Pittsburgh elf Menschen in einem jüdischen Gotteshaus erschossen hatte, stürmte am Samstag, dem letzten Tag des jüdischen Pessachfestes, ein Mann in der kalifornischen Stadt Poway die Chabad-Synagoge und schoss mit einem Schnellfeuergewehr um sich. Dabei tötete er eine 60 Jahre alte Frau. Drei weitere Menschen wurden verletzt, unter ihnen ein achtjähriges Mädchen und der Rabbiner der Synagoge. Augenzeugen berichteten, die Waffe habe dann wohl eine Fehlfunktion gehabt. Der Täter, ein 19 Jahre alter Student, floh und ließ sich später festnehmen. Ermittler entdeckten im Internet ein unter seinem Namen veröffentlichtes Manifest mit rechtsextremen Verschwörungstheorien, in dem der Autor sich auf den Schützen von Pittsburgh berief. Auch der Mann, der im neuseeländischen Christchurch im März zwei Moscheen überfallen und Dutzende Muslime getötet hatte, wird erwähnt. Die Polizei untersucht, ob es sich beim Urheber um den Schützen von Poway handelt. Zudem prüft sie eine Verbindung zwischen dem Mann und einem Brandanschlag im März auf eine Moschee. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, die Tat habe "das Herz des jüdischen Volkes getroffen". Auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, zeigte sich schockiert: "Die Bekämpfung von Hass und Intoleranz und insbesondere von Antisemitismus bleibt vor diesem Hintergrund unsere allerdringlichste Aufgabe - in den USA, in Deutschland und in aller Welt", sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. US-Präsident Donald Trump verurteilte den Angriff ebenfalls. Bundesaußenminister Heiko Maas äußerte sein Mitgefühl. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verwies angesichts des Holocaust-Gedenktags in Israel an diesem Donnerstag auf zunehmende antisemitische Hetze. Die Welt müsse handeln, um Hassrede durch Anführer und Privatleute zu bekämpfen. "Wir haben in den vergangenen Monaten einen besorgniserregenden Wiederanstieg antisemitischer Angriffe beobachtet", sagte der Vorsitzende von Yad Vashem, Avner Shalev. Rabbiner Goldschmidt sieht eine Mitverantwortung sozialer Netzwerke an der Tat: "Die großen Internetkonzerne sollten dafür verantwortlich gemacht werden, eine Plattform für Rassismus, Antisemitismus und Hass zu bieten".
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Als Stadionsprecher Holger Laser in der 73. Minute des Bundesligaspiels zwischen dem VfB Stuttgart und dem FSV Mainz 05 die Zuschauerzahl bekanntgab, war das ein ziemlich schlechter Zeitpunkt. Eine Minute zuvor hatten die Gäste aus Mainz das 3:0 durch Alexander Hack erzielt und auf den Sitzplatztribünen der Stuttgarter Arena strömten gerade sehr viele der 51.881 Menschen den Ausgängen entgegen. Rund 20 Minuten vor dem Abpfiff wollten viele VfB-Anhänger einfach nicht mehr mit ansehen, wie leicht sich ihre Mannschaft unten auf dem Rasen von pfiffigen Mainzern die Punkte abnehmen ließ. Die Ultras aus der Kurve brachten ihre Unzufriedenheit mit der bitteren Situation im Abstiegskampf und der drohenden Heimpleite mit Rufen gegen die Vereinsführung um Klubboss Wolfgang Dietrich zum Ausdruck. "Dietrich raus" hallte es durch die Arena. Und dann blieb es minutenlang gespenstisch still, während das Spiel so dahinplätscherte. Es war, als kippe die Stimmung in Stuttgart gerade wieder einmal gefährlich. Doch mit einer seltsam spektakulären Schlussphase konnte die Mannschaft eine Eskalation der negativen Stimmung noch vermeiden. Durch Kopfballtreffer des eingewechselten Nicolas Gonzalez (83.) und von Innenverteidiger Marc-Oliver Kempf (85.) verkürzte der VfB urplötzlich noch auf 2:3; die Ultras beendeten für das Finale ihr Schweigegelübde und fast wäre dem VfB noch der Ausgleich gelungen - aber der Schuss des eingewechselten Anastasios Donis knallte nur an den Pfosten (86.). Die kuriosen letzten zehn Minuten versöhnten den im Stadion gebliebenen Anhang des VfB zwar nicht, aber er nährte wenigstens die Hoffnung, dass diese Mannschaft sich doch gegen den drohenden Abstieg wehren wird. Und VfB-Trainer Markus Weinzierl durfte seinen Spielern doch noch pflichtbewusst "eine gute Moral" attestieren. Mainz ist die vielleicht unterschätzteste Mannschaft der Saison Und dennoch: Statt mit einem Sieg Punkte und Selbstvertrauen zu gewinnen, erlitt der VfB zum Rückrundenauftakt im Abstiegskampf einen empfindlichen Rückschlag. Der VfB verlor nach dem 0:1 (22.) durch ein Eigentor von Santiago Ascacibar (der Argentinier hatten einen Schuss von Jean-Paul Boëtius abgefälscht) Zutrauen und Elan. Die Mainzer hingegen gewannen bis zur Schlussphase die Kontrolle und schienen nach den weiteren Toren von Jean-Philippe Mateta (28.) und Alexander Hack (72.) einem ungefährdeten Sieg entgegen zu sehen. Aber der Verwaltungsmodus tat den Mainzern nicht gut. Und nach dem 1:3 schien sich die Elf angstvoll an die jüngsten Erlebnisse in der Vorbereitung zu erinnern, als sie drei Mal eine 2:0-Führung nicht über die Zeit retten konnte. Diesmal gewannen die Mainzer aber und Sportvorstand Rouven Schröder durfte zurecht konstatieren: "Wir haben die 24 Punkte nicht umsonst." Trainer Schwarz freute sich über die "gute Entwicklung der jungen Mannschaft", die bis auf die aufregende Schlussphase tatsächlich lange eine erstaunlich reife Leistung zeigte. Die Mainzer sind die vielleicht unterschätzteste Mannschaft dieser Saison, sie überzeugen immer mehr auch fußballerisch. Der VfB hingegen bekommt weiterhin zu leicht zu viele Gegentore und tut sich schwer, Chancen herauszuspielen. Das Torverhältnis des Tabellensechzehnten von 14:38 nach 18 Spieltagen ist verheerend. Zwei von drei Neuzugängen des Winters brachte Weinzierl gleich von von Beginn an: Steven Zuber (Hoffenheim) und Alexander Esswein (Berlin) deuteten auf den offensiven Außenbahnen durchaus an, Verstärkungen zu sein, ohne aber komplett zu überzeugen. Rekordtransfer und Innenverteidiger Ozan Kabak, 18, letzte Woche von Galatasaray Istanbul für elf Millionen Euro verpflichtet, fehlte noch im Kader. Dass die Stimmung auf den Rängen nicht komplett kippte, lag an der dramatischen Aufholjagd am Ende. Viel dürfen sich die Spieler aber nicht mehr leisten, um die Anhänger nicht zu verlieren. Innenverteidiger Timo Baumgartl weiß: "Die Fans sind ein wichtiger Faktor in Stuttgart, wir müssen sie zurückgewinnen." Doch einfach wird das nicht: Am nächsten Wochenende droht auswärts bei Rekordmeister Bayern München eine weitere Pleite, Baumgartl nennt diese Begegnung daher vorbauend schon einmal ein "Bonusspiel". Die beiden Begegnungen danach - zuhause gegen Freiburg und in Düsseldorf - bezeichnete er allerdings als "überlebenswichtig". Das gilt vor allem auch in Bezug auf die Gunst des Publikums, dessen Geduld nicht mehr lange strapaziert werden sollte. Wobei das Spiel gegen Mainz zeigte: Eine ähnlich stürmische Befreiung aus dem Abstiegskampf wie in der letzten Rückrunde unter Trainer Tayfun Korkut scheint diesmal nur ein Wunschtraum zu sein.
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Da stand er also, dieser 41 Jahre alte Quarterback, und er lauschte geduldig dieser Frage, die ihm so ähnlich seit ungefähr zehn Jahren gestellt wird. Es ging darum, dass vor der Spielzeit mal wieder ganz viele Experten den New England Patriots das Verpassen der Playoffs prognostiziert hatten, eine schreckliche Saison für das so erfolgreiche Trainer-Quarterback-Gespann Bill Belichick / Tom Brady, das Ende einer Football-Dynastie. Ob sich das nun, angesichts der vielen Apokalyptiker, umso besser anfühle, zum achten Mal nacheinander im Halbfinale zu stehen, wollte der pflichtbewusste Fragesteller wissen. Brady stand da, mehrere Sekunden lang, er lächelte gequält, und sein Blick verriet, was er gesagt hätte, gäbe es keinen Filter zwischen Gehirn und Mund. Irgendwas wie: "Na, was glaubst du denn, wie sich das anfühlt, wenn einen andauernd alle abschreiben und man dennoch gewinnt? Großartig fühlt sich das an, spektakulär, fantastisch, wenn man in jedem Jahr die Mäuler all jener stopfen kann, die einen für erledigt erklären." Brady besitzt jedoch einen prächtig funktionierenden Filter, also sagte er diesen Satz, und auf so eine profane Antwort muss man ja auch erst einmal kommen: "Ich mag es einfach zu gewinnen." Die Patriots stehen mal wieder im Endspiel der AFC, einer der beiden Conferences, aus denen sich die NFL zusammensetzt, und angesichts der achten Teilnahme nacheinander sollten sich die Liga-Verantwortlichen überlegen, ob sie diese Partie nicht in "Brady Invitational" oder "Belichick Bowl" oder "Und jährlich grüßt der Brady Tom" umbenennen sollten. Brady will zum neunten Mal in seiner Karriere den Super Bowl erreichen und seinen sechsten Titel gewinnen - doch natürlich sind die Patriots am Sonntag bei den Kansas City Chiefs nur Außenseiter. Mal wieder. Brady wird am Sonntag 41 Jahre und 170 Tage alt sein, und diese Partie wird auch deshalb ganz besonders interessant, weil der gegnerische Spielmacher Patrick Mahomes exakt 18 Jahre und 45 Tage jünger ist als er - beim ersten Titelgewinn von Brady besuchte er den Kindergarten. So einen Altersunterschied zwischen Quarterbacks hat es im NFL-Halbfinale noch nie gegeben, und da passt es, dass der Unterschied beim zweiten Duell - die New Orleans Saints empfangen die Los Angeles Rams - der zweithöchste der Geschichte sein wird: Saints-Quarterback Drew Brees, der am Dienstag seinen 40. Geburtstag gefeiert hat, ist 15 Jahre und 270 Tage älter als Jared Goff. Eine Prognose für beide Partien abzugeben, wäre in etwa so ergiebig wie eine Festlegung darauf, was nach dem Tod mit dem Menschen passiert. Die Rams zum Beispiel besitzen nach der Verpflichtung von C.J. Anderson nun plötzlich zwei herausragende Laufspieler (der andere ist Todd Gurley), sodass Goff am vergangenen Wochenende den umsichtigen Verwalter der Offensive geben durfte und nun so was sagen kann wie: "Kann sein, dass wir wieder so oft laufen werden - kann aber auch sein, dass ich bei mehr als 70 Prozent unserer Spielzüge den Ball werfen werde."
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Saki Stimoniaris wird bei der Wahl antreten. Islands Trainer beschwert sich über den Spielplan bei der Handball-WM. Dem FC Barcelona droht der Ausschluss aus dem spanischen Pokal. 3. Liga, 1860 München: Der Sprecher des umstrittenen Investors Hasan Ismaik beim TSV 1860 München, Saki Stimoniaris, will Präsident des Fußball-Drittligisten werden. "1860 braucht einen Präsidenten, der die Kräfte bündelt und sich aktiv für ein Miteinander in allen Gremien des Vereins einsetzt", erklärte der 47-Jährige am Freitag. Der 1860-Aufsichtsrat Stimoniaris hat nach eigenen Angaben tags zuvor seine Bewerbungsunterlagen dem Verwaltungsrat geschickt. "Sollte meine Position als Stellvertreter des Mehrheitsgesellschafters der KGaA in Verbindung mit dem Präsidentenamt des e.V. kritisch hinterfragt werden, so möchte ich diesbezüglich betonen: unabhängig davon, dass auch der amtierende Präsident problemlos einem Lager zugeordnet werden könnte, sehe ich gerade in der Überwindung des Lagerdenkens bei 1860 meine größte Herausforderung", erklärte Stimoniaris. Die Profi-Fußballabteilung der "Löwen" wurde 2002 aus dem Gesamtverein in die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA ausgegliedert. Ismaik erwarb bei seinem Einstieg im Juni 2011 als Investor zwar 60 Prozent der 1860-Anteile, aber nur 49 Prozent der stimmberechtigten Anteile. Streitpunkt war seitdem stets der nach seiner Ansicht zu geringe Einfluss auf die Geschäfte des TSV. Seit Juli 2017 ist Robert Reisinger gewählter Präsident von 1860 München. Nach dem Absturz in die Regionalliga hatte der heute 55-Jährige den Posten vom zurückgetretenen Peter Cassalette zunächst übergangsweise übernommen und sich danach mit deutlicher Kritik an Ismaik positioniert. In diesem Jahr wird beim TSV wieder gewählt. Handball, WM: Islands Trainer Gudmundur Gudmundsson hat den Spielplan der Handball-WM in Deutschland und Dänemark kritisiert. "Frankreich hat vor dem Spiel gegen uns zwei Tage frei, wir nur einen", sagte der Isländer: "Das ist nicht fair und muss geändert werden." Island hatte in der Gruppe B in München den dritten Platz erreicht und ist am Samstag (20.30 Uhr/ARD) der erste deutsche Gegner in der Hauptrunde in Köln. Bereits am Sonntag steht das Duell gegen Weltmeister Frankreich auf dem Programm. "Das ist gefährlich für die Gesundheit der Spieler. Sie brauchen einen Erholungstag. Darüber muss man reden", sagte Gudmundsson: "Wie kann man so etwas planen? Das verstehe ich nicht." Der einzige freie Tag sei ein Reisetag, sein Team habe in fünf Tagen vier schwere Spiele. Mitfavorit Kroatien, Olympiasieger Dänemark und Vize-Europameister Schweden starten mit der besten Ausgangslage in die Hauptrunde der Handball-WM. Ex-Weltmeister Kroatien besiegte Europameister Spanien in München mit 23:19 (13:10) und nimmt damit 4:0 Punkte mit in die deutsche Hauptrundengruppe I. Co-Gastgeber Deutschland und Titelverteidiger Frankreich haben 3:1 Zähler auf dem Konto, Spanien hingegen nur 2:2. Dänemark setzte sich gegen Vize-Weltmeister Norwegen in Herning mit 30:26 (17:14) durch. Überragender Spieler des Gastgebers war Mikkel Hansen mit 14 Toren. Neben Dänemark geht auch Schweden nach einem 33:30 (16:15) gegen Ungarn mit der optimalen Ausgangslage in die Gruppe II der Hauptrunde. Norwegen hat 2:2 Zähler auf dem Konto. Frankreich sicherte sich unterdessen beim Turnier-Debüt von Nikola Karabatic durch ein 23:22 (12:12) in Berlin gegen Russland den unbedeutenden Platz eins zum Abschluss der Vorrunde in der deutschen Gruppe. Nach seiner überstandenen Fußverletzung erzielte Karabatic bei drei Würfen aber keinen Treffer. Die vier noch offenen Tickets für die Hauptrunde lösten am Donnerstag Island, Tunesien, Brasilien und Ägypten. Fußball, Spanien: Dem spanischen Fußball-Meister FC Barcelona droht wegen eines peinlichen Fehlers das Aus im nationalen Pokalwettbewerb. Der Klub des deutschen Nationaltorwarts Marc-Andre ter Stegen hat bei der 1:2-Niederlage im Achtelfinal-Hinspiel bei UD Levante am 10. Januar den angeblich gesperrten Innenverteidiger Chuma eingesetzt. Der 19-Jährige hatte zuvor bei der zweiten Mannschaft in der Meisterschaft seine fünfte Gelbe Karte gesehen, die offenbar wettbewerbsübergreifend eine Sperre zur Folge hat. Levantes Präsident Francisco Catalan kündigte unmittelbar vor dem Rückspiel am Donnerstagabend in der katalanischen Metropole an, beim spanischen Verband Rechtsmittel einzulegen. Barca bestritt derweil, dass Chuma in der Copa de Rey gesperrt gewesen sei. Nach Angaben des Klubs müsse er nur beim nächsten Punktspiel pausieren. Basketball, Euroleague: Die Basketballer des FC Bayern haben beim Tabellendritten der Euroleague einen unglückliche Niederlage kassiert. Der deutsche Meister verlor am Donnerstagabend mit 70:77 (37:35) beim russischen Spitzenteam ZSKA Moskau. Bis zum Schlussviertel lagen die Münchner in Führung, danach brach das Team von Trainer Dejan Radonjić ein. Die Münchner erwischten einen exzellenten Start. Mit 20:6 führten die Bayern zwischenzeitlich im ersten Viertel. Der Euroleague-Champion von 2016 holte im zweiten Abschnitt den Rückstand wieder auf, ging aber nicht in Führung. Der noch ungeschlagene Tabellenführer der Bundesliga verteidigten bis zum Schlussviertel einen kleinen Vorsprung (57:52). Sieben Minuten vor dem Ende ging Moskau durch Sergio Rodríguez erstmals in Führung (61:60). Die Bayern haderten in der Schlussphase mit einigen Schiedsrichterentscheidungen und verloren das letzte Viertel deutlich mit 13:25. Petteri Koponen und Nihad Dedovic waren mit jeweils zwölf Punkten die besten Werfer bei den Gästen.
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Christian Winklers Bewegungsradius glich am Mittwochabend dem eines Spielers. Immer wieder veränderte der Manager des EHC Red Bull München seine Position, mal stand er neben der Strafbank seines Teams, dann plötzlich einige Meter weiter neben jener der Gäste. Begleitet wurden die vielen Positionswechsel mit teils heftigen Protestausbrüchen Richtung Schiedsrichter und kurzen, aber intensiven Momenten des Starrens auf sein Smartphone. Und nicht zu vergessen: einer Ansage an Mark Voakes. Der Münchner Angreifer betritt nach Drittelpausen immer als Letzter die Eisfläche der Olympia-Eishalle, so auch im ersten Playoff-Halbfinalspiel gegen die Augsburger Panther. Als der Kanadier am Mittwoch nach der fünften Pause aus der Kabine stapfte, gab ihm Winkler mit auf den Weg, er möge es jetzt doch bitte zu Ende bringen. Da Voakes nicht nur ein sehr angenehmer Zeitgenosse, sondern anscheinend auch ein äußerst vorbildlicher Mitarbeiter ist, setzte er Winklers Ansage in die Tat um - und beendete das Ganze. "In einer Situation wie dieser nimmst du jedes Tor, auch eines mit dem Hintern oder mit dem Kopf", sagte Voakes, der das entscheidende 2:1 in der dritten Verlängerung dann aber doch traditionell mit dem Schläger erzielte. Maximilian Kastner hatte ihn ideal bedient, und der 34-Jährige blieb - alleine vor Augsburgs Torhüter Olivier Roy - cool. 23.52 Uhr war es, als die Scheibe im Panther-Kasten lag und Voakes, der den Treffer relativ ruhig bejubelte, von seinen Teamkollegen wild angesprungen wurde. Die 102. Spielminute war die letzte an diesem denkwürdigen Abend. "Wir haben alle versucht, es zu Ende zu bringen", sagte Voakes hinterher. Als er nach dem außergewöhnlich langen Arbeitstag in die Kabine zurückkehrte, schallte es ihm von seinen Mitspielern entgegen: Danke, dass du es beendet hast. Normalerweise glänzt Voakes als Vorbereiter Dass es so lange gedauert hatte, lag an der starken Defensivleistung der Augsburger - und an Roy. Der Gäste-Torwart hielt 51 Schüsse, darunter einige, die eigentlich nicht zu halten waren. Voakes ließ sich davon auf dem Weg zum entscheidenden Treffer aber nicht beeinflussen. "In diesem Moment denkst du nicht darüber nach", erzählte er. "Du nimmst den Kopf hoch, schaust, was möglich ist, und triffst eine schnelle Entscheidung." In seinem Fall: die richtige. Unterschwellig half dem Stürmer womöglich auch seine persönliche Erfolgsgeschichte gegen Augsburg: Beim vierten EHC-Sieg gegen die Panther in dieser Spielzeit steuerte Voakes zum dritten Mal den entscheidenden Treffer bei. Ungewohnt war seine Rolle an diesem Abend dennoch, denn normalerweise ist er derjenige, der mit seinem feinen Auge und beeindruckenden Pass-Qualitäten Tore für die Mitspieler auflegt. Nicht umsonst sagt sein Sturmpartner Frank Mauer, Voakes habe auch im Hinterkopf Augen. "Ich weiß, dass ich mehr schießen könnte", sagte der Spielmacher Voakes, der an diesem Abend zum Vollstrecker wurde. "Ich bin glücklich, dass ich heute nicht gepasst habe, als ich schießen konnte." Das war schon beim Münchner 1:0 der Fall gewesen, als er Roy in Minute 54 mit einem harten Schuss in Überzahl bezwang. Da Augsburgs Brady Lamb nur eine knappe Minute später ebenfalls in Überzahl erfolgreich war, musste Voakes ein zweites Mal ran. Die letzten Interviews gab Voakes um 0.30 Uhr Damit verbuchte der vormalige Wolfsburger seine ersten zwei Playoff-Tore überhaupt im EHC-Dress. Im Viertelfinale gegen die Eisbären Berlin tat er sich noch schwer, in Schwung zu kommen. Die Serie gegen Berlin habe sich wegen der für Playoffs ungewöhnlich langen Pausen zwischen den Spielen "wie eine monatelange" angefühlt, berichtete er. "Es war schwer, in den Playoff-Rhythmus zu kommen." Voakes war leicht frustriert, behielt seinem Naturell entsprechend aber die Ruhe und blieb bei seinem Spiel. "So wie ich es sehe, kommst du aus so einer Phase nicht raus, wenn du nicht weiter hart arbeitest." Dabei half ihm auch das Wissen um den qualitativ stark besetzten Münchner Kader. "Wir haben viele gute Spieler", betonte er, "ich muss es nicht alleine erzwingen." Am Mittwoch nahm er es allerdings selbst in die Hand. Trainer Don Jackson sprach von einem "tollen Abend für ihn - und für uns." Als Voakes nach den letzten Interviews gegen 0.30 Uhr zum letzten Mal in die Kabine zurückkehrte, stand erst einmal Flüssigkeitszufuhr auf dem Programm. "Dir ist vielleicht nicht nach essen und trinken, aber du musst nach so einem langen Spiel", erklärte er. Am Donnerstag konnten die EHC-Spieler auf freiwilliger Basis trainieren. "Pause ist der Nummer-eins-Schlüssel", betonte Jackson nach dem seiner Meinung nach wohl längsten Spiel seiner Cheftrainer-Karriere. "Wir haben ja fast zwei Spiele in einem gespielt", betonte Voakes, der erwartet, dass es so weiter geht. Augsburg sei "eine ziemlich gute Mannschaft - nein, eine sehr gute." Er wird auch im zweiten Spiel an diesem Freitag in Augsburg sein Ding durchziehen. "Ich nehme das, was da ist", sagte er. "Mal schauen, was Spiel zwei zu bieten hat."
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"Es ist zwar nett hier, aber ich gehe jetzt woanders hin". Es war nur eine Pressekonferenz im fernen Washington, die Jens Weidmann am Freitag vorzeitig verließ, und Olaf Scholz, der neben dem Bundesbankchef gesessen hatte, lächelte wissend. "Das war abgesprochen", grinste der Bundesfinanzminister. Die Szene könnte sich schon bald in sehr viel größerer Dimension wiederholen. Denn nach allem, was man hört, hätte Weidmann große Lust, sein Amt als Bundesbankpräsident im Oktober abzugeben und auf den Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) zu wechseln. Er würde ein wichtiges Amt durch ein noch wichtigeres ersetzen - und Scholz würde einmal mehr raunen: "Das war abgesprochen." Der Bundesbankchef selbst ist klug genug, sich zu möglichen Karriereambitionen nicht zu äußern. In seinem Umfeld jedoch heißt es: "Weidmann will Geldpolitik machen" - jene Disziplin also, um die sich seit Einführung des Euro vor 20 Jahren nicht mehr die Bundesbank, sondern die EZB kümmert. Erst kürzlich sprach er sich in einem gemeinsamen Artikel mit seinem französischen Amtskollegen Francois Villeroy de Galhau für eine starke Kapitalmarktunion in Europa aus und machte damit deutlich, dass er längst über seinen derzeitigen Job hinausdenkt: Seht her, ich verstehe, was Europa braucht, und ich bin ein Kandidat für den EZB-Vorsitz, lautete die Botschaft. In Washington, wo Scholz und er am Frühjahrstreffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds teilnahmen, ist Weidmann ein gefragter Gesprächspartner. Er redet über die Wachstumsdelle der Weltwirtschaft, hat Zahlen, Daten, Fakten parat und schlägt den großen politischen Bogen. Auch zur Frage, was der nächste EZB-Chef anders machen müsse als der scheidende Amtsinhaber Mario Draghi, äußert er sich: "Der Normalisierungskurs ist angelegt", sagt er in schönstem Notenbanker-Deutsch. Gemeint ist: Die EZB wird Schritt für Schritt aus der Politik ultraniedriger Zinsen aussteigen, mit der sie die Währungsunion während der Euro-Krise zu Beginn des Jahrzehnts vor dem Auseinanderfliegen bewahrt hatte. Doch ob er tatsächlich Draghis Nachfolge wird antreten können, hängt weniger von ihm ab als von dem personellen Gesamtpaket, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die übrigen EU-Regierungschefs nach der Europawahl am 26. Mai schnüren werden. Nicht wenige sagen, Merkel sei das Amt des EU-Kommissionspräsidenten wichtiger als das des EZB-Chefs - schließlich kann sie den Brüsseler Behördenchef jederzeit anrufen, wenn etwa die deutsche Wirtschaft mit irgendwelchen EU-Regularien nicht klar kommt. Politische Kontakte mit der unabhängigen EZB sind da weit diffiziler. Zudem bewirbt sich mit Manfred Weber ein Politiker der CDU-Schwesterpartei CSU um das Amt des Kommissionschefs. Und auch Weidmann selbst könnte sich noch im Weg stehen, denn der Bundesbankpräsident hat im EZB-Rat immer wieder gegen einzelne Vorhaben zur Senkung der Zinsen votiert und damit viele unter Druck stehende Regierungen im Süden Europas massiv verärgert. Aus Bundesbankkreisen verlautet, man habe die Unstimmigkeiten durch Besuche etwa in Rom und Madrid längst ausgeräumt. Vielleicht ist das so. Vielleicht aber wird sich Weidmann auch bald an Scholz' Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble erinnern, der ihn schon 2013 gewarnt hatte, seine Dauerproteste etwa gegen das sogenannte OMT-Programm zum Kauf von Staatsanleihen könnten ihm eines Tages den Weg an die EZB-Spitze verbauen. "Respice finem!", raunte ihm der alte Lateiner Schäuble seinerzeit am Rande eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zu, in dem Weidmann die Beschwerden mehrerer Kläger gegen die EZB-Politik gestützt hatte. "Bedenke das Ende!"
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Große Krisen sind die Stunden großer Staatschefs. Nach dem Brand der Pariser Kathedrale könnte Macron seine Landsleute hinter sich und seine Reformvorhaben versammeln. "Le Grand Débat", so hat Emmanuel Macron seine Veranstaltungsreihe mit den Franzosen genannt. Über Monate ist er mit Ihnen ins Gespräch gekommen und hat über ihre Probleme debattiert. Es war die Antwort des Präsidenten auf die Proteste der Gelbwesten-Bewegung. Die Ergebnisse will Macron eigentlich am Montagabend bei einer Fernsehansprache vorstellen. Aber dann kommt ihm ein Ereignis dazwischen, das ganz Frankreich trifft: Notre-Dame de Paris, das Wahrzeichen und der Mittelpunkt Frankreichs, brennt. Macron besucht den Einsatzort, spricht mit Feuerwehrleuten und Kirchenvertretern. Die Reformen, die er am Montagabend vorstellen wollte, sind mittlerweile trotzdem an die Öffentlichkeit gekommen. Am überraschendsten, so der langjährige SZ-Korrespondent in Paris Stefan Ulrich, ist auf dem ersten Blick die Abschaffung der Eliteschule ENA. Weitere Themen: Schnellere Abschiebungen, Scheuer will Bahn attraktiver machen, Teuteberg soll FDP-Generalsekretärin werden. So können Sie unseren Nachrichtenpodcast abonnieren "Auf den Punkt" ist der Nachrichtenpodcast der SZ mit den wichtigsten Themen des Tages. Der Podcast erscheint von Montag bis Freitag immer um 17 Uhr. Sie finden alle Folgen auf sz.de/nachrichtenpodcast. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: iTunes Spotify Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Wie Sie unsere Podcasts hören können, erklären wir in diesem Text. Alle unsere Podcasts finden Sie unter: www.sz.de/podcast. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns: [email protected].
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Ein Überblick über die Hochrechnungen und Trends bei der Europawahl: Deutschland Bei der Europawahl werden die Grünen in Deutschland zweitstärkste Kraft und landen klar vor der SPD. Das geht aus ersten Hochrechnungen im Auftrag von ARD und ZDF hervor. Demnach kommen die Grünen auf 20,8 bis 21,8 Prozent und können ihr Ergebnis von 2014 in etwa verdoppeln. Die Sozialdemokraten landen demnach bei 15,6 Prozent und verlieren damit etwa elf Prozentpunkte. Die Union wird stärkste Kraft mit etwa 28 Prozent, fährt aber ebenfalls herbe Verluste ein. 2014 hatte sie noch 35,4 Prozent der Stimmen geholt. Die FDP und die Linke kommen Hochrechnungen zufolge auf 5,5 Prozent. Die AfD erzielt etwa 10,5 Prozent und landet damit auf dem vierten Platz (2014: 7,1 Prozent). Die Wahlbeteiligung liegt in diesem Jahr bei 60 Prozent und damit deutlich höher als 2014. Damals betrug sie 48,1 Prozent. Auch in vielen anderen EU-Ländern zeichnet sich eine höhere Wahlbeteiligung ab als zuletzt. Bei der Europawahl waren auch zahlreiche Kleinparteien angetreten. Unter ihnen schneiden den ersten Hochrechnungen zufolge die Satiriker von "Die Partei" am stärksten ab und kommen auf 2,6 Prozent. Sie entsenden damit drei Abgeordnete ins Parlament nach Brüssel. Die Freien Wähler kommen auf 2,2 Prozent und damit zwei Sitze. Die paneuropäische Partei Volt, die ÖDP, die Tierschutzpartei, die Familienpartei und die Piraten holen je einen Sitz. Anders als bei Bundestagswahlen gibt es bei Europawahlen in Deutschland keine Sperrklausel. In Bayern ist die CSU bei der Europawahl nach der neusten Hochrechnung mit 40,6 Prozent knapp vor ihrem Ergebnis von 2014 gelandet. Nach den Zahlen des Bayerischen Rundfunks vom frühen Sonntagabend lag sie damit 0,1 Prozentpunkte über ihrem bislang schlechtesten Ergebnis von vor fünf Jahren. Im Vergleich zur historischen Pleite bei der Landtagswahl 2018 kann sich die CSU ebenfalls wieder verbessern. Trends in Europa Am frühen Sonntagabend lagen erst wenige Prognosen auf Grundlage von Nachwahlbefragungen und letzten Umfragen aus einzelnen Ländern vor. Aufgrund von Umfragen und bisherigen Ergebnissen ist zu erwarten, dass EU-freundliche Parteien im neuen Parlament rund zwei Drittel der Abgeordneten stellen werden. Allerdings werden die christdemokratische Parteienfamilie EVP und die Sozialdemokraten künftig deutlich schwächer unter den 751 Europaabgeordneten vertreten sein. Einer ersten Prognose zufolge können sie gemeinsam keine Mehrheit mehr stellen. Liberale, grüne und rechte Parteien gewinnen deutlich hinzu. In Frankreich führt Marine Le Pens rechter "Rassemblement National" vor der Liste von Präsident Emmanuel Macron. Le Pens Partei erhielt rund 24,2 Prozent der Stimmen, wie der Nachrichtensender BFMTV am Sonntag nach Schließung der Wahllokale berichtete. Die Liste der Regierungspartei kam demnach auf 22,4 Prozent. In Spanien werden die regierenden Sozialisten (PSOE) erwartungsgemäß stärkste Kraft. Einer Umfrage zufolge können sie mit 18 Sitzen rechnen und damit klar hinzugewinnen. Die konservative Volkspartei kommt auf elf bis zwölf Abgeordnete (bislang 16), die liberalen Ciudadanos können ihre Abgeordnetenzahl voraussichtlich von zwei auf acht steigern. Die neugegründete rechte Vox kommt demnach auf vier bis fünf Sitze. In Portugal gewinnen die Sozialisten ebenfalls klar (30-34 Prozent), die Konservativen landen bei 20-24 Prozent. Aus Großbritannien lagen noch keine Hochrechnungen vor, erwartet wird aber, das Nigel Farages Brexit-Partei die Wahl gewinnen und Konservative wie Labour abgestraft werden dürften. Mit besonderer Spannung wurde für den späten Abend das Ergebnis der rechtspopulistischen Lega in Italien erwartet, da Parteichef Matteo Salvini die europäische Rechte einen und gegen die EU in jetziger Form in Stellung bringen will. In Österreich legte die konservative ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz deutlich zu, offensichtlich eine Folge des Videoskandals um den früheren Koalitionspartner FPÖ. Nach gemeinsamen Berechnungen mehrerer Meinungsforschungsinstitute kommt die ÖVP auf 34,5 Prozent, das sind 7,5 Prozentpunkte mehr als bei der EU-Wahl 2014. Die FPÖ kommt trotz des Skandals auf 17,5 Prozent, ein Minus von 2,2 Prozentpunkten im Vergleich zu 2014. Die sozialdemokratische SPÖ erreicht 23,5 Prozent, ein leichtes Minus von 0,5 Prozentpunkten im Vergleich zur letzten EU-Wahl. In Polen ist die regierende PiS-Partei ersten Prognosen zufolge als stärkste Kraft aus der Europawahl hervorgegangen. Sie kann mit 42,4 Prozent der Stimmen rechnen, geht aus der Umfrage des Instituts Ipsos hervor. Die Europäische Koalition - deren größte Kraft die liberalkonservativen Oppositionspartei Bürgerplattform von EU-Ratspräsident Donald Tusk ist - kann 39,1 Prozent auf sich vereinigen. In den Niederlanden - das bestätigten Trends, die das Europaparlament am Sonntagabend veröffentlichte - lagen die Sozialdemokraten um den Europa-Spitzenkandidaten Frans Timmermans völlig unerwartet vorn und kamen auf 18,1 Prozent. In Irland stachen die guten Ergebnisse der Regierungspartei Fine Gael mit 29 Prozent und der Grünen mit 15 Prozent heraus. Aktuelle Entwicklungen zur Europawahl im Liveblog:
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Die Bundestagswahl ist seit eineinhalb Jahren vorbei, aber die AfD stellt immer noch keinen Bundestagsvizepräsidenten. Das könnte sich an diesem Donnerstag ändern. Dann tritt die AfD-Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel zum dritten Mal zur Wahl an - und diesmal sind ihre Chancen besser als in den ersten beiden Durchgängen. Zum einen reicht im dritten Wahlgang die einfache Mehrheit, außerdem werden Enthaltungen nicht mehr berücksichtigt - bisher war die absolute Mehrheit der Abgeordneten nötig. Zum anderen schwindet in der Unionsfraktion der Widerstand gegen eine Wahl Harder-Kühnels. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus sagte Teilnehmerangaben zufolge am Dienstag in einer Sitzung seiner Fraktion, er habe mit der AfD-Politikerin gesprochen und werde sie wählen. Eine offizielle Empfehlung der Fraktionsspitze für Harder-Kühnel gibt es allerdings weiterhin nicht. Der AfD steht ein Vizepräsident zu, die Partei hat aber kein Anrecht darauf, dass jeder von ihr vorgeschlagene Kandidat gewählt wird. In den ersten beiden Wahlgängen hatte Harder-Kühnel 223 und 241 Stimmen erhalten, damals hätte sie noch die Unterstützung von 355 der 709 Abgeordneten benötigt. Zuvor hatte die AfD bereits Albrecht Glaser aufgestellt, dieser war jedoch dreimal durchgefallen. Am Montag hatte Harder-Kühnel an die Abgeordneten der anderen Fraktionen appelliert, im dritten Wahlgang den "Königsweg" der Enthaltung zu gehen. Nachdem die Mehrheit im Bundestag sie zweimal abgelehnt und so ihre kritische Haltung gegenüber der AfD deutlich gemacht habe, könne sie sich jetzt zumindest enthalten - und so ihre Wahl ermöglichen, sagte Harder-Kühnel.
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In Deutschland gibt es eine wachsende Gefahr durch gewaltbereite Rechtsextremisten. Das geht aus einer vertraulichen Analyse des Bundesamts für Verfassungsschutz hervor, der der Zeitung Welt am Sonntag vorliegt. Der Verfassungsschutz schreibt darin demnach von "rechtsterroristischen Ansätzen und Potenzialen", die sich "in unterschiedlichen Strömungen und Spektren der rechtsextremistischen Szene" entwickelten, "aber auch am Rande oder gänzlich außerhalb der organisierten rechtsextremistischen Szene." Besonders Kleingruppen und Einzelpersonen seien die Akteure dieser Entwicklung, klassische rechtsextreme Organisationen hätten an Einfluss verloren. Im Internet finde jedoch ein lebhafter Austausch zwischen diesen Personen und Gruppen statt, generell bestünden im Netz "hohe Risiken in Bezug auf Radikalisierung, Mobilisierung und Konspiration". In der nachrichtendienstlichen Arbeit müssten deshalb vor allem die Internetaktivitäten von Rechtsextremen beobachtet werden. Von Notz mahnt bessere Analysen der Sicherheitsbehörden an Die Analyse des Verfassungsschutzes zeigt allerdings auch: Quasi alle rechtsterroristischen Aktivitäten, etwa improvisierte Sprengstoffdelikte, Messerattacken oder Brandstiftungen, seien unzureichend organisiert. Es bestünden "eklatante Lücken zwischen Planung und Realität". Konstantin von Notz (Grüne), Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, sagte der Welt am Sonntag: "Rechtsextremistische Strukturen haben sich in den letzten Jahren massiv verändert. Sie sind heute für unsere Demokratie so gefährlich wie noch nie nach 1945". Gleichzeitig mahnt er eine bessere Analysefähigkeit Sicherheitsbehörden an. Wenn die Dienste in Zeiten der digitalen Vernetzung noch immer an starren Kategorien rechter Gruppen festhielten, sei man nicht gut aufgestellt.
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Als Theresa May am Abend in London in Downing Street vor ein hölzernes Pult trat, um eine Erklärung abzugeben, hatten Abgeordnete, Journalisten und Bürger schon reichlich Zeit gehabt, darüber zu mutmaßen, was sie sagen würde. Rücktritt? Neuwahlen? Kein Deal? Alles war gehandelt worden. Schließlich hatte May am Mittwochmorgen einen Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk geschrieben, in dem sie um eine Verlängerung des Austrittsverfahrens bis zum 30. Juni bittet. In ihrem Brief hatte May auch angedeutet, dass sie davon ausgehe, ihren zweimal abgelehnten Deal in der kommenden Woche doch noch durch das Parlament zu bekommen. Gelinge das nicht, so May, dann müsse das Parlament entscheiden, wie es weitergeht. Tusks Antwort allerdings brachte den Fahrplan von May erst einmal ziemlich durcheinander. Eine Verschiebung bis Ende Juni sei nicht erwünscht; er plädiere dafür, einer kurzen Verlängerung bis maximal Mitte Mai nur zuzustimmen, falls May kommende Woche durch das Parlament gehe. May zog sich mit Beratern in ihr Büro zurück, später rief sie die Oppositionsparteien zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Neue Gerüchte keimten auf, neue Vorschläge kursierten. Wäre es nicht das Beste, den Austrittsprozess zu stoppen und neu zu verhandeln? Labour-Chef Jeremy Corbyn habe das Treffen verlassen, hieß es - aus Protest dagegen, dass Chuka Umunna teilnahm. Umunna war bis vor kurzem Labour-Abgeordneter gewesen, ist aber aus der Partei ausgetreten und hat eine neue Gruppierung gegründet. Persönliche Rivalitäten in diesem Moment? Kopfschütteln vor der Downing Street. Ihre Ansprache klang, als habe sie die Antwort von Tusk nicht erhalten Schließlich also trat May vor die Kameras. Ihre kurze Ansprache allerdings klang, als habe sie die Antwort von Tusk am Nachmittag gar nicht erhalten - oder nicht zur Kenntnis genommen. Mit keinem Wort ging May darauf ein, dass der EU-Ratspräsident gegen ihren Wunsch argumentiert, den Brexit bis 30. Juni zu verschieben, kein Wort zur internen Debatte, kein versöhnliches Wort gegenüber den Angeordneten. Stattdessen machte May da weiter, wo sie mittags, in der Fragestunde der Premierministerin angefangen hatte: Sie kritisierte das Parlament harsch. Teilte mit, es sei ihr Deal - oder kein Deal. Und betonte, sie sei nicht bereit, eine lange Verschiebung des Austrittsdatums in Brüssel zu beantragen. Als hätte sie das nicht jüngst selbst ins Spiel gebracht - und zudem von der EU gehört, dass Großbritannien dann an der Europawahl teilnehmen müsse. Schon mittags hatte sie in einer kämpferischen, teils aggressiven Rede bei den Abgeordneten Befremden ausgelöst. Sie sagte, das Volk habe ein Recht auf den Brexit - und das Parlament habe nun lange genug "Nabelschau betrieben". Sie halte die Teilnahme an Wahlen zum EU-Parlament für "inakzeptabel", das könne den Briten nicht zugemutet werden. Daher habe sie nur eine Verschiebung des Austrittsdatums in Brüssel beantragt, die bis zum Zusammentreten des neuen EU-Parlaments reicht. Der Schlagabtausch im Unterhaus zeigte, dass May sich gegen das Parlament stellt, welches sie für die Krise verantwortlich macht. Es wurde auch klar, dass sie nicht vorhatte, einen Konsens im Unterhaus anzustreben, das den von ihr ausgehandelten Austrittsvertrag mit großer Mehrheit abgelehnt hatte. Diese Haltung, das war schnell klar, würde sie nach dem Ultimatum aus Brüssel aufgeben müssen. Britische Medien kritisieren May massiv Zuvor aber musste sie zahlreiche Angriffe abwehren. Auf zahlreiche Nachfragen von Abgeordneten, warum sie keine sogenannten indikativen Abstimmungen zulassen wolle, mit denen das Parlament seine Prioritäten für einen künftigen Vertrag mit der EU darlegen könne, antwortete sie, das Unterhaus habe die Gelegenheit dazu gehabt, aber alternative Lösungen abgelehnt. Deshalb sehe sie keinen Grund, noch einmal abzustimmen. Auf den empörten Hinweis von Labour-Abgeordneten, mit ihrem Deal, den sie kommende Woche offenbar zum dritten Mal einbringen will, tue sie aber genau das, konterte May, dies geschehe im Interesse des Volkes. Britische Medien kritisierten May nach ihrem Aufritt im Unterhaus deshalb massiv. Sie agiere "abgehoben von der Realität" und habe keine Autorität mehr, schrieb der Guardian. May habe sich endgültig in die Hand der Hardliner in der eigenen Partei begeben, die eine lange Verschiebung des Brexit-Termins mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Die Gefahr eines "No Deal", eines vertragslosen Austritts, so die Times, sei mit diesem Tag noch einmal stark gestiegen. Entsprechend kritische Berichte kamen auch aus dem Kabinett, auch dort wächst die Verärgerung über die Premierministerin. Mehrere Minister sollen mit Rücktritt für den Fall gedroht haben, dass sie den Hardlinern nachgibt, wieder andere drohten zu gehen, wenn sie eine lange Verschiebung beantrage, weil das die Gefahr eines weichen Brexits erhöhe. Im Parlament wurde derweil heftig debattiert, wie es nun weitergehen kann. Sollte May ihren Deal ein drittes Mal vorlegen, müsste sie das Votum des Parlamentssprechers John Bercow umgehen, der am Montag dekretiert hatte, eine dritte Abstimmung sei nur über eine "substanziell veränderte" Vorlage zulässig. Das Ultimatum aus Brüssel könnte ausreichend sein.
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Die Gelbwesten haben eine Debatte über soziale Milieus angestoßen. Ein einfaches "Die da oben gegen die da unten" funktioniert nicht mehr - in Frankreich und Deutschland. Wer hat meinen Vater umgebracht?", fragt der junge französische Autor Édouard Louis in seinem neuen Buch. Er steigt in die Köpfe, Körper und Schmerzen der Protestbewegung der Gilets jaunes, stellt sich auf deren Seite, obwohl sein Vater ihn tief enttäuscht hat, als er mit der Homosexualität des Sohnes nicht umzugehen wusste. Louis, inzwischen gebildet und seinem Herkunftsmilieu entfremdet, findet zurück zur Empathie für den Vater, als er die Gelbwesten sieht und in ihren vielen Körpern den Körper seines Vaters erkennt. Er sieht in ihnen seine sozialen Vorfahren und distanziert sich von dem Milieu, in das er durch Bildung aufgestiegen ist. Er bringt der Gewalt der Gelbwesten nicht nur Verständnis entgegen, aber er sieht in ihr die angemessene Reaktion auf eine durch Ignoranz gewalttätig agierende Elite, die sich erlaubt, mit dem Leben der unteren Schichten wie mit Modelliermasse umzugehen. Obwohl dem Autor nun vorgeworfen wird, er zeichne ein Klischee der Arbeiterklasse, ließe sich das auch umgekehrt deuten: Er macht aus dem zum Klischee gewordenen Arbeiter voller Ressentiments wieder einen Menschen. Indem er von seinem Vater erzählt, führt er die soziale Kälte einer Gesellschaft vor, die lieber mit Zahlen hantiert als mit Schicksalen. Eine Elite, die noch in der Konfrontation mit ihrer eigenen sozialen Kälte zum kritischen Handwerk der Distanzierung greift. Frankreichs Präsident Macron sucht die Nähe zu den Protestierenden und rief die "Große Nationale Debatte" aus. Macron begreift, auch um seine Präsidentschaft zu retten, dass der Dialog nicht von Davos aus geführt werden kann. Er reist in kleine Ortschaften, redet bis zu sechs Stunden mit den wütenden Bürgern, während hierzulande noch debattiert wird, wie gewalttätig Protest sein darf. Macron will die Botschaft verstanden haben und verschiebt die Diskursräume hin zu jenen, die vom politischen Diskurs ausgeschlossen werden, von den politischen Maßnahmen jedoch betroffen sind. Die Gelbwesten erreichen, was "Occupy!" misslang, weil diese Proteste ziellos und harmlos verliefen. Angeführt wurde Occupy von den Analytikern der Probleme und nicht von den Betroffenen. Zum ersten Mal seit Langem reagiert in Europa die Politik mit konkreten Angeboten auf Bürgerproteste. Leider erst, nachdem die Proteste gewalttätig geworden waren. Gerade deshalb distanzieren sich hierzulande viele Intellektuelle von den Protestierenden, alles andere könnte als Bejahung von Gewalt verstanden werden. Gewalt ist stets zu verurteilen. Aber eine Politik, die nicht zuhört, sollte mindestens mit derselben Heftigkeit angeprangert werden, vor allem dort, wo es um Alltagsnöte der Bürger geht. Es sei Macrons Gewalt gewesen, meint Louis, die seinem Vater das Essen vom Teller nahm. Ist das Vulgärsoziologie? Mag sein. Macrons Kürzungen aber wurden nicht mit derselben Empörung als vulgärsoziale Gerechtigkeit beschimpft. Die Radikalität der französischen Intellektuellen ist vielen hierzulande schwer erträglich. Harte Lebensbedingungen seien keine Entschuldigung für "die falschen politischen Positionen". Die Abwehrhaltung legt jedoch einen blinden Fleck auch der deutschen Intellektuellen und Schriftsteller bloß: Man wiegt sich hier sicher im Ästhetischen. Insbesondere die Literatur hat sich nicht zu sehr um das echte Leben zu bemühen, sie gehört dem Schönen und Guten an, fernab von tagespolitischer Relevanz. Botschaften wie "die da oben" gegen "uns da unten" gelten als populistisch. Ist es nicht die Aufgabe von Intellektuellen zu verstehen, wodurch diese Distanz hergestellt wurde, statt das Gefühl des Ausgegrenztseins moralisch überlegen als reine Elitenfeindlichkeit zu diskreditieren? Für viele Bürgerinnen Europas ist der derzeit viel beschworene Zusammenhalt ein Zusammenhalt der anderen. Die ausgeschlossenen Perspektiven werden nicht Teil der nationalen Debatten. Hierzulande gelingt es derzeit nur den rechten Perspektiven, sich Gehör zu erpressen; wobei deren vermeintlicher Ausschluss allein aufgrund der aktuellen restriktiven Flüchtlingspolitik kaum zu belegen ist. Viele andere Stimmen fehlen. In der Aggression der Gelbwesten sehen einige ein Ventil für ihre Ohnmacht, selbst dann, wenn sie nicht zu ihren Mitteln greifen würden. Deren Effizienz fasziniert. Wenn in Europa eine Politik des Gehörtwerdens jedoch Gewalt als Botin braucht, dann ist der nationale Dialog, wie Macron ihn nun fordert, längst gescheitert. Der nationale Dialog kann nicht die Summe der Expertengespräche in bildungsbürgerlichen Kontexten sein. Édouard Louis findet zurück zur Empathie für den Vater: "Du gehörst zu jener Kategorie von Menschen, für die Politik einen verfrühten Tod vorgesehen hat." Die Erniedrigung der Väter ist auch eine narzisstische Kränkung der Kinder, das übersehen jene, die solche Erniedrigungen eher als soziologische denn als biografische Kategorie kennen. Auch in Deutschland ist die soziale Durchlässigkeit gering. Dort, wo sie gelingt, wird unausgesprochen die Herkunft zum Makel. Die Herkunftshomogenität der Eliten ist ein Grund für den Bedeutungsverlust der Intellektuellen für die Bevölkerung. Niemand braucht Intellektuelle als unabhängige Pressesprecher und wohlwollende Deuter der Macht. Jede Demokratie braucht sie hingegen als Seismografen, gerade dann, wenn Täter und Opfer schwer auszumachen sind. Die Ungerechtigkeiten des 21. Jahrhunderts, wie sie bürgerlichen Kreisen oft nur Studien vermitteln, werden plötzlich mit erzählerischen Mitteln dem wohltemperierten Diskursbetrieb entgegengeschleudert. Das scheint für einige schwer erträglich zu sein. Dabei gelingt durch das Erzählen etwas, das aus den leidlichen Pro-und-Contra-Diskursen herausführt: Édouard Louis, der homosexuelle Sohn, wächst über das Ressentiment hinaus, das sich gegen ihn richtet. Er dringt durch zu etwas Existenziellerem. Er fragt sich und uns, was einem geschundenen Körper, der durch Bildung nicht gerettet werden konnte, geistig abverlangt werden kann. In Zeiten, in denen Diskurse vorwiegend an sexueller und nationaler Identität entlang geführt werden, wagen französische Intellektuelle die Frage: Wo genau setzt der Riss an, der das Gift in die Köpfe lässt?
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In der Bankenstadt Frankfurt sind im vergangenen Jahr weniger Wohnimmobilien verkauft worden. Die Durchschnittspreise für Eigentumswohnungen seien gegenüber 2017 um 1,9 Prozent auf rund 400 000 Euro gesunken, die von Ein- und Zweifamilienhäusern um 6,7 Prozent auf rund 530 000 Euro, so der Marktbericht des Maklerhauses Von Poll Immobilien. "Wir sehen eine gewisse Sättigung am Markt", sagte Daniel Ritter, geschäftsführender Gesellschafter bei Von Poll. Die gesunkenen Durchschnittspreise zeigten, dass Kunden nicht bereit seien, jeden Preis zu zahlen. Sie wichen deshalb in zentrumsfernere Stadtteile oder auch ins Umland aus. Die Nachfrage nach Wohnimmobilien werde aber weiter steigen. Eine Ursache für die gesunkenen Transaktionszahlen sei nämlich die Angebotsknappheit in der Stadt. Der Neubau von Wohnungen könne den Bedarf derzeit nicht decken. Das drücke sich auch in den gestiegenen Quadratmeterpreisen aus. Für Neubau-Eigentumswohnungen zahlten Käufer 2018 im Schnitt 6000 Euro pro Quadratmeter und damit 13,9 Prozent mehr als im Vorjahr, heißt es in dem Marktbericht. Der Grund, warum die Umsätze und Durchschnittspreise dennoch gesunken sind, erklärt das Maklerhaus damit, dass "vermehrt kleinere Wohnungen gekauft werden". Insgesamt würden die Preise der Mainmetropole jedoch weiter auf hohem Niveau bleiben. "Das günstige Zinsumfeld und die gegenüber vergleichbaren europäischen Metropolen immer noch moderaten Preise verstärken diesen Trend, so Ritter. Frankfurt gehört zu den am schnellsten wachsenden Städten in Deutschland. Von heute 748 000 soll es bis 2030 auf 810 000 Einwohner gehen. Mitte der 1980er-Jahre lebten in Frankfurt noch 590 000 Menschen. Die Preisspanne für freistehende Ein- und Zweifamilienhäusern in guten und mittleren Wohnlagen betrage aktuell 375 000 bis 2,25 Millionen Euro. Bei Neubauobjekten schwanke das Preisniveau zwischen 495 000 und 2,6 Millionen Euro. In Premiumlagen könnten Bestandsimmobilien zurzeit zwischen 2,1 und 6,95 Millionen Euro erzielen. Bei bestehenden Eigentumswohnungen messe man in guten und mittleren Wohnlagen aktuell ein leicht steigendes Preisniveau im Vergleich zu 2018. "Die Spanne liegt bei 2200 bis 8000 Euro pro Quadratmeter im Bestand und bei 3200 bis 9400 Euro für Neubauten", heißt es in dem Bericht. Bei Neubauobjekten in Premiumlagen liege die Preisspanne momentan bei 7500 bis 19 500 Euro pro Quadratmeter.
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Papst Franziskus hat sexuellen Missbrauch von Nonnen in der katholischen Kirche eingeräumt. "Es stimmt, es ist ein Problem", sagte er auf dem Rückflug von Abu Dhabi nach Rom. "Ich weiß, dass Priester und auch Bischöfe das getan haben", sagte der Pontifex und ließ durchblicken, dass die Missbrauchsfälle bis in die Gegenwart reichen. "Ich glaube, es wird immer noch getan", sagte er auf eine Frage, was der Vatikan gegen den sexuellen Missbrauch von Ordensschwestern tun wolle. Es betreffe einige Kulturen oder religiöse Gemeinschaften mehr als andere. "Es ist keine Sache, die alle machen." Der Vatikan arbeite seit langem an dem Problem, so der Papst. Es sei jedoch kein Problem, dass sich von heute auf morgen abstellen lasse. Einige Frauenglaubensgemeinschaften seien aufgelöst worden, einige Kleriker seien "suspendiert" und "weggeschickt" worden. "Muss man mehr (gegen das Problem) machen? Ja. Wollen wir mehr machen? Ja." Dabei sprach er den Fall einer Gemeinschaft aus der Vergangenheit an, bei dem Frauen "wie Sklaven" behandelt worden seien. Es sei bis zur "sexuellen Sklaverei" durch Kleriker und den Gründer der Gemeinschaft gegangen, so Franziskus. In seiner Antwort erinnerte Franziskus auch an seinen deutschen Vorgänger Benedikt XVI. "Es heißt mitunter, Papst Benedikt sei ein schwacher Papst gewesen", so Franziskus, "das stimmt nicht, er ist ein starker Mann." Er habe in seiner Kongregation mit dem Kampf gegen Missbrauch begonnen - wenn auch mit Rückschlägen. "Wir müssen weitermachen, und ich will weitermachen", so der Papst. Konkrete Maßnahmen nannte er nicht. Als Franziskus die Fragen beantwortete, befand er sich auf dem Rückflug von Abu Dhabi. Erstmals feierte mit Franziskus ein Papst auf der Arabischen Halbinsel einen großen Gottesdienst. An der Messe im Zayed-Sportstadion in der Hauptstadt Abu Dhabi nahmen laut Kirchenangaben mehr als 120 000 Menschen rund 100 verschiedener Nationalitäten teil, darunter auch 4 000 Muslime.
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Am Dienstag hieven positive Konjunkturdaten aus der Eurozone die Gemeinschaftswährung über die Marke von 1,12 Dollar. Am Mittwoch allerdings geht es nach der US-Zinsentscheidung nach unten. Der Kurs des Euro ist am Mittwoch nach der Zinsentscheidung der US-Notenbank gefallen. Die Gemeinschaftswährung kostete am Abend 1,1196 Dollar und damit 0,2 Prozent weniger als am Dienstag. Zuvor notierte der Euro deutlich über der Marke von 1,12 Dollar. Die US-Notenbank Fed lässt den Leitzins unverändert und signalisiert weiterhin eine ruhige Gangart. Die Währungshüter beließen den geldpolitischen Schlüsselsatz in der Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent. Zugleich kündigten sie an, bei geldpolitischen Entscheidungen "geduldig" agieren zu wollen. Dieses Schlüsselwort gilt Investoren als Hinweis, dass die Zentralbank vorerst keine weiteren Erhöhungen plant. Die Währungshüter hatten den Leitzins 2018 vier Mal angehoben. Angesichts des unsicheren globalen Konjunkturausblicks und der gedämpften Inflationsentwicklung in den USA verordneten sie sich dann jedoch vorerst eine Pause. Am Vortag hatten überraschend gute Konjunkturdaten aus der Eurozone dem Euro Auftrieb gegeben. Zu Beginn des Jahres hatte sich das Wachstum stärker als erwartet beschleunigt, und die Wirtschaftsleistung legte in den Monaten Januar bis März um 0,4 Prozent zum Vorquartal zu. Die Ölpreise sanken. Ein Barrel (159 Liter) der US-Leitsorte WTI kostete am Abend 63,22 Dollar. Das waren 1,1 Prozent weniger als am Vortag. Am Ölmarkt halten die Anleger die Entwicklung in Venezuela im Blick. In dem Mitgliedsland der Opec hatte sich die politische Lage zuletzt weiter zugespitzt. Die erneute Kraftprobe in Venezuela zwischen dem selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó und Staatschef Nicolás Maduro sorgte beim Ölpreis aber bislang nicht für einen nachhaltigen Schub. In der laufenden Woche stehen die Rohölpreise generell unter Druck. Hauptauslöser waren Bemerkungen von US-Präsident Donald Trump. Demnach sind sich die USA mit anderen wichtigen Erdölproduzenten einig, dass derzeit zu wenig Öl gefördert werde.
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10,03 Euro pro Stunde in Frankreich, 9,80 Euro in Irland, 5,45 Euro in Spanien: 20 der 22 EU-Länder haben zum Jahresanfang oder im Lauf des vergangenen Jahres ihre Mindestlöhne erhöht. In Deutschland beläuft er sich derzeit auf 9,19 Euro - 35 Cent mehr als noch im Vorjahr. Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern ist der niedrigste erlaubte Bruttolohn damit hierzulande eher niedrig. Das geht aus einer Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor. Innerhalb der EU sei bereits seit einigen Jahren ein Trend zu großen Mindestlohnsteigerungen zu beobachten, schreiben die WSI-Tarifexperten Thorsten Schulten und Malte Lübker im neuen Mindestlohnbericht. Die höchsten Zuwachsraten verzeichnen die Forscher in den mittel- und osteuropäischen EU-Ländern, wo die Aufschläge meist zwischen sieben und zehn Prozent liegen. In den west- und südeuropäischen Mitgliedsstaaten fiel das Plus bei den Mindestlöhnen deutlich niedriger aus. In Deutschland beläuft sich die Anhebung auf vier Prozent, allerdings für zwei Jahre, da hierzulande - anders als in anderen Ländern - die gesetzliche Lohnuntergrenze nicht jedes Jahr angehoben wird. Im Mittel der 22 EU-Staaten betrug der Zuwachs hingegen 4,8 Prozent und nach Abzug der Inflation noch 2,7 Prozent. Mindestlohn ist noch weit vom Medianlohn entfernt Spitzenreiter ist nach wie vor mit weitem Abstand Luxemburg mit einem Mindestlohn von 11,97 Euro. Zum Vergleich: In Portugal müssen Unternehmen nur 3,61 Euro zahlen, in Rumänien sogar nur 2,68 Euro. Der niedrigste EU-Mindestlohn gilt in Bulgarien mit 1,72 Euro. Die mittel- und osteuropäischen Staaten holen aber auf, hier sind die Zuwächse besonders stark. Keinen Mindestlohn haben bislang Österreich, die nordischen Länder und Italien. In diesen Staaten halten sich die meisten Unternehmen jedoch an Tarifvereinbarungen, was von den Regierungen unterstützt wird. Faktisch setzten Tarifverträge dort eine allgemeine Untergrenze fest, die "in der Regel oberhalb der gesetzlichen Mindestlöhne in Westeuropa liegt", so die Wissenschaftler. Die Forscher untersuchten auch, welchen Stellenwert der Mindestlohn im Vergleich zu anderen Löhnen hat. Das zeigt ein Blick auf den Medianlohn, also den Verdienst, der genau in der Mitte der Verteilung liegt, bei dem also genau die eine Hälfte der Arbeitnehmer mehr und die andere Hälfte weniger verdient. Als wichtig gilt hier die 60-Prozent-Marke: Löhne oberhalb von 60 Prozent des Medianlohns gelten als einigermaßen existenzsichernd, weil Alleinstehende dann in der Regel ohne spezielle staatliche Sozialleistungen von ihrer Arbeit leben können. Von dieser Untergrenze ist der Mindestlohn in vielen Ländern aber noch weit entfernt. In Deutschland lag die gesetzliche Lohnuntergrenze 2017 bei knapp 48 Prozent des Medianlohns. Sollte er 60 Prozent betragen, so müsste der deutsche Mindestlohn auf annähernd 12 Euro angehoben werden, rechnen die Forscher vor. Tatsächlich hatte die SPD in ihrem Sozialstaats-Konzept vorgeschlagen, den Mindestlohn schrittweise auf 12 Euro zu erhöhen. Dies wird von der Union, dem Koalitionspartner in der Bundesregierung, aber kategorisch abgelehnt.
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Der Verbot sorgte für Entrüstung und Hamster­käufe, heute haben sich die meisten ans neue Licht gewöhnt. Ein Lehr­stück für Regeln in der Umweltpolitik. Auch die Solux brennt irgendwann durch, eine nach der anderen, Jahr für Jahr. Noch leuchtet sie, etwa im Wallraf-Richartz-Museum in Köln. "Auch bei uns gehen die Vorräte zur Neige", sagt Museumsdirektor Marcus Dekiert. Dabei sei gerade in einer Kunstsammlung die Beleuchtung eine ganz schwere Frage. "Zum Glück haben die anderen Leuchtmittel aufgeholt", sagt er. Getestet sind sie schon, bald soll eine Entscheidung fallen. Dann ist die Solux Vergangenheit. "Die Zeit der Glühbirne ist vorbei, auch im Museum", sagt Dekiert. Vor zehn Jahren war die Stimmung ganz anders. Dekierts Vorgänger Andreas Blühm noch stellte die Glühbirne in eine Reihe mit dem Buch und dem Fahrrad. "Sie sollte zum Weltkulturerbe werden", verlangte er. Kurz zuvor hatte die EU den letzten Sargnagel für die Glühbirne eingeschlagen, die neuen Anforderungen raubten ihr die Existenzberechtigung. Schrittweise sollte sie vom Markt verschwinden, jedes Jahr im September ein Typ mehr: 2009, 2010, 2011 - und so fort. Das Verbot führte zu panikartigen Reaktionen, Hamsterkäufen und Angst Letztlich war es nur der Abschied von einem technischen Hilfsmittel, aber dieses Hilfsmittel war schon seit 120 Jahren da, nahezu unverändert. Generation um Generation erblickte das künstliche Licht der Welt in Form von Glühbirnen. Und die sollen einfach verschwinden? Vor zehn Jahren führte das zu panikartigen Reaktionen, Hamsterkäufen, Angst. Jeweils Ende August räumten Menschen die Regale von Baumärkten und Supermärkten leer. Die Angst vor zusätzlicher Strahlung durch Energiesparlampen grassierte, Befürworter und Gegner des Verbots stritten über die Frage, wo nun mehr Quecksilber entsteht: Bei der Produktion der energiesparenden Leuchtstoffröhrchen oder bei der zusätzlichen Produktion von Kohlestrom, um Wolframdrähte zum Glühen zu bringen. Andere fürchteten Probleme für den Biorhythmus, durch das kalte Licht der Energiesparlampe. "Völlige Weltuntergangsstimmung", sagt Danny Püschel, der sich beim Naturschutzbund Nabu mit dem Thema beschäftigt. Detailansicht öffnen Sieht alt aus, ist aber moderne Technik: LED-Lampen brauchen deutlich weniger Strom als herkömmliche Glühbirnen. (Foto: Shutterstock) Verbot und Zwang sind die äußersten Mittel der Politik, sie sorgen zuverlässig für Ärger. Das war so bei der Einführung des Katalysators, bei der Rauchgasentschwefelung, beim Verbot von FCKW, bei der Einführung von Umweltzonen, die faktisch Fahrverbote im Kampf gegen Feinstaub waren. Als Anfang der Achtzigerjahre der feuerfeste Stoff Asbest ins Gerede kam, warnten betroffene Firmen vor Massenentlassungen, und das Bundesgesundheitsamt verglich die atmosphärische Asbestbelastung mit harmlosen zehn Zigaretten im Jahr. Heute ist das Asbestverbot unumstritten. Und die Firmen, die sich seinerzeit vor dem sicheren Untergang sahen, gibt es immer noch. Sie produzieren heute Alternativen zu Asbest. Auch das lehrt viel über das Verbot in der Umweltpolitik: Es kann Unternehmen auf die Sprünge helfen, sich und ihre Produkte zu modernisieren. Aber eben oft gegen heftige Widerstände. "Verbote haben es eben schwer in einer liberalen Gesellschaft", sagt der Technikphilosoph Armin Grunwald, Chef des Büros für Technikfolgenabschätzung. "Das ist wie bei der Anschnallpflicht: Die konnten auch viele nachvollziehen, trotzdem gab es Aufstände dagegen." Zudem hätten viele Bürger das Gefühl, es werde am falschen Ende reguliert. "Die Leute fragen sich, warum müssen Glühbirnen oder konventionelle Wattestäbchen verschwinden, während in Industrie und Verkehr die schlimmsten Umweltsünden passieren." Dass Verbote immer von oben kommen, und dann noch aus dem fernen Brüssel, mache das Ganze nicht einfacher. Auch die Sache mit der Glühbirne nahm letztlich eine andere Wendung. Tatsächlich waren die ersten Alternativen zur Glühbirne nicht sonderlich attraktiv. Energiesparlampen wurden zwar mit dem Prädikat "warmweiß" verkauft, das warme Licht einer Glühbirne aber erreichten sie nicht. Stattdessen eroberte schon wenige Wochen nach dem Verbot der ersten Glühbirnen eine ganz andere Alternative die Debatte: die Leuchtdiode, kurz LED. Sie braucht nicht nur noch weniger Strom - fast 90 Prozent gegenüber einer Glühbirne. Das Licht ließ sich auch "komponieren": Zehn Jahre nach dem Verbot der Glühbirne stehen LEDs der Vorgängerin in Sachen warmes Licht kaum noch nach. Zu haben sind sie mittlerweile schon für unter zwei Euro, Kinderkrankheiten sind geheilt. "Das hätten wir ohne das Verbot der Glühbirne so nicht geschafft", sagt Nabu-Mann Püschel. Nur siege eben häufig die Emotion über den gesunden Menschenverstand, wenn es an die Gewohnheiten von Verbrauchern geht. "Da ist die Glühbirne ein leuchtendes Beispiel." Ein ehemals leuchtendes. Ohne Nebenwirkungen freilich ist das alles nicht abgelaufen, jede Innovation schafft neue, andere Innovationen. Bei der LED-Technik ist es die feste Verbindung zwischen Lampe und Leuchtmittel. "Das Gewicht hat sich von Komponenten zu Leuchten verschoben", sagt Jürgen Waldorf, Licht-Experte beim Elektroverband ZVEI. Haben Lampenhersteller früher Gewinde eingebaut, in die dann die Standardbirne eines anderen Herstellers eingeschraubt wurde, bauen sie heute das Licht fest ein. Die Industrie rettete das über das Ende der Glühbirne hinweg, aber der Umwelt nützt es nur bedingt: Geben die Leuchtdioden den Geist auf, ist oft die ganze Lampe nicht mehr zu gebrauchen. Geräte werden zwar sparsamer. Aber dafür gibt es mehr davon - und der Spareffekt verpufft So zieht die eine Umweltregel die nächste nach sich. Die EU arbeitet gerade an einer neuen Verordnung, wieder geht es, wie einst bei der Glühbirne, ums Ökodesign: Produkte sollen leichter zu reparieren sein, auch LED-Lampen. Hersteller sollen künftig angeben, ob es etwa Leuchtmittel als Ersatz gibt; auch für andere Haushaltsgeräte soll es mehr Ersatzteile geben. Die Industrie hatte sich lange geziert: Schließlich könnten sich die armen Verbraucher bei der Reparatur verletzen. Aber die Richtlinie wird wohl kommen. Und noch etwas kam anders als gedacht. Der Stromverbrauch sank, aber weniger als erwartet. Was die neue Lampe sparte, kam Smartphones, Tablets, noch mehr Lampen hinzu. "Einen drastischen Rückgang jedenfalls sieht man nicht", sagt Hans-Georg Buttermann, Geschäftsführer bei der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen. Auch der Anteil der Beleuchtung am Stromverbrauch privater Haushalte ging nur leicht zurück. "Da wird zwar die Glühbirne ausgetauscht, aber die Lampe brennt über Nacht." Kostet ja nicht mehr so viel. Neubauten werden mit ausgeklügelten Lichtkonzepten übergeben, selbst Gärten taghell beleuchtet. Es ist ein alter Bekannter der Umweltpolitik: der "Rebound-Effekt". Geräte werden zwar sparsamer, aber dafür gibt es mehr davon - und der Spareffekt verpufft. War das Verbot der Glühbirne also überflüssig? "Überhaupt nicht!", sagt CDU-Umweltpolitiker Peter Liese, der die Ökodesign -Richtlinie einst im Europäischen Parlament mitverhandelte. "Aber man hätte es damals besser kommunizieren müssen, als Gesamtpaket." Schließlich gebe es viele Bereiche, in denen Ökodesign helfen kann, Strom zu sparen - vom Elektromotor bis zur Stand-by-Schaltung. Der Streit um die Glühbirne habe vieles überlagert. Wer aber partout nicht ohne die alte Birne auskommt, der kriegt sie immer noch. Beim Frankfurter Onlineshop "Discount-König" etwa gehen täglich zwischen 20 und 30 Bestellungen ein. "Die Leute stehen drauf", sagt eine Mitarbeiterin. "Aber der Vorrat geht langsam zu Ende."
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Die Zahl ist enorm: 2 692 818 238 Zeilen mit Zugangsdaten für Internetdienste sind im Netz aufgetaucht. Abermillionen E-Mail-Adressen und Passwörter stehen im Netz - unverschlüsselt, also für jeden lesbar. Der IT-Sicherheitsforscher Troy Hunt stieß während seiner Recherchen in einem Hackerforum auf das Datenleck. Es konnte zeitweise dort und auch über den Cloud-Dienst Mega heruntergeladen werden. Das Magazin Wired nennt es das größte Leak, das bisher öffentlich bekannt wurde. Zahlenmäßig etwas größer wären theoretisch die beiden 2016 bekannt gewordenen Yahoo-Leaks, von denen eine beziehungsweise drei Milliarden Datensätze betroffen waren. Doch diese beiden heiklen Datensätze sind bislang im öffentlich einsehbaren Teil des Netzes nicht aufgetaucht. Anders die "Collection #1", wie der nun bekannt gewordene Datensatz benannt ist. Woher die Daten genau stammen, ist noch unklar. Hunt zufolge sind verschiedenste Webseiten betroffen. Offenbar haben die Veröffentlichenden in der Sammlung verschiedene ältere und neuere Leaks zusammengefasst. Hunt schrieb in einem Blogpost, dass er einige Daten wiedererkannt habe, etwa 140 Millionen E-Mail-Adressen seien auch für ihn neu. Er habe die Sammlung um Duplikate und unsaubere Datensätze bereinigt, danach seien noch etwa 770 Millionen E-Mail-Adressen übrig gewesen, dazu 22 Millionen Passwörter. Der Unterschied zwischen den beiden Zahlen erklärt sich dadurch, dass viele Nutzer - anders als empfohlen - dasselbe Passwort für mehr als eine Seite verwenden. Außerdem können verschiedene Nutzer zufällig identische Passwörter verwenden, was insbesondere simple Kennungen wie "123456" betrifft. Über Umwege kommen Hacker auch an Kontodaten Eine erste Prüfung der betroffenen Webseiten durch die SZ zeigt, dass überwiegend Domains mit der internationalen Endung .com betroffen sind. Allerdings finden sich auch etwa 130 deutsche Domains, darunter etwa "mannheim.fruehstueckstreff.de", "netzwerk-psychoanalyse.de", "primus-versand.de" und "strickideen.de". Mit dem Leak stehen die Millionen Zugangsdaten ab sofort Hackern aus aller Welt zur Verfügung, um Nutzer auszuspähen oder zu versuchen, an Shopping- und Bankdaten zu kommen. Das geschieht im Falle von derart großen Leaks häufig über so genanntes "credential stuffing", übersetzt etwa "Vollstopfen mit Anmeldedaten". Dabei feuern Hacker sehr lange Listen mit E-Mail-Passwort-Kombinationen automatisiert auf das Zugangssystem eines Dienstes ab, zum Beispiel auf Spotify. Die Software probiert selbständig, sich mit Hunderttausenden Zugangsdaten nacheinander einzuloggen. Bei dieser Masse ist die Chance nicht allzu klein, mit einigen der Kombinationen Treffer zu landen und sich Zugang zu Nutzerkonten zu verschaffen. Einer Analyse der IT-Sicherheitsfirma Shape Security vom Sommer 2018 zufolge kommen 80 Prozent der Log-in-Versuche auf Shoppingseiten von Unbefugten. Fast genauso hoch sind die Zahlen für die Webseiten von Fluggesellschaften. So prüfen Nutzer, ob sie betroffen sind Troy Hunt ist unter Fachleuten als Experte für die Sicherheit von Anmeldedaten anerkannt. Er hat das aktuelle Leak in seine Datenbank geladen, in der er seit einigen Jahren Leaks sammelt. Das soll Internetnutzern helfen, sich zu schützen: Auf seiner Webseite haveibeenpwned.com können sie prüfen, ob sie von dem aktuellen Leak - oder älteren - betroffen sind. Dazu müssen Nutzer in das Suchfeld eine E-Mail-Adresse eingeben, die sie für Log-ins verwenden. Nach einem Klick auf die "Suche" prüft die Webseite, ob die E-Mail-Adresse in einem der Leaks aus den vergangenen Jahren aufgetaucht ist. Sie zeigt lediglich an, in welchem Leak diese E-Mail-Adresse auftauchte, nicht jedoch, welches Passwort benutzt wurde - das wäre ja ein Sicherheitsproblem. Da "Collection #1" eine Datensammlung ist, wird dadurch auch nicht klar, welche Webseiten oder Apps betroffen sind. Sollten die eigenen Daten also betroffen sein, dann sollten Nutzer schnellstmöglich ihre betroffenen Passwörter ändern. Wer nur ungern alle mit einer E-Mail-Adresse verknüpften Passwörter ändern möchte, kann auf einer Unterseite von Troy Hunts Webseite prüfen, ob ein einzelnes Passwort in den Leaks auftaucht. Detailansicht öffnen Wurde Ihr Passwort in einem der auf der Webseite gespeicherten Leaks verwendet? Beim Passwort "12345678" ist das der Fall: Fast drei Millionen mal. (Foto: Screenshot) Im Beispiel im Bild wurde das Passwort "12345678" überprüft. Es findet sich fast drei Millionen Mal in den Datensätzen wieder. Ob es in Kombination mit der eigenen E-Mail-Adresse verwendet wurde, lässt sich über haveibeenpwned.com nicht herausfinden. Dennoch sollte es geändert werden, da es ganz offensichtlich unter Hackern im Umlauf ist - was naheliegt, schließlich ist es eines der am häufigsten verwendeten Passwörter. Wer lieber auf einer deutschsprachigen Seite nachsieht, ob seine Email-Adresse betroffen ist, dem sei der Identity-Leak-Checker des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) empfohlen. Dort können Nutzer ebenfalls ihre E-Mail-Adresse eingeben, die Experten des Instituts schicken ihnen dann eine Auswertung für diese Adresse zu. Die Daten aus "Collection #1" sind laut einem Mitarbeiter des Potsdamer Informatik-Instituts bereits seit November in der Datenbank des HPI gespeichert. Korrektur: In einer früheren Version hatten wir von etwa 250 betroffenen .de-Domains geschrieben, tatsächlich sind es nur 132. Eine ausführliche Anleitung, wie man seine Daten im Netz schützt, lesen Sie hier:
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Das Halstuch ist immer noch das gleiche. Orange, mit Schäfchen darauf, das hat man immer gesehen, wenn Mark Kirchner am Schießstand von Pyeongchang die Schießbilder seiner Athleten beobachtete. Auch jetzt, in der neuen Saison nach Olympia: Kirchner, Schießstand, Schäfchen. Doch ein Detail hat sich geändert: Mark Kirchner ist nicht mehr nur Halstuchträger und Männer-Bundestrainer. Wenn ab Donnerstag der Weltcup in Oberhof in Thüringen Station macht, dann tritt Kirchner, der in der Nähe geboren wurde, mit neuem Amt vor die Fans. Im Sommer hat er die nächste Stufe seines Biathlon-Lebens erklommen und kann nun als Chef-Bundestrainer die Heimrennen dirigieren. Rückblick, Februar 2018, Olympische Spiele in Südkorea: Da war Kirchner neben Gerald Hönig, dem damaligen Noch-Bundestrainer der Frauen, schon ein sehr glücklicher Mensch. Staffel-Bronze gab es zu feiern, zudem rannten drei seiner Athleten in Einzelwettbewerben aufs Podest. Benedikt Doll gewann Bronze in der Verfolgung, Simon Schempp Silber im Massenstart. Und Arnd Peiffer war zum Sprint-Olympiasieger aufgestiegen und fragte danach verblüfft: "Der Mark hatte wirklich Tränen in den Augen?" Hatte er, was für Beobachter einer Ekstase gleichkam, ist Kirchner doch eher einer, der seine Gefühle tief hinter Schäfchentüchern verborgen hält und sich wortkarg gibt. Die Olympia-Saison hat nur er im deutschen Trainer-Team überstanden, alle anderen Positionen sind neu besetzt worden - nun ist Kirchner der Amtsälteste beim Versuch, die erfolgsverwöhnten Biathleten zukunftsfähig zu machen. "Er hat immer einen Plan", sagte Peiffer über Kirchner jüngst der Deutschen Presseagentur, und der Olympiasieger muss es ja wissen: Seit 2008 trainiert Peiffer am Stützpunkt in Oberhof mit Kirchner, auch Doll und Erik Lesser setzen auf seine Trainingspläne. Sie alle sind Weltmeister unter ihm geworden, wie Simon Schempp, der in Ruhpolding trainiert. Als Lesser 2014 Olympia-Silber im Einzel gewann, nannte er Kirchner "den besten Trainer der Welt", eine feste Umarmung gab es nach dem Erfolg. Und Lesser erklärte: "Wenn wir zusammen frühstücken, reden wir meist fünf Worte miteinander. Diesmal waren es vier. Herzlichen Glückwunsch! Danke! Sein viertes Wort habe ich vergessen." Auch Doll dachte an Kirchner, als er 2017 in Hochfilzen mal nicht die gewohnten Schwächen am Schießstand zeigte und fehlerfrei zu WM-Gold lief. "Mark hat immer an mich geglaubt", sagte Doll. Vielleicht liegt in dieser stoischen Ruhe von Kirchner die entscheidende Kraft: Geduld mit den Sportlern zu haben und ihnen Vertrauen zu schenken. Dem Deutschen Skiverband geht es vor allem darum, dass der 48-Jährige auch bei den Frauen als Ratgeber zur Seite steht, für die inhaltliche Ausgestaltung wurden zwei Trainer engagiert. Kristian Mehringer ist seit dem Sommer leitender Disziplintrainer, Florian Steirer sein Co-Trainer, beide sind erst 37 Jahre alt und waren im Nachwuchsbereich unterwegs. Hönig, der seit 2010 für die Frauen zuständig war und mit ihnen etliche Titel feierte, hätte gern zwei Jahre weitergemacht, doch nach dem vermurksten Staffelrennen von Pyeongchang mit Platz acht gab es auch Differenzen zwischen einzelnen Athletinnen und ihm. Der 60-Jährige ist nun als Schießtrainer für beide Teams vorgesehen, aus der Öffentlichkeit aber weitgehend verschwunden. Und dann ist da noch Isidor Scheurl, der Co-Trainer an Kirchners Seite: Auch er hat seinen Job im Sommer neu angetreten, nachdem er jahrelang den Nachwuchs in Ruhpolding betreut hat. "Wie er Lehrgänge plant und die Trainings gestaltet, davon kann man sich unheimlich viel abschauen", sagt Scheurl über Kirchner, "er ist keiner, der rumschreit oder es emotional angeht. Er macht das sehr strukturiert." Scheurl war selber Biathlet, trainierte noch mit Schempp und Johannes Kühn zusammen, die er heute in Ruhpolding betreut - doch dass es für eine Profikarriere nicht reichen sollte, merkte er recht früh. Seit 2009 ist er im Trainergeschäft, mit 33 Jahren gerade mal ein Jahr älter als Peiffer. "Ich bin froh, dass ich da nicht mehr mitlaufen muss. Was die Jungs da leisten, ist schon irre", sagt Scheurl. Dass Kühn zu Saisonbeginn erstmals auf dem Podest stand, freute den Co-Trainer besonders, mit 27 Jahren gehört Kühn nicht mehr unbedingt zu den Nachwuchsathleten. Überhaupt sind in diesem Winter bisher vor allem die Männer positiv in Erscheinung getreten, mit Podestplätzen durch Kühn, Doll und Peiffer. Bei den Frauen hat nur Laura Dahlmeier einen zweiten Platz in Nove Mesto erreichen können; wie bei den ersten beiden Weltcup-Stationen wird sie in Oberhof aussetzen. Sie hatte sich erneut über Weihnachten erkältet. Dort, wo 2023 wieder eine Biathlon-WM stattfindet, ist der Name Kirchner seit Jahrzehnten fest verankert: Kirchners Vater leitete das Leistungszentrum der Oberhofer Biathleten. 1991 schaffte der Sohn seinen ersten Weltcup-Sieg überhaupt in Oberhof und ist dann sieben Mal Weltmeister und drei Mal Olympiasieger geworden. Ein schönes Zitat stammt von 1994, als Kirchner zum deutschen Fahnenträger bei den Winterspielen in Lillehammer ernannt wurde. Walther Tröger, damaliger Chef de Mission, beschrieb die Stimmungslage Kirchners so: "So weit wir wissen, freut er sich darauf."
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Man kommt gar nicht mehr aus dem Staunen heraus über diese Basketballer aus Vechta, einer 32 000-Einwohner-Stadt im Westen von Niedersachsen, Metropolregion Bremen/Oldenburg, wie es im Behördendeutsch heißt. Erst sind sie zum dritten Mal in ihrer Vereinsgeschichte in die Bundesliga auf-, dann aber überraschenderweise nicht sofort wieder abgestiegen, so wie bei den ersten beiden Malen. Sondern sie haben sich den Klassenverbleib gesichert, dann die Teilnahme an den Playoffs der besten Acht, schließlich sogar Tabellenplatz vier und somit den Heimvorteil im Viertelfinale. Und dort haben sie am Sonntagabend zum Auftakt der Best-of-five-Serie auch gleich den ersten Playoff-Sieg ihrer noch kurzen Historie gefeiert: 96:85 (49:41) über Brose Bamberg. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, wer da wem gegenüberstand, und wer da wen besiegt hat. Auf der Verliererseite Bamberg, der neunmalige deutsche Meister und aktuelle Pokalsieger, ein ruhmreicher Klub voller abgezockter Profis; auf der Spielmacher-Position besetzt mit drei früheren Euroleague-Champions, dem Griechen Nikos Zisis (2008) sowie den Amerikanern Tyrese Rice und Ricky Hickman (beide 2014), unter den Körben stabil aufgestellt mit einem halben Dutzend kräftiger Zwei-Meter-und-mehr-Männer. Und auf der anderen Seite die Gewinner, das arg gerupfte Häuflein von Rasta Vechta, einem Verein, der einst aus einer Schüler-AG des Gymnasiums hervorging und sich nach dem Album "Rastaman Vibration" des Reggae-Musikers Bob Marley nannte. Gegen Bamberg fehlten den Rastamännern beide Center - der 2,08 Meter große Clint Chapmann wegen einer Knieverletzung, die ihn für den Rest der Saison lahmlegt, und Michael Keesens (2,05) wegen einer Magenverstimmung. Dazu sind von den drei nominellen Power Forwards zwei auch nicht mehr einsatzfähig in diesen Playoffs, Tyrone Nash (2,03/Knie) und Seth Hinrichs (1,99/Handbruch). Im Grunde waren fürs Getümmel unterm Korb nur der 19 Jahre alte Philipp Herkenhoff (2,08) sowie Robin Christen (2,00) übrig. Bloß für die größten Notfälle saßen noch Tim Insinger (2,05) und Luc van Slooten (2,02) auf der Bank, der eine ist aus dem Regionalliga-Team, der andere erst 17. Vechtas Trainer Pedro Calles, ein junger, erst 35 Jahre alter Spanier, ließ notgedrungen ein kleines Sieben-Mann-Ensemble gegen das große Brose-Orchester spielen. Es war erstaunlich, dass Rasta die Partie überhaupt gewann; noch erstaunlicher war der Umstand, dass die Gastgeber dabei auch noch mehr Rebounds sammelten als die körperlich überlegenen Bamberger - 37:26 endete der Vergleich bei den gefangenen Bällen. "Unser Trainer sagt immer, Rebounds sind eine Sache der Einstellung, des Willens", versuchte Herkenhoff anderntags den Erfolg zu erklären. Der Teenager hatte zwei persönliche Bestmarken erzielt - 20 Zähler, vor allem aber elf Rebounds. Fünf davon schnappte er sich am gegnerischen Brett, eine Folge des rasanten Spiels, mit dem die Rastamänner Bambergs Abwehr durcheinander wirbelten. "Sie haben uns ausgespielt", gab Brose-Trainer Federico Perego nachher zu. "Vechta war uns in allen Belangen überlegen", fand Co-Kapitän Elias Harris, mit 21 Punkten bester Bamberger. Die hätten gewarnt sein müssen: Vechta hatte ja schon im Januar durch einen 85:67-Auswärtssieg die Entlassung des damaligen Brose-Trainers Ainar Bagatskis verursacht. Für dessen Nachfolger Perego sieht's jetzt auch nicht mehr so gut aus. Das nächste Spiel findet am Mittwoch in Bamberg statt, dann will der Italiener "ein anderes Gesicht zeigen". Vermutlich hoffen sie, dass Rastas glorreichen Sieben die Kraft ausgeht. Austin Hollins, mit 30 Punkten (darunter sieben verwandelten Dreiern) erfolgreichster Schütze der Partie, spielte bis auf die letzten 13 Sekunden durch, sein Nebenmann Max DiLeo, der umtriebigste Verteidiger von Vechta, musste zwischendurch mal mit Krämpfen vom Feld. Aber Herkenhoff versichert: "Ich habe nicht das Gefühl, dass wir irgendwann erschöpft sein werden." Die Euphorie ist groß, das Adrenalin fließt. In der Basketball-Bundesliga (BBL) hat es ja schon mal eine Mannschaft mit einer Siebener-Rotation bis ins Finale geschafft, Ratiopharm Ulm war das, 2016. Selbst der junge Herkenhoff erinnert sich an diesen in der deutschen Szene legendären Lauf vom siebten Tabellenplatz aus, "Per Günther und sechs Amerikaner, oder?", fragt er. Die Ulmer mussten sich damals erst den ausgeruhten Bambergern beugen. Gegen Teil 2 dieser Geschichte von den glorreichen Sieben, allerdings mit einem besseren Ende, hätten sie in Vechta nichts, obwohl sie ja schon viel mehr erreicht haben in dieser Saison, als sie erträumt hatten. Ihr Chefcoach Calles ist nach der Hauptrunde als "Trainer des Jahres" ausgezeichnet worden, ihr Regisseur T.J. Bray (14 Punkte, zwölf Vorlagen am Sonntag) landete bei der Wahl des wertvollsten Spielers der BBL auf Platz zwei hinter dem Oldenburger Will Cummings. DiLeo und Herkenhoff belegten jeweils Rang drei unter den besten Verteidigern bzw. den besten deutschen Nachwuchsspielern. "Für mich ist klar, dass diese Mannschaft das Team des Jahres ist", schwärmte Pedro Calles nach seiner eigenen Ehrung. Auch Herkenhoff macht vor allem die "sehr, sehr gute Teamchemie" für die Erfolge verantwortlich: "Wir haben sehr gute Charaktere." Man merkt, dass der junge Mann gut zugehört, wenn sein Coach spricht. "Ich habe schon vor langer Zeit gesagt, dass Charakter wichtiger ist als Talent", resümierte Calles nach dem Erfolg vom Sonntag: "Vielleicht war das heute eine dieser Situationen, an denen man das gesehen hat."
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Vier Wochen nachdem ein Mann einen Zwölfjährigen auf dem Heimweg von der Schule in sein Auto gelockt hatte, sitzt ein 21-jähriger Verdächtiger in Untersuchungshaft. Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert zufolge sei der junge Mann bereits am 30. März wegen Wiederholungsgefahr verhaftet worden. Die WAZ hat darüber berichtet. Die Ermittler hatten laut Baumert herausgefunden, dass der verhaftete Mann sich vor der Tat im Internet über die Themen Kindesmissbrauch und Kindesentführung informiert hat. Der Junge hatte ausgesagt, dass der Täter ihn auf dem Weg zur Schule angesprochen und genötigt hatte in sein Auto zu steigen. Dann sei der Mann auswärts gefahren, in einer Kurve habe er die Kontrolle über seinen Wagen verloren und sei in einer Böschung gelandet. Der Junge verließ daraufhin unverletzt den Wagen. Die Polizei fand an besagter Stelle entsprechende Unfallspuren. Ein Werkstattbesitzer gab schließlich den Hinweis auf den Tatverdächtigen. Demnach hatte der Mann bei ihm einen schwarzen Kleinwagen im fraglichen Zeitraum gemietet. Tatsächlich entdeckten Ermittler an dem Wagen Unfallspuren, die zu dem Geschehen passen. Dennoch reichten die Beweise damals noch nicht für eine Festnahme des Verdächtigen. "Auf seinem sichergestellten Telefon konnten wir dann aber gelöschte Browserdaten wiederherstellen", so Oberstaatsanwalt Baumert. "Wir gehen daher davon aus, dass er geplant hatte, den Jungen zu missbrauchen", sagte Baumert.
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Das Spiel war gerade vorbei, die Garchinger Fans gaben den Evergreen "Derbysieger! Derbysieger!" zum Besten; da nahm VfR-Trainer Daniel Weber den neuen Sportdirektor Ludwig Trifellner beiseite und sagte: "Hab ich dir etwa versprochen, dass es hier ohne Nerven geht?" Dramatisch ging es zu im so wichtigen Regionalliga-Nachbarschaftsduell zwischen Garching und Heimstetten, am Ende hatten die Gastgeber die Partie nach 0:2-Rückstand mit 3:2 für sich entschieden und sich damit um vier Zähler von den Relegationsplätzen emanzipiert. Dagegen herrschte bei den Heimstettnern nach dem viel beachteten 2:0-Auswärtssieg in Schweinfurt diesmal Ernüchterung. "Es sah definitiv nach einem Unentschieden aus", sagte Co-Trainer Lennart Hasenbeck nach dem Spiel - sein Team bleibt auf einem Relegationsplatz. Es war nicht so, dass das Stadion am See aus allen Nähten geplatzt wäre, gerade mal 240 Zuschauer hatten sich eingefunden. Zumindest aber entwickelten die Fanlager ein bisschen Derbyatmosphäre, schließlich stand für die beiden Regionalligisten aus dem Landkreis München jede Menge auf dem Spiel. Und so intonierten die einen ein gepflegtes "Wir sind alle Garchinger Jungs", während es aus dem Käfig der Auswärtsanhänger schallte: "Wir wollen Hoaschdeng siegen sehen!" Zu Beginn sah es so aus, als ob der Traum der Schlachtenbummler wahr werden würde, denn nach nicht einmal zwei Minuten führte der SVH: Lukas Riglewski schlug einen Freistoß scharf aus dem rechten Halbfeld zur Mitte, wo mutmaßlich Mohamad Awata als Letzter die Kugel berührte - diese trudelte am verdutzten VfR-Torwart Maximilian Engl vorbei ins Netz. Zunächst spielte nur Heimstetten. Als Florian Pflügler Riglewski im Strafraum traf, blieb die Pfeife von Referee Florian Böhm noch stumm (10.), doch zwei Minuten später zog Philipp Walter Awata die Beine weg, und diesmal gab es den fälligen Strafstoß. Riglewskis Schuss war nicht zu parieren, auch wenn Engl den Ball noch berührte. "Vielleicht war das zweite Tor gar nicht so gut. Ich hatte das Gefühl, wir haben unterbewusst einen Gang zurückgeschaltet", sagte SVH-Assistenztrainer Hasenbeck. VfR-Coach Weber entgegnete: "Ich habe noch nie eine so verschlafene erste Viertelstunde meiner Mannschaft erlebt. Da war schon beim Warmmachen zu spüren, dass die Jungs nicht wach genug waren." Trotzdem ließ sich seine Elf nicht hängen: "Das zeichnet uns seit der Winterpause aus", lobte Weber, "wir haben den Spirit und den Glauben, geben niemals auf." Jetzt war Garching da - und spielte seine Lufthoheit aus Und mit einem Mal war Garching präsenter, kam gefährlich in Strafraumnähe. Nachdem Mark Zettl und Orkun Tugbay ihre Gelegenheiten noch vergeben hatten, trat erstmals der Mann des Tages in Erscheinung: Nach schneller, direkter Kombination und einem starken Lupfer von Tom Zimmerschied über die Abwehrkette lief Simon Seferings von links ein und überwand Heimstettens Keeper Maximilian Riedmüller (28.) zum 1:2-Anschluss. Jetzt war Garching endlich da - und spielte vor allem seine Lufthoheit aus: Dennis Niebauers Kopfball parierte Riedmüller (39.), der Versuch von Bruder Mike Niebauer landete am Lattenkreuz (45.+1). Zum zweiten Durchgang wollte Heimstetten "noch mal aggressiv nach vorne verteidigen und auf Konter spielen" (Hasenbeck), doch dieser Plan fiel schon nach drei Minuten wie ein Kartenhaus zusammen: Mike Niebauer flankte von der rechten Seite, Seferings rauschte aus dem Hinterhalt heran und köpfelte aus kurzer Distanz ein - der schnelle Ausgleich (49.). Erst dann stabilisierte sich Heimstetten wieder. Bis auf zwei Gewaltschüsse aus der Distanz durch Lucas Genkinger (61.) und Pflügler (65.) hatte der VfR keine echten Chancen mehr. Das Gefühl von Lennart Hasenbeck, es könnte auf eine Punkteteilung hinauslaufen, verfestigte sich Minute für Minute, zumal auf beiden Seiten die Kräfte schwanden. "Aber wir haben zu viele Standards zugelassen und dann auch bei einem 40-Meter-Freistoß noch eine Mauer gestellt, anstatt die Deckungsaufgaben zu übernehmen", kritisierte der Co-Trainer. Prompt ließ Dennis Niebauer den Ball weit auf die halblinke Seite fliegen, dort rauschte abermals Seferings heran und erzielte sein drittes Tor (85.). Und während die VfR-Bank außer Rand und Band war, feuerte Hasenbeck wutentbrannt eine Wasserflasche auf die Tartanbahn. Der Garchinger Held blieb zurückhaltend: "Ich habe die Tore ja nicht alleine erzielt, sondern von ausgezeichneten Vorbereitern profitiert", sagte der 23 Jahre alte Offensivmann, der bis zum Saisonende vom TSV 1860 ausgeliehen ist. "Wenn es mein Ziel ist, eines Tages höher hinaus zu kommen, dann muss ich eben auch mal liefern", so Seferings.
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Der Abstiegskampf in der Bundesliga hat sich zu einer eigenen kleinen Meisterschaft entwickelt. Vier Mannschaften nehmen daran teil, der 1. FC Nürnberg, Hannover 96, der VfB Stuttgart und auch der FC Augsburg, der die Tabelle dieser kleinen Meisterschaft zurzeit mit einem Punkt Vorsprung vor Stuttgart anführt. Das Anspruchsvolle an diesem Format ist, dass man in dieser Viererrunde schon Meister werden muss, um direkt in der Liga zu bleiben, der Zweite muss bereits in die Relegation. Angesichts dieser kuriosen Wettbewerbssituation sind das zunächst mal keine so guten Nachrichten, die da gerade im Stundentakt aus Augsburg auf den Markt kommen. Das Bedenkliche daran ist ja, dass es überhaupt Nachrichten gibt. Denn das war ja - neben einer seriös gebauten Elf - immer Augsburgs Wettbewerbsvorteil: dass dort eine Ruhe herrschte, die Schlagzeilenjägern die Laune verdarb. Und jetzt, nur mal in Kurzfassung, das: Der Brasilianer Caiuby schwänzt mal wieder das Training und will für immer in Brasilien bleiben und taucht dann plötzlich doch wieder in Augsburg auf, allerdings nur in einer örtlichen Disco, woraufhin ihn der Klub am Montagabend freistellte. Der Trainer Manuel Baum regt sich nach dem 0:2 in Gladbach auf eine Art über den Schiedsrichter auf ("Skandal", "Dilettanten"), die ihm nun ein DFB-Ermittlungsverfahren wegen Schiedsrichter-Beleidigung einbringt; der Verteidiger Martin Hinteregger regt sich auf eine Art über den Trainer Baum auf ("kann nichts Positives über ihn sagen"), die ihm umgehend ein Krisengespräch Klubmanager Stefan Reuter einbringt ("Diese Aussagen gehen nicht." ). Und jetzt also auch noch das mit Jens Lehmann. Am Montag verdichteten sich tagsüber bereits die Hinweise, am späten Nachmittag bestätigte der Verein die Personalie: Lehmann, 49, wird als Assistenztrainer beim FC Augsburg anfangen. Der ehemalige Nationaltorwart war zuletzt immer wieder bei Augsburger Heimspielen auf der Tribüne entdeckt worden, und am vorletzten Samstag, nach der 1:2-Niederlage gegen Düsseldorf, war Manager Reuter sogar explizit nach Lehmann gefragt worden. Ob da was laufe mit dem ehemaligen Spielerkollegen? Och nö, hat Reuter dann in bewährter Manier gesagt und sinngemäß angefügt, man kenne sich halt gut, und mal sehen, ob man nach dem Spiel noch spreche, wobei, er wisse gar nicht, ob der Jens vielleicht schon weg sei. Lehmann, der zurzeit noch als TV-Experte arbeitet, hat in Augsburg einen Vertrag bis Sommer 2020 unterschrieben und wird dem Cheftrainer Baum, der übrigens auch mal Torwart war, ab sofort seine Expertise zur Verfügung stellen. In der Saison 2017/18 assistierte Lehmann beim großen FC Arsenal bereits dem großen Arsène Wenger, und so könnten es die Augsburger bei Lehmanns Anwerbung auch auf die öffentliche Wirkung dieser prominenten Personalie abgesehen haben. Am Trainer Manuel Baum soll nach der ungewöhnlich heftigen Kritik des Spielers Hinteregger keinerlei Zweifel aufkommen; so sagte Stefan Reuter am Montag demonstrativ, man sei "von Manuel absolut überzeugt. Wir überlegen uns gemeinsam, wie wir in die Erfolgsspur zurückkommen können". Mit Lehmanns Verpflichtung haben die Augsburger nun Handlungsbedarf in der Sportlichen Leitung eingeräumt, ohne dabei den Trainer zu schwächen. Fürs Erste überstrahlt der schillernde Name Lehmann also das Unruhepotenzial, das sich weiterhin mit den Namen Hinteregger und Caiuby verbindet. Am Sonntag soll Hinteregger bereits zum Rapport bei Reuter gebeten worden sein, über Einzelheiten oder Konsequenzen für den Österreicher schweigen die Augsburger bislang. Selbiges taten sie bis zum Montagabend auch bei Fragen zum lustigen Caiuby. Ob die Augsburger jetzt also wieder ihre geliebte Ruhe haben, auf die sie sich immer so schön verlassen konnten? Am Sonntag spielt die Mannschaft gegen Mainz 05, nun ganz sicher ohne Caiuby, aber möglicherweise wieder mit dem Verteidiger Hinteregger. Und ganz bestimmt mit einem Co-Trainer namens Jens Lehmann.
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Wer etwas über den aktuellen Zustand des russischen Handballs erfahren will, schaut am besten beim mazedonischen Meister RK Vardar Skopje vorbei. Nach Heimspielen kann man da sehen, wie Timur Dibirow, der höchstbezahlte russische Handballer der vergangenen 15 Jahre, sich hinter das Lenkrad eines weißen Rolls-Royce setzt - und den Klubpräsidenten nach Hause fährt. Das gehöre laut Vertrag zu seinen Aufgaben, hat Dibirow mal erklärt, aber das war nur im Scherz. Es ist nicht so, dass sich der Linksaußen etwas dazuverdienen muss als Chauffeur; es ist eher ein Freundschaftsdienst für seinen Landsmann Sergej Samsonenko, der sich als Geschäftsmann in Mazedonien niedergelassen und als Sportsfreund den Handballklub in Skopje übernommen hat. Dank dessen Unterstützung gewann die Mannschaft 2017 die Champions League; und mit seiner Unterstützung sollen auch Russlands Männer wieder Meisterreife erlangen. Ihre großen Erfolge - Olympiasiege 1992 und 2000, WM-Titel 1997, Olympia-Bronze 2004 - sind ja lange her, zuletzt fehlten sie erstmals bei Olympischen Spielen, 2016 in Rio, und erstmals bei einer Europameisterschaft, 2018 in Kroatien. Nach dem Tiefpunkt der verpassten EM-Qualifikation übernahm Eduard Kokscharow im Sommer 2017 das Amt des Nationaltrainers bei Deutschlands nächstem WM-Gegner an diesem Montag (18 Uhr/ARD); der 43-Jährige ist ein Repräsentant der goldenen Generation der Jahrtausendwende. Auch der ehemalige Linksaußen verdient sein Geld mittlerweile in Skopje, als Sportdirektor. Bei RK Vardar sind neben Dibirow zudem drei weitere Spieler beschäftigt, die nun bei der WM in Berlin auflaufen. Kein anderer Klub entsendet ein größeres Kontingent zur russischen Auswahl; von Spartak Moskau kommen zum Beispiel nur drei Männer. Kokscharow soll einen Generationswechsel bewerkstelligen, den Sergei Gorpischin, 21, und Dimitri Kowalew, 36, wohl am anschaulichsten verkörpern. "Er hat noch mit meinem Vater zusammengespielt", erzählt der Sohn des zweimaligen Olympiasiegers Wjatscheslaw Gorpischin, 48, über seinen älteren Teamkollegen. Gleichzeitig soll Kokscharow die Mannschaft aber auch unter die Top Sieben des Turniers bugsieren, für die nächstes Jahr ein Platz in der Olympia-Qualifikation reserviert ist; und dafür wiederum müssen die Russen erst einmal die Vorrunde überstehen. Im Kampf für den dazu nötigen Platz drei hinter den Gruppenfavoriten Frankreich und Deutschland haben sie allerdings bereits einen Punkt im direkten Duell gegen Serbien verloren (30:30). Da machte sich bemerkbar, dass gleich drei Rückraumspieler verletzt fehlen, Sergei Gorbok, 36, Konstantin Igropulo, 33, und Dimitri Santalow, 22. "Das sind alles wichtige Leute", sagt Gorpischin, "das ist so, als würde bei Deutschland nicht nur Julius Kühn ausfallen, sondern auch Fabian Wiede und Steffen Fäth." Gorpischin erzählt das alles in akzentfreiem Deutsch; der Kreisläufer spielt ja nicht nur für den HC Erlangen in der Bundesliga, er ist auch in der mittelfränkischen Stadt geboren. "Das war die erste Station meines Vaters in Deutschland", sagt er. Die Familie ist danach geblieben, die Kinder sind hier aufgewachsen, und wenn man sich nun mit Sergei Gorpischin unterhält, spürt man, dass dieses Turnier auch für ihn fast eine Heim-WM ist. "Von den 13 500 Zuschauern hier in der Halle werden trotzdem nicht viele für uns sein", ahnt er vor dem Vergleich mit Deutschland am Montag, aber er verspricht: "Wir wollen uns nicht mit erhobenen Händen geschlagen geben." Er vertraut dabei vor allem auf den erfahrenen Timur Dibirow, 35. "Er ist ein absoluter Leader, einer zu dem man aufschauen kann", schwärmt der Zwei-Meter-Mann Gorpischin über seinen zwanzig Zentimeter kleineren Kapitän. Dibirow ist auch in diesen WM-Tagen von Berlin als eine Art Chauffeur gefragt: Er soll seine Mannschaft so sicher durch das Turnier lenken wie seinen Klubchef im weißen Rolls Royce durch Skopje.
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Eine gewisse Berühmtheit hat Nicolai Müller, 31, im August 2017 erlangt. Er hatte in der achten Minute das 1:0-Siegtor für den Hamburger SV gegen den FC Augsburg erzielt, ehe er sich beim Jubel an der Eckfahne das Knie verdrehte. Die Diagnose war niederschmetternd: Müller hatte sich einen Kreuzbandriss zugezogen und fiel fast bis zum Saisonende aus. Viele in Hamburg sagen, die Verletzung des Offensivspielers habe den HSV die erste Liga gekostet. Neuerdings hat der gebürtige Unterfranke einen ähnlichen Auftrag wie in der Hansestadt: Diesmal soll er Hannover 96 vor dem erneuten Gang in die zweite Liga bewahren - vorausgesetzt, Muskeln und Gelenke halten. Müller soll den Angriff des Tabellenvorletzten so beleben, dass mehr als jene 17 Tore herauskommen, die 96 in der Vorrunde erzielte. Trainer André Breitenreiter, der am liebsten eine halbe neue Mannschaft geholt hätte, ist jedenfalls von der Qualität des Neuen überzeugt: "Nico ist offensiv variabel einsetzbar." Das heißt: sowohl auf der Außenbahn, als Sturmspitze oder auch als Zehner. Er dürfte zum Zug kommen, denn der etatmäßige Stürmer Niclas Füllkrug wird wohl den Rest der Saison verpassen - und seit neustem ist auch ein anderer Hoffnungsträger weg: 96 muss im Abstiegskampf mehrere Wochen auf Offensivspieler Ihlas Bebou verzichten. Der 24-Jährige zog sich bei seinem Comeback im Testspiel am Mittwoch gegen den belgischen Erstligisten Zulte Waregem (3:3) nach knapp 20 Minuten eine Muskelverletzung zu und wird sechs bis acht Wochen ausfallen. So liegt es auch an Müller, seine Erfahrung einzubringen. In seinen vier Jahren in Hamburg hat er vor allem eines mitgemacht: Abstiegskampf. Oder, wie er es sagt: "Beim HSV habe ich gelernt, dass es nie zu spät ist, es gibt immer eine Chance." Mit der Ausnahme 2018 freilich, als Müller fast komplett fehlte und der sogenannte "Dino" das erste Mal die Bundesliga verlassen musste. Die Eltern pendelten für ihn 230 000 Kilometer Wobei: Irgendwie fühlt er sich noch immer ein bisschen wie beim HSV. Gleich drei weitere ehemalige Hamburger spielen jetzt bei 96, das im Übrigen mit vollem Namen Hannoverscher Sportverein von 1896 (also auch HSV) heißt: Matthias Ostrzolek, Walace, der ihm damals die Vorlage zum Tor beim Sieg gegen Augsburg gegeben hatte, und Bobby Wood. Der Stürmer, der bei 96 bislang so wenig überzeugen konnte wie zuletzt beim HSV, könnte in der Tat von seinem früheren Mitspieler profitieren - von dessen Ruhe im gegnerischen Strafraum und seinem Blick für besser stehende Kollegen. Dass Müller nun auf Leihbasis für die Niedersachsen spielt, hat aber irgendwie auch noch mit seiner Verletzung zu tun. Er hat es nicht geschafft, sich in der aufstrebenden Elf von Eintracht Frankfurt einen Stammplatz zu ergattern. Nicht nur, weil ihm das "Trio Infernale" mit Luka Jovic, Sébastien Haller und Ante Rebic den Weg verbaute (und dahinter noch Gacinovic stand.) Auch, weil ihm seit seiner Genesung noch immer die Spritzigkeit fehlte, die ihn früher sogar zum zweimaligen Nationalspieler aufsteigen ließ. Nur sieben Kurzeinsätze in der Bundesliga stehen für die Eintracht zu Buche, dazu vier Europa-League-Nominierungen. Und auch bei der 1:2-Pleite im DFB-Pokal in Ulm stand er inklusive Nachspielzeit bloß 18 Minuten auf dem Platz. Beim Testspiel gegen Waregem musste er passen - das Knie zwickte Das war eine große Enttäuschung für Nicolai Müller, denn die Eintracht ist seit seiner Jugend sein Lieblingsklub. Dort spielte er schon, als er elf Jahre alt war. Mit 16 wurde er dann in Frankfurt nicht mehr gefördert, weil er nicht kräftig genug war. Deshalb zog er zur Ausbildung weiter zur SpVgg Greuther Fürth. Er hat einmal erwähnt, dass ihn seine Eltern von Würzburg aus insgesamt 230 000 Kilometer zu seinen Trainingsterminen gefahren haben. Sie wollten nicht, dass ihr Sohn in diesem Alter in einem Internat wohnt. Inzwischen ist Nicolai Müller selbst Vater von Zwillingen. Die Familie zieht für das zunächst vorgesehene knappe halbe Jahr wieder nach Hamburg, wo sie noch immer eine Wohnung hat. Müller hat noch einen Vertrag bei der Eintracht bis 2020. Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic erhofft sich, dass Müller in Hannover die Spielpraxis bekommt, die ihn dann auch für die Eintracht noch einmal attraktiv machen könnte. Viel hängt dabei aber von der Gesundheit Müllers ab. Beim Trainingslager in Marbella musste er in der vergangenen Woche auf einen Einsatz im Testspiel gegen Zulte Waregem verzichten, das Knie machte ihm zu schaffen. Am Sonntag beim nächsten Test gegen den niederländischen Erstligisten Heracles Almelo soll er aber dabei sein. Man kann nur für Hannover 96 hoffen, dass der geliehene Hoffnungsträger künftig von seinen früheren Miseren verschont bleibt - sonst sieht es schlecht aus für den geplagten Tabellenvorletzten, der am kommenden Samstag gegen Werder Bremen in die Rückrunde startet.
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Rudi Anschober ist lange genug in der Politik, um zu wissen, dass man Allianzen braucht, um etwas zu verändern. Also schloss er Allianzen. Der Grüne Rudi Anschober zeigt, dass man dem allgegenwärtigen Populismus in Österreich durchaus etwas entgegensetzen kann. Und zwar: Haltung. Eine Geschichte vom Weitermachen. Verdammt lang her alles, aber ein Platz an der Pinnwand ist Ehrensache. Der "Atomkraft? Nein danke"-Sticker aus den Achtzigern hängt dort neben vergilbten Zeitungsausschnitten und dem Foto eines Flüchtlingsmädchens. Im Eck steht das Fahrrad, die Zimmerpflanzen wuchern, der Golden Retriever Agur liegt am Boden. Rudi Anschober sitzt zwischen alldem und spricht von "gigantischen Wertschöpfungsverlusten", rattert Zahlen herunter zum Facharbeitermangel, lobt die Unternehmer im Land, ihren Wirtschaftsgeist, ihre Menschlichkeit.
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Werner Hedrich: „Wie oft jemand sein Auto oder das Fahrrad nimmt, muss jeder selbst entscheiden. Die Menschheit muss sich schon selbst retten.“ Werner Hedrich leitet eine neue Art der Vermögensverwaltung. Dabei soll das Geld der Kunden so angelegt werden, dass dies im Einklang mit dem Ziel der Weltklimakonferenz steht. Im Eingang steht das Spielzeugmodell eines schwarzen Tesla. Daneben auf einem kleinen Podest Turnschuhe von Nike und Adidas aus wiederverwerteten Kunststoff. Sonst weist nichts darauf hin, dass hier das Geld vermögender Menschen ganz anders angelegt wird, als dies sonst üblich ist. Ein biederes Großraumbüro für zehn Mitarbeiter, nur die Adresse, in der Münchner Maximilianstraße, ist exklusiv. Der Chef hier, Werner Hedrich, 45, will auch kein Büro für sich allein, er sitzt bei anderen. Hedrich, in der Frankfurter Finanzszene als Deutschland-Chef des US-Analysehauses Morningstar lange Jahre eine anerkannte Größe, leitet nun das Deutschlandgeschäft von Globalance Invest. Das Unternehmen ist der nach eigenen Angaben weltweit erste Vermögensverwalter, der das Geld seiner Kunden so anlegt, dass dies im Einklang mit dem Ziel der Weltklimakonferenz steht, die globale Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. "Anleger schauen zunehmend darauf, was mit ihrem Geld passiert", sagt Hedrich. Dabei gehe es ihnen nicht nur um die Rendite, die ihre Aktien oder Anleihen bringen. "Sie wollen wissen, wohin das Geld fließt, was damit produziert wird, unter welchen Bedingungen dies geschieht und welche Folgen das für die Umwelt und die Gesellschaft hat." Und dabei will Hedrich, Vater von zwei Töchtern im Alter von zehn und 13 Jahren, zukünftig helfen. Viele Menschen haben vielleicht bestenfalls eine Ahnung davon, dass ihr alter Kühlschrank viel Strom verbraucht oder ihr T-Shirt aus Bangladesch kommt. Sie wissen aber nicht, wie ihre Geldanlagen Gesellschaft und Umwelt beeinflussten. Globalance möchte deshalb für seine Kunden "eine Art Google Earth sein, um die eigenen Anlagen besser zu verstehen", sagt Hedrich. Möglich soll dies ein "ökologischer Fußabdruck" (Footprint) machen, den Reto Ringger, Gründer des Mutterunternehmens Globalance Bank, entwickelt hat. Die Schweizer Privatbank steht hinter Hedrichs Arbeitgeber, der mit dem Footprint misst, ob die Unternehmen in den Depots der Kunden die Welt besser machen. So stoßen die Firmen, auf deren Anteilsscheine oder Anleihen Globalance setzt, fast 50 Prozent weniger CO₂ aus als die Unternehmen im Weltaktienindex MSCI World. Bestimmte Papiere legt der Vermögensverwalter seinen Kunden grundsätzlich nicht in die Depots: "Dazu zählen Unternehmen, die Atomkraftwerke betreiben oder auf fossile Brennstoffe setzen. Tabakaktien, Firmen, die von Pornografie oder Kinderarbeit leben sind für uns auch tabu", sagt Hedrich. Der frühere Aktien- und Fondsanalyst hat sich schon als Student intensiv mit der Börse beschäftigt, las die Fachpresse, lernte Bilanzen lesen und verstehen. Dabei ist er weder Volks- noch Betriebswirt, sondern hat ein Diplom als Politologe. Hedrich rechnet ganz nüchtern vor, warum es auch ökonomisch sinnvoll ist, beim Anlegen auf den ökologischen Fußabdruck zu achten. "Es geht dabei um Risikomanagement. Wer Aktien oder Anleihen kauft, sollte sich fragen: Wie verdient das Unternehmen im Unterschied zu Wettbewerbern Geld? Wie schnell kann das Geschäftsmodell kaputt gehen?" Wer sich solche Fragen stelle, lande automatisch bei ökologischen Fragen. "Und dann lässt man die Papiere von Kohleunternehmen eben links liegen, weil das kein Geschäftsmodell der Zukunft sein kann." Hedrich will aber niemandem etwas vorschreiben: "Wie oft jemand in sein Auto steigt oder das Fahrrad nimmt, muss jeder selbst entscheiden. Die Menschheit muss sich schon selbst retten." Kürzlich hat er seinen Kindern seinen neuen Arbeitsplatz gezeigt. Die Turnschuhe aus dem recycelten Kunststoff wollen sie jetzt auch haben.
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Ein Windhauch reicht, um die Kostbarkeit hinfort zu tragen: Blattgold ist nur ein zehntausendstel Millimeter dünn. Mit der aus reinem Gold oder hochkarätigen Goldlegierungen hergestellten Folie werden Bilderrahmen, Stuckaturen und Kirchenkuppeln vergoldet. Auch in der modernen Kunst ist Blattgold gefragt. Blattvergoldete Skulpturen des britischen Künstlers Damian Hirst sind begehrte Sammlerobjekte. Hauchdünn findet es sich auch auf Pralinen, in Schnaps, auf Lachs - oder, wie es sich jüngst Bayern-Fußballer Franck Ribéry hat in einem Restaurant in Dubai servieren lassen - um ein mächtiges Steak gewickelt. Der angebliche Preis für diesen geschmacklosen, ähem, geschmacksneutralen Luxus: irgendwas zwischen 1200 Dirham (etwa 300 Euro) und 1200 Euro. Nur ein Bruchteil davon entfällt auf das Blattgold. Der reine Materialpreis für den Edelfleisch-Edelmetallmantel dürfte bei unter zwei Euro liegen. Das ist nicht viel, gemessen an der Aufregung um das Video, das zeigt, wie Ribéry sich sein Gold-Steak zerteilen lässt. Warum also bringen wir nicht auch noch an anderer Stelle mehr Goldglanz in unser Leben? Sechs Vorschläge.
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Es ist nicht einfach für die Bundeswehr, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. Generalleutnant Ludwig Leinhos hat dazu am Donnerstag im Bundestag einiges zu berichten. Es tagt der Untersuchungsausschuss zur sogenannten Berateraffäre. Es geht um den ausufernden Einsatz von Externen im Hause von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Leinhos ist Inspekteur Cyber- und Informationsraum, er kümmert sich um IT, um deren Einsatz und Sicherheit. Nur, ihm fehlten dafür die Experten in den eigenen Reihen. Warum das so ist, darüber soll Leinhos heute als Sachverständiger im Ausschuss berichten. Bei der Bundeswehr sei es so, berichtet Leinhos, dass die Truppe es gar nicht gewohnt ist, die Leute einzustellen, die sie braucht. Sie verfolgt ihren traditionellen Ansatz: Wenn jemand für eine bestimmte Aufgabe gebraucht wird, dann wird er dafür ausgebildet. Und das kann dauern. Bevor in der Welt der Bundeswehr ein Offizier auf seine erste Verwendung komme, vergingen "im Schnitt fünf Jahre", wie Leinhos vor den Abgeordneten ausführt. Da müsse die Bundeswehr noch stärker umdenken. Beim Studium übrigens auch: Früher habe die Truppe ihren Soldaten das Studium ermöglicht, vor allem, um sie für die Zeit nach der Verpflichtung vorzubereiten. Das führte dazu, dass Soldaten ausgebildet wurden, aber dann nicht selten auf Posten kamen, wo sie das Wissen nicht mehr einbringen konnten. Leinhos schildert es vor den Abgeordneten als großen Fortschritt, dass man etwa Absolventen des Studiengangs Cybersicherheit zusichert, dass sie nach ihrem Studium auch dafür eingesetzt würden, wofür man sie ausgebildet hat. Bei Computerexperten kann sich die Truppe gar nichts anderes mehr leisten. Sie brauche auch Zulagen für hoch spezialisiertes IT-Personal, weil "draußen" - Leinhos meint damit die Wirtschaft - eben viel bessere Gehälter gezahlt würden. Und man müsse weg von den regelmäßigen Jobwechseln in der Bundeswehr. Übliche Verwendungszeiträume wie ein oder anderthalb Jahre - das sei "nicht zielführend", jedenfalls nicht bei den IT-Experten. Die Bundeswehr sei eine nicht so "schnell veränderungsfähige Organisation", führt Leinhos an anderer Stelle aus - was schlicht auch daran liege, dass das Führungspersonal bei der Truppe im Schnitt etwas älter sei als das in der Wirtschaft und, was Entwicklungen in der IT-Technik anbelangt, dies nicht unbedingt zu den Bereichen gehöre, in denen "man sich so auskennt". Nach gut einer Stunde Befragung des Sachverständigen haben die Abgeordneten jedenfalls einen Eindruck vom "Arbeitgeber" Bundeswehr bekommen, der - nach Lage im Ausschuss - keineswegs schon so modern rüberkommt, wie sich von der Leyen das an anderer Stelle wohl wünschen würde. Die Abgeordneten vor allem der Union hatten aber darauf Wert gelegt, zum Auftakt der Beweiserhebung im Untersuchungsausschuss grundsätzlicher über Sinn und Zweck des Beraterwesens zu diskutieren - auch wenn damit die Schwächen der Bundeswehr offengelegt würden. Sie erhoffen sich dadurch eine gewisse Entlastung für die Ministerin, die seit ihrem Amtsantritt gezielt auf Hilfe von außen bei ihrer Reform der Bundeswehr gesetzt hatte. Sie machte die frühere McKinsey-Managerin Katrin Suder zur Rüstungsstaatssekretärin. Anfang 2018 hatte Suder das Ministerium auf eigenen Wunsch verlassen. Kurze Zeit später hatten Prüfberichte des Bundesrechnungshofes ein Schlaglicht auf die Vergabepraxis bei Aufträgen an externe Dritte geworfen. In zahlreichen Fällen wurde weder der Bedarf für den Einkauf der Leistungen begründet noch die Wirtschaftlichkeit überprüft. Bei der Vergabe hatte das Ministerium wiederholt gegen geltendes Recht verstoßen. Am Donnerstag im Ausschuss vernahmen die Abgeordneten hierzu auch die Juristin Thea Dilger vom Bundesrechnungshof. Sie bekräftigte die Kritik ihrer Prüfbehörde. Es seien Unregelmäßigkeiten in einem nicht zu akzeptierenden Umfang festgestellt worden. Die Fehlerquote sei "einfach zu hoch". Das Ministerium hat Vergaberechtsverstöße weitgehend eingeräumt und neue Kontrollinstanzen eingeführt, um die Missstände abzustellen. Die Opposition gibt sich damit nicht zufrieden. Sie will genauere Kenntnis über Verantwortlichkeiten haben und der Frage nachgehen, ob es zu Vetternwirtschaft kam.
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Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen sich kommende Woche auf den Weg zur Weltmeisterschaft nach Frankreich macht, wird Alexandra Popp, 28, in einer neuen Rolle zu sehen sein: als Kapitänin. Das Amt hat sie von Dzsenifer Marozsán übernommen. Mit 45 Toren in 95 Länderspielen gehört die Stürmerin zu den Erfahrensten im Nationalteam; mit dem VfL Wolfsburg hat sie zwei Mal die Champions League, sechs Mal den Pokal und fünf Mal die Meisterschaft gewonnen. Und trotzdem hat sie neben dem Fußball eine Berufsausbildung absolviert, um für die Zeit nach der Karriere abgesichert zu sein. Im Interview vor dem letzten Testspiel am Donnerstag in Regensburg gegen WM-Neuling Chile (17.45 Uhr, ARD) äußert sie sich zu jüngsten Turbulenzen im deutschen Team und alten Vorurteilen.
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Große Städte brauchen große Busse - insbesondere dann, wenn sich, wie in Hamburg in den Sechziger- und Siebzigerjahren geschehen, die jeweilige Kommune von ihrem Straßenbahnnetz verabschiedet hat. Die Hansestadt hat - wie viele andere Metropolen - einen starken Zuzug zu bewältigen; die zusätzlichen Einwohner drängen auch in die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Hamburger Hochbahn hat deshalb im vergangenen Jahr bei Daimler 60 weitere Großraumbusse vom Typ CapaCity L bestellt, die ersten Fahrzeuge rollen nun an. Die Dieselbusse sind mit 21 Metern knapp drei Meter länger als ein normaler Gelenkbus und bieten laut Hochbahn Platz für 125 Passagiere, laut Daimler kommen - je nach Ausstattung - sogar bis zu 190 Passagiere unter. Zudem haben die Hamburger Busse fünf statt vier Türen. So soll das Aus- und Einsteigen möglichst reibungslos laufen, sodass der Bus schnell wieder die Haltestelle verlassen kann. Auch andere Hersteller bieten Großraumbusse an: Die belgische Firma Van Hool zum Beispiel hat einen fast 25 Meter langen Doppelgelenkbus für knapp 200 Fahrgäste im Angebot. Der ist unter anderem in Linz in Österreich im Einsatz. Dort fährt er vollelektrisch, der Strom kommt aus der Oberleitung.
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Eigentlich passierte gar nichts, was den Fußball-Drittligisten SpVgg Unterhaching irgendwie hätte verunsichern müssen. Wäre auch unnötig gewesen, die Verunsicherung war nämlich längst da. Und sie schlägt vor allem in der Offensive voll durch. Im Nachholspiel gegen Energie Cottbus gab es am Mittwoch ein 0:0. Wie schon am Samstag gegen Großaspach. Zwei Nullnummern innerhalb von fünf Tagen - schwere Kost. Derjenige, der sich die vergeblichen Offensivbemühungen aus der größten Distanz ansehen muss, sagte hernach: "Da sind Spiele dabei zurzeit, die hätten wir in der Hinrunde gewonnen. Aber es fehlt das Selbstvertrauen, manchmal ein paar Millimeter. Und dann belohnen wir uns nicht. Aber auch zurecht nicht, muss man sagen." Die Kritik des österreichischen Torhüters Lukas Königshofer mündete dann in dem Satz: "Es ist grausam, was wir da vorne aufführen." Wenn man vorne keinen reindrücke, sagte Trainer Claus Schromm nach dem Spiel, "müssen wir froh sein, wenn hinten die Null steht". Königshofer und das Glück hatten im Wechsel dafür gesorgt, denn für Gegner Cottbus hatten sich die Chancen nach dem Seitenwechsel bedrohlich gehäuft. Zweimal blieb Königshofer im Eins-gegen-eins siegreich (57., 83.), einmal knallte Streli Mamba den Ball ans Lattenkreuz (72.), der eingewechselte Ex-Bundesligaspieler Dimitar Rangelov setzte einen Volleyschuss freistehend über das Tor, weil die Flanke zu ungenau gekommen war (87.). "Ohne Cottbus wär' hier gar nix los", sangen die rund 300 mitgereisten Fans aus der Lausitz. Das stimmte so aber auch wieder nicht: Die rund 1200 Heimzuschauer waren auffallend geduldig, ab und zu gab es aufmunternde Anfeuerungen, besonders wenn nichts klappte. Einer, der es auch gut versteht, vom Seitenrand aus anzutreiben, fehlte diesmal: Präsident Manfred Schwabl wurde wegen eines Wortgefechts mit dem Schiedsrichter am Samstag gegen Großaspach aus dem Innenraum (zuzüglich 1500 Euro Geldstrafe) verbannt. Er tat dies mit Fensterblick aus der Geschäftsstelle über der Südtribüne. Endlich ist die 40-Punkte-Marke erreicht. Allerdings holte man nur fünf davon im Jahr 2019 Schromm konnte dem Spiel noch etwas anderes Gutes abgewinnen: "Endlich haben wir die Vier vorne, da haben wir lange hingearbeitet." 40 Punkte bedeutet aktuell Rang acht, aber auf den ersten Abstiegsrang 17 sind es nur neun Punkte Abstand. 35 der 40 Zähler stammen übrigens aus dem Jahr 2018. Bei den Verunsicherten blitzte diesmal ihr Können im Schnitt nur etwa alle 25 Minuten auf. Dabei war allerdings zu spüren, dass die Abwesenheit des verletzten Topstürmers Stephan Hain auch nicht förderlich war für das Selbstvertrauen. Nach der ersten guten Kombination schoss Stefan Schimmer aufs Tor, traf aber den Cottbusser Fanblock (23.), Maximilian Krauß verzog nach einem Sololauf deutlich knapper (44.). Nach der Pause wurde die SpVgg dann vor allem durch Standards und weite Bällen gefährlich, die aber entweder den Stürmerfuß ganz knapp verfehlten, oder unglücklich versprangen. Unter der Woche hatte Trainer Schromm angemerkt, dass man in der nunmehr dritten englischen Woche kaum dazu komme, grundlegend an Problemen zu arbeiten, es gehe permanent immer nur um An- und Entspannung. Jedenfalls bleibt derzeit auch die Kreativität auf der Strecke, wenn statt eines riskanten Steilpasses, der auch einen Ballverlust bedeuten könnte, nach hinten gespielt wird. Und vielleicht erlaubt man sich bisweilen auch einmal den einen oder anderen Schritt weniger: Am Samstag ist ja schon das nächste Spiel, dann auswärts in Münster. Trotz der vielen englischen Wochen in der dritten Liga und der weiten Anreise - Cottbus fuhr noch in der Nacht mit dem Mannschaftsbus nach Hause - sprachen sich nach dem Spiel beide Trainer für eine Vergrößerung der Liga aus. Die Reform der Viertliga-Struktur war zuletzt ins Stocken geraten, aktuell sieht es danach aus, als ob aus drei Regionalligen (Nord, Nordost, Bayern) nur zwei Teams aufsteigen können. "Wenn man die fünf Staffeln behalten will, dann soll der deutsche Fußball dafür sorgen", so Cottbus-Coach Pele Wollitz, dass die Liga aus 22 Teams besteht und fünf davon absteigen. Allerdings forderte er zugleich eine Erhöhung der TV-Gelder von unter einer Million Euro auf 2,5 Millionen Euro - auch, um die Mehrkosten decken zu können. Schromm sagte zu alldem: "Dito." 42 Spieltage statt aktuell 38 würden für Haching zurzeit bedeuten: Mehr Chancen, eine Negativserie endlich zu beenden.
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Schon seit Wochen wird in der Hauptstadt so hitzig gestritten, als wäre die Sache längst im Gange. Die Forderung lädt zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen ein, dieser Frage kann sich kein Politiker in Berlin entziehen: Ist der Regierende Bürgermeister Michael Müller nun für oder gegen Enteignen? Was sagt seine SPD? Und überhaupt der rot-rot-grüne Senat? Dabei geht es jetzt erst los. An diesem Samstag will das aus vielen Initiativen entstandene Bündnis "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" beginnen, Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln. Wenn es nach ihr geht, sollen Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Berlin enteignet werden. Der börsennotierte Konzern "Deutsche Wohnen" steht dabei im Fokus, ihm gehören in der Hauptstadt fast 112 000 Wohnungen. Sein Umgang mit Mietern wird seit Langem heftig kritisiert. Beklagt werden deftige Mieterhöhungen, auch gibt es den Vorwurf, das Unternehmen lasse Wohnungen verfallen, um sie teuer zu modernisieren und die Kosten auf die Mieter umzuwälzen. Das Ziel sei es, "Spekulanten" einen Riegel vorzuschieben und bezahlbaren Wohnraum in Berlin zu sichern, so das Bündnis. Es fordert den Senat zur "Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen" auf. Gemeint sind die Bestände aller privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit über 3000 Wohnungen. Wohnungsnot ist das dominante Thema der Landespolitik Als das Bündnis vor Monaten startete, erschien es noch schwer vorstellbar, dass eine solch radikale Forderung großen Rückhalt finden könnte. Aber der Unmut über die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist groß, die Wohnungsnot das dominante Thema der Landespolitik. Der rot-rot-grüne Senat hat zwar viele neue Wohnungen versprochen, kommt aber seinen eigenen Plänen bisher nicht hinterher. Nun zeigen zumindest Teile des Senats Sympathie für die Enteignungs-Aktivisten, während die Berliner Oppositionsparteien CDU, AfD und FDP mit Vehemenz vor dem Anliegen warnen. Offen unterstützt die Linke das Volksbegehren. Die Grünen wirken gespalten, der Regierende Bürgermeister Müller hat sich klar gegen Enteignungen ausgesprochen. Doch es ist unsicher, ob er die Mehrheit seiner SPD hinter sich hat. Umstritten ist, wie viel die Enteignung das Land kosten könnte, die Unternehmen müssten entschädigt werden. Das Land geht von bis zu 36 Milliarden Euro aus, die Initiatoren des Volksbegehrens halten das für übertrieben. Für den Anfang brauchen die Initiatoren 20 000 Unterschriften, um die erste Hürde für ein Volksbegehren zu nehmen. Sie haben sechs Monate Zeit. "Wir werden das schneller schaffen", sagt ihr Sprecher Rouzbeh Taheri. Am Samstag sollen viele Unterschriften zusammen kommen, wenn am Alexanderplatz mehrere Zehntausend Menschen zu einer Demonstration "gegen Mietenwahnsinn" im Rahmen eines europaweiten Aktionstages erwartet werden, Aktivisten in "lila Warnwesten" wollen sammeln. Die Ungeduld sei groß, sagt Taheri. Einige wollten schon in der Nacht zum Samstag durch Kneipen ziehen und Gäste um Unterschriften bitten.
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Später ins Büro kommen - das kann auch für einen Top-Manager sinnvoll sein, sagt der Business-Coach Werner Kreuz. Ist Donald Trump ein Faulenzer? Geleakte Kalender des US-Präsidenten legen das nahe. Doch Manager-Berater Werner Kreuz sagt, "Executive Time" sei durchaus wichtig. Die ersten drei Stunden seines Arbeitstages plant Donald Trump für "Executive Time" ein. Das geht aus Terminkalendern hervor, die Journalisten von Axios zugespielt wurden. Executive lässt sich mit "ausführend" oder "geschäftsführend" übersetzen. Daran gibt es nichts zu kritteln. Was man aber auch weiß von redefreudigen Staatsdienern: Für Trump bedeutet "Executive Time" vor allem Zeit zum Fernsehen, Twittern und Telefonieren. Er verbringt diese Zeit lieber in seinen Wohnräumen anstatt im Büro, raunen Mitarbeiter des Weißen Hauses. Und er handle in dieser Zeit meist ohne Plan. Kann eine Führungskraft, kann der US-Präsident so arbeiten? Werner Kreuz war in der Leitung einer internationalen Unternehmensberatung tätig und berät heute hochrangige Manager. SZ: Herr Kreuz, wie durchgetaktet sollte der Terminkalender eines Top-Managers sein? Werner Kreuz: Wenn Manager von einem Termin zum anderen hetzen müssen, machen sie etwas falsch. Sie haben keine Zeit, sich auf das nächste Thema einzustellen, sind dann meist unvorbereitet und kommen womöglich auch noch zu spät. Dadurch sind Sitzungen ineffizient, dauern länger, und die erzielten Ergebnisse sind nicht optimal. Zwischen jedem Meeting sollten mindestens zehn Minuten liegen, idealerweise eine halbe Stunde. Der US-Präsident nimmt sich regelmäßig am Morgen erst mal drei Stunden Zeit, in die er keine Termine legt. Vor elf kein Meeting. Ist das Faulheit? Das kommt darauf an. "Executive Time" ist sehr wichtig. Ich bin zum Beispiel gerne morgens ab 7 Uhr im Büro und habe dafür gesorgt, dass ich kein Meeting vor 8.30 Uhr annehme. So habe ich Zeit, in Ruhe und ohne Störung den Tag vorzubereiten, wichtige Berichte zu analysieren und Präsentationsideen zu entwickeln. Detailansicht öffnen Als Business-Coach berät Werner Kreuz Vorstände und Geschäftsführer sowohl in Bezug auf ihre Verhaltensweisen als auch inhaltlich und strategisch. (Foto: privat) Bei Trump soll diese Zeit in den letzten Monaten bis zu 60 Prozent seines Arbeitstages ausgemacht haben. Genau weiß man das nicht, weil es auch geheime Gespräche gegeben haben soll. Einen Großteil der Zeit hat er aber in seinen Wohnräumen verbracht. Meine Faustregel ist: Wenn Sie zehn Stunden am Tag arbeiten, nehmen Sie sich davon mindestens zwei Stunden für konzentrierte Arbeit. 20 Prozent des Arbeitstages sollten also störungsfrei bleiben - am besten die Zeit, in der Sie besonders leistungsfähig sind. Wer im Büro keine Ruhe hat, kann diese Zeit durchaus auch zu Hause verbringen. Das kann für strategische Überlegungen sinnvoll sein. Oder auch, wenn man sich Gedanken machen will, wie man mit unterschiedlichen Charakteren und Standpunkten in einem wichtigen Meeting umgehen will. Der US-Präsident zieht angeblich fernsehen, twittern und telefonieren vor. Muss ein Präsident auch mal vor dem Fernseher sitzen, um am Puls der Zeit zu bleiben? Aus meiner Sicht ist das eher ein kindliches Verhalten. Wenn er das vernünftig und systematisch machen will, sollte er Leute haben, die ihm die Highlights zusammenfassen. Er muss nicht persönlich sehen, was die CNN-Reporterin oder der Fox-News-Reporter im Detail gesagt haben. Gut möglich, dass Trump am liebsten Trump schaut. Kann das nützlich sein, die eigenen öffentlichen Auftritte noch mal anzusehen? Das kann es sein - aber nur, wenn ein Medienprofi dabei ist. Der kann Auftritte analysieren wie ein Fußballtrainer Spielzüge: Diese oder jene Geste war nicht stark genug, da könnte die Wortwahl besser sein oder das Sprechtempo dem Inhalt angemessener. Wenn er nur dort sitzt und denkt: Oh, da war ich wieder klasse, ist das pure Eitelkeit. Telefonieren kann man als Kontaktpflege verbuchen. In den publizierten Trump-Kalendern sollen einige Gesprächstermine fehlen, über die nur sehr enge Mitarbeiter informiert sind. Wie viel Netzwerken ist noch notwendig, wenn man ganz oben angekommen ist? Netzwerken ist tatsächlich elementar. Um zu hören, wie die Stimmung ist. Aber auch um Deals vorzubereiten. Da oben wird viel mehr im persönlichen Gespräch geregelt, als man glaubt. Trump hat das bisher nicht wirklich geschickt gemacht, sonst hätte er seine so geliebte Mauer wohl durchbekommen. Andere Präsidenten haben Senatoren und andere einflussreiche Personen angerufen, um zu sagen: Wenn du da zustimmst, gebe ich in einem anderen Bereich nach. Je höher man kommt, desto weniger inhaltliche Detailkenntnis wird erwartet, wohl aber strategischer Über- und Weitblick. Man muss vor allem die Schlüsselpersonen persönlich kennen und anrufen können, um gemeinsam getragene Lösungswege zu finden. Trump gilt als Bauchentscheider. Können Sie Spontaneität etwas abgewinnen? Bei brennenden Problemen auf jeden Fall. Eingebungen können bei kniffligen Fragestellungen hilfreich sein; aber Sie sollten daraus kein Prinzip machen. Spontane Entscheidungen sind weniger durchdacht. Auch sollten Sie vermeiden, unangekündigt Leute anzurufen, denn man bringt sie in eine unangenehme, weil unvorbereitete Lage. Die Folge: Das Gespräch wird von weniger Erfolg gekrönt sein. Was könnten sich Top-Manager von dem US-Präsidenten abschauen? Ich persönlich mag den Trump-Führungsstil nicht. "Management-by-Twitter" halte ich für ein Führungsverhalten, das eher zur Verwirrung beiträgt als zu effizienten und effektiven Problemlösungen. Aber etwas Entscheidendes macht er richtig: Er hat seinen eigenen Stil gefunden. So hat er einmal gesagt: Ich habe immer etwas anderes gemacht, als man von mir erwartet hat. Das kann in bestimmten Situationen durchaus ein erfolgreiches Management-Prinzip sein. Werner Kreuz hat für die amerikanische Unternehmensberatung A.T. Kearney unter anderem als Europachef eine von vier Regionen weltweit verantwortet. Auf Basis seiner Führungserfahrung coacht und berät er heute für die Düsseldorfer Grundmann Consulting hochrangige Führungskräfte nationaler und internationaler Unternehmen.
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Wer darf mit der "Unendlichen Geschichte" Geld verdienen? Wie so oft entscheidet ein Gericht über die Zukunft von Kindheitshelden. Der Besuch einer fantasielosen und sumpftraurigen Urteilsverkündung. Atréjus Schicksal wird im Erdgeschoss des Münchner Oberlandesgerichts für Zivilsachen verhandelt. Das öffentliche Interesse ist gering. Der Richter und die Protokollantin erschrecken sogar ein wenig, als sich jemand zu ihnen gesellt, in den Saal E06. "Möchten auch Sie ins Protokoll mit aufgenommen werden?", fragt der Richter unter den herrlich gewölbten Decken des alten Justizgebäudes an der Prielmayerstraße. "Nicht unbedingt", antwortet der einzige Zuhörer. Dann wird sich erhoben. Zur Urteilsverkündung über leeren Tischen, im Namen des Volkes. Der Text wird rasend schnell verlesen, auf der Zuhörerbank kann man kaum folgen. Man meint das Wort "Drittwiderbeklagter" zu vernehmen, sowie den Ausdruck "vorläufig vollstreckbar". Es geht um Vermarktungsrechte von Michael Endes Werk "Die unendliche Geschichte". Kindliche Kaiserin und Fuchur Doch, schade, kein einziges Wort über Bastian Balthasar Bux, den Bücherfreund. Auch nicht über das Reich Phantásien, in dem die Kindliche Kaiserin dringend Hilfe braucht. Selbst Glücksdrache Fuchur wird nicht erwähnt, auch nicht Krieger Atréju, dessen Pferd Artax - man sieht das alles noch sehr genau vor sich - einst im Kampf gegen das Nichts in den "Sümpfen der Traurigkeit" versank. Von alldem hat man bereits Anfang der 80er-Jahre in Michael Endes Roman gelesen. Mit Tränen in den Augen. Ein paar Jahre später hat man es sich dann auf der Leinwand angeschaut, in einem dieser Lichtspieltheater, die es damals noch in fast jedem Dorf gab. Doch die Verfilmung war kitschig und parfümiert. Deutlich weniger geistreich als das Buch. Einige Namen aus dem Abspann hat man sich dennoch gemerkt: Bernd Eichinger (Produzent), Wolfgang Petersen (Regisseur), Klaus Doldinger (Musik) und Noah Hathaway (Atréju vom "Volk der Grünhäute"). Um diese Verfilmung also geht es in der Urteilsverkündung im Saal E06 des Münchner Oberlandesgerichts. Und, wie die Pressesprecherin später erläutert: Das OLG bestätigt einen bereits vorausgegangenen Richterspruch, wonach "der Kläger und sein Vater keine Rechte mit Blick auf das literarische Werk ,Die unendliche Geschichte' und/oder seine zukünftige Verfilmung innehaben, insbesondere keine Merchandisingrechte mit Blick auf zukünftig zu erstellende Filmproduktionen". Komisches Deutsch. Wer bekommt Geld bei einer neuen Verfilmung? Aber eine hochkomplizierte Angelegenheit! Der Sohn eines Anwaltes, der sich einst um die Rechte an der Verfilmung gekümmert hatte, hatte gegen den Nachlassverwalter Michael Endes geklagt, der die Erben vertritt. Vor einigen Jahren zum Beispiel hatte Leonardo DiCaprio sein Interesse an einer Neuverfilmung bekundet. Die Frage, natürlich: Wer bekäme dann die Kohle? Antwort: die Erben. Wer jedenfalls einst als Freund Atréjus mit Buch und Film aufgewachsen ist, der glaubt angesichts der Sprache in Saal E06, noch an Ort und Stelle in den Sümpfen der Traurigkeit zu versinken. Was wurde seinen Helden aus der Kindheit nicht schon alles angetan! Mal wurde der Pumuckl vors Landgericht gezerrt, dann landeten Pippi Langstrumpf und Asterix vor dem BGH. Mal wurden die Rechte an Wickie, Heidi, Biene Maja und Pan Tau verscherbelt, dann verlor das Dschungelbuch durch ein Remake jede Spur von Leichtigkeit. Versuch's mal mit Betrüblichkeit. Gilt natürlich auch für alle Neuverfilmungen von Michael Endes "Jim Knopf" oder "Momo". Das Nichts, es bedroht nicht nur Phantásien. Als "platt und banal" hatte Michael Ende (1929 - 1995) die für den US-Markt vorgesehene "Micky-Maus-Version" seiner unendlichen Geschichte bezeichnet. Als "menschliche Gemeinheit" und "künstlerischen Verrat" eines Produzenten, der ihm einmal im Garten an den Baum gepinkelt habe. Half aber nichts. Vertrag war Vertrag. Und da entscheiden am Ende die Gerichte.
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George Pell, oder „Big George“, wie ihn wegen seiner Statur und seines Egos viele riefen, besetzte im Vatikan ein zentrales Amt: Er war Chef des Sekretariats für Wirtschaft, also eine Art Wirtschafts-Superminister. Selten zuvor hat ein Schuldspruch aus dem fernen Australien auf dieser Seite des Planeten einen so lauten Widerhall erzeugt. Die Verurteilung des Kurienkardinals und Papstvertrauten George Pell erschüttert den Vatikan mit aller Wucht und stürzt ihn nur zwei Tage nach dem Ende des internationalen Missbrauchsgipfels in ein großes Dilemma. Pell ist von einem Geschworenengericht in der Heimat für schuldig befunden worden, sich 1996 an zwei damals 13 Jahre alten Chorknaben sexuell vergangen zu haben. In der Sakristei der Kathedrale von Melbourne, nach dem Gottesdienst. Er ist der bisher höchstrangige und prominenteste katholische Kirchenmann, der des Missbrauchs überführt wurde. Unter Benedikt XVI. galt Pell als "Ratzingerianer", unter Franziskus als "Bergoglianer". Zum Kardinal ernannte ihn aber noch deren Vorgänger, Johannes Paul II. Es gab Zeiten, da galt der Australier als "papabile", als möglicher Papst also, obschon es schon lange düstere Gerüchte und Klagen über ihn gegeben hatte. Die australische Justiz hatte ein vorläufiges Berichtsverbot verhängt Das Urteil fiel schon im Dezember, einstimmig. Doch da damals noch offen war, ob die Staatsanwaltschaft Pell in weiteren Fällen den Prozess machen würde, verhängte die australische Justiz ein vorläufiges Berichtsverbot. Das ist so üblich, damit die Geschworenen im neuen Prozess sich nicht vom Urteil in einem anderen Verfahren beeinflussen lassen. Das Embargo wurde bald gebrochen. Und so gab der Vatikan schon am 12. Dezember bekannt, dass Pell nicht mehr dem Kardinalsrat angehöre, dem K9, wie Papst Franziskus sein Reformgremium nannte. "Aus Altersgründen", hieß es im offiziellen Bulletin des Heiligen Stuhls, seien drei Mitglieder ausgeschieden. Das Alter war ein Vorwand, nicht nur im Fall des Australiers. Pell ist 77. Beurlaubt hat ihn der Papst schon im Juni 2017, als er angeklagt wurde. Pell sagte damals, er wolle seinen "Namen reinwaschen", verzichtete auf seine diplomatische Immunität und stellte sich einem weltlichen Gericht, was vor ihm noch nicht viele Prälaten getan hatten. Im Jahr davor, als die Royal Commission, die sich der Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle angenommen hatte, Pell verhören wollte, weigerte er sich noch, nach Australien zu fahren. Er führte hohen Blutdruck und Herzprobleme ins Feld, ein Arzt riet vom langen Flug ab. Die Befragung fand dann doch statt, via Skype: Pell saß dafür in einem römischen Hotel. Der Papst beließ ihn im Amt, er legte es nur auf Eis - wohl in der Hoffnung, Pell komme bald wieder heim mit reingewaschenem Namen. Die Verurteilung ändert nun nichts daran: Der Vatikan hat den Status Pells am Dienstag offiziell bestätigt. Der Kardinal bleibt also in seinem Amt, darf seine Funktion aber weder öffentlich ausüben noch mit Minderjährigen in Kontakt treten, bis es "definitive Fakten" gebe. "Das ist eine schmerzhafte Nachricht", sagte ein Sprecher des Vatikans. "Wir sind uns sehr bewusst, dass sie viele Menschen nicht nur in Australien schockiert hat." Doch Pell beteuere nach wie vor seine Unschuld und habe ein Recht darauf, sich bis zur letzten Instanz zu verteidigen. Pells Personalie ist eine besonders gewichtige. Er ist der Chef des Sekretariats für Wirtschaft, zuständig für alle wirtschaftlichen Aktivitäten des Vatikans, inklusive des IOR, der sagenumwobenen Vatikanbank. Wollte man das Organigramm des Vatikans mit einer weltlichen Staatsspitze vergleichen, sähe das so aus: Ganz oben sitzt der Papst als absoluter Monarch; darunter kommt Pietro Parolin, der "Staatssekretär Seiner Heiligkeit", so etwas wie Premier- und Außenminister in Personalunion; gleich darunter - oder gleichauf - rangiert George Pell, der Superminister für Wirtschaft und Finanzen. Darum nennt man ihn die "Nummer drei" des Vatikans, obschon es diese Bezeichnung gar nicht gibt. Die Schaffung des Sekretariats für Wirtschaft ist bis heute eine der revolutionärsten Handlungen im bisherigen Pontifikat von Jorge Mario Bergoglio. Sie trug ihm zu Beginn seiner Amtszeit viel Lob ein. Es hieß, Franziskus kappe endlich alte Seilschaften in der römischen Kurie: furchtlos, entschlossen, bemüht um Transparenz. Pell schien die ideale Besetzung zu sein, auch körperlich. In der Jugend hatte er Australian Football gespielt, eine härtere Variante von Rugby, vermischt mit Elementen des Fußballs. Wegen seiner imposanten Körpergröße und dem nicht minder auffälligen Ego nannte man ihn auch "Big George". Immer markig im Auftritt, gerne auch polemisch. Der Anpacker aus einfachen Verhältnissen würde sich nicht scheuen, dem alten System notfalls die Knochen zu brechen, konnte man damals lesen. Machtintrigen? Würde er locker wegstecken mit seiner rustikalen Art. Doch dann holte Pell die Vergangenheit ein. Verdachtsfälle gab es schon aus seiner Zeit als Priester in Ballarat, seinem Heimatort im Bundesstaat Victoria, in den Siebzigern. Er soll damals Kinder im Schwimmbad sexuell belästigt haben. Sein Fall ist ein Fanal. Er wirft mal wieder die Frage auf, wie einer wie Pell Karriere machen konnte in der katholischen Kirche, bis hart ans Bein des Stuhls Petri. Oder einer wie Theodore McCarrick, der frühere Erzbischof von Washington D.C., ein serieller Missbrauchstäter, der erst vor einigen Wochen in den Laienstand versetzt wurde. Was läuft da schief in der Personalpolitik des Vatikans? War Franziskus einfach zu gutgläubig? Oder ist es schlimmer: Verfiel die Kirche bisher ihrer Selbstlüge, dass im Grunde alles nicht so arg ist, dass die Medien die Skandale aufbauschten, dass es schließlich überall in der Gesellschaft Missbrauch gibt? War Franziskus einfach zu gutgläubig? Neben Pell entließ der Papst im Dezember auch den chilenischen Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa aus dem K9. Der ist zwar tatsächlich schon 85 Jahre alt. Doch er wurde wohl nicht deshalb aussortiert. In seiner Heimat wird Errázuriz vorgeworfen, er habe jahrelang Täter aus dem anvertrauten Klerus gedeckt. Täuschte er auch den Papst? Als Franziskus voriges Jahr Chile besuchte, verstörte er die Gläubigen damit, dass er mit harschen Worten einen Bischof verteidigte, dem vorgeworfen wird, Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. Später entschuldigte er sich. Er sei mangelhaft informiert gewesen. Die passende Unterrichtung wäre wohl die Aufgabe des Kardinals gewesen. Der Vorfall in Chile lastete schwer auf der Glaubwürdigkeit des Papstes. Die Welt fragte sich, ob Franziskus es tatsächlich ernst meine mit seinem Bekenntnis, die Schande des Missbrauchs mit aller Macht zu bekämpfen. Die Kinderschutzkonferenz war ein Versuch, diesem Bekenntnis Nachdruck zu verleihen und es konkret zu machen. Es blieb beim Versuch.
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Gut Ding ..., na Sie wissen schon. Vor vier Jahren stellten die Macher des Kopfhörers Kokoon Relax ihre Idee der Kickstarter-Gemeinschaft vor. 100 000 Dollar wollte das britische Unternehmen über die Crowdfunding-Plattform einwerben - fast zwei Millionen sind es geworden. Auch bei ihrem Produktionsziel haben sich die Erfinder leicht verkalkuliert: Früh im Jahr 2016 sollten erste Kopfhörer verschickt werden. 54 E-Mail-Updates später wird klar: Das klappt nicht. Anfang 2019 erst liegen die Kopfhörer in der Post, vier Jahre nach Bestellung. Die gute Nachricht, immerhin, das Warten hat sich gelohnt. Die Kokoon Relax sind außergewöhnliche Kopfhörer. Das Gerät richtet sich an Erholungsbedürftige, will den Schlaf besser machen. Das Werbeversprechen der Kokoon lautet, das "ultimative Schlafrefugium" zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, messen EEG-Sensoren in jeder Ohrmuschel die Hirnströme. So soll der Kopfhörer merken, wann der Träger in den Schlaf fällt und dann die Musik leiser drehen. Oder mit welcher Musik oder welchem Hörbuch der Schlaf am schnellsten und erholsamsten gelingt. Wohlgemerkt, soll: Im Test klappt das nie. Die App, wie sollte es anders sein bei diesem Projekt, ist noch nicht ausgereift. Dabei gefallen die vorhandenen Sprachanleitungen mit sonorer Stimme und die entspannenden Songs und Geräusche in der App schon jetzt. Dass die Kokoon Relax keinen Verriss bekommen, liegt in erster Linie an der gelungenen Hardware. Zwar ist auch die Verarbeitungsqualität nicht makellos. Geladen etwa werden die Bluetooth-Kopfhörer über einen inzwischen veralteten Micro-USB-Anschluss. Zu begeistern weiß der Kokoon aber beim Tragekomfort. Da drückt nichts, da werden die Ohren auch nach stundenlangem Hören nicht warm. Beim Schlafen fällt kaum auf, dass man einen Kopfhörer trägt. Mit einem weichen Kissen gelingt das sogar auf der Seite. Nach kurzer Eingewöhnung entspannt sich der Träger bereits beim Aufsetzen, Pawlow lässt grüßen. Die Kopfhörer filtern Geräusche, so dass man sich buchstäblich in einem Kokon wähnt. Beim Start waren die Kokoon Relax einzigartig, jetzt sind sie es nicht mehr. Die 320 Euro , ein durchaus stolzer Preis, sind dennoch gut investiert für ruhigere Nächte.
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Ob der Deutsche aufhört, klärt sich nicht in den beiden letzten Saisonspielen. Das Revierderby wird am 31. Spieltag um 15.30 Uhr für jeden zu sehen sein. Der BVB holt wohl einen Belgier. Basketball, Dirk Nowitzki: Der Mann von den Dallas Mavericks wird unmittelbar nach dem Saisonende in der NBA noch keine Entscheidung über seine Zukunft bekannt geben. Der Basketballer will im Familienurlaub mit seiner Frau und den Kindern darüber nachdenken, ob er nach 21 Jahren bei den Mavs aufhört oder nicht. "Ich fahre mit Jessica und den Kids an einen Strand irgendwo in die Karibik, schaue mal, wie sich der Körper erholt und sich alles entwickelt. Dann entscheide ich, wie's weitergeht", sagte der 40-Jährige der Bild-Zeitung. Es werde in einigen Wochen Klarheit herrschen. "Ich kann natürlich nicht allzu lange warten, die Entscheidung monatelang hinauszögern und dann plötzlich sagen, ich spiele noch eine Saison", so Nowitzki, "die Entscheidung muss relativ zeitnah fallen." Der NBA-Champion von 2011 absolviert noch zwei Saisonspiele für Dallas, in der Nacht zum Mittwoch gegen die Phoenix Suns und in der Nacht zum Donnerstag bei den San Antonio Spurs. Danach findet eine Pressekonferenz statt, den Rücktritt wird Nowitzki dort nicht erklären. "Ich habe immer gesagt, ich will die Saison zu Ende spielen und schauen, wie und wann sich mein Körper erholt hat. Dann schaun mer mal", sagte Nowitzki. Er steht zu seinem Wort. Bundesliga, TV: Die ARD wird das Revierderby am 31. Spieltag zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 live im Free-TV übertragen. Das gaben beide Sender am Montag bekannt. Anstoße der Partie ist am 27. April um 15:30 Uhr. Sky und Das Erste werden das Live-Spiel parallel übertragen. "Es ist toll für alle Fans der Fußball-Bundesliga, dass wir kurz vor Ende der aktuellen Saison noch so eine Top-Begegnung live übertragen können", wird ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky zitiert. Sky, das zusammen mit Eurosport die Exklusiv-Rechte an Live-Übetragungen der Bundesliga haben, erhofft sich durch die Übertragung im Free-TV eine gesteigerte Wahnehmung der Bundesliga. "Um die Aufmerksamkeit für unsere Bundesliga-Berichterstattung noch weiter zu steigern, haben wir uns entschieden, auch der ARD die Live-Übertragung des Revierderbys Dortmund gegen Schalke zu ermöglichen. Durch diese Kooperation mit der reichweitenstarken ARD unterstreichen wir unsere Programmkompetenz als langjähriger Partner des deutschen Fußballs und machen das Spiel zudem einem noch größeren TV-Publikum zugänglich", sagte Dr. Holger Ensslin von Sky Deutschland. Bundesliga, Dortmund: Thorgan Hazard wird Borussia Mönchengladbach Informationen des kicker zufolge am Saisonende verlassen und zu Borussia Dortmund wechseln. Der belgische Nationalspieler solle beim BVB bereits im Wort stehen und etwa 40 Millionen Euro Ablöse kosten. Der 26-Jährige besitzt in Mönchengladbach einen Vertrag bis 2020. Sportdirektor Max Eberl sieht für den kommenden Sommer allerdings nur die Option Verlängerung oder Verkauf, um nicht auf großes Geld verzichten zu müssen. Hazard ist mit neun Toren und zehn Vorlagen der Gladbacher Topscorer der Saison. Die Dortmunder suchen Ersatz für den Amerikaner Christian Pulisic, der bereits für 64 Millionen Euro an den FC Chelsea verkauft ist, aber in der Rückrunde noch beim BVB spielt. Hazard kann auf beiden Außenbahnen oder als hängende Spitze eingesetzt werden. FC Bayern, Trainer: Uli Hoeneß hat Trainer Niko Kovac einmal mehr gestärkt. Nach der Machtdemonstration im Bundesliga-Gipfel am Samstag gegen Borussia Dortmund und der Rückkehr an die Tabellenspitze sagte Hoeneß: "Wir haben eine sehr gute Mannschaft und sie hat wie eine sehr gute Mannschaft gespielt." Für ihn sei die Spielweise der Mannschaft entscheidend, und da habe das 5:0 gegen den BVB "keine Frage offengelassen", sagte der 67-Jährige. Im Verhältnis zu Trainer Niko Kovac "war immer alles okay", sagte Hoeneß dem Kicker. "Wenn ich unzufrieden bin, heißt das noch lange nicht, dass wir den Trainer rausschmeißen. Man kann trotzdem kritisch miteinander umgehen." Die Situation bei den Münchnern habe sich seit November 2018 - Tiefpunkt war das 3:3 gegen Fortuna Düsseldorf - verändert. Damals "hatte ich das Gefühl, es ist alles desaströs und es funktioniert gar nichts", so der Präsident, "aber seither haben wir kaum noch ein Spiel verloren. Und selbst wenn wir Zweiter würden, ist das doch kein Desaster", sagte Hoeneß. Die Aussage von Karl-Heinz Rummenigge im TV-Sender Sky sei kein Widerspruch. Der Vorstandsvorsitzende hatte am Sonntag erklärt, dass es für keinen eine Jobgarantie gebe, denn bei den Bayern würden Leistung und Ertrag zählen. Das gelte auch für Kovac. Fußball, Frankreich: Der frühere Bundesliga-Profi Eric Maxim Choupo-Moting hat für einen unfassbaren Fehlschuss um Entschuldigung gebeten. Der Kameruner hätte den französischen Fußball-Meister Paris St. Germain am Sonntagabend vorzeitig zum erneuten Titel führen können, klärte aber den Ball beim Stande von 1:1 gegen Racing Straßburg via Pfosten quasi auf der Linie, anstatt ihn einfach ins Tor rollen zu lassen. Das Spiel endete 2:2 (1:2), die PSG-Meisterfeier ist verschoben. "Es tut mir leid", sagte der ehemalige Schalker und Mainzer zerknirscht. "Es ging sehr schnell, ich dachte daran, vielleicht im Abseits zu stehen, ich wollte meinem Mitspieler nicht das Tor stehlen. Dann kam mein schlechter Reflex. Ich muss das Ding einfach durchlassen oder reinschieben. Das ist schwer zu erklären." Christopher Nkunku hatte den herausstürmenden Torwart überlupft, der Ball rollte Richtung Linie, bevor Choupo-Moting ihn aufhielt. "Das war die Möglichkeit zum 2:1, und dann hat er das getan. Ich weiß nicht, warum. Das war wohl Murphys Gesetz", sagte der deutsche PSG-Trainer Thomas Tuchel. Schwerwiegende Folgen hat der Fauxpas allerdings nicht: PSG hat an der Spitze der Ligue 1 weiter 20 Punkte Vorsprung. Fußball, Spanien: Nationaltorhüter Marc-Andre ter Stegen und dem FC Barcelona ist der 26. Meistertitel in der Primera Division praktisch nicht mehr zu nehmen. Barca gewann am Samstagabend im Topduell gegen den Tabellenzweiten Atletico Madrid 2:0 (0:0) und hat bei noch sieben ausstehenden Spielen elf Punkte Vorsprung auf den Verfolger. Luis Suarez (85.) und Lionel Messi (86.) mit seinem 33. Saisontor entschieden die Partie spät mit einem Doppelschlag, nachdem Atletico nach einer Roten Karte für Diego Costa (25., Schiedsrichterbeleidigung) früh in Unterzahl geraten war. Schon beim 4:4 in Villarreal am Dienstag hatten Messi und Suarez mit Treffern kurz vor Schluss Barcelona einen Punkt gerettet. Den Rückstand auf den Stadtrivalen Atletico verkürzte Real Madrid auch dank des zuletzt kritisierten Toni Kroos auf zwei Punkte. Der deutsche Weltmeister von 2014 wurde beim 2:1 (0:1) gegen Außenseiter SD Eibar erst in der 77. Minute eingewechselt und bereitete gleich den Siegtreffer durch Karim Benzema (81.) vor. Im vierten Spiel mit Trainer Zinedine Zidane an der Seitenlinie war es der dritte Erfolg für Real. Drei Tage zuvor hatten die Königlichen im Verfolgerduell beim FC Valencia noch die erste Niederlage (1:2) unter Zidane kassiert, Kroos hatte schwach gespielt und war Mitte der zweiten Hälfte ausgewechselt worden. Gegen Eibar saß er nun zunächst lange auf der Bank und sah, wie der Gast durch Marc Cardona (39.) in Führung ging. Erst in der zweiten Hälfte gelang Benzema (59.) der Ausgleich, in der Schlussphase traf der Franzose nach Maßflanke von Kroos dann zum Sieg.
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Wenn Wladimir Putin nun im Fernen Osten Russlands den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un empfängt, dann wollen beide nicht zuletzt Zeichen Richtung Westen senden. Es treffen sich in Wladiwostok zwei Verschmähte, die einander ein Stück weit aus ihrer Isolation helfen möchten. Der russische Präsident träumt, anders als Donald Trump, nicht davon, für den Friedensnobelpreis nominiert zu werden. Er möchte ein wenig internationales Gewicht einsammeln. Zwar fühlt sich Russland unwohl mit den Atomwaffen des Nachbarn. Trotzdem dürfte es Putin gut gepasst haben, dass sich der US-Präsident mit Kim Jong-un im Februar nicht einig wurde über eine Abrüstung. Erstens machte erst dieses Scheitern Putin zu einem interessanten Gesprächspartner für Kim, der weiterhin auf die Lockerung der UN-Sanktionen hofft. Zweitens wittert Putin eine Chance, sich als Vermittler im Atomstreit zwischen den USA und Nordkorea ins Spiel zu bringen. Bleibt die Frage, was er dem nordkoreanischen Diktator zu bieten hat. Moskau leidet selbst unter US-Sanktionen, das wirtschaftlich geschwächte Russland ist für Pjöngjang als Handelspartner nicht mehr so wichtig wie einst. Putin bringt wenig Verhandlungsmasse mit. Auch das zeigt, dass es in Wladiwostok weniger um Inhalte geht als um Gesten.
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Seit fast drei Monaten sucht Ceconomy, die Konzernmutter der Ketten Media-Markt und Saturn, nun schon einen neuen Vorstandschef. Die Besetzung scheint schwierig. Aufsichtsrat und Großaktionäre von Ceconomy sind sich nach Informationen der Süddeutschen Zeitung nicht einmal darüber einig, welches Profil die Person haben sollte. Wie viel Macht sie in dem Unternehmen haben sollte, das mit mehr als 21 Milliarden Euro Umsatz einer der größten Elektronikhändler Europas ist? Ob sie eher ein Handelsprofi oder ein Digital-Spezialist sein sollte? Und wie lang ihr Vertrag laufen soll? Eher nur drei Jahre, um den offenbar notwendigen tief greifenden Umbau des kriselnden Unternehmens anzustoßen, dem die Gewinne wegbrechen? Oder besser zehn Jahre, um die Transformation nicht nur auf den Weg zu bringen, sondern diese zu begleiten und unumkehrbar zu machen? Christoph Vilanek, Chef von Freenet, einer der Ceconomy-Großaktionäre, der 9,4 Prozent der Anteil an dem börsennotierten Unternehmen hält, hat da klare Vorstellungen. Doch die stimmen nicht unbedingt mit denen des Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen Fitschen, des ehemaligen Co-Chefs der Deutschen Bank, überein, der qua Amt eigentlich mit der Suche beauftragt ist. Vilanek sagt: "Ceconomy braucht einen starken CEO, der von außen kommt. Einen Macher mit großer Digital- und Transformations-Kompetenz, der ein tiefes Verständnis für das operative Geschäft mitbringt." Doch genau um dieses "operative Geschäft" soll sich nach offizieller Darstellung eigentlich der Spanier Ferran Reverter kümmern. Reverter stieß vor 17 Jahren zum Unternehmen und steht seit Oktober an der Spitze der Ketten Media-Markt und Saturn. Ihn will das Unternehmen erklärtermaßen als eine Art Sanierer aufbauen. Die Frage ist: Wenn jetzt ein weiteres Alphatier geholt und Reverter vor die Nase gesetzt wird, wäre dass dann gut oder schlecht für Ceconomy? Auch da gehen die Meinungen auseinander. Vilanek hält es für unerlässlich, dass der neue Ceconomy-Chef Durchgriff auf die Media-Markt- und Saturn-Märkte hat, die bislang weitgehend ein Eigenleben führen. Er sagt: "Die 450 Marktleiter in Deutschland und das mittlere Management in Ingolstadt müssen vor ihm Respekt haben. Im Vergleich zur Situation bis zum Weggang von Pieter Haas, bin ich der Überzeugung, dass der CEO operative Verantwortung für das Tagesgeschäft tragen muss und nicht nur als Holding-Chef agieren darf." Kurzum: Bitte keinen hochbezahlten Frühstücksdirektor. Fitschen mag sich öffentlich nicht zu der Personalie äußern. Er lässt lediglich mitteilen, dass die Nachfolgesuche auf bestem Wege sei. Nur: Nach drei Monaten ergebnisloser Suche ist offensichtlich, dass dem nicht so ist. Fitschen sucht auch nicht selber. Er überlässt das der Personalberatung Egon Zehnder. Eng verbunden mit der Frage, welches Profil der neue Holding-Chef haben sollte, ist ein weiteres Problem. Gegenwärtig hat die Holding ihren Sitz in Düsseldorf, das Management von Media-Markt und Saturn arbeitet jedoch in Ingolstadt. Hat es Sinn, beides geografisch zu trennen? Nach offizieller Sichtweise ja. Pro forma müsse die Holding in Düsseldorf sein, heißt es. Man erinnere sich: Ceconomy spaltete sich vor anderthalb Jahren von der Metro AG ab, und deren Sitz war und ist in Düsseldorf. Deswegen müsse dort auch Ceconomy angesiedelt sein. Freenet-Chef Vilanek hält das für falsch. "Die Ceconomy-Holding sollte ihren Sitz in Ingolstadt haben", sagt er, "dort, wo das operative Geschäft seinen Sitz hat und die Entscheidungen getroffen werden." Und das sind nicht mal alle Probleme. Gesucht wird auch noch ein neuer Finanzchef. Den Posten hat Anfang des Jahres ein Aufsichtsratsmitglied - nur übergangsweise übernommen.
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Das Treffen hatte durchaus Bedeutung. Es ging um ein Zwei-Billionen-Dollar-Infrastrukturgesetz. Selbst für US-Maßstäbe ist das eine gewaltige Summe. Die Führer der Demokraten im Kongress, Nancy Pelosi und Chuck Schumer, sind am Mittwoch kurz vor Mittag ins Weiße Haus gekommen, um mit Präsident Donald Trump die weiteren Details zu verhandeln. Sie haben wohl mit vielem gerechnet, aber eher nicht damit, dass Trump sie erst 15 Minuten warten lässt und dann vor allem Pelosi mehrere Minuten lang anraunzt. Sie hatte ihn bezichtigt, in eine Vertuschung involviert zu sein. Nach seinem Ausbruch verließ der Präsident umgehend den Raum. Seinen Gästen gab er nicht mal die Hand, berichten Teilnehmer. Wenige Minuten später stand Trump im Rosengarten des Weißen Hauses und erklärte vor laufenden Kameras, dass er mit diesen Demokraten keine Deals mehr machen werde, nicht unter diesen Umständen. Er könne nicht regieren, wenn gleichzeitig immer noch gegen ihn ermittelt werde. Solange gegen ihn ermittelt werde, werde es keine Zusammenarbeit mit den Demokraten geben. Die Vertuschung, von der Pelosi wenige Stunden vor dem Treffen mit Trump gesprochen hat, bezieht sich auf dessen offenkundige Versuche, die Ermittlungen in der Russland-Affäre zu behindern. Vor wenigen Wochen hat Sonderermittler Robert Mueller nach fast zwei Jahren Arbeit seinen Bericht fertiggestellt. Er hat zwar nicht den notwendigen "über jeden Zweifel erhabenen Beweis" dafür gefunden, dass Trump oder Mitglieder der Trump-Kampagne illegal mit der russischen Regierung zusammengearbeitet haben, um die Wahl 2016 zu gewinnen. In einer anderen, nicht minder diffizilen Frage aber ist Mueller weniger klar. Der Sonderermittler schreibt, er könne den Präsidenten vom Vorwurf der Justizbehinderung weder freisprechen noch ihn deswegen vor Gericht bringen. Es war dann Trumps Justizminister William Barr, der entschied, in dieser Frage keine weiteren Schritte gegen den Präsidenten zu unternehmen. Wenn es keine illegale Kooperation gegeben habe, dann habe Trump auch keinen Grund gehabt, die Justiz zu behindern, lautete Barrs lapidare Begründung. Die Demokraten wollen diese und andere Fragen genauer untersuchen. Mehrere aktuelle und frühere Mitarbeiter des Weißen Hauses wurden bereits vorgeladen. Aber Trump sperrt sich. Und verbietet seinen Leuten, trotz der rechtlich bindenden Vorladungen, vor den Ausschüssen im Repräsentantenhaus auszusagen. Er weigert sich, diversen Aufforderungen zur Zusammenarbeit von insgesamt sechs Ausschüssen nachzukommen. Die Demokraten finden, der Präsident stelle sich mit seiner Haltung über das Gesetz. Unter ihnen werden die Stimmen immer lauter, die ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump einleiten wollen. Das aber lehnt Pelosi derzeit noch ab - aus wahltaktischen Gründen. Sie glaubt, dass ein Impeachment den Demokraten die Siegchancen bei der Präsidentschaftswahl 2020 verhageln könnte. Pelosi: "Ich bete für den Präsidenten" Am Mittwochmorgen hatte es dazu hinter geschlossenen Türen eine Aussprache der führenden Demokraten im Kongress gegeben. Pelosi kündigte immerhin an, den Ermittlungsdruck auf Trump weiter zu erhöhen. Danach trat sie vor die Presse und erklärte: "Wir glauben, dass es wichtig ist, sich an die Fakten zu halten. Wir glauben, dass niemand über dem Gesetz steht, auch nicht der Präsident der Vereinigten Staaten. Und wir glauben, dass der Präsident der Vereinigten Staaten an einer Vertuschung beteiligt ist." Vor seinem Pult im Rosengarten ließ Trump ein Schild installieren: "NO Collusion, NO Obstruction", stand neben anderem darauf. Keine Zusammenarbeit mit den Russen, keine Justizbehinderung. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe diese Anschuldigung Trump derart in Rage versetzt, dass er die Gespräche über das Infrastrukturgesetz faktisch beendete. Es gibt aber noch eine andere Lesart: Trump habe nur einen Weg gesucht, die Schuld für das Aus des Gesetzes den Demokraten in die Schuhe schieben zu können. Zwar sind sich Republikaner und Demokraten im Senat wie im Repräsentantenhaus weitgehend einig, dass es dieses Gesetz geben muss. Straßen, Brücken, Schienenwege, vieles ist in einem Zustand, der mit marode noch freundlich umschrieben ist. Doch die Frage der Finanzierung ist trotz mehrwöchigen Vorlaufs immer noch offen. Das Weiße Haus weigert sich beharrlich, Vorschläge vorzulegen, wie die Regierung die angekündigten zwei Billionen Dollar zusammenbekommen will. Am Dienstag hatte Trump die demokratischen Führer überraschend per Brief über seine neueste Bedingung informiert. Bevor er diesem parteiübergreifenden Projekt seine Zustimmung gebe, müssten die Demokraten dem neu verhandelten nordamerikanischen Freihandelsabkommen zustimmen, das jetzt nicht mehr Nafta, sondern USMCA heißt. Manche Beobachter sagen, damit habe Trump den letzten Nagel in den Sarg für das Infrastrukturgesetz geschlagen. Das Online-Magazin Politico schreibt: Pelosis Rede von der Vertuschung sei auf keinen Fall der einzige Auslöser für Trumps Ausbruch gewesen: "Trump war darauf vorbereitet, den Stecker zu ziehen." Wenn der Präsident seine Drohung wahr macht und jede Zusammenarbeit mit den Demokraten verweigert, dann ist bis zur Wahl 2020 auf gesetzgeberischer Seite nichts mehr von ihm zu erwarten. Nach Trumps Auftritt im Rosengarten stellten sich auch Pelosi und Schumer noch einmal vor die Kameras. Schumer erklärte, wer erlebt habe, was da gerade im Weißen Haus passiert sei, dem sei "die Kinnlade heruntergeklappt". Pelosi versprach: "Ich bete für den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Und ich bete für die Vereinigten Staaten von Amerika."
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Erstmals soll es in Deutschland eine gesetzliche Untergrenze für die Bezahlung von Auszubildenden geben. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bestätigte am Montag Berichte, wonach sie die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung plane. Auszubildende im ersten Lehrjahr sollen demnach von 2020 an mindestens 515 Euro erhalten. In den Folgejahren soll sich dieser Lohn dann erhöhen auf bis zu 620 Euro 2023. Bereits am Mittwoch soll der Gesetzentwurf vom Bundeskabinett beschlossen werden. Das Handwerk protestierte gegen die Pläne. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sieht darin einen schweren Eingriff in die Tarifautonomie, befürchtet eine Überforderung vor allem kleinerer Handwerksbetriebe und warnt, dass Betriebe künftig weniger jungen Leuten Lehrstellen zur Verfügung stellen könnten. Der Bund der Deutschen Arbeitgeber (BDA), der den Reformvorschlag eigenen Angaben zufolge mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund DGB "in engster Abstimmung mit dem Handwerk" und "auf Bitten der Politik" ausgearbeitet hat, äußerte sich hingegen zufrieden. Mit dem jetzigen Vorschlag werde die Mindestausbildungsvergütung "ohne große Schäden für die Tarifautonomie geregelt". Der DGB hält die Pläne für überfällig. Man könne nicht in Sonntagsreden den Wert der Berufsausbildung loben und werktags die Jugendlichen mit Dumping-Vergütungen abspeisen, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann. Karliczek sieht die von ihr geplante Mindestvergütung vor allem als wichtigen Beitrag zur Stärkung der Aus- und Weiterbildung. "Auf der einen Seite wollen wir die Leistung, die die jungen Menschen in den Betrieben erbringen, wertschätzen", sagte sie am Montag in Berlin. Andererseits wolle man "weiter die hohe Dynamik in den Betrieben erhalten, gute und hochwertige Ausbildung anzubieten". Im Wissen um dieses Spannungsfeld habe die Bundesbildungsministerin Zugeständnisse bei der Höhe der Mindestvergütung gemacht, berichten Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es sei ihr wichtig gewesen, die Sozialpartner einzubinden, sagte Karliczek in Berlin. Daher habe es eine enge Abstimmung gegeben. Ergebnis ist, dass dort, wo eine Mindestausbildungsvergütung nicht so schnell gewährleistet werden kann, ein Übergang ermöglicht wird. Das bedeutet: Wo es bereits Tarifverträge gibt, die einen geringeren Lohn vorsehen, gelten diese auch weiter, die Auszubildenden bekommen dann auch in Zukunft weniger als den Mindestsatz. Während der Koalitionspartner SPD die Neuregelung gutheißt, kratzt das Gesetz nach Meinung der Opposition nur an der Oberfläche. Jens Brandenburg, Sprecher für berufliche Bildung der FDP-Bundestagsfraktion, forderte eine Exzellenzinitiative, um mehr junge Menschen für eine berufliche Ausbildung zu begeistern. Mit der geplanten Reform gefährde die Regierung ausgerechnet in jenen Branchen Ausbildungsplätze, die auch jungen Menschen mit geringer Qualifikation eine Chance böten.
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Nicolás Maduro will die Macht in Venezuela nicht abgeben - und deswegen auch keine Hilfslieferungen seiner Gegner zulassen. Inmitten des Kampfs um die Macht in Venezuela hat die Führung in Caracas nun auch die Grenze zu Curaçao, Aruba und Bonaire geschlossen. Zwischen Venezuela und den Inseln, die vor der Nordküste des Landes liegen, dürfen keine Schiffe oder Flugzeuge mehr verkehren. Das berichtet unter anderem die Zeitung El Universal. Hintergrund ist der Machtkampf zwischen dem umstrittenen Machthaber Nicolás Maduro und dessen Herausforderer Juan Guaidó, den inzwischen mehr als 40 Länder anerkannt haben, unter anderem Deutschland und die USA. Guaidó hatte angekündigt, mit der Unterstützung der Regierung in Washington und weiterer Staaten Lebensmittel und Medikamente nach Venezuela zu bringen. Ob der gigantischen Versorgungskrise in dem Land leiden Millionen Menschen Hunger, Guaidó zufolge sind zudem etwa 300 000 Menschen akut vom Tod bedroht. Die nächste große Konfrontation könnte am Samstag bevorstehen Maduro hingegen bezeichnet die Hilfslieferungen als Vorwand, der dazu diene, eine Invasion vorzubereiten. Er ließ deshalb auch schon eine Blockade an der Grenze zu Kolumbien errichten, kurz bevor dort Hilfslieferungen eingetroffen waren. Nach der dortigen Blockade hatte die Niederlande, die ebenfalls Guaidó unterstützt, angekündigt, ein Zentrum für Hilfslieferungen auf Curaçao einzurichten. Die ABC-Inseln gehören zum Königreich der Niederlande. Die neuerliche Blockade zeigt, dass Maduro weiterhin entschlossen scheint, keine Hilfslieferungen zuzulassen. Die nächste große Konfrontation zwischen dem Autokraten und seinem Herausforderer Guaidó könnte am kommenden Samstag anstehen. Am 23. Februar läuft ein Ultimatum ab, das Guaidó Maduro gesetzt hat. Dann würden die Hilfslieferungen ins Land gebracht, zur Not auch gegen den Willen Maduros. Beobachter befürchten, dass es dann zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der regimetreuen Armee und den Unterstützern Guaidós kommen könnte. Bei den Protesten gegen Maduro sind bereits mehrere hundert Menschen getötet worden.
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Es ist im Grunde alles da, die Infrastruktur steht: Manche Lebensmittelkonzerne haben voll automatisierte Logistikzentren gebaut. Amazon hat sogar einen Algorithmus entwickelt, der den Reifegrad einzelner Früchte messen kann. Auch die sensibelste Kiwi könnte also theoretisch schon morgen in makelloser Schönheit ihren Weg zum Kunden in irgendeinem entlegenen Reihenhaus einer Vorstadt finden. Sie tut es aber nicht. Kaum jemand bestellt Lebensmittel online. "Der Marktanteil liegt bei nur einem Prozent", sagt Rainer Münch, Handelsexperte der Beratungsfirma Oliver Wyman. Ein Prozent. Und das ziemlich genau zwei Jahre, nachdem der US-Konzern Amazon, dem sonst fast alles zu gelingen scheint, sein Angebot Amazon Fresh in Deutschland startete, zuerst in Berlin und München, dann in Hamburg und Potsdam. Panik ist ein großes Wort, aber so etwas Ähnliches herrschte damals bei Edeka, Lidl und Aldi. Das düsterste Szenario entwarf der damalige Rewe-Chef Alain Caparros: "Wahrscheinlich wird nicht nur Staub aufgewirbelt", sagte er, "sondern ein Sturm entfacht." Zwei Jahre später muss man konstatieren, es ist nicht einmal eine leichte Brise zu verspüren. Liegt es an der hohen Dichte von Supermärkten und Discountern in Deutschland oder an den Liefergebühren, wie das Handelsforschungsinstitut EHI anführt? Sind die Lieferfenster zu groß? Oder ist es die Angst, persönliche Daten preiszugeben? All das kann als Erklärung letztendlich nicht dienen. Denn der Onlinehandel insgesamt boomt in Deutschland. Amazon ist eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen hierzulande, Deutschland der zweitgrößte Markt für den Konzern nach den USA. Nur mit den Lebensmitteln klappt es nicht wie erhofft. Wenn aber nicht einmal ein sonst so gewiefter Tech-Konzern wie Amazon den Markt knacken kann, muss der Grund für den winzigen Marktanteil tiefer liegen. Die Empfindlichkeit der Ware fällt einem da zuerst ein. Natürlich ist so eine Kiwi kein Buch, um das zu wissen, muss man kein Experte sein, Obst und Gemüse müssen pfleglich transportiert werden. Das tun die meisten Lieferanten allerdings. Die Kunden kaufen es trotzdem nicht. Umfragen zufolge wollen sie ihre Tomaten, Bananen oder Avocados vor dem Kauf anschauen und selber auswählen. Da helfe auch kein noch so ausgeklügelter Reifeprüfungs-Algorithmus, schlussfolgert die Fachpresse: "Künstliche Intelligenz ersetzt das Sehen, Riechen, Fühlen und Schmecken nicht." Das klingt einleuchtend, was allerdings stutzig macht, ist, dass diese Umfragen von großen stationären Händlern gemacht wurden. Ihre Glaubwürdigkeit unterstreicht das nicht gerade. Dazu passt, dass der heutige Rewe-Chef Lionel Souque sich noch Ende 2016, wohl in einer Minute der Unachtsamkeit, über das eigene Geschäftsmodell mokierte. Damals noch als Einkaufschef kalauerte er, man müsse sich einmal vorstellen, jemand würde heute Folgendes vorschlagen: Man solle doch Kästen, genannt Supermärkte, an die Ausfallstraßen der Städte bauen, dorthin müssten die Kunden mit dem Auto fahren, die Ware erst in einen Einkaufswagen legen, dann an der Kasse warten, zwischendurch quengelnde Kleinkinder beruhigen, und so weiter. Kurzum: keine sonderlich tolle Idee. Im Grunde war das ein Plädoyer für den Onlinehandel, und Rewe ist da ja heute auch Marktführer. Nur, vor ein paar Tagen, auf der Bilanzpressekonferenz, verlor Souque kaum mehr ein Wort darüber. Rewe verkündete hingegen üppige Gewinne im stationären Geschäft, so wie die anderen Großen auch, außer Aldi Nord. Die Konzerne haben kein Interesse, online mehr zu verkaufen Interessant ist deshalb, wie Wyman-Partner Münch das Ein-Prozent-Phänomen begründet. "Die Händler haben im Moment noch keine wirtschaftlich tragfähige Lösung für den Onlinehandel gefunden", sagt er. Sprich: Fast niemand verdient im Moment damit Geld. "Sie müssten daher eine gute Marge durch eine schlechte ersetzen und würden sich aktuell selber schaden, wenn sie den Onlinehandel forcieren." Das heißt, sie haben gar kein Interesse daran, online mehr zu verkaufen, weil sie draufzahlen würden. "Die Nachfrage ist aber da", ergänzt Münch. Wyman taxiert sie auf fünf bis zehn Prozent. Damit gleicht sie der in anderen europäischen Ländern. Ein Prozent So groß oder, besser gesagt, klein ist derzeit der Marktanteil des Onlinehandels am gesamten Lebensmittelhandel in Deutschland. In anderen Ländern ist er weit höher. In Frankreich liegt er bei schätzungsweise vier Prozent, in Großbritannien bei etwa acht Prozent. Vor allem Single-Haushalte ordern hierzulande online. Die Mengen sind aber so klein, dass fast kein Anbieter damit Geld verdient. Michael Kläsgen Rewe, Edeka, Lidl und Aldi sind gewappnet, sie könnten online jederzeit aufdrehen, wollen es aber nicht. Sie öffnen stattdessen kleine Märkte in Innenstädten, vor allem für junge Singles, sodass die es gar nicht für nötig halten, online einzukaufen. Gleichzeitig starren sie nun nicht mehr auf Amazon Fresh, sondern auf den einzigen profitablen Onlinehändler: Picnic. Das niederländische Start-up fährt eine komplett andere Strategie auf den letzten Metern zum Kunden. Es bedient in Deutschland derzeit nur mittelgroße Städte am Niederrhein. Um den Internetkauf weniger anonym zu machen, stellt sich Picnic in jeder Stadt vor. Die Lieferwagen sind selbstgebaute Elektro-Vans, die Lieferboten in der Regel immer die gleichen Mitarbeiter, oft Studenten, keine DHL-Boten wie bei den anderen. Sie liefern in einem vorgegebenen Zeitfenster von 20 Minuten am Nachmittag. "Der Schlüssel liegt unter der Fußmatte", hätten Kunden den Boten schon per Whatsapp geschrieben, sagt Frederic Knaudt, der Deutschland-Chef. Neulich, nach einem Vortrag in München, stand plötzlich der Digitalchef von Aldi Nord vor ihm und zeigte sich interessiert. Im Markt hält sich hartnäckig das Gerücht, Aldi wolle online größer einsteigen. Wer weiß, jedenfalls zeigt sich inzwischen, dass man mit Onlinehandel doch Geld verdienen kann, wenn man es richtig macht.
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Im Januar 1961 hielt Präsident Dwight D. Eisenhower eine bemerkenswerte Abschiedsrede an die amerikanische Nation. Er erinnerte daran, dass die Vereinigten Staaten nur existieren könnten, wenn die Gesellschaft nicht "fürchterlicher Angst und Hass" anheimfalle. Im Gegenteil, Amerika solle eine "stolze Konföderation gegenseitigen Vertrauens und Respekts" sein. Ein Lebensalter später hielt Donald Trump zu seinem Amtsantritt eine düstere Gegenrede: Groll und Verachtung für Politik und Gewaltenteilung und ein Raunen vom "amerikanischen Blutbad, das hier und jetzt enden wird." Zwischen den beiden Spitzenpolitikern der republikanischen "Grand Old Party" (GOP) liegen politische Welten. Während Donald Trump einen geschichtsblinden weißen Nationalismus befeuert, stand der Armeegeneral Eisenhower noch in der Traditionslinie Abraham Lincolns: Als im September 1957 im Südstaatenort Little Rock ein weißer Mob neun schwarzen Schulkindern den Zutritt zur öffentlichen Schule verwehrte, mobilisierte Präsident Eisenhower Einheiten der 101. Luftlandedivision nach Arkansas. Die Elitesoldaten hatten noch dreizehn Jahre früher in der Nacht vor der Normandie-Invasion bei Sainte-Mère-Église gegen die Wehrmacht gekämpft. Nun setzten sie Bürgerrechte im eignen Land durch. Diesen Patriotismus Eisenhowers verbindet mit der ethnischen Agitation dieser Tage nichts mehr. Die USA erleben den vorläufigen Höhepunkt eines mehr als fünfzigjährigen Selbstzerstörungsprozesses der Republikanischen Partei, der direkt in die Präsidentschaft des Trump-Clans führte. Als der U.S. Kongress 1964 unter dem demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson die Bürgerrechtsgesetzgebung verabschiedete, begann in den Südstaaten der ehemaligen Konföderation ein politischer Gezeitenwechsel. Die weißen Wähler in den ehemals demokratischen Hochburgen wandten sich immer mehr der Republikanischen Partei zu, die gegen Ende der Achtzigerjahre bei Regionalwahlen dort oft absolute Mehrheiten erreichte. 1992 gewann Bill Clinton die Präsidentschaftswahl. Die konservative Partei geriet nach ihrer Niederlage in die Krise, und die Fraktion der rechten Kulturkämpfer ging gestärkt in die Neunzigerjahre. Der Rechtsaußen Newt Gingrich wurde 1995 Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus und erklärte die Politik zum Kampfsport. In den Achtzigerjahren verschickte Gingrich Kassetten und Memoranden an Parteimitglieder; Titel: "Sprechen wie Newt". Die Republikaner sollten lernen, ihre politischen Gegner als "krank, pathetisch, Lügner, Vaterlandsverräter, radikal und korrupt" zu bezeichnen. Fox News, gegründet 1999, wurde zum Agitationssender für alle, denen eine zivile politische Auseinandersetzung zu langweilig geworden war, rechte Talk-Radiosender wie der von Rush Limbaugh komplettierten die mediale Vollversorgung. Auf die Niederlage gegen Obama folgte keine Selbstbesinnung, sondern weitere Verhärtung Weil es zunehmend schwieriger wurde, Wähler für radikalen Wirtschaftsliberalismus im der Sozial-, Gesundheits- und Steuerpolitik zu mobilisieren, setzten republikanische Politiker immer stärker auf radikale Versprechen zu den Kulturkampfthemen Waffenbesitz, Schwulenehe, Abtreibung und Migration. Umso mehr verblasste die Bindung der Republikanischen Partei an urbane Kultur und Lebensweisen. Die GOP wurde seit den Achtzigerjahren immer weißer und ländlicher. Diese zukunftsblinde Strategie wurde durch die Terroranschläge des 11. September 2001, die Waffengänge im Irak und in Afghanistan sowie die Rhetorik der Bush-Regierung vom weltweiten "Krieg gegen den Terror" über ihr politisches Verfallsdatum hinaus verlängert. Erst ein halbes Jahrzehnt später hatten sich die ideologischen Reserven verbraucht, der Überraschungskandidat Barack Obama gewann im November 2007 den Kampf ums Weiße Haus. Der dramatischen Niederlage folgte keine Selbstbesinnung der Republikaner, sondern weitere Verhärtung. Mitch McConnell, damals wie heute Vorsitzender der republikanischen Senatsfraktion, sagte einige Monate nach der Wahl, oberste Priorität seiner Partei sei, dass "Barack Obama nur eine Amtszeit lang" Präsident bleibe. Der moderate republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, John Boehner, fügte sich. Das Establishment der Partei öffnete dem brachialen Populismus der erstarkenden Tea Party und ihrer Blockadepolitik Tür und Tor. Als 2012 Barack Obama erneut gewann, verfassten moderate Republikaner eine viel beachtete "Autopsie" der Wahlen. Das Dokument listet schonungslos die vielen Schwächen der Partei auf: ihre ideologische Verbohrtheit, die Präferenz für Reiche und nicht Arbeiter, Ressentiments gegenüber Minderheiten, eine reaktionäre Sozialpolitik sowie die institutionalisierte Unterdrückung abweichender Meinungen und jeglicher Erneuerung. Doch auch dieser letzte Versuch der Modernisierung in Richtung der zeitgenössischen europäischen Christdemokratie scheiterte. Parallel dazu erlebten die USA radikale Veränderungen der öffentlichen Sphäre. Mit der Schwächung des etablierten Journalismus' und dem Aufstieg sozialer Medien wanderten radikale Ideen ins Zentrum der Debatten. Größer werdende Bevölkerungsschichten sahen etablierte Parteien als illegitim an, denunzierten die vermeintliche Kooperation mit Medien und Establishment. Zerfallende Gewerkschaften, schwindende oder fundamentalistisch werdende Kirchengemeinden und der Verlust von Lokalzeitungen taten ein Übriges. Parteien, Wirtschaft und Gesellschaft waren gleichermaßen unvorbereitet auf diesen Kollaps sozialer Orientierungen in Zeiten relativen Wohlstands. Donald Trump ist ebenso sehr Ausdruck wie Triebkraft dieser verheerenden Entwicklungen. Mit seiner sadistischen Lust an der Denunziation überforderte er im Vorwahlkampf 2016 ein viel zu großes republikanisches Bewerberfeld. Und er lernte die Ängste konformistischer Mittelschichten erfolgreich in Wahlstimmen umzumünzen. Die GOP hatte dieser Machtübernahme mit ihren uneinlösbaren Versprechungen, der Verteufelung von Gesundheitsreform und Klimawandel über die gesamte Obama Zeit hinweg den Boden bereitet. Donald Trumps Zerstörungswerk revidiert nicht nur die Traditionen des amerikanischen Konservatismus, sondern korrodiert nach nur zwei Jahren die Fundamente der amerikanischen Demokratie. Seine digitale Demagogie befördert jeden Tag aufs Neue jene "fürchterliche Angst und Hass" der sein politisches Lebenselixier ist - und vor dem Dwight D. Eisenhower mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg so eindringlich gewarnt hatte.
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Detailansicht öffnen Der Ärger über Bayer ebbt nicht ab. Neue Gerichtsurteile und eine Monsanto-Liste mit Unternehmenskritikern sorgten zuletzt für heftigen Gegenwind. (Foto: Philippe Lopez/AFP) Es geht noch tiefer. Um fünf Prozent bis auf 53,65 Euro fiel der Aktienkurs des Pharma- und Agrarchemie-Konzerns Bayer am Dienstag auf den niedrigsten Stand seit sieben Jahren. Bis zum Handelsende erholte sich die Notierung auf 55,33 Euro. Am Montagabend hatten Geschworene eines Gerichts im kalifornischen Oakland dem Ehepaar Alva und Alberta Pilliod mehr als zwei Milliarden Dollar Schadenersatz zugesprochen. Es macht den glyphosat-basierten Unkrautvernichter Roundup für eine Krebserkrankung verantwortlich. Jahrzehntelang hatte das Paar, beide über 70 Jahre alt, das Unkraut in der Garagenauffahrt ihres Hauses mit Roundup bekämpft. Es ist die dritte Niederlage für Bayer und Monsanto. Jede erhöht den Druck auf den Dax-Konzern und Vorstandschef Werner Baumann. Wie in allen bisherigen erstinstanzlichen Urteilen besteht die Strafe aus zwei Komponenten, einem Strafschadenersatz von jeweils einer Milliarde Dollar für jeden Ehepartner und 55 Millionen Dollar Schmerzensgeld für das Paar. Zwar gehen die meisten Experten davon aus, dass der Strafschadenersatz gekürzt werden wird. Nach der vorherrschenden Rechtssprechung in den USA sollte er höchstens zehnmal so hoch ausfallen wie das Schmerzensgeld. Die Lage für Bayer und seinen angezählten Vorstandschef Werner Baumann wird trotzdem immer prekärer, denn vor allem er hat die 63 Milliarden Dollar teure Übernahme von Monsanto gegen alle Widerstände durchgezogen. Ein Vergleich könnte den Konzern aus Leverkusen bis zu 20 Milliarden Dollar kosten "Das Schicksal von Bayer liegt jetzt in der Hand des US-Richters, der als nächster die Höhe der Strafe prüft", sagte Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). "Das Urteil verdeutlicht die enormen Risiken des Monsanto-Deals", so Markus Manns, Portfoliomanager bei der Fondsgesellschaft Union Investment: "Es zeigt wieder, dass sich Bayer mit der Akquisition erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken eingekauft hat, die sich zum heutigen Zeitpunkt nur schwer quantifizieren lassen." Mit jedem negativen Urteil sinke die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein möglicher Vergleich, wie von vielen Analysten bislang geschätzt, auf fünf Milliarden Dollar belaufen könnte. Die Analysten des Informationsdienstleisters Bloomberg Intelligence haben ihre Schätzung für eine Vergleichssumme bereits angehoben - von sechs auf zehn Milliarden Dollar. Bayer muss um seine Bonität bangen, womit die Aufnahme von Krediten teurer würde und der Konzern an Attraktivität für Investoren verlöre. Die US-Ratingagentur Moody's, die Bayer gegenwärtig mit Baa1 (mit negativem Ausblick) bewertet, hat verschiedene Szenarien ausgerechnet. Nach einer Studie von Ende April könnte Bayer einen Vergleich über fünf Milliarden Euro im Jahr 2020 verkraften, ohne das Rating zu gefährden. Dabei werden Erlöse aus dem geplanten Verkauf der Tiergesundheit, der Marken Coppertone und Dr. Scholl's sowie anderer Marken und Beteiligungen von insgesamt 8,5 Milliarden Euro unterstellt sowie frei verfügbare Finanzmittel nach Ausschüttung der Dividende von 3,1 Milliarden Euro, schreibt die Ratingagentur. Die Einschätzung gilt nach wie vor, sagt Analyst Martin Kohlhase. Falls Bayer der Vergleich in den Jahren 2020/2021 rund 20 Milliarden Euro koste und nur 5,75 Milliarden Euro aus den Verkäufen einnimmt, wäre das von Bayer "schwerer zu verdauen" und könnte das aktuelle Rating gefährden. Durch die Glyphosat-Verfahren sei auch die Reputation von Bayer gefährdet. Die negative öffentliche Wahrnehmung könnte, so Kohlhase, auch das übrige Geschäft belasten. Die Ratingagentur schließt auch nicht aus, dass die Behörden in der Europäischen Union Glyphosat die Zulassung entziehen. Vermögensverwalter und Corporate-Governance-Experte Christian Strenger wertet das Urteil als erneuten Beleg dafür, "dass Bayer die juristisch und reputationsmäßig für den Kauf von Monsanto relevanten Fragen erheblich unterschätzt" habe. Strenger glaubt zwar, dass Bayer die derzeit von Analysten geschätzte Vergleichssumme von zehn bis 20 Milliarden Euro noch verkraften könne, aber in seiner Zukunftsfähigkeit insbesondere für die Pharma- und Consumer-Health-Aktivitäten deutlich beeinträchtigt wäre. "Die weitere Kursentwicklung von Bayer wird auf unabsehbare Zeit von den Nachrichten aus den Gerichtssälen abhängen", sagte Nicolas Huber, Corporate-Governance-Experte der Fondesgesellschaft DWS: "Es stellen sich viele Fragen nach der Due Diligence, ob diese wirklich vollumfänglich war, welche Risiken schon vorher erkannt und bewertet wurden und wie das Unternehmen vor allem zukünftig mit diesen Risiken umgehen wird." Die Entscheidung erhöhe das Risiko, dass Bayer übernommen werde oder aktivistische Investoren wie angeblich bereits der US-Milliardär Paul Singer bei Bayer einsteigen und den Konzern zerschlagen, zitiert Bloomberg den Analysten Markus Mayer von der Baader Bank. Anna Pavlik, Krisenberaterin der New Yorker Firma United First Partners, hat die Gerichtsverfahren beobachtet und den Eindruck, dass es mittlerweile mehr Beweise zulasten von Monsanto gebe. Das stärke die Kläger in kommenden Verfahren. In den USA sind rund 13 400 Klagen eingereicht worden. Im Falle des Rentnerehepaares aus Kalifornien befand die Jury Monsanto schuldig, bei der Entwicklung von Roundup Fehler begangen, die Nutzer nicht vor möglichen Krebsgefahren gewarnt und fahrlässig gehandelt zu haben. Bei Alva Pilliod wurde 2011 ein Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert, eine bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems. Seine Frau bekam dieselbe Diagnose vier Jahre später. Aufgrund der Werbung des Unternehmens hätten sie den Eindruck bekommen, dass das Mittel sicher sei, beklagte sich Alberta Pilliod auf einer Pressekonferenz. Sie wünschten sich, dass Monsanto über die Gefahren des Mittels aufgeklärt hätte. "Es hat unser Leben für immer verändert. Wir können nicht mehr die Dinge machen, die wir früher konnten und das nehmen wir Monsanto wirklich übel", so die 74-Jährige. Bayer hatte vor Gericht vergeblich darauf verwiesen, dass beide Kläger eine lange Historie von Vorerkrankungen hätten, die bekanntermaßen erhebliche Risikofaktoren für eine Erkrankung am Non-Hodgkin-Lymphom seien. Es gebe keine wissenschaftlichen Beweise, dass es ohne den Einsatz von Glyphosat nicht zu der Krebserkrankung gekommen wäre. Doch die Jury überzeugte das nicht. Sie machte das Monsanto-Präparat für die Krebserkrankung verantwortlich. Brent Wisner, einer der Rechtsanwälte der Pilliods, sagte nach dem Urteil, die Beweise belegten, dass Monsanto vom ersten Tag an kein Interesse daran gezeigt habe herauszufinden, ob Glyphosat sicher sei. Bayer reagierte wie stets in den vergangenen Monaten: Der Konzern sei enttäuscht über die Entscheidung und wolle sie anfechten. Aus Sicht des Konzerns gibt es weltweit "mehr als 800 wissenschaftliche Studien", die belegen, dass Glyphosat sicher sei. Auch hätten Behörden in 160 Staaten den Wirkstoff in den Produkten von Monsanto eingehend geprüft und genehmigt, auch das US-Umweltamt EPA. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte Glyphosat dagegen 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" für Menschen ein. Mit ihrem jetzigen Beschluss stoßen die Geschworenen in Oakland in eine neue Dimension vor. In den beiden ersten erstinstanzlichen Verfahren fielen die Summen deutlich niedriger aus. Mitte August 2018 sprachen Geschworene eines Gerichts in Kalifornien dem ebenfalls an Lymphdrüsenkrebs erkrankten Dewayne Johnson zunächst gut 289 Millionen Dollar zu. Der Hausmeister hatte von 2012 bis 2015 auf den Grünflächen eines Schulbezirks in Kalifornien Unkraut mehrmals im Jahr mit dem Glyphosat-basierten Mittel Roundup bekämpft. Weil bei Johnson die Krankheit weit fortgeschritten war, wurde sein Verfahren vorgezogen. Im Oktober kürzte dann Richterin Suzanne Ramos Bolanos die Strafe aus formellen Gründen auf knapp 79 Millionen Dollar. Das Gericht bestätigte den Schadenersatz für gesundheitliche und finanzielle Schäden in Höhe von 39 Millionen Dollar und kürzte den Strafschadenersatz, mit dem das Gericht das Fehlverhalten von Monsanto ahndet und mögliche Nachahmer abschrecken will, von 250 Millionen auf 39 Millionen Dollar. Ende März 2019 sprach eine Jury am Bundesgericht Northern District of California Ed Hardeman 80 Millionen Dollar zu, davon sind fünf Millionen Dollar Schadenersatz und 75 Millionen Dollar Strafzahlungen. Er hatte jahrelang Glyphosat auf seinen Feldern ausgebracht. Die Entscheidung wiegt schwerer als das Urteil im Fall Dewayne Johnson, denn es handelt sich um einen Bellwether-Case in einem Massenverfahren, er weist die Richtung für weitere Verfahren. Im April weist der zuständige US-Bundesrichter Vince Chhabria, bei dem mehrere Hundert Klagen gebündelt sind, Bayer und die Kläger an, sich einen Vermittler zu suchen und sich zu vergleichen. Das Vertrauen in Bayer-Chef Baumann schwindet zusehends. Bei der Hauptversammlung Ende April in Bonn hatten die Aktionäre dem gesamten Vorstand unter seiner Führung die Entlastung verweigert. Baumann hatte die Übernahme von Monsanto unmittelbar nach seiner Berufung zum Vorstandsvorsitzenden vor drei Jahren gegen alle Widerstände durchgezogen und auch dann noch an dem Plan festgehalten, als die Klagewelle bereits losging. Heute sehen sich viele Kritiker der Entscheidung in ihrer Skepsis bestätigt: Für sie ist das Unternehmen Monsanto mit seinem gentechnisch veränderten Saatgut und den umstrittenen Pflanzenschutzmitteln der Inbegriff all dessen, was in der modernen Landwirtschaft schiefläuft. Die Aktie hat seit der Übernahme in den USA 40 Prozent verloren Die umstrittene Firma soll darüber hinaus ruppig mit Kunden und Kritikern umgesprungen sein: Erst am vergangenen Wochenende war bekannt geworden, dass Monsanto 2016 in Frankreich - und womöglich auch anderswo - geheime Listen mit Unterstützern und Gegnern hatte anlegen lassen. Nach übereinstimmenden Berichten französischer Zeitungen sammelten PR-Agenturen im Auftrag des Unternehmens Informationen über zuletzt rund 200 Wissenschaftler, Politiker und Journalisten sowie deren Haltung zu Glyphosat und zur Gentechnik. Bayer entschuldigte sich dafür und räumte am Montag ein, bei Monsanto sei öfters mal nicht der Ball, sondern der Mann oder die Frau gespielt worden. Mehrmals sei "der Rubikon" überschritten worden, gestand Cheflobbyist Matthias Berninger. Eine Anwaltskanzlei soll jetzt die Vorwürfe prüfen. Im Fall der möglichen Glyphosat-Folgeerkrankungen hat eine ganze Reihe von Anteilseignern den Bayer-Vorstand mittlerweile aufgefordert, einen Vergleich mit den US-Klägern zu schließen. Davor scheut das Unternehmen zurück, weil ein solcher Schritt nicht nur Milliarden kosten würde, sondern auch mit dem Eingeständnis verbunden wäre, dass Roundup gesundheitsgefährdend ist. Das Unkrautvernichtungsmittel wird weiter ohne konkrete Krebswarnung verkauft, es ist einer der größten Umsatzbringer für Monsanto. Seit Bekanntwerden des ersten Glyphosat-Urteils in den USA im Sommer vergangenen Jahres hat die Bayer-Aktie rund 40 Prozent ihres Werts verloren. Sollten die bisherigen Urteile auch nur im Ansatz bestätigt werden und Tausende weitere folgen, könnte gar die Existenz des Traditionskonzerns aus Leverkusen in ihrer bisherigen Form auf dem Spiel stehen.
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Hyperinflation, Armut, Säuglingssterblichkeit: Die Proteste in dem Land sind auch Folge einiger trauriger Rekorde. Der Niedergang in diesen Lebensbereichen hat einen gemeinsamen Grund. Barrikaden brennen, Tausende drängen sich auf den Straßen und schwenken gelb-blau-rote Fahnen, viele rufen "Sí, se puede" oder einfach "Libertad, Libertad": Aus Venezuelas Hauptstadt Caracas gehen dramatische Bilder um die Welt. Im Zuge der Massenproteste hat sich der Parlamentspräsident Juan Guaidó mit Unterstützung der USA selbst zum Staatschef erklärt. Guaidó begründet den Versuch eines Coups gegen Präsident Nicolás Maduro damit, dass dieser als despotisch regierender Staatschef seine demokratische Legitimation verloren habe. Mutmaßliche Wahlmanipulationen, Maduros Vorgehen gegen seine Gegner oder sein blutiges Niederschlagen bisheriger Proteste sind aber für viele Venezolaner nicht die einzigen Gründe, aus denen sie protestieren. Die wirtschaftliche Lage der Menschen ist desolat. Erstmals gehen deshalb auch viele Arbeiter auf die Straße. Seit Jahren leiden sie unter einer Wirtschafts- und Versorgungskrise, es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten, selbst an Toilettenpapier. Universitäten schätzen aufgrund einer Befragung, dass fast zwei Drittel der Bewohner des Landes hungern - und diese allein 2017 im Durchschnitt elf Kilogramm abgenommen haben. Nach der Wahl des Sozialisten Hugo Chávez 1999 war es in vielen Bereichen zunächst aufwärts gegangen. Chávez stand für eine Umverteilung des Wohlstands von korrupten Eliten auf die Bevölkerung. Weniger Menschen mussten an oder unter der Armutsgrenze leben. Chávez profitierte auch vom hohen Weltmarktpreis für Öl. Doch bald nach Maduros erster Wahl 2013 und dem Preissturz ab 2014 begann das System zu kollabieren. Heute gilt mehr als die Hälfte der Bevölkerung als extrem arm. Auch das Gesundheitssystem hatte sich nach der selbsternannten "Bolivarischen Revolution" von Hugo Chávez zunächst verbessert, mit Hilfe unter anderem aus Kuba war ein kostenloses Versicherungssystem für alle eingeführt worden. Die Lebenserwartung bei der Geburt ist zwar annähernd so hoch wie im Rest des Kontinents. Doch die Säuglingssterblichkeit hat in den vergangenen Jahren extrem zugenommen. 2017 starben 26 von 1000 Babys, doppelt so viele wie etwa im Nachbarland Kolumbien - und auch fast doppelt so viele wie im Kriegsland Syrien. Für die humanitäre Katastrophe in dem Land wird vor allem die schlechte Wirtschaftslage seit dem Fall des Ölpreises verantwortlich gemacht. Venezuela ist das ölreichste Land der Welt. Die Wirtschaft ist von dem Rohstoff abhängig und produziert ansonsten fast nichts selbst. Als der Ölpreis 2014 und 2015 um etwa die Hälfte abstürzte, brachen auch die Einnahmen ein. Hinzu kommt, dass der Hauptabnehmer USA immer weniger Öl aus Venezuela importiert. So sind Venezuelas Erdölexporte sichtbar eingebrochen. In den vergangenen Jahren erlitt das Land dementsprechend einen zweistelligen Rückgang der Wirtschaftsleistung. 2018 sank das Bruttoinlandsprodukt um 18 Prozent. Hinzu kommt eine Hyperinflation. Der Internationale Währungsfonds (IWF) bescheinigt dem Land praktisch den totalen Kaufkraftverlust bei einer Preissteigerung von 1,4 Millionen Prozent im Jahr 2018. Westliche Volkswirtschaften streben in der Regel eine Zielmarke von etwa zwei Prozent an, um Preisstabilität zu gewährleisten. In Lateinamerika liegt die Inflation durchschnittlich bei etwa sechs Prozent. Die Menschen in Venezuela zahlen inzwischen fast ausschließlich mit Debitkarte, weil sie gar nicht so viel Geld tragen können, wie sie zum Einkaufen bräuchten. Maduro versuchte, die Wirtschaft mit einer neuen Kryptowährung namens Petro wieder anzukurbeln. Ansonsten aber hat seine Regierung gegen die Krise kaum etwas unternommen. Wie Guaidó die Menschen aus dem ökonomischen Elend retten will, ist unklar. Gewinnt er den Machtkampf, könnte er dabei wohl eher auf internationale Unterstützung hoffen als der Sozialist Maduro. Bis jetzt sind drei Millionen Menschen aus dem Land geflohen, das insgesamt nur etwa 32 Millionen Einwohner hat. Die meisten Flüchtlinge halten sich in den Nachbarländern Kolumbien und Brasilien sowie in Ecuador und Peru auf. Viele haben aufgrund der ökonomischen Lage keine Zukunft gesehen, andere fürchteten politische Gewalt. Etwa 400 aus Venezuela Geflüchtete haben 2018 in Deutschland einen Asylantrag wegen Verfolgung gestellt.
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Nach dem erneuten Brexit-Aufschub rückt in der Karwoche der Start der Bilanzsaison in Blick. Anleger erhoffen sich von dem Zahlenwerk der Unternehmen Hinweise darauf, ob es trotz Konjunkturflaute und Handelsstreit doch noch für Kursgewinne reichen könnte. In der abgelaufenen Woche hatte sich der Dax unterm Strich kaum bewegt. Zudem stehen einige wichtige Konjunkturdaten auf der Agenda: So dürfte die Bundesregierung Regierungskreisen zufolge ihre erst Anfang des Jahres fast halbierte Wachstumsprognose erneut kräftig senken. Außerdem soll der ZEW-Index Auskunft über die Investorenmeinung zur Konjunktur geben. Weitere Impulse erhoffen sich die Anleger auch von den Geschäftszahlen in den USA. Die Großbanken Citigroup, Goldman Sachs und Bank of America legen ihre Ergebnisse vor.
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Das Ausmaß des Wahlsiegs des bisherigen Premiers überrascht, auch wenn sein Erfolg nicht wirklich infrage stand. Nun beschwört Narendra Modi die Stärke des Landes - alle sollten von ihr profitieren, sagt er. Detailansicht öffnen Siegesparty in Mumbai: Indiens Ministerpräsident Narendra Modi mit Anhängern seiner hindunationalistischen Partei BJP. (Foto: Money Sharma/AFP) Schon am späten Vormittag dröhnen die Trommeln am Markt von Saket, junge Männer ziehen schreiend durch das Viertel in der indischen Hauptstadt, sie schwenken die safranfarbenen Fahnen der BJP. Im Coffeeshop an der Ecke starren die Leute auf den Bildschirm, wo seit dem Morgen die Ergebnisse der nationalen Wahl tickern. Schon früh zeichnet sich bei der Auszählung ab: Narendra Modi wird einen fulminanten Sieg einfahren, die oppositionelle Kongresspartei und ihre Verbündeten sind geschlagen, der Premierminister wird weiter regieren. Dass Modi es noch einmal schaffen würde, glaubten viele. Aber ein so deutlicher Sieg ist doch eine Überraschung, gerade angesichts der schleppenden Reformen und der düsteren Lage am indischen Arbeitsmarkt. Selbst Modi, der immer den Macher gibt, hat es in den fünf Jahren nicht geschafft, Arbeit zu schaffen für die indische Jugend. Doch wer an diesem Tag die Szenen auf der Straße beobachtet, sieht nichts von der Tristesse und dem Frust, sondern nur das Freudenfest der BJP-Anhänger: Sie glauben an ihren Premier, sie scharen sich um diesen Mann, der ihnen immer noch Hoffnung spendet - trotz allem. Kritiker beklagen Parolen gegen Muslime und die spalterische Strategie der Hindu-Nationalisten Er hat mehr als 200 Wahlveranstaltungen in den vergangenen Monaten absolviert, kreuz und quer durch 27 indische Bundesstaaten. Er hat dabei rhetorisch eingedroschen auf die Opposition, wie sie es vorher kaum je erlebt hatte. Selbst die Körpersprache des Premierministers wirkte manchmal bedrohlich, weniger souverän als sonst, er wirkte angespannt, was manche dahin deuteten, dass sich Modi seines Sieges womöglich selbst gar nicht so gewiss war. Nun aber ist an seinem Triumph nicht mehr zu rütteln. 282 Sitze brauchten Modis BJP und ihre Bündnispartner, nach den Daten vom Donnerstagnachmittag steuerte das Lager des Premiers auf 345 Sitze zu, ein sehr komfortabler Vorsprung, mit dem er nun in eine zweite Amtszeit geht. Rajyavardhan Singh Rathore, ein früherer Oberst und Abgeordneter der BJP, sagte im Moment des Triumphs, Modi führe seine Partei "wie eine Armee", und sein Sieg zeige allen: "Indien ist mächtig." Überall im Land strömen an diesem Donnerstag BJP-Anhänger jubelnd zu den Wahlkampfzentralen ihrer Partei. Bei einem Triumphzug am Nachmittag feiern sie auch den Parteichef Amit Shah wie einen König. Shah ist Modis engster Vertrauter und hat für ihn den Wahlkampf organisiert. Der Parteichef konnte dabei sehr viel Geld einsetzen und sich auf ein weit verzweigtes Netzwerk an der Basis stützen, dominiert von der Kaderorganisation der Hindu-Nationalisten, dem RSS. Diese Kräfte haben ihre Wähler häufig mit anti-muslimischen Parolen mobilisiert. Kritiker klagen über die spalterische Strategie, die BJP hingegen lässt sich auf diese Diskussionen gar nicht ein. Sie betont vielmehr, dass sie Wähler aus allen Schichten, über alle Kastengrenzen hinweg hinter sich scharten. Der Populismus dieser Partei zielt auf die große Mehrheit der Hindus. Und solange diese zu Narendra Modi steht, hat der auch die scharfe Kritik der intellektuellen Schichten Indiens nicht zu fürchten, die in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen hat. Im Wahlergebnis haben sich diese Stimmen allerdings kaum niedergeschlagen. Von Rahul Gandhi, dem geschlagenen Führer der Kongresspartei, ist lange nichts zu sehen, dann tritt er kurz vor die Journalisten, um seinem Rivalen Modi zu gratulieren. Wie es sich für einen indischen Bürger gehöre, akzeptiere er die Entscheidung, sagt Gandhi, was alles schief lief für den Kongress wollte er in diesem bitteren Moment aber nicht erklären. Für die Nehru-Gandhi-Dynastie, die Indiens Politik über Jahrzehnte seit der Unabhängigkeit dominierte, dürfte es nun sehr schwer werden, sich als Gegengewicht zur BJP noch zu behaupten. Es wird darüber gestritten, ob Modi die Konfrontation mit Pakistan ausgenutzt hat Vijay Jolly, einer der Führer der BJP, wehrte sich im Sender NDTV gegen Erklärungen, wonach Modi vor allem die Konfrontation mit Pakistan nutzen konnte, um Stimmen als Beschützer der Nation zu sammeln, Jolly sagte, der Premier habe ja nur auf die Ereignisse reagiert und seine Pflicht getan. Kritiker des Premiers deuten die Strategie der BJP jedoch anders, sie argumentieren, dass die Partei in der Krise mit Pakistan eine nationalistische Frontstellung für die Wahl aufgebaut habe, nach dem Motto: Wer jetzt gegen Modi ist, der stellt sich zugleich gegen Indien. Der Premier konzentrierte sich in seinen Wahlkampfreden konsequent auf die Bedrohung von außen und präsentierte sich als "Wachmann" der Nation. Diese Strategie hob sich deutlich ab vom Rennen 2014, als Modi stark auf den Gedanken abhob, Indien für alle zu entwickeln. Damals brachte er immer wieder seinen eignen Aufstieg vom Sohn eines Teeverkäufers in die Spitze der Politik ins Spiel. Das sollte den Leuten vermitteln, dass auch sie eine Chance erhalten werden, sich aus der Armut zu lösen und hochzuarbeiten. Vor der BJP-Zentrale in Delhi herrscht am Donnerstag stundenlang Jubel, das Gedränge unter den safranfarbenen Fahnen ist gewaltig, alle warten auf Modi, ihren Helden. Doch dann bricht ein heftiges Gewitter und Regen über die Hauptstadt herein, das Unwetter beendet abrupt die ausgelassene Party. Sieger Modi kommt, zieht sich aber ohne Ansprache zum Treffen seiner Partei zurück. Zuvor hatte der Premier einen ersten Tweet abgesetzt: "Gemeinsam wachsen wir, gemeinsam blühen wir auf", schrieb er blumig. Als der Regen am Abend vorüber ist, tritt Modi auf die Bühne, er wirkt müde, doch viel entspannter als bei den Wahlkampfreden. "Ich verneige mich vor 1,3 Milliarden Menschen", ruft er in die Menge. Er widme diesen Sieg dem indischen Volk. Und den Helfern seiner Partei rät er, sie sollten im Triumph bescheiden bleiben, sie würden jetzt alle hart weiter arbeiten müssen. Die Wahlen 2019 nennt er schließlich ein "Urteil für das neue Indien", das er schon bei seinem ersten Sieg 2014 ausgerufen hatte.
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Die Zahl der Geldautomaten in Deutschland geht langsam, aber unaufhörlich zurück. 2018 nahm die Zahl der Geldautomaten das dritte Jahr in Folge ab, zeigt eine Berechnung des Analysehauses Barkow Consulting auf Basis von Daten des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Demnach sank die Zahl 2018 um ein Prozent auf 57 800. Innerhalb der drei Jahre ist damit jeder zwanzigste Geldautomat verschwunden. "Banken und Sparkassen müssen Kosten sparen, und nicht überall lohnt sich noch ein Geldautomat", sagt Bankenexperte Peter Barkow. Sparkassen und Volksbanken stellen derzeit die meisten Automaten. Noch droht den Deutschen keine schlimme Versorgungslücke, vor allem auf dem Land aber spüren die Bürger die Entwicklung: Die vergangenen zwanzig Jahre haben Banken jedes Jahr mehr Geldautomaten aufgestellt. Der erste ging 1968 in Tübingen in Betrieb, 1994 waren es dann bundesweit 29 400. Bis 2015 verdoppelte sich die Zahl. Erst seit drei Jahren bauen die Kreditinstitute per saldo mehr Geldautomaten ab, als sie neue bereitstellen. Der Schrumpfkurs liegt im Wesentlichen daran, dass auch die Zahl der Bankfilialen zurückgeht - was vergangene Woche sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Sparkassentag in Hamburg dazu veranlasste, die Sparkassen vor einem weiteren Rückzug aus der Fläche zu warnen. Die Institute begründen den Abbau mit Belastungen aus der Niedrigzinsphase und einer sinkenden Nachfrage. Die Automaten verlieren auch immer mehr an Bedeutung, weil der Onlinehandel floriert und weil Verbraucher immer öfter Bargeld mit der Girocard (im Volksmund "EC-Karte" genannt) an der Ladenkasse abheben können. Ohnehin erodiert die Liebe der Deutschen zum Bargeld, zumindest auf hohem Niveau. Der Umsatzanteil von Bargeld ist 2018 erstmalig unter den der Karten gesunken und macht nach Angaben des Handelsforschungsinstituts EHI noch 48,6 Prozent am Gesamtumsatz des Einzelhandels aus. Je weniger aber ein Automat genutzt wird, desto teurer wird er für die Bank. Das Betreiben eines Geldautomatens kostet etwa zwischen 20 000 und 25 000 Euro im Jahr. Dazu tragen auch Kriminelle bei, die am Automaten Geld stehlen, was die Kosten für Versicherungen und Instandsetzung in die Höhe treibt. Immer mehr Banken haben daher inzwischen einen Mindestbetrag beim Abheben vom Automaten eingeführt. Bisher konnten Kunden auch einzelne Fünf- oder Zehn-Euro-Scheine ziehen. Bei Direktbanken wie ING oder Comdirect geht nun unter 50 Euro nichts mehr. Außerdem haben Banken und Sparkassen die Gebühren erhöht, wenn Kunden anderer Institute Geld bei ihnen abheben. Diese "Fremdabhebegebühren" von bis zu fünf oder sechs Euro pro Vorgang sind gerade für Sparkassen und Volksbanken in ländlichen Urlaubsgegenden eine wichtige Einnahmequelle. In ländlichen Regionen werden Bankbusse eingesetzt Die Geldhäuser halten den Rückbau der Automaten für gerechtfertigt. Da Institute zum Teil mehrere Automaten an einem Standort betreiben würden, bleibe trotz des Abbaus eines dieser Geräte die Möglichkeit zur Bargeldversorgung erhalten, heißt es bei der Deutschen Kreditwirtschaft. Solange Bargeld nachgefragt werde, bedienten Banken und Sparkassen diese Nachfrage auch. Seit ein paar Jahren setzen einige Volksbanken und Sparkassen in ländlichen Regionen auch Bankbusse ein und bieten zudem einen Lieferdienst für Bargeld an, was vor allem für ältere Menschen wichtig ist. Kunden können das Bargeld auch telefonisch bei der Bank ordern, die es ihnen dann nach Hause liefert. Das Angebot ist allerdings bei vielen Instituten mit Kosten verbunden. Zuweilen richtet es sich auch nur an weniger mobile Menschen. Gerade die Sparkassen aber kommen an solchen Angeboten nicht vorbei. Als vermeintlich gemeinwohlorientierte Banken mit öffentlich-rechtlichen Trägern werben sie zumindest damit, dass sie allen Bevölkerungsschichten Zugang zu Bankdienstleistungen geben.
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Um die Aerodynamik seiner Flitzer macht mancher Auto-Hersteller viel Wind - vor allem Sportwagenbauer wie Porsche. Je niedriger der Luftwiderstand, desto schneller die Karre, desto offener die Klappe der Passanten, desto größer das Ego des Fahrers. Und - ganz nebenbei - desto kleiner der Kraftstoffverbrauch. Nun hat Porsche aber Selbstanzeige eingereicht beim Kraftfahrtbundesamt und bei US-amerikanischen Behörden, weil manche Fahrzeuge wohl mehr Wirbel verursachen als angegeben. Es gehe "um Abweichungen bei der Ermittlung von Windwiderstandswerten", teilt ein Sprecher mit. Betroffen ist ausgerechnet das prominenteste Modell, der 911er (Baujahr 2016 und 2017). Droht dem Volkswagen-Konzern nach Dieselgate jetzt ein Spoilergate? Falls der Sprit-Verbrauch mehr als zehn Prozent von den offiziellen Angaben abweicht, drohen dem Hersteller Schadenersatz- und Steuernachforderungen oder auch Geldstrafen. Die Untersuchungen laufen noch, heißt es. So mancher Fachanwalt könnte die Selbstanzeige nun zum Anlass nehmen, flott aufs Gas zu steigen. Ganz egal, ob er Porschefahrer ist oder nicht.
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Der US-Kongress hat Präsident Donald Trump eine zweite Schlappe in nur zwei Tagen beschert: Der von Trumps Republikanern dominierte Senat stimmte am Donnerstag für ein Ende des vom Präsidenten verhängten Nationalen Notstands. Auch mehrere republikanische Senatoren votierten für eine entsprechende Resolution der Demokraten, die damit die notwendige Stimmenmehrheit bekam. Trump kündigte noch vor der Abstimmung an, sein Veto einzulegen - es wäre das erste Veto seiner Amtszeit. Auch auf Twitter schrieb der US-Präsident nach der Abstimmung in Großbuchstaben: "VETO!" Ohne das Veto des Präsidenten würde der Notstand beendet, über den Trump die Finanzierung der von ihm geforderten Mauer an der Grenze zu Mexiko sicherstellen will. Das Abgeordnetenhaus, in dem die Demokraten eine Mehrheit haben, hatte die Resolution bereits Ende Februar verabschiedet. Trump hatte am Donnerstag noch wenige Stunden vor der Abstimmung auf Twitter an den Kongress appelliert, nicht für die Resolution zu stimmen. A vote for today’s resolution by Republican Senators is a vote for Nancy Pelosi, Crime, and the Open Border Democrats! — Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 14. März 2019 Trotzdem votierten auch zwölf Mitglieder von Trumps Republikanischer Partei mit der Opposition zusammen gegen Trumps Notstandserklärung. Erst am Mittwoch hatte der Senat gegen den Willen Trumps mehrheitlich für eine Resolution gestimmt, mit der die US-Hilfe für die von Saudi-Arabien geführte und hochumstrittene Militäroperation im Jemen beendet werden soll. Sieben republikanische Senatoren votierten gemeinsam mit den Demokraten und beschafften so die nötige Mehrheit. Ein Votum des Abgeordnetenhauses dazu steht noch aus, und Trump könnte bei einer Zustimmung beider Kammern im Kongress auch ein Veto gegen diese Resolution einlegen. Politisch ist dies dennoch ein klares Signal des Senats gegen Trumps Kurs gegenüber Saudi-Arabien. Trump hatte am 15. Februar einen Nationalen Notstand erklärt, um die von ihm angestrebte Mauer an der Grenze zu Mexiko ohne parlamentarische Zustimmung finanzieren zu können. Der Kongress hatte dem republikanischen Präsidenten die von ihm gewünschte Summe von 5,7 Milliarden Dollar für den Mauerbau verweigert und nur eine deutlich geringere Summe gebilligt. Mit Hilfe der Notstandserklärung will Trump andere Geldtöpfe vor allem beim Verteidigungsministerium anzapfen, um zusätzliche Milliarden für den Mauerbau zu beschaffen. Sein Vorgehen ist rechtlich aber umstritten. Die Mauer an der Grenze zu Mexiko war eines von Trumps zentralen Wahlkampfversprechen.
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Gastgeber Brasilien sorgt sich wenige Monate vor der Copa América um den verletzten Mittelfuß seiner anfälligen Nummer zehn. Weniger als einen Sieg können sich die Brasilianer im Juni nicht erlauben - und der hängt wesentlich von Neymar ab. Am Donnerstagabend fand in Rio de Janeiro die Gruppenauslosung für die diesjährige Copa América statt. Doch die Gedanken der Brasilianer waren weniger bei den Lostöpfen, aus denen für die Gastgeber die erwartbar lösbaren Aufgaben gezogen wurden . Sondern in Paris, bei Neymar Júnior, der "Nummer 10" der brasilianischen Nationalelf. "Menschlich bin ich besorgt", bekannte Tite, der Nationaltrainer, und das war nachvollziehbar: Denn was da aus der Stadt des Lichts an Neuigkeiten über den Atlantik drang, hat unter Umständen sogar das Potenzial, einen düsteren Schatten über das wichtigste internationale Fußballturnier des Jahres zu werfen. Bis zum Eröffnungsspiel der Brasilianer gegen Bolivien (14. Juni, São Paulo) waren es zwar am Freitag noch 140 Tage, wenig später folgen Gruppenduelle mit Venezuela und Katar. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass Neymars Mittelfußbruch aus dem Vorjahr beim Pokalspiel von Paris Saint-Germain gegen Racing Straßburg (2:0) wieder aufgebrochen ist. Als er ausgewechselt wurde, vergoss Neymar Tränen des Zorns und des Schmerzes, als fürchtete er ein Déjà-vu. Dass er am Tag danach wieder Krücken bemühen musste, dürfte das Gemüt des Kickers nicht gerade beruhigt haben. Bis zur endgültigen Diagnose wollen sich die Ärzte noch Zeit lassen, "alle Therapieformen müssen ins Auge gefasst werden", teilte PSG laut L'Équipe mit. Also auch eine neuerliche Operation. Für die Pariser Champions-League-Achtelfinalspiele (12.2./6.3) gegen Manchester United dürfte Neymar ausfallen. Und dann? Brasiliens Nationaltrainer Tite wollte am Samstag nach Paris reisen und persönlich mit Neymar sprechen. Die Chancen der Brasilianer, die seit 2007 auf einen Sieg bei der Copa, dem ältesten Nationenturnier der Welt warten, hängen wesentlich von Neymar ab. Und weniger als einen Sieg kann sich das Land nicht erlauben, schon gar nicht nach der enttäuschenden WM 2014 im eigenen Land. Apropos: Sollte Brasilien seiner Favoritenrolle gerecht werden, würde im Halbfinale eine Rückkehr ins Mineirão unvermeidlich sein - in das Stadion von Belo Horizonte, wo Brasilien 2014 mit 1:7 gegen den späteren Weltm... Ach, lassen wir das! Ob Titelverteidiger Chile mit dem früheren Bayern-Profi Arturo Vidal (gegen den eingeladenen Asienmeister Japan, Ecuador und Rekordtitelträger Uruguay) zu den Titelfavoriten gezählt werden kann, darf bezweifelt werden; die Argentinier wiederum haben eine recht diabolische Gruppe erwischt. Sie treffen auf Kolumbien (mit dem FC-Bayern-Profi James), Paraguay und den ebenfalls eingeladenen Katarern. Argentiniens Nationaltrainer Lionel Scaloni will in den kommenden Tagen mit Lionel Messi über die Zukunft (in) der Nationalelf sprechen, seit der WM 2018 hat sie der Kapitän des FC Barcelona gemieden. Zuletzt hat sich Messi bei Barça geschont, womöglich auch für die Copa, die ihm den ersten, lang ersehnten Titel mit der "Albiceleste" bescheren könnte. "Wir haben ein gutes Feeling", erklärte Scaloni, "wir hoffen, dass er dabei ist." Das Finale übrigens steigt am 7. Juli in Rio, wo Messi bei der WM 2014 gegen Deutschland... Ach, lassen wir das.
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Das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, das im vergangenen Jahr für Debatten zwischen SPD und Union gesorgt hatte, soll geändert werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Ärzte und Krankenhäuser sollen demnach legal "auf die Tatsache hinweisen" dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Außerdem sollen sie auf Informationen verweisen dürfen, die künftig offizielle Stellen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Verfügung stellen. Krankenkassen zahlen die Pille künftig für junge Frauen bis zu 22 Jahren Hier soll in Zukunft eine Liste von Ärztinnen und Ärzten veröffentlicht werden, die Abbrüche vornehmen - und außerdem "Informationen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen", wie es in der Begründung des Gesetzes heißt. Die Bundesärztekammer soll für die zentrale Liste der Ärzte und Krankenhäuser, die Abbrüche vornehmen, verantwortlich sein und sie monatlich aktualisieren. Außerdem sollen junge Frauen die Verhütungspille zwei Jahre länger, bis zum 22. Geburtstag, von der Krankenkasse bezahlt bekommen. "Wir stellen sicher, dass betroffene Frauen in einer persönlichen Notsituation an die Informationen gelangen, die sie benötigen", sagte Justizministerin Katarina Barley (SPD) der Nachrichtenagentur dpa. Und: "Wir haben nach langen Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung einen guten Kompromiss gefunden". Die neue Vorschrift sorge zudem für Rechtssicherheit für die Ärzte, betonte Familienministerin Franziska Giffey (SPD). "In Zukunft wird jede Ärztin und jeder Arzt in Deutschland über die Tatsache informieren dürfen, dass er oder sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt", sagte sie der dpa. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) begrüßte den Vorschlag. Die Anhebung der Altersgrenze von 20 auf 22 Jahre kostet die gesetzlichen Krankenkassen laut Entwurf jährlich etwa 40 Millionen Euro mehr. Die große Koalition hatte monatelang heftig über Paragraf 219a des Strafgesetzbuches gestritten. Die SPD hatte zusammen mit Grünen, Linken und FDP eine Streichung des Verbots gefordert, dieses Anliegen aber der Union zuliebe zurückgestellt. Im Dezember handelten die fünf zuständigen Minister einen Kompromissvorschlag aus, der aber längst nicht alle Kritiker, auch innerhalb der SPD, zufriedenstellte. Auf diesen Kompromiss baut der Gesetzentwurf auf. Der Referentenentwurf wird nun innerhalb der Bundesregierung weiter abgestimmt und mit Ländern und Verbänden beraten. Am 6. Februar soll das Kabinett dann den Gesetzentwurf verabschieden.
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Detailansicht öffnen Facebook-Chef Mark Zuckerberg versprach schon mehrfach, dass sein Unternehmen in Zukunft sensibler mit Nutzerdaten umgehen werde. (Foto: Marcio Jose Sanchez/AP) Wäre der Büßergang eine olympische Disziplin, dann hätte Mark Zuckerberg nach dem intensiven Training des vergangenen Jahres mittlerweile sicher beste Medaillenchancen. Fast kein Monat verging zuletzt, in dem er sich nicht für einen Datenskandal, einen Spähangriff auf die Kunden, das Verbreiten von Hass- und Falschnachrichten entschuldigen musste, in dem er nicht vor einem Parlamentsausschuss, in einem Fernsehstudio oder einer Zeitungsredaktion aufkreuzte und Besserung gelobte. "Wir haben verstanden" war wohl der Satz, den der Chef des sozialen Netzwerks Facebook 2018 so häufig gebrauchte wie keinen anderen. Zuckerbergs Selbstanklage gipfelte am Mittwochabend in einer Online-Erklärung, einem sogenannten Blogpost, in der er einen grundlegenden Strategiewechsel ankündigte: Facebook wolle die Privatsphäre der Mitglieder künftig respektieren und ihnen anbieten, statt in aller Öffentlichkeit direkt untereinander zu kommunizieren. Die Unterhaltungen sollen vertraulich, verschlüsselt und löschbar sein, sodass Dritte - auch Facebook selbst - nicht mitlesen können. Das ist in dieser Form bisher nur beim Chatprogramm Whatsapp möglich, das wie der Bilderdienst Instagram zu Zuckerbergs Geschäftsimperium zählt. Dass seine Ankündigung angesichts der jüngeren Konzerngeschichte auf viel Skepsis stoßen würde, hatte der Firmenchef beim Verfassen der wortreichen Erklärung bereits geahnt. "Ich weiß schon, dass viele Leute nicht daran glauben, dass Facebook eine solche auf die Privatsphäre fokussierte Plattform aufbauen kann oder auch nur aufbauen möchte", schrieb er. Schließlich sei man "ehrlich gesagt nicht gerade berühmt dafür, Dienste zu entwickeln, bei denen die Privatsphäre geschützt wird". Damit sprach er aus, was Kritiker bei der Lektüre des Textes gedacht haben mögen. Zuckerberg hat sich selbst zuzuschreiben, dass viele Menschen an seiner Aufrichtigkeit und seinem Willen zum Wandel zweifeln. Immer wieder hatte er in der Vergangenheit Besserung gelobt, nur um kurz darauf erneut einzuräumen, dass man sensible Daten der Mitglieder ohne deren Wissen an Dritte weitergeben oder Wahlmanipulatoren eine Plattform für ihre demokratieschädliche Propaganda geboten habe. Zudem brach er immer wieder Versprechen. Etwa jenes, wonach Facebook, Instagram und Whatsapp völlig unabhängig voneinander bleiben sollten. Die Whatsapp-Gründer Jan Koum und Brian Acton hatten den Konzern im Frühjahr vergangenen Jahres nach internen Datenschutzdebatten bereits verlassen, die Instagram-Erfinder Kevin Systrom und Mike Krieger, die auf die Unabhängigkeit ihrer Plattform bestanden hatten, verließen das Unternehmen im September ebenfalls. Als Zuckerberg vor wenigen Wochen verkündete, die Chat-Technik der drei Programme miteinander zu verschmelzen, versuchte er dies zunächst als Dienst am Kunden zu verkaufen. Seine Ankündigung klang so, als gehe es allein darum, allen 2,7 Milliarden Menschen, die mindestens einen der drei Kanäle nutzen, eine sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbieten zu können. Die Technik ist bisher nur bei Whatsapp im Einsatz und sorgt dafür, dass der Inhalt einer Unterhaltung nur vom Absender und vom Empfänger eingesehen werden kann, nicht aber von Dritten, also etwa Geheimdiensten, Datenkonzernen oder gar Kriminellen. Bisher profitiert Facebook davon, dass es Interessen, Ansichten und Pläne der Nutzer kennt Kritiker nahmen Zuckerberg die hehren Motive aber nicht ab, denn die Verschmelzung der Infrastruktur hat noch einen zweiten Effekt: Die so wichtigen Metadaten aller Dienste, die darüber Auskunft geben, wer wann mit wem kommuniziert, werden künftig in einer von Facebook kontrollierten Datenbank zusammenlaufen. Sie sind überaus bedeutsam beim Verkauf von Anzeigen. Wie so häufig entpuppte sich das Versprechen einer besseren Welt bei näherem Hinsehen also als Programm zur Ausweitung der Marktmacht von Facebook. Auch bei der jetzt angekündigten Kurskorrektur, der besseren Sicherung der Privatsphäre, bleibt zunächst unklar, was sie für das Geschäftsmodell des Konzerns bedeuten wird. Bisher nämlich profitiert das Netzwerk davon, dass es die Interessen, Ansichten, Pläne und Lebensumstände der Nutzer kennt und mit diesem Wissen Werbeplätze verkauft. Bei einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wäre ein erheblicher Teil dieses Informationsschatzes für das Unternehmen verloren. Zuckerberg deutete in einem Interview in der New York Times an, dass er neue Wege zum Geldverdienen finden werde. "Es gibt jede Menge Geschäftsmöglichkeiten, insbesondere in Entwicklungsländern", sagte er. Eine umfassende Verschlüsselung der Kommunikation könnte jedoch noch ein weiteres Problem mit sich bringen: Kriminelle, Geheimdienste und Hassprediger hätten es noch leichter als heute, Falschinformationen und illegale Inhalte zu verbreiten. Denn auch die Facebook-Teams, die heute Beiträge prüfen und löschen, hätten keinen Zugriff mehr. In Indien und Myanmar etwa wurden private Whatsapp-Gruppen bereits für Hetzkampagnen verwendet. Zuckerberg hofft nach eigenem Bekunden, dass Facebook Nutzer mit bösen Absichten auch ohne Zugang zu den Inhalten wird identifizieren können, zum Beispiel durch die Analyse von Verhaltensmustern. Positiv für die Nutzer dürfte dagegen eine andere Neuerung sein: Facebook will ihnen anbieten, dass ihre Daten und Kommentare künftig in festen Zeitabständen automatisch gelöscht werden. "Das würde das Risiko mindern", sagt Zuckerberg, "dass irgendwann Nachrichten wieder auftauchen, die einem peinlich sind."
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Zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen ist Mosambik von einem Wirbelsturm getroffen worden. Der Zyklon Kenneth zog mit einer Windgeschwindigkeit von bis zu 200 Kilometern pro Stunde zunächst über die vorgelagerten Komoren hinweg, bevor er im Norden auf die Küste Mosambiks traf. Auf den Komoren riss der Wirbelsturm drei Menschen in den Tod. Außerdem habe es 20 Verletzte gegeben, teilte das UN-Nothilfebüro (Ocha) über Twitter mit. Auf dem Festland seien Bäume umgestürzt, Dächer abgedeckt und Hütten umgerissen worden. Eine Frau sei von einem Baum erschlagen worden, teilte die Katastrophenschutzbehörde mit. Für die kommenden Tage rechnet man mit heftigen Regenfällen, Überschwemmungen und Erdrutschen. 30 000 Menschen mussten vorsorglich ihre Häuser verlassen.
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Richard Harrington: „Die Regierung spielt mit ihrer Brexit-Politik Roulette mit dem Leben und dem Lebensunterhalt der großen Mehrheit in diesem Land.“ Der britische Staatssekretär Richard Harrington lehnt den Brexit-Kurs seiner Regierung ab und trat jetzt zurück. Mit seinem Schritt will der Wirtschaftsfachmann dazu beitragen, dass ein chaotischer EU-Ausstieg ohne Abkommen doch noch verhindert wird. Er kennt Premierministerin Theresa May und ihren Mann Philip noch aus Studententagen in Oxford. Als sich May 2016 dafür bewirbt, von ihrer Konservativen Partei zur neuen britischen Regierungschefin gekürt zu werden, ist dieser alte Weggefährte einer der ersten Unterstützer. Doch nun reicht es Richard Harrington. Der Tory-Abgeordnete verlässt Mays Regierung, weil er deren Brexit-Politik nicht mehr mittragen möchte. Der 61-Jährige war seit Sommer 2017 Parlamentarischer Staatssekretär für Wirtschaft und Industrie, aber jetzt schickte er seiner Premierministerin ein harsches Rücktrittsschreiben. Und er gehörte zu den 30 konservativen Abgeordneten, die am späten Montagabend gegen die eigene Regierung votierten und May so eine weitere bittere Niederlage zufügten. Das Unterhaus setzte damit durch, dass an diesem Mittwoch eine Reihe von Abstimmungen stattfindet. Die Parlamentarier wollen ausloten, für welchen Brexit-Kurs es eine Mehrheit gibt. Für Mays Kurs existiert bislang keine; zweimal stimmte das Unterhaus gegen den Austrittsvertrag, auf den sich London und Brüssel geeinigt hatten. Doch ohne gültiges Abkommen droht ein chaotischer Brexit mit Zöllen und Zollkontrollen - die Verschiebung des Scheidungstermins ändert daran nichts. Harrington schreibt in seinem zehn Absätze langen Rücktrittsbrief, das Parlament solle einen Konsens finden, der als neue Verhandlungsposition gegenüber Brüssel dienen kann. May wies ihre Fraktion an, gegen das Ansetzen solcher Abstimmungen zu votieren. Harrington verließ lieber die Regierung anstatt zu gehorchen. Der Vater zweier Söhne, der seit 2010 im Parlament sitzt, will mit seinem Schritt dazu beitragen, dass ein chaotischer Brexit ohne Abkommen verhindert wird. Denn die Wirtschaft würde "fünf bis zehn Jahre benötigen", um die Folgen so einer ungeregelten Trennung zu überwinden; Jobs gingen verloren, Existenzgrundlagen würden zerstört, schreibt er: "Die Regierung spielt mit ihrer Brexit-Politik Roulette mit dem Leben und dem Lebensunterhalt der großen Mehrheit in diesem Land." Mit Wirtschaft kennt sich der Sohn von Markthändlern aus. Nach dem Jura-Studium fängt er bei einem Einzelhandelskonzern an und steigt zum Assistenten des Chefs von Waitrose auf, einer kleinen, aber feinen Supermarktkette. Später gründet er mit Studienfreunden eine Immobilienfirma. Im Jahr 1990 wird er Vorstandsvorsitzender und Anteilseigner eines Ferienimmobilien-Unternehmens. Als er den Betrieb zur Jahrtausendwende verlässt, hat der mehr als 2000 Angestellte. Harrington wird 2015 erstmals zum Staatssekretär ernannt. Dieser Posten bedeutet, dass er als Untergebener eines Ministers für ein Fachgebiet zuständig ist. Vor dem EU-Referendum wirbt er für den Verbleib in der Union. Sein Wahlkreis Watford, eine Stadt nordwestlich von London, stimmte mit knapper Mehrheit für den Austritt. Harrington war lange ein unauffälliger Abgeordneter, doch er gewann zuletzt Profil als erbitterter Gegner eines ungeregelten Brexit. Premierministerin May strebt gleichfalls keinen Chaos-Austritt an. Allerdings wollte sie sich diese Option möglichst lange offen halten, um ihre Verhandlungsposition nicht zu schwächen - gegenüber Brüssel und gegenüber Abweichlern aus der eigenen Fraktion. Harrington klagt in seinem Brief an May, dass sich Unternehmen bei ihm als Industrie-Staatssekretär über die andauernde Unsicherheit beschwerten. Die Gefahr eines No-Deal-Brexit behindere Investitionen. Der Wirtschaftsstandort werde zum "Gespött" der Welt. Bereits im Januar kündigte Harrington an, er würde zur Not auch zurücktreten, wenn es dem Kampf gegen einen Chaos-Austritt diene. Zwei Monate später ist es nun soweit.
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Wer sein Haus verkaufen, aber nicht ausziehen will, kann sich für eine Leibrente entscheiden. Doch ein Beispiel aus Bayern zeigt, dass dies nicht so einfach ist. Jeder zweite Rentnerhaushalt hat eine eigene Immobilie. Trotzdem haben viele Senioren nicht genug Geld für ein komfortables Leben. Zwei Millionen Immobilieneigentümer über 65 haben weniger als 1000 Euro monatlich zur Verfügung, und jeder vierte Rentner hat sein Haus oder die Eigentumswohnung noch nicht abbezahlt, stellt die Deutsche Seniorenliga fest. Vor allem nach dem Tod des Partners wird es finanziell oft eng. Frauen sind besonders häufig von Geldsorgen betroffen, denn meist stirbt der Mann zuerst, nicht nur weil er immer noch eine niedrigere Lebenserwartung hat, sondern weil er in drei viertel der Partnerschaften älter ist als seine Partnerin (laut Statistik im Durchschnitt vier Jahre). Was liegt da näher, als die Immobilie zu Geld zu machen, zum Beispiel durch ein Leibrenten-Modell? Dabei wird das Haus oder die Wohnung verkauft, dafür gibt es dann vom Käufer eine monatliche Rente und Wohnrecht, manchmal auch verbunden mit einer Einmalzahlung. Vor allem wenn keine Erben da sind, findet so mancher Ältere die Idee verlockend. Angeblich wollen ohnehin immer weniger Menschen im Ruhestand verzichten, um den Nachkommen mehr zu vererben; nach Angaben der Deutschen Leibrenten AG, die so ein Finanzprodukt anbietet, halten 77 Prozent der Ruheständler wenig von so einer Sparsamkeit. Was ist die Immobilie eigentlich wert? Und wem vertraue ich meine Zukunft an? Das Leibrenten-Modell ist leicht zu verstehen und klingt einfach, ist es aber nicht. Das hat auch Peter Drossel (Name geändert) erfahren, 76, kinderlos, seit Kurzem verwitwet. Allein in einem großen Haus in einer bayerischen Kleinstadt stellte sich für ihn die Frage, wie es nun weitergehen soll. Zwar fühlt er sich fit und kommt - dank Putzfrau und Gärtner - gut allein zurecht, aber wer weiß schon, wie lange noch? Die Idee, sein Haus zu verkaufen und in eine kleinere Wohnung zu ziehen, verwarf er schnell wieder - bei den Wohnungspreisen wäre das ein schlechter Tausch. Außerdem lebt er gern in der kleinen Siedlung am Waldrand. Aber etwas mehr Geld für Reisen und Hobbys wäre schön, fand er, und fing an, sich über die Leibrente zu informieren, ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Da ist zunächst zu klären, was das Haus - erbaut in den Sechzigerjahren und immer wieder mal renoviert -, eigentlich wert ist. Dazu ging Peter Drossel den besten, aber auf den ersten Blick auch teuersten Weg: Er bestellte einen unabhängigen, vereidigten Gutachter zu sich. Dessen umfangreiche Analyse ergab einen geschätzten Verkehrswert von 510 000 Euro. Mit dieser Information machte er sich an die Arbeit und schrieb mehrere Anbieter der Leibrente an, so die Deutsche Leibrenten Grundbesitz AG, die Stiftung Liebenau, die VMT Immofinanz, die ImmoVerkauf 24 GmbH und einige andere Firmen. Und er meldete sich auf die Privatanzeige eines Herrn, der vorgab, als Unternehmer über zu viel Kapital zu verfügen und Anlagemöglichkeiten für sich und seine Familie zu suchen. Die Vorstellung des Seniors von einem guten Angebot: "Wohnrecht im Haus auf Lebenszeit, damit verbunden eine monatliche Rente und eine Einmalzahlung in Höhe von ungefähr 200 000 Euro." Wer für anfallende Reparaturen zuständig sein soll, "ist Verhandlungssache". Außerdem müssten die vereinbarten Leistungen auch im Fall einer Insolvenz des Käufers bis zum Lebensende gewährleistet sein. Über Langeweile brauchte sich Drossel nicht mehr zu beklagen. Die nächsten Wochen bekam er schriftliche Angebote, Telefonanrufe und Besuch - nur die Informationen, die nötig wären, um eine so weitreichende Entscheidung zu treffen, die bekam er nicht. Denn die Frage, wer hinter diesen Firmen steckt und woher das Geld für die Immobilienkäufe stammt, wird in all den schönen Broschüren selten beantwortet: Wem vertraue ich da eigentlich meine Zukunft an? Dass manche Anbieter erst seit Kurzem auf dem Markt sind und Kapitalanlegern hohe Zinsen versprechen, wird potenziellen Hausverkäufern nicht erzählt, auch nicht, wie viel die Anbieter der Leibrente an solchen Deals verdienen. Wie hoch die Leibrente ausfällt, hängt auch vom Wohnrecht und dem Alter des Verkäufers ab Aber wie kalkulieren die Unternehmen eigentlich? Peter Drossel bekam zum Beispiel folgende Offerte: 177 000 Euro als Einmalzahlung und 900 Euro Rente im Monat. Oder diese: 68 000 Euro in bar und 1415 Euro monatlich. Oder eine Einmalzahlung von 220 000 Euro, aber keine Monatsrente. Ist das alles überhaupt vergleichbar? Also: geschätzter Immobilienwert 510 000 Euro, minus 177 000 = 333 000 Euro geteilt durch 900 = 370 Monate geteilt durch 12 = 30,8 Jahre? Wird hier eine Lebenserwartung von 30 Jahren unterstellt? Natürlich nicht, denn auch das Wohnrecht muss berücksichtigt werden in Form einer fiktiven Miete, in dem Fall von 1600 Euro im Monat, sowie die Kosten und Risiken des Anbieters. Wie hoch die Leibrente ausfällt, hängt vom Wert der Immobilie (und deren Sanierungsbedarf), dem Wert des Wohnrechts und dem Alter des Verkäufers ab. Den Wert der Immobilie ermitteln oft Gutachter, die vom Anbieter bestellt werden. Was von der Logik her bedeutet, umso niedriger diese Experten den Wert ansetzen, umso weniger braucht der Anbieter zu bezahlen. Besser ist also, wie Drossel einen unabhängigen Sachverständigen zu beauftragen. Übrigens verhilft das auch zu mehr Realismus, denn fast jeder zweite Immobilieneigentümer überschätzt den Wert seines Hauses, wie der Immobiliendienstleister McMakler in einer Umfrage herausgefunden hat. Peter Drossel stellte übrigens keine großen Unterschiede bei den Kaufpreisschätzungen fest, was auch daran liegt, dass er die Anbieter über das Expertengutachten informierte. Faktor Alter: Je länger die Lebenserwartung, desto geringer die Zahlung. Das heißt, Frauen bekommen weniger, weil die Statistik ihnen ein paar Jahre mehr bescheinigt. Doch es gibt eben verschiedene Statistiken, die des Statistischen Bundesamts und die der Versicherer. Letztere unterstellen eine höhere Lebenserwartung, was bei der Leibrente weniger Geld bedeutet. Das Ganze ist eine Wette auf die Zukunft: Sterben die Hausverkäufer früher als kalkuliert, profitieren die Anbieter. Es sei denn, es wird eine Mindestlaufzeit für die Rentenzahlungen vereinbart, was sinnvoll ist, denn dann bleibt was für die Erben. Mit einer Einmalzahlung kann man für den Fall einer späteren Pflegebedürftigkeit vorsorgen Es gibt noch viel mehr, was Hausverkäufer wissen sollten. Zum Beispiel, dass die Leibrente mit dem sogenannten Ertragsanteil besteuert wird, und der hängt wiederum vom Alter der Senioren ab - je jünger, desto mehr fordert der Fiskus. Dazu Rechtsanwalt Klaus Grieshaber, Vizepräsident des Bundes der Steuerzahler: "Der Ertragsanteil ist abhängig vom vollendeten Lebensjahr bei Beginn der Rente. So beträgt der Ertragsanteil bei vollendetem 65. Lebensjahr 18 Prozent." 18 Prozent der Rente müssen in diesem Fall also mit dem persönlichen Satz versteuert werden. Bei Drossel sind es zehn Prozent. Ebenfalls wichtig: die Unterscheidung zwischen Wohnrecht und Nießbrauch und die Folgen daraus, zum Beispiel für die Frage, wer für welche Kosten zuständig ist (siehe Artikel rechts). Außerdem der Hinweis, dass das Wohnrecht immer im Grundbuch vermerkt werden sollte, und zwar an erster Stelle abgesichert. Denn nur dann bleiben die Rechte des Verkäufers erhalten, wenn der Käufer der Immobilie pleite gehen sollte. Diese Rechte müssen aber möglicherweise vor Gericht durchgesetzt werden, was viel Zeit und Nerven kostet. Besser ist es also, man achtet von vornherein auf die Bonität der Anbieter. Womit man wieder bei der Transparenz wäre. Das Thema Transparenz hat auch Peter Drossel beschäftigt. Er hat festgestellt, dass bei Angeboten von Privatpersonen besondere Vorsicht geboten ist - der angeblich so liquide Unternehmer war gar nicht so wohlhabend, wie Recherchen im Internet ergaben. Was, wenn der Käufer nicht wie vereinbart zahlt? Für so einen Fall bietet sich eine Rückübertragungsklausel an, die ebenfalls im Grundbuch eingetragen werden und vom Notar beglaubigt werden muss, empfehlen Experten. Das alles zeigt, dass die Leibrente alles andere als ein einfaches Finanzprodukt ist, auch wenn Anbieter das suggerieren. Leichtfertig und gutgläubig sollte man sich nicht darauf einlassen, sonst riskiert man, eines Tages ohne Geld dazustehen. Auch Verbraucherschützer raten dazu, sich die Angebote genau anzusehen. Ob sich eine Leibrente lohne, lasse sich nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten, das hänge von der individuellen Situation ab. Apropos Geld - was will Peter Drossel eigentlich mit der Einmalzahlung anstellen, in diesen Nullzinszeiten? Seine Antwort: "Ein Teil davon soll als Rücklage fest angelegt werden für eine mögliche Pflegesituation, der Rest ist Reserve für die Gestaltung der letzten Lebensjahre. Ich will das Leben so weit es geht genießen." Für welches Angebot er sich entschieden hat, verrät der Senior nicht, aber er ist zufrieden.
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Die Aussicht vom Metropolitan Museum of Art ist grandios - aber es gibt eine, die ist ebenso schön und billiger. Tipps für die Städtereise von den "New-York-Nomaden" Christina Horsten und Felix Zeltner. Ein Jahr lang sind die deutschen Journalisten Christina Horsten und Felix Zeltner immer wieder mit ihrer kleinen Tochter in New York umgezogen, Monat für Monat in ein anderes Viertel (hier lesen Sie das Interview über die vielen Gesichter New Yorks): Ihre alte Wohnung war ihnen gekündigt worden, in der neuen fühlten sie sich nicht wohl. Welches Viertel wirklich zu ihnen passt, versuchten sie durch ihr Jahresprojekt herauszufinden - und lernten neue Facetten ihrer Herzensstadt kennen. Ihre Tipps, wo Reisende ein anderes New York abseits der ausgetretenen Touristenpfade entdecken können: Ungewöhnlicher Ausblick "Eine hervorragende Aussicht haben die Staten Island Yankees und ihre Gäste. Jeder kennt die New York Yankees mit ihrem großen Stadion in der Bronx. Aber es gibt noch die kleinen Brüder, die ihr Stadion auf Staten Island haben. Das ist gemütlich klein und kostet deswegen auch viel weniger Eintritt, man kann aber ebenfalls guten Baseball sehen. Und: Von dort aus blicken die Besucher über den ganzen New York Harbor hinweg auf die Südspitze von Manhattan (freier Eintritt mit dem New York Pass, sonst ab 12 Dollar). Mit etwas Glück sieht man die Sonne untergehen und noch ein Feuerwerk am Ende des Spiels - zu einer Aussicht, die schwer zu toppen ist. Je weiter oben man sitzt, desto besser. Aber jeder kann sich umsetzen für einen anderen Blickwinkel oder einen Hotdog essen gehen. Die Stimmung beim Baseball ähnelt sowieso einem lustigen Familienpicknick - der Sport ist gar nicht die Hauptsache." (Noch mehr Tipps für schöne Ausblicke auf New York finden Sie hier von SZ-Korrespondentin Johanna Bruckner.) Gutes Essen mit politischer Botschaft "La Morada ist der beste Mexikaner, den wir kennen. Dabei ist es ein ganz einfaches Lokal in der Bronx in Mott Haven, dort hatten wir auch gewohnt. Die Bronx hat sehr viele schöne und viele nicht so schöne Ecken. Und Mott Haven ist eine der überraschenderen, weil man in der Bronx nicht unbedingt so tolle Hausreihen aus Sandstein erwartet. La Morada ist aber nicht nur deshalb etwas Besonderes für uns, weil es 'unser' Mexikaner in der Nachbarschaft war und das Essen dort so wahnsinnig gut ist. Sondern weil dieser Laden von einer Familie geführt wird, die sehr politisch ist und in der Stadt und dem ganzen Land dafür bekannt, dass sie viel für Immigranten tut - vor allem für irreguläre Einwanderer, die ohne Arbeitserlaubnis da sind. Die ganze Familie ist auch schon mit vielen Preisen bedacht worden für ihren Einsatz für die Menschen im Land und in ihrer Nachbarschaft. Es sind sehr spezielle Leute, so dass auch im Lokal eine sehr spezielle intellektuell-politische Stimmung herrscht: Da sind nicht nur Tische und Stühle und eine offene Küche, sondern da gibt es zum Beispiel auch ein großes Regal mit Literatur, die man sich nehmen kann, auch Kinderbücher. Und wie gesagt: Das Essen ist einfach fantastisch." Kunst, kostenlos im Vorübergehen "Das Bronx Documentary Center ist eine Galerie, die von einem Fotografen der New York Times mitgegründet wurde. Sie hat sich spezialisiert auf Künstler aus der Bronx oder andere Kreative, die über die Bronx arbeiten, meistens Fotos oder Videos. Immer wieder sind kleine Juwelen dabei: tolle Ausstellungen, die am Mainstream vorbeigehen. Das Center liegt in einer Gegend, in der sonst nicht allzuviel geboten ist - in die man sonst also gar nicht hinkommen würde, dabei ist es dort sehr spannend. Natürlich sind MoMa, Guggenheim und das Metropolitan Museum of Art toll, dort auf dem Dach im Cantor Roof Garden ist jedes Jahr eine andere Installation von einem anderen Künstler und man hat einen traumhaften Blick über die ganze Stadt - und eine Dachbar gibt es auch. Detailansicht öffnen Skulptur "ParaPivot" von Alicja Kwade auf dem Metropolitan Museum of Art (Foto: AFP) Doch diese Museen kennen schon viele, außerdem sind sie leider sehr teuer. Wer in ein Museum will, ohne 25 Dollar Eintritt zu zahlen, sollte im American Folk Art Museum auf der Upper West Side vorbeischauen. Dort wird Volkskunst gezeigt von Menschen, die sich ihre Kunst sozusagen selbst beigebracht haben; gerade ist eine neue Dauerausstellung eröffnet worden, es gibt viel New-York-Spezifisches zu sehen - immer umsonst. Das allein ist in New York ja etwas Besonderes, man kann also einfach mal reinspazieren. Und: Das Folk Art Museum hat einen Souvenirshop, in dem es besonders ausgefallene Mitbringsel gibt, auch für Kinder." Mode-Shopping und nicht nur sich selbst Gutes tun "Leider stimmt es nicht mehr, dass man in New York die Sneakers günstiger bekommt. Am besten ist es, hier Second Hand zu kaufen, da kann man wirklich noch Schnäppchen machen. Den Vintage Thrift Shop gibt es gleich zweimal, eine Filiale im West Village und eine auf der 3rd Avenue, die sind ein bisschen kleiner und da findet man wirklich Top-Schnäppchen. Und was das Allerbeste ist an den Second-Hand-Läden in New York: Jeder kauft mit gutem Gewissen ein, weil eigentlich alle Second-Hand-Läden für einen guten Zweck verkaufen. Beim Vintage Thrift Shop geht das Geld an eine jüdische Wohltätigkeitsorganisation, sonst fließt es oft in die Krebs- oder Aidsforschung. Also: auf jeden Fall mit leerem Koffer anreisen." Rundum glückliche Kinder "New York ist für Kinder viel cooler, als man denken würde. Es gibt sehr, sehr schöne Spielplätze. Sie sind meist aufwändig und verspielt gebaut, viele haben verschiedene Zone für unterschiedliche Altersgruppen mit entsprechenden Bauten: für ganz kleine Kinder sehr flach, für die größeren gibt es Hängebrücken, steilere Rutschen und höhere Schaukeln. Einer unserer Lieblingsspielplätze ist der Adventure playground im Central Park, Höhe 66. Straße, Westseite, direkt hinter einem Eingang. Dieser Abenteuerspielplatz liegt sehr schön oben auf einem kleinen Hügel, in der Mitte steht eine kleine Burg. Rundherum sind viele Bänke, hier trinken die Eltern ihren Kaffee und entspannen. Die neueren New Yorker Spielplätze haben eine Art 'Vollgummischwingboden': Wenn die Kinder hinfallen, können sie sich fast gar nicht weh tun, weil der Boden fast unrealistisch weich ist. Und die Spielplätze sind eingezäunt, man muss also nicht die ganze Zeit den Kleinen hinterher rennen, wenn man nicht will. Mit ältern Kindern macht das Mathe-Museum MoMath Spaß. Da wird zwar auch ein bisschen Mathematik erklärt, aber eigentlich ist es ein Erlebniszentrum, in dem man viele Sachen ausprobieren kann: zum Beispiel auf einem Fahrrad mit eckigen Rädern zu fahren auf einem Boden, in den die viereckigen Reifen genau passen, so dass man trotzdem vorankommt. Es liegen immer mathematische Regeln zugrunde, aber alles ist auf Selbsterfahrung ausgelegt - da haben alle Spaß." Auch sehr schön sind die Karussells am Wasser: Es gibt in Manhattan das SeaGlass Carousel am Battery Park, also ganz unten am Ende, wo man auch die Fähre zur Freiheitsstatue nimmt. Es ist der Unterwasserwelt nachempfunden: Die Kinder sitzen in großen Fischen, die rauf und runter schwimmen, dazu gibt es passende Lichteffekte und Meeresmusik. Ein weiteres Karussell am Wasser steht im Brooklyn Bridge Park - einer der vielen Parks, die es erst seit dem Wirbelsturm Sandy gibt, der 2012 viel Küstenlinie zerstört hat. Diese Areale wurden oft in Parks umgewandelt. Im Brooklyn Bridge Park steht nun ein altes, museales Karussell sehr fotogen am East River. "Jane's Carousel" ist eingeglast, also kann man es bei jedem Wetter fahren - bei schönem Wetter stehen die Glasscheiben offen. Hier werden auch Geburtstage gefeiert, es spielt Musik - einfach ein richtig schöner Ort für Kinder." Was jeder in New York einmal gemacht haben sollte "Den Broadway ablaufen, so weit die Füße tragen - von ganz unten so weit hoch wie möglich. Das ist die einzige Straße in Manhattan, die nicht auf dem Grid liegt, also dem Straßennetz: Sie kreuzt alle anderen Avenues, weil sie dem alten Indianerpfad folgt, den die Ureinwohner der Insel benutzt haben. Der Broadway ist eine Straße, die wahnsinnig viel New York zusammenbringt. Wenn man schon mal auf dem Broadway ist, sollte man auch eine Straßenpizza essen für einen Dollar, sich in einem Diner an die Bar setzen und einen Milchshake trinken, einfach ein bisschen die Stadt aufnehmen und ihr zuhören." Christina Horsten und Felix Zeltner schreiben über ihr New York auch auf www.stadtnomaden-buch.de und zeigen Bilder auf Instagram.
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Die höchsten Steuereinnahmen seit Jahrzehnten hindern Ökonomen und Politiker nicht daran, sich mit Ideen zu überbieten, wie - schuldenfinanziert - noch mehr Geld ausgegeben werden könnte. Es brauche mehr öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, Bildung oder Grundlagenforschung. Renten und andere Transferausgaben sollten für den Zusammenhalt in der Gesellschaft erhöht werden. Die deutsche Wirtschaft brauche dringend Steuersenkungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die seit 2011 geltende Schuldenbremse führt dazu, dass gerade in guten Zeiten nicht alle Ideen gleichzeitig umgesetzt werden können, sondern dass sich die Politik zwischen verschiedenen Optionen entscheiden muss. Einige Ökonomen haben in den vergangenen Wochen die Schuldenbremse als Schuldige für vermeintlich zu geringe öffentliche Investitionen ausgemacht und plädieren für ihre Aufweichung oder Abschaffung. Weltweit sind mehr als 100 Fiskalregeln in Kraft, wozu die Schuldenbremse zählt. Sie sind wesentlich dadurch begründet, dass im Zusammenspiel von Politikern, Wählern und Interessengruppen eine Verzerrung hin zu übermäßiger Verschuldung besteht. Es gibt eine Vielzahl an Studien die diese Verzerrung empirisch belegen. Eine Verzerrung hin zu Überschüssen, wie sie zuweilen behauptet wird, lässt sich hingegen nicht empirisch belegen. Fiskalregeln helfen außerdem, die Erwartungen an den Finanzmärkten zu stabilisieren und niedrigere Refinanzierungskosten des Staates sicherzustellen. In einer Währungsunion dämmen sie negative Effekte ein, die durch zu hohe Verschuldung in einem Land auf das andere überschwappen können. Aber verhindert die Schuldenbremse in Deutschland öffentliche Investitionen? Die Schuldenbremse verlangt, dass die um konjunkturelle Einflüsse bereinigten Ausgaben nur etwas höher ausfallen dürfen als die bereinigten Einnahmen. Letztere wachsen ohne Änderungen im Steuersystem in etwa mit der Steuerbasis, also dem über den Konjunkturzyklus durchschnittlichen BIP, dem volkswirtschaftlichen Potenzial. Die Schuldenbremse hat demnach einen Effekt auf die Wahl der Höhe der Gesamtausgaben. Wie die zusätzlichen Ausgaben auf investive und konsumtive Zwecke verteilt werden, also die Priorisierung unterschiedlicher Ausgaben, entscheidet die Politik. Investitionen in Infrastruktur und Bildung sind wichtig, unabhängig von der Höhe der Zinsen Wie hat sich die Politik seit Inkrafttreten der Schuldenbremse im Jahr 2011 entschieden? Die monetären Sozialleistungen des Gesamtstaates wurden um fast 100 Milliarden Euro und die sozialen Sachleistungen um 75 Milliarden Euro erhöht. Die Bruttoinvestitionen stiegen im gleichen Zeitraum um lediglich 17 Milliarden Euro, obwohl durch die gute Haushaltslage genügend Spielraum für höhere Investitionen vorhanden gewesen wäre. Dies ist insgesamt kein Beleg dafür, dass die Schuldenbremse keine Wirkung hatte. Es ist nicht klar, wie sich die Ausgaben ohne Schuldenbremse entwickelt hätten. Transfer- und Konsumausgaben des Staates wären wohl noch stärker gestiegen. Doch dass die öffentlichen Investitionen höher ausgefallen wären, lässt sich bezweifeln. Diese sind in Deutschland nämlich in der Zeit, in der sie nicht durch eine Fiskalregel beschränkt waren, nicht etwa gestiegen, sondern gesunken. Detailansicht öffnen Wolf Heinrich Reuter, 34, ist seit 2016 im Sachverständigenrat und seit Mai 2018 dessen Generalsekretär. (Foto: oh) Die Kritik setzt noch an zwei anderen Punkten an: Zum einen solle der Staat sich mit Zinssätzen, die kleiner sind als die Wachstumsraten, stärker verschulden, um zu investieren. Zum anderen führe die Schuldenbremse zu einer "Stop and go"-Investitionspolitik und verhindere eine verlässliche Finanzierung, Planungssicherheit und verstetigte, konjunkturunabhängige Investitionen. Die Zinsen sind zwar aktuell niedriger als die Wachstumsraten, wodurch zusätzliche Verschuldung für Deutschland weniger problematisch ist. Dies muss jedoch nicht so bleiben und war in der Vergangenheit nicht die Regel. Olivier Blanchard, der die Diskussion angestoßen hat, verweist darauf, dass es nach wie vor Schuldenstandsquoten und Defizite gibt, die aufgrund der aktuellen und zukünftigen Zinsen nicht nachhaltig sind. Er möchte seinen Diskussionsbeitrag nicht als Aufruf zu mehr Schulden verstanden wissen. Für Deutschland gilt es mit Bezug auf die intergenerationale Gerechtigkeit, nicht nur eine funktionierende Infrastruktur weiterzugeben. In der momentan guten Haushaltlage ist vielmehr der richtige Zeitpunkt zu sparen, bevor der demografische Wandel die relativ große Erwerbsbevölkerung von Zahlern zu Empfängern macht, die dann von einer relativ kleineren Erwerbsbevölkerung finanziert werden. Detailansicht öffnen Lars Feld , 52, ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (Foto: oh) Investitionen in Infrastruktur und Bildung sind wichtig, unabhängig davon, ob die Zinsen über oder unter den Wachstumsraten liegen. Es würde verwundern, wenn Kritiker dann für weniger Investitionen eintreten würden, sollte sich das Verhältnis wieder umdrehen. Für den Wachstumseffekt von Investitionen ist es sowieso erst einmal irrelevant, ob sie durch Schulden finanziert werden oder nicht. Gleichwohl ist es übertrieben, in öffentlichen Investitionen ein Allheilmittel zu sehen. Sie sind nicht zwingend staatlichen Konsumausgaben überlegen, wenn der Staat tut, was er soll, nämlich Marktversagen korrigieren. So ist Rechtssicherheit eine der wesentlichen Voraussetzungen für private Investitionen. Die entsprechenden Ausgaben zählen aber vornehmlich zum Staatskonsum. Dafür, dass die Schuldenbremse eine Verstetigung von Investitionen und Planungssicherheit verhindert, fehlt zudem jeglicher empirischer Beleg. Wenn die Politik sich dazu entscheidet, kann sie langfristige und größere Investitionen innerhalb der Schuldenbremse umsetzen. Aus politökonomischen Gründen scheint man dies der Politik jedoch nicht zuzutrauen und möchte Investitionen daher in der einen oder anderen Form aus der Schuldenbremse ausnehmen. Warum diese politökonomischen Überlegungen valide sind, aber diejenigen zur Begründung der Schuldenbremse nicht, bleibt ein Rätsel. Die Schuldenbremse hat ihre Probleme, wie etwa die Messung des strukturellen Defizits in Echtzeit. Beiträge zur Verbesserung der Messung wären hilfreich, eine Abschaffung oder ein Ersatz durch Regeln mit Unschärfen ist problematisch. Um die öffentlichen Investitionen zu erhöhen, muss die Schuldenbremse weder reformiert noch abgeschafft werden. Statt die Politik zur Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse bewegen zu wollen, sollte die Politik für eine Priorisierung öffentlicher Investitionen gewonnen werden.
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Angeführt vom Dreifach-Torschützen James Rodríguez hat der FC Bayern München bei der Rückkehr an die Bundesligaspitze die Dortmunder Siegvorlage mit dem nächsten Schützenfest gekontert. Vier Tage nach dem frustrierenden Champions-League-K.o. gegen den FC Liverpool fertigten die Münchner am Sonntagabend einen wehrlosen FSV Mainz mit 6:0 (3:0) ab. Im Fernduell mit dem nach 26 Spieltagen weiterhin punktgleichen BVB erhöhte der deutsche Serienmeister seinen Vorsprung vor der zweiwöchigen Länderspielpause auf sieben Treffer. "Wir wollten auf jeden Fall heute hier ein gutes Spiel machen und haben uns auch aufgrund des Mittwochs viel vorgenommen", sagte ein zufriedener Thomas Müller bei Sky. "Heute haben wir von Anfang an drückend überlegen dominiert." Robert Lewandowski (3. Minute), der herausragende James Rodríguez (33./51./55.), Kingsley Coman (39.) und Alphonso Davies (70.) trafen vor 75 000 Zuschauern in der ausverkauften Allianz Arena. Für James war es der erste Dreierpack in der Fußball-Bundesliga. Wie beim 5:1 in Gladbach und beim 6:0 gegen Wolfsburg hatten die Bayern erneut leichtes Spiel - das Leistungsgefälle zwischen Bundesliga und Champions-League-Spitze à la Liverpool war wieder eklatant. "Die letzten drei Bundesligaspiele waren eine Duftmarke", sagte Müller. "Wichtig war auch in den letzten drei Spielen, dass wir auch was fürs Torverhältnis getan haben." Schon in den ersten fünf Minuten erspielte sich die von Trainer Niko Kovac auf fünf Positionen umformierte Bayern-Elf mehr Torchancen als insgesamt beim 1:3 gegen Jürgen Klopps taktisch und auch körperlich sehr gut verteidigenden Liverpooler. Eine davon führte zum 1:0: David Alaba durfte ohne Mainzer Gegenwehr flanken, Lewandowski lenkte den Ball bei Saisontor Nummer 18 ungestört von Gegenspieler Alexander Hack ins Tor. Coman traf später den Pfosten (12.). James prüfte FSV-Torwart Florian Müller (15.). Vor dem zweiten Tor kamen die Mainzer ein wenig ins Spiel, nahmen die Einladung der in dieser Phase nachlässigen Bayern aber nicht an. Levin Öztunali schoss aus der Distanz vorbei (25.). Umgekehrt sah das anders aus. Wenn die Münchner Stars Spielfreude entwickelten, verkamen die Mainzer Profis zu Statisten. Einen hohen Ball von Joshua Kimmich legte Leon Goretzka gekonnt mit der Brust ab auf James, der mit seinem linken Fuß präzise zum 2:0 abschloss. Coman erhöhte mit feiner Schusstechnik zum 3:0-Pausenstand. Nach der Pause war im Münchner Regen Schaulaufen des deutschen Meisters angesagt. Der umjubelte James stand sinnbildlich für den Unterschied zwischen der Wirkungslosigkeit gegen Liverpool und einer erfolgreichen Offensivleistung gegen Mainz. Bei seinem zweiten Tor eskortierten den Kolumbianer zwei Gegner in ehrfürchtigem Abstand. Gegen den präzisen Linksschuss ins lange Eck war Müller machtlos. Die Hoffnung von Gäste-Trainer Sandro Schwarz, mit einem 4-5-1-System die Räume vor dem eigenen Tor zu verdichten, griff überhaupt nicht. Ein Ballverlust von Hack ermöglichte James einen dritten Tor-Streich. Lässig überlupfte er den aus seinem Tor herausstürzenden Müller. Es kam noch schlimmer für die Gäste. Nach Müüllers Parade gegen Lewandowski traf der eingewechselte Davies beim Nachschuss. Für den 18 Jahre jungen Kanadier, der in München ein Großer werden will, war es beim fünften Teilzweieinsatz in der Bundesliga die Tor-Premiere.
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Nach dem Anschlag auf Moscheen im neuseeländischen Christchurch war das vom Attentäter verbreitete Video längere Zeit im Internet zu sehen. Australien verschärft nach dem rassistisch motivierten Anschlag auf zwei Moscheen in Neuseeland, der live ins Internet übertragen wurde, seine Gesetze. Künftig können Internet-Unternehmen, die solche Videos verbreiten, mit hohen Geldstrafen und deren Manager sogar mit Haft bestraft werden. Die neuen Regelungen wurden am Donnerstag vom Parlament verabschiedet. Sie werden möglicherweise die Debatte über Meinungsfreiheit im Internet anheizen. Nach Regierungsangaben ist Australien weltweit das erste Land mit solch strengen Gesetzen. Unterbinden Konzerne "schreckliche, gewalttätige" Inhalte nicht, sind künftig theoretisch Geldbußen in Höhe von zehn Prozent des Umsatzes möglich. Zudem drohen den verantwortlichen Managern bis zu drei Jahre Haft. Justizminister Christian Porter sagte im Parlament, die Internet-Plattformen dürften nicht zulassen, dass "Hass und Terror verbreitet" würden. "Fast alle Australier seien sich einig, dass Online-Plattformen mehr Verantwortung für die von ihnen verbreiteten Inhalte übernehmen sollten." Beide Kammern stimmten im Schnellverfahren zu. Vertreter australischer Medienunternehmen kritisierten das Gesetz scharf. Es könne dazu führen, dass auch legitime Inhalte zensiert würden, erklärten sie. Bei dem Anschlag in der neuseeländischen Stadt Christchurch Mitte März waren 50 Menschen getötet und Dutzende verletzt worden. Als mutmaßlicher Täter sitzt der 28 Jahre alte Rechtsextremist Brenton T. aus Australien in Untersuchungshaft. Ihm droht lebenslange Haft. Er hatte den Anschlag mit einer Helmkamera live auf Facebook übertragen. Auszüge aus dem etwa 17-minütigen Video kursieren immer noch im Netz. In den ersten 24 Stunden wurde es mehr als 1,5 Millionen Mal verbreitet. Tarrant soll wegen 50-fachen Mordes der Prozess gemacht werden.
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Konstantin Kuhle gilt als moderner Kopf in der FDP, der einstige Vorsitzende der Jungen Liberalen kommt mit manchen Thesen selbst bei den Grünen gut an. Der 30-jährige Bundestagsabgeordnete spricht im Interview darüber, wie die FDP mit mehr Empathie wieder zweistellige Wahlergebnisse erreichen kann. SZ: Warum ist die FDP bei Themen wie Klima und Gleichberechtigung, die den Parteitag beherrscht haben, gefühlt so spät dran? Konstantin Kuhle: Wenn alle Parteien zum selben Ergebnis kämen, wäre das eine schlechte Nachricht für den Wettbewerb der Ideen. Es muss auch jemanden geben, der beim Klima auf Technologieoffenheit und Wettbewerb setzt. Und bei der Gleichberechtigung gibt es viele Frauen, die sich von der FDP wünschen, nicht durch eine starre Quote auf ihr Geschlecht reduziert zu werden. Was müsste die FDP leisten, um wieder zweistellige Werte zu erreichen? Die Grünen haben die Eigenschaft der Empathie nicht für sich gepachtet. Die FDP muss stärker deutlich machen, welchen inneren Antrieb und welche Werte sie zugrunde legt. Unsere neue Generalsekretärin Linda Teuteberg hat in ihrer Rede deutlich gemacht, dass Menschen in Ostdeutschland respektvoll und auf Augenhöhe behandelt werden möchten. Diese Einstellung ist der richtige Weg. Im Europa-Wahlkampf wird bisher aber nur mit wenig Verve gegen jene Populisten gekämpft, die Europa schwächen wollen. Schlafwandeln viele Deutsche, wenn es um Europa geht? Ja, ich würde mir mehr Leidenschaft bei der Verteidigung europäischer Werte wünschen. Wir sollten uns vergegenwärtigen, mit welcher Hoffnung jüngst bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine für eine europäische Perspektive des Landes gestritten worden ist. Ein bisschen mehr Feuer würde auch uns guttun. Die Liberalen und Emmanuel Macron kämpfen in Europa bislang Seite an Seite. Gilt das auch nach seinen jüngsten Ankündigungen, mit denen er auf die Gelbwestenproteste reagiert hat? Liberaler als Macron wird es in Frankreich nicht. Dass die FDP nach der Europawahl mit der Partei des französischen Präsidenten zusammenarbeiten möchte, gilt weiterhin. Die Gelbwestenproteste haben allerdings gezeigt, dass eine Politik zur Rettung des Klimas nicht zu einer Entfremdung von Stadt und Land führen darf. In Deutschland sind viele Menschen im ländlichen Raum auf das Auto angewiesen. Wovor muss sich die EU derzeit am meisten fürchten? Die EU muss sich am meisten Sorgen darüber machen, dass nationale Alleingänge als realistische Option angesehen werden. Deutschland wird weder das Klima alleine retten noch die Migrationspolitik ohne andere gestalten können. Hinzu kommt, dass nationale Abschottung, wie beim Brexit, gerade in Zeiten einer schwächeren Konjunktur handfeste wirtschaftliche Nachteile für die Menschen mit sich bringt. Was muss die FDP leisten, um zur Verhinderung dieser Szenarien beizutragen? Ich wünsche mir, dass die FDP unmissverständlich und engagiert für europäische Lösungen eintritt. Die letzte Überarbeitung der europäischen Verträge ist zehn Jahre her und stammt aus einer Zeit vor der Euro-Krise und vor der Flüchtlingskrise. Es ist Zeit für einen neuen europäischen Verfassungskonvent, der Vorschläge für eine Reform der EU macht.
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Die Kinder des Drogeriemarktunternehmers Anton Schlecker müssen ihre Gefängnisstrafen antreten. Lars und Meike Schlecker hatten gegen die Urteile des Landgerichts Stuttgart Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies dies zurück, wie das Gericht nun bekanntgab, setzte allerdings die Freiheitsstrafe um einen beziehungsweise zwei Monate herunter. Damit sind Lars und Meike Schlecker rechtskräftig zu Haftstrafen von jeweils zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Zur Begründung für die Änderung hieß es in der Mitteilung, das Landgericht habe die den Angeklagten fehlende Schuldnereigenschaft nicht zu ihren Gunsten bedacht. Den beiden Kindern von Anton Schlecker werden Untreue, Insolvenzverschleppung, Bankrott und Beihilfe zum Bankrott ihres Vaters vorgeworfen. Anders als die zweijährige Haftstrafe für ihren Vater Anton Schlecker können die Strafen der Kinder nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Schlecker selbst hatte keine Revision gegen das Urteil eingelegt. Auch die Staatsanwaltschaft hatte den Spruch des Landgerichts akzeptiert. Die Schlecker-Kinder hatten sich nach Überzeugung des Landgerichts unrechtmäßig Gewinne aus der zum Schlecker-Imperium gehörenden Logistik-Firma LDG ausgezahlt - nur Tage bevor der Konzern in die Insolvenz ging. So war die von ihnen verursachte Schadensumme letztlich höher als die ihres Vaters. Deshalb fiel das Urteil gegen Anton Schlecker milder aus.
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Seinen neuen Trainer wird der 1. FC Köln erst im Laufe der nächsten Woche im Geißbockheim vorstellen, doch die wichtigsten Punkte der Antrittsrede hat Achim Beierlorzer, 51, schon am Sonntag im Müngersdorfer Stadion verraten, nachdem er mit seiner alten Mannschaft bei seiner neuen Mannschaft gespielt und höchst unterhaltsam 5:3 gewonnen hatte. Dass der Trainer des SSV Jahn Regensburg die Karriere zur neuen Saison in Köln fortsetzen werde, das hatte sich zwar schon in der vorigen Woche rumgesprochen, zur amtlichen Bestätigung fehlte noch die Beglaubigung durch die Vereinsfunktionäre. Die zuständigen Vertreter der Gremien tagten erst nach der Partie, und so gab sich Beierlorzer auf der Pressekonferenz im Stadion alle Mühe, ein Geheimnis zu wahren, das längst keines mehr war. "Zu den Gerüchten und Themen um meine Person sage ich nichts", sprach er. Erst als die Zeremonie schon vorbei war, rutschte ihm doch noch ein Gutachten heraus, das wie eine Regierungserklärung zu verstehen war. Dem FC fehle in Sachen Kaderplanung nicht viel für die erste Liga, befand Beierlorzer, "da muss nicht viel gemacht werden, punktuell, und dann mit Vollgas voraus". Einerseits lässt sich dieses Urteil als Wertschätzung für die Arbeit seines neuen Vorgesetzten Armin Veh interpretieren. Andererseits sprach aus diesen Worten ein Trainer, der sich darauf freut, einen Aufsteiger zu übernehmen, der keiner Grundlagenrenovierung bedarf. Dafür hatte die Kölner Mannschaft im Abschiedsspiel für den scheidenden Ex-Kapitän Matthias Lehmann, 35, ein gutes Beispiel gegeben. 0:3 lag sie zur Pause nach einem schrägen Spielverlauf zurück, dezimiert durch den nicht weniger schrägen Platzverweis für Jhon Cordoba, doch zum 4:4 fehlte am Ende nicht viel. Beierlorzer hatte Grund, sich über beide Teams zu freuen: Über sein neues, das sich leidenschaftlich gegen die Niederlage wehrte, und über sein altes, das keine Scheu vor dem Zweitligameister zeigte. "27 Torschüsse", bemerkte der Trainer beim Blick auf die Regensburger Statistik, "das ist eine Marke, mit der wir arbeiten wollen." Auch dieser Satz ließ sich in die Kölner Zukunft projizieren. Beierlorzer favorisiert das zügige Angriffsspiel, eine Eigenheit, die Veh zu schätzen weiß. Angeblich beobachtete Veh Beierlorzer schon länger Am Montag machten die Kölner dann das Engagement bekannt, demzufolge habe Beierlorzer "keine Sekunde gezögert". Schon vor drei Monaten, so erzählte er am Sonntag, habe er seiner Familie gesagt: "Wenn ihr mal ein richtig tolles Stadion sehen wollt, dann müsst ihr nach Köln kommen. Sensationelles Stadion mit sensationellen Fans." Mancher Kommissar würde aus dieser Episode Verdacht schöpfen, und tatsächlich kursieren in Köln Gerüchte, dass sich die Anfrage des FC nicht erst nach der Beurlaubung des vormaligen Trainers Markus Anfang ergeben hatte. Angeblich hatte Veh schon länger einen Blick auf den Mann geworfen, der in Ralf Rangnicks Leipziger Trainerschule gelernt hat. Veh schwärmte von "starken Führungsqualitäten", von "authentischer Ausstrahlung" - weitere Eigenschaften, die sich mit Vehs Erwartungen gut vertragen. Womöglich nicht zuletzt deshalb, weil sie seinem persönlichen Selbstbild entsprechen. Die Bestellung des neuen Trainers fällt mitten in eine Zeit, in der sich der Kölner Klub neu formiert. So gab der FC auch die Auswahl des Trios bekannt, das im September als neuer Vorstand kandidieren soll. Für Toni Schumacher und den zweiten amtierenden Vizepräsidenten Markus Ritterbach ist nach den Vorstellungen der vereinsinternen Findungskommission kein Platz mehr an der Vereinsspitze. Beide behalten sich jedoch vor, per Mitgliedervotum eine Gegenkandidatur zu initiieren, dafür benötigen sie aber einen Präsidentschaftsbewerber, nachdem ihr bisheriger Favorit Wolfgang Bosbach abgesagt hat, weil er eine Kampfkandidatur ablehnt. Kenner rechnen mit einem unruhigen Sommer beim FC. Insofern war es sicherlich sachdienlich, Beierlorzers Engagement schnell zu verwirklichen, bevor es noch zum Wahlkampfthema hatte werden können.
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Der Prozess um die Katastrophe bei der Loveparade wird gegen die Mehrheit der Angeklagten eingestellt. Ein Vater benennt die Fragen, die jetzt wohl nie beantwortet werden. Es geht ihm nicht um Rache, betont Klaus-Peter Mogendorf, als er an diesem Mittwoch vor die Öffentlichkeit tritt. "Wir wollten in erster Linie eine korrekte Aufklärung." Warum starb sein Sohn Eike? Warum wurde er im Gedränge bei der Loveparade erdrückt, so wie 20 weitere Menschen? Warum hatten die Bauamt-Mitarbeiter die Planung genehmigt, obwohl sie lange Bedenken hatten? "Das sind so Punkte, die wir ganz gerne aufgeklärt haben wollten, was jetzt aber anscheinend nicht mehr möglich ist", sagt Mogendorf. Das Landgericht Duisburg hat den Loveparade-Prozess gegen sieben der zehn Angeklagten eingestellt. Die Verfahren gegen sechs Beschäftigte des Bauamtes und den Kreativdirektor der Veranstalterfirma Lopavent endet ohne Urteil, weil die Angeklagten nach Auffassung des Gerichts allenfalls eine geringe individuelle Schuld trifft. So sehen es Richter und Staatsanwaltschaft. Demnach sei "kollektives Versagen" für die Massenpanik verantwortlich, bei der auch mehr als 650 Menschen verletzt wurden. Mogendorf, Bauingenieur von Beruf, trägt einen dunkelblauen Pullover und hält die Arme verschränkt. Man verdanke dem Strafprozess "wichtige Erkenntnisse" über die Loveparade, sagt er. Und doch sei es ein Schock gewesen, als das Gericht Mitte Januar gar vorgeschlagen hatte, das Verfahren gegen alle zehn Angeklagten einzustellen. "Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Für eine solche Schlussfolgerung ist es zu früh." In das entscheidende Sachverständigengutachten zur Loveparade sind Angaben von mehr als 500 Zeugen eingeflossen. Erst 59 davon hat das Gericht bislang angehört - - darunter war niemand aus dem Bauamt, kritisiert Mogendorf. "Es ist unverzichtbar, diese Sachverhalte weiter zu ermitteln", sagt der Vater. Allerdings kämpft das Gericht gegen die Zeit: Wenn es bis Juli 2020 kein Urteil fällt, werden die Vorwürfe der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung verjähren, genau zehn Jahre nach der Katastrophe. Der Strafprozess geht nun noch gegen drei Beschäftigte der Eventfirma Lopavent weiter. Sie haben einer Einstellung nicht zugestimmt, setzen stattdessen auf einen Freispruch. Das liegt auch daran, dass Richter und Staatsanwaltschaft die Verfahren gegen sie nur gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt hätten, weil die drei Angeklagten - nach vorläufiger Auffassung - eine mittelschwere Schuld treffen könnte. Einen Prozess ohne Urteil hatte der Vater schon vor Jahren befürchtet Der Vorteil der jetzigen Entscheidung sei bezüglich der Verjährungsfrist, dass das Gericht nun auf die Genehmigung der Loveparade, für die Mitarbeiter der Stadt zuständig waren, keinen Schwerpunkt mehr legen müsse, sagt Henning Ernst Müller, Strafrecht- und Kriminologieprofessor an der Universität Regensburg, der den Prozess seit Jahren wissenschaftlich begleitet. Müller kritisiert, dass das Gericht das vorläufige Sachverständigengutachten noch nicht in die Verhandlung eingebracht hat - obwohl Richter, Staatsanwälte und Verteidiger auf dessen Grundlage über die Einstellung des Verfahrens entschieden haben. Den Schöffen und der Öffentlichkeit ist das Gutachten noch nicht bekannt. Ein weiterer Punkt, den Müller anspricht: Es gehörte kein Vertreter der Polizei zu den Angeklagten, moniert Müller, obwohl eine Absperrungskette der Polizei zu dem tödlichen Gedränge beigetragen habe. Diese Ursache der Katastrophe benennt auch das Gutachten - freilich als eine von vielen. Dass das Verfahren ohne Urteil zu Ende gehen könnte, hatte Mogendorf nach eigenem Bekunden schon vor Jahren befürchtet. Seine Familie werde mit dem Prozess abschließen. Aber der Verlust des Sohnes und die Folgen würden bleiben. "Wir werden den Rest unseres Lebens darunter leiden."
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Für eine Verbesserung in der Tabelle reichten die Ergebnisse des Wochenendes zwar nicht aus, für eine Besserung des Wohlbefindens bei den München-Haar Disciples aber durchaus: Mit einer Siegteilung auswärts bei den Heidenheim Heideköpfen hat der Baseball-Bundesligist aus dem Münchner Osten seine Minimalchance auf die Playoffs gewahrt. Nach einem knappen 1:3 im ersten Spiel am Freitagabend gewann die Mannschaft von Paco Garcia am Samstag etwas überraschend 5:2. "Ich bin zufrieden, vor allem mit der Art und Weise, wie wir gespielt haben", sagte Sportdirektor Christopher Howard. Zwar war der Ausgang der ersten Partie bis zum Schluss offen, letztlich wunderte sich aber niemand, dass in der Offensive nur ein einziger Punkt gelang. In Mike Bolsenbroek haben die Heidenheimer den wohl besten Pitcher Deutschlands für die aktuelle Saison verpflichtet, lediglich dem derzeit sehr treffsicheren Nateshon Thomas war es vergönnt, eine komplette Runde bis zur Home Plate zurückzulegen. Pitcher Tomas Ondra hatte die Disciples diesmal lange im Spiel gehalten, die Vorentscheidung zum 3:1 gelang den Gastgebern erst im siebten Durchgang. Im zweiten Spiel nutzten die Disciples die Abwehrfehler der Heideköpfe konsequent aus und gingen durch Simon Lechner früh in Führung, im fünften Inning konnte der Außenseiter die Führung auf 5:0 ausbauen. Lechner trug dabei einen weiteren Punkt zum Erfolg bei. Überraschend war, dass der Haarer Startpitcher Louis Cohen nach nur drei Durchgängen ausgewechselt wurde. Der Trainer, so Sportdirektor Howard, habe das Gefühl gehabt, "dass man mit Jan in dieser Situation besser aus dem Inning kommt". Jan Endrejat behielt in einer kniffligen Situation tatsächlich die Nerven, er ließ allerdings im fünften Durchgang zwei Gegenpunkte zu, weshalb er dann selbst den Werferhügel verlassen musste. Über den US-Amerikaner Cohen sagte Howard noch: "Das muss er wie ein Profi nehmen. Er hat bisher auch nicht die souveränste Saison gespielt." Die Hoffnung auf die Playoffs ist ungetrübt. "Wenn wir so weiterspielen wie am letzten Wochenende, dann ist sicher noch eine Chance da", sagte Howard. Die Disciples stehen derzeit auf Rang sechs und müssten Vierter werden, um das Viertelfinale zu erreichen. Am kommenden Wochenende warten zwei schwere Heimspiele gegen die Mannheim Tornados.
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Michael Huber legt Rekordzahlen vor, und doch spricht der Chef der Brauerei Veltins ausgesprochen nachdenklich über seine Branche. "Ja, es war ein Ausnahmejahr", sagt Huber: Dank der Fußballweltmeisterschaft und des heißen Sommers haben hiesige Brauereien in 2018 etwas mehr Bier verkaufen können als im Vorjahr. "Petrus hat uns geholfen", sagt der Manager mit rauchiger Stimme und langen grauen Haaren, der seit mehr als 20 Jahren Generalbevollmächtigter des Familienunternehmens ist. "Doch man darf jetzt nicht davon ausgehen, dass das die Basis für die Zukunft ist", mahnt der Veltins-Chef. Zu viele Trends sprechen langfristig gegen die großen Brauereien, für die Deutschland weltweit bekannt ist. Zwar schätzt Veltins, dass hierzulande im vergangenen Jahr etwa 0,5 Prozent mehr Bier verkauft wurde. Die Brauerei beruft sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die bislang nur für Januar bis November vorliegen, und den Eindruck eines schwachen Weihnachtsgeschäftes. Doch tranken die Menschen in Deutschland damit im Schnitt noch immer deutlich weniger Bier als noch vor ein paar Jahren. Die Branche verweist auf den demografischen Wandel, da ältere Menschen im Schnitt nicht so viel Alkohol trinken wie jüngere, und auf den allgemeinen Trend zu einer bewussteren und gesunderen Ernährung. Da passt es ins Bild, dass Brauereien wie Veltins und Warsteiner im vergangenen Jahr vor allem mehr alkoholfreies Bier verkauft haben. Sogenannte Premiumbrauereien haben im vergangenen Jahr nicht nur Marktanteile dazugewonnen, sondern auch ihre Preise erhöht. So hat Veltins knapp fünf Prozent mehr Bier hergestellt als im Vorjahr. Der Umsatz der Brauerei aus dem Sauerland ist derweil um neun Prozent gestiegen, eben weil das Bier teurer geworden ist. Bei Veltins hofft man, dass die Zeiten nun vorüber seien, in denen viele Supermärkte selbsternannte Premiumbiere regelmäßig für nur 9,99 Euro je Kasten im Sonderangebot offerierten. Andere Brauereien wie Warsteiner hingegen haben ihre Produkte nicht verteuert - und auch deshalb mehr verkaufen können. Das Familienunternehmen, das ebenfalls im Sauerland zu Hause ist, war mit hohem Werbeaufwand einst zur größten Premiumbrauerei Deutschlands aufgestiegen, stellt heute aber nur noch halb so viel Bier her wie in den Spitzenzeiten. Warsteiner hat im vergangenen Jahr einen Stellenabbau angekündigt, der dank des höheren Umsatzes nun etwas geringer ausfällt. Veltins-Chef Huber befürchtet, dass sich der Biermarkt im kommenden Jahrzehnt deutlich ausdünnen könnte: "Die Marktverdrängung wird zunehmen, der Preiskampf wird zunehmen." Es sei bereits ein schlechtes Zeichen, wie lange es gedauert habe, bis Traditionsmarken wie Diebels vom Niederrhein oder Hasseröder aus dem Harz im vergangenen Jahr einen neuen Eigentümer gefunden haben. Noch vor zehn Jahren wären solche Brauereien binnen weniger Monate übernommen worden, schätzt Huber. Heute stünden ausländische Investoren offensichtlich nicht mehr bereit. Regionale Landbiere statt "Fernsehbiere" aus der Werbung Huber hat Erfahrung darin, Trends auf dem Markt zu erspüren. So hat Veltins unter seiner Ägide schon im Jahr 2001 auf Biermixgetränke gesetzt; die Marke "V-Plus" wurde führend in dem Segment und trägt heute gut ein Zehntel zum Absatz der Brauerei bei. Und als die Sauerländer erkannten, dass die Kunden immer mehr regionale Landbiere kaufen statt die sogenannten Fernsehbiere aus der Werbung, brachten sie mit "Grevensteiner" eine eigene Marke auf den Markt, die an die Geschichte von Veltins in Westfalen erinnern soll. Im Jahr 2018 verkaufte das Unternehmen fast 30 Prozent mehr Grevensteiner als im Vorjahr. Bereits am Montag hat Niels Lorenz, der Chef der Radeberger-Gruppe, seine Branche auf harte Zeiten eingestimmt. Zwar hätte 2018 vom Wetter her "für uns Brauer nicht besser laufen können". Dennoch stehe am Jahresende "nur ein überaus zartes Wachstum", sagt Lorenz. "Die Jubelmeldungen erweisen sich damit als viel Lärm um fast nichts." 2018 lasse nichts Gutes für die kommenden Jahre ahnen. Die Brauereien müssten weiter Kosten sparen und in ihre Anlagen investieren, noch immer biete der Handel viel Bier zu niedrigen Sonderpreisen an. Zur Radeberger-Gruppe, die selbst zum Oetker-Konzern gehört, zählen Marken wie Jever oder Schöfferhofer. Auch Veltins sieht die Branche vor einem schwierigen Jahr. "Preiserhöhungen sehe ich gar nicht", sagt Firmenchef Huber. Seine Brauerei rechne damit, dass sie 2019 wieder weniger Bier verkaufen werde. "Wir haben nun mal kein Fußball-Großevent", sagt Huber. "Und wir wissen nicht, ob es einen solchen Sommer nach einem solchen Schnee geben wird."
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Die britische Premierministerin Theresa May will das Parlament in London über ein mögliches zweites Brexit-Referendum abstimmen lassen. Das sagte May bei einer Rede in London am Dienstag. Sie kam damit Teilen der Opposition entgegen, die eine solche zweite Abstimmung fordern. Die Klausel über die Möglichkeit eines zweiten Referendums sei Teil der Vorlage zum Brexit-Abkommen, über das May in der ersten Juni-Woche im Parlament ein viertes Mal abstimmen lassen will. Sie sei sich der emotionalen Bedeutung für die Abgeordneten bei der Frage nach einem Referendum bewusst. Wer von ihnen ein zweites Referendum wolle, müsse für ihren neuen Gesetzesvorschlag stimmen. Es sei die letzte Chance, das Resultat des Brexit-Referendums umszusetzen, so May. "Ich habe Kompromisse gemacht. Jetzt bitte ich Sie, ebenfalls Kompromisse einzugehen." May hatte zuvor einen neuen und "kühnen" Plan angekündigt, wie sie ihren Brexit-Deal mit der Europäischen Union doch noch durchs Parlament bringen will. Sie machte am Dienstag Zusicherungen zu Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz, die der Labour-Opposition wichtig sind. Kritiker in ihrer eigenen Partei versucht May unter anderem mit dem Versprechen zu gewinnen, sie werde zurücktreten, wenn das Parlament den Brexitvertrag endlich beschlossen habe. May ist mit ihrem Deal bereits dreimal im britischen Unterhaus gescheitert. Gespräche mit der Labour-Opposition über einen Kompromiss sind ebenfalls ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Eigentlich hätte Großbritannien die EU bereits am 29. März verlassen sollen. Die Frist für den EU-Austritt wurde inzwischen bis zum 31. Oktober verlängert. May hatte sich kürzlich bereiterklärt, nach der Abstimmung im Juni über den Deal einen Zeitplan für ihren Rücktritt zu vereinbaren. Das Rennen um ihre Nachfolge ist längst im Gang. Zugeständnisse Mays für eine engere Anbindung an die Staatengemeinschaft, wie Labour sie fordert, könnten von Mays Nachfolger wieder rückgängig gemacht werden, so die Befürchtung. Als aussichtsreicher Kandidat gilt Ex-Außenminister Boris Johnson, der bislang einen EU-Austritt ohne Abkommen aus der EU befürwortet.
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Die deutschen Unionsparteien hoffen, dass Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán im Streit mit der Europäischen Volkspartei (EVP) doch noch einlenkt - und dadurch ein Rauswurf seiner Fidesz-Partei aus der EVP vermieden werden kann. Das Präsidium der CDU wolle bei einer Sitzung am 11. März über den Umgang mit dem Ungarn beraten, hieß es am Dienstag aus der CDU. Derzeit gebe es Gespräche zwischen den Spitzen von CDU und CSU. Ziel sei eine Verständigung mit dem Ungarn. Dazu brauche es "glaubhafte Signale" von Orbán, sagte Gunther Krichbaum (CDU), der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag. Der gemeinsame Spitzenkandidat von CDU und CSU bei der Europawahl, Manfred Weber, stellte Orbán drei Bedingungen, um einen Ausschluss seiner Partei aus der EVP doch noch abzuwenden. Der ungarische Ministerpräsident müsse die "Anti-Brüssel-Kampagne seiner Regierung sofort und endgültig stoppen", sich wegen anti-europäischer Äußerungen bei den anderen EVP-Mitgliedsparteien entschuldigen und einen Verbleib der Zentraleuropäischen Universität (CEU) in Budapest sichern, sagte Weber der Zeitung Bild. Die CEU wird von George Soros - einem Finanzinvestor und Philanthropen ungarisch-jüdischer Herkunft - unterstützt, den Orbáns Regierung heftig anfeindet. Weber, der auch stellvertretender CSU-Vorsitzender ist, sagte, er werde noch "einen letzten Versuch" unternehmen, "Orbán und die Fidesz in der EVP zu halten". Die Werte der Christdemokratie seien dabei allerdings "nicht verhandelbar". Der Streit zwischen Orbán und der EVP hatte sich in den vergangenen Wochen wegen einer Fidesz-Plakatkampagne zugespitzt. Darin wirft die Partei EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Soros die bewusste Förderung illegaler Einwanderung in die EU vor. Am Dienstagabend sagte Juncker dem ZDF, er werde für den Ausschluss der Fidesz-Partei stimmen. In den vergangenen Tagen hatten mindestens 13 EVP-Mitgliedsparteien aus zehn Ländern eine Abstimmung über den Ausschluss der ungarischen Schwesterpartei aus der Parteienfamilie verlangt. Damit befasst sich die EVP am 20. März. Möglich wäre auch eine befristete Suspendierung. Die EVP-Spitze sondiert offenbar bei den Chefs der Mitgliedsparteien bereits deren Abstimmungsverhalten. Denn so unglücklich es für die Europäische Volkspartei wäre, kurz vor der Europawahl die ungarischen Abgeordneten zu verlieren - mindestens genauso unglücklich wäre es, wenn andere Parteien aus der EVP austreten, sollte Orbáns Fidesz nicht ausgeschlossen werden. Darum gilt es in der Fraktion als unwahrscheinlich, dass Orbáns Verhalten keine Folgen haben wird. Ungarns Regierungssprecher Zoltán Kovacs sagte der Süddeutschen Zeitung, die "öffentliche Meinung" werde "manipuliert". Ein Rauswurf aus der EVP wäre "irrational", da Fidesz die "Stimme des gesunden Menschenverstands" repräsentiere.
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Die Regionalliga-Meisterschaft ist der U23 der Münchner nicht mehr zu nehmen. Für Trainer Seitz geht es jetzt vor allem um die Frage, wer sich für die Startelf in den Aufstiegsspielen empfiehlt. Die Spieler standen bereit, mit Bierflaschen bewaffnet und dem Daumen auf der Öffnung, ein größerer Behälter war mit Wasser gefüllt worden. Holger Seitz ließ auf sich warten. Der Trainer der U23 des FC Bayern nahm im Innenraum des Stadions noch Glückwünsche entgegen. Als er endlich um die Ecke bog, schüttelten sie ihre Flaschen, Seitz schrie auf, bückte sich kurz schützend, den reckte er sich und hüpfte im Gleichklang mit den Spielern. Der Steinboden im Kabinengang des Grünwalder Stadions war sofort rutschig, ein Spieler konnte sich auf seinen Stollenschuhen nicht mehr halten und knallte mit voller Wucht zu Boden. Gut zu wissen für den Fall, dass es hier am 26. Mai genauso zugeht. Detailansicht öffnen Auch eine Art Pokal: Der designierte Torschützenkönig Kwasi Wriedt schnappt sich zum Zwecke der Präsentation seinen Trainer Holger Seitz. (Foto: Sven Leifer/imago/foto2press) Bei der zweiten Mannschaft der Bayern ist zurzeit irgendwie alles Generalprobe, sogar das Feiern. Der 3:1-Erfolg am Freitagabend gegen Greuther Fürth II bedeutete die sichere Regionalliga-Meisterschaft, das ist ein Titel, nicht mehr und nicht weniger. "Wir können heute schon mal feiern, womöglich sogar mit einem alkoholischen Getränk", sagte Trainer Seitz. Er selbst werde sich im Hintergrund halten. Wenn er sehe, dass die Jungs es ausarten lassen, was er freilich nicht glaube, dann werde er dazwischengehen. Denn die Aufstiegsspiele zur dritten Liga stehen ja erst noch an. Detailansicht öffnen Mit Kopf und Fuß: Lars Lukas Mai erzielt in der 27. Minute das 1:0 für den FC Bayern gegen die U23 aus Fürth, da allerdings per Flachschuss. (Foto: Claus Schunk) Die Partie gegen Greuther Fürth war nicht nur deshalb eine Generalprobe, weil man auf diesem Wege schon einmal eine vom Bayerischen Fußball-Verband abgehaltene Siegerehrung durchführen und das Stadion auf Feiertauglichkeit prüfen konnte; sondern auch, weil es in den Aufstiegsspielen ebenfalls gegen die Zweitvertretung eines Profivereins geht (siehe unten). In der vergangenen Woche hatten sie den Premier League International Cup gewonnen. Der Turniersieg nach Erfolgen gegen zahlreiche starke Nachwuchsteams aus ganz Europa gilt mittlerweile auch als große, erfolgreiche Generalprobe, weil die vielen Termine in England dazu beigetragen hätten, dass man mit dem organisatorischen Ablauf vor Entscheidungsspielen routinierter umgehe, sagt Seitz. Ganz zu schweigen vom spielerischen Niveau, das sein Team besser gemacht habe. Und am kommenden Samstag, beim Auswärtsspiel in Burghausen, wolle man auch kein Auslaufen betreiben. Man betrachte das Spiel als: "Generalprobe", sagte Angreifer Kwasi Wriedt. Der designierte Torschützenkönig, der am Freitag mit dem 2:0 (73.) seinen 24. Saisontreffer erzielte, schätzt die jüngsten Erfolge sehr hoch ein. In gewisser Weise feiere man gerade ein Double, ja, "aber jetzt will ich das Triple", sagte der 24-Jährige. Medienberichte, wonach er die Mannschaft zum Ende der Saison auf jeden Fall verlassen werde, wurden inmitten der Meisterfeier nicht kommentiert. Explizit nicht zu Zukunftsfragen äußern wollte sich auch Holger Seitz. Wie die SZ berichtete, könnte der aktuelle U23-Coach schon im Sommer als Nachfolger von Hermann Gerland als Leiter des Nachwuchs-Leistungszentrums eingearbeitet werden. "Seitz muss bleiben", war auf einem Banner auf der Gegengerade während des Spiels zu lesen. Nach dem Spiel forderten ihn die Fans auch auf den Zaun, Seitz kam dem Gesuch nach. Ich habe so etwas ja auch noch nicht erlebt", sagte der 44-Jährige über seine aktive Zeit. "Dass ein ganzer Block anscheinend mit meiner Arbeit zufrieden ist, das freut mich sehr." Es sei ihm zugleich aber auch "fast ein bisschen unangenehm", denn die Spieler seien jene, die feiern sollten. Seitz wirkte am Freitagabend aber gelöster als sonst. Aufstiegsspiele gegen Wolfsburg II Im Grünwalder Stadion feierten sie am Freitagabend, 600 Kilometer weiter nördlich stieg dann am Samstagnachmittag die Party: Mit einem 4:2 über den 1. FC Germania Egestorf/Langreder sicherte sich der VfL Wolfsburg II vorzeitig die Meisterschaft in der Regionalliga Nord - und steht damit als Gegner der Bayern-U23 in den Aufstiegsspielen fest. Am 22. Mai findet das Hinspiel in Wolfsburg statt, am 26. Mai dann das Rückspiel in München (Uhrzeit steht noch nicht fest). "Das ist keine typische U23", sagt Bayerns Kwasi Wriedt über die Wölfe. "Ich habe ein paar Freunde, die in der Nordstaffel spielen. Die sagen, dass Wolfsburg auch gerne über die Härte kommt und über die Zweikämpfe", so der angehende Torschützenkönig der Regionalliga Bayern. Wolfsburg II hat 85 Tore in 33 Spielen erzielt. Trainiert werden die Niedersachsen vom 41-jährigen Rüdiger Ziehl, er ist seit 2016 für die jungen Wölfe verantwortlich; Sportlicher Leiter des Teams ist der frühere Bundesliga-Profi Pablo Thiam, der zwei Jahre auch in Diensten des FC Bayern stand. In Julian Justvan hat Wolfsburg II einen bayerischen Stammspieler, der Flügelstürmer (sieben Saisontore) wechselte 2017 vom TSV 1860 II in den Norden. Christoph Leischwitz Für das Trainerteam geht es seit Wochen nur noch um die eine Frage: Wer in den Aufstiegsspielen auf dem Platz stehen wird. Theoretisch könnten dafür auch Spieler aus dem Profikader rekrutiert werden, die in der Bundesliga nur selten zum Einsatz kamen; Renato Sanches wäre demnach einsatzberechtigt. Der Portugiese wird aber dem Vernehmen nach nicht in Betracht gezogen. Einzig Alphonso Davies dürfte übernächste Woche mit nach Wolfsburg fahren, vorausgesetzt, Niko Kovac plant ihn nicht für den DFB-Pokalfinal-Kader ein. Bliebe noch die Frage, wer in den wichtigen Partien, die um die Liga-Zugehörigkeit in der kommenden Saison entscheiden, die Standards treten darf. Am Freitag schnappte sich 25 Meter vor dem Tor plötzlich Mert Yilmaz den Ball und versenkte einen Freistoß im rechten Kreuzeck (80.), es war sein erstes Saisontor. Und auch, ob Stammkeeper Christian Früchtl nach Ellenbogenverletzung rechtzeitig fit wird und noch einmal Spielpraxis erhält, ist fraglich. Aber um irgendetwas muss es ja auch noch gehen, wenn die Mannschaft nach Burghausen fährt.
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Die Bundesregierung wird sich beim Ausbau des deutschen Mobilfunknetzes mit ihren Partnern absprechen. "Das ist selbstverständlich", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag in Berlin. Sie reagierte zugleich verhalten auf die Warnung der US-Regierung, den Austausch von Geheimdienstinformationen einzuschränken, sofern der chinesische Technologiekonzern Huawei am Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes beteiligt werde. Für die Bundesregierung sei Sicherheit ohnehin "ein hohes Gut, auch gerade bei dem Ausbau des 5G-Netzes", sagte Merkel. "Deshalb definieren wir für uns unsere Standards." Am Montag war bekannt geworden, dass US-Botschafter Richard Grenell in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erstmals explizit mit Konsequenzen drohte, sollte Huawei in Deutschland das moderne Mobilfunknetz mitaufbauen. Grenell warnte, dass die USA konkrete Sicherheits- oder Terrorwarnungen nicht mehr weitergeben würden, wenn sie fürchten, dass Peking sensible Informationen abgreifen könnte. Ein Sprecher von Huawei Deutschland wies die Vorwürfe zurück. Die von den USA betriebene Kampagne gegen das Technologieunternehmen entbehre jeglicher Fakten. "Wir weisen die Vorstellung, wir stellten eine Sicherheitsbedrohung für irgendein Land dar, strikt zurück", sagte er. In Berlin distanzierten sich Koalitionsparteien und Opposition überraschend geschlossen von der US-Warnung. Deutschland und Europa seien "selbst in der Lage, mit technologischen Lösungen die Herausforderungen für die Zukunft zu meistern", sagte Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag. Er stehe zwar einer Beteiligung von chinesischen Unternehmen an kritischer Infrastruktur in Deutschland eher skeptisch gegenüber, das gelte "aber auch für andere ausländische Unternehmen". Norbert Röttgen (CDU), Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, wies den Vorwurf, die deutschen Mobilfunknetze könnten unsicher sein, zurück. "Ich gehe davon aus, dass die nachrichtendienstliche Kommunikation zwischen Deutschland und den USA technisch sicher und nur mittels Netzen und Geräten von Staaten stattfindet, mit denen unsere Dienste partnerschaftlich kooperieren." Grenells Drohungen gegenüber Berlin seien "diplomatisch ein Desaster", sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. "Wir werden uns nicht in Trumps Auseinandersetzung mit China hineinziehen lassen." Baerbock warf der Koalition vor, das Thema Sicherheit in der digitalen Infrastruktur "völlig verschlafen" zu haben. Deutschland brauche endlich klare Regeln. "Firmen, die gesetzlich verpflichtet sind, Informationen an heimische Sicherheitsbehörden weiterzugeben, dürfen nicht das Rückgrat der digitalen Infrastruktur werden." Das EU-Parlament verabschiedete am Dienstag eine Resolution, in der es vor chinesischer Technologie im 5G-Netz warnt. Man sei besorgt über "schwerwiegende Anfälligkeiten" in der 5G-Ausrüstung dieser Anbieter.
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Willy ist schon viel rum gekommen - in Thüringen, in Hessen war er auch schon. Willy ist ein Trabant. Drinnen riecht er etwas muffig, draußen kleben Tausende Sticker auf der Karosserie. Sie tragen das Logo der SPD. Willy war eine Idee thüringischer Jusos zur Bundestagswahl 2005, danach verstaubte er in einer Scheune. Aber an diesem Wochenende ist er wieder im Einsatz. Willy, Baujahr 1962, steht vor einem Seiteneingang des Steigerwaldstadions in Erfurt, wo die SPD zu ihrem ersten Ost-Konvent zusammenkommt. Willy löst unterschiedliche Reaktionen aus. Ein sächsischer Kandidat für die Europawahl zwängt sich für ein Foto hinein. Eine Genossin umgeht den Trabbi im weiten Bogen: "Das ist mir jetzt schon peinlich", sagt sie. Denn bei dem Treffen in Erfurt soll es gerade nicht um Ostalgie gehen. Nicht weniger als einen Aufbruch soll es auslösen. Deswegen ist auch Parteiprominenz aus Berlin angereist: SPD-Chefin Andrea Nahles, Finanzminister Olaf Scholz und Familienministerin Franziska Giffey. Im Mai sind Europawahlen und zugleich Kommunalwahlen in mehreren Ländern. Im Herbst werden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Die SPD will sich als Partei präsentieren, die Probleme und Zukunftsfragen in den östlichen Bundesländern ernst nimmt. Es gehe nicht um einen Nachbau West, sondern um einen Vorsprung Ost, sagt Nahles in ihrer Auftakt-Rede. In der betont sie bereits bestehende Vorteile in den neuen Bundesländern, die sie in mehreren Bereichen sieht: beim Impfen, Gesundheitsversorgung und Kindererziehung. In dem Zusammenhang stellt sich ihr die Frage: "Wie können wir in Westdeutschland endlich die flächendeckende Ganztagsbetreuung hinkriegen, die wir hier schon haben?" Die SPD tut sich schwer - nicht nur, aber auch im Osten "Jetzt ist unsere Zeit", lautet das Motto unter dem die SPD sich an diesem Wochenende versammelt hat. Daraus spricht Kampfgeist, aber ein bisschen Fatalismus lässt sich auch herauslesen. Das passt zur aktuellen Lage der SPD im Osten. In Brandenburg stellen die Sozialdemokraten die SPD zwar noch den Ministerpräsidenten, doch die Partei leidet unter einem Betrüger in den eigenen Reihen. In Thüringen könnte SPD könnte bei der Landtagswahl im Herbst die zwölf Prozent von 2014 sogar noch unterbieten. Wolfgang Tiefensee, Spitzendkandidat der thüringischen SPD, tritt nicht mal mehr als Herausforderer gegen Ministerpräsident Bodo Ramelow an. Und auch in Sachsen scheint es eher so, als sei die Zeit der SPD vorüber: Aktuellen Umfragen zufolge liegt die Partei bei neun Prozent. Die einst zwergenhaften Grünen erreichen 16 Prozent. Die Landesverbände leiden unter der bundesweiten Schwäche der SPD. Aber auch unter dem Umgang der Parteispitze mit den neuen Bundesländern. Nach dem Aufkommen von Pegida und mit der wachsenden Zahl von Übergriffen auf Flüchtlinge fühlten sich viele Ostdeutsche auch von führenden Sozialdemokraten diffamiert. Als der frühere Vize-Kanzler Sigmar Gabriel 2015 zu einer Dialogveranstaltung mit Pegida-Anhängern reiste, wurde er dafür von den Genossen in der Hauptstadt kritisiert. Als es im sächsischen Heidenau zu Ausschreitungen vor einer Asylunterkunft kam, sprach Gabriel dann von "Pack", das sich herumtreibe. Er meinte damit rechtsextreme Randalierer - aber auch besorgte Anwohner fühlten sich angesprochen. Im Herbst 2016 stellte Iris Gleicke, SPD-Politikerin und damalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit vor. Traditionell ein Anlass, um die Fortschritte im Osten zu beklatschen. Doch Gleicke rückte die Sorge um die Angriffe auf Asylunterkünfte in den Mittelpunkt. Sie war es, die eine Studie in Auftrag gab, um Rechtsextremismus in ostdeutschen Städten zu untersuchen. Die fiel nicht nur verheerend aus, sondern enthielt auch handwerkliche Fehler. Ein schwerer Schaden für Gleicke - und die SPD. Der Skandal verdeckte die durchaus vorhandenen Bemühungen einzelner SPD-Politiker, spezifisch ostdeutsche Themen zu platzieren. Gleicke machte schon Jahre vor der aktuell geführten Ostquoten-Debatte Defizite in der Besetzung von Führungspositionen im Osten sichtbar. Petra Köpping, sächsische Integrationsministerin, kümmert sich schon länger um die Verletzungen der Wendezeit. Sie versucht die finanzielle Ungleichbehandlung ehemaliger Reichsbahner, Bergbauarbeiter und geschiedener Frauen im Osten auszugleichen. Während Genossen in der Bundes-SPD auf ihre Themensetzung zuweilen genervt reagierten. Ein Zukunftsprogramm ohne Zukunft? Doch allmählich fand in der SPD ein Umdenken statt, spätestens mit der Ernennung von Martin Dulig zum parteiinternen Ostbeauftragten vor einem Jahr. Gerade in den vergangenen Wochen stellte die Partei wiederholt politische Themen in den Fokus, von denen Menschen in Ostdeutschland profitieren sollen: etwa die vorgeschlagene Grundrente. Die müsse es geben "ohne Wenn und Aber, ohne Bittsteller zu werden in diesem Land", betonte SPD-Chefin Nahles in Erfurt. Beim Ost-Konvent legt die SPD ein "Zukunftsprogramm" vor, das besonders die neuen Bundesländer in den Fokus rückt. In dem Papier fordern die Sozialdemokraten eine neue Steuerverteilung sowie die Ausweitung von in Ostdeutschland angesiedelten Forschungsprojekten zu künstlicher Intelligenz, Batteriezellen, Wasserstoff und Digitalisierung. Unternehmen, die in Forschung investieren, könnten einen Ostbonus erhalten. Darüber hinaus sollen die Arbeitszeiten im Osten an den Westen angepasst werden. Gewerkschaften wie die IG Metall setzen sich schon länger für die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche in den neuen Ländern ein. Darüber hinaus fordert die SPD eine Selbstverpflichtung von Medien, Unternehmen und Verbänden, mehr Ostdeutsche bei der Besetzung von Stellen zu berücksichtigen. In ihrem "Zukunftsprogramm" will die SPD dem Eindruck entgegenwirken, die neuen Bundesländer seien unterentwickelt. Es gehe nicht um eine Anpassung des Ostens an den Westen, sondern um gleichwertige Verhältnisse, heißt es. Die Lebensbedingungen müssten vielmehr selbstbewusst weiterentwickelt und Interessen couragiert vertreten werden. Im Zusammenhang mit rechtsextremen Tendenzen spricht sich die Partei in dem Konzept gegen "billige Pauschalurteile" aus. 24 Seiten umfasst das Papier. In Erfurt steht es auf wenige Stichpunkte komprimiert auf einer weißen Tafel. Auf eine große Fläche daneben setzen die Parteispitzen ihre Unterschriften - ein symbolischer Akt. Denn das Papier wird auf keinem Parteitag zur Abstimmung gestellt werden, die Umsetzbarkeit einzelner Punkte hängen vom Willen der Bundes-CDU, aber auch von den Ergebnissen bei den Landtagswahlen ab. Deswegen ist die Euphorie unter den Genossen gedämpft. Finanzminister Scholz sagt gegen Ende der Veranstaltung: "Wir dürfen nicht die Partei werden, die glaubt, früher war alles besser." Auch in schwierigen Zeiten habe die SPD bewiesen, dass sie Erfolg haben könne. Und Ostbeauftragter Dulig gibt den Genossen einen Tipp für den Wahlkampf mit auf den Weg: "Mundwinkel nach oben".
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Es sind ungewohnte Zahlen für den erfolgsverwöhnten Autobauer BMW. Am Freitag wurde die Bilanz bekannt gegeben, und überall steht ein Minuszeichen: 97,5 Milliarden Euro Umsatz (minus 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), 7,2 Milliarden Euro Gewinn (minus 17 Prozent), und erstmals seit zehn Jahren soll die Dividende gekürzt werden, von vier Euro auf 3,50 Euro. Ein Gespräch mit Vorstandschef Harald Krüger, 53, über eine Branche unter Druck, die neue Allianzen braucht.
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Ein Häuflein junger Menschen, die Schilder in die Luft recken und in der riesigen Ankunfthalle "Juhu" rufen: Man könnte das für eine eher bescheidene Kulisse halten an einem Tag, an dem die Europäische Volkspartei (EVP) ihren Spitzenkandidaten mit Schwung in die letzten Stunden des Europawahlkampfs schicken will. Andererseits reicht der Auftritt, um alle zu verstören, die ein paar Meter weiter arglos ihr Köfferchen vorbeirollen. Es ist Freitagmittag, Manfred Weber kommt mit dem Flugzeug aus Berlin in München an, doch der CSU-Nachwuchs begrüßt ihn, als würde er gerade von einer monatelangen Solo-Weltumseglung zurückkehren. Ein Jung-Unionist sagt: Es sei schließlich das letzte Mal, dass Weber vor der Wahl am Sonntag bayerischen Boden betrete. So gesehen bietet der mittelgroße Bahnhof am Flughafen einen angemessenen Vorgeschmack auf die Inszenierung, die an diesem Abend in der Münchner Messe ihren Höhepunkt findet. Weber will nach der Europawahl Präsident der Europäischen Kommission werden, und seine Abschlusskundgebung ist eine Show der Harmonie - nicht zuletzt zwischen CDU und CSU. Nichts soll sie stören: Im Foyer der Messe haben die Organisatoren einen bayerischen Biergarten aufgebaut, inklusive durchaus imposantem Maibaum. Man belässt es bei der Simulation von Volksnähe, mit Teilen des echten Volkes hat man schlechte Erfahrungen gemacht: Beim Münchner Wahlkampffinale vor der Bundestagswahl 2017 hatten Demonstranten mit Trillerpfeifen die Rede von Kanzlerin Angela Merkel übertönt. Am Freitagabend wird Merkel von der CSU-Basis, die das Publikum dominiert, ausnehmend freundlich empfangen. Auch das hat man schon anders erlebt. Im Gegenzug, das wird der Abend zeigen, hat auch Merkel der CSU etwas mitgebracht. Der Veranstaltungsregie geht es vor allem um schöne Bilder fürs Fernsehen, gleich zu Beginn tragen junge Leute die Fahnen der EU-Länder zur Europahymne in den Saal. Es würde einen nicht wundern, wenn Florian Silbereisen aus der Kulisse springt. Für eine politische Kundgebung bleibt das Kulturprogramm ambitioniert: Zunächst gibt Webers alte niederbayerische Band "Peanuts" ihr Comeback, indes ohne den Leadsänger Weber. Dann geigt eine Geigerin den Donauwalzer, gefolgt von einer Ausdruckstanz-Einlage. Offenbar will die neue softe Söder-CSU wirklich auch die Feuilletonisten erreichen. Zehn Minuten dauert die Rede der Kanzlerin. Das reicht, um alle Zweifel zu zerstreuen Zum bunten Rahmen kann man in gewisser Weise auch noch die Auftritte der Regierungschefs von Bulgarien und Kroatien zählen, der treuen Weber-Unterstützer Boiko Borissow und Andrej Plenković. Als Überraschung fürs Publikum schreitet dann Lech Walesa ans Rednerpult, der polnische Friedensnobelpreisträger. Walesa für Weber in München, das ist ein Coup für die EVP. Walesa hält dann eine Rede, die das Publikum noch mehr zu würdigen wüsste, wenn sie aus dem Polnischen übersetzt würde. Erst nach zehn Minuten eilt eine Dolmetscherin zur Rettung. Zehn Minuten, so lang dauert Merkels Rede insgesamt. Das reicht, um viele Zweifel zu zerstreuen, ob sie es ernst meine mit der Unterstützung Webers. Stärkste Fraktion wolle die EVP werden, "dann wollen wir Manfred Weber zum Kommissionspräsidenten wählen, das ist unser Ziel". Merkel klingt deutlich energischer als zuletzt. Ausgiebig lobt sie Weber als Brückenbauer, damit stünde er genau auf dem Fundament jener Politiker, die Europa groß gemacht hätten. Ihre Rede schließt sie mit einem Satz, den der französische Präsident Emmanuel Macron und alle anderen, die Weber verhindern wollen, als Kampfansage verstehen dürfen: Sie werde sich "mit allem, was ich kann, dafür einsetzen", dass Weber Kommissionspräsident werde. Die Frage ist nun natürlich: Kann Weber sie da tatsächlich beim Wort nehmen? Weber selbst spricht als Letzter. In den ersten Reihen jubeln Freunde aus seinem Heimatort Wildenberg. Er fasst noch einmal seine Kernbotschaften des Wahlkampfes zusammen: Sicherheit, Wohlstand, weniger Bürokratie, mehr Einsatz für Klimaschutz, ein Masterplan gegen Krebs. Und immer wieder ein Wort: Vertrauen. Vertrauen, das sei die wichtigste Währung für einen Politiker. Sogar Parteifreunde halten den Spitzenkandidaten für zu brav. Andere sagen, Webers Glaubwürdigkeit sei sein größter Trumpf. Er stehe für Maß und Mitte, sagt Weber. Und er brenne für das, was ihm wichtig sei: Europa.
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Im Bewusstsein der nächsten Niederlage machte sich die Schalker Mannschaft auf den schweren Weg zur Fankurve. Dort hing ein riesengroßes Banner am Zaun, das die Profis nicht als Kompliment verstehen sollten: "Danke Domenico", stand dort als Referenz an den am Donnerstag beurlaubten Trainer Domenico Tedesco. Und: "Söldner aussortieren" als Aufforderung an den Verein, jene Spieler wegzuschicken, die zur Trennung vom beliebten Coach beigetragen hatten. Dennoch haben die Schalker Spieler schon unangenehmeren Kontakt mit der Fanbasis gehabt als nach dem 0:1 gegen RB Leipzig am Samstagnachmittag. Es gab keinen Beifall, aber auch keine Pfiffe, Beschimpfungen und Drohgebärden, sondern ein neutrales Schweigen, das signalisierte: Unseren Applaus müsst ihr euch erst wieder verdienen. Den ersten Schritt haben die Schalker Profis trotz der Niederlage getan, der Auftritt gegen Leipzig brachte eine Leistungssteigerung. Nach der Verteilung der Torchancen vor allem in der zweiten Halbzeit hätte ein Unentschieden durchaus dem Spielverlauf entsprochen. Seine Mannschaft habe für diesen Sieg keinen "Schönheitspreis" verdient, sagte RB-Trainer Ralf Rangnick, "es war ein schweres Spiel, wir haben viel Druck aushalten müssen". Der eingewechselte Guido Burgstaller kam dem 1:1 zwei Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit am nächsten. Doch er schoss aus fünf Metern ebenso über das Tor wie Verteidiger Jeffrey Bruma, der in der Nachspielzeit ebenfalls im Strafraum freien Zugang zum Ball hatte. Huub Stevens mochte daher sein Trainer-Comeback nicht als gelungen ansehen. "Enttäuschend!", rief er aus, als er um ein Fazit gebeten wurde: "Die Jungs haben alles getan, da ist es eine Enttäuschung, dass wir nichts mitgenommen haben." Kleiner Trost: "An der Leistung heute hat vieles gestimmt." Tatsächlich waren ein paar Elemente im Schalker Spiel, die in den letzten Tagen der Zeit mit Tedesco weitgehend verloren gegangen waren. Die defensive Organisation funktionierte, die Einsatzbereitschaft stand wieder im mannschaftlichen Zusammenhang, und auch das Offensivspiel brachte den Gegner in Bedrängnis, wenngleich es mit den vielen hohen Zuspielen wenig Schönes zu bieten hatte. "Wir haben versucht, die einfachen Dinge richtig zu machen. So müssen wir weitermachen", sagte Sebastian Rudy. "Ich habe nur das getan, was ich immer gemacht habe: Versucht eine gute Vorbereitung zu machen und die Köpfe freizukriegen, das war das allerwichtigste", erklärte Stevens. Die faszinierende Magie des Trainerwechsels offenbarte sich schon nach wenigen Minuten. Schalke spielte, lange nicht gesehen, steil in die Spitze, wo Mark Uth gleich durchstartete und elegant vollendete. Doch der Torschrei hallte nur einen Moment durch das Stadion, dann hatten die Leute verstanden, dass der Treffer nicht zählte. Abseits. Mark Uth? Der war nun wieder in der Spitze des Angriffs zu finden, nachdem ihn Domenico Tedesco zuletzt mit dem Vorwurf der Lustlosigkeit aus dem Kader verbannt hatte. Auch Rudy kehrte aus der Reserve in die erste Elf zurück, Alexander Nübel behielt seinen Platz als Nummer eins. Mancher Kenner hatte damit gerechnet, dass der Routinier Ralf Fährmann wieder im Tor stehen würde. Doch Stevens betonte, es habe für ihn keinen Grund gegeben, die von Tedesco getroffene Rangordnung aufzuheben: "Hier ist ein guter, junger, ehrlicher Trainer gewesen, der eine Entscheidung getroffen hat. Ich habe am Morgen mit Ralle und dem Torwarttrainer gesprochen - ich finde nicht, dass wir alles durcheinanderbringen müssen." Nübel rechtfertigte diesen Beschluss mit einer souveränen Leistung. Man brauchte keine Lupe, um auf Anhieb gewisse Veränderungen im Schalker Auftreten zu erkennen. Der Wille zum demonstrativen Einsatz war das Merkmal der ersten Minuten, die Leipziger zeigten sich davon aber allenfalls geringfügig beeindruckt. Sie ließen die Hausherren erst mal gewähren und warteten auf die Lücken, um ihr schnelles offensives Kombinationsspiel aufzuziehen. Das Führungstor in der 14. Minute entsprang aber einem Schalker Deckungsfehler und einem Patzer des Abwehrchefs Salif Sané, der eine schon geklärte Hereingabe durch einen technischen Fehler wieder scharf machte. Den anschließenden Schuss von Yussuf Poulsen aus der Nahdistanz konnte Nübel noch mit starker Reaktion an die Latte lenken, aber den Abpraller brachten die Schalker nicht aus dem Gefahrengebiet, schließlich staubte Timo Werner ab. Dieses Gegentor ernüchterte die positive Stimmung auf den Rängen und veränderte das Geschehen zugunsten der Gäste, die dank ihrer ausgereiften Spielanlage die volle Kontrolle besaßen. Wo RB den Ball kreiseln ließ und immer wieder die freien Räume bediente, blieb es auf Schalker Seite beim ehrlichen Bemühen. Einen dieser Momente hätte Uth zum Ausgleich nutzen können, doch sein Schuss war zu schlapp, um gefährlich zu werden (32.). Poulsen verpasste auf der Gegenseite die Chance zum 0:2. So ging es mit der knappen Leipziger Führung in die Pause, aber immerhin: Pfiffe gab es keine auf den Rängen. Ein kleiner Lohn für einen kleinen Fortschritt. In der zweiten Halbzeit änderte sich das Bild, von der spielerischen Dominanz der Gäste war nicht mehr allzu viel zu sehen. Schalke eignete sich das Spiel mit Kampf und Durchsetzungsvermögen an und stand auch in der Abwehr solide wie in besseren Zeiten. Breel Embolo und Mark Uth traten nun auch als Stürmer in Erscheinung, nicht bloß als Einzelkämpfer in vorderster Front. An Chancen für die Knappen mangelte es nicht. Doch Uth, Sané und Suat Serdar verfehlten - wie später Burgstaller und Bruma - jeweils das Ziel, womit schon mal das Trainingsprogramm für die nächsten 14 Tage geklärt sein sollte: Schussübungen von früh bis spät gehören auf den Lehrplan. Stevens kann mit einem vollen Kader das hochgradig wichtige Spiel in Hannover vorbereiten, die Nationalspieler Uth und Rudy haben von Joachim Löw keine Einladungen erhalten, Nübel sagte dem U 21-Team ab, um die Arbeit im Verein fortzusetzen. Lediglich drei Punkte trennen den auf Platz 15 gefallenen Vizemeister noch vom Relegationsplatz.
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Es gibt diese tolle Kameraeinstellung vom Dach des Prinzenparks, einer Asbestarena im XVI. Arrondissement. Da sieht man über den Dächern der Stadt den Eiffelturm im VII. Bezirk. Im Zoom entsteht der Eindruck, das Wahrzeichen befinde sich gleich neben dem Stadion. Alles fließt ineinander, Paris und sein Fußballverein, "le PSG", als wäre es eine natürliche Symbiose. Das wird es natürlich nie sein. Dafür ist die Stadt viel zu groß, in jeder Hinsicht: Ville Lumière, Wiege von Revolutionen, Herz der Aufklärung. An jedem Spieltag gäbe es tausend grandiose Gründe, etwas anderes zu unternehmen, als eben eine Fahrt mit der Métro, Linie 9 oder 10, raus in den Parc des Princes. Eine Kunstausstellung, eine Retrospektive im Kino, ein Theaterstück, eine Flanierrunde, ein Essen. Doch seitdem die Katarer PSG gekauft haben, vor acht Jahren, ging es ihnen immer mindestens so sehr um die Stadt wie um den Verein. Man wollte sich in ihrem Glanz sonnen, mit ihr strahlen, sich in ihr spiegeln. Als nun am Ostersonntagabend die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel auflief, um den sechsten Meistertitel in der katarischen Ära abzuholen, kampflos und frühzeitig, weil der Tabellenzweite Lille den Anschluss verloren hatte, da musste natürlich alles im Zeichen von Notre-Dame stehen, der halb heruntergebrannten Kathedrale. Wirklich alles. Den Anstoß besorgten zwei Feuerwehrleute, fünfhundert weitere saßen als Gäste auf der Tribune Auteuil. Auf der Trikotbrust prangte statt des Sponsors eine grafische Interpretation der Kathedrale, auf dem Rücken stand anstelle der Spielernamen bei jedem "Notre-Dame". Und ganz oben auf der Auteuil hatten sie eine Plastikplane ausgebreitet mit der Losung der Stadt, dem Wappenspruch auf Lateinisch: "Fluctuat nec mergitur" - etwa: Sie mag schwanken, geht aber nicht unter. Nun ließe es sich trefflich darüber sinnieren, wie gut das alles zusammenpasst, die Katarer und die katholische Kirche, kulturell, geopolitisch und überhaupt: diese ganze Verschmelzung eines Staates vom Golf mit einer europäischen Stadt und ihrem Verein im Sinne des Marketings, der Soft Power, des Identitätstransfers. Aber es fragt schon lange niemand mehr. Der Spuk endet PSG ist endlich Meister, der Spuk ist vorbei. Dreimal in den vergangenen Wochen wäre es bereits möglich gewesen, die lästigen Mühen abzuschließen und sich auf das Pokalfinale zu konzentrieren, gegen Rennes am kommenden Samstag. Doch dann spielte man remis gegen Straßburg, verlor sensationell 1:5 gegen Lille, dann auch noch 2:3 gegen Nantes. Der Titel kommt also etwas sehr spät, am 33. Spieltag erst, fünf Runden vor Saisonende. Aber er kommt wieder mit groteskem Abstand auf den Zweiten: 19 Punkte sind es diesmal. Tordifferenz der Pariser: plus 68. Die peinlichen Auftritte gegen Lille und Nantes wirken nach, sie fühlten sich an wie eine logische Fortsetzung der eigentlichen Katastrophe dieser Saison, des Versagens in der Champions League. Nur an der Darbietung in Europa misst sich der Erfolg, auch der des Trainers. Meistertitel in der Ligue 1 gehören zur selbstverständlichen Inventarzugabe bei fast 600 Millionen Euro Jahresbudget. Tuchel mag gefeiert werden dafür, dass er das Spiel variiert, dass er ständig taktisch eingreift, umstellt, Spieler umdisponiert. Ein moderner, innovativer Coach sei er, heißt es. Die Tageszeitung Libération findet: "Tuchel ist smart, elegant, charmant." So ein Lob muss ein Deutscher in Frankreich erst mal erreichen. Doch nichts wiegt die Schmach auf, gegen ein geschwächtes Manchester United ausgeschieden zu sein, erneut im Achtelfinale, nach einem 2:0-Sieg im Hinspiel. L'Equipe schreibt, wenn Tuchel eine bleibende Spur hinterlassen wolle, dann müsse er die Champions League gewinnen. Wie es aussieht, wird er bleiben und das zumindest versuchen. Den Vertrag hat er schon mal bis 2021 verlängert. Tuchel war einst die Wahl von Doha gewesen, die Wette des Emirs persönlich. Als er verpflichtet wurde, hieß es in Paris, bon, okay, ein interessanter Mann: Aber was hat der schon gewonnen? Seine Vorgänger kamen mit Trophäen und Bekanntheit: Carlo Ancelotti, Laurent Blanc, Unai Emery. Doch keiner von ihnen schaffte im ersten Jahr eine bessere Siegquote als Tuchel, wenigstens in der Ligue 1: 81,8 Prozent aller Spiele gewann PSG mit dem Deutschen. Mit "Carletto" waren es im ersten Jahr nur 57,9 Prozent gewesen. Aber das war ja auch erst der Anfang der golfgalaktischen Zeiten. Tuchel beklagt sich gerne über den Sportdirektor des Vereins, den Portugiesen Antero Henrique, der ihm nicht das passende Personal zur Verfügung stelle. Im Sommer dürfte es zum Showdown zwischen beiden Männern kommen: Tuchel möchte eine Art "Manager à l'anglaise" werden, ein Trainer, wie man sie in England kennt, der für fast alles zuständig ist - auch und vor allem für die Transfers. "Tuchel will die Macht", titelte L'Equipe unlängst. Einige Positionen müssten verbessert werden, sagt der. Und eine neue Medizinabteilung bräuchte es auch. Wieder häuften sich zum Frühjahr die Verletzungen so sehr, dass zuweilen nur 13 Spieler des ersten Kaders gesund waren.
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Das Kanzleramt und das Bundesinnenministerium wollen den Geheimdiensten neue Mittel an die Hand geben. Nicht nur der Verfassungsschutz, auch der Bundesnachrichtendienst (BND) soll künftig mehr dürfen. So steht es in einem Gesetzentwurf, über den die Koalitionspartner Union und SPD seit ein paar Tagen diskutieren. Der Auslandsgeheimdienst würde demnach auch im Inland eine stärkere Rolle bekommen. Online-Durchsuchung Der BND soll künftig Handys und Computer ("informationstechnische Systeme" in der Sprache des Gesetzes) von Deutschen ausforschen dürfen. Und von deutschen juristischen Personen. Und von Menschen, die sich in Deutschland aufhalten. Voraussetzung ist, dass eine solche Ausforschung mit Trojanersoftware der "Erkennung und Begegnung" von bestimmten Gefahren und Straftaten "dient". Diese Gefahren und Straftaten werden im Einzelnen aufgelistet. Teils geht es darin um Terrorismus oder Menschenschmuggel. Teils aber auch um Dinge wie Bedrohungen für die IT-Sicherheit. "Das kann viel bedeuten", sagt der Mainzer Rechtsprofessor Matthias Bäcker. Da der BND zudem keinen konkreten Anfangsverdacht vorweisen müsse, sei die Schwelle für den Einsatz des BND-Trojaners recht niedrig - niedriger als bei der Polizei. Weiterhin darf der BND aber im Inland und gegenüber Inländern nicht so viel, wie er im Ausland und gegenüber Ausländern darf. Dort soll er Online-Durchsuchungen frei einsetzen, so der Gesetzentwurf, um "Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung zu gewinnen". Amtshilfe für die Polizei Polizei einerseits, Nachrichtendienste andererseits. Zwei getrennte Sphären. So lautet die Theorie. Nach den Plänen der Bundesregierung aber soll der BND sich künftig auch in den Niederungen der deutschen Landespolizeien stärker breitmachen. Von "verstetigter Amtshilfe" ist die Rede. Wenn das Landeskriminalamt im kleinen Saarland sich bislang den Kopf zerbrochen hat, wie es die komplexe Technik für eine Onlinedurchsuchung herbeiorganisieren soll, dann offeriert künftig der Gigant BND die Lösung. Der BND bietet Hilfe an - für jede Polizeibehörde, die die juristische Befugnis hat, Festplatten anzuzapfen, Trojaner aufzuspielen, Handys zu durchsuchen. BND for hire. "Die ersuchende Behörde trägt gegenüber dem Bundesnachrichtendienst die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der durchzuführenden Maßnahme", so der Gesetzentwurf. Der BND soll dabei nur die technische Ausführung übernehmen. Er soll die gewonnenen Daten an die Polizei weiterreichen, ohne selbst von ihnen Kenntnis zu nehmen. Nur wenn es zum Beispiel um internationalen Terrorismus geht, für den der BND selbst mit zuständig ist, dürfe der BND die Daten "für eigene Zwecke weiterverarbeiten", heißt es im Gesetzentwurf. Der Rechtsprofessor Matthias Bäcker sieht darin eine weitere Relativierung der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten. "Die polizeiliche Tätigkeit ist ohnehin stärker der nachrichtendienstlichen Tätigkeit angeglichen worden in den vergangenen Jahrzehnten", sagt Bäcker. "Nun lässt man gleich die Fachleute ran." V-Leute V-Leute, das sind Verräter. Es sind Menschen, die zum Beispiel für ein russisches Staatsunternehmen oder die iranische Botschaft in Deutschland arbeiten, oder Waffenschieber, oder internationale Finanziers für dunkle Geschäfte, die allerdings - das macht sie dem deutschen Staat dann auch wieder sympathisch - heimlich dem deutschen Geheimdienst Informationen zuschieben. Das ist ein Verrat, entweder an Russland, an Iran oder an den finsteren Geschäftspartnern. Der BND lebt von solchem Verrat. Wie jeder andere Geheimdienst auch. Mit dem geplanten Gesetz nun soll der BND bessere Anreize an die Hand bekommen, um Menschen zu einem solchen Verrat zu überreden. Erstens mit Geld. Bislang durfte der BND nicht viel bezahlen. Die Vorgabe lautete, dass der Lohn für V-Leute ("angebahnte und geführte Personen" im BND-Jargon) nie so hoch sein durfte, dass er den größten Teil des Einkommens ausmacht. Der Grund: Wenn die Existenz eines Menschen davon abhängt, dass er dem Dienst immer wieder interessante Dinge zu erzählen weiß, dann wächst die Versuchung, irgendwann auch Geschichten zu erfinden. Das war eine Lehre aus dem NSU-Debakel. Nun soll diese Vorgabe gelockert werden. Der BND soll frei sein zu bezahlen, was er möchte. Zur Begründung heißt es, in wirtschaftlich ärmeren Krisenländern seien auch 50 Euro im Monat schnell mal ein Professorengehalt. Zweitens: Kriminelle, die dem BND Informationen zustecken, sollen künftig stärkeren Schutz vor Strafverfolgung erwarten können. Wenn der BND mitbekommt, dass seine V-Leute in Deutschland Straftaten begehen, dann soll er dies nicht zwingend anzeigen müssen. Stattdessen darf darüber "die Amtsleitung" des BND frei entscheiden, so heißt es im Gesetzentwurf. Bekommt die V-Person dennoch Ärger mit Polizei oder Staatsanwaltschaft, kann sich der BND auch schützend vor sie stellen. Bislang lautete das Prinzip: Die Staatsanwaltschaft "kann" bei V-Leuten des BND von einer Verfolgung absehen. Vorausgesetzt, die Tat wiegt nicht zu schwer. Künftig soll es heißen: Die Staatsanwaltschaft "soll" von der Verfolgung absehen. "Das heißt, es wird in aller Regel ein Deckel draufgemacht ", sagt der an der Universität Köln lehrende Nachrichtendienstrechtler Nikolaos Gazeas. Der BND könne dann künftig fast immer mit Erfolg bei der Justiz intervenieren. Und schließlich: Es soll geregelt werden, dass der BND-Präsident im Einzelfall auch verurteilte Verbrecher als V-Leute anwerben lassen darf, solange die Tat nicht Mord, Totschlag oder ein anderes Tötungsdelikt war. Hier übernimmt der BND den rechtlichen Standard für V-Leute, der bisher schon beim Verfassungsschutz gilt. Parlamentarische Kontrolle Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, dass jede Ausweitung von Geheimdienstbefugnissen auch eine "entsprechenden Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle" erfordert. Wer allerdings in dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf sucht, findet dazu nichts.
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Carolin Ahlers hat einen Master in Nachhaltigkeitswissenschaft, jetzt aber bringt sie erst einmal Avin, Asmaa, Asraa, (v.l.) und anderen Schülern etwas bei. Seit zehn Jahren gibt es die Initiative Teach First: Uniabsolventen helfen an Schulen. Was die einen loben, kritisieren andere scharf. Wer hat recht? Das könnte was für dich sein, hatte ein Freund gesagt und ihr den Link geschickt. Doch als Carolin Ahlers auf die Website von Teach First Deutschland klickte, kamen ihr Zweifel. Sie? Den ganzen Tag mit irgendwelchen Kids? "Ich bin doch eher der Typ fürs Konzeptionelle", sagte sie sich. Das war 2016. Mittlerweile arbeitet Ahlers, 29, seit bald zwei Jahren im Programm von Teach First, als eine von deutschlandweit 169 Fellows, die an Schulen für mehr Gerechtigkeit sorgen sollen. Denn das ist der Auftrag, den sich Teach First gegeben hat: zu mehr Gerechtigkeit beitragen in einem Land, das seine Bildungschancen immer noch stark anhand der sozialen Herkunft verteilt. Deshalb verteilt die Initiative ihre Fellows überall dorthin, wo der Anteil benachteiligter Schüler besonders hoch ist. Und deshalb kniet Carolin Ahlers an diesem Januartag auf dem Linoleumfußboden eines Klassenzimmers in Oranienburg bei Berlin und formt aus Klebestreifen einen überdimensionierten Apfel. Was das soll? Das fragen sich auch die 13 Schüler, die vor Ahlers sitzen: neun Jungs und vier Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren. Sie stammen aus Iran, aus Tschetschenien, aus Libyen, Polen und Afghanistan. Einige von ihnen sind erst seit wenigen Monaten in Deutschland, andere, wie der 14 Jahre alte Ahmed, seit vielen Jahren. Sieben Jahre sind es bei Ahmed, sechs davon hat er größtenteils in Krankenhäusern verbracht. Im libyschen Bürgerkrieg hat eine Rakete das Haus seiner Familie getroffen und ihn an den Beinen schwer verletzt. Ahlers stellt fünf Teller mit aufgeschnittenen Äpfeln aufs Lehrerpult und erklärt: Sie werden die Stücke probieren, vom Roten Boskoop bis zum Topaz. Sie werden beschreiben, welcher Apfel wie schmeckt. Die Merkmale für jede Sorte notieren, in Gruppen darüber sprechen. Am Ende gibt es dann ein Ratespiel: Wer erkennt die unbekannte Apfelsorte? Doch zuerst stellen sie sich alle um den auf den Boden geklebten Apfel herum und lernen die Wörter kennen, die seine Bestandteile bezeichnen: den Stiel, das Blatt, den Kern, das Fruchtfleisch. Ahmed spricht es nach, langsam, bedächtig und völlig akzentfrei. Das ist es, was Teach First ausmacht: Die Fellows sind herausragende Uniabsolventen, vor denen glänzende und oftmals lukrative Karrieren liegen. Die wenigsten wollen Lehrer werden. Doch sie sind bereit, ihre Ambitionen für 24 Monate aufzuschieben, ein strenges Auswahlverfahren zu durchlaufen und dann für etwa 2000 Euro brutto in Vollzeit die Lehrer vor Ort zu unterstützen. Mit ihren kreativen Ideen. Mit einer Perspektive, die im Zweifel ganz anders ist als die eines studierten Pädagogen. Carolin Ahlers zum Beispiel hat einen Master in Nachhaltigkeitswissenschaft, während des Studiums hat sie bei Greenpeace gearbeitet und danach für die Kampagne "Meine Landwirtschaft". Mit ihrer heutigen Apfel-Übung will sie den Jugendlichen nicht nur Vokabeln beibringen, sondern auch ein Bewusstsein für Ernährung und Biodiversität. Als Teach First in Deutschland 2009 von einer Absolventin der privaten Hertie School of Governance gegründet wurde, erregte das Programm viel Aufsehen. Ein Lebenslaufverschönerungsprogramm für Streber sei das, unterstützt von wirtschaftsnahen Stiftungen. Ein Demotivationsprogramm für echte Lehrer, die jahrelang studieren, manchmal Jahrzehnte an Unterrichtserfahrung sammeln, um sich dann von naseweisen Fellows ihren Job erklären zu lassen.
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Uli Hoeneß hat über eine erneute Kandidatur als Präsident von Bayern München noch nicht entschieden und sieht seinen Abgang bald kommen. "Ich habe mal gesagt: ,Das war's noch nicht!' Aber der Tag ist nicht mehr fern, an dem ich sage: ,Das war's!' Und zwar, weil ich a) loslassen kann und b) der Zeitpunkt bald passen wird", erklärte Hoeneß im FCB-Vereinsmagazin 51. Dass ihm Leute vorwerfen, er könne nicht loslassen, sei falsch. "Ich bin das klassische Beispiel, wie man die nächste Generation heranführt", sagte Hoeneß und führt die Übergabe seiner Wurstfabrik an seinen Sohn Florian an. Er greife nur ein, "wenn ich sehe, dass etwas falsch läuft. Aber wenn es läuft, kann ich wunderbar loslassen. In zwei, drei Jahren, vielleicht noch früher, wird Hasan Salihamidzic sagen: Das hat der Uli super geregelt." Hoeneß, 67, führte weiter aus, dass er keinen Wert auf eine Statue lege; er wolle nur einen "blühenden Verein, der den Leuten Spaß macht und der Gesellschaft Werte vermittelt" hinterlassen: "Ich setze mich nicht so vehement für diesen Verein ein, weil es mir um irgendein Lebenswerk geht." Belastet hätten ihn die Verbalattacken bei der Jahreshauptversammlung im November: "Diese neuen und überraschenden Erfahrungen werde ich in meine Überlegungen, ob ich zum Jahresausklang noch einmal kandidiere, mit einbeziehen. Spätestens Ende der Saison ist dieser Gedankengang abgeschlossen." Generell stellt Hoeneß fest: Klartext sei nicht mehr erwünscht, er werde sich fortan zurückhalten. Es sei kein Zufall, "dass ich mich zunächst nicht zur Entscheidung von Joachim Löw geäußert habe, Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng auszubooten. Hätte ich gesagt, was ich denke, hätte das Internet erst einen Salto rückwärts und dann vorwärts gedreht. Das wollte ich mir ersparen - und Jogi Löw übrigens auch."
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Einmal im Jahr soll es so aussehen, als gäbe es eine freie Presse in China. Doch es ist alles inszeniert. Gut, dass es da das Thema Steuersenkungen gibt. Es ist 10.30 Uhr, als im Goldenen Saal in der Großen Halle des Volkes Applaus aufbrandet. Chinas Premierminister Li Keqiang hat den Raum betreten, und die Journalisten klatschen. Einmal im Jahr tagt in Peking der Nationale Volkskongress, und genau einmal im Jahr soll es so aussehen, als gäbe es eine freie Presse in China, live übertragen im Staatsfernsehen. "Liebe Medien-Freunde", hebt Li an. Man möge doch gleich mit den Fragen beginnen, die Zeit sei kostbar. Dutzende Arme schnellen hoch, drankommen wird jedoch nur, wer auch wirklich soll. Beamte aus dem Außenministerium haben das Schauspiel in den vergangenen Tagen vorbereitet. "Wollen Sie eine Frage stellen bei der Pressekonferenz?", erkundigten sie sich am Telefon. Manchmal haben sie auch gleich einen Vorschlag parat. Alles muss vorher abgestimmt werden. Aus Sicht des Apparats sind die neuen Steuersenkungen ein gutes Thema. Man werde die Abgaben reduzieren, um dem Abwärtsdruck entgegenzuwirken, kündigt Li an: "Wir müssen sicherlich starke Maßnahmen ergreifen, um mit den steigenden Unsicherheiten fertigzuwerden". Auch einige Klassiker sind dabei: Ein koreanischer Journalist stellt die Nordkorea-Frage. Ein spanischer Kollege möchte wissen, wie es um das Verhältnis zur Europäischen Union bestellt ist. Und wie jedes Jahr erkundigt sich eine russische Nachrichtenagentur nach dem aktuellen Befinden der Beziehungen zwischen Moskau und Peking. Wie immer, prima. Die einzige vermeldenswerte Veränderung: Im vergangenen Jahr fragte eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur, diesmal ist es ein Mann; ihr Chinesisch war besser. Und dann wieder und wieder die Steuersenkungen. Andere Themen gibt es kaum. Im Vergleich zu vergangenen Volkskongressen war die diesjährige Zusammenkunft fast ereignislos. 2018 hatte Chinas Scheinparlament noch per Votum die Verfassung geändert und die Amtszeitbegrenzung für Chinas Präsidenten aufgehoben. Staats- und Parteichef Xi Jinping kann seitdem lebenslang herrschen. Auch neue Regierungsmitglieder wurden im vergangenen Jahr vereidigt, ein neuer Zentralbankchef wurde ernannt, und über allem schwebte schon damals der anbrechende Handelskonflikt mit den Vereinigten Staaten. Eifrig stänkerte US-Präsident Donald Trump via Twitter. Und diesmal? Ein fast zurückhaltender Trump. "Wahrscheinlich werden wir auf die eine oder andere Weise in den nächsten drei bis vier Wochen Bescheid wissen", sagte er am Donnerstagabend bei einem Empfang im Weißen Haus. Entweder gibt es eine Einigung im Handelsstreit, oder nicht. Glaubt man Trump, sei der Verlauf der Gespräche derzeit positiv. Der chinesischen Delegation bescheinigte er gar, "sehr verantwortungsvoll und sehr vernünftig" zu sein. Die einzige nennenswerte Entscheidung des Volkskongresses in diesem Jahr hat dann auch mit dem Handelsstreit zu tun. Wenige Minuten vor der Pressekonferenz stimmen die Abgeordneten dem Gesetz zur Regelung von ausländischen Investitionen zu. Der erste Entwurf kursierte bereits 2015 und bestand damals aus 170 Artikeln, es war ein juristischer Text. Dann verschwand das Gesetz erst einmal, bis vergangenen Dezember. In Windeseile wurde es seitdem durch den Gesetzgebungsprozess getrieben. In der Urfassung definierten noch neun Paragrafen, was unter einer ausländischen Investitionen zu verstehen sei, das verabschiedete Gesetz ist frei davon. Stattdessen schlanke 41 Artikel, viele davon kaum länger als ein Satz. Vieles bleibt auf diese Weise vage: Es "behandelt die Knackpunkte wie das Verbot erzwungener Technologietransfers oder eine Gleichbehandlung bei öffentlichen Ausschreibungen. Leider bleibt der Gesetzestext an zu vielen Stellen unkonkret und lässt Platz für viele Ausnahmen", moniert etwa Stefan Meir, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Premierminister Li sieht das anders: Das neue Investitionsgesetz sei entworfen worden, "um die Rechte und Interessen ausländischer Investoren zu schützen", sagt er den Journalisten. "Wenn wir Öffnung versprechen, werden wir mit Sicherheit liefern." Was genau Li meint, bleibt allerdings offen, Nachfragen sind nicht gestattet. Ebenfalls ganz offensichtlich auf dem Index: Xinjiang. In der Autonomen Region im Nordwesten, in der die muslimische Minderheit der Uiguren lebt, sind in den vergangenen Monaten Umerziehungslager errichtet worden. Journalisten, aber auch Diplomaten, die die Region bereisen, werden auf Schritt und Tritt vom Geheimdienst verfolgt. Schon morgens beim Frühstück wird man gefilmt. Jede Person, die man anspricht, bringt man in Gefahr, selbst in einem der Lager zu verschwinden. Am Donnerstag, just einen Tag vor der Pressekonferenz, stellte der deutsche Wissenschaftler Adrian Zenz in Genf seine Forschung zu den Umerziehungslagern vor. Seine aktuelle Schätzung: Bis zu 1,5 Millionen Uiguren könnten weggesperrt sein. Jeder sechste Uigure im Lager - eine der größten Menschenrechtsverletzungen unserer Tage. Premierminister Li bekommt dazu keine einzige Frage gestellt.
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Neue Proteste gegen die Regierung sind zu erwarten: Dieses Bild entstand bei einer Demonstration in Bukarest im vergangenen Jahr. Rumänien steht nach Eilerlassen der Regierung vor neuen Protesten. Nachdem die von den Postkommunisten (PSD) geführte Regierung zwei Erlasse verabschiedet hatte, die Beobachtern zufolge die Unabhängigkeit der Justiz bedrohen, riefen Aktivisten, die Opposition und selbst Richter und Staatsanwälte zu landesweiten Demonstrationen auf. Stein des Anstoßes sind zwei Anordnungen vom Dienstag: Mit diesen beschneidet die Regierung die Vollmachten des noch unabhängigen Generalstaatsanwalts und des bereits im Herbst 2018 geschwächten Justizrates, beschränkt die Amtszeit führender Staatsanwälte auf drei Jahre und entzieht eine neue "Sonderermittlungsbehörde für Justizstraftaten" (SIIJ) faktisch der Aufsicht durch den Generalstaatsanwalt. Die neue Behörde ermittelt bereits gegen unabhängige rumänische Juristen und Regierungskritiker - und gegen die EU-Kommission. Die EU hat Rumänien, das aktuell den EU-Ratsvorsitz innehat, wegen rechtsstaatlicher Rückschritte ebenso kritisiert wie die Venedig-Kommission, das weltweit führende Expertengremium für Rechtsstaatsfragen. Rumäniens Ex-Verfassungsgerichtspräsident Augustin Zegrean folgerte nach den jüngsten Eilerlassen, dass "Rumänien kein Rechtsstaat mehr ist". Ähnlich sieht es der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für EU-Angelegenheiten, Gunther Krichbaum. "In Rumänien wird der Rechtsstaat von vorne bis hinten geschleift - und Brüssel tut nichts dagegen. Es ist höchste Zeit, gegen Rumänien wegen Verletzung der EU-Rechtsstaatskriterien endlich ein Verfahren nach Artikel 7 einzuleiten", sagte der CDU-Politiker der SZ. Bukarest beschneidet seit Anfang 2018 die Befugnisse des Präsidenten und die Unabhängigkeit von Gerichten und Staatsanwälten. Auch die Anti-Korruptions-Sonderstaatsanwaltschaft DNA ist der Regierung ein Dorn im Auge: Die DNA brachte unter ihrer Leiterin Laura Kövesi Dutzende hoher Amtsträger, Parlamentarier und Minister vor Gericht und meist auch ins Gefängnis. Kövesi klagte auch den mächtigsten Mann Rumäniens, PSD-Parteichef Liviu Dragnea, in mehreren Verfahren an. Dragnea ist rechtskräftig wegen Wahlfälschung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und steht in weiteren Verfahren vor Gericht. 2018 sorgte die Regierung für die Entlassung Kövesis. Als Nachfolgerin schlug Justizminister Tudorel Toader die als ihm nahestehend geltende Staatsanwältin Adina Florea vor. Im Oktober 2018 lehnte Rumäniens Justizrat Florea wegen mangelnder Kompetenz und ihrer Nähe zur Politik als neue DNA-Chefin ab. Daraufhin machte der Justizminister sie zum Führungsmitglied der neuen Sonderermittlungsbehörde (SIIJ). Innerhalb der vergangenen Woche machte Florea zwei Mal Schlagzeilen: Erst lud sie Ex-DNA-Chefin Kövesi zum Verhör vor. Die Ex-Staatsanwältin kandidiert für das Amt eines europäischen Generalstaatsanwalts - Rumäniens Regierung will verhindern, dass Kövesi dieses Amt bekommt. Am Mittwoch dieser Woche gab die SIIJ zudem bekannt, sie ermittele gegen Rumäniens Generalstaatsanwalt Augustin Lazar, gegen den für Rechtsstaatsfragen zuständigen EU-Vizepräsidenten Frans Timmermans, EU-Justizkommissarin Vera Jourova und Angela Cristea, die Vertreterin der EU-Kommission in Bukarest. Die Vorwürfe: Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Amtsmissbrauch und Dokumentenfälschung. Stein des Anstoßes ist der letzte Prüfbericht der EU-Kommission, in dem Rumänien scharf kritisiert wurde. Die EU-Kommission betonte, nationale Behörden seien grundsätzlich nicht für angebliche Vergehen von EU-Beamten zuständig. Dies sei ausschließlich Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs. Gleichwohl verstärkt die Nachricht der beispiellosen Ermittlung in Brüssel Zweifel über Rumäniens Eignung als EU-Ratsvorsitzender. Das Timing des rumänischen Störfeuers ist brisant: Seit langem fordern die Sozialdemokraten (S&D) den Rauswurf von Ungarns Fidesz-Partei aus der Europäischen Volkspartei, sie haben die neue Anti-Brüssel-Kampagne von Ministerpräsident Orbán scharf kritisiert. Nun wird offensichtlich, dass S&D ähnliche Sorgen hat: Die PSD attackiert mit dem Niederländer Timmermans nicht nur die Nummer 2 der EU-Kommission, sondern auch ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl. Vor dem Parteikongress in Madrid, bei dem das Wahlprogramm beschlossen werden soll, sagte Udo Bullmann, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europarlament, der SZ: "Wir erwarten, dass die rumänische Regierung europäisches Recht respektiert und umsetzt." Die Frage, ob auch S&D aus Machtkalkül Europaskeptiker unter sich duldet, wird Timmermans dennoch beantworten müssen.
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